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Juti
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Insgesamt 632 Bewertungen
Bewertung vom 29.12.2017
Ein Festtag
Swift, Graham

Ein Festtag


sehr gut

Ob Novelle oder Roman. Beides.

Erst wird die Novelle erzählt vom Dienstmädchen Jane, dass mit dem Sohn des Hauses Paul schläft, der eigentlich Emma heiraten will, aber nach der Bettgeschichte durch einen Autounfall ums Leben kommt. Das geschah 1924. Jane, damals 22, wird aber 98 Jahre alt und große Schriftstellerin, das der Roman, wenn auch mit Rückblenden. Aber von diesem Sex erfährt niemand etwas, außer wir Leser. Festtag heißt das Buch, weil das ganze am letzten Sonntag im März, damals Muttertag geschah.
Man braucht schon dicke Eier „Schwanz. Eier. Möse.“(S.13), um den ersten Teil des Buches zu lesen, wo es um Flecken geht, die männliche Ergüsse hinterlassen. Langsam und viel zu ausführlich wird beschrieben, wie Paul sich anzieht. Im zweiten Teil störten mich die Vielzahl der erfundenen Buchtitel.
Positiv gefällt mir die Vielzahl alter Wörter wie „anheimstellen“, „entkleiden“, „Altvordern“ und „Findelkind“. 4 Sterne.

0 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 27.12.2017
Fremde Freunde
Gloger, Katja

Fremde Freunde


ausgezeichnet

Russland und Deutschland – „ein sadomsachistischstes Liebesverhältnis“

Diese Worte des tschechischen Außenministers treffen ziemlich genau, was dieses Buch beschreibt.
Beginnend mit einem Interview mit Michail Gorbatschow, der in Deutschland mehr geliebt wird als in seiner Heimat, beschreibt das Buch im Mittelalter startend durch die russische Geschichte die deutsch-russischen Beziehungen im Handel. Details wie die Geschichte über den Gottdorfer Globus, der in Petersburg ein Schattendasein führt bereichern dieses Buch.
Selbstverständlich darf die russische Zarin Katharina die Große mit deutscher Herkunft nicht fehlen. Nach deren Eroberung der Krim befreit Russland anschließend Europa von Napoléon, dient aber als rückständiges Land nicht als Modell der aufkommenden Demokratiebewegung.
Weder werden Russlands berühmte Schriftsteller vergesssen noch die Maler des „Blauen Reiter“ mit dem Russen Kandinsky.
Aber hauptsächlich wird die Politik behandelt. Der 1. Weltkrieg mit dem Transport Lenins durch das Deutsche Reich, der Vertrag von Rapallo, der Hitler-Stalin Pakt und der 2. Weltkrieg. Mit der Belagerung Leningrads setzt die Autorin hier andere Schwerpunkte als ich erwartet habe.Immer wieder gibt es mehr oder weniger gelungene Bezüge zur Gegenwart.
Danach gab es das „befreundete Deutschland“ und das „richtige Deutschland“. Und wieder taucht ein Zeitzeuge auf, der der Bremer Kunsthalle Bilder zurückgeben wollte und das nicht durfte.
Selbst die Wolgadeutschen, erst deportiert, dann in den 90er Jahren fast vollständig in die Bundesrepublik übergesiedelt mit dem Star Helene Fischer werden nicht vergessen.
Auch Putinversteher (und dieses Wort kommt viel zu oft vor) wird interviewt. Dennoch endet dieses Buch eher skeptisch mit der gut Russisch könnenden Angela Merkel und dem wegen des verhafteten Vaters noch distanzierteren Joachim Gauck.
Angesichts der vielen kleinen Geschichten und nur weniger Schwächen – 5 Sterne.
Aber wer wissen will, warum mitten in Putins Zeit mal Medvedew Präsident war, der muss „Endspiel“ von Zygar lesen.

Bewertung vom 22.12.2017
Lichter als der Tag
Bonné, Mirko

Lichter als der Tag


gut

eine Vierecksgeschichte

Während Raimund Merz, die Hauptfigur dieses Roman, sein „Elsterkind“ Lyndi zur Klassenfahrt zum Bahnhof bringt, trifft er Pippa und Inger, ohne sich erkenntlich zu zeigen. Später erfahren wir, dass Pippa seine uneheliche Tochter und Inger seine Liebe aus Jugendtagen ist. Aber auch das ist ungenau. Eigentlich wird erzählt, dass Merz Frau Flori in der Jugend mit Moritz zusammen war, während Inger mit Raimund sich nicht so richtig trauten. Dann aber verlässt Inger Raimund auf einen Blick von Moritz, während Flori ersatzweise zu Raimund kommt.
Das war die Jugendzeit. In der Nachstudienzeit sehen sich beide Paare nochmal in Berlin und es kommt zwischen Ihnen zu Begegnungen. Das zweite Kapitel endet damit, dass es zum lang erwarteten Krach kommt, weil Raimund Inger ein Kind gemacht hat, was eigentlich Moritz als Vater haben sollte. Nur leider wusste Flori, dass Moritz keine Kinder zeugen kann.
Das dritte Kapitel wird zum Krimi. Flori trennt sich von Raimund, nachdem Inger und er sich wiedergesehen haben, darauf „entführt“ er Lyndi (das Kind kommt freiwillig mit), stiehlt ein Bild in Lyon und wird schließlich von seinem Bürokollegen Bruno gefunden.

Ich habe diesmal viel erzählt, nicht alles, denn die Vierecksgeschichte, also insbesondere das 2. Kapitel hat mich schon gefesselt, auch wenn die Auflösung doch etwas plump daher kommt.
Der Autor braucht lange um in die Geschichte einzuführen. Es heißt ja ein guter Roman erzählt drei Geschichten. Die Haupthandlung ist beschrieben, daneben kommen dauernd Wespen vor, was mich nicht sonderlich interessierte, auch wenn ich erstmals von Kuckuckswespen gelesen habe. Ich möchte gerne eine Interpretation lesen, welche Symbolik dahinter stehen soll, aber ich glaube, die FAZ erwähnt die Wespen nicht einmal.
Noch weniger interessierte mich die beschriebenen Bilder und der chronisch schlechte HSV, denn das ist ja bekannt.
Das dritte Kapitel, das die Entführung schon in der Überschrift verrät, beginnt erst mal über 50 Seiten mit einer Reise von Raimund und Bruno nach Stuttgart. Außerdem liebt der Autor offenbar lange, zusammengesetzte Substantive.
Wer `s mag. 3 Sterne.

Bewertung vom 16.12.2017
Justizpalast
Morsbach, Petra

Justizpalast


ausgezeichnet

Ein echter Roman über eine Richterin und ihr Leben.

Der Ruhestand wäre der Richterin Thirza Zorniger, doch vergönnt gewesen. Stattdessen endet dieser Roman im Krankenhaus. Spannend ist es zu lesen, wieviel Kraft doch der Beruf als Richterin kostet und wie die Liebe im Leben doch nur einen Ausgleich leistet.
Überzeugend finde ich, wie ihr Freund und Mann als Anwalt noch eine andere Facette der Justiz zum Vorschein bringt, die von Thirzas Karriere nicht berührt wurde. Ein wenig zu ausführlich war mir das literarische Hobby von Max. Eine halbe Seite von Zitaten hätte nicht sein müssen.
Es überwiegen aber dennoch die Einblicke in den Richteralltag. Allein schon das Kammersystem an deutschen Gerichten mit drei verschiedenen Richtern war mir nicht bekannt. Mir gefällt auch, dass die Geschichte der Justiz, insbesondere Minister Radbruch, der in der Weimarer Republik Frauen als Richterin erlaubte.
Was ich mir schon immer dachte, hier aber erstmals lese, ist die Dynastie, die Juristenfamilie bilden.
Das Buch liegt zwischen 4 und 5 Sternen. Mein Urteil fällt in dubio pro reo.

Bewertung vom 10.12.2017
Wir können nicht allen helfen
Palmer, Boris

Wir können nicht allen helfen


ausgezeichnet

Sehr gutes Buch eines klugen Politikers

Das Problem mit den Flüchtlingen beschäftigt Deutschland noch immer und entgegen dem wohl vor der Bundestagswahl fertig gestellten Buch sind die Wahlergebnisse für die AfD nicht wirklich gesunken.
Schön, dass sich ein Politiker vor Ort mit den Themen vor Ort zu Wort meldet und auch nach Lösungen sucht. Ein Höhepunkt ist, wie er beschreibt, wie schwierig es im deutschen Baurecht ist, Wohnungen schnell zu bauen.
Rundum gelungen ist auch die Betrachtung von Statistiken im Kapitel, das die Sicherheit von Afghanistan behandelt. Am allerbesten hat mir aber der Diskurs über Gesinnungsethik und Verantwortungsethik auf S.195ff gefallen, der dem Buch einen theoretischen Überbau liefert.

Wenn die FAZ schreibt, er zitiere keine anderen Bücher zum Thema Flüchtlinge, so finde ich das nicht schlimm, denn Demokratie lebt ja davon, dass man sich nicht erst zu Wort melden darf, wenn man sich wissenschaftlich auskennt und ist nicht auch einmal schön, ein Sachbuch ohne Fußnoten und Literaturverzeichnis zu lesen. Populismus möchte auch ich das nicht nennen, im Gegenteil, ich bewundere den Autor, der so klar den Unterschied der Facebook-Welt mit der realen Welt kennzeichnet.
Ob er es sich wirklich, wie die FAZ meint, mit fast allen in seiner Partei „verscherzt“ hat, glaube ich auch nicht.
Vor dem Jamaika-Aus habe ich ihn auf einer Veranstaltung der Grünen in Schwetzingen mit Klaus Töpfer gesehen. Zu seinen Klimathesen hat er viel Beifall bekommen. Ich möchte den Blickwinkel ändern: Boris Palmer ist auch ein Grund, warum die Grünen im Ländle deutlich mehr Stimmen bekommen als sonstwo in der Republik. Dieses Buch zeigt warum.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.12.2017
Underground Railroad
Whitehead, Colson

Underground Railroad


gut

Ich kann in den Jubel über dieses Buch nicht einstimmen.

Erwartet habe ich ein Buch über die Flucht einer Sklavin. Doch dann wird erst einmal auf 75 Seiten die Verhältnisse der Sklaven in Amerika beschrieben und ich frage mich, was daran neu ist.
Das Fluchtkapitel ist dann wirklich spannend und auch die Geschehnisse in South Carolina mit der Geburtenkontrolle für Schwarze hat mir gut gefallen. Der Aufenthalt in North Carolina unterm Dach ist ebenfalls bedrückend und spannend.

Doch gerade das zentrale Thema des Buch, die Underground Railroad, ist in der Form als wirkliche Eisenbahn rein fiktiv und kommt wie Harry Potters Hogwardexpress daher. Klar steht diese Railroad für alle Menschen, die gegen Sklaverei kämpfen und auch die moralische Frage, ob wer für den Kampf für die Freiheit einen Menschen erschlägt ein Mörder ist, wird behandelt, aber alles ohne Mehrwert für den Leser.

Da in den Buch auch die Unterschiede in den einzelnen Bundesstaaten behandelt werden, hätte eine Amerikakarte dem Buch gut getan. 3 Sterne.

Bewertung vom 28.11.2017
Am Himmel
Mayer, Anna-Elisabeth

Am Himmel


ausgezeichnet

Sehr guter unbekannter Roman, ein Krimi.

„Dann schlaf auch du“ ist diesem Buch sehr ähnlich. Zunächst wird der Mord geschildert, wodurch aber keinesfalls die Spannung verloren geht. Hier ist das Opfer Baron von Sothen, ein vermeintlicher Wohltäter, der aber seine Angestellten ausbeutet.
Die Tat passierte tatsächlich so in Wien im 19. Jahrhundert und hier wurde der Tatort auch beibehalten. Dann wird beschrieben, wie es zu dem Mord kommen konnte und zum Schluss erfahren wir zusätzlich noch wie die Gerichtsverhandlung verlaufen ist.
Die sozialen Unterschiede werden in diesem Buch vordergründiger erkennbar. So wird etwa Berta von Sothen gut behandelt, weil er durch das Los ihres Vaters, der während des Gewinns gestorben ist, erst zu Reichtum gekommen ist, was Berta nicht wissen konnte. Aus Dankbarkeit behandelt Sothen Berta immer gut, was Sothens Frau Fanni nicht versteht.
Mehr will ich nicht verraten...

Bewertung vom 26.11.2017
Die den Sturm ernten
Lüders, Michael

Die den Sturm ernten


gut

Wenn das nicht das erste Buch ist, das Sie über den Nahen Osten lesen, dann beginnen Sie dieses Buch auf S.61 und vertrauen Sie mir, denn im Inhaltsverzeichnis werden Sie diese Seite nicht finden.

Deutlich schwerer fällt mir die Bewertung, weil ich schlicht nicht weiß, was ich von diesem Sachbuch glauben darf. Auf der Wikipedia-Seite von Herrn Lüder lese ich, dass UN-Berichte nicht zu dem Ergebnis kommen, dass durch die Türkei Giftgas nach Syrien geliefert wurde.
Das Buch verdeutlicht, dass deutsche Medien vorwiegend die amerikanische Sicht der Dinge vermitteln, aber wer sich gegen UN-Berichte stellt, der muss auch sagen warum und genau das fehlt.

Wäre das Buch nicht in deutscher Sprache geschrieben, dann würde ich von einer schlechten Übersetzung sprechen. Ein Beispiel: [In Syrien] „erleben die USA die Grenzen ihrer Macht, weil Russland Syrien niemals aufgeben wird, ebenso wenig wie der Iran oder China.“ (S.75)
Ich musste etwas nachdenken, was der Iran und China nun machen und frage mich, was gegen den Satz spricht: „... weil weder Russland noch der Iran noch China Syrien aufgeben werden.“
Nebenbei bemerkt ist Chinas einzige Rolle im UN-Sicherheitsrat keiner Resolution gegen Syrien zuzustimmen.

Die Bemerkung zu den Rechtspopulisten auf S.129 kommt aus heiterem Himmel, ist völlig überflüssig und kann einfach weggelassen werden.

Klug gelesen führt das Buch zu einem Erkenntnisgewinn gegenüber herkömmlichen Medien, schlecht gelesen bekräftigt es den Vorwurf der Lügenpresse, diesmal aber von der linken Seite des politischen Spektrums. 3 Sterne.

Bewertung vom 21.11.2017
Finanzwende
Giegold, Sven;Philipp, Udo;Schick, Gerhard

Finanzwende


sehr gut

Drei Politiker der Grünen stellen ihre Ideen zur Reform der Finanzwirtschaft vor.
Das Buch ist gut lesbar, nicht mit Fachworten überlastet. Die Ideen sind realistisch, etwas schade, dass sie nicht immer schreiben, woran sie gescheitert oder warum sie (noch) nicht umgesetzt sind. Einiges ist seit 2007 geändert worden, auch ist die Lobby der Finanzwirtschaft außergewöhnlich gut ausgestattet und vernetzt.
Ob die weibliche Form *in wirklich sein muss? Ich hätte das nicht gebraucht. Es wird dann auch nicht konsequent durchgehalten.
Der Leser wünscht sich immer noch eine Idee, was er tun kann, außer die Grünen zu wählen. 4 Sterne.

Bewertung vom 20.11.2017
Dann schlaf auch du
Slimani, Leïla

Dann schlaf auch du


ausgezeichnet

Die 3sat Buchzeit hat mich auf dieses Buch aufmerksam gemacht. Zurecht.

Wenn es normalerweise ein Spoiler ist, zu verraten, wie es ausgeht, so lebt dieses Buch davon. „Das Baby ist tot.“ heißt der erste Satz. So lesen wir das Buch und sind geneigt, die Eltern vor der Nanny zu warnen, die ihre Kinder töten wird.
Erst habe ich gedacht, es ist eine Novelle, aber dann wird mehr und mehr klar, dass die Autorin sich die Mühe macht die gesamte Lebensgeschichte der Kinderfrau zu erzählen. Es wird klar, dass sie einsam ist und unter Geldsorgen leidet.
Dann dachte ich, es handele sich nur um ein Frauenbuch. Aber auch dieser Vorwurf kann entkräftet werden. Denn vor allem bei den Urlaubsreisen wird klar, dass der Mord auch als Rebellion einer aus der vernachlässigten Unterschicht stammenden Frau gegen die Verhältnisse in der Oberschicht gesehen werden kann. Dafür spricht auch, dass die Nanny noch Essen verwendet, dass die Mutter weggeschmissen hat. Die Arbeitsverhältnisse von Nannies sind nicht die besten.
Kurzzeitig überlegte ich auch, ob dieses Buch nicht auch für eine Aufwertung der Mutterrolle steht. Doch glaube ich nicht, dass die Mutter zu kritisieren ist, weil sie die Arbeit in der Kanzlei wieder aufnimmt. Die Frage, ob der wohl freischaffende Vater, in der Musikbranche tätig, mehr zu Erziehung beitragen soll, wird erst gar nicht diskutiert.
Eins der spannendsten Bücher, die ich 2017 gelesen habe. Nicht so lang und groß gedruckt. Viel besser für Erstleser geeignet als Robert Menasse. 5 Sterne.