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Mikka Liest
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⇢ Ich bin: Ex-Buchhändlerin, Leseratte, seit 2012 Buchbloggerin, vielseitig interessiert und chronisch neugierig. Bevorzugt lese ich das Genre Gegenwartsliteratur, bin aber auch in anderen Genres unterwegs. ⇢ 2020 und 2021: Teil der Jury des Buchpreises "Das Debüt" ⇢ 2022: Offizielle Buchpreisbloggerin des Deutschen Buchpreises

Bewertungen

Insgesamt 735 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2014
Totenhauch
Stevens, Amanda

Totenhauch


ausgezeichnet

Pro:
Das Cover ist nichts Besonderes, aber es passt dennoch ganz gut zum Inhalt: grausige Morde, Geister und gruselige Friedhöfe... Eine Mischung aus Krimi und Paranormalem, die die Autorin gekonnt und originell präsentiert.

Besonders gelungen fand ich Flair und Atmosphäre; auch wer noch nie im Süden Amerikas war, kann sich die Umgebung und die Menschen gut vorstellen, und auch die besondere Art des Geister- und Aberglaubens, die im Süden heimisch ist. Eine Atmosphäre des Grusels zieht sich durch das ganze Buch - manchmal nur unterschwellig, aber in vielen Szenen auch ganz zentral und bedrohlich. Die Geister sind hier keine ätherischen, melancholischen Gestalten, sondern gefährliche Parasisten, die den Lebenden Körperwärme und Energie entziehen wollen - zumindest die Rachegeister. Ich habe die Vermutung, dass wir in den nächsten Bänden vielleicht noch feststellen werden, dass nicht alle Geister so sind!

Die Beschreibungen sind gelegentlich etwas zu ausufernd für meinen Geschmack, aber meist webt die Autorin daraus eine dichte, stimmmige Szene. Im Großen und Ganzen hat mir der Schreibstil sehr gefallen.

Das Tempo ist manchmal eher schleppend, aber in diesen Passagen fand ich die Atmosphäre meist besonders packend, so dass ich nichts vermisst habe. Und es dauerte auch nie lang bis zur nächsten unerwarteten Wendung oder zur nächsten Bedrohung. Insgesamt fand ich die Geschichte sehr interessant und spannend!

Amelia ist eine wunderbare Hauptfigur. Sie ist intelligent, selbstbewusst und unabhängig. Sie hat einen spannenden Beruf - Friedhofsrestauratorin -, und mit ihrem Blog über die verschiedensten Themen, die mit Friedhöfen und Bestattungsriten zu tun haben, hat sie es zu Internetberühmtheit geschafft. Ich freue mich immer, wenn eine starke Frau die Hauptrolle in einem Roman spielt!

Devlin ist auf den ersten Blick vielleicht ein wandelndes Klischee (der düstere Held mit der problematischen Vergangenheit), aber ich fand ihn dann doch überraschend interessant und fesselnd. Er wird buchstäblich von den Geistern seiner Vergangenheit verfolgt und weiß es nicht einmal...

Die Leser streiten sich anscheinend ein wenig darüber, ob man das Buch als Liebesgeschichte bezeichnen kann oder nicht. Ja, es gibt eine Romanze, aber die steht meiner Meinung nach nicht im Vordergrund - was sich natürlich in den Folgebänden noch ändern kann! Hier baut sie sich erstmal eher langsam und zögerlich auf, was mir gut gefallen hat. Ich habe die Nase voll von Hoppla-Hopp-Romanzen, bei denen die beiden Protagonisten im Eiltempo in der Kiste landen!

Kontra:
Dafür, dass Amelia ihr ganzes Leben lang nach strengen Regeln gelebt hat, was den Umgang mit Geistern betrifft, wirft sie die verdammt fix über Bord, nachdem sie Devlin begegnet - zumindest zeitweise. Manchmal ging es mir ein wenig auf die Nerven, wie oft und schnell sie hin- und herschwankt zwischen "Ich muss mich von ihm fernhalten" und "Aber ich will ihn!".

Ich fand es etwas merkwürdig, dass Amelia und ihr Vater beide ausgerechnet Berufe gewählt haben, bei denen sie Tag für Tag auf dem Friedhof arbeiten - immerhin trichtert der Vater Amelia schon von klein auf immer wieder ein, wie gefährlich Geister sind, dass man sie auf keinen Fall merken lassen darf, dass man sie gesehen hat... Wäre es da nicht einfacher, sich von Friedhöfen fern zu halten? Aber ich kann mir vorstellen, dass wir in den Folgebänden vielleicht noch erfahren, warum sich beide anscheinend von Friedhöfen angezogen fühlen.

Leider bekommt Amelia im Laufe der Handlung nur wenig Gelegenheit, ihr umfassendes Können und Wissen zum Thema Friedhöfe einzusetzen, da hätte ich gern mehr gelesen!

Am Ende bleibt vieles ungeklärt und rästelhaft - man sollte das Buch wirklich nur lesen, wenn man potentiell auch die nächsten Bände lesen möchte, es eignet sich nicht gut als Standalone.

Bewertung vom 07.04.2014
Nur ein Hauch von dir / Small Blue Thing Bd.1
Ransom, Sue C.

Nur ein Hauch von dir / Small Blue Thing Bd.1


gut

Pro:
Das Cover liegt irgendwo zwischen Pro und Kontra: an sich ganz hübsch und ansprechend, aber auch ein wenig durchschnittlich und nichtssagend. Leider kommt das meiner Meinung zum Inhalt schon recht nahe!

Die Grundidee ist absolut originell: die Autorin hat sich eine neue Art von Geistern ausgedacht. Die "Versunkenen" sind alle am gleichen Ort und auf die gleiche Art gestorben, und sie teilen sich das gleiche Schicksal. Sie führen ein seltsames Halbleben nach dem Tode, über das ich hier noch nichts verraten möchte... Aber es ist auf jeden Fall ein neuer Ansatz, und ich kann mich nicht erinnern, in einem anderen Buch schonmal Ähnliches gelesen zu haben! Die Teile des Buches, in denen wir mehr über die Versunkenen und ihr "Leben" erfahren, waren für mich die interessantesten und spannendsten.

Alex und Callum sind liebenswerte Charaktere, mit denen man mitfühlen kann. Besonders Callum ist erfreulicherweise ein wirklich netter Kerl und kein Badboy. Und durch die schwierige Situation, in der sie sich befinden, bleibt auch immer ein gewisses Kribbeln, weil jede Berührung etwas Besonders ist... Gut fand ich, dass Alex an einer Stelle ganz klar sagt, dass sie für die Liebe nicht ihr Leben opfern würde. (Endlich mal eine gesunde Einstellung zu sowas!) Vor allem für junge Leserinnen ist Alex vielleicht eine gute Identifikationsfigur! Und endlich mal ein Buch OHNE Dreiecksgeschichte! Aber... S. "Kontra".

Der Schreibstil ist flüssig und angenehm - etwas einfach, aber gut und unterhaltsam zu lesen.

Kontra:
Für mich las sich das Buch zwar gut und unterhaltsam runter, aber wirkliche Spannung kam eher selten auf. Zum Teil lag das sicher daran, dass die Liebesgeschichte sehr schnell in den Mittelpunkt rückt. Alex und Callum treffen sich - und verlieben sich quasi auf der Stelle unsterblich. Ich fand es daher schwer, diese Liebe nachzuvollziehen; die beiden wissen ja erstmal so gut wie nichts vom anderen! Dafür erwähnt Alex wieder und wieder und wieder, wie unglaublich gutaussehend Callum ist. Ja, diese Liebe auf den ersten Blick soll sicher bedeuten, dass sie füreinander bestimmt sind, echte Seelengefährten... Aber durch diesen ständigen Lobgesang auf Callums Schönheit bekam ich oft eher den Eindruck, dass diese Liebe eine sehr oberflächliche Angelegenheit ist. (Was so sicher nicht gedacht ist!)

Alex trifft manchmal Entscheidungen, die schwer nachzuvollziehen sind - eigentlich müsste sie es besser wissen, aber sie fällt auf ganz offensichtliche Dinge herein. Allerdings wäre sonst wohl ein Teil der Spannung verloren gegangen... Der Mittelteil zieht sich ein bisschen, dann wird es aber wieder spannender.

Die Nebencharaktere blieben überwiegend eher blass. Alex Freunde und Familie treten sofort in den Hintergrund, nachdem Alex Callum kennengelernt hat - sie schottet sich von ihrem Umfeld ab, um so viel von ihrer Zeit wie möglich mit Callum verbringen zu können. Ich wünschte, sie hätte eine Möglichkeit gefunden, wenigstens ihre Freunde einzuweihen, alleine damit die Geschichte sich nicht immer um die scheinbar unmögliche Liebe gedreht hätte... Besonders über die Versunkenen und Callums Schwester Catherine hätte ich gerne noch viel mehr erfahren.

Zusammenfassung:
Eine originelle Grundidee, ein netter Schreibstil, und eine weniger originelle Liebe auf den ersten Blick. Für mich war das Buch kein Kracher, aber auch keine Zeitverschwendung: nichts Besonderes, aber man kann es lesen. Ich werde auch Band 2 und 3 noch lesen, weil ich trotz aller Schwächen wissen möchte, wie es weitergeht.

Bewertung vom 04.04.2014
Mit Worten kann ich fliegen
Draper, Sharon

Mit Worten kann ich fliegen


ausgezeichnet

Das Cover ist schlicht, aber in meinen Augen wunderschön. Und dahinter verbirgt sich ein wunderschönes, poetisches, ergreifendes Jugendbuch, dass man auch als Erwachsener mit Gewinn lesen kann - und vielleicht sogar sollte.

Melody ist eine wunderbare Heldin, die sich direkt in den ersten Zeilen in mein Herz geschlichen hat. Sie hat es bisher in ihrem Leben alles andere als leicht gehabt: die Menschen, die sie ansehen, sehen immer nur den Rollstuhl, das unkontrollierte Zucken ihrer Arme und Beine, das Sabbern... Sogar ihre Ärzte kommen überhaupt nicht auf die Idee, dass sich dahinter eine scharfe Intelligenz und ein großer Geist verbergen könnten. Melody wird abgestempelt. Als hoffnungsloser Fall. Als Idiotin. Als Fehler. Als Last.

Nur ihre Eltern und die Nachbarin, die öfter auf Melody aufpasst, sehen in ihre Augen und spüren, dass dahinter ein echter Mensch steckt, mit Gedanken, Wünschen und Träumen. Aber sie können niemanden davon überzeugen, und sie wissen nicht, wie sie Melody helfen können, wo ihnen doch niemand glaubt. Und nicht einmal sie haben auch nur die leiseste Ahnung, dass Melody ein kleines Genie ist. Denn das ist sie! Aber sie hat so gut wie keine Möglichkeit, mit der Welt um sich herum zu kommunizieren. Lange, lange Jahre lang ist sie hilflos eingesperrt in ihrem Körper. Nur ganz langsam, nach und nach, bekommt sie wenigstens allerkleinste Möglichkeiten - aber die sind so eingeschränkt, dass sie sich kaum ausdrücken kann. Ja, nein, Toilette, Hunger... Viel mehr kann sie nicht mitteilen, und deswegen glauben viele, das sie mehr auch nicht zu sagen hätte. Dabei hat sie unzählige Worte und Gedanken in ihrem Kopf!

Als sie ins schulfähige Alter kommt, schlägt ein Arzt den Eltern vor, "diese Last" einfach ins Heim abzuschieben, aber Gott sei Dank wird ihre Mutter zur Furie und meldet Melody schon aus Wut direkt in der Schule an. Auch da hat es Melody nicht einfach - aber mehr will ich hier noch nicht verraten. Nur soviel: wie der Klappentext schon sagt, findet sie endlich doch eine Möglichkeit, sich mitzuteilen, aber viele ihrer Mitmenschen können nicht über ihren Schatten springen und ihr wirklich zuhören. Aber das lässt Melody nicht so einfach auf sich sitzen...

Ich fand die Geschichte wirklich sehr spannend. Ich habe immer Melodys nächstem kleinen Sieg entgegengefiebert, und ich konnte es kaum erwarten, dass der Rest der Welt endlich kapiert, was für ein toller Mensch sie ist... Das war mal wieder so ein Buch, dass mich die ganze Nacht wachgehalten hat!

Melody erzählt ihre Geschichte erstaunlich positiv und humorvoll. Ja, sie ist manchmal frustriert und wütend, aber sie gibt nie die Hoffnung auf, und sie ist entschlossen, ihr Leben in vollen Zügen zu leben! Deswegen kommt beim Leser auch kein herablassendes Mitleid auf, sondern nur Bewunderung und Sympathie. Es ist ein Buch, dass einen zum Lächeln bringt, ein Buch, dass einem Hoffnung macht. Ein Buch, dass man in allen Schulen lesen sollte, in dem es integrative Klassen gibt! Vielleicht würden dann manche Kinder mit neuen Augen auf die scheinbar "peinlichen" oder "dummen" Klassenkameraden schauen.

Der Schreibstil ist so wunderbar wie die kleine Heldin. Man hat den Eindruck, dass sie sich so lange nur mit den Wörtern in ihrem Kopf beschäftigen konnte, dass sie eine ganz eigene Art zu denken entwickelt hat, die sich einfach großartig liest: rührend, bewegend, unterhaltsam, poetisch.

Ich fand sehr originell, wie die Autorin hier frisch und unverbraucht das Thema Behinderung aufgreift. Es gibt ja Bücher, wo man den dumpfen Verdacht hat, dass ein tragisches Schicksal hemmungslos ausgeschlachtet wird, damit Leser das Buch aus einer Art sensationsgeilem Voyeurismus heraus lesen. Das ist hier definitiv nicht der Fall. Die Autorin geht das Thema respektvoll an - sie schreibt nicht über eine Behinderung, sie schreibt über einen Menschen, der behindert ist.

Ein Bestseller, der jeden einzelnen Leser verdient hat!

Bewertung vom 03.04.2014
Monument 14 Bd.1
Laybourne, Emmy

Monument 14 Bd.1


ausgezeichnet

"Monument 14" ist auf den ersten Blick nur ein weiterer Endzeitroman in einem endlosen Meer von Endzeitromanen (das Genre war in den letzten Jahren schließlich zunehmend beliebt), aber es kann durchaus genug Neues und Originelles bieten, dass man nie das Gefühl hat: das habe ich doch schon tausendmal gelesen!?

Was das Buch für mich unglaublich unverwechselbar und packend macht, sind die Charaktere. Denn die sind fantastisch! Bei vierzehn Hauptcharakteren könnte sehr leicht der ein oder andere sang- und klanglos in der Menge untergehen, aber Emily Laybourne schafft es, jedem einzelnen wirklich Leben einzuhauchen. Ob das nun die kleine verwöhnte Chloe ist, die frühreife Göre Sahalia, der großspurige Football-Spieler Jake, das technische Genie Alex... Sie sind alle echt und dreidimensional und überzeugend. Nicht alle sind auf den ersten Blick sympathisch, aber im Laufe des Buches sind sie mir dennoch mehr und mehr ans Herz gewachsen und ich habe mit ihnen mitgefiebert, -gebangt und -gehofft.

Die Geschichte wird uns ausgerechnet von Dean erzählt, der NICHT der Stärkste, Tapferste oder Klügste der Gruppe ist, aber gerade deswegen ist er glaubwürdig und man kann sich mit ihm identifzieren. Was er richtig gut kann, ist schreiben, und deswegen wird er quasi zum Chronisten der Gruppe. Und er tut immer sein Bestes, auch wenn er erstmal Angst hat oder es ihm peinlich ist oder er keinen Bock hat - also alles Sachen, die wahrscheinlich fast jedem zu schaffen machen würden. Er kümmert sich um seinen Bruder, er kocht mit den Kleinsten, er bemüht sich, die traumatisierte Josie wieder in die Gruppe zu integrieren. Er ist der Durchschnittstyp, der eigentlich unauffällige Jedermann, der sich recht oder schlecht durch das Ende der Welt wurschtelt. Er ist der, von dem man sich vorstellen kann: so würde ich vielleicht auch reagieren.

Das Buch ist sowas von spannend, ich konnte es einfach nicht weglegen! Es gibt kaum ruhige Passagen, immer passiert irgendwas, oder eine neue Bedrohung wird entdeckt... Monsterhagel! Giftgas! Ein mörderischer Verrückter vor dem Eingangstor! Und durch das Giftgas werden manchmal auch die Kinder selber zur tödlichen Bedrohung für sich und andere: denn das Gas hat verschiedene Auswirkungen auf Menschen, von rasender Wut und unkontrollierbaren Aggressionen über Wahnvorstellungen bis zu blutendem Ausschlag... (Achja, apropos blutend: die Altersangabe von 14+ finde ich passend. Für Jüngere wäre es meiner Meinung nach doch manchmal ein bisschen heftig.)

Und ganz abgesehen von diesen ständigen Gefahren haben die Kinder und Jugendlichen natürlich noch mit ganz anderen Dingen zu kämpfen: wielange reichen die Lebensmittel? Wer soll der Anführer sein? Wer kann kochen? Am Anfang herrscht das totale Chaos, bis sie feststellen - sie müssen jetzt die Erwachsenen sein. Sie müssen ihren Tagesablauf organisieren, die Lebensmittel, Medikamente, Kleidung usw rationieren, sich um alles kümmern, worum sich bisher ihre Eltern gekümmert haben... Und das in einer sterbenden Welt, in ständiger Gefahr.

Der Schreibstil liest sich wunderbar runter, und die Autorin schafft es, dass man wirklich das Gefühl hat, man liest das Tagebuch eines (zugegeben talentierten) Jugendlichen.

Wenn Jugendliche 24 Stunden am Tag zusammen eingesperrt sind, gibt es natürlich auch romantische oder einfach nur hormonelle Verwicklungen. Kitschig wird es dabei meiner Meinung nach aber nie - dazu passiert immer zu viel anderes.

Für Fans von Endzeitromanen oder auch nur etwas actionreicheren Jugendbüchern ist "Monument 14" meiner Meinung nach Pflichtprogramm! Es ist unheimlich spannend, die Charaktere sind toll, es ist nie vorhersehbar... Ganz, ganz toll.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.03.2014
Der Junge, der sich Vogel nannte
Nielsen, Jan H.

Der Junge, der sich Vogel nannte


sehr gut

Pro:
Ist das Buch originell? Jein. Es ist ein Endzeitroman - also ein Buch, das in einer Zukunft spielt, in der etwas mächtig schief gegangen ist. In den letzten Jahren sind unglaublich viele solcher Bücher erschienen, aber nur wenige für Kinder in dieser Altersgruppe (also 10 bis 12). Und meiner Meinung nach schafft es der Autor wunderbar, die Geschichte kindgerecht zu erzählen, obwohl sie ja eigentlich erstmal ziemlich gruselig klingt: die Pflanzen sind alle eingegangen, es gibt nur noch sehr wenige Menschen... Beschönigt wird hier nichts; es wird ganz klar gesagt, dass die meisten Menschen gestorben sind. Aber der Autor spart sich (für die Altergruppe unnötige) grausige Details, und wir bekommen alles durch die Augen zweier kleiner Mädchen erzählt, also aus kindlicher Sicht. Alleine dadurch sticht das Buch schon aus der Menge heraus!

Auch beim Thema Spannung darf man nicht vergessen, für wen das Buch gedacht ist. Die Geschichte IST spannend, aber eben auf eine andere Art, als das bei einem Buch für Erwachsene vielleicht der Fall wäre. Ich denke, man muss sich einfach in Nanna und Fride hineinversetzen: die Beiden haben lange Jahre im Bunker gelebt, ohne andere Menschen als ihren Vater zu sehen. Ohne Sonnenlicht, ohne Abwechslung, ohne frische Lebensmittel. (Sie ernähren sich vom immer gleichen Dosenfutter.) Die Kleinere ist als Baby in den Bunker gekommen und kennt nichts anderes! Das erste Mal, dass sie den Himmel sieht, ist für sie schon erschreckend. Und dann müssen sie sich ganz alleine aufmachen, ohne ihren Vater, um Medikamente zu holen... Sie wissen nicht, was sie draußen erwartet, aber ihr Vater hat ihnen immer wieder eingeschärft, wie gefährlich es draußen ist. Wieviel Mut muss es zwei kleine Mädchen kosten, sich ins Ungewisse aufzumachen! Jeder Mensch, dem sie begegnen, könnte böse sein. Und jede Stunde könnte über Leben und Tod für ihren Vater entscheiden. Ihre Reise führt sie durch eine merkwürdige, beinahe ausgestorbene Welt... In dem Alter wäre ich vor Angst gestorben. Wenn man sich auf die Geschichte einlässt, entfaltet sie meiner Meinung nach ihren ganz eigenen Sog und malt ein bedrückendes aber nie völlig hoffnungsloses Bild einer unbestimmten Zukunft.

Nanna und Fride sind unglaublich mutig und einfallsreich, und ich habe sehr gerne über sie gelesen. Ich fand auch sehr rührend, wie sie zueinanderstehen und sich gegenseitig Mut machen. Besonders die Ältere tut ihr Bestes, die Reise für die Kleine so spannend und harmlos erscheinen zu lassen wie möglich. Der Junge, der sich Vogel nennt, taucht erst später in der Geschichte auf. Er ist zunächst eher abweisend und sogar ein wenig feindselig, aber schnell stellen die Mädchen fest, dass er eigentlich nur einsam und verunsichert ist - er lebt schon so lange ganz alleine in einer riesigen Stadt und schlägt sich durch, so gut es geht...

Kontra:
Man erfährt nie eindeutig, warum die Welt so geworden ist - das weltweite Nachrichtennetz ist schon lange zusammengebrochen, und die wenigen verbliebenen Menschen sind sich nicht einig. War es einfach nur ein Virus? War es radioaktive Strahlung? Mich hat es nur wenig gestört, dass man keine Gewissheit bekommt. Denn für Nanna und Fride ist das erstmal nicht so wichtig: für sie ist wichtig, dass sie etwas zu essen finden, dass sie einen Platz zum Schlafen haben, dass sie nicht alleine sind... Und sie sind nunmal die Charaktere, um die sich die Geschichte dreht. Aber für viele Leser ist das sicher ein Kritikpunkt.

Zusammenstellung:
Man muss bei diesem Buch immer daran denken, für welche Altersgruppe es geschrieben wurde, und sich einfach darauf einstellen, dass Spannung, Tempo und Schreibstil dementsprechend kindgerecht sind. Es ist ein eher ruhiger Endzeitroman, der ohne viel Gewalt und erschreckende Szenen auskommt.

Bewertung vom 30.03.2014
Die Geächteten
Jordan, Hillary

Die Geächteten


gut

Eine Sache muss ich unbedingt als Erstes ansprechen: die Übersetzung. Die Übersetzung ist grauenhaft - sinnverfälschend und manchmal sogar unfreiwillig komisch. Wer sich für das Buch interessiert und auch englische Bücher liest, sollte sich unbedingt das Original zulegen und nicht die deutsche Ausgabe!

Bevor ihr aber das Buch kauft oder auch nur darüber nachdenkt, es vielleicht zu lesen: vergesst den Klappentext. Er suggeriert Dinge, die das Buch nicht liefert und die die Autorin wahrscheinlich auch nie liefern wollte. "Nun ist sie vogelfrei - und ihr Überlebenskampf beginnt"? Das klingt nach brutaler, atemloser Action, nach gnadenloser Jagd und Medienspektakel... Aber dem ist nicht so. Ja, Hannah ist eine Rote. Sie hat ihr Kind abgetrieben, und im Amerika der Zukunft gilt das als Mord zweiten Grades. Ja, als Rote wird sie vom Großteil der Bevölkerung verachtet und gehasst, und es gibt tatsächlich Menschen, die Jagd auf "Verchromte" machen. Aber das ist nicht staatlich organisiert oder wird auch nur offiziell gebilligt. Es gibt keine Arena, keine Liveübertragungen... Es steht auch nicht im Zentrum dieser Geschichte.

Ich habe es eher so empfunden, dass das Thema Religion sehr zentral war, und zwar sowohl Religion als persönliche Entscheidung als auch Religion als staatliches Instrument der Macht. Religion als Mittel zur Unterdrückung weiblicher Selbstbestimmung wird ebenfalls des Öfteren angesprochen. Hannah ist z.B. in dem Glauben aufgewachsen, dass es Gottes Wille ist, dass sie als Frau den Männern in ihrem Leben untertan ist. Die Abtreibung ist ihr erster großer Akt der Rebellion, und auch dazu hat sie sich im Prinzip nur entschieden, um einen Mann zu schützen und den religiösen Status Quo ihrer Gemeinde nicht zu gefährden. Aber dadurch wird sie aus Allem herausgerissen, was sie bisher kannte, und beginnt, inmitten des Chaos und der ständigen Gefährdung, sich selber zu entdecken. Jetzt, wo sie nicht mehr durch ihren Glauben definiert wird, muss sie lernen, ihrem Leben selber einen Sinn zu geben. Und ob der Glaube an Gott dabei eine Rolle spielen wird oder nicht, ist nur noch ihre eigene Entscheidung.

Ich denke, man muss auf jeden Fall Interesse an religions- und sozialkritischen Themen mitbringen, um das Buch interessant zu finden! Aber dann ist es durchaus eine originelle Dystopie, die etwas ganz Eigenes bietet, was ich so bisher noch nicht gelesen habe. Allerdings ist das Tempo größtenteils eher langsam und die Spannung unterschwellig. Vieles spielt sich sozusagen intern ab, in Hannahs emotionaler und mentaler Entwicklung. Es ist kein Thriller - es ist Sozialkritik, und es ist die Geschichte der Selbstfindung einer jungen Frau in einer Gesellschaft, die bedingungslose Unterordnung unter rigide und oftmals sexistische Werte verlangt.

Hannah war ein sehr interessanter Charakter, mit dem ich gut mitfühlen konnte. Nur manchmal war sie mir für ihren Hintergrund plötzlich zu taff und aggressiv, aber meist fand ich ihre Entwicklung glaubwürdig. Auch die Menschen, die sie auf ihrer Flucht trifft, waren größtenteils interessant und gut geschrieben. Viele der Verchromten wurden nur an den Rand der Gesellschaft gedrängt, weil sie der akzeptierten Norm nicht entsprachen, und die Autorin schafft es wirklich, einem die Ungerechtigkeit deutlich vor Augen zu führen. Interessanterweise sind es oft die scheinbar Guten, die nach außen hin als Musterbild christlicher Tugenden erscheinen, die hinter verschlossenen Türen ihr hässliches wahres Gesicht zeigen.

Gegen Ende gab es plötzlich eine homosexuelle Beziehung, die etwas aufgesetzt wirkte - mehr so, als hätte die Autorin auch diese unterdrückte Randgruppe noch schnell repräsentieren wollen. Das hätte man meiner Meinung nach auch weniger übereilt ansprechen können!

Im Original fand ich den Schreibstil eher ruhig und behäbig, aber dennoch gut zu lesen.

Bewertung vom 24.03.2014
Ostfriesenkiller / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.1
Wolf, Klaus-Peter

Ostfriesenkiller / Ann Kathrin Klaasen ermittelt Bd.1


gut

Pro:
Sind Heimatkrimis heute noch originell? An sich vielleicht nicht - schließlich gibt es inzwischen Eifelkrimis, Kölnkrimis, Hamburgkrimis und und und... Es ist ein zunehmend beliebtes Genre, das inzwischen ganze Regale in Buchhandlungen füllt. Aber Klaus-Peter Wolf siedelt seine Krimis nicht nur im schönen Norden an, sondern er lässt auch ausgerechnet die Mitarbeiter eines sozial sehr engagierten Behindertenhilfswerks ums Leben kommen, und das auf die verschiedensten Arten und Weisen. Das sorgt natürlich für ungläubige Betroffenheit - wer hat es auf Menschen abgesehen, die doch sicherlich zu den Löblichsten und Ehrenhaftesten ihrer Region gehören? Hat der Verein vielleicht heimlich Dreck am Stecken, zockt die Behinderten ab, statt ihnen zu helfen? Oder ist gar ein psychopathischer Sniper ins friedliche Norden eingefallen? Die Grundgeschichte fand ich durchaus originell und ansprechend!

Über den Spannungsgehalt kann man sich vielleicht streiten. Wer beinharte Thriller voller Action und Gewalt gewöhnt ist und liebt, wird sich mit dem eher beschaulichen Geschehen in Ostfriesland sicher etwas schwer tun.Sollte Ostfriesenkiller jemals verfilmt werden, dann bestimmt nicht mit Vin Diesel, Jean Claude Van Damme und Konsorten... Aber mal ehrlich, ich finde gerade das sehr erfrischend und angenehm. Ich habe schon als Kind gerne Serien wie Miss Marple und Columbo gesehen, und die sind schließlich auch nicht durch Gedärme gewatet oder haben sich wilde Schießereien geliefert. Tatsächlich erinnert mich Ostfriesenkiller ein wenig an eine meiner heutigen Lieblingsserien, "Mord mit Aussicht"! Ich mag meine Krimis mit Humor und schrulligen oder zumindest außergewöhnlichen Charakteren. Ehrlich gesagt darf die Krimihandlung für mich da sogar eher schmückendes Beiwerk sein...

Interessante Charaktere hat Ostriesenkiller für meinen Geschmack genug. Ob das jetzt z.B. Rupert ist, der Ermittler mit mehr Intelligenz als Sozialkompetenz, oder eben die Protagonistin Ann Kathrin Klaasen, die eigentlich zur Zeit völlig andere Dinge im Kopf hat als schnöden Mord - ihre gestrandete Ehe, zum Beispiel... Auch die Nebencharaktere sind ansprechend und gut geschrieben. Ich kann mir gut vorstellen, diese Charaktere durch eine ganze Reihe zu begleiten!

Auch Lokalkolorit hat der Krimi natürlich zu bieten - wer will schon einen Heimatkrimi lesen, in dem die Gegend nicht eine wichtige Rolle spielt? -, und der Schreibstil ist locker-flockig und unterhaltsam zu lesen, mit einer Prise Humor.

Kontra:
Das Cover ist ziemlich nichtssagend - aber na gut, darauf kommt es ja nicht an! Trotzdem, ein liebevolleres Titelbild wäre schön gewesen.

Wie gesagt, atemberaubende Spannung muss für mich beim einem Heimatkrimi gar nicht so unbedingt sein, aber ab und an wurde die Handlung hier doch sehr ausgebremst, meist durch die häuslichen Probleme von Ann Kathrin Klaasen. So sehr ich schrullige und sogar schwierige Charaktere auch mag, und so sehr ich Ann Kathrin Klaasen im Prinzip mochte, manchmal fand ich ihre extreme Eifersucht und wütende Zickerei doch anstrengend. Sie hat allen Grund, sich über ihren Mann aufzuregen, aber sie selber ist auch nicht gerade unschuldig an der Situation... Gegen Ende trifft sie ein paar berufliche Entscheidungen, die für mich nicht mehr 100%ig glaubwürdig waren - immerhin ist sie nicht nur Polizistin sondern bekleidet sogar eine leitende, verantwortungsvolle Position.

Das Ende hat mich leider nicht überzeugt. Warum, darauf kann ich hier nicht eingehen, sonst würde ich schon viel zu viel verraten!

Zusammenfassung:
Wer Heimatkrimis mag, oder auch Fernsehserien wie "Mord mit Aussicht" oder "Die Rosenheim-Cops", der wird wahrscheinlich auch mit "Ostfriesenkiller" nicht völlig falsch liegen. Man sollte sich nur auf eine etwas anstrengende Protagonistin und ein eher enttäuschendes Ende einstellen, aber unterhaltsam ist das Buch trotzdem.

4 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.03.2014
Nichts
Teller, Janne

Nichts


weniger gut

Ich weiß gar nicht so recht, wo ich mit der Rezension anfangen soll.

Das Buch hat international viele renommierte Preise gewonnen und wird in zahlreichen Schulen als Pflichtlektüre eingesetzt; es wurde aber auch schon an Schulen verboten, wie z.B. ursprünglich im Heimatland der Autorin, Dänemark. Auf Amazon gibt es achtzig 5-Sterne-Bewertungen, aber auch dreißig 1-Stern-Bewertungen. Eins ist klar: an diesem Buch scheiden sich die Geister. Ist das einfach das unvermeidliche Merkmal eines Buches, das zum Nachdenken anregt und den Leser dazu bringt, seine eigene Meinung zu hinterfragen? Vielleicht sogar eine Grundvorraussetzung? Oder liegt es daran, dass die Autorin im Versuch zu provozieren geradezu eine Checkliste der Provokationen abhakt?

Wie der Klappentext schon verrät: hier werden Tiere getötet, Mitschüler verstümmelt oder vergewaltigt... Auch vor Grabschändung wird nicht haltgemacht. Mich ließ das alles überraschend kalt; bestenfalls hat es mich unangenehm berührt. Aber die Augen geöffnet oder neue Denkansätze in Gang gesetzt hat es für mich nicht. Die Autorin hat einmal gesagt, die Erwachsenen würden Kindern das Buch nicht zutrauen - ich traue es Kindern zu und glaube auch nicht, dass das Buch verboten werden sollte, ich weiß nur nicht, welchen Gewinn sie daraus ziehen sollen.

Die Geschichte ist sicher originell, und sie bietet eigentlich so viele Möglichkeiten... Ein Junge beschließt, dass das Leben sinnlos ist, und seine Mitschüler tun sich zusammen, ihm das Gegenteil zu beweisen - was für ein Spannungspotential! Aber schon nach kurzer Zeit fragte ich mich: was will die Autorin mir eigentlich sagen? Der Junge hat Recht und das Leben IST sinnlos? Dann ist auch das Buch irgendwie sinnlos, und das ist eine unbefriedigende Ausbeute.

Als Schullektüre finde ich es auch etwas merkwürdig - am gleichen Ort, an dem Schülern normalerweise eingetrichtert wird, dass sie für das Leben lernen sollen, wird ihnen jetzt gesagt, das sowieso alles egal ist und sie sich gar nicht erst anstrengen müssen.

Ich musste öfter an "Herr der Fliegen" denken, aber wo dieser Klassiker einen immer noch trifft wie ein Schlag in den Magen, hat "Nichts" mir nur einen schalen Geschmack im Mund beschert. Ersteres zeigt einem die Abgründe und Gefahren menschlicher Gemeinschaft, letzteres zeigt einem... Das Gleiche verwässert, wobei die eigentliche Botschaft was ist - Gleichgültigkeit? So etwas wie Bedeutung gibt es nicht?

Ich glaube, ein Hauptproblem waren für mich die Charaktere. Wo ich bei "Herr der Fliegen" mit Ralph, Piggy, Sam, Eric etc mitgefiebert habe, bleiben Anthon, Agnes, Sofie und die Anderen für mich blass und blutleer. Wir erfahren noch nicht einmal, wie Pierre Anthon zu seiner Erkenntnis gekommen ist. Es ist einfach, und andere Dinge sind einfach nicht.

Auch der Schreibstil ist mir persönlich zu nüchtern. Ich kann mir nicht helfen - ich fühle mich, als hätte ich einen Test nicht bestanden, als würde ich etwas Essentielles an diesem Roman nicht begreifen, aber das Buch gibt mir... einfach Nichts.

Ich denke, "Nichts" ist ein Buch, vom dem man weder endgültig abraten noch es 100%ig empfehlen kann. Was es einem gibt oder nicht gibt, das muss jeder selbst entscheiden. Zumindest insofern war es für mich ein erfolgreiches philosophisches Werk.

3 von 5 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.03.2014
Das letzte Kind
Hart, John

Das letzte Kind


ausgezeichnet

Pro:
John Hart ist grandios darin, Atmosphäre zu erzeugen. Das beginnt schon in den ersten Szenen, in denen an sich wenig passiert: der kleine Johnny unternimmt eine lange Busfahrt und durchstreift dann den Wald, auf der Suche nach dem Nest eines Adlers, dessen Federn er für magisch hält. Aber schon auf diesen wenigen Seiten spürt man die stickige Hitze, begreift die verzweifelte Entschlossenheit von Johnny, der nur ein Kind ist und doch auch merkwürdig alt vor Kummer, und taucht ein in die düstere, beklemmende Welt dieses Buches. Trostlos, ernüchternd, klaustrophobisch... Das Buch ist voller dunkler Emotionen und dunkler Botschaften.

Das Verschwinden von Alyssa hat mehr als ein Leben zerstört. Ihr Bruder kann nicht loslassen, kann nicht akzeptieren, dass sie tot sein könnte, und er verrennt sich mehr und mehr in eine obsessive, gefährliche Suche nach ihr. Die Ehe ihrer Eltern hat die Tragödie nicht überstanden. Die Mutter kann den Verlust nicht ertragen, ohne sich durch Drogen und Alkohol zu betäuben, und dabei vergisst sie, sich um das Kind zu kümmern, das ihr noch bleibt. Sie flüchtet sich in eine Beziehung zu einem gewalttätigen Mann - will sie sich selbst bestrafen? Der Kommissar, der damals Alyssas Verschwinden untersucht hat, ist immer noch so besessen von dem Fall, dass darüber seine eigene Familie zerbricht.

Johnnys Leben ist ein Scherbenhaufen, aber er gibt die Hoffnung nicht auf, dass er seine Schwester lebend finden kann und dass dann alles wieder gut wird. Er beschattet freigelassene Sexualstraftäter, ohne sich um seine eigene Sicherheit zu kümmern. Es ist oft weniger der Kommissar, dem wir als Ermittler durch die Handlung folgen, sondern dieser mutige Junge. Dabei fand ich Johnny sehr sympathisch, und ich konnte gar nicht anders, als jeden Schritt des Weges mit ihm mitzufiebern. Zur Seite steht ihm sein bester Freund Jack, der raucht und trinkt wie ein Erwachsener und aufgrund seines verkrüppelten Arms ständig zum Opfer von Mobbing wird. Ihn fand ich sehr viel zwiespältiger als Johnny, aber ein guter Charakter war er dennoch.

Der Kommissar war mir manchmal sympathisch, und dann auch wieder nicht. Seine Entschlossenheit, Alyssa zu finden - und später ein anderes kleines Mädchen, das verschwindet - ist sicher löblich, aber seine Motive waren gelegentlich etwas fraglich. Aber es bestand nie ein Zweifel daran, dass er sich um Johnny sorgt wie um seinen eigenen Sohn.

Es gibt kaum einen Charakter, der nicht in irgendeiner Form von Verlust und Trauer gezeichnet ist, und gut und böse sind ab und an sehr relative Konzepte. Wir begegnen einem Mörder, den ich beim besten Willen nicht verurteilen konnte. Einem aufrechten Musterbürger ohne Gewissen oder Mitleid. Einer liebenden Mutter, die ihre Liebe ertränkt.

Das Buch IST ein Thriller, es IST spannend. Aber es ist eben keine gradlinige Reise von A nach Z, sondern ein verschlungener Umweg durch den Sumpf menschlichen Elends. Dabei ist es für mich ein Beweis für das Können des Autors, dass diese Reise nie schleppend wurde - oder bedrückender, als man als Leser aushalten kann. Es bleibt immer genug Hoffnung, dass man weiterliest.

Der Schreibstil ist fantastisch. Mal karg, mal beinahe poetisch, aber immer evokativ.

Kontra:
Die Geschichte ist streckenweise sehr verschachtelt, und zum Teil häufen sich die Zufälle etwas zu sehr, um noch 100%ig glaubhaft zu sein. Mich hat das eher weniger gestört - irgendwie hatte das etwas fast Mystisches, als würde das Schicksal dafür sorgen, dass Johnny der Wahrheit immer näherkommt -, aber ich denke, dass sich viele eingefleischte Krimileser daran stören könnten.

Das Tempo ist manchmal sehr gemächlich, und ich denke, man muss sich wirklich auf das Buch und seine über die reine Krimihandlung hinausgehenden Grundthemen einlassen, um es zu mögen. Meiner Meinung nach lohnt sich das aber.