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Bories vom Berg
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Bewertungen

Insgesamt 832 Bewertungen
Bewertung vom 01.11.2016
Die Witwen
Leupold, Dagmar

Die Witwen


weniger gut

Kein Highlight

Bis auf die Longlist des Buchpreises 2016 hat es Dagmar Leupolds neuer Roman «Die Witwen» geschafft, weiter allerdings nicht. Mit der Ergänzung «Ein Abenteuerroman» und seinem frechen Cover mit engelsgleichen Frauengestalten lädt dieses Buch geradezu zum Lesen ein, verspricht doch beides eine vergnügliche Lektüre. Nach «Edmond» von 1992 und «Unter der Hand» von 2013, ihrem letzten Roman, war ich doch sehr gespannt, ob der neue ähnlich forsch und charmant erzählt ist, eventuell gar eine Steigerung darstellt gegenüber den zwei anderen Romanen. Ich wurde, um es gleich vorweg zu sagen, ziemlich enttäuscht.

Ein glückverheißendes Kleeblatt sind jene vier Schulfreundinnen aus Berlin, die auch nach dem Abitur eng befreundet bleiben. Penelope heiratet und folgt ihrem Mann Otto an die Mosel, wo die Schwiegereltern ein Weingut mit angeschlossenem Gasthaus betreiben. Sie haben einen Sohn, ihr Glück scheint perfekt, bis eines Tages Otto von einer Dienstreise nach Fernost nicht zurückkommt, er bleibt spurlos verschollen. Penny, wie die Freundinnen sie nennen, stellt keine Nachforschungen an, selbst nach vielen Jahren kann sie sich nicht dazu durchringen, ihn für tot erklären zu lassen. Sie ist de facto Witwe, de jure nicht, aber sie will dies einfach nicht wahrhaben, ignoriert hartnäckig die offensichtliche Realität. Nach und nach folgen ihr die drei anderen Freundinnen aus der quirligen Großstadt in den beschaulichen Winzerort Steinbronn. Sie wollen ihr Leben entschleunigen, zu sich selbst finden in der idyllischen Umgebung. Auch sie sind ohne Mann, waren nie verheiratet, haben sich beruflich als Gärtnerin, Joga-Lehrerin und Logopädin selbstständig gemacht und sich behaglich, aber illusionslos in ihrem Singledasein eingerichtet. Die vier unzertrennlichen Freundinnen verharren antriebslos in einer Art Wartestand, ohne recht zu wissen, worauf genau sie denn warten.

Eines Tages jedoch wachen sie auf aus ihrer Lethargie und beschließen spontan, mit dem Auto eine Reise ins Blaue zu machen. Da keine von ihnen den Führerschein hat, suchen sie einen Chauffeur, der den Mietwagen fahren soll, und entscheiden sich unter den Bewerbern einstimmig für Bendix, ein vor sich hin lebender Privatier aus dem Ort, geistreich aber wortkarg, ebenfalls alleinlebend, ebenfalls mit sich selbst nicht im Reinen. Es geht die Mosel aufwärts zum Col de Bussang, zur Moselquelle. Bei einer Panne in einsamer Lage der Vogesen beginnt eine der Frauen plötzlich von sich zu erzählen, und nacheinander legen alle vier eine schonungslose Lebensbeichte ab, reden sich wie im Rausch ihren Frust von der Seele. Die intime Beichte der Frauen offenbart ihre Verletzlichkeit, enthüllt Verdrängtes, zeigt die harte Realität ihrer so unterschiedlichen Lebensgeschichten auf, ihre zerplatzten Träume, ihre Illusionen über Männer, die sich stets als Enttäuschung erweisen.

Und auch ihr Chauffeur Bendix wird nachdenklich, hinterfragt grübelnd sein Einsiedlerdasein: «Er wollte von der Welt nicht mehr wissen als ein Säugling. Er wollte vergessen, was Angst war. Ja, das war die Schrebergartenfantasie, der Entwurf eines Gärtleins aus Wohlbehagen mit Rabatten, deren Geradlinigkeit wildgezackte Unruhen vertrieben. Und bucklicht Männlein auch. Und Lumpensammler. Auch Engel hatten dort nichts verlorenen.» Man wird mit lebensklugen Reflexionen konfrontiert, von Dagmar Leupold in einer amüsant saloppen Weise gekonnt erzählt, oft verblüffend direkt formuliert, ihrem sehr persönlichen Stil folgend. All das ist durchaus erfreulich zu lesen. Nicht gelungen jedoch sind die Figuren, alle Protagonisten bleiben merkwürdig blutarm, man kommt ihnen nicht näher, Sympathie gar entwickelt sich nicht zu ihnen. Und was den Plot anbelangt, so konnte er mich ebenfalls nicht überzeugen, zu weit herbeigeholt und konstruiert wirkt dieses Abenteuer, über das da so munter berichtet wird. Schade eigentlich, die Geschichte hätte von der Idee her das Potential zu einem lesenswerteren Roman gehabt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.10.2016
Unterleuten
Zeh, Juli

Unterleuten


gut

Lucy Finkbeiner lässt grüßen

Man darf ihn als Opus magnum von Juli Zeh bezeichnen, den neuen Roman mit dem wunderbar deskriptiven, originellen Titel «Unterleuten». Eine Gesellschaftsroman also, wobei es sich hier um Leute einer fiktiven dörflichen Gemeinschaft in Brandenburg handelt. Man schreibe, hat sich die Autorin mal geäußert, immer nur über das, was nicht klappt, und zwar, soweit es ihr Schreiben betreffe, ohne Intention. Und so ist es denn auch, ihr ambitionierter Dorfroman ist ein klug angelegtes Epos vom Scheitern, ganz ohne Botschaft. Und er ist wahrlich keine Hymne auf das Landleben, obwohl das ja nahegelegen hätte bei einer Autorin, die persönlich auch «Landflucht» begangen hat. Es sind Phänomene der Zeit, mit denen sich die politisch engagierte und streitbare Autorin vornehmlich auseinandersetzt, hier speziell das komplizierte Spannungsgeflecht im Mikrokosmos eines überschaubaren Soziotops aus Einheimischen und Zugezogenen in der Nähe Berlins.

Die zeitlich im Sommer 2010 angesiedelte Geschichte weist ein vielköpfiges Ensemble von Figuren auf, deren jeweiliges Agieren kapitelweise wechselnd erzählt wird. Als Protagonist ist dabei der ehemalige Großgrundbesitzer Gombrowski dominant, der nach den Enteignungen durch die DDR Vorsitzender der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft von Unterleuten wurde und nach der Wende dann Chef der neugegründeten Ökologica GmbH, die aus dieser LPG hervorging. Er ist nicht nur der größte Arbeitgeber im Dorf, er hält auch alle Fäden in der Hand in einem nur von wenigen Eingeweihten durchschaubaren, virtuosen Wechselspiel von gegenseitigen Abhängigkeiten der Dorfbewohner. Man regelt in diesen Kreisen alle Angelegenheiten unter sich, die Obrigkeit wird nicht gebraucht beim Austarieren von Forderungen und Gegenforderungen, die oft auch mit brutaler Gewalt geregelt werden.

In diesem literarischen Panoptikum fehlt weder der unbelehrbare Altkommunist noch die geldgierige Heuschrecke, die toughe Pferdeflüsterin aus der Villa Kunterbunt, ein zum Vogelschützer mutierter Soziologe, der gewalttätige Autoschrauber als Gombrowskis Mann fürs Grobe, die demente Oma mit zwanzig Katzen, der wirklichkeitsferne Nerd, der marionettenhaft im Dienste Gombrowskis handelnde Bürgermeister, um nur die Wichtigsten zu nennen. Bei dieser sich großenteils schon während der DDR-Zeit gebildeten Gemengelage wirkt der projektierte und politisch stark forcierte Bau einer Windkraftanlage wie die Lunte am Pulverfass, es kommt zu diversen Konflikten aller Beteiligten, und beteiligt ist in dem kleinen Dorf letztendlich jeder. Und alle scheitern am Ende auch, wie wir in einem Epilog der eigentlichen Autorin von «Unterleuten», der Journalistin Lucy Finkbeiner erfahren, in dem sie kurz die Vorgeschichte ihres uns vorliegenden Romans und das weitere Schicksal ihrer Figuren über das Romanende hinaus skizziert. Eine ähnliche Camouflage benutzt Juli Zeh auch, indem sie die «Pferdefrau» in ihren Handlungsstrategien gläubig dem real existierenden Ratgeberbuch «Dein Erfolg» von Manfred Gortz folgen lässt, ein in Wahrheit aber von ihr selbst unter Pseudonym geschriebenes Werk, das «sofort als Satire erkennbar» sei, wie sie angemerkt hat.

Gegensatzpaare wie Natur/Technik, Ossis/Wessis, Reiche/Habenichtse, Landvolk/Großstädter, Utopisten/Ewiggestrige kennzeichnen das Geschehen, und immer wieder gibt es trotzdem Zweckallianzen, - aus jeweils knallhartem Kalkül, Empathie ist nirgendwo im Spiel bei alldem. Der extrem handlungsorientierte Roman wird sprachlich betont sachlich und distanziert erzählt. An verblüffend vielen stimmigen Details erkennt man Juli Zehs äußerst penible Recherchearbeit, in ihrem Plot konzentriert sie sich ansonsten weitgehend auf die psychologischen Aspekte ihrer diversen Figuren. Ihr journalistisch nüchterner Text - Lucy Finkbeiner lässt grüßen - zeichnet gekonnt ein zeitkritisches Stimmungsbild der Gegenwart, zum wirklich großen Roman aber fehlt ihm das entscheidende Quantum Emotionalität.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.10.2016
Wohin der Wind uns weht
Ricardo Pedro, João

Wohin der Wind uns weht


gut

Kein Klassiker in spe

Der im portugiesischen Original 2012 erschienene Debütroman von João Ricardo Pedro erhielt in der deutschen Übersetzung den deskriptiven Titel «Wohin der Wind uns weht». In einem kleinen Epos wird die Geschichte der Familie Mendes erzählt, drei Generationen umfassend bis in die Gegenwart und gespiegelt an den politischen Geschehnissen dieser Zeit. Der Autor, als Ingenieur arbeitslos geworden, hat dazu erklärt: «Ich war kein guter Ingenieur. Denn ich dachte die ganze Zeit an Literatur. Darum wurde ich wahrscheinlich auch entlassen. Aber das bot mir die Gelegenheit zu schreiben.» Die Rezeption seines Erstlings war allenthalben positiv, euphorisch wurde ihm von der portugiesischen Wochenzeitung Expresso gar ein Platz unter den Klassikern der Weltliteratur prognostiziert. Ein Wunder also, oder übertriebene Lobhudelei?

Zeitlich effektvoll startet die Geschichte am 25. April 1974, dem Beginn der Nelkenrevolution, mit der sich die Portugiesen von einer mehr als vierzigjährigen Rechtsdiktatur befreit haben. An diesem Tage «schnallte sich Celestino weit vor sieben Uhr den Patronengürtel um, schulterte die Browning, prüfte, ob er noch Tabak und Blättchen hatte, vergaß die Uhr an dem Nagel, wo außerdem ein Kalender hing, und verließ das Haus.» Vierzig Jahre zuvor hatte Großvater Augusto Mendes, auf der Suche nach dem einfachen Leben, seinem Freund Policarpio dessen verfallenes Haus in einem abgelegenen Gebirgsdorf Zentralportugals abgekauft und sich dort als Arzt niedergelassen. Er hatte damals dem Freiheitskämpfer Celestino bei sich Unterschlupf gewährt, ihm mit einem Glasauge neuen Lebensmut gegeben, aber jetzt hat ihn das Schicksal doch noch erreicht, er wird ermordet aufgefunden. Es gehört zu den Eigenarten dieses fragmentarisch erzählten Romans, dass auch diese nur unvollständig skizzierte Episode gleich zu Beginn erst ganz am Ende noch mal kurz erwähnt wird, Näheres erfährt man auch dort nicht. Von Policarpio wiederum bekommt Augusto jedes Jahr einen Brief, lückenlos vierzig Jahre lang, er schreibt aus aller Herren Länder, von allen Kontinenten, und führt offensichtlich ein abenteuerliches Leben.

Diese Briefe bilden eine lose Klammer im Plot und spielen auch am Ende eine Rolle, tragen ein wenig bei zu Klärung offener Fragen, von denen es viele gibt in diesem Roman. Zentrale Figur darin ist Duarte, Enkel von Augusto Mendes, ein lebensuntüchtiger Außenseiter, gleichzeitig aber auch musikalisches Wunderkind. Sehr bald aber wendet er sich von Mozart ab, mag irgendwann dann auch Beethoven nicht mehr, zuletzt sogar Bach. Er hasst plötzlich die Musik, hasst sein pianistisches Talent, kann dem dadurch entstandenen Erwartungsdruck nicht standhalten und beendet abrupt seine Karriere. «Nicht ich habe angefangen, Klavier zu spielen. Das waren meine Hände» erklärt er lapidar seinen Sinneswandel. Sein Vater Antonio wiederum kehrt als psychisches Wrack aus dem Kolonialkrieg in Afrika zurück und ist erstaunt, dass seine Frau ihn mit dem kleinen Duarte am Kai erwartet.

Episodenhaft präsentiert Pedro uns ein wahres Labyrinth an Erinnerungsspuren in wunderbar poetischen Bildern, jedes Kapitel hat bei ihm seinen eigenen Stil. Ein schönes Beispiel dafür ist die berührende Episode der beinamputierten Malerin mit dem blauen Kopftuch, die sich in dem Ölgemälde «Der Kampf zwischen Karneval und Fasten» von Pieter Bruegel wiedererkennt. Eine spezifisch portugiesische Melancholie, erklärt der fabulierfreudige Autor, «die wir Saudade nennen und welche die Menschen prägt», kennzeichne seine Prosa. Zuweilen aber fällt sie auch dezent ironisch aus und ist dann amüsant zu lesen, auch wenn sie mir sprachlich nicht immer wirklich gelungen erscheint. Durch eine extrem fragmentarische Erzählweise, kryptische Anspielungen und komplizierte Verschachtelungen des Plots entstehen störende Verständnislücken, die auch mit viel Phantasie und Intuition kaum zu füllen sind. Zum Klassiker dürfte dieses eigenwillige Werk wohl kaum taugen!

Bewertung vom 09.10.2016
Du bist ich
Aiken, Joan

Du bist ich


schlecht

Im Prinzip Kitsch

Manchen Autoren ist es in die Wiege gelegt, schriftstellerisch tätig zu werden, bei Joan Aiken waren gleich beide Elternteile bekannte Schriftsteller, wen wundert es da, wenn sie schon als Kind anfing zu schreiben. Zu ihrem literarisch breit gefächerten Prosawerk mit mehr als sechzig veröffentlichten Büchern gehört neben vielen Erzählbänden auch der Roman «Deception» von 1987, in Deutschland unter dem Titel «Du bist Ich» mit dem Untertitel «Die Geschichte einer Täuschung» erschienen. Zu Joan Aikens Vorbildern gehörten die Brontë-Schwestern und insbesondere Jane Austen, allein fünf Fortsetzungsromane und einen abschließenden Ergänzungsband hat sie in deren Stil geschrieben. Und so fühlt man sich als Leser schon nach wenigen Seiten dieser zeitlich im frühen 19. Jahrhundert angesiedelten Geschichte, als lese man einen der typischen Romane aus jener literarischen Epoche, hier allerdings aus einer modernen Perspektive geschrieben, mit einem deutlich erkennbaren Distanziertheit also.

«Allen schreibenden Frauen in Vergangenheit und Gegenwart» sei dieser Roman zugeeignet, ist dem Roman als Widmung vorangestellt, und so hat denn auch prompt die junge Protagonistin Alvey schriftstellerische Ambitionen, sie schreibt an einem Roman. Die Mitschülerin Louise aus dem Mädchenpensionat, die ihr zum verwechseln ähnlich sieht, konfrontiert sie zum Schulabschluss mit einem ungewöhnlichen Vorschlag: Sie möge mit ihr die Identität wechseln, an ihrer Stelle auf das Landgut der Eltern zurückkehren, die Eltern hätten sie vier Jahre lang nicht gesehen und würden die Täuschung nicht bemerken. Ihren Lebenstraum, als Missionarin nach Übersee zu gehen, würden die Eltern unerbittlich ablehnen, deswegen habe sie diesen Plan entwickelt. Alvay, ohne familiäre Bindungen und mittellos einer ungewissen Zukunft entgegensehend, stimmt nach einigem Zögern zu.

Auf dem Landgut im äußersten Norden Englands findet sich Avey nun plötzlich in eine große Familie eingebunden, deren verzwickte, unheilvolle Situation durch die aberwitzigen Figuren selbst bedingt ist. Zum typischen Personal gehören der depressive Gutsbesitzer, dessen gefühlskalte Frau, die nur ihren Garten liebt, und viele Kinder, alle zusammen - jeder auf seine Art - schwierige Charaktere, verstockt, verschroben, einfältig. Das Familienleben dieser äußerst skurrilen Romanfiguren bildet im Wesentlichen den Stoff für eine turbulente Handlung, die kein Klischee auslässt, man kennt dergleichen als Leser zu Genüge. Alveys schriftstellerische Tätigkeit bildet darin einen fiktiven Rahmen, Joan Aiken bindet ihn als Nebenstrang immer wieder mit ein in den Plot. «Wie ist es anderen Menschen möglich» lässt sie an einer Stelle ihre Heldin zum Beispiel grübeln, «die Monotonie des täglichen Lebens auszuhalten, wenn sie keinen Roman im Kopf haben?» Und da auch dies, wie so vieles in diesem Roman, vorhersehbar ist, verrate ich hier kein Geheimnis: Natürlich wird Alveys Buch am Ende ein Riesenerfolg.

Ist dieser Roman also Kitsch, ein süßlicher Frauenroman mit vorhersehbaren Konstellationen, seinen bekannten Vorbildern entsprechend? Im Prinzip ja, könnte man mit Radio Eriwan sagen, aber seine Entstehungszeit ist eine andere und damit auch der Grundton, in dem er geschrieben ist. Die Rolle der Frau wird kritisch hinterfragt in der Figur der Alvey, sie ist nicht mehr automatisch für Heim und Herd bestimmt, kann sich selbst verwirklichen als erfolgreiche Autorin. Und ob sie je heiraten wird, ist ebenfalls nicht vorbestimmt für sie, daran verschwendet sie kaum einen Gedanken. Selbst das glückselige Landleben scheint nicht die einzig erstrebenswerte Lebensform zu sein, Alvey erlebt Newcastle als quirlige Stadt voller Leben und Wohlstand, geschichtsträchtig zudem bis in die Römerzeit zurückreichend. Dialogreich und stilistisch uninspiriert erzählt, bietet dieser Roman allenfalls für Genreleser ansprechende Unterhaltung, literarische Raffinesse findet sich hier ebenso wenig wie Kontemplatives.

Bewertung vom 01.10.2016
Das Pfingstwunder
Lewitscharoff, Sibylle

Das Pfingstwunder


gut

Herrgottzack

Dantes Hauptwerk «La divina commedia» liefert im Wesentlichen den Stoff für den neuen Roman «Das Pfingstwunder» von Sibylle Lewitscharoff. Die Büchner-Preisträgerin lässt deutlich Ihre Vorliebe für anspruchsvolle Sujets erkennen, die sie im Stil des magischen Realismus in Prosa umsetzt, geschrieben in einer mit kreativen Wortbildungen überreich ausgeschmückten, angenehm zu lesenden Sprache. Urheber der gewaltigen Bilderflut, die sie damit beim Leser erzeugt, ist zum großen Teil Dante Alighieri, dessen «Göttliche Komödie» in über fünfzig deutschen Übersetzungen erschienen ist und hinter der Bibel weltweit den Platz zwei der meistverbreiteten literarischen Werke einnimmt. Ein Jahrtausendwerk, das hier derart umfangreich zitiert und kommentiert, erklärt und gedeutet wird, dass man fast schon von einem episch ergänzten populär-wissenschaftlichen Buch sprechen könnte. Und genau darin liegt, wie ich meine, auch dessen eigentlicher Wert, denn Hand aufs Herz: Welcher heutige Romanleser hat Dante denn wirklich gelesen?

Äußerer Rahmen der Handlung ist ein internationaler Kongress von Danteforschern, der in einem prächtigen Saal des Malteserordens auf dem Aventin in Rom stattfindet. Dort haben sich vierunddreißig Wissenschaftler aus der ganzen Welt zu ihrem jährlichen Treffen versammelt, um sich an den drei Tagen vor Pfingstsonntag 2013 in Vorträgen und Diskussionen über die «Commedia» auszutauschen. Ich-Erzähler in diesem Roman ist der deutsche Tagungsteilnehmer Gottlieb Elsheimer, zweiundsechzig Jahre alt, Professor für Romanistik in Frankfurt, der es nach eigenem Bekunden «als Dante-Gelehrter zu einigem Ansehen gebracht hat, allerdings in einer sehr überschaubaren Gemeinde». Seine «ziemlich abgebrüht» scheinende Selbstsicherheit jedoch hat arg gelitten seit diesem Kongress: «Was vor wenigen Tagen in Rom geschah, hat jedoch alles über den Haufen geworfen».

Als nämlich gegen Ende der Tagung mit vielen exzellenten Vorträgen, die auch Elsheimer als bereichernd empfand, die Glocken des Vatikans Pfingsten einläuten, geraten die Teilnehmer in eine unerklärliche Euphorie, sprechen plötzlich in vielen Muttersprachen wild durcheinander und verstehen einander trotzdem. In der Apostelgeschichte des Neuen Testaments wird berichtet, dass mit der Ausgießung des Heiligen Geistes durch Jesus die versammelten Jünger auf einmal in fremden Sprachen reden konnten, ein Wunder war geschehen, wichtige Voraussetzung für ihre christliche Mission. Auf dem Aventin war ebenfalls eine Art Pfingstwunder geschehen, nur dass hier die Teilnehmer, berauscht von Dantes Visionen, schließlich auch noch ekstatisch auf die Fensterbretter steigen, hinaushüpfen und den Gesetzen der Schwerkraft trotzend auf Nimmerwiedersehen ins Jenseits entschweben. Als einziger nicht diesem orgiastischen Rausch Erlegener bleibt Elsheimer zurück, er grübelt fortan, was ausgerechnet ihn denn ausgeschlossen habe.

Die Autorin ist als studierte Religionswissenschaftlerin bei diesem Stoff fürwahr in ihrem Element, ergeht sich in vielen klugen Reflexionen über die aus heutiger Sicht naive Darstellung Dantes, seine rigorosen, spätmittelalterlichen Vorstellungen. Die vielen historischen Figuren, denen Dante unter Führung Vergils im Jenseits begegnet, werden in Elsheimers Erzählung ergänzt um neuzeitliche Sünder von Stauffenberg bis Snowden, die Dantes rigider Klassifizierung der Sünder keinesfalls unterworfen werden dürften. Ob der Leser dieses Buch nun als Einführung in das berühmteste Werk Dantes auffasst oder es als ironisch erzählte Gelehrtensatire liest, sprachlich kommt er wie schon erwähnt voll auf seine Kosten. Das tröstet dann auch über einige Längen hinweg, die den Lesegenuss früher oder später zu schmälern beginnen, weil die danteverliebte Autorin sich unentwegt gar zu ausführlich in den Strukturen mittelalterlicher Jenseitsvorstellungen verliert. Im Roman ruft sich Elsheimer aus gleichartigen Abschweifungen meist auf gut schwäbisch zurück: «Herrgottzack!»

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.09.2016
Die Welt hinter Dukla
Stasiuk, Andrzej

Die Welt hinter Dukla


weniger gut

Transzendentale Herausforderung

Mit dem im Original 1997 erschienenen Roman «Die Welt hinter Dukla» wurde der polnische Schriftsteller, Literaturkritiker und Journalist Andrzej Stasiuk drei Jahre später schlagartig auch dem deutschen Lesepublikum bekannt, sein Buch wurde 2008 sogar in die Anthologie «Hundert große Romane des 20. Jahrhunderts» der Süddeutsche Zeitung aufgenommen. Zu Recht? Fragt man sich, denn die Rezeption war zwiespältig, einig war sich die Kritik nur darin, dass die Lektüre anstrengend und der Roman weitgehend handlungslos sei.

«Um vier Uhr früh hebt die Nacht langsam ihren schwarzen Hintern, steht vollgefressen vom Tisch auf und geht schlafen. Die Luft ist wie kalte Tinte, sie fließt die Asphaltwege herab, zerläuft und gerinnt zu schwarzen Seen. Es ist Sonntag, die Menschen schlafen noch, und deshalb sollte diese Erzählung keine Handlung haben, kein Ding kann schließlich andere Dinge verdecken, wenn wir zum Nichts streben, zu der Feststellung, dass die Welt nur eine vorübergehende Störung ist im freien Fluss des Lichts.» Dieser Romananfang bestätigt die Adjektive «anstrengend» und «handlungslos» eindrucksvoll, über die Mühe des Lesens vermittelt der zitierte Text einen Eindruck, insbesondere wenn man weiß, so geht es weiter bis zum Schluss, und die fehlende Handlung wird hier explizit durch den Autor bestätigt.

Der Romantitel ist metaphorisch zu verstehen, er weist darauf hin, dass die polnische Kleinstadt Dukla für den Ich-Erzähler mehr ist als ein verschlafenes Provinznest am Rande der Karpaten, er sucht nichts weniger als deren Genius loci, benutzt den Ort als Projektionsfläche transzendenter Betrachtungen. «Ich komme immer wieder in dieses Dukla zurück, um es bei unterschiedlichem Licht, zu unterschiedlichen Tageszeiten anzusehen.» Diese nicht enden wollende Spurensuche nach der eigenen Kindheit, nach magischen Orten, nach dem Geist der Schutzpatronin Amalia von Brühl, deren Sarkophag er immer wieder besucht, ist der eigentliche Gegenstand dieses Erzählbandes. Die wenigen den Roman bevölkernden Figuren bleiben konturlos wie der Ich-Erzähler selbst, man erfährt so gut wie nichts von ihnen, und sie agieren auch nicht. Aus allen Himmelsrichtungen kommend, mit verschiedenen Verkehrsmitteln, zu verschiedenen Jahreszeiten, zu verschiedenen Stunden des Tages, bei Licht und bei Dunkelheit, stets münden diese Besuche in tiefsinnige Beschreibungen von Straßen, Plätzen, Gebäuden, der umgebenden Natur, lebender und toter Materie, behandeln existenzielle Fragen in einer nimmermüden Suche nach dem Sinn hinter alldem.

«Schon immer wollte ich ein Buch über das Licht schreiben.» lässt uns der Erzähler wissen, «Ich wüsste nichts, was mehr an die Ewigkeit erinnert». Das Vergehen der Zeit ist sein Thema, seine rastlose Erinnerungsarbeit kreist um philosophische Grundfragen unserer Existenz. Diese anspruchsvolle Thematik ist sprachlich metaphernreich umgesetzt in Textblöcke ohne inhaltlichen Zusammenhang oder erkennbare Gliederung. Ein breit dahinströmender Gedankenfluss, der den Leser zu häufigen Denkpausen zwingt, will er all den Bildern folgen, die da so zahlreich heraufbeschworen werden. «Das Bild, der Zwillingsbruder unseres Verstandes, wird uns überleben» lautet die Erkenntnis. Auf den letzten Seiten wird die unkonventionelle, zu nichts hinführende Erzählweise konkreter, in kurzen Kapiteln wird von einem glücklosen Viehhirten, verschiedenen Tieren, Wetterphänomenen, zuletzt vom Himmel erzählt, auf dem sich weiße Wolken zeigen. «Sie sehen aus wir Knochen, wie eine zerstreute, nebulöse Wirbelsäule. Denn so wird es ganz am Ende sein. Sogar die Wolken werden verschwinden, nur das himmelblaue, grenzenlose Auge wird bleiben über den Resten.» Ob tollkühne Metaphorik und transzendente Reflexionen allein den Leser zufrieden stellen können, muss jeder für sich entscheiden. Ich jedenfalls war enttäuscht, auch die gekonnte Poetik des schmalen Erzählbandes konnte da literarisch nichts mehr retten.

Bewertung vom 17.09.2016
Das Zentrum
Saramago, José

Das Zentrum


sehr gut

Heraus aus Platons Höhle

Innerhalb seines umfangreichen Œuvres zählt «Das Zentrum» des Nobelpreisträgers José Saramago zu den besonders stark von Symbolik geprägten Romanen. Nach «Die Stadt der Blinden» und «Alle Namen» ist dies der dritte Roman des Portugiesen, den ich gelesen habe, erschienen im Jahre 2000 und damit aus der selben Schaffensperiode stammend wie die beiden anderen. Kennzeichnend für die Themen dieses Schriftstellers und auch hier die Handlung prägend ist die tiefe Humanität, die seine Geschichte ausstrahlt, seine unbeirrte Zuversicht zudem, in jedem Menschen stecke auch ein guter Kern. Trotz kafkaesk anmutender Szenen in einer menschenfeindlichen Administration gelingt es seinen Figuren, kleine Leute allesamt, sich in diesem Spannungsfeld zu behaupten, eine schützende Nische für sich zu finden und im Übrigen die Hoffnung niemals aufzugeben.

Titelgebend für den Roman ist ein molochartig wachsender Geschäftskomplex, der eine Stadt in der Stadt bildet als riesiges Einkaufszentrum einschließlich Vergnügungspark und Wohnsilo. Der verwitwete, 64jährige Töpfer Cipriano beliefert dieses Zentrum mit Tongeschirr, sein Schwiegersohn arbeitet dort als Wachmann. Mit beißender Ironie schildert Saramago die nur dem Profit verpflichteten Verhältnisse in diesem Konsumtempel, - die rüden Geschäftsmethoden, die aberwitzigen Attraktionen des Vergnügungsparks und die entmenschlicht anmutenden Bedingungen für die dort wohnenden Mitarbeiter. Ein gigantisches Plakat an der Fassade kündet von dem Geist, der da herrscht: «Wir würden ihnen alles verkaufen, was sie brauchen, wenn es uns nicht lieber wäre, sie würden alles brauchen, was wir ihnen verkaufen können.» Saramagos sarkastische Kapitalismuskritik weitet sich zu einer umfassenden Kritik der modernen Gesellschaft, wenn er die Lieferfahrten von der Töpferwerkstatt ins Zentrum schildert, vom idyllischen Dorf auf dem Lande über die trostlosen Außenbezirke mit ihren endlosen, plastiküberspannten Gemüsefeldern und den verwahrlosten Vorstadtregionen bis ins Verkehrsgetöse der unwirtlichen Großstadt.

Mit der Kündigung des Liefervertrages steht Cipriano vor dem Aus, sein Versuch, das Zentrum nunmehr mit bemalten Tonfiguren zu beliefern, scheitert ebenfalls, alle seine Mühen waren umsonst. Als dem Schwiegersohn eine Dienstwohnung im Zentrum zugewiesen wird, in die er ebenfalls mit umziehen wird, ist für ihn und die schwangere Tochter das Töpferleben endgültig beendet. Eine später bei Erdarbeiten entdeckte, streng bewachte Höhle unter dem Zentrum erweckt seine Neugier, er steigt verbotener Weise hinab und findet dort sechs Tote. Das sind wir, erkennt er hellsichtig. Was folgt ist eine dem Höhlengleichnis von Platon entsprechende Allegorie auf den befreienden Ausstieg aus der Welt der vergänglichen Trugbilder in eine Welt des unverfälschten Seins. Er kehrt spontan in sein Haus zurück, erklärt sich endlich der ihn liebenden Nachbarin, der Schwiegersohn kündigt sein Dienstverhältnis und verlässt mit seiner Frau die gefängnisartige Wohnwabe. Alle Vier brechen auf in ein neues Leben, fahren mit dem klapprigen Lieferwagen hinaus in die Welt, einem unbestimmten Ziel entgegen.

In unnachahmlicher Weise hat der Autor seinen nachdenklich machenden Roman mit klugen Reflexionen, Andeutungen und Symbolen angereichert. Seine Figuren sind äußerst sympathisch und verblüffend lebensklug, was sich in den vielen köstlichen, nahtlos in den Erzählfluss eingebetteten Dialogen niederschlägt, die fiktiv sogar den zugelaufenen Hund mit einbeziehen. Immer wieder auch muss man schmunzeln über den feinsinnigen, hintergründigen Humor des Autors, der seinem Plot mit allerlei überraschenden Wendungen die nötige Spannung verleiht und so die Mutmaßungen des Lesers als auktorialer Erzähler schelmisch konterkariert. Der letzte Satz des Romans zitiert das neueste Plakat des Zentrums: «Baldige Eröffnung der Platonschen Höhle, Exklusiv-Erlebnis, einzigartig auf der ganzen Welt, kaufen sie jetzt ihre Eintrittskarte.»

Bewertung vom 13.09.2016
Fallensteller
Stanisic, Sasa

Fallensteller


weniger gut

Katzenjammer inklusive

Mit dem Erzählband «Fallensteller» ist nach zwei erfolgreichen Romanen von Saša Stanišić nun ein drittes Prosawerk erschienen. Der deutschsprachige Autor mit bosnischen Wurzeln erweist sich auch hier als sprachlicher Zauberer, und so ist es sicher kein Zufall, dass gleich seine erste Erzählung von einem Magier handelt, Irreales und Mystisches ist nun mal sein bevorzugtes Sujet. Was die Fallen anbelangt, so läuft auch der Leser Gefahr, dem Autor auf den Leim zu gehen, sich mit Witz und allerlei Tricks hineinlocken zu lassen in Geschichten, die sich als Fallen erweisen, in denen man stecken bleibt, wo es nicht weitergeht, weil man falschen Fährten gefolgt ist.

Freddie, der Fantastische, dilettiert als Magier auf der Weihnachtsfeier des Sägewerks seiner Familie, aber das Publikum ist anderweitig beschäftigt. Die zweite Geschichte führt uns in einen Billard-Salon, wo allerlei skurrile Typen um Geld spielen und ein Russe trickreich absahnt. Es gibt unter den zwölf Geschichten zwei trilogieartig zusammengehörige, Protagonist ist in der einen ein schriftstellerisch ambitionierter Justitiar einer Brauereigesellschaft, dem die Sprache sich zuweilen verweigert, der neben sich selbst steht auf einer Reise nach Rio. Wundersamer Weise gelangt er dann unvermittelt nach Bukarest auf einen Germanistenkongress. Auf die Frage, warum er eigentlich dort sei, heißt es im Buch: «Weil er sich gern verwechseln und entführen ließ. Weil er als der, der er dann war, nicht mehr dorthin musste, wohin er als der, der er gewesen war, gemusst hätte». In der zweiten Trilogie reist eine Ich-Erzählerin mit ihrem Freund Mo um die Welt, sie erleben allerlei Abenteuer in einer aberwitzig erscheinenden Geschichte, bei der sie zum Beispiel in Stockholm einer syrischen Surrealistin ein Gemälde klauen, das Mo dann seinem Vater verkaufen will, «oder sonst wem».

Der Inhalt all dieser Erzählungen entzieht sich hartnäckig dem Versuch, ihn kurz zusammenfassend einigermaßen stimmig wiederzugeben. Genau daran aber erkennt man als Rezensent - und ziemlich früh auch als Leser, dass diese Sammlung von skurrilen Abenteuer- und Reise-Erzählungen nichts anderes enthält als surreale Parabeln, die sich jeder rationalen Deutung entziehen. So spielen Tiere zum Beispiel in der titelgebenden, mit knapp 90 Seiten dominant längsten Erzählung «Fallensteller», eine bedeutende Rolle, wobei sie wie im Märchen selbstverständlich sprechen können. Was im Kontext der ebenso eigenartigen wie eigensinnigen Prosa dieses trickreichen Autors aber nicht weiter verwundert, es gibt derlei Überraschungen zuhauf, literarische Zauberei eben!

Stanišić beherrscht seinen dem Magischen Realismus zuzurechnenden Schreibstil souverän, er ist ein ebenso kreativer Wortschöpfer wie listenreicher Situationsarrangeur mit Sinn für Tragisches, Sentimentales, das er perfekt hinter absurd Komischem versteckt. Und all das spielt sich in verschiedenen reizvollen Milieus ab, seine Geschichten behandeln zudem vorwiegend existenzielle Themen. Bei aller durchschimmernden Empathie erscheinen seine Figuren jedoch merkwürdig konturlos, blutarm geradezu. Im Gedächtnis bleibt nach dem Lesen, so war es bei mir jedenfalls, nur der in Reimen sprechende Fallensteller, eine dem Rattenfänger von Hameln nachempfundene, sympathische Figur, der Inbegriff des Gauklers. Die stilistische Souveränität des Autors, seine sprachliche Brillanz vor allem, erscheint mir effekthascherisch auf Pointen hin optimiert, - das ist auf Dauer einfach zuviel des Guten. Die altklug verbreitete, subjektive Weltsicht dieses selbstverliebt Schreibenden, sein Bild der Gegenwart, weist eine merkwürdige, um nicht zu sagen abartige Färbung auf. Bleibt anzumerken, dass die schelmisch erzählten Geschichten geradezu überbordend von Sprachwitz daher kommen und dem Leser somit doch Einiges an Lesespaß bieten. Man kehrt schließlich wie nach einem Drogenrausch in die Realität zurück, Katzenjammer inklusive.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.