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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 743 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2016
Nie wieder achtzig!
Hildebrandt, Dieter

Nie wieder achtzig!


sehr gut

Ein Urgestein des Kabaretts

Dieter Hildebrandt beginnt sein Taschenbuch mit einem Nachwort, da sich gegenüber der gebundenen Ausgabe ja einiges geändert haben kann: „Regierungen könnten verscheucht worden sein, Meinungen sich geändert haben, Entscheidungen gefallen sein“. Mit diesem Einstieg thematisiert er den gesellschaftlichen Wandel, auf den nicht nur Politiker, sondern auch das Kabarett reagieren müssen. Sowohl Politik als auch Kabarett sind ein Spiegelbild gesellschaftlicher Strömungen, wobei das Kabarett seinen Fokus darauf richtet, wie Politiker mit gesellschaftlichen Veränderungen umgehen und dieses „wie“ auch überzeichnen darf. - Das Kabarett beginnt bereits im Vorwort.

Kabarettisten wie Dieter Hildebrandt sorgen auf satirische und humorvolle Weise für Transparenz. Sie haben die Nase im Wind, wenn es darum geht, die wahren Absichten unserer Politiker offen zu legen, sie drücken die Finger in die Wunde politischer Unkorrektheiten. Die wirkungsvollste Opposition, so der Eindruck, findet man nur im Kabarett – und Aufklärung tut Not. Leider wird das Kabarett in den Medien mehr und mehr von (unpolitischer) Comedy verdrängt. Hildebrandt, in den 1950er Jahren mit der Münchner Lach- und Schießgesellschaft bekannt geworden, ist ein Urgestein des Kabaretts.

Sein Buch enthält einen Querschnitt aus mehreren Jahrzehnten deutscher Geschichte. Es geht um Schäubles Sicherheitspolitik, Stoibers Wort-Akrobatik, Gerichtsfälle unserer Deal-Justiz, Doping im Hochleistungssport und um die Spiegel-Affäre, um nur Beispiele zu nennen. Er geht humorvoll mit den Problemen des Alters um, wenn er schreibt: „Ich habe mit einigem Entsetzen festgestellt, dass auch die Weisheit im Alter nicht nachwächst. Das hat man mir, als ich noch jünger war, immer wieder vorgelogen.“

Natürlich ist Kabarett etwas, was man als Zuschauer in einer Aufführung erleben muss. Schauspielkunst, Betonung, Mimik, manchmal angereichert mit Musik, gehören einfach dazu. Das alles weiß man aber, wenn man ein Buch von einem Kabarettisten liest. Das einzige was ich in dem Buch vermisst habe, ist seine eigene, humorvoll aufgearbeitete Biographie, sein Fazit nach Jahren des Schaffens..

Bewertung vom 21.07.2016
So viel Zeit
Goosen, Frank

So viel Zeit


sehr gut

Sex, Drugs and Rock’n’ Roll

Rockmusik spielt in diesem Roman die zentrale Rolle. Sie ist das verbindende Element zwischen fünf unterschiedlichen Typen mittleren Alters, die es, frustriert vom Alltag, noch einmal so richtig krachen lassen wollen. Sie gründen eine Rockband und beginnen Hardrock von AC/DC, Uriah Heep, Deep Purple und Led Zeppelin einzustudieren. Geplant ist ein Auftritt auf ihrem 25-jährigen Klassentreffen in Bochum.

Der Roman gliedert sich in drei Teile. In „Früher“ blickt Autor Frank Goosen auf die Abiturfeier 1982 zurück. Die Atmosphäre und die angedeuteten Wünsche und Ereignisse dieser Zeit bilden den Nährboden für die „Macht der Vergangenheit“ im Hauptteil der Geschichte. Der Roman endet mit einem Ausblick auf die Zukunft aus der Perspektive von Bandmitglied Thomas.

Das Engagement in der Band führt, frei nach dem Motto: „Nichts ändert sich, außer man selbst ändert sich.“, zu neuem Selbstvertrauen und zu Veränderungen im Lebensumfeld der Akteure. Auch wenn dieser Wandel schnell erfolgt und klischeehaft wirkt, hat er doch einen hohen Unterhaltungswert. Aussprachen bringen Klarheit und neue Beziehungen entstehen. Das Leben wird spontan und Lebensfreude kehrt zurück.

Humorvoll beschreibt Autor Goosen die Vorbereitungen auf das erste Konzert. Für die passende Kleidung ist jugendliche Beratung vonnöten und so besorgt sich Bandmitglied Rainer Anregungen von seinem Sohn Daniel. Sollen Anzug und Krawatte eingetauscht werden gegen ein T-Shirt mit dem Emblem von Led Zeppelin? Frank Goosen trifft die Seele des in die Jahre gekommenen Mannes.

Die Charaktere sind markant, die Dialoge wirken erfrischend und die Szenen bewegen sich zwischen Komödie und Tragödie. Wer mit der Rockmusik der 1970er Jahre groß geworden ist oder das Lebensgefühl dieser Zeit kennen lernen möchte, sollte den Roman lesen. Für Träume ist „Mann“ nie zu alt. Frank Goosens „So viel Zeit“ ist unterhaltend wie Sven Regeners „Herr Lehmann“ und Tommy Jauds „Millionär“.

Bewertung vom 21.07.2016
Unten sind ein paar Typen
Dal Masetto, Antonio

Unten sind ein paar Typen


ausgezeichnet

Paranoia

Der Roman spielt im Jahr 1978 in Buenos Aires und beschreibt zwei Tage aus dem Leben von Pablo, einem argentinischen Journalisten. In Argentinien herrschte zu dieser Zeit eine Militärdiktatur Es verschwanden Zehntausende von Menschen spurlos aus ihrem Lebensumfeld.

Pablo vertreibt sich die Zeit in Kneipen, Cafés und Restaurants. Als seine Freundin Ana bemerkt, dass gegenüber seiner Wohnung ein paar Typen im Auto sitzen und das Umfeld observieren, wiegelt er ab. Aber die Saat des Zweifels ist gesät. Wurde nicht in der Vergangenheit sein Telefon abgehört?

Antonio Dal Masetto richtet den Fokus auf die Entwicklung von Pablos Beziehungen zu seinen Freunden und auf seine privaten Aktivitäten. Er verzichtet darauf, den gesellschaftlichen und politischen Rahmen im Argentinien der 1970er Jahre zu erläutern. Die permanente Bedrohung durch das Regime spiegelt sich in den Handlungen der Protagonisten wieder. Die Atmosphäre in Buenos Aires ist düster und von Misstrauen geprägt. Angst und Zweifel werfen ihre Schatten voraus. Die latente Bedrohung führt zur Distanzierung und damit in die Isolation. Pablo leidet unter Verfolgungswahn und schüttelt imaginäre Verfolger ab.

Mit einfachen sprachlichen Bildern, kurzen Dialogen und unkomplizierten Handlungen gelingt es dem Autor auf überzeugende Weise, den Kontrast zwischen der Euphorie der Massen (nach einem Fußballspiel) und der Vereinsamung des Individuums in einer Diktatur spürbar zu machen. Es bedarf keiner brutalen Szenen, um den psychischen Druck der Menschen zum Ausdruck zu bringen. So wie Autor Dal Masetto in seinem Roman „Blut und Spiele“ die Lieblosigkeit einer Gesellschaft thematisiert, inszeniert er in diesem empfehlenswerten Roman die paranoiden Auswirkungen einer permanenten Einschüchterung durch einen Unrechtsstaat.

Bewertung vom 20.07.2016
Das Zimmermädchen (eBook, ePUB)
Orths, Markus

Das Zimmermädchen (eBook, ePUB)


gut

Probleme mit der Identität

Das Buch erinnert ein wenig an Bragi Ólafssons Roman „Die Haustiere“. Auch dort liegt jemand unter dem Bett und lauscht, was in der Umgebung passiert. Während Emil Halldórsson in „Die Haustiere“ auf groteske Weise zum Beobachter seines eigenen Lebens wird, ist Protagonistin Lynn Zapatek in „Das Zimmermädchen“ die manisch getriebene Suchende, die durch das Ausforschen von Intimitäten wissen will, wie sie ihr eigenes Leben in den Griff bekommen kann. Es geht in beiden Fällen um Probleme mit der Identität.

Lynn, die eine Psychotherapie hinter sich hat, muss sich, wie sie selbst meint, „ins Handeln flüchten“. Ihren Drang nach Aktivität lebt sie beim Putzen aus. Sie putzt die Spiegel von hinten und die Stehlampen von unten – sie ist eine Getriebene. Ebenso hat sie zu den Menschen ihrer Umgebung eine zwanghafte Beziehung. Hierzu gehören Heinz, mit dem sie ein Verhältnis hat, ihre Mutter, die sie wöchentlich anruft und mit der sie Belanglosigkeiten austauscht und die Prostituierte Chiara, die sie im Hotel kennen lernt.

Autor Orths verwendet kurze Sätze, die in einigen Fällen durch das Weglassen von Artikeln oder Pronomen abgehackt wirken. Der Text ist jedoch leicht verständlich. Die Brüche in den Sätzen symbolisieren, so der Eindruck, die Frakturen in der Psyche der Protagonistin.

Die Geschichte kann von unterschiedlichen Perspektiven aus betrachtet werden. Der Rahmenhandlung nach zu urteilen handelt es sich um leichte humorvolle Kost. Psychologisch gesehen ist es die eher ernste Geschichte der Lynn Zapatek, die ihr Leben nicht in den Griff bekommt. Der Autor vermischt diese Ebenen, was ihm nur mäßig gelungen ist. Hinzu kommt, dass Autor Orths mit dem Voyeurismus spielt, der nicht nur seine Romanfigur Lynn Zapatek in den Bann ziehen soll, sondern auch die Leser.

Bewertung vom 20.07.2016
Alles Zufall
Klein, Stefan

Alles Zufall


ausgezeichnet

Die Macht des Zufalls

Es ist nicht alles Zufall, aber der Zufall spielt im Leben eine weitaus größere Rolle, als uns bewusst ist. Stefan Klein erläutert im ersten Teil des Buches was Zufälle sind und wie sie entstehen. Er unterscheidet zwei Bedeutungen von Zufällen. Zufällig ist, was wir nicht anders erklären können oder wollen. Die Kausalität ist keinesfalls aufgehoben, nur vermögen wir die Ursachen des Geschehens nicht vollständig zu erklären. Die zweite Bedeutung von Zufall hat etwas mit Koinzidenzen zu tun. Das Zusammenfallen von Ereignissen erscheint uns auffällig. Bei einer Verkettung von Ereignissen können wir nicht wissen, ob diese wirklich zufällig zustande gekommen sind. Man kann den Zufall nicht beweisen.

In „Der Irrtum des Nostradamus“ stellt der Autor fest, dass Prognosen über längere Zeiträume in dynamischen Systemen unmöglich sind, weil anfängliche Unsicherheiten über die Zeit exponentiell anwachsen. Er resümiert, dass es kein Widerspruch ist, dass die Dinge nach (physikalischen) Gesetzen verlaufen und wir sie dennoch nicht vorhersagen können. Bedeutet das, dass alles nach Plan verläuft? Könnte ein Überwesen mit den Fähigkeiten eines Laplace' schen Dämon den Lauf der Welt in alle Zukunft berechnen? Unter diesen Voraussetzungen eines metaphysischen Determinismus wäre Freiheit eine Illusion. Die Zukunft wäre restlos in der Vergangenheit enthalten. - In der Quantenmechanik liegt der Zufall in den Naturgesetzen begründet. Damit ist dem Laplace' schen Dämon der Garaus gemacht.

Der zweite Teil des Buches steht unter dem Motto „Der Zufall als Schöpfer“. Hier geht es u.a. um die Bedeutung des Zufalls während der Evolution. Hier tritt der Zufall in Form von Mutationen auf. Autor Klein erläutert anhand von Beispielen den Unterschied zwischen der zufallsbedingten Evolution und einer Evolution nach Plan. Der Zufall fördert Kreativität und erweist sich als Motor der Evolution. Der Preis dafür ist Unberechenbarkeit und damit Unsicherheit. Aber anders ist Freiheit nicht zu haben. Darwin hat den Menschen die Vorstellung genommen, dass die Entwicklung allen Lebens nur auf ihn abzielte.

Im dritten Teil des Buches geht es um den Umgang mit Zufällen. Wir neigen dazu Zusammenhänge zu sehen, wo es keine gibt. Das Gehirn interpretiert ständig und ständig verwechseln wir Koinzidenz mit Kausalität. Muss man sich da noch wundern, dass Verschwörungstheorien wie Pilze aus dem Boden schießen? Die selektive Wahrnehmung zählt zu den wichtigsten Tricks des Gehirns, den Zufall zu leugnen. Auch räumt Autor Klein mit der Vorstellung auf, dass Tumore eine Folge verdrängter Sorgen seien. Klein lässt Erkenntnisse der Hirnforschung und der Psychologie einfließen, setzt sich mit Fragen der Wirtschaft auseinander und rügt den übergroßen Wunsch nach Verlässlichkeit als die eigentliche Ursache der deutschen Krankheit, die dem Land ein niedriges Wirtschaftswachstum und eine hohe Arbeitslosigkeit beschert.

Der vierte Teil des Buches zeigt Wege auf, sich vor verhängnisvollen Fehlschlüssen zu schützen. Wir können uns den Zufall zum Freund machen. Wenn aber harmlose Details auf unvorhergesehene Weise zusammenwirken, sind wir machtlos. Kleinigkeiten können zur Katastrophe führen, wie der Autor anhand von Beispielen erläutert. Es ist daher kein Zufall, dass die NASA bei ihrem Raumfahrtprogramm mit alten Rechnern arbeitet, da man deren Fehler kennt. Auch ist es nicht immer sinnvoll, Straßen zu begradigen, weil dann die Wachsamkeit nachlässt und eher mehr als weniger Unfälle passieren. Als wichtiges Rezept bei komplexen Abhängigkeiten empfiehlt der Autor, kleine Schritte zu gehen. Die Evolution ist ein Beispiel für dieses Erfolgsrezept.

Stefan Klein deckt eine große Bandbreite ab. Er beleuchtet den Zufall aus unterschiedlichen Perspektiven. Auch wenn viele Erkenntnisse aus anderen Büchern schon bekannt sind, ist es doch diese besondere Fokussierung, welche das Buch lesenswert macht.

Bewertung vom 20.07.2016
Abscheu vor der Weltgeschichte
Chargaff, Erwin

Abscheu vor der Weltgeschichte


ausgezeichnet

Ein Wissenschaftskritiker rechnet ab

Erwin Chargaff, Biochemiker von Weltrang, starb 2002 im Alter von 96 Jahren. Er gilt als einer der Pioniere auf dem Gebiet der Erforschung der Struktur der DNS und wurde in späteren Jahren zu einem der kompetentesten Kritiker der naturwissenschaftlichen Forschung. Bezeichnend für ihn war, neben seinem enormen Fachwissen, sein hohes Maß an klassischer Bildung.

Was ist Wahrheit? Der eine sucht die Wahrheit mit dem Kopf und der andere mit dem Herzen. Nach Erwin Chargaffs Interpretation strebt die Naturwissenschaft zwar nach Wahrheit, kann aber nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen. Was Leben ist, kann die Naturwissenschaft nicht erklären. Dass sie für viele zu einer Art Religionsersatz geworden ist, schränkt sie eher ein. Wie sieht es dagegen mit der Wahrheit in der Literatur und der Kunst aus? Große Werke der Literatur und der Kunst zeichnen sich durch Schönheit aus, nicht durch Wahrheit. Chargaff zitiert Nietzsche, um seine Ansicht zu untermauern: „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen.“

Chargaff untersucht die Verhältnisse in seiner Wahlheimat Amerika und entdeckt an vielen Stellen chronischen Hass. Ein T-Shirt mit der Aufschrift „Kill a Commie for Mommy“, das manche Kinder tragen, ist für ihn Einstieg in das Thema. Harmlose Graffiti? Der Hass ist nicht immer eindeutig erkennbar, aber er ist vorhanden. Chargaff dehnt seine Überlegungen auf Europa aus und findet auch hier zahlreiche negative Beispiele. Die Ursachen sieht er im Patriotismus, der sich schnell zum Nationalismus entwickeln kann.

Die Völker haben ihre Traditionen verloren. Es gibt nach Chargaff zu viele Spezialisten und zu wenige Generalisten. Ist damit das Bildungsniveau gestiegen? Bildung, so wie Chargaff sie versteht, setzt Wissen quer durch die Literatur und die Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften voraus. Hieran mangelt es in unserer modernen Zeit. Traditionsbewusstsein, entstanden aus dem Vermächtnis unzähliger Menschen, gibt es heute nicht mehr.

Historiker schreiben Bücher, die zum Erbe ihrer Sprache und der Kultur ihres Landes gehören. Was ist, wenn diese Vergangenheit voller Schande ist? Der Abscheu vor der Weltgeschichte wird am Holocaust besonders deutlich. Was ist, wenn dunkle Phasen der Geschichte verdrängt werden? Das Gedächtnis des Volkes hat nur einen beschränkten Lagerraum für nationale Schande. Folglich werden Verdrängungsmechanismen in Gang gesetzt. Geschichte wird gefälscht, nach dem Motto: Glücklich ist, wer vergisst.

Chargaff setzt sich kritisch mit den Naturwissenschaften auseinander. Die Geschwindigkeit, mit der technische Neuerungen in die Wirtschaft einfließen und auch das Gemütsleben Einzelner beeinflussen, ist ein besonderes Merkmal dieser Zeit. Warum sind die Früchte vom Baum des Wissens tödliche Früchte? Hiroshima, Tschernobyl, Bhopal und Seveso sind Beispiele dafür, dass die Menschheit in ihrem Wissensdurst schon viel zu weit gegangen ist. Chargaff zitiert Kierkegaard: „Alles Verderben wird zuletzt von den Wissenschaften ausgehen“. Dass die Erde den Menschen nur geliehen wurde, scheint in Vergessenheit geraten zu sein.

Erwin Chargaff thematisiert Grenzüberschreitungen der Menschheit und führt einen Kampf gegen das Vergessen. Seine Analysen sind messerscharf und seine Gesamtschau rüttelt an Grundfesten. Sein extremer Pessimismus lässt keinen Spielraum für eine positive Zukunft. Trotzdem – oder gerade deshalb – sollte man sich mit Chargaff auseinandersetzen. Seine Thesen sind hoch aktuell.

Bewertung vom 20.07.2016
Diabolus
Brown, Dan

Diabolus


gut

Ein diabolischer Plan und ein Wettlauf gegen die Zeit

Die Kryptographische Abteilung des amerikanischen Geheimdienstes NSA setzt für Dechiffrierarbeiten einen Hochleistungscomputer namens TRANSLTR ein, mit dem weltweit jeder Code innerhalb weniger Minuten entschlüsselt werden kann. Der Rechner ist im Dauereinsatz damit beschäftigt, codierte Texte von Terroristen, Drogenkurieren und sonstigen Kriminellen zu entschlüsseln. Ziel ist es, die Sicherheit der USA um jeden Preis zu wahren.

Eines Tages taucht ein mysteriöses Programm auf, welches den Super-Computer überfordert. Der TRANSLTR ist seit 16 Stunden mit dem Programm Diabolus beschäftigt, ohne es knacken zu können. Der Entwickler des Programms droht, Diabolus der Öffentlichkeit zugänglich zumachen. Durch eine Veröffentlichung würde Diabolus zum Verschlüsselungs-Standard werden, mit der Folge, dass der NSA und ihrem Hochleistungsrechner die Basis entzogen wäre.

Autor Dan Brown versteht es, die Spannung ins Unendliche zu steigern. Kurze Kapitel mit jeweils wechselnden Handlungsorten tragen dazu bei. Aber die Geschehnisse wirken teilweise unglaubwürdig. Warum gelingt es einem Profikiller nicht, sein unerfahrenes Opfer zu töten?

Wo liegt der Unterschied zu Büchern wie Illuminati oder Sakrileg? Während es Dan Brown in Illuminati gelungen ist, die Themen Wissenschaft und Religion zu verschneiden und die Leser nebenbei fundierte Informationen über Aufbau und Geschichte des Vatikans erhalten, setzt er sich in Sakrileg mit spekulativen kirchengeschichtlichen Hypothesen und Geheimbünden auseinander, die Fragen über den Wahrheitsgehalt der offiziellen Geschichtsschreibung aufwerfen. Beide Bücher sind hinsichtlich der Handlungen abenteuerlich, aber wirken sauber recherchiert. In Diabolus greift Brown mit den realen Geheimdiensten und ihren technischen Hilfsmitteln ein ebenso fesselndes Thema auf. Nur diesmal wirkt die Aufbereitung unausgereift. Nach 524 Seiten ist der Leser eher verwirrt und weiß nur wenig über die (realen) Möglichkeiten der Computertechnik und der Kryptographie.

Unabhängig von der Plausibilität der vermittelten Informationen wirft Dan Brown in Diabolus eine wichtige gesellschaftspolitische Frage auf: Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure? Es wird deutlich, welche Macht die Geheimdienste haben. Ist das Sicherheitsinteresse eines Landes so groß, dass eine Überwachung nach Big Brother- Manier gerechtfertigt ist? Dieses wichtige Thema, welches in den 1980er Jahren (auch wegen des besonderen Jahres „1984“) hoch aktuell war, wird durch dieses Buch erneut ins Gespräch gebracht.

Legt man als Maßstab an, dass ein Thriller spannend, unterhaltsam und informativ sein soll, so kommt insbesondere die letzte Kategorie in diesem Buch zu kurz. Es handelt sich – im Vergleich zu Illuminati und Sakrileg - um kein hochklassiges Buch, trotzdem legt man es, einmal angelesen, nur ungern zur Seite.