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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 1947 Bewertungen
Bewertung vom 16.04.2022
Das Leben eines Anderen
Hirano, Keiichir_

Das Leben eines Anderen


ausgezeichnet

Literatur aus Japan

Japanische Literatur interessiert mich sehr, oft ist sie aber auch von einer gewissen Zurückhaltung im Ausdruck geprägt.
Auf „Das Leben eines anderen“ von Keiichiro Hirano trifft das zu. Auf der Oberfläche gesehen herrscht eine Sachlichkeit vor, das man glauben könnte, man lese einen nüchteren Bericht über den Vorffall eines Identiätstausch.
Etwas genauer betrachtet ist der Roman aber keinesfalls emottionslos, das wird sensibel über die Figuren gesteuert.
Da ist z.B. Rie, die schon viel Pech hatte und deren Ehemann plötzlich verstorben ist und dann stellt sich noch heraus, dass er nicht der war, für den er sich ausgegeben hatte.
Der Rechtsanwalt Kido Akira untersucht für sie die Sache und macht sich auf die Suche nach Mister X.
Kido ist die zentrale Hauptfigur. Er ist ein ruhiger Mann, ein Japaner von koreanischer Abstammung in dritter Generation.
Man erfährt auch eine ganze Menge vom Leben der japanischen Gesellschaft.
Dazu gehört zum Beispiel die Identitätsfrage der Zainichi, also der kroeanischen Minderheit in Japan und deren Diskreminierung durch die extreme Rechte.

Für mich ist das Entwerfen der Figuren eine große Stärke des Autoren, von dem ich gerne noch weitere Bücher lesen würde.

Bewertung vom 15.04.2022
Schallplattensommer
Bronsky, Alina

Schallplattensommer


ausgezeichnet

Maseratis Geheimnisse

Alina Bronskys Romane haben immer ein gewisses Niveau und das gilt auch für ihr neues Buch Schallplattensommer.
Es erinnert mich leicht an Bronskys erstes Werk Scherbenpark.
Wieder steht ein Mädchen im Vordergrund, das zwar unabhängig und eigenwillig, aber noch minderjährig ist. Maserati. Sie ist ein starker Charakter, aber sie hat auch Probleme. Nicht alles enthüllt sich gleich. Geschehnisse der Vergangenheit werden dem Leser erst nach und nach bekannt.
Thematisch scheint mir der Roman leicht überfrachtet, so wird auch nicht alles aufgelöst. Das ist mir aber auch ganz Recht so. Ein Autor muss den Lesern nicht alles abnehmen.
Was das Buch auf jeden Fall auszeichnet ist Atmosphäre, die sich zum Teil auch aus den geheimnissen ergibt, zum Beispiel das Plattencover, auf dem Maseratis Gesicht zu sehen ist und natürlich die familiäre Situation mit der Mutter, die fehlt und dann gibt es auch noch einen kleinen Bruder. Aber Maserati lebt mit ihrer Großmutter, die zwar eine gute Köchin, aber auch leicht durcheinander ist.
Fast würde ich mir eine Fortsetzung wünschen, aber besser man lässt den Roman so stehen, wie er ist.
Und doch freue ich mich schon auf den nächsten Roman von Alina Bronsky.

Bewertung vom 12.04.2022
Auguste / Die Frauen vom Karlsplatz Bd.1
Stern, Anne

Auguste / Die Frauen vom Karlsplatz Bd.1


gut

Mit Auguste startet die neue Reihe Die Frauen vom Karlsplatz von Anne Stern.
Ich muss gleich vorausschicken, dass der Roman für mich nicht an die grandiose Fräulein Gold-Reihe herankommt.
Gleichwohl gibt es auch hier einige gute Beschreibungen und Atmosphäre sowie einen Blick ins 19.Jahrhundert. Schauplatz ist das Berliner Lichterfelde mit seinen vielen Villen.
Mein Hauptproblem ist, dass Auguste keine so starke Figur ist, anfangs ist sie Schulmädchen.Anfangs ist sei angepasst, aber der Einfluß ihrer Freundin Lotte, die davon träumt, Ärztin n zu werden, lässt Auguste an dem für sie vorgesehenen Plan zweifeln. Immerhin entwickelt sie sich im Verlaufe des Romans, gewinnt auch an Stärke, aber von einem schillernden Charakter wie Fräulein Gold ist sie weit entfernt und ehrlich gesagt, werde ich sie in wenigen Wochen wahrscheinlich schon vergessen haben.
So leid es mir tut, diesmal kann ich nur 3 von 5 Sternen geben.
Für mich habe ich beschlossen, die Reihe nicht weiter zu lesen. Das soll aber nicht heißen, dass es ein schlechtes Buch wäre. Aber es gibt zu viele andere Romane, die mich momentan mehr interessieren.

Bewertung vom 11.04.2022
Tage in Rebibbia
Sapienza, Goliarda

Tage in Rebibbia


ausgezeichnet

Die Universität

Dieses Buch von 1983 (L’Università di Rebibbia), erstmals in Deutsch vorliegend, bietet die Möglichkeit eine bedeutende Schriftstellerin aus Italien wieder zu entdecken.

Ein gutes Vorwort, aus dem die Liebe zur Literatur hervorgeht, macht eine sinnige Vorstellung und Einführung in das Buch.

Die damals als Schriftstellerin noch unbekannte Goliarda Sapienza berichtet in diesem Buch von ihren Gefängniserfahrungen. 3 Monate war sie wegen Diebstahl eingesperrt.
Mit ihr gemeinsam lernen wir die Abläufe und die anderen inhaftierten Frauen n Rebibbba kennen.

Ein autofiktionaler Text, der den Leser durch die intime Erzählstimme sofort ins geschehen zieht. Das ist durchaus beeindruckend.

Bewertung vom 10.04.2022
Auf der Zunge
Clement, Jennifer

Auf der Zunge


sehr gut

Kein klassischer Roman

Jennifer Clement ist eine amerikanische Schriftstellerin, die mit Auf der Zunge ein ungewöhnliches Buch vorgelegt hat. Es hat etwas traumhaftes, ein Sprachexperiment.
Es wurde von Nicolai von Schweder-Schreiner aus dem amerikanischen Englisch übersetzt.

Eine Frau streift durch Manhattan. Damit ist das Buch ein klassischer New York-Roman. Manhattan spielt hier die Hauptrolle.
Allerdings ist er sprachlich auf einem hohen Ton gehalten. Das muss man erst einmal aushalten können.
Die namenlose Frau ist Bibliothekarin. Kein Wunder, dass sie im Verlaufe des Buches auch in der antiquarischen Buchhandlung The Strand landet. Ein Erlebnis an Büchervielfalt, dass jeder der mal da war, wohl nicht mehr vergisst.

Es gibt in den Kapitel jeweils kurze Passagen hoher Intensität, in dem die Frau wie in einem Traum verschiedenen Männern begegnet. Es begleitet sie der Verlust ihrer Ehe.
Vielleicht ist auch das der Grund für die Fantasien der Frau, die sich verschiedenes mit den Männern erträumt. Sie begegnet den verschiedensten Männern: Dem Arzt, dem Dichter, dem Polizisten usw.
Begegnungen können Risiken sein, aber die Frau hat keine Angst und lässt sich auf alles ein. Das wirkt schließlich wie ein Reigen und sie imaginiert sogar eine Zeit des 19.,Jahrhunderts.

Zwar ist Auf der Zunge kein Roman, der eine geradlinige Geschichte erzählt, aber es gibt viele poetische Passagen und ich schätze die Risikobereitschaft des Romans.

Das Buch bleibt bis zum Schluss eigenwillig und gibt keine einfachen Antworten auf unbekannte Fragen.

Bewertung vom 10.04.2022
Die Knochenleser
Ross, Jacob

Die Knochenleser


ausgezeichnet

Karibische Momente

Die Knochenleser ist vom Aufbau her alles andere als ein konventioneller Krimi.
Das ungewöhnliche und reizvolle des Romans ist der Schauplatz auf einer Insel der Kleinen Antillen, die an Grenada erinnert.
Außerdem ist das Buch für mich in erster Linie ein Entwicklungsroman.
Michael »Digger« Digson hat Fähigkeiten, ist aber zunächst arbeitslos und alleine, bis ihn ein Detective namens Chilman entdeckt und ihn in seine Truppe integriert und ausbildet.
Das Verhältnis zwischen Chilman und Digger ist rau aber herzlich, wenn auch manchmal zynisch. Es ist das eines großen Talents und seines Förderers. Digger erhält eine Ausbildung zum Forensiker. Nach seiner Rückkehr übernimmt er einen Fall eines jungen Mannes, der vermisst wird. Weitere Fälle folgen und dann gibt es noch seine persönliche Suche nach der Mutter, die verschwunden war, als er noch ein Kind war.
Der dann eigentlich zentrale Fall um den Tod eines Diakon hat so einige Geheimnisse, die auch in die Vergangenheit führen und wirklich dunkle Motive beinhaltet.

Beeindruckend, wie der in Grenada geborene Schriftsteller Jacob Ross Diggers Entwicklung zum guten Polizisten als Prozess zeigt.
Dem Autor gelingt es außerdem eine Reihe origineller „Typen“ zu entwerfen, dabei ist nach guter hardboiled-Manier eine ordentliche
Portion Ironie bei den Dialogen dabei.

Ich kann Die Knochenleser uneingeschränkt empfehlen.

Bewertung vom 08.04.2022
A Song of Wraiths and Ruin. Die Spiele von Solstasia / Das Reich von Sonande Bd.1
Brown, Roseanne A.

A Song of Wraiths and Ruin. Die Spiele von Solstasia / Das Reich von Sonande Bd.1


gut

Malik und Karina

Roseanne A. Brown hat mit A Song of Wraiths and Ruin einen farbenprächtigen Fantasyroman mit gutem Worldbuilding vorgelegt Das Buch ist mit zwei tragenden Hauptfiguren ausgestattet: Malik und Karina, die jeweils in abwechselnden Kapiteln im Mittelpunkt stehen. Sie begegnen sich anfangs noch nicht, werden aber bald auf unheilvolle Art miteinander verbunden sein. Malik soll Prinzessin Karina töten, um seine entführte kleine Schwester zu retten. Ehrlich gesagt fand ich diesen Aspekt zu konstruiert. Das hätte ich mir raffinierter gewünscht.
Malik und Karina sind keine schlechten Figuren, tragen aber deutliche Young Adult-Züge und sind etwas zu unterkomplex.
Vielleicht ist auch die ganze Handlung nicht wichtig genug, das mich das Buch wirklich fesseln konnte. Dennoch gibt es natürlich viele sehr gut verfasste Passagen, die für sich genommen überzeugen können und der Roman entwickelt sich mit der Zeit.
Aber den nächsten Teil werde ich wahrscheinlich nicht lesen.

Bewertung vom 08.04.2022
Chopinhof-Blues
Silber, Anna

Chopinhof-Blues


sehr gut

3 Paare

Der Roman hat eine ganze Reihe von ungefähr gleich wichtigen Figuren, als da sind:
Katja und Tilo
Adam und Aniko
Esra und Magda

Es werden jeweils in Kapitel wechselnd die Geschichten dieser Personen erzählt bis sie am Ende zusammenkommen. Schauplätze sind Wien und Berlin.
Die Form des regelmäßigen Wechsel lässt die unterschiedlichen Geschichten gleichwertig werden.
Mich interessierte dennoch zunächst die Geschichte um die türkisch-deutsche Journalistin Esra am meisten, die in Honduras schlechte Erfahrungen machte und Gewalt durch die kriminelle Vereinigung der Maras erfuhr.
Aber auch der Ungarn stammende Ádám und seine Beziehung zu seiner Frau Aniko sind gut geschildert.
Die Handlung um Katja und Tilo, deren Probleme aus einer schweren Kindheit stammen, brauchte ein wenig, um sich zu entfalten.
In Wien treffen die Figuren sich dann, aber richtig verbunden werden die Storys dadurch nicht. Aber das muss ja auch nicht sein.

Anna Silbers Debütroman ist gut lesbar.

Bewertung vom 06.04.2022
Wovon wir träumen (eBook, ePUB)
Hierse, Lin

Wovon wir träumen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Die Protagonistin ist in Deutschland geboren, doch ihre Mutter wanderte einst aus China aus. Jetzt kehren sie zur Beerdigung der Großmutter für kurze Zeit nach Shaoxing in China zurück.
Für ich ist das Buch in erster Linie eine Mutter-Tochter-Geschichte, die von der Migrationserfahrung der Mutter geprägt ist.
Sie sind stark und liebevoll miteinander verbunden, aber es gibt auch Auseinandersetzungen. Das Gefühl zwischen den Wurzeln aus China und dem Leben in Berlin zerrieben zu werden, beschäftigt die Hauptfigur und Lin Hierse drückt das auch durch Traumbeschreibungen aus. Die Träume prägen die Form des Romans stark mit, aber natürlich gibt es auch viele reale Kapitel.
Es ist sprachlich sorgfältig gestaltet.
Es gibt überhaupt viele gute Beschreibungen und der emotionale Zustand der Protagonistin wird deutlich. Es ist auch ein großes Porträt der Mutter aus Sicht der Tochter.
Ein guter Debütroman einer vielversprechenden Autorin mit bemerkenswerter Erzählstimme.

Bewertung vom 05.04.2022
Wenn unsere Welt zerspringt (eBook, ePUB)
Sedira, Samira

Wenn unsere Welt zerspringt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Gerichtsdrama

Eine furchtbare Gewalttat, bei der eine ganze Familie, darunter drei Kinder, ermordet wurde.
Das Buch folgt der Frage, wie es dazu kommen konnte.
Erzählt wird die Geschichte von Anna, der Frau des Mörders, die ebenfalls fassungslos von der Tat ist. Sie bleibt aber durchgehend sachlich und analysierend.
Die Handlung spielt lange Zeit vor Gericht mit vielen Rückblicken, die im französische Bergdorf handeln. Der Stil von Samira Sedira ist faszinierend gemacht und inhaltlich wirklich packend.

Ein Zitat von Leila Slimani über dieses Buch weckt Assoziationen zu ihrem Roman „Dann schlaf auch du“. Kein schlechter Vergleich und die Leserschaft dieses Buches könnte sich auch für „Wenn unserer Welt zerspringt“ interessieren.