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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 02.07.2019
Die letzte Stunde / Pest-Saga Bd.1
Walters, Minette

Die letzte Stunde / Pest-Saga Bd.1


ausgezeichnet

Minette Walters, die englische Bestsellerautorin psychologischer Spannungsromane, wechselt mit „Die letzte Stunde“ das Genre und wendet sich der Historie zu.

Dorset, Südengland, wir schreiben das Jahr 1348. Schiffe haben die Pest ins Land gebracht, die Todesfälle häufen sich. Lady Anne, Herrin von Develish, zählt zu den klugen Köpfen ihres Standes. Sie hat bei Nonnen eine umfassende Erziehung genossen hat, und sie reagiert schnell. Um die Menschen zu schützen, die unter ihrer Fürsorge stehen, entscheidet sie sich für die komplette Isolation ihrer Wasserburg. Niemand darf diese verlassen, aber auch der Zutritt wird jedem verwehrt. Tragischerweise betrifft diese Anordnung auch ihren Mann, der mit seinem Gefolge auf dem Rückweg von einem benachbarten Anwesen ist und nun außen vor bleiben muss. Alle sterben an den Folgen der Krankheit.

Die Vorräte reichen nicht ewig, die Reserven schwinden. Das Leben auf der Burg verändert sich, und nicht jeder kommt damit zurecht. Standesunterschiede verschwinden im Angesicht des Kampfes ums Überleben. Es ist nicht mehr die gesellschaftliche Position, die den Rang bestimmt, es ist die Art und Weise, wie man mit den neuen Verhältnissen zurechtkommt. Hier wird Thaddeus für Anne schnell unentbehrlich, ein ehemaliger Dienstbote, den sie aufgrund seiner Fähigkeiten zum Verwalter einsetzt. Hunger, Streitereien und Entbehrungen nagen an dem inneren Frieden, aber es kommt noch heftiger, als ein rätselhafter Mord geschieht.

Im Gegensatz zu ihren straff erzählten Kriminalromanen nutzt Walters in diesem historischen „closed room“ Roman die breite Leinwand, verliert sich aber selten in Nebensächlichkeiten. Ihre Sympathien gehören den Niederen, den Rechtlosen, die ihr Leben in den Dienst der Gemeinschaft stellen und mehr moralische Integrität als Klerus und Adel besitzen In ihren Beschreibungen des Feudalsystems, der Landschaft, Personen, Lebensumstände etc. ist die Autorin so akribisch, wie wir es von ihr gewohnt sind, was mit Sicherheit intensiver Recherchearbeit geschuldet ist. Bleibt zu hoffen, dass sie dieses hohe Niveau auch in „In der Mitte der Nacht“, dem zweiten Band der Pest-Saga, halten kann. Ich gehe davon aus.

Allen Fans von Rebecca Gablé und Ken Follet nachdrücklich empfohlen!

Bewertung vom 01.07.2019
Das Licht der Toskana
Mayes, Frances

Das Licht der Toskana


weniger gut

Die amerikanische Autorin Frances Mayes, die nächstes Jahr ihren achtzigsten Geburtstag feiert, erzählt in „Das Licht der Toskana“ von den Erlebnissen dreier Frauen zwischen Ende 50 und Anfang 60 (Camille, Susan, Julia), die sich entschieden haben, einen Neuanfang zu wagen. Sie lernen sich bei der Besichtigung einer Senioren-Wohnanlage kennen, zwei sind Witwen, die Dritte ist auf dem Sprung aus einer unglücklichen Ehe. Und alle kommen aus finanziell gesicherten Verhältnissen. Sie kommen ins Gespräch, entwickeln Sympathien füreinander, treffen sich mehrmals und beschließen, gemeinsam für unbestimmte Zeit eine toskanische Villa zu mieten. Vor Ort lernen sie Kit kennen, ebenfalls Amerikanerin, Schriftstellerin, die seit über zehn Jahren in Italien lebt und ihnen in ihrer Eingewöhnungszeit hilfreich zur Seite steht. Camille, Susan und Julia gewöhnen sich schnell ein, finden neue Freunde, genießen ihr neues Leben in der Fremde, die schnell zur neuen Heimat wird. Aber sie finden auch zurück zu jenen Talenten, die sie in den vergangenen Jahrzehnten zugunsten des Alltags zurückgestellt haben. Camille betätigt sich künstlerisch, Susan widmet sich stilsicher den verschiedensten Dekorationen, und Julia versinkt im Zubereiten kulinarischer Köstlichkeiten. Also kein Grund, in das alte Leben zurückzukehren. Und so beschließen sie, die Villa zu kaufen und in der Toskana zu bleiben. So, das war jetzt die Inhaltangabe im Schnelldurchlauf. Alles eitel Freude und Sonnenschein. Und sie leben glücklich bis an ihr seliges Ende.

Mayes schöpft in ihrem Roman aus eigenen Erfahrungen, hat sie doch in den neunziger Jahren genau das gleiche erlebt. Während eines Urlaubs hat sie sich in eine toskanische Villa verliebt, diese restaurieren lassen und ihren Lebensmittelpunkt dorthin verlegt. Beschrieben hat sie dies in zahlreichen Veröffentlichungen.

Es geht sehr behäbig zu in diesem Roman (ist vielleicht dem Alter der Autorin geschuldet), langatmig, was aber wesentlich auffälliger ist, die drei Expats haben mit absolut keinen Schwierigkeiten in ihrem neuen Leben zu kämpfen. Keine Sprachprobleme, keine Orientierungsschwierigkeiten, alle bei bester Gesundheit. Und sie verfügen scheinbar über unerschöpfliche Geldreserven. Da werden Möbel angeschafft, neue Wäsche, antiquarische Dekorationen für den Garten, Bildbände (bei einem Einkauf für 1000 Euro !), hochpreisige Kochzutaten. Und was sie anpacken gelingt. Immer.

Und die Italiener. Überfreundlich, zugänglich, nehmen sie mit offenen Armen auf. Unterstützen sie in allem. Die Landschaft nur wunderbar. Von Zypressen gesäumte Straßen, pittoreske Straßencafés, üppige Märkte. Keine entvölkerten Dörfer mit verfallenen Häusern. Alles groß, schön, komfortabel und mit jeder Menge Flair – was ich leider nach mehrfachen Aufenthalten in der Toskana so nicht bestätigen kann.

„Das Licht der Toskana“ erzählt ein nettes Märchen, ausschweifend und realitätsfern aus der Sicht verwöhnter „Südstaaten-Magnolien“. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Als unterhaltsame, problemfreie Urlaubslektüre für Leserinnen, die toskanisches Flair jenseits der Realität genießen wollen, geeignet.

Bewertung vom 30.06.2019
Löwenzahnkind / Charlie Lager Bd.1
Bengtsdotter, Lina

Löwenzahnkind / Charlie Lager Bd.1


sehr gut

Was für Camilla Läckberg Fjällbacka, ist für Lina Bengtsdotter Gullspång, die Kleinstadt im Westen Schwedens. Dort ist sie geboren und aufgewachsen, dort kennt sie sich aus. Und so ist es nicht verwunderlich, dass sie dort auch ihr Debüt „Löwenzahnkind“ verortet, Auftakt der Reihe mit Charlie Lager, einer Ermittlerin bei der Polizei in Stockholm, die auch aus Gullspång stammt und mit ihrer Vergangenheit noch längst nicht abgeschlossen hat.

Wir kennen das ja zur Genüge aus vielen anderen schwedischen Krimis: traumatische Kindheit, Alkoholexzesse, Drogen, wechselnde Männer. Aber sie hat’s im Griff und funktioniert im Berufsalltag. Mehr noch, sie ist eine der besten Ermittlerinnen, die die Stockholmer haben. So verwundert es nicht, dass sie nach Gullspång geschickt wird, um das Verschwinden der siebzehnjährigen Annabelle aufzuklären. Charlie kratzt nicht nur an der Oberfläche, sie gräbt tief, es stellt sich heraus, dass sie offenbar mehr mit Annabelle gemein hat, als gedacht.

Die Atmosphäre in Gullspång kennen wir aus Rural Noir Romanen, das Städtchen könnte ebenso im amerikanischen Süden sein. Die Industrie ist abgewandert, die Häuser verfallen, alles wirkt ärmlich. Jobs gibt es nur noch in der im Ort ansässigen Pressspanfabrik, in der sich die Arbeiter mangels Sicherheitsvorkehrungen die Arme aufreißen. Zukunftsperspektiven? Keine. Dafür jede Menge Alkohol, der dieses Leben erträglich macht.

Bengtsdotter hat die Story gut geplottet. Sie lässt nicht gleich zu Beginn die Katze aus dem Sack, sondern füttert den Leser häppchenweise mit Informationen, nicht nur zu dem Fall sondern auch zu ihrer Protagonistin. So bleibt das Interesse konstant hoch, die Spannung lange erhalten. Unterstützt wird dies zusätzlich durch wechselnde Perspektiven und kurze Kapitel, wobei letztere zusätzlich für Tempo sorgen.

Ein gelungenes, vielschichtiges Debüt, das Interesse an den nächsten Bänden der Reihe weckt.

Bewertung vom 29.06.2019
Im Freibad
Page, Libby

Im Freibad


sehr gut

Eine unterhaltsame, mit wohldosierter Emotionalität geschriebene Geschichte über eine generationenübergreifende Frauenfreundschaft, die in der gemeinsamen Aktion gegen die Schließung eines alten Schwimmbades zueinander finden. Wobei ich ja den Originaltitel „The Lido“ wesentlich passender finde, weckt er doch Assoziationen an eine längst vergangene Zeit, an Schwimmbäder, die mit den heutigen Wasserparks nichts mehr zu tun haben. Keine Rutschen, Massagepilze und Wasser speiende Comicfiguren, sondern Becken, in denen man seine Bahnen zieht. Vertraut mit dem Element und dem Ort. Wo man ein Schwätzchen mit Menschen aus der Nachbarschaft halten kann, die man sein Leben lang kennt? Was aber tun, wenn gierige Investoren die Finger danach ausstrecken? Resignieren und den Verlust betrauern?

Drei Hauptfiguren und ihr Verhältnis zueinander bestimmen die Geschichte: Rosemary, die 86jährige, die schon so viel in ihrem Leben verloren hat. Für die das Freibad eine der wenigen Konstanten geblieben ist? Kate, die junge Journalistin, schüchtern und ohne Selbstvertrauen, die über die anstehende Schließung einen Artikel schreiben soll. Und natürlich Brixton, der Londoner Stadtteil, bunt, quirlig und lebendig. Die Menschen offen und kontaktfreudig. Wer schon einmal dort war, wird dies bestätigen können.

Hier greift dann das Klischee, denn natürlich lernt Kate Rosemary kennen und freundet sich mit ihr an, überwindet ihre Schüchternheit, mobilisiert die Bewohner des Viertels und stellt eine Aktion auf die Beine, um das Freibad für Rosemary und Brixton zu retten.

Libby Page hat mit „Im Freibad“ das Rad nicht neu erfunden. Aber sie unterhält ihre Leser damit im besten Sinne. Ein typischer Wohlfühlroman, optimistisch und lebensbejahend, bestens geeignet für den Urlaub oder einen heißen Sommertag am See. Aber natürlich auch für den Balkon oder das Sofa zuhause. Die Filmrechte an diesem Roman sind übrigens bereits verkauft.

Bewertung vom 28.06.2019
Kunstgeschichte als Brotbelag

Kunstgeschichte als Brotbelag


gut

„Mit Essen spielt man nicht“. Wer hat diesen Satz schon einmal gehört? Wahrscheinlich jeder von uns, oder? Aber Marie Sophie Hingst hat sich davon nicht beeindrucken lassen und sich der „Kunst“ des Brotbelags gewidmet. Ich setze den Begriff in Anführungszeichen, denn mit wahrer Kunst hat das nun wirklich nichts zu tun. Klar, es ist amüsant anzuschauen, aber wer hat schon Zeit und Lust, seine Stullen nach Vorlagen von Gemälden zu stylen? Ein Gag, aber mehr auch nicht.

Und dennoch kann man sich einer gewissen Faszination nicht entziehen, wenn man die Ergebnisse sieht. Von daher ist das Büchlein „Kunstgeschichte als Brotbelag“, für das Marie Sophie Hingst als Herausgeberin fungiert, durchaus ein netter Appetithappen für zwischendurch.

Bewertung vom 26.06.2019
Das Dorf der toten Herzen
Martínez, Agustín

Das Dorf der toten Herzen


gut

Spanien, im Süden. Das Hinterland von Almeria. Karg, kein Grün, rote Erde, viel Staub. Kleine Dörfer, verfallene Häuser. Dort ist Irene aufgewachsen und kehrt mit Mann und Tochter, Jacobo und Miriam, zurück, nachdem ihr Mann seine Arbeit verloren hat und die Ersparnisse aufgebraucht sind. Doch die erhoffte Hilfe der Verwandten bleibt aus, sie werden mit Almosen abgespeist, was insbesondere bei der 14jährigen Tochter Hass gegen ihre Eltern wachsen lässt, die sie in dieses ärmliche Leben verschleppt haben. Sie wünscht ihnen den Tod. Dann wird ihre Mutter erschossen, der Vater schwer verletzt. Chatprotokolle tauchen auf, in denen sie die Mordpläne mit Freunden bespricht, einen Killer anheuern will. Eine 14jährige? Für die Dörfler ist sie schuldig, ebenso für die Polizei. Einzig Nora, eine Anwältin, sowie Miriams Vater hegen Zweifel…

Das Dorf der toten Herzen, dieser Titel beschreibt sehr treffend, was den Leser erwartet. Ein spanischer Country Noir, verortet in einer Umgebung, in der die Dürre bereits Besitz von den Menschen ergriffen und dabei sämtliche Emotionen ausgelöscht hat. Die Beziehungen sind allesamt toxisch, werden von Gleichgültigkeit und Hass dominiert. Lügen, Geheimnisse, Betrügereien sind an der Tagesordnung. Konfliktlösungsstrategien? Niente.

In Verbindung mit den stimmigen Landschaftsbeschreibungen kreiert Martinez eine dunkle Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit, die sich über die eher langatmig erzählte Story legt. Die Personen bleiben blass, definieren sich nur über ihr Verhalten. Viele Rückblenden und Perspektivwechsel gehen auf Kosten der Dynamik, man hat vielmehr den Eindruck, langsam im Treibsand zu versinken. Und niemand ist ohne Schuld.

Bewertung vom 25.06.2019
Ausgezählt / Atlee Pine Bd.1
Baldacci, David

Ausgezählt / Atlee Pine Bd.1


gut

„Ausgezählt“ ist der Auftaktband einer neuen Thriller-Reihe des Autors David Baldacci. Hauptfigur ist die FBI-Agentin Atlee Pine, eine amerikanische Super Woman, wie sie im Buche steht. Draufgängerisch, durchtrainiert und unkaputtbar, aber – natürlich – auch traumatisiert durch ein Ereignis aus ihrer persönlichen Vergangenheit. Ihre Zwillingsschwester Mercy wurde als Kind entführt und ist seither spurlos verschwunden. Pine vermutet, dass der Serienmörder Daniel James Tor dafür verantwortlich ist. Um die quälende Ungewissheit los zu werden, befragt sie ihn im Hochsicherheitsgefängnis, aber er hüllt sich in Schweigen. So, das ist das Motiv, das sich wohl durch die gesamte Reihe ziehen wird.

Pine betreibt ein Ein-Frau-Büro in Shattered Rock nahe des Grand Canyon, unterstützt von Carol Blum, einer älteren Dame, die die Büroarbeit erledigt.Ihr tägliches Geschäft ist üblicherweise Kleinkram und dient der Sicherheit der Touristenattraktion, bis zu dem Tag, als ein totes Maultier in einer Schlucht im Canyon gefunden wird. Bauch aufgeschlitzt mit zwei eingeschnittenen Buchstaben im Balg, auf die sich niemand einen Reim machen kann. Atlee verbeißt sich in den Fall, der weitaus mehr ist, als es zunächst scheint, denn höchste Regierungskreise sind darin verwickelt. Und unterstützt von Carol und einem Ranger wendet sie im letzten Moment eine schreckliche Katastrophe ab und rettet die Welt.

Soweit die Superheldinnenstory, die alles hat, was man von einem Popcorn-Thriller erwartet. Eine strahlende Heldin, die sich über Anordnungen hinwegsetzt, böse, ganz böse Schurken, eine liebenswerte Oma-Assistentin mit ungeahnten Fähigkeiten und natürlich auch einen muskelbepackten Naturburschen, der alle Herausforderungen auf sich nimmt, um die geliebte Superwoman zu unterstützen. To be continued…

Nette Unterhaltung für zwischendurch, die allerdings sehr konstruiert daherkommt und sämtliche Klischees bedient. Daran ändert auch die weibliche Hauptfigur nichts.

Bewertung vom 09.06.2019
Der dunkle Bote / August Emmerich Bd.3
Beer, Alex

Der dunkle Bote / August Emmerich Bd.3


ausgezeichnet

Wien, wir schreiben das Jahr 1920, Oktober/November. Der Erste Weltkrieg ist zu Ende, der Versailler Vertrag kennt kein Pardon mit den Verlierern. Chaos und Elend wo man hinschaut. Kriegsheimkehrer bevölkern die Straßen, alles ist knapp. Keine Arbeit, kein Geld. Der Schleichhandel blüht, und wer noch Reserven hat, versorgt sich auf dem Schwarzmarkt. Alle anderen frieren und hungern, leben von der Hand in den Mund. Die Rattenfänger aus dem rechten, linken und antisemitischen Lager haben Hochkonjunktur. Die Jugendlichen organisieren sich in Banden, genannt „Platten“, und ringen um die Vorherrschaft. Das Verbrechen blüht. Waffenhandel, Valutenschmugel, Mord, alles da.

Kriminalinspektor August Emmerich und sein Assistent Ferdinand Winter von der Abteilung „Leib und Leben“ geht die Beschäftigung nicht aus, denn ein Serienmörder treibt in den Gassen der Metropole sein Unwesen, von der Presse als der „dunkle Bote“ bezeichnet. Immer wieder tauchen Leichen auf, die zwei Gemeinsamkeiten haben. Zum einen fehlt ihnen die Zunge, zum anderen taucht zum jeweiligen Mordfall ein mysteriöses Bekennerschreiben mit römischer Zahl auf, das die beiden ratlos zurück lässt. Die Zeit drängt, ist doch der Ermittlungserfolg an den Umzug in ein größeres Büro gekoppelt. Nur gut, dass sie von der „Hühnerarmee“, den Frauen aus dem Schreibbüro, unterstützt werden.

Aber es sind nicht nur die Morde, die Emmerich umtreiben. Noch immer sucht er nach seiner entführten Luise und den Kindern, aber seine verzweifelten Bemühungen bleiben ohne Ergebnis, laufen ins Leere.

Auch der dritte Kriminalroman mit August Emmerich zeichnet sich durch die gelungene Verbindung zwischen spannendem Kriminalfall und einer sehr gut recherchierten, atmosphärisch starken Schilderung der Lebensbedingungen in der österreichischen Metropole nach dem Krieg aus. Die historischen Details sind korrekt wiedergegeben und fügen sich nahtlos und unterstützend in die Geschichte ein.

Für mich ist „Der dunkle Bote“ definitiv der beste Band der Reihe, und man darf sich schon auf die am Ende des Buches angedeutete Fortsetzung freuen. Alex Beer setzt im Genre des historischen Kriminalromans mit dieser Reihe Maßstäbe, und ich bin fest davon überzeugt davon, dass sie dieses Niveau auch in den Nachfolgern nicht nur halten kann sondern auch halten wird.

Bewertung vom 08.06.2019
Die Nickel Boys
Whitehead, Colson

Die Nickel Boys


ausgezeichnet

Wie bereits in „Underground Railroad“ widmet sich Colson Whitehead in seiner neuesten Veröffentlichung „Die Nickel Boys“ einem weiteren Kapitel des amerikanischen Rassismus und hält sich dabei eng an verbriefte Tatsachen. Ich scheue mich, dieses Buch einen Roman zu nennen, fußt die Geschichte doch auf realen Ereignissen: Die Florida School for Boys (später bekannt geworden als die Dozier School), zwischen 1900 und 2011 (Schließung), eine Anstalt für schwer erziehbare Jugendliche, bildet den Hintergrund für die menschenunwürdige Behandlung und die abscheulichen Verbrechen, die den in deren Obhut gegebenen Kindern und Jugendlichen durch das „pädagogische Personal“ angetan wurden.

Stellvertretend schildert Whitehead das Schicksal von Elwood, einem intelligenten Jungen, aufgewachsen bei seiner Großmutter, der sich früh für die Ideen von Dr. Martin Luther King begeistert und dem Irrglauben anhängt, das eines Tages auch Afroamerikaner die gleichen Rechte wie Weißen haben könnten. Weit gefehlt, denn er ist zur falschen Zeit am falschen Ort und gerät so in die Mühlen eines Systems, das geprägt ist von Diskriminierung, Verachtung und Brutalität gegenüber der schwarzen Bevölkerung. Er muss unglaubliche Grausamkeiten erdulden, mitansehen, wie Freunde zu Tode geprügelt und verscharrt werden. Erkennen, dass er sich in einem rechtsfreien Raum befindet, in dem ein schwarzes Leben nichts gilt.

„Die Nickel Boys“ ist ein wichtiges Buch, ein dokumentarischer Roman, der das Leben in der Dozier-Anstalt unaufgeregt und deshalb umso eindrücklicher und zu Herzen gehend schildert. Der den Blick auf ein Amerika richtet, in dem bis heute trotz „Black lives matter“ ein schwarzes Leben nichts gilt. In dem das Rechts-, Ordnungs- und Strafvollzugswesen noch immer von einem tief sitzenden Rassismus dominiert wird. In dem jeder Dritte Häftling Afroamerikaner in Haft ist, obwohl deren Anteil an der Bevölkerung nur 13 % beträgt (Zahlen von 2013). In dem die Alt Right Bewegung auf dem Vormarsch ist. In dem der amtierende Präsident aktiv die Spaltung der Gesellschaft vorantreibt und Rassismus wieder gesellschaftsfähig gemacht hat.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.06.2019
Eine Handvoll Asche / Captain Sam Wyndham Bd.3
Mukherjee, Abir

Eine Handvoll Asche / Captain Sam Wyndham Bd.3


ausgezeichnet

Auch im dritten Band der Reihe mit Captain Sam Wyndham, dem Ex-Detective von Scotland Yard, und seinem Assistenten Sergeant Surrender-not Banerjee bleibt der Autor Abir Mukherjee seinem außergewöhnlichen Setting treu und verarbeitet einmal mehr ein Stück britischer Kolonialgeschichte in einer spannenden Krimi-Story. Handlungsort ist wieder Kalkutta, wir schreiben das Jahr 1921. Indien erwacht allmählich aus seinem Dämmerschlaf, will nicht länger unter dem Joch der Kolonialmacht leben. Die Bestrebungen nach Unabhängigkeit nehmen zu. Indische Gruppen organisieren sich, Unruhen kündigen sich an, die eine Gefahr für den bevorstehenden Besuch des Prince of Wales darstellen. Man fürchtet um dessen Leib und Leben, muss die Aufständischen in Schach halten

Doch das ist nicht das einzige Problem, mit dem sich Wyndham herumschlagen muss. Sein Rauschmittelkonsum bringt ihn in eine prekäre Lage. Nichts mit seligem dahindämmern, sondern Flucht vor den eigenen Kollegen bei der Razzia in einer Opiumhöhle, wobei er über eine brutal verstümmelte Leiche stolpert. Noch ahnt er nicht, dass dies nur der Auftakt einer Reihe grausamer Ritualmorde ist, bei deren Aufklärung dem Ermittlergespann von offizieller Seite jede Menge Steine in den Weg gelegt werden.

Ein historischer Kriminalroman vom Feinsten. Auf der einen Seite ist es natürlich die „exotische“ Kulisse mit all ihren politischen, ethnischen und gesellschaftlichen Spannungen, der Pracht und dem Elend dicht nebeneinander, die Mukherjees Roman zu etwas besonderem macht, nicht zu vergessen die liebevoll gezeichneten Charaktere mit ihren Stärken und Schwächen. Zum anderen hält sich der Autor eng an die historisch verbrieften Fakten und setzt diese gekonnt in seiner Story ein. Und vielleicht weckt er so auch bei dem einen oder anderen Leser Interesse, sich – gerade in Zeiten des Brexit scheint mir das wichtig - über die Krimihandlung hinaus mit der Thematik des britischen Empire zu beschäftigen. Denn nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.