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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 05.06.2019
Die andere Tote / Vera Stanhope Bd.7
Cleeves, Ann

Die andere Tote / Vera Stanhope Bd.7


ausgezeichnet

Wer mit Vera Stanhope, der Inspektorin aus der Reihe der englischen Autorin Ann Cleeves bzw. der ZDFneo-Serie bzw. vertraut ist, wird wieder einmal seine Freude an diesem Kriminalroman haben, bietet es dem Leser doch einiges mehr an Informationen zur Vergangenheit der eher spröden Hauptfigur.

Der Handlungsort liegt wie immer im Norden Englands, in Northumberland, einer eher dünn besiedelten, ländlich geprägten Region mit reicher Flora und Fauna, die den Bewohnern den einen oder anderen nicht immer legalen Nebenverdienst bietet. So haben auch Veras verstorbener Vater und seine Freunde ihr Einkommen regelmäßig mit dem Verkauf von Eiern und Jungvögeln geschützter Arten aufgebessert. Die Vierer-Bande nannten sie sich: Hector, Veras Vater, Robbie, zwielichtiger Ganove und seit zwanzig Jahren spurlos verschwunden, der Professor, großer Unbekannter und schließlich John, ehemaliger Polizist, wegen Korruption und Beteiligung an einem Mord von Vera hinter Gitter gebracht. Aber das ist Vergangenheit, oder doch nicht? Und wieweit reicht diese in die Gegenwart hinein? Der Fund zweier Skelette und deren Identifikation bringt die Inspektorin ins Grübeln, denn offenbar gibt es Verbindungen zu der Vierer-Bande. Hat ihr Vater einen Mord auf dem Gewissen? Und was hat das mehr als zweifelhafte Etablissement „Seagull“ mit diesen Todesfällen zu tun?

Wie in all ihren Krimis der Reihe entwickelt Ann Cleeves aus einer relativ einfachen Ausgangssituation einen komplexen, vielschichtigen Fall, der Vera Stanhope mit ihrer schmerzhaften Vergangenheit in Form der Beziehung zu ihrem Vater konfrontiert. Und es zeigt sich einmal mehr, dass unter der harten Schale der brummigen Inspektorin ein weicher Kern steckt. Auch das Setting passt wieder einmal absolut perfekt zu diesem atmosphärischen, detailreichen Whodunit, dessen Auflösung dem Leser nicht auf dem Tablett serviert wird, sondern sich erst allmählich völlig nachvollziehbar erschließt. Ohne wilde Schießereien und Verfolgungsjagden, keine voyeuristische Zurschaustellung brutaler Gewalt, kein Leichenporno, sondern ganz klassische Ermittlungsarbeit, wie wir es aus den spannenden Kriminalromanen der britischen Klassiker kennen. Nie langatmig oder geschwätzig. Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 04.06.2019
SCHWEIGEPFLICHT / Stockholm-Reihe Bd.1
Lapidus, Jens

SCHWEIGEPFLICHT / Stockholm-Reihe Bd.1


weniger gut

Wenn James Ellroy sich vor Lobpreisungen förmlich überschlägt und Vergleiche zu Stieg Larsson zieht, lohnt ein Blick auf den neuen Thriller des ehemaligen Strafverteidigers Jens Lapidus allemal. Junge Anwältin vertritt einen im Koma liegenden Verdächtigen und wird bei ihren Nachforschungen von einem für die Kanzlei tätigen Ex-Häftling unterstützt. Klingt soweit ganz gut und weckt Interesse.

Aber offenbar gibt es unter schwedischen Autoren mittlerweile einen Trend, der meiner Meinung nach in die komplett falsche Richtung geht. Eine durchaus spannende Story wird zum Fortsetzungsroman. Zig Handlungsstränge, durch Nebensächlichkeiten aufgebläht und auf mehrere Bände verteilt, die den Leser bei der Stange halten und die Verkäufe der Nachfolger bis zum Finale garantieren sollen (sieh dazu auch die Fabian Risk-Reihe von Stefan Ahnhem).

Dabei verlieren sie völlig die Interessen der Leser aus den Augen, der am Ende eines Krimis/Thrillers eine Auflösung erwartet und nicht auf den nächsten Teil der, wie in diesem Falle, geplanten Trilogie warten mag. Ein Konzept, das zumindest in meinem Fall nicht aufgehen wird.

Die Protagonisten sind schablonenhaft angelegt, obwohl da durchaus Potenzial vorhanden gewesen wäre. Das könnte man allerdings noch verzeihen. Wofür ich aber absolut kein Verständnis habe, ist die Geschwätzigkeit, die diesen Thriller dominiert. Lapidus verheddert sich heillos in seinem vielschichtigen Geflecht der Handlungsstränge, was immer wieder den Lesefluss blockiert und schlussendlich die Spannung killt. Und dann noch am Ende nicht einmal eine zufriedenstellende Auflösung parat haben - das geht absolut nicht.

Absolut vermessen, diesen Autor mit Stieg Larsson zu vergleichen. Dieser würde wahrscheinlich, wenn er davon wüsste, ob des Vergleichs im Grab rotieren. Das war nichts, Herr Lapidus – Thema verfehlt, setzen Sechs!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.06.2019
Cari Mora
Harris, Thomas

Cari Mora


weniger gut

Ich weiß ja nicht, was Stephen King dazu bewogen hat „Cari Mora“ in den höchsten Tönen zu preisen. Offenbar hat er einen völlig anderen Roman als ich gelesen. Oder es war eine Gefälligkeit für einen Kollegen, der vor über vierzig Jahren mit Hannibal Lecter ein literarisches Monster schuf, das bis heute seinesgleichen sucht, wozu mit Sicherheit auch die großartige Performance von Anthony Hopkins in Jonathan Demmes „Das Schweigen der Lämmer“ beigetragen hat.

Um es gleich vorweg zu nehmen: „Cari Mora“ hält dem Vergleich mit „Hannibal“ in keiner Zeile stand, und Hans-Peter Schneider, der „neue“ Psychopath, hat mit diesem etwa so viel gemeinsam wie eine Pferdekutsche mit einem Sportwagen. Dessen durch eine genetisch bedingte Erkrankung haarloser Körper ist das einzige Alleinstellungsmerkmal, welches ihn von den in zahllosen Thrillern beschriebenen Psychopathen unterscheidet, und das war es dann auch schon. Wo Lecter eine Faszination auf den Leser ausübt, ist Schneider nur ekelerregend und abstoßend.

Wesentlich interessanter ist die titelgebende Cari Mora, die Haushälterin der von Schneider und seiner Entourage gemieteten Escobar-Villa. Ehemalige Kindersoldatin mit kolumbianischen Wurzeln und großen Träumen für die Zukunft, eine mehr als ebenbürtige Gegnerin für Schneider. Über sie hätte ich gerne mehr erfahren. Und anstelle dessen hätte ich ohne weiteres auf diese ohne Sinn und Verstand beschriebenen ekelerregenden Metzeleien, die keinerlei Einfluss auf den Fortgang der Handlung hatten, verzichten können.

Die Story an sich ist dünn, nicht nur, was den Umfang angeht (knapp 230 Seiten, großer Schriftgrad, viele Auslassungen). Organhandel gepaart mit einer Schatzsuche, holzschnittartige Charaktere, breit ausgewalzte Nebenhandlungen ohne Relevanz. Simpel und ohne Raffinesse heruntergeschrieben, alles in allem enttäuschend.

Bewertung vom 20.05.2019
Zehn Stunden tot / Fabian Risk Bd.4
Ahnhem, Stefan

Zehn Stunden tot / Fabian Risk Bd.4


weniger gut

„10 Stunden tot“, der vierte Band er Fabian Risk-Reihe, entpuppt sich, nachdem man das Buch zuklappt, als Mogelpackung. Warum? Die Gründe dafür sind vielfältig, am schwersten wiegt allerdings meiner Meinung nach, dass der Autor die Erwartungen seiner Leser massiv enttäuscht.

Das Team der alkoholkranken Kripochefin Tuvesson ermittelt in vier verschiedenen Fällen, wobei Fabian Risk, ihr „Starermittler“ und Namensgeber der Reihe, bis in den Spätsommer beurlaubt ist und ansonsten weitestgehend seine eigene Suppe kocht, heißt einem alten Fall nachgeht, wenn er nicht gerade mit seinem deprimierenden Privatleben beschäftigt ist.

Tuvesson hingegen geht in Reha, obwohl die Hütte brennt. Wenn das Usus bei der schwedischen Polizei ist, wundert es mich nicht, dass Anzeigen dort nicht ernst genommen bzw. bearbeitet werden. So geschehen im Fall „Molly“.
Molly wird gestalkt, jemand dringt während sie schläft in ihr Schlafzimmer ein, fotografiert sie und schneidet ihre Ponyfransen ab. Die Polizei quittiert ihre Befürchtungen mit einem Schulterzucken. Wie die Geschichte endet, kann man sich denken, ist ja ein Thriller. Sie wird ermordet, stirbt einen qualvollen Tod.

Ein Flüchtlingskind verschwindet, und die Bereitschaft der Polizei, der Sache nachzugehen, ist auch eher gering. Lediglich Kriminalinspektorin Irene Lilja wird beharrt darauf, sich darum zu kümmern, und sie hat recht. Das Kind wird in der Waschküche tot aufgefunden. Ein fremdenfeindlicher Übergriff?

Und dann noch besagter Würfelmörder, der seine Opfer nach dem Zufallsprinzip auswählt. In diesem Fall tappt die Polizei komplett im Dunkeln.

So, vier Fälle, vier Handlungsstränge. Jeder für sich eigentlich interessant. Aber was macht der Autor daraus? Sozusagen nichts. Ein einziger Fall wird zweifelsfrei aufgeklärt, nämlich der von Molly. Auf die Lösung der anderen drei muss der Leser wahrscheinlich bis zu Band 5 warten, wenn Ahnhem es denn schafft, diese in den Abschlussband der Reihe einzuarbeiten.

Zwei weitere Punkte sind mir während des Lesens sehr unangenehm aufgefallen: Zum einen habe ich mich an der äußerst vulgären Sprache gestört, an Schimpfwörtern, die Frauen gegenüber inflationär gebraucht wurden. Nicht von Angesicht zu Angesicht, sondern in SMS oder um dem Ärger über eine Kollegin Ausdruck zu verleihen (Beispiel Kim Z.). Zum anderen gibt mir das Frauenbild, das hier transportiert wird, stark zu denken. Egal, wie gut diese Frauen im Job/Alltag sind, in ihren Partnerschaften lassen sie sich klein halten, stehen nicht für sich ein und lassen es sogar zu, dass sie geschlagen werden – ohne sich zu wehren. Das geht überhaupt nicht.

Sorry, aber wenn ein Autor annähernd 2.500 Seiten braucht, um einen schlüssigen Thriller zu schreiben in dem alle Feuer, die er bis dato gezündet hat, gelöscht werden, sollte er es vielleicht mit einem anderen Genre versuchen. Ein Krimi/Thriller verlangt nach einer Auflösung, mehr ist dazu nicht zu sagen. Punkt.

Bewertung vom 16.05.2019
Im Sog der Schuld
McHugh, Laura

Im Sog der Schuld


sehr gut

Arden Arrowood kehrt heim. Nach Arrowood, dem verlassenen Anwesen der Familie in der Kleinstadt Keokuk, Iowa. Als alleinige Erbin. Historikerin, ohne Abschluss und berufliche Perspektive, noch immer geplagt von einem traumatischen Erlebnis in der Vergangenheit. Ihre Zwillingsschwestern sind – unter ihrer Aufsicht – spurlos verschwunden. Entführt worden, glaubt sie. Oder etwa doch nicht? Sie ist gleichzeitig sicher und zweifelt doch auch an ihren Erinnerungen und dem Schluss, den sie vor vielen Jahren daraus gezogen hat. Damals war sie ein Kind, schockiert und verwirrt. In ihren Grundfesten erschüttert. Und noch heute nagt dieser Verlust an ihr, kämpft sie mit Schuldgefühlen und möchte nichts lieber, als den für die Entführung ihrer Schwestern Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen. Damit sie endlich abschließen und sich von ihren Schuldgefühlen befreien kann.

Vergangenheit und Gegenwart bekommen wir durch die Augen der Ich-Erzählerin Arden präsentiert, so dass wir uns nie ganz sicher sein können, ob das, was sie beschreibt, auch den Tatsachen entspricht. Deren Suche nach der Wahrheit präsentiert sich dem Leser äußerst vielschichtig. Und was anfangs eher behäbig und redundant daherkommt, entwickelt sich mit fortschreitender Handlung zu einer spannenden Familiengeschichte, einem faszinierenden Spagat zwischen Erinnerung und deren Interpretation, zwischen Wunschdenken und Realität, wobei die Autorin immer wieder die Erwartungen des Lesers ins Leere laufen lässt.

Ein gewisses Interesse an Mystery/Southern Gothic-Romanen sollte man für die Lektüre von Laura McHughs “Im Sog der Schuld” schon mitbringen. Obwohl die Geschichte in Iowa, Mittlerer Westen verortet ist, verströmt sie doch sehr viel Südstaaten-Flair. Die Schwere, die Trägheit des Mississippi River, der in seinem Flussbett langsam dahinströmt – dieses Empfinden zieht sich durch das gesamte Buch. Verstärkt durch die detaillierten und gelungenen Beschreibungen der Umgebung, den sich im Lauf der Story verändernden Blick zurück sowie die undurchsichtige Atmosphäre, die über allem liegt. Absolut entschleunigend!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.05.2019
Nomaden der Arbeit - Die Buchvorlage für den Oscar-prämierten Film »Nomadland«
Bruder, Jessica

Nomaden der Arbeit - Die Buchvorlage für den Oscar-prämierten Film »Nomadland«


ausgezeichnet

Sie haben ihr Leben lang gearbeitet, sind zu bescheidenem Wohlstand gelangt, haben sich ein geruhsames Rentenalter vorgestellt. Doch dann kommt die Finanzkrise – und Wusch…alles weg. Keinen Job mehr, kaum Ersparnisse, die Kredite können nicht mehr bedient werden, das Häuschen kommt unter den Hammer, erlöst aber weit weniger als erwartet, Pensionsfond futsch, die Taschen sind leer. Keine Krankenversicherung, die Sozialhilfe, ca. 500 Dollar im Monat, reicht hinten und vorne nicht. Was bleibt?

Realität für Abertausende Amerikaner im Rentenalter, die nach dem Crash 2007 alles verloren haben. Das Wenige, das sie noch haben, stecken sie in einen (in den meisten Fällen betagten) Camper und gehen auf Tour, wie bereits ihre Vorfahren während der Großen Depression in den dreißiger Jahren. Von Ost nach West, von Nord nach Süd, aber im Zweifelsfall immer dahin, wo billige Saisonarbeitskräfte benötigt werden. Als Erntehelfer, Hilfskräfte bei sportlichen Großveranstaltungen, Mädchen-für-alles in den Nationalparks, Aushilfen im Weihnachtsgeschäft des größten Onlinehändlers. Eingestellt werden sie gerne, sind sie doch zuverlässig und gewissenhaft, stellen keine Ansprüche und schuften sprichwörtlich bis zum Umfallen. Und das alles für kleines Geld und einen freien Stellplatz. Freiheit und Abenteuer? Bei Weitem nicht.

Die amerikanische Journalistin Jessica Bruder hat sich drei Jahre intensiv mit diesem Thema beschäftigt und auch über einen längeren Zeitraum einige dieser „Workamper“ im eigenen Camper begleitet und deren Leben geteilt. Ihre Erlebnisse hat sie in „Nomaden der Arbeit. Überleben in den USA im 21. Jahrhundert“ niedergeschrieben, einer entlarvenden und zu Herzen gehenden Sozialreportage. Mit großer Sympathie für ihre Reisegefährten seziert sie den „American dream“ und zeigt die Auswirkungen einer Politik, die sich nur Profitinteressen verpflichtet fühlt. Eine Entwicklung, die nicht nur die USA betrifft sondern auch hierzulande gilt. Deshalb: „Nomaden der Arbeit“ - Pflichtlektüre für all diejenigen „Volksvertreter“, die sowohl das soziale Netz beschneiden als auch die Altersvorsorge auf andere Füße stellen wollen

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 08.05.2019
Nemesis / C.J. Townsend Bd.4
Hoffman, Jilliane

Nemesis / C.J. Townsend Bd.4


weniger gut

Seit „Cupido“ habe ich sämtliche Bücher der Autorin gelesen und musste leider feststellen, dass die Qualität der einzelnen Thriller im Lauf der Reihe immer mehr abgenommen hat – wenn man denn hier überhaupt noch von Qualität sprechen kann. „Nemesis“ nun stellt den absoluten Tiefpunkt dar und enttäuscht auf ganzer Linie. Warum?

Die Story ist nichtssagend und ohne Tempo, an den Haaren herbeigezogen. Spannung kaum vorhanden. Die Handlung schläfert ein, zieht sich durch die vielen Nabel- und Rückschauen der Protagonistin über Gebühr in die Länge, so dass ich ganze Kapitel einfach überblättert habe. Beziehungskisten sind ok, wenn sie für den Fortgang der Geschichte relevant sind oder die Charakterisierung der Figuren unterstützen. Hier trifft nichts davon zu und dieses Bla-Bla hat nur den einen Sinn und Zweck, möglichst viele Seiten zu füllen.

Vielleicht sollte Frau Hoffman sich wieder ihrem ursprünglich gelernten Beruf zuwenden und das mit der Schreiberei sein lassen.

Bewertung vom 08.05.2019
Rheinblick
Glaser, Brigitte

Rheinblick


ausgezeichnet

Romane, die sich mit dem Werden der Bundesrepublik auseinandersetzen, gibt es einige. Aber kaum einer Autorin gelingt es, diese spannende Übergangszeit unterhaltsam und dennoch mit Erkenntnisgewinn für den Leser zu beschreiben wie Brigitte Glaser. Bewiesen hat sie das bereits mit dem 2016 erschienenen „Bühlerhöhe“, das sich mit der Nachkriegszeit unter Adenauer auseinandersetzt.

Nun also „Rheinblick“, in dessen Zentrum der SPD-Politiker Willy Brandt nach der vorgezogenen Bundestagswahl 1972 steht. Dieser Wahlsieg ist phänomenal, ein wichtiger Einschnitt in der Geschichte der BRD, weht doch damit jetzt endlich ein frischer Wind durchs Land, der auch der jungen Generation Hoffnung auf Veränderung gibt. Allerdings kann muss Brandt die Koalitionsverhandlungen aus der Hand geben, da seine überstrapazierten Stimmbänder versagt haben, was natürlich seine Einflussmöglichkeiten nachhaltig beeinflusst. Es darf und wird geklüngelt werden.

Soweit der Hintergrund, vor dem Glaser einen Roman entwickelt, der glaubwürdig das gesellschaftliche Klima dieser Zeit transportiert, gut recherchiert ist, sich aber mit Sicherheit auch aus den Erinnerungen der Autorin speist. Ich bin der gleiche Jahrgang wie Brigitte Glaser und kann mich noch gut an dieses Jahr erinnern. Zuerst die Vertrauensfrage, dann das Misstrauensvotum. Das Gefühl von „alles ist möglich“, die Aufbruchstimmung nach den Studentenunruhen, das zarte Pflänzlein der Emanzipation. Endlich ging es voran.

Das passende Zeitkolorit, die gute Charakterisierung der Personen, die Geschichte dreier Freunde und deren Irrlichtern im Dschungel der Politik, das sind die Zutaten, aus denen die Autorin mit „Rheinblick“ eine spannende Zeitreise in die Vergangenheit generiert, an der ich gerne teilgenommen habe. Bitte mehr davon!

Bewertung vom 07.05.2019
Wo alle Lichter enden
Joy, David

Wo alle Lichter enden


ausgezeichnet

„Ich habe zugelassen, dass das, in was ich hineingeboren wurde, auch bestimmt hat, was aus mir geworden ist.“

Jacob McNeely macht sich keine Illusionen über seine Zukunft. Er ist ein McNeely, lebt in einem abgelegen Kaff in den Appalachen, sein Vater kontrolliert in diesem Gebiet den Meth-Handel. Ein lukratives Geschäft, in das er seinen Sohn bereits früh eingebunden hat. Familie als solche existiert nicht, die drogenabhängige Mutter wurde von seinem Vater in eine Hütte im Wald verbannt, weil sie sich an seinen Vorräten vergriffen hat. Jacobs Leben ist vorgezeichnet, er weiß, dass von ihm erwartet wird, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Die Schule hat er abgebrochen und erledigt die Aufgaben, die ihm sein Vater zuweist. Auch dann, wenn sie ihm Gewissensbisse machen. Gerade mal 18 Jahre alt hat er schon resigniert, aufgegeben, wissend, dass er diesem Leben nicht entkommen wird. Fügt sich.

Der einzige Lichtblick in seinem Leben ist Maggie, seine Freundin aus Kindertagen. Er bewundert sie, ist fest davon überzeugt, dass sie es schaffen kann. Weggehen, studieren, die vorgezeichneten Pfade verlassen. Keine Option für ihn, oder etwa doch? Ein naiver Plan keimt auf, vielleicht gibt es doch noch Hoffnung für ihn, eine gemeinsame Zukunft, fernab von dem in Stein gemeißelten Lebensweg eines McNeely.

Aber so leicht kommt er nicht vom Haken, auch wenn durch ein unverhofftes Hilfsangebot von außen plötzlich die Möglichkeit besteht, dem Schicksal ein Schnäppchen zu schlagen. Doch alle Sicherheit ist trügerisch.

Joy beschreibt gnadenlos einen Weg in den Abgrund. Düster, brutal, dreckig, hoffnungslos, keine Möglichkeit des Entkommens. Obwohl Jacob seine Situation reflektiert, scheut er sich doch davor, die „richtigen“ Konsequenzen zu ziehen. Man leidet mit ihm, wünscht, dass er diesem Leben entkommt. Vergeblich. Erlösung gibt es für einen wie ihn nicht.

„Ich konnte weder vor dem fliehen, was ich war, noch vor dem, woher ich kam (…) auf jemand wie mich fiel niemals ein Licht, so viel war sicher.“

Zeile für Zeile ist „Wo alle Lichter enden“ ein Schlag in die Magengrube, und David Joy reiht sich mit diesem Erstling nahtlos in die Linie der Grit Lit-Autoren ein: Woodrell, Pollock, Brown, Crews. Und das ist absolut als Kompliment gemeint.

Bewertung vom 06.05.2019
Mörderisches Lavandou / Leon Ritter Bd.5
Eyssen, Remy

Mörderisches Lavandou / Leon Ritter Bd.5


gut

Der Sommer ist vorbei, die Touristen haben die Heimreise angetreten, es kehrt wieder Ruhe ein in Le Lavandou, der provenzalischen Kleinstadt am Fuß des Massif des Maures im Département Var. Die Entspannung ist jedoch nur von kurzer Dauer, da eine Joggerin verschwunden ist. Spurlos? Nicht ganz, ihr abgeschnittener Fuß taucht fachmännisch arrangiert an exponierter Stelle im Ort auf, und kurz darauf wird auch ihre Leiche gefunden. Leon Ritter, der deutsche Arzt, mittlerweile als Gerichtsmediziner für die örtliche Polizei tätig, wird hinzugezogen und bestätigt die Identität der Toten. Aber sie soll nicht das einzige Opfer bleiben, es scheint, als ob ein Serientäter sein Unwesen treibt, der sich in gefährlicher Nähe zu Ritters „Adoptivfamilie“ befindet. Es gibt verschiedene Verdächtige, die Ermittlungen laufen auf Hochtouren, aber bringen wenig Erkenntnisgewinn. Und es scheint, als ob der Killer seinen Verfolgern immer einen Schritt voraus ist…

Mit „Mörderisches Lavandou“ ist die Leon Ritter-Reihe beim fünften Band angekommen, und ich verfolge sie bereits seit dem ersten Teil. Wie schon in den Vorgängern gelingt es Remy Eyssen sehr anschaulich, die Atmosphäre dieser Kleinstadt sowie die provenzalische Landschaft zu beschreiben. Auch die Schilderung der Personen sowie deren Beziehungen zu Ritter werden ausführlich erläutert. Das ist zwar nett zu lesen, aber mehr auch nicht. Denn wenn man mit der Reihe bereits vertraut ist, generiert das Längen, die immer wieder die Spannung ausbremsen und das Tempo aus der Geschichte nehmen. Im wahrsten Sinne tödlich für einen Kriminalroman, der mehr sein will als gewöhnliche Feel good-Lektüre für den Frankreichurlaub. Denn auch wirkliche Fortschritte im persönlichen Umfeld des Rechtsmediziners sucht man vergeblich. Es gibt zwar vorsichtige Ansätze, die sich aber recht schnell in Luft auflösen. So bleibt am Ende nur ein konventionell erzählter, leicht durchschaubarer Krimi übrig, der sich kaum von der üblichen Dutzendware unterscheidet. Für mich mit Abstand der schwächste Band der Reihe!