Bewertungen

Insgesamt 577 Bewertungen
Bewertung vom 29.08.2007
Ruhelos
William Boyd

Ruhelos


weniger gut

Das Bemühen einen spannenden Spionagethriller zu schreiben, ist William Boyd nicht abzusprechen. Doch allzu deutlich treten die Scharniere hervor, die seine Geschichte zusammenhallten. Unglaubwürdig zum Beispiel die Anwerbung der Eva Delektorskaja, die angeblich das Werk ihres Bruders fortsetzen soll. Es gibt zu viele solcher Drehpunkte und Unausgewogenem in der Handlung, die den Figuren förmlich aufgepfropft werden, um die Geschichte in eine bestimmte Richtung zu drängen. Die Ausstattung des bösen geheimnisvollen Lucas Romer ist nicht überzeugend. Wenn man voraussetzen will, daß eine Tochter plötzlich aus den tagebuchartigen Schriften ihrer Mutter ihre wahre Identität angesichts deren Bedrohung entblättert, fragt man sich, warum diese Naivität im Aufbau? Warum so viel durchsichtige Konstruktion? Boyd stellt sich dem Genre wie ein Handwerker, was nicht heißt, daß es schöne und spannende Passagen im Roman gibt. Doch als Ganzes gesehen erinnert es einen an ein sonntagnachmittägliches Fernsehspiel, das Geschmack auf das große Abendprogramm macht. Wer Zum Nachtisch Krieg oder Stars und Bars von ihm kennt, weiß zu welch geschlossener Erzählweise dieser Autor fähig ist. Mit Ruhelos bleibt er irgendwo dort stecken, wo man sich als Autor ein bestimmtes Thema aufzugreifen vornimmt, sich beweisen will, daß man ein bestimmtes Genre beherrscht, und nicht bemerkt, daß man sich selbst der spielerische Leichtigkeit beraubt, die einen sonst sprachlich wie im großen Erzählbogen auszeichnet.
Polar aus Aachen

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.08.2007
Die Brooklyn-Revue
Auster, Paul

Die Brooklyn-Revue


ausgezeichnet

Das Sammeln von menschlichen Torheiten gehört zu Paul Austers Steckenpferden. Angeblich schneidet er sie aus der Zeitung aus und heftet sie ab, bis sie sich für ihn zu einer Geschichte zusammensetzen. Mit Nathan Glass und Tom Wood schafft Auster wieder eines jener intellektuellen Paare, denen die faszinierensten Geschichten widerfahren oder zugetragen werden. Der eine wartet auf den Tod, der andere auf den großen Coup. Allein, wie sie in einem Hotel bei Stanley Chowder stranden, erinnert an Austers beste Romane, in denen das unwegsam Menschliche stets leger beschrieben wird, in denen Niederlagen angenommen und verwandelt werden. Austers Romane sind ein Spinnennetz kleinster Geschichten, auf deren Fäden die Tragikkomödie spielt.
Polar aus Aachen

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.08.2007
Träumer
Adair, Gilbert

Träumer


sehr gut

Zu Zeiten der Revolution, selbst einer 68er, kann es schon mal vorkommen, daß die Leidenschaft Kapriolen schlägt, daß die Helden für einen Moment den Umsturz vergessen, sich ins Private zurückziehen und einen eigenen Kosmos aufmachen. Théo, Isabelle und Matthew, ein Geschwisterpaar und ein amerikanischer Student verstehen sich auf Filme und es ist kein Wunder, daß sie ihr eigenes Leben wie im Film inszenieren. Das sexuelle Erwachen ist geprägt von Lust und Begierde, die sie als Konserve in dunklen Sälen vorgefunden haben und gleichzeitig auch ein Erwachsenwerden in einer Welt, die sich draußen vor den Mauern der elterlichen Wohnung rasant verändert. Durch einen Pflasterstein kehrt die Welt in das Leben der Drei zurück und am Ende war es nur ein Innehalten, bevor sich die Geschwister zumindest den sturmumwölkten 68igern wieder anschließen. Träumer von Gilbert Adair läßt die damalige Zeit auferstehen und sein kurzer Roman wirkt wie ein Seufzer auf eine verblaßte Welt.
Polar aus Aachen

Bewertung vom 28.08.2007
Reisen im Skriptorium
Auster, Paul

Reisen im Skriptorium


schlecht

Paul Auster hat einen Roman geschrieben, in dem Paul Auster nicht vorkommt. Schafft es der Autor in seinen besten Romanen verschiedene Geschichten leicht ineinander zu verschränken und in mysteriösen Zusammenhang zu stellen, bemerkt man in Reisen im Skriptorium vor allem eins: die Anstrengung. Zwar liebt der Autor das Spiel mit den Identitäten seiner Romanhelden, doch diesmal kommt seine Geschichte eines alten Mannes, die sich teilweise in einem Raum und im Kopf abspielen soll, bleischwer daher. Zu Anfang schafft er eine beckettsche Atmosphäre, die einen geübten Austerleser in ihrer Bedeutungsschwere überrascht. Dann ärgert man sich, weil je weiter die Geschichte voranschreitet, alles außen vor bleibt. Austers Bemühen, eine nicht vorhandene Geschichte, in eine zu verwandeln, überdeutlich hervortritt. Was als Vexierspiel angekündigt ist, entblättert sich in einer politischer Fabel, die von vielen Autoren spannender, treffender, stilistisch besser beschrieben wurde, in der Schwere eines gebrechlichen Mannes, mit seinem Schicksal zurechtzukommen und in klischeehaften Vorstellungen von sexueller Erleichterung. Mr. Blanks sprechender Name lavierend zwischen Alzheimer und Erinnerungsvermögen läßt uns ratlos zurück. Schon bei Timbuktu überraschte der Autor mit einem Buch, daß man nur zu Ende las, weil sein Name darauf stand, und man nicht glauben konnte, in welchen erzählerischen Abgrund er sich gewagt hatte. Auch am Ende von Reisen im Skriptorium kann man nur hoffen, daß solche Entwürfe in der Schublade liegen, damit danach wieder ein großer Roman erscheint. Wie der Witz von dem Mann, der sich regelmäßig drei Whiskey bestellt, um mit seinen abwesenden Brüdern zusammen zu trinken, ist die Pointe dieses Romans längst erzählt und wird durch die Wiederholung nicht besser.
Polar aus Aachen

1 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.08.2007
Die Brücke über die Drina
Andric, Ivo

Die Brücke über die Drina


ausgezeichnet

Wie viele Reportagen, Nachrichtenbeiträge, Hintergrundberichte, persönliche Dokumentationen gab es über Kroaten, Serben, Kosovo-Albaner, Bosniaken und Mazedonier? Und wann begann der Moment, wo sie an Nachrichtenwert in den hinteren Reihen verschwanden? Vor dem Vergessen bewahren uns Bücher. Die besten Romane schaffen es, durch ihre an die Historie gebundene Fiktion tieferen Einblick in einen Konflikt zu geben, als es Fakten vermögen. Wer den tiefen Haß zwischen den Bevölkerungsgruppen verstehen will, ist bei Die Brücke über die Drina gut aufgehoben. Ivo Andric zeigt Verfolgung von beiden Seiten, sie führt zum einen Tal hinaus und kehrt aus derselben Richtung zurück. Dabei trifft es Moslems wie Christen wird keine Glaubensrichtung ausgelassen, bis der Haß über die Generationen so tief verwurzelt ist, daß er sich in Progromen äußert. Die Widersprüche, die dabei auftauchen, sind so allgegenwärtig, daß sich keine der Seiten vor ihr sicher fühlen dürfen. Versöhnung findet da statt, wo man auf seiner Seite beginnt, über die eigenen Fehler nachzudenken. Erst dann ist man bereit zu vergeben. Ein beeindruckender Roman, nach dem man die Drina und alle anderen Flüße dort anders betrachtet. Die Menschen sowieso. Sie sind nämlich nicht soweit von uns weg, als daß uns ihre Verblendung nicht bekannt vorkäme.
Polar aus Aachen

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.