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Benutzername: 
Glüxklaus
Wohnort: 
Franken

Bewertungen

Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 12.02.2020
Helsin Apelsin und der Spinner
Höfler, Stefanie

Helsin Apelsin und der Spinner


ausgezeichnet

Von Gefühlen, die feuerrot, so warm im Bauch wie eine große Tasse Kakao oder wie 100 Wunderkerzen im Innern sein können

Die achtjährige Helsin ist ein ganz besonderes Mädchen, in der viel mehr Gefühle stecken als üblicherweise in Mädchen ihres Alters. Sie ist außergewöhnlich fröhlich, lacht viel und steckt andere mit ihrem Enthusiasmus und ihrer unerschöpflichen Energie an. Aber wenn sie sich ärgert, kann sie mit der Fülle ihrer Emotionen nicht umgehen, dann hat der Spinner seinen Auftritt und Helsin verliert die Kontrolle. Als Louis neu in Helsins Klasse kommt, fällt ihm erst einmal nichts besseres ein als sich über Helsins Namen lustig zu machen. „Helsin Apelsin“ nennt er sie. Und weil das bisher noch nie jemand getan hat, bekommt Helsin daraufhin erst einmal einen Spinner und haut ihm die Nase blutig. Kein guter Start zwischen Louis und Helsin.....

„Manchmal allerdings da kocht die Energie über und spült eine rasende rote Welle in Helsins Körper hoch, und dann sieht und hört und riecht und schmeckt Helsin nichts anderes mehr als FEUERROT“, so erlebt Helsin ihre Spinner. Stefanie Höfler formuliert sehr bildhaft. Die Gefühle, die bei Helsin im Übermaß auftreten, beschreibt sie besonders anschaulich. Fast spürte ich beim Lesen am eigenen Leib, wie es Helsin gerade geht, was sie empfindet.
Die phantasievolle Helsin hat mir als Hauptfigur sehr gut gefallen. Sie ist trotz ihrer Spinner liebenswert, weil sie so echt, naiv und unverstellt ist. Leider wird ihre Ehrlichkeit im Verlauf der Geschichte auf eine harte Probe gestellt. Auch die anderen Figuren sind sehr authentisch: ihr schüchterner Freund Tom, Louis, der doch nicht so großmäulig ist, wie er tut, die etwas verplante, aber patente Lehrerin Frau Coroni und die verständnisvollen Eltern.
Obwohl die Geschichte - von Maria dem Fidschileguan einmal angesehen- im normalen Alltag der Kinder angesiedelt ist, war sie sehr spannend. Ich habe sie meinen Kindern (acht, sechs und vier Jahre alt) vorgelesen. An mehreren Stellen mussten sie über den lustigen Humor der Autorin lachen, der genau den ihren trifft. Auch die kleinen witzigen Illustrationen von Anke Kuhl haben meine Kinder gerne angeschaut. Wir alle haben mit Helsin mitgefiebert und uns gewünscht, dass das Mädchen endlich aus dem Schlamassel, in das es sich gebracht hat, wieder rauskommt. Es werden dabei wichtige Themen wie Freundschaft, Stehlen, Lügen und Adoption angesprochen. Diese werden aber nicht belehrend behandelt, sondern so, dass die Leser selbst ganz intuitiv genau wissen, was „richtig“ ist, ohne dass die Autorin den Zeigefinger hebt. Auch Helsin braucht keine Moralpredigt, ihr Gewissen führt sie selbst auf den rechten Weg zurück. Interessant auch, dass meine achtjährigen Tochter und mein sechsjähriger Sohn Helsins Spinner genau nachempfinden können und mir erklärt haben, in welchen Situationen sie von Spinnern übermannt werden. Jeder hat auf seine eigene Art doch irgendwann Spinner, manche leben sie körperlich aus wie Helsin und schlagen dann anderen die Nase blutig, andere schreien oder verletzen mit Worten, manche werden dann ganz starr und stumm. Wenn man die Spinner irgendwann akzeptiert und keine Angst mehr vor ihnen hat, lässt es sich leichter mit ihnen leben.

Wir haben jede Seite dieses außergewöhnlichen Buchs genossen, das so bunt und prall gefüllt ist. Trotz der Vielfalt an Themen, verzettelt sich die Autorin nicht und behält bis zum Abschluss stets den rote Faden. Eine abwechslungsreiche stimmige und runde Geschichte über Freundschaft, Familie und ganz viele Gefühle, zum Vorlesen für Kinder ab sechs Jahren, zum Selberlesen für Achtjährige geeignet.

Bewertung vom 10.02.2020
Ben und Teo
Baltscheit, Martin

Ben und Teo


sehr gut

Ben und Teo sind Zwillinge, es gibt sie nicht einzeln, immer nur im Doppelpack. So wunderbar es sein mag, nie alleine zu sein und immer jemanden an seiner Seite zu haben, so unbefriedigend fühlt es sich an, nicht als einzelner einzigartiger Mensch, als Individuum, wahrgenommen zu werden, sondern nur als Teil eines Duos. Manchmal sind zwei einfach einer zuviel...Da kommt der alte Spiegel, den die zwei am Straßenrand finden, gerade recht. Durch Zufall entdecken sie, dass hinter dem Spiegel eine andere Welt existiert. Eine, in der es keinen Zwillingsbruder gibt. Also schlüpft Ben durch den Spiegel und die Brüder lernen nun ein Leben als Einling kennen. Ganz schön cool, endlich einmal unabhängig zu sein und nicht immer alles teilen zu müssen. Oder etwa doch nicht?

Eine wirklich tolle Idee hatte Zwillingsvater Martin Ballscheit da: Zwillingsjungen können Dank eines magischen Spiegels erproben, wie das Leben als Einzelkind so wäre. Auf eine derart sensible und emphatische Weise vermag vermutlich nur ein betroffener Vater das Thema umzusetzen. Ihm ist mit „Ben und Teo“ ein realistischer, mitreißender Einblick in das Leben als Zwilling gelungen- angereichert mit vielen magischen und phantastischen Elementen, die das Ganze ziemlich spannend machen.

Ballscheit schreibt abwechselnd aus der Sicht der beiden Brüder. Die Geschichte lässt sich sehr flüssig lesen. Die Sprache ist klar, recht originell, gespickt mit interessanten Assoziationen, witzigen Formulierungen und häufiger wörtlicher Rede. Stellenweise reden die beiden Hauptfiguren für ihre zehn Jahre aber vielleicht etwas zu schlau und gewitzt daher...

Ich habe das Buch meiner achtjährigen Tochter und meinem sechsjährigen Sohn vorgelesen. Wir mochten die Figuren Ben und Teo. Sie sind sehr plausibel und sympathisch dargestellt, meistens liebenswert, manchmal ganz schön anstrengend und streitsüchtig, genau wie Kinder eben sind. Mein Sohn hatte allerdings Schwierigkeiten zu verstehen, wieso es Ben so wichtig ist, der Bessere zu sein. Vielleicht ist er doch noch etwas zu jung, um das überall präsente Konkurrenzdenken zu begreifen. Es geht unter Geschwistern leider immer wieder ums Vergleichen. Vergleichen mit seinem früheren Ich macht aber generell mehr Sinn und viel zufriedener als der Vergleich mit anderen. Eine wichtige Erkenntnis, die Ben als Einzelkind rasch erfährt.
Mir wurde die Problematik am Zwillingsleben jedenfalls sehr deutlich. Anschaulich zeigt die Geschichte, wie die Tage ohne den Bruder aussehen könnten und in welchen Situationen der andere eindeutig fehlt. Ein bisschen kompliziert und verworren dann die Auflösung der Geschichte, aber trotz allem ein rundes Ende mit einer schönen Botschaft: Zusammen ist es eben doch irgendwie besser. Und auch wenn man es nicht immer merkt, sind Geschwister ein ziemlich großes Glück: Sowohl Zwillinge, als auch stinknormale Brüder und Schwestern.
Positiv möchte ich noch die farbenfrohen, witzigen Illustrationen hervorheben. Insgesamt eine phantasievolle kurzweilige Geschichte, die uns prima unterhalten hat, geeignet -wie angegeben- ab acht Jahren.

Bewertung vom 31.01.2020
Was sie nicht wusste
French, Nicci

Was sie nicht wusste


sehr gut

Lieber Dreck am Stecken als im Dreck stecken....
... davon ist Neve Connolly überzeugt. Eigentlich wollte sie ihren heimlichen Geliebten und Chef Saul zu einem Stelldichein in dessen Wohnung treffen, doch als sie dort ankommt, ist er tot, mausetot. Ermordet durch einen Schlag auf dem Kopf mit einem Hammer. Neve beseitigt ihre Spuren und reinigt den Tatort akribisch, um nicht mit dem Verbrechen in Verbindung gebracht zu werden. Doch die Polizei, allen voran Detective Inspector Hitching, arbeitet überaus gründlich.....

Ein wenig Zeit habe ich gebraucht, um von Nicci Frenchs Thriller mitgerissen zu werden, aber nach kurzer Eingewöhnung war ich von der Geschichte gefangen und habe gebannt jede Seite, jede kleinste Entwicklung, jedes neu aufgedeckte dunkle Geheimnis verfolgt. Der Schreibstil liest sich - wie von Nicci French gewohnt - unkompliziert, lebendig, angenehm und flüssig.

Neve macht sich durch ihre Tat - obwohl eigentlich unschuldig- schuldig und verstrickt sich dadurch in immer größere Lügen. Trotzdem ich Neves Verhalten oft nicht gutheißen konnte, habe ich mit ihr gefiebert und gehofft, dass sie ungeschoren davonkommt und es ihr gelingt, sich und ihre Lieben zu schützen. Auch die anderen Charaktere des Romans polarisieren, allen voran der penetrante Ermittler Hitching, der ständig zu unangemeldeten Besuchen erscheint, die labile unberechenbare Tochter Mabel, die Neve und ihrem Mann Fletcher solche Sorgen bereitet, und Neves anstrengende nervende immer präsente Freunde wie Renata, die Neve in ihrem Zuhause regelrecht belagern und ihr kaum eine Pause ohne deren Anwesenheit gönnen. Die besonderen Beziehungen der speziellen Figuren untereinander machen einen wesentlichen Reiz der Geschichte aus. Der Protagonistin Neve bleibt kaum Raum für sich alleine, um ihre Situation zu verarbeiten. Der Stress, den sie dabei empfindet, war für mich als Leser selbst deutlich zu spüren. Mit der Bandbreite menschlicher Gefühle und deren fast greifbare, überaus plastische Darstellung kennt sich Nicci French zweifelsohne bestens aus, dadurch entsteht eine unverwechselbare explosive Atmosphäre.

French‘ gut gemachter Thriller hat mich prima unterhalten, seine interessante packende Handlung vermochte mich bis zuletzt zu überraschen. Meiner Meinung nach ein Buch, das sich nahtlos in die früheren erfolgreichen Kriminalromane des Autorenduos einreiht. Ich hoffe, die Zwei schreiben noch lange so weiter.

Bewertung vom 30.01.2020
Das Mädchen, das den Sturm ruft
Lackey, Lindsay

Das Mädchen, das den Sturm ruft


ausgezeichnet

Die elfjährige Red hat es alles andere als leicht. Seit ihre Mutter im Gefängnis sitzt, ist sie ein Pflegekind und wartet sehnsüchtig darauf, nach deren Entlassung wieder bei ihr leben zu dürfen. Red ist kein gewöhnliches Kind: Wenn Red wütend wird, strömt Wind durch Reds Adern und ein Sturm zieht auf. Vielleicht durfte Red deshalb noch nicht länger bei einer Pflegefamilie bleiben. Nun erhält sie eine neue Chance. Jackson und Celine, die auf ihrem Hof vielen verwaisten Tieren ein Zuhause geben, wollen auch Red bei sich aufnehmen und sich als Pflegeeltern um Red kümmern.

Die Autorin bedient sich der Sprache auf ganz besondere Art: sie schreibt wunderbar bildhaft, manchmal fast poetisch. Immer wieder freute ich mich beim Lesen über außergewöhnliche Formulierungen, Sprachperlen wie „Granma hatte mal gesagt, sie würde sich Beethovens fünfte Sinfonie immer dann anhören, wenn ihre Gefühle sie so übermannten, dass sie aus ihr herausströmten. Beethoven gab ihnen ein Zuhause“.
Red ist ein außergewöhnliches Mädchen, ein ganz besonderer Charakter. Sie macht es anderen nicht leicht, zu ihr vorzudringen. Aber nach allem, was sie erlebt hat, ist das auch mehr als verständlich. Imponiert hat mir ihre besondere Willensstärke. Ich habe sehr mit ihr gelitten und gehofft, dass sie endlich ein Zuhause findet. Auch Marvin, der so begeisterungsfähig und alles positiv sieht und Pflegemutter Celine, die unglaublich sensibel auf Red eingeht und immer wieder das Richtige sagt, sind sehr sympathische und beeindruckende Figuren.

Seit Reds Mutter einmal feststellte„ Es ist unmöglich, eine gute Mutter zu sein“ führt Red ein Notizbuch der unmöglichen Dinge. Sie schreibt darin Dinge auf, die eigentlich unmöglich sind, aber trotzdem passieren, passend zu Nelson Mandelas Zitat: „Es scheint stets unmöglich, bis es jemand tut“. Die Einträge von Reds Buch sind teilweise zwischen die Kapitel gedruckt. So erfährt der Leser z.B. warum Hummeln fliegen können, obwohl das den Gesetzen der Physik widerspricht oder dass die Titanic mehr als 21 km von dem Ort geborgen wurde, an dem die eigentlich vermutet wurde. Diese Einschübe haben mir besonders gefallen. Denn Red beweist damit, dass vieles, das wir für ausgeschlossen halten, eben gar nicht so unmöglich ist und dass es sich lohnt, nicht vorzeitig aufzugeben, sondern weiterzumachen.

Lindsay Lackey ist ein außergewöhnliches Debüt gelungen. Eines, das mitreißt, tieftraurig und glücklich zugleich macht. Eines, das zeigt, dass so gut wie nichts unmöglich ist, wenn man nur fest daran glaubt. Eines, das Hoffnung gibt.
Das angegebene Lesealter ab zehn Jahre halte ich für etwas zu früh, Kinder dieses Alters könnten mit der traurigen Thematik (Krankheit, Drogensucht, Tod) und der besonderen Sprache etwas überfordert sein. Ich würde es eher Lesern ab zwölf Jahren empfehlen.

Bewertung vom 30.01.2020
Der Gorilla-Garten / Käthe Bd.1 (1 Audio-CD)
Veenstra, Simone

Der Gorilla-Garten / Käthe Bd.1 (1 Audio-CD)


ausgezeichnet

Käthes Eltern haben in der Stadt eine neue Arbeit gefunden. Käthe muss also den geliebten Apfelhof ihrer Oma im kleinen Dorf Pomeranzen verlassen und von nun an in Berlin wohnen. Aber jedem Anfang wohnt ein Zauber inne: Käthe lässt sich nicht unterkriegen. Durch ihre offene neugierige Art findet sie in der Stadt ganz schnell Freunde und schließlich sogar einen tollen neuen Lieblingsort.

Ich bin ein ziemliches Landei. Als ich auf dem Klappentext las, worum es in „Käthe: Der Gorillagarten“ geht, tat mir Käthe erst einmal ziemlich Leid. Sie muss ihrem beschaulichen ruhigen Zuhause auf dem Land Adieu sagen und in der großen grauen anonymen hektischen Stadt leben. Aber der immer fröhlichen patenten zupackenden Käthe scheint das alles gar nichts auszumachen. Sie freut sich sogar über die Veränderung, sieht sie als aufregende Chance, lernt neue Freunde kennen und findet in der Stadt ganz viele interessante Orte - manche sind sogar erstaunlich grün. Mit ihrer naiven Begeisterung hat mich das kleine Mädchen regelrecht angesteckt und mir aufgezeigt, dass ich in der Vergangenheit so manches Vorurteil sorgfältig gepflegt habe, ohne genauer darüber nachzudenken. „Käthe: Der Gorillagarten“ ist eine wirklich herzerwärmende positive Geschichte darüber, dass Umziehen auch Abenteuer bedeuten kann und dass man keine Angst vor dem Unbekannten zu haben braucht. Entscheidend ist die Sichtweise. Es wird schon alles gut werden, wenn man es nur zulässt. Und ganz vielleicht ist manchmal wirklich kein Hindernis da, das überwunden werden muss. In einem Kinderbuch darf das jedenfalls mal so sein...
Nebenbei gibt es noch einiges über das Gärtnern zu lernen, z.B. was ein Schneckenbeet ist oder wie Brennesseljauche gemacht wird und wozu sie gut ist.
Katja Danowski liest die Geschichte angenehm, sehr abwechslungsreich und lebendig. Meine achtjährige Tochter und ich haben ihr sehr gerne zugehört und dabei jede Minute genossen. Ein Hörbuch, das gute Laune macht, für kleine und große Hörer ab sechs Jahren.

Bewertung vom 23.01.2020
Die Wälder
Raabe, Melanie

Die Wälder


gut

Nina ist als Ärztin beruflich sehr eingespannt. Daher bekommt sie leider erst viel zu spät mit, dass Tim, ihr bester Freund aus Kindertagen, dringend versucht hat, sie zu erreichen. Nun ist er tot. Das große Rätsel, wie seine Schwester Gloria vor 20 Jahren in den Wäldern rund um sein Heimatdorf einfach verschwinden konnte, bleibt ungeklärt. Bis kurz vor seinem Tod hat Tim wie besessen versucht, Glorias Schicksal zu erforschen. Nur „das letzte Puzzleteil“ fehle noch, so seine Nachricht auf Ninas Mailbox. In einem Brief an Nina hat er akribisch aufgeschrieben, wie er genau Glorias Verschwinden aufklären möchte. Nun ist es an Nina, Tims Suche nach Gloria zu vollenden. Sie begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit, in das Dorf und die umliegenden unergründlichen Wälder, wo Gloria zuletzt lebend gesehen wurde....

Melanie Raabes Thriller beginnt rasant. Sie schreibt derart spannend und fesselnd, reiht einen Höhepunkt, einen „Cliffhanger“ an den nächsten, dass es mir beim Lesen fast den Atem raubte. Diese Spannung geht auf Kosten der Tiefe der Charaktere, aber das stört mich nicht. Mit Nina habe ich mitgefiebert, um ihren treuen Freund Tim getrauert, die restlichen Figuren haben mich weniger berührt. Leider kann Raabe ihr anfängliches Erzähltempo aber nicht aufrechterhalten. Gegen Ende flacht die Spannung immer mehr ab und am Schluss war ich ziemlich enttäuscht, meinen hohen Erwartungen konnte Raabe also leider nicht standhalten. Das Ende kommt zweifelsohne sehr überraschend. Auch wenn ich den Handlungsverlauf so nicht erwartet habe, empfand ich den Schluss nach dem fulminanten Beginn als unbefriedigend, ja fast unwürdig.

Ich habe bisher alle Bücher von Melanie Raabe mit Begeisterung gelesen, dieses war für mich ihr schwächstes. Nichtsdestotrotz beweist die Autorin auch mit „Die Wälder“, wie wahnsinnig spannend und mitreißend sie schreiben kann und ich freue mich jetzt schon wieder auf ihren nächsten Roman.

Bewertung vom 15.01.2020
Das schräge Haus
Bohne, Susanne

Das schräge Haus


sehr gut

Das schräge Haus“ wohnt tief drinnen in ihrer Enkelin Ella, findet zumindest Mina, die die Häuser der Menschen genau erkennt, wenn sie lange genug in eine Person hineingesehen hat. Schrägheiten sind Ella daher bestens vertraut. Einen besonders schrägen Tag erlebt sie in ihrer Kindheit am 22. Juni 1986, als in der Schrebergartenkolonie ein Fest gefeiert wird. Der Tag endet mehr als tragisch und verfolgt Ella bis ins Erwachsenenalter. Viel später, mit 34 Jahren, arbeitet sie als Psychotherapeutin und die Auseinandersetzung mit schrägen Menschen wie ihrem Patienten Herrn Oebing, der immer wieder von Frau Traurigkeit heimgesucht wird, ist ihr täglich Brot. Ganz langsam wagt sich Ella aus ihrem schrägen Haus heraus und merkt dabei, dass es sich lohnt, sich dem Leben mitsamt seinen Herausforderungen zu stellen und sich auf Beziehungen zu anderen Menschen einzulassen.

Susanne Bohnes Roman ist besonders, das ist schon seinem Cover in ungewöhnlicher Streifbroschur anzusehen. Der erste Teil, in dem es um den 22.Juni 1986 geht, war für mich sehr anstrengend zu lesen. Der Sprachstil, voller schräger Bilder und Sätze war derart verworren, dass ich Mühe hatte, dem Inhalt zu folgen. Manche Sätze musste ich mehrmals lesen, um sie zu verstehen. Ich war versucht, den Roman in die Ecke zu pfeffern und aufzugeben. Doch ich hielt durch und es zahlte sich aus, ab dem zweiten Teil hatte ich mich an den Schreibstil gewöhnt und erkannte dabei, dass gerade das Spiel mit der Sprache eine Besonderheit des Romans darstellt. Die Sprache dieses Romans ist hier nicht nur Mittel zum Zweck, nicht reines Instrument, sondern ein ganz entscheidender Teil der Komposition. Jedem Satz ist die Freude und Leidenschaft, die die Autorin am Schreiben hat, deutlich anzumerken.
Nicht nur der Schreibstil der Autorin ist ungewöhnlich, ihre Figuren sind es auch. Allen voran Ella, die sich nach einem dramatischen Erlebnis in der Kindheit nicht mehr fängt und sich aus Angst vor Verlust nicht aus ihrem Schneckenhaus traut, ihr Patient Herr Oebing, der besessen von To- Do- Listen ist und eine intensive Beziehung zu Frau Traurigkeit pflegt, Ellas Freundin Yvonne, die Worte ausatmet und ihr großes Herz am rechten Fleck hat und natürlich die unkonventionelle Mina, die Ella wie niemand sonst versteht und die ihr alles bedeutet.
Es passiert nicht viel in der Geschichte, zumindest äußerlich nicht. Viel mehr passiert aber in den Figuren, am meisten in Ella. Sie lernt im Laufe des Romans einiges über Ängste, die es zu überwinden gilt, Schuld, Selbstvertrauen und natürlich über Schrägheiten. Manche Dinge sind von Anfang an verloren, manche Dinge gehen verloren, aber nicht alles geht verloren. Und wer etwas wagt, kann auch etwas gewinnen.

Der Roman ist nicht perfekt. Für mich kam das Ende zu glatt und zu übereilt daher. Stellenweise ging es mir wahrlich zu schräg zu, mit einigen Sprachbildern konnte ich wenig anfangen und manches Verhalten der skurrilen Figuren war für mich nicht nachvollziehbar. Nein, kein perfekter Roman, aber perfekt abgestimmt: Alles in allem passen nämlichen die schrägen Formulierungen, die schrägen Figuren, das schräge Verhalten ideal zusammen, es ergibt eine schräge, aber sehr stimmige Geschichte. Ein unkonventioneller Wohlfühlroman mit Tiefsinn. Es lohnt sich nach dem ersten anstrengenden Teil dranzubleiben, denn man bekommt danach ganz viel geboten: Eine Schatzkiste voller Sprachperlen und kostbarer kleiner Weisheiten, manche glänzen ganz intensiv, andere nur ein kleines bisschen.

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