Bewertungen

Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 30.08.2007
Die Stunden
Cunningham, Michael

Die Stunden


ausgezeichnet

Was Bücher vermögen, wissen vor allem jene, die sich von ihnen gefangen nehmen, sich von ihren Geschichten entführen lassen. Sie treten zwischen einem selbst und dem Leben da draußen. Genauso gut können sie einem das Leben retten, es erträglicher machen. Obwohl das scheinbar Faszinierende in Cunninghams Roman Die Stunden, die Beschreibung der Obsession Virginia Woolfs ist, der Aufbau einem ihrer bedeutendsten Roman ähnelt und auf vierundzwanzig Stunden beschränkt ist, liegt allem eines zu Grunde: Was macht das Schreiben mit einem Autor, was das Geschriebene mit seinen Lesern. Cunningham versteht es, meisterhaft das Dasein dreier Frauen über die Jahrzehnte miteinander zu verschränken, ihre Suche, ihre Verzweiflung zu bebildern und läßt sie wie entfernte Schwestern erscheinen, die sich untereinander zurufen, was hat sich geändert, was hast du gefunden? Die Antwort darauf überläßt Cunningham uns.
Polar aus Aachen

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.08.2007
Die Chemie des Todes / David Hunter Bd.1
Beckett, Simon

Die Chemie des Todes / David Hunter Bd.1


ausgezeichnet

Wer die Gerichtsmediziner-Thriller der letzten Jahre verfolgt, dem fällt auf, daß sie sich zunehmend im Beschreiben des Schreckens zu überbieten suchen. Frei nach Motto: Was ekelt, wird gelesen. In Simon Becketts Roman steht mit David Hunter zwar auch ein Forensiker, aber Beckett teilt uns nur das Notwendige mit. Er verläßt sich auf die psychologische Beschreibung zunehmenden Mißtrauens und Angst in einem Dorf, das ihm dem Zugezogenen, der vor einem persönlichen Schicksalsschlag in die Anonymität geflüchteten Koryphäe seines Fachs mit der Enthüllung seines Geheimnisses zum Kreis der Verdächtigen zählt. Die Verknüpfung von privater Flucht und dem Zwang, sich einem Psychopathen stellen zu müssen, ist gelungen und spannend erzählt. Wenn auch das Ende sehr dramatisch und in seiner scheinbaren Zufälligkeit konstruiert erscheint.
Polar aus Aachen

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.08.2007
Eine kurze Geschichte von fast allem
Bryson, Bill

Eine kurze Geschichte von fast allem


ausgezeichnet

Wie viele Bücher muß, dieser Autor gelesen haben, um dieses eine Buch zu schreiben? Und wie viele Bücher erspart er uns zu lesen, wenn wir seins gelesen haben? Viele von diesen Büchern will man eigentlich auch gar nicht lesen. Einmal, weil man sie sowieso nicht versteht, zum anderen, weil es Bill Brysons Buch gibt, daß uns die Zusammanhänge in kurzer Form nahebringt. Einigen Wissenschaftler mögen da die Haare zu Berge stehen, wenn sie miterleben müssen, wie nonchalant Bryson mit ihrem Fachwissen umgeht. Andere aufschreien, wenn oft die Biografie eines Forschers interessanter als die Ergebnisse erscheinen, denen er sein Leben gewidmet hat. Doch wischt Bryson alle Einwände vom Tisch, indem er uns zu Anfang beglückwünscht, daß wir als Mensch es überhaupt geschafft haben, sein Buch aufschlagen zu können. Es hat viel in dieser Welt und da draußen zusammenpassen müssen, damit wir so weit kommen. Ein Glücksfall: der Mensch an sich und dieses Buch.
Polar aus Aachen

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.08.2007
Die See
Banville, John

Die See


ausgezeichnet

Um über einen Verlust hinwegzukommen, erinnert man sich nicht selten an bessere Tage. Nicht selten sind diese in der Jugend angesiedelt, in der man kraftvoll an die eigene Zukunft glaubte. Im Alter ist man eines besseren belehrt worden, vieles von dem, was man als Zukunft betrachtete, nicht in Erfüllung gegangen. Nicht anders ergeht es dem Kunsthistoriker Max, nachdem seine Frau gestorben ist, er flüchtet an einen Ort, der ihm vertraut ist, und überläßt sich seinen Erinnerungen, doch auch die sind von Verlust geprägt. John Banville schafft ein Szenarium, das nicht nur von Wind und Wellen, ersten erotischen Phantasien und einer großen Sehnsucht geprägt ist, er versöhnt auch das, was einmal war, mit dem, was nun ist, spiegelt die Zeiten miteinander und verführt uns mit seiner Sprache dazu, ihm überallhin zu folgen. Am Ende des Romans kommt es Max so vor, als gehe er in die See und verschwinde ein für allemal. Es ist nichts geschehen. Weder in seinem Leben, noch in dem Leben anderer. Halt nur das, was allen widerfährt.
Polar aus Aachen

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.08.2007
Talk Talk
Boyle, T. C.

Talk Talk


ausgezeichnet

Auch in diesem Roman versteht es T C Boyle ein Thema, über das Soziologen und Politologen sich die Köpfe heiß reden, so unterhaltsam zu verpacken, daß ein Leser gespannt das Ende erwartet. Dana Halter kommt die Identität abhanden, indem sie sich plötzlich einem zweiten Ich gegenüber sieht, das sich ihres Lebens bedient, um das eigene auf ihre Kosten angenehm zu gestalten. Die Jagd nach dem Kreditkartenbetrüger, der auf ihren Namen Führerscheine ausstellen läßt, Häuser kauft, Schecks unterzeichnet, sie in Straftaten an Orten verstrickt, an denen die Gehörlose noch nie war, ist ein Thriller. Daß Boyle sich ausgerechnet eine Gehörlose als Opfer den Identitätsdiebstahl aussucht, macht die Verzweiflung äußerst anschaulich. Dana Halter ist nicht nur ihrer Identität beraubt, sie sieht sich auch ihrer Umwelt entfremdet, da sie häufig auf einen Dolmetscher der Gebärdensprache angewiesen ist, damit sie ihr Anliegen überhaupt vorbringen kann. Daß darunter die Liebe zu ihrem Freund Bridger leidet, der mit ihr die Höhen und Tiefen ihres Abenteuers durchlebt, stellt eine weitere Nuance dar, derer Boyle sich furios bedient. Der Plot ist so gut gewählt, daß man sich fragt, warum nicht schon früher jemand auf die Idee gekommen ist, darüber zu schreiben. Das fragt man sich bei Boyle nicht zum ersten Mal.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.08.2007
Die Chemie des Todes / David Hunter Bd.1
Beckett, Simon

Die Chemie des Todes / David Hunter Bd.1


sehr gut

Wer die Gerichtsmediziner-Thriller der letzten Jahre verfolgt, dem fällt auf, daß sie sich zunehmend im Beschreiben des Schreckens zu überbieten suchen. Frei nach Motto: Was ekelt, wird gelesen. In Simon Becketts Roman steht mit David Hunter zwar auch ein Forensiker, aber Beckett teilt uns nur das Notwendige mit. Er verläßt sich auf die psychologische Beschreibung zunehmenden Mißtrauens und Angst in einem Dorf, das ihm dem Zugezogenen, der vor einem persönlichen Schicksalsschlag in die Anonymität geflüchteten Koryphäe seines Fachs mit der Enthüllung seines Geheimnisses zum Kreis der Verdächtigen zählt. Die Verknüpfung von privater Flucht und dem Zwang, sich einem Psychopathen stellen zu müssen, ist gelungen und spannend erzählt. Wenn auch das Ende sehr dramatisch und in seiner scheinbaren Zufälligkeit konstruiert erscheint.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 29.08.2007
Kalte Asche
Beckett, Simon

Kalte Asche


sehr gut

David Hunter hat zu seinem Beruf zurückgefunden. Floh er noch in Simon Becketts erstem Roman Die Chemie des Todes davor in die Anonymität des Landarztes, ist er im zweiten Roman längst wieder der Faszination des Todes verfallen. Früh hat man eine Ahnung davon, wer sich womöglich hinter den Morden versteckt, doch Beckett versteht es, nicht nur interessante Figuren zu erfinden, die einem selbst in ihrem widerstrebenden Wesen fesselnd dargereicht werden, er sorgt auch dafür, daß der Plot nicht so simpel gestrickt ist und auf den letzten fünfzig Seiten überraschende Haken schlägt. Der Schluß, wenn alles überstanden zu sein scheint, birgt dann den Höhepunkt und man ist froh, daß Beckett an seinem nächsten David-Hunter-Roman schreibt, um ihm wieder zu begegnen. Die Geschichte einer abgründigen Geschwisterliebe beschreibt die Abgeschiedenheit einer Insel, die Eigenarten ihrer Bewohner treffend und man liest selbst die Abschnitte gebannt, die nicht unbedingt in Blut, Asche und Knochen getaucht ist.
Polar aus Aachen

3 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.08.2007
Haus ohne Hüter
Böll, Heinrich

Haus ohne Hüter


sehr gut

Wie überlebt man einen solchen Krieg, diese immense Verblendung und den abscheulichen Völkermord? Man lebt weiter. Zwar ist es nicht leicht, so zu tun, als habe man von all dem nichts gewußt, doch die Hoffnung liegt auf der nachfolgenden Generation, die mit Fug und Recht behaupten kann, zur Zeit der Nazis noch nicht gelebt zu haben. Nur spült sich das Verbrechen bleischwer ins aufkeimende Wirtschaftswunder und dem Gefühl: Wir sind wieder wer. Heinrich Böll beschreibt in seinem Roman die Welt zweier Schulfreunde, läßt ihre Probleme wie Freuden dem Leser erscheinen, als handele es sich um ganz normale Jungs, die sich halt mit solchen Problemen in dem Alter herumschlagen. Doch zeichnet er auch ein Bild einer Nachkriegsgesellschaft, die schwer traumatisiert, deren Verdrängen nicht beizukommen ist und zieht die Linie zwischen arm und reich, die die Freunde prägt. Heinrich Bölls erzählerischer Ton klagt an und versöhnt seine Figuren zugleich mit sich, indem er sie nie bloßstellt, sondern als das nimmt, was sie sind: Losgelöst, entwurzelt, auf Suche nach dem, was ihnen Halt verspricht.
Polar aus Aachen

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.08.2007
Herzog
Bellow, Saul

Herzog


weniger gut

Um den Roman zu lesen, muß man einige Erfahrung mit anspruchsvoller Literatur gesammelt haben. Saul Bellow macht es einem nicht leicht, die Geschichte Moses Elkanah Herzogs zu lesen, der sein Leben bilanziert. In Briefen, monologartigen Selbstspiegelungen legt er Zeugnis von sich ab, schlägt dabei einen schonungslosen Ton an, der nicht selten mürrisch, trüb wirkt, fast lebensüberdrüssig. Sein Scheitern sucht nach Rechtfertigung, nach einem Ausweg in die Wirklichkeit, die ihn umgibt. Faszinierend in all den Zweigen, aber anstrengend im Ganzen. Es gibt einige Romane von Bellow, die leichter zugänglich sind.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 29.08.2007
Die Fälschung
Born, Nicolas

Die Fälschung


sehr gut

Lange vor den gefälschten Interviews mit den Stars in den Topmagazinen, angeblichen Hitlertagebüchern schrieb Born die Geschichte eines desillusionierten Reporters, dem angesichts der Wirklichkeit die Wirklichkeit abhanden kommt. Wie beschreibt man den Gräuel, die Gerechtigkeit, empfindet man Liebe wie Haß? Wer weiß schon, wie viele solcher gefälschten Wirklichkeiten im Umlauf sind? Wie diese benutzt werden, um Entscheidungen herbeizuführen? Es kommt immer weniger auf Wahrheit als auf die richtige Darstellung an. In Laschen hat Born einen typischen Vertreter der Siebziger Jahre in den Libanon geschickt, von Selbstzweifeln gequält, will da jemand eigentlich gut sein und stellt die große Sinnfrage, obwohl er weiß, daß es darauf keine Antwort gibt. Born hat einen Roman darüber geschrieben, wie es dazu kommt, daß jemand die Wirklichkeit fälscht, um zu überleben. Wobei die Frage bleibt, ob es sich bei der Rückkehr zur Familie nicht um die wahre Fälschung handelt. Ein Buch über das Deutschland der Siebziger Jahre, das im Libanon spielt und nichts von seinem unverstellten Blick verloren hat.
Polar aus Aachen