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Frankfurt

Bewertungen

Insgesamt 713 Bewertungen
Bewertung vom 22.02.2021
Schulkinder gleich Sorgenkinder?
Dorsch, Walter;Zierer, Klaus

Schulkinder gleich Sorgenkinder?


ausgezeichnet

Momentan sitzen wir alle mit unseren Kindern im home schooling und bekommen mehr mit als das im normalen Alltag der Fall ist. Mehr Einblick in die Struktur, mehr Einblick in die Aufgaben, das Lernpensum und das Lernniveau. Auch wie die Kommunikation der Lehrer mit den Schüler*innen läuft. Hier kommen doch sicher viele ins Grübeln. Lernt mein Kind genügend? Wird mein Kind überfordert? Warum ist das Pensum so hoch/so niedrig? Schafft mein Kind das?
Wer sich als Elternteil zu viele Sorgen macht und schwache Schüler zu Hause hat, merkt schnell, dass das kann sich enorm auf das Familienleben auswirken! Daher hat mich der Titel dieses Ratgebers von Prof. Dr. Walter Dorsch und Prof. Dr. Klaus Zierer stark angesprochen: „Schulkinder gleich Sorgenkinder? - Schulprobleme als Familie meistern“ Nicht nur stellen sie das Problem in Frage sondern zeigen ganz klar, dass nichts isoliert betrachtet werden kann.
Die beiden versuchen uns weder ein Allheilmittel gegen den Druck, die Angst oder das Versagen zu geben, sondern versuchen zu erklären und aufzumuntern und Wege aufzuzeigen wie man an den Herausforderungen gemeinsam wachsen kann.
Die Professoren begleiten eine fiktive Familie über 7 Jahre lang. Es beginnt mit der Einschulung des jüngsten Kindes. Mutter, Vater, 2 Töchter (11 & 9 Jahre alt) und der kleine Bruder (6 Jahre alt). In jedem der 10 Kapitel wird eine Fragestellung anhand dieser Familie sehr anschaulich be- und erarbeitet. Ich nenne nur ein paar Stichwörter um die Vielfalt zu verdeutlichen: Geschwisterliebe, Lernfreunde, Leistungsmotivation, Lernfreude, Bildungswege, Freunde, Klassenclown, Tagesabläufe, Soziale Umgebung und viele andere komplexe Themenfelder.
Dieses Buch spricht alle Eltern an, die sich unsicher sind wie sie mit dem Thema Schule umgehen sollen, wenn es zu Reibungen kommt. Ich lasse das bewusst etwas breiter stehen, denn selbst wenn man hervorragende Schüler*innen hat, ist dieses Buch bereichernd.

Bewertung vom 19.02.2021
Essen gut, alles gut
Niemeier, Heike

Essen gut, alles gut


sehr gut

Etwas mehr Leichtigkeit beim Essen hilft uns enorm!

Der Buchmarkt gibt unzählige Bücher über gesunde Ernährung her, mal sehr fachlich strukturiert, mal mit vielen anregenden Rezepten und mal auf die leichte Art wie „Essen gut, alles gut - Wie wir wieder lernen, auf unseren Bauch zu hören“ von Dr. Heike Niemeier.
Klar, es kommt immer darauf an wieviel Vorwissen die Leser*innen mitbringen und daher wird es in Ernährungsratgebern immer Informationen geben die schon bekannt sind, aber jeder hat andere Wissenslücken. Daher sollte man sich davon nicht abschrecken lassen und denken: „Noch ein Buch über gesunde Ernährung? – Nee, danke!“ Ganz im Gegenteil, denn die Autorin schrieb diesen Ratgeber überhaupt nicht trocken fachlich, sondern so charmant es eben geht, wenn es um Ernährung geht und gibt uns allen zu verstehen: Hey, euer Körper weiß eigentlich sehr genau was er will und ich gebe ich nur noch ein bisschen Hintergrundwissen und alltagstaugliche Tipps.
Die Themen werden kurzweilig präsentiert und können auch losgelöst voneinander gelesen werden, wenn etwas nicht interessiert zum Zeitpunkt einfach woanders weiterlesen. Die Vielfalt ist groß, wer es speziell will liest was der Köper mit der vielen Glukose tut den wir essen oder aber auch Kapitel mit klaren Botschaften wie: Nicht essen ist keine Lösung, wenn man abnehmen will.
Auch sind Themen dabei, die mit Vorurteilen aufräumen wie der Abschnitt über den Body Mass Index und dass er nur die halbe Wahrheit ist und Gewicht eben unterschiedliche Formen haben kann. Einfach und überzeugend geschrieben.
Dieses Buch nimmt Druck raus, schult den individuellen Blick auf sich selbst und versucht wieder etwas Intuition und Leichtigkeit in die Ernährung zu bringen geballt mit Fachwissen!
PS: Wer Teenagerkinder hat die sich den Kopf über ihre Ernährung zerbrechen und kurz vor einer Essstörung jeglicher Art stehen, ist dies GENAU das richtige Buch! Hier kann was gelernt und neu gedacht werden ohne Zeigefinder!

Bewertung vom 18.02.2021
Der Mädchenwald (eBook, ePUB)
Lloyd, Sam

Der Mädchenwald (eBook, ePUB)


gut

Knusper knusper Häuschen….

Ein Sujet, das schon öfters bemüht wurde in Thriller, weil es für alle das schlimmste Szenario ist, dass passieren könnte: ein Kind verschwindet in einer alltäglichen Situation. Da schon oft gebraucht, reicht eine gute Geschichte fast nicht aus, auch viele andere Komponenten spielen mit hinein um dem Thriller eine besondere Note zu geben. Hat Sam Lloyd das mit seinem Debüt ‚Der Mädchenwald‘ geschafft?
Die 13jähriges Elissa verschwindet auf einem Parkplatz kurz bevor sie an einem Schachtunier teilnehmen sollte. Nur noch mal schnell was aus dem Auto holen und zack – weg war sie.
Es kommt wie erwartet, in einem Kellerraum wird sie gefangen gehalten und sie wird von dem brutalen Entführer regelmäßig besucht. Aber auch von einem Jungen namens Elijah in den Elissa ihre ganze Hoffnung setzt und ihr Überlebenswillen hängt viel an seiner erhofften Hilfe. Auch wird recht schnell klar, dass Elissa nicht das erste Mädchen ist, dass hier im „Mädchenwald“ landet….
In der Zwischenzeit läuft natürlich die Polizeimaschinerie heiß und Detective Superintendent Mairéad MacCullagh sucht das Mädchen auf Hochtouren.
Sprunghaft wird die Handlung erzählt, nicht stringent, was natürlich erst unübersichtlich ist, aber die Spannung steigert. Die dreigleisige Erzählweise ist mir positiv aufgefallen. Zum einen durch das Entführungsopfer, Elissa, die sich als starke Protagonistin mit Überlebenswillen zeigt und analytisch an die Fakten hält und ihre Lage realistisch einordnet ohne den Mut zu verlieren. Dann Elijah, den man nicht so richtig zu fassen bekommt und die Meinung über ihn schwangt, weil sein „Spiel“ noch unklar ist und zu Guter letzt die Polizistin, die Elissa sucht (und auch persönlich beleuchtet wird).
An einigen Stelle war es recht offensichtlich, das Ende war überraschend, aber auch etwas entgleist. Eine Mischung und daher ist mein Fazit: Ein solider Thriller, gute Unterhaltung, aber nichts Herausragendes.

Bewertung vom 16.02.2021
Iss besser
Rose, Tarik;Riedl, Matthias

Iss besser


ausgezeichnet

Lecker & gut umsetzbar

Wir alle haben uns schon sooooo oft den Vorsatz gegeben: ich muss mich gesünder ernähren! Und weil es so einen starken MUSS-Charakter hat, erstickt der gute Vorsatz im Keim.
Wir sollten das Ganze eher spielerischer sehen und uns auch mal auf was Neues einlassen. Klar, gesund ist IMMER besser, aber es kann auch super lecker sein! Und somit die Palette der Lebensmittel die wir konsumieren erweitern und uns ungeahnt bereichern. Danach mag man gar nicht mehr ohne bunt! Man wird die große Palette vermissen.
„ISS BESSER! Einfach gesund kochen“ hört sich so simple an und wisst ihr was? Ist es auch! Dieses Kochbuch von den beiden bekannten Autoren aus gleichnamiger NDR-Fernsehserie Tarik Rose & Ernährungs-Doc Dr. Matthias Riedl kann hier helfen.
Es enthält eine Einführung für alle die noch etwas unsicher unterwegs sind, die hilfreiches Wissen transportiert. Aber das Schöne an dem Buch ist, dass man gleich in die Rezepte eintauchen kann und bei jedem Gericht gibt es ein „Dr. Riedls Iss-besser-Tipp“. Kurz und knackig, dass kann man sich gut merken. Sprich, wenn man sich mal ein erstes Rezept raussucht, es kocht und den Tipp liest, dann bekommt nicht nur der Magen & Darm gutes Futter, sondern und unser Hirn bekommt auch was zum Kauen!
Klar, auch hier sind exotische (auf den ersten Blick) Gewürze und Lebensmitte enthalten, aber einfach mal machen. Nicht abschrecken lassen!
Die Rezepte sind in Gruppen zusammengefasst:
- Klein, aber fein
- Aud Feld und Flur
- Aus Fluss und Meer
- Aus Weide und Wald
- Süßes für die Seele
Und hinten drin gibt es einen schönen übersichtlichen Saisonkalender und das klassische Register nach Hauptinput sortiert.
PS: Mein großer Favorit ist momentan der Linsensalat und das Ofenhähnchen mit Sesam und Gemüse (was der Sesam für einen Unterschied macht, unglaublich!!!)

Bewertung vom 16.02.2021
Das Verschwinden der Erde
Phillips, Julia

Das Verschwinden der Erde


ausgezeichnet

Mosaikhafte Erzählung

Zwei Schwestern, Aljona und Sofija, die eine 11. Jahre alt, die andere 8 Jahre alt verschwinden und eine Suche beginnt. Ein Plot der zunächst klingt wie bei vielen Thrillern. Doch hier ist schon der Einstieg kurios, denn wir erleben gleich hautnahe mit wie die beiden von einem Mann getrickt werden und sie in sein Auto lockt. Der Atem stockt einem, wenn der Punkt kommt in dem die Mädchen realisieren, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht und das Handy aus dem Fenster fliegt.
Was noch so gänzlich anders ist, ist der Handlungsort: Kamtschatka – eine Halbinsel in Russland, sie ragt wie eine lange Zunge ins Meer. Durch die Karte zu Beginn des Textes kann man sich hier geografisch immer wieder gut orientieren ohne google maps zu bemühen! Ein so ferner Ort der durchaus auch sehr präsent ist in den Beschreibungen der Landschaft. Ein zentrales Element, das die Handlung daher nicht einfach woanders hin verpflanzen lässt.
Verwundert es doch, dass dieser Roman von einer Amerikanerin geschrieben wurde, Julia Phillips, und nicht von einer russischen Autorin. Noch mehr erstaunt einen, wenn nach der Lektüre klar wird, dass dies in der Tat der Debütroman der Autorin ist und dann verwundert nicht mehr, dass dieses Buch als einer DER besten Bücher des Jahres 2019 gehandelt wurde von diversen wichtigen Kritikern im englischsprachigen Raum. Die New York times hat es unter die TOP 10 des Jahres 2019 gewählt, ein starkes Urteil und in der Tat ein großartiger Roman.
Zurück zu den verschwundenen Mädchen. Wir erleben nun erst einmal mit wie sie verschwinden. Und dann? Dann beginnt „Das Verschwinden der Erde“ und der Leser beginnt zu verstehen was so großartig ist an diesem Roman: die Erzählweise, wie ineinanderfließende und doch fast eigenständige Kurzgeschichten wird hier über Frauen erzählt, die vom Verschwinden der Mädchen betroffen oder beeinflusst werden und die Dimensionen wachsen immer stärker zusammen. Ein Mosaik um das Verschwinden herum.
Aber geht es „nur“ um zwei verschwundene Mädchen? Mit Nichten! Es werden tiefgreifende Themen wie kulturelle, soziale und rassistische Reibungen deutlich. Und hier wird der Bogen zur amerikanischen Autorin dann doch wieder sichtbar. Am anderen Ende der Welt und irgendwie Ähnliches zu bewältigen.
Nur das Ende hätte ein wenig anders sein können, will es da doch eher den spannenden Bogen betonen wie es ein Thriller tun würde. Kritik auf zu hohem Niveau, der Roman hat mich nachhaltig beeindruckt und ist eine Wucht!

Bewertung vom 15.02.2021
Kissing Chloe Brown / Brown Sisters Bd.1
Hibbert, Talia

Kissing Chloe Brown / Brown Sisters Bd.1


gut

Kein langweiliger Frauenschmöcker!

Chick-Lit oder auch Frauenschmöcker genannt, lese ich höchst selten und dann eigentlich auch lieber in einer anderen Sprache, damit das ganze überhaupt einen Mehrwert hat. So, nun kennt ihr schon mal meine Grundeinstellung zum Thema…und daher ist es äußerst schwierig mich davon zu überzeugen das ein Liebensroman für Frauen gut sein kann!
„Kissing Chloe Brown“ fällt ohne Frage in die Kategorie Chick-Lit! Dann kommt ein dickes ABER, denn die Geschichte ist zwar was fürs Herz, aber nicht der übliche Null-Acht-Fünfzehn Kram. Talia Hibbert hat es sich zur Aufgabe gemacht auch Minderheiten mit Liebe zu beglücken. Nicht nur Schöne und Reiche sollten in Liebensromanen vorkommen, sondern eben auch die Randgruppen. Klar, sie schreibt auch die klassischen Frauenromane, also nicht alles was sie zu Papier bringt fällt in diese Kategorie, aber es ist mal ein Anfang.
Nun aber zu Chloe Brown. Eine chronisch kranke Frau, die fast stirbt und das als Initialzündung sieht ihr Leben zu ändern und schreibt erst einmal eine „To Do“-Liste – was sonst! Da stehen dann Dinge drauf, die ihr sonst nicht so liegen wie: Einen Camping Trip machen. Und vor allem zieht sie endlich aus dem großen Haus der Eltern aus und findet eine Wohnung. In diesem Apartmenthaus gibt es den Hausmeister Redford Morgan, den sie zunächst „observiert“ und der ihr erst gar nicht wohlgesonnen ist durch ihren Famiienreichtum. Aber es kommt ja dann (zum Glück) doch anders.
Gut, finde ich, dass die Charaktere nicht klischeehaft und eindimensional gezeichnet sind. Das hat mir in der Tat gut gefallen. Zudem wird man gut unterhalten und einen Lacher entlockt das Buch einem auch noch an der ein und anderen Stelle.
Fazit. Wenn schon ein Liebensroman, dann bitte Talia Hibbert!

Bewertung vom 14.02.2021
Krass
Mosebach, Martin

Krass


ausgezeichnet

Verführt durch Geld und angestachelt

Für mich ist Martin Mosebach, einer DER Gegenwartsautoren überhaupt. Ein Könner seines Fachs, kaum einer spielt so gut mit der Sprache und offenbart uns damit was Literatur sprachgewaltig bei uns als Leser auslösen kann.
Sein neustes Werk heißt nicht nur „Krass“ sondern offenbart auch krasses, wobei hier eigentlich eine Person im Roman gemeint ist: Krass, der Waffenhändler. Wir betrachten das Szenario aus der Brille des Dr. Jüngel. Ihn engagiert Krass als begleitende Reiseleitung nach Neapel, ein sonst arbeitsloser Kunsthistoriker. Dann wird noch eine Escortdame hinzugenommen, die aber den widersinnigen Auftrag hat mit niemandem auf dieser Reise zu schlafen. Der Roman knistert förmlich vor sich hin, nach jeder Seite denkt man und nun geschieht was ungeheuerliches und ….es bleibt aus….
Was sich zu Beginn noch als teuflische Verführung gibt, endet im Gegenteil. Dr. Jüngel wird bis 18 Jahre später noch beeinflusst sein von seiner Begegnung und Verbandelung mit Krass, der es wiederum nicht überlebt.
Wer diesen Roman zur Hand nimmt, tut dies für gute Prosa und wird es lieben. Hier werden Abgründe des Geldes und Verwirrungen der Seelen aufgezeigt. Kantige Sätze treffen ins Schwarze wie fliegende Pfeile. Mir hat der Roman äußerst gut gefallen. Eine Leseempfehlung für alle die mehr als 500 Seiten gute Literatur vertragen!

Bewertung vom 14.02.2021
Zeit der Wunder / Kinderklinik Weißensee Bd.1
Blum, Antonia

Zeit der Wunder / Kinderklinik Weißensee Bd.1


weniger gut

Durch den Boom von historischen Krankenhaus-Büchern, wie die Bestseller-Reihen um die Charité (Ulrike Schweikert) oder „Die Hafen-Schwester“ (Melanie Metzenthin), möchten natürlich auch andere Verlage was vom Kuchen abhaben und hier finden wir uns nun in der „Kinderklinik Weißensee“ von Antonia Blum wieder, auch eine Reihe, die auf zwei Bände angelegt ist.
Spannend an dieser Reihe ist die Verknüpfung mit einem realen Vorbild (wie auch bei der Charité). Gibt es uns doch einen historischen Einblick in die erste und modernste Kinderklinik Europas im Jahre 1911 in Preußen! Der Fokus dieses Romans liegt aber ganz klar auf der persönlichen Entwicklung zweiter Schwestern, Marlene und Emma Lindow, die hier als Lehrschwestern beginnen. Unterschiedlicher könnten sie nicht sein und natürlich gibt es viele Situationen in denen sie über sich hinauswachsen. So will die eine gar Kinderärztin werden und die andere Verschreibt sich der Pflege der kleinen Patient*innen. Natürlich sind diese beiden auch anders als die anderen Schwesternschülerinnen, denn sie sind Waisen und konnten nur durch unbekannte Gönner das Abitur machen. Sprich auch hier sind sie Vorurteilen ausgesetzt und müssen sich gegenüber den Mädchen aus gutem Hause beweisen.
Die Idee ist insgesamt gut, aber ich fand es etwas zu sehr fokussiert auf die beiden Schwestern. Klar, man bekommt ein Gefühl für das historische Szenario, wobei auch hier nicht immer sauber recherchiert wurde.
Fazit: Mir war es etwas zu „chessy“, zu klischeehaft, kitschig und überbordend mit Gefühlen. Nicht meines. Wer gefallen an historischen Stoffen findet, aber eigentlich etwas über die gemeinsame Entwicklung zweiter Schwestern in emotionaler Bandbreite liest, könnte dem Ganzen etwas abgewinnen.

Bewertung vom 13.02.2021
Die Erfindung der Sprache
Baumheier, Anja

Die Erfindung der Sprache


sehr gut

Sprache als Ausdruck für die Suche der Seele

Deutschland ist ein großes Land und reich an den unterschiedlichsten kulturellen Nuancen. Literarisch ist sicher schon alles einmal abgedeckt worden, wobei einigen Landstriche und Regionen überproportional hohe Aufmerksamkeit geschenkt wird, wie beispielsweise die Alpenregionen in Bayern oder auch Berlin als Stadt. Umso erfreulicher ist es hier ein Buch in den Händen halten zu können, dass sich Ostfriesland als Handlungsort auserkoren hat – Platteoog! Vorher hatte ich noch nie von diesem Fleckchen Erde gehört.
In „Die Erfindung der Sprache“ nimmt und Anja Baumheier mit in den hohen Norden, in die Heimat von Adam. Hier wächst dieser wie manche sagen würden seltsame Junge heran. Er spricht spät und ist dann ganz vernarrt in die Zahl 7. Alles muss in 7.er Schritten erdacht, gezählt und gemessen werden.
Da wächst er auf mit viel Liebe, vor allem von der Großmutter und seines Vaters. Dieser verschwindet allerdings spurlos als Adam 13 Jahre alt ist und der Kummer bricht sich Bahn. Auch hier wieder das Stumme im Stil – die Mutter spricht nicht mehr.
Und genau diesem sehr prägendem Ereignis geht Adam dann viel später als Erwachsener nach. Was geschah mit dem Herrn Papa. Da Adam nun nicht so ist wie andere und eine ganz eigenwillige, ja andere Art der Kommunikation hat und sich auch sonst gerne in Gewohntem in Sicherheit wiegt muss nun seine Komfortzone verlassen und macht sich auf die Suche. Nicht nur bricht er auf zu einer Reise, auch innerlich bewegt sich viel!
Dieser Roman hat mich sehr überzeugt, ist es doch eine schöne, wenn auch teilweise kummervolle Familiengeschichte mit skurrilem Figurenkabinett und das geschrieben auf eine charmant witzige Art, das sucht ihres Gleichen. Weder hochliterarisch unverständlich, noch flach und zu einfach gehalten. Perfekt für meinen Geschmack, wenn man gerne gut unterhalten ist mit wohlformulierter Prosa!

Bewertung vom 13.02.2021
Kindheit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.1
Ditlevsen, Tove

Kindheit / Die Kopenhagen-Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

Nicht weinerlich, reflektiert und dazu sprachgewaltig
Tove Ditlevsen hat mit der Kopenhagen Trilogie – Kindheit – Jugend – Abhängigkeit ihr eigenes Leben niedergeschrieben, wobei die Trilogie keinen Anspruch erhebt ein biografisches Abbild ihres Lebens zu zeichnen. Im ersten Band KINDHEIT lernen wir Tove als kleines Mädchen kennen, ihre freud- und glücklose Kindheit scheint ihr doch trotz einer sehr egoistischen und nichtliebenden Mutter mit harten Umständen besser in Erinnerung zu sein als wir es uns heute vorstellen mögen. Sicher ist das Buch aus der Retroperspektive geschrieben und sind Erinnerungsstücke, die aneinandergereiht mit vielen emotionalen Einsätzen ihr Innen- und Außenleben wiederspiegelt. „“Ich weiß, dass jeder Mensch seine eigene Wahrheit hat, so, wie jedes Kind seine eigene Kindheit hat.“ (S.19)
Mich hat zum einen diese bitterarme Arbeiterkindheit in den 20er Jahren Dänemarks berührt, aber was mich viel viel stärker beeindruckt hat, ist die Stärke mit der Tove Ditlevsen sprachgewaltig ihre Seelenbibliothek (wie sie es selbst im Buch großartig nennt!) zum Leben erweckt! „Die Zeit verging, und die Kindheit wurde dünn und platt wie Papier“ (S. 73).
Der Band ist in der Tat mit etwas mehr als 100 Seiten extrem schmal, aber literarisch unfassbar reich. Hier könnten sich so manche Autoren das „auf-den-Punkt-bringen“ ein wenig abschauen. Nein, hier kann man nichts abschauen, Tove Ditlevsen hat einen so eigenen und überragenden Stil, aus meiner Sicht unkopierbar.
Besonderen dank gilt auch der sehr guten Übersetzung von Ursel Allenstein, die auch das Nachwort verfasste. Ohnehin, wer Tove Ditlevsen nicht kennt, und dazu zählte auch ich vor diesem Buch, sollte vielleicht sogar mit dem Nachwort beginnen. Hier bekommt man ein Gefühl für die Einordnung der Autorin in ihre Zeit und in die dänische Literaturlandschaft.
Wunderbar, dass der Aufbau-Verlag sich diesem Werk noch einmal angenommen hat und uns mit diesem literarischen Feuerwerk beglückt!

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.