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Raumzeitreisender
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Ahaus
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 743 Bewertungen
Bewertung vom 19.07.2016
Das Kartengeheimnis
Gaarder, Jostein

Das Kartengeheimnis


ausgezeichnet

Eine Reise in die Welt der Philosophie

Das Buch besteht aus mehreren kunstvoll verschachtelten Geschichten. Die Rahmenhandlung: Ein Vater fährt mit seinem zwölfjährigen Sohn Hans-Thomas von Norwegen nach Griechenland, um seine Frau zu suchen. Sie hat ihn vor acht Jahren verlassen, um nach Athen zu reisen und dort ein neues Leben zu beginnen. Wer Jostein Gaarder kennt, ahnt bereits, dass „Das Kartengeheimnis“ mit Philosophie zu tun hat. Die Reise führt nicht nur geographisch, sondern auch thematisch, ins Zentrum der Philosophie.

Auf ihrer Reise haben sie Aufenthalt in einem kleinen Schweizer Bergdorf. Dort begegnet Hans-Thomas dem ortsansässigen Bäcker. Er erhält von ihm ein mysteriöses Buch, welches eine Art Sippengeschichte beinhaltet. Es handelt sich um Aufzeichnungen des Bäckers, die für Hans-Thomas bestimmt sind. Das Buch beschreibt eine Geschichte, die vor zweihundert Jahren mit einem Schiffbruch begann und einen jungen Seemann auf eine magische Insel führte. Spätestens an dieser Stelle gleitet die Geschichte über ins Fantastische, denn die seltsamen Bewohner der Insel sind das Produkt der Fantasie des einsamen Seemanns. Was ist das Besondere an dieser rätselhaften Insel? In der virtuellen Inselwelt werden die gleichen existenziellen Fragen erörtert, wie auf der realen Fahrt nach Griechenland.

Im weiteren Verlauf werden die Handlungsfäden auf wundersame Weise miteinander verwoben. Die Grenzen zwischen imaginärer und realer Welt verschwimmen. Philosophische Fragen werden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und der Joker, eine geheimnisvolle Gestalt aus dem Buch des Bäckers, spielt dabei eine besondere Rolle. Er durchbricht die natürliche Ordnung von Raum und Zeit und überschreitet unterschiedliche Welten. Er ist Sinnbild für den Drang der Menschheit nach Erkenntnis.

Das Buch wirkt ausgereift und wohl durchdacht. Jostein Gaarder ist ein erfahrener Schreiber, der genau weiß, wie er die Fantasie der Leser anregen und gleichzeitig Wissen vermitteln kann. Ähnlich wie „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupery oder „Die Möwe Jonathan“ von Richard Bach ist „Das Kartengeheimnis“ aufgrund seiner Aussagen ein zeitloses Werk und für jede Altersgruppe geeignet.

Bewertung vom 19.07.2016
Die Schwalben von Kabul
Khadra, Yasmina

Die Schwalben von Kabul


sehr gut

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Yasmina Khadra beleuchtet in seinem Roman das Schicksal zweier Paare im Kabul der Taliban. Mohsen Ramat und seine Frau Zunaira gehören zur gebildeten Gesellschaftsschicht. Ihre Beziehung funktioniert, da sie sich trotz der Widrigkeiten des Alltags gegenseitig respektieren. Sie haben sich einen Rest an Kultiviertheit bewahrt und hoffen auf diese Weise die notwendige Kraft zu schöpfen, die Zeit der Unterdrückung zu überwinden.

Gefängniswärter Atiq Shaukat und seine Frau Mussarat sind, so wie viele Menschen ihrer Gesellschaft, orientierungslos und zermürbt. Sie gehören zu den einfachen Leuten, denen es nur noch darum geht, ihren Alltag zu überstehen. Träume sind ihnen fremd. Atiq ist verzweifelt und ratlos, da seine Frau schwer krank ist. Was bedeutet das in einem Land, in dem Frauen unterdrückt werden? Das Frauenbild in Afghanistan wird an vielen Stellen des Romans deutlich.

Die Wege der Protagonisten sind schicksalhaft miteinander verknüpft. Kann es in dieser eisigen Atmosphäre Mitgefühl und Liebe geben? Das selbstlose Verhalten von Mussarat in einer schwierigen Situation lässt Hoffnung aufkommen, Hoffnung für ein unterdrücktes Volk, die schwere Zeit zu überwinden.

„Die Schwalben von Kabul“ ist ein eindringlicher Roman. Die Leser werden von der Atmosphäre gefangen genommen. Die Beschreibungen wirken authentisch, sie überzeugen. Die Unterdrückung der Menschen in dem totalitären Afghanistan ist auf jeder Seite des Romans deutlich spürbar. Synonym für die Einschüchterungen ist die Peitsche, deren Gebrauch in Kabul zum Alltag gehört.

Yasmina Khadra ist das Pseudonym des 1955 geborenen algerischen Autors Mohammed Moulessehoul. Als hoher Offizier der algerischen Armee konnte er dieses Pseudonym erst lüften, als er im Jahr 2001 ins Exil nach Frankreich ging.

Bewertung vom 19.07.2016
Hildegard von Bingen
Büchner, Christine

Hildegard von Bingen


sehr gut

Porträt einer außergewöhnlichen Frau

Hildegard von Bingen gilt als bedeutende Frau des Mittelalters. Sie wird mit Begriffen wie „Natur und Gesundheit“ oder „Einklang von Körper und Seele“ in Verbindung gebracht. Zu Lebzeiten wurde sie als Ratgeberin respektiert; bis heute gilt sie als Identifikationsfigur. Wie hat sie es geschafft, in der kulturell und religiös recht schwierigen Zeit des Mittelalters, gesellschaftlich aufzusteigen?

Christine Büchner beschreibt ihre Kindheit, ihr gesellschaftliches Umfeld und die Reformzeit des zwölften Jahrhunderts. Hildegards Eltern, adelig und wohlhabend, bestimmen für sie ein Leben in einem Kloster. Sie ist ein besonderer Mensch mit spiritueller Begabung und so ist genau dies ihr Weg. Hildegard wird Nonne und gründet später gegen große Widerstände das Kloster Rupertsberg. Sie schreibt Bücher, komponiert Lieder und beschäftigt sich mit Naturheilverfahren. Sie ist freundlich aber bestimmt und verfolgt beharrlich ihre Ziele. Ihre Visionen geben ihr eine Richtung und prägen ihren Glauben. Der eigene Wille sei in den Dienst des kosmischen Gleichgewichts zu stellen. Alles habe seinen Platz und dies müsse respektiert werden, sonst könne die Natur sich auch gegen den Menschen wenden. Zu ihren Schwächen zählen insbesondere ihre Bemühungen, die weitere Karriere ihrer Freundin Richardis von Stade zu verhindern, weil sie diese nicht an ein anderes Kloster abgeben will.

Die Frage, warum Hildegard von Bingen so berühmt wurde, kann Autorin Büchner nicht wirklich beantworten. Sie war nicht der einzige Mensch mit Visionen und auch der fachkundige Umgang mit Kräutern dürfte im Mittelalter verbreitet gewesen sein. Vielleicht war es ihre Anerkennung durch den Papst und ihre Korrespondenz mit wichtigen Würdenträgern ihrer Zeit, die ihre Karriere beflügelt haben. Das Buch zeigt Facetten ihres Lebensweges auf. Es hätte ergänzt werden können um eine Zeittafel über wichtige Stationen ihres Lebens. Ansonsten halte ich es für informativ und lesenswert.

Bewertung vom 19.07.2016
Der Feind im Schatten / Kurt Wallander Bd.10
Mankell, Henning

Der Feind im Schatten / Kurt Wallander Bd.10


sehr gut

Der letzte Wallander – Das Ende einer Ära

Was ist mit Kurt Wallander los? Alt, vergesslich, melancholisch – ein Schatten seiner selbst. Kein Held. Aber ein Held, wie er in Kitschromanen vorkommt, war er nie. Darum lieben ihn die Leser. Er ist immer Mensch geblieben, mit all seinen Schwächen. Seine Stärke ist seine untrügliche Intuition.

Henning Mankell erzählt eine undurchsichtige Agentengeschichte, in die Protagonist Wallander in doppelter Funktion, sowohl privat als auch beruflich, involviert ist. Håkan von Enke, ehemaliger U-Boot-Kommandant und Schwiegervater seiner Tochter Linda, verschwindet spurlos. Es geht um Landesverrat – eine alte Geschichte aus Zeiten des Kalten Krieges. Aber das ist nur eine Facette dieses spannenden Krimis.

„Der Feind im Schatten“ erfüllt eine Doppelfunktion. Es ist einerseits eine Agentengeschichte und andererseits das Lebensresümee von Kurt Wallander. Es ist nicht das beste Buch von Mankell, aber auch nicht das schlechteste. Unzweifelhaft handelt es sich um den persönlichsten Wallander, gespickt mit zahlreichen Erinnerungsfetzen und Begegnungen mit Menschen aus seiner Vergangenheit. Der Titel „Der Feind im Schatten“ ist Metapher sowohl für die vordergründige Agentengeschichte als auch für Protagonist Wallanders weitere Entwicklung.

Für Wallander-Fans ist dieser Roman Pflichtlektüre, anderen Lesern würde ich zunächst frühere Werke von Henning Mankell empfehlen, z.B. „Die weiße Löwin“ oder „Hunde von Riga“. „Der Feind im Schatten“ vermittelt – anders als frühere Werke – eine melancholische Stimmung. Aber das ist kein Problem. Henning Mankell hat sich das Recht herausgenommen in seinem letzten Wallander-Roman (auch) dessen Geschichte zu erzählen, und das ist nach neun hoch spannenden Krimis okay so.

Bewertung vom 19.07.2016
Das Glück in glücksfernen Zeiten
Genazino, Wilhelm

Das Glück in glücksfernen Zeiten


sehr gut

Glück ist relativ oder Das Scheitern eines Glückssuchers

Wilhelm Genazino beschreibt in seinen Werken Lebenskünstler, Tagträumer und gescheiterte Existenzen. Es gelingt ihm auf unnachahmliche Weise, ungewöhnliche Charaktere zu entwickeln. Typisch für seinen Stil sind ausführliche Beschreibungen von Nebensächlichkeiten, meist Beobachtungen von Banalitäten.

Gerhard Warlich ist kein Lebenskünstler, wie der Protagonist in „Ein Regenschirm für diesen Tag“ und auch kein emotional gleichgültiger Mensch wie Dieter Rotmund in „Mittelmäßiges Heimweh“. Er ist ein unangepasster Melancholiker, der sich im Alltag nicht überarbeiten möchte und in schwierigen Zeiten Freiheit und Unabhängigkeit sucht, die er mit Glück gleichsetzt.

Seine Welt gerät aus den Fugen, als seine Freundin ein Kind von ihm haben will. Mit dieser Situation ist er überfordert. Seine latent vorhandene Verrücktheit bahnt sich einen Weg an die Oberfläche. Er verspürt den Drang, nicht mehr das zu tun, was von ihm erwartet wird und wird sozial auffällig. Ist der Protagonist eine gescheiterte Existenz? So einfach liegen die Dinge nicht. Der Preis für ein bisschen Wahlfreiheit kann hoch sein; Warlich bleibt seinen Prinzipien treu. Glück ist relativ, wie schon der Titel des Buches verspricht.

Autor Genazino ist wieder einmal eine facettenreiche Charakterstudie gelungen. Auch wenn Ähnlichkeiten zu seinen früheren Werken erkennbar sind (Beobachtungsgabe des Protagonisten, Ich-Erzähler, zufällige Begegnungen mit früheren Bekannten), handelt es sich um einen unterhaltsamen Roman, den ich empfehlen kann.

Bewertung vom 19.07.2016
Ihr werdet sein wie Gott
Fromm, Erich

Ihr werdet sein wie Gott


ausgezeichnet

Die Befreiung des Menschen

In diesem Buch setzt sich Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm mit dem Alten Testament (AT) auseinander und zwar auf eine nicht-theologische Art und Weise. Nach seiner Auffassung geht es im AT um die Befreiung des Menschen. Er selbst ist weder Christ noch praktizierender Jude. Seine Interpretation des AT ist die des radikalen Humanismus.

Er betrachtet das AT nicht als Wort Gottes, sondern geschichtswissenschaftlich als ein Buch, das von unterschiedlichen Menschen, die in unterschiedlichen Zeiten gelebt haben, verfasst wurde. Dennoch hält er das AT für ein außergewöhnliches Werk, in dem viele Normen und Prinzipien zum Ausdruck kommen, die die Zeiten überdauert haben. Die Autoren müssen sehr weise gewesen sein.

Es geht nach Fromm im AT um das Bemühen der Menschheit - durch den Erwerb von Selbst-Bewusstsein bzw. Erkenntnis einst symbolisch aus dem Paradies vertrieben - die Verantwortung für ihr Leben und dessen gesellschaftliche Bedingungen selbst zu übernehmen und aktiv zu verändern. Der Mensch entwickelt sich von einem gehorsamen Diener hin zu einem freien Menschen, der seine Geschichte selbst schreibt. Mit dieser Freiheit kann er nur klarkommen, wenn er mit seinen Mitmenschen und mit der Natur zur Harmonie (zurück)gelangen kann.

Von diesem Ideal sind wir weit entfernt und die Frage sei erlaubt, ob diese Aufgabe den Menschen nicht überfordert. Unabhängig davon gehört “Ihr werdet sein wie Gott“ zu den Klassikern, die man gelesen haben sollte. In meinen wenigen Zeilen kann ich nur einen minimalen Eindruck von dem vermitteln, was Erich Fromm in seinem Werk zum Ausdruck bringt. Es ist kein Schmöker, sondern ein Buch, mit dem man sich auseinandersetzen muss.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 18.07.2016
Darwin heute
Neukamm, Martin;Lesch, Harald;Schuster, Peter

Darwin heute


ausgezeichnet

„Nichts in der Biologie macht Sinn außer im Lichte der Evolution“

In „Darwin heute“ steht das interdisziplinäre Konzept der Evolution im Fokus. Die Bioevolution deckt in diesem Sinne nur einen Teilbereich der Entwicklung neuer Systemeigenschaften ab. Evolution gilt heute als tragendes Element eines modernen Weltbildes und so benennt Gerhard Vollmer in seinem Beitrag eine Vielzahl wissenschaftlicher Bereiche, die unter dem Begriff Evolution subsumiert werden können. (19)

Gibt es eine allgemeine Evolutionstheorie, Prinzipien, die interdisziplinär gültig sind? Vollmer stellt kurz Theorien von Daniel Dennett, Enrico Coen, Gerhard Schurz und Peter Mersch vor, wobei ihm letztere am ehesten zusagt, da Mersch ein geeignetes Abstraktionsniveau für eine universelle Evolutionstheorie gefunden hat.

Josef M. Gassner und Harald Lesch stellen das aktuelle kosmologische Weltbild vor. Sie beschreiben den Urknall als empirisch gesicherte Tatsache, wenngleich es in den Belegen wesentliche Lücken gibt (Dunkle Materie, Dunkle Energie). Dennoch gilt der Urknall mangels erklärungsmächtigerer Alternativen als Standardmodell der Kosmologie.

Die Evolutionäre Entwicklungsbiologie, kurz Evo-Devo, untersucht, wie sich die Steuerung der Individualentwicklung der Lebewesen (Ontogenese) in der Evolution entwickelt hat. Martin Neukamm beschreibt, was Evo-Devo heute leistet. Er liefert Erklärungen für den evolutionären Gestaltwandel.

„Weshalb ist die mineralische Zusammensetzung von Blut und Meerwasser auffallend ähnlich?“, ist eine der Fragen, denen Martin Neukamm und Peter M. Kaiser in ihrem Beitrag zur chemischen Evolution auf den Grund gehen. Eine plausible Erklärung bietet einzig die Evolution.

Eine relativ neues Wissenschaftsgebiet ist die Evolutionäre Bioinformatik. (126) Mittels computergestützter Modelle werden stammesgeschichtlich alte DNA- und Protein-Sequenzen rekonstruiert. Ziel ist es u.a., die Bedingungen in den früheren Ozeanen zu ermitteln, die aufgrund bisheriger Gesteinsanalysen kein einheitliches Bild abgeben.

Ein weiteres Themengebiet ist die Evolutionäre Biotechnologie, mit der sich Peter Schuster in seinem Beitrag beschäftigt. Im Fokus stehen molekulare Modellsysteme, die experimentell realisiert und theoretisch analysiert werden können.

Ressourcenknappheit führt zu Konflikten hinsichtlich der Investments in die drei Lebensbereiche Selbsterhalt, Wachstum und Reproduktion. Umwelteinflüsse beeinflussen die Entscheidungen und diese die Lebensverläufe. Charlotte Störmer und Eckart Voland beschäftigen sich mit der Theorie zur Evolution der Lebensgeschichte.

Andreas Beyer erläutert anhand des rückläufigen Kehlkopfnervs, der nicht den direkten Weg nimmt, sondern über einen Umweg vom Hirn zum Kehlkopf verläuft, wie Anpassung in der Evolution funktioniert.

Ein übergreifendes Thema bearbeitet Bernulf Kanitscheider, wenn er eine Brücke schlägt zwischen Ethik und Naturalismus. Er macht deutlich, dass ein starres Festhalten an Regeln, welche angeblich transzendenten Ursprungs sind, vielfach ins Unheil geführt hat. Werte sind keine autonomen Entitäten, sondern dienen dem Überleben. Der Mensch ist aus evolutionärer Sicht kein unbeschriebenes Blatt und Ethik ist zeitabhängig und situativ zu sehen.

In „Darwin heute“ liegt der Fokus auf dem interdisziplinären Konzept der Evolution. In einer Rezension können nur einige wenige Gedanken angerissen werden. Zu Wort kommen Experten ihrer Disziplinen, denen es auch gelingt, das Konzept der Evolution prägnant zum Ausdruck zu bringen. In den verschiedenen Beiträgen wird nicht nur deutlich, dass die Wissenschaft natürliche Erklärungen sucht, sondern auch, dass diese die plausibelsten Erklärungen sind.

Bewertung vom 18.07.2016
Quantentheorie in 30 Sekunden
Clegg, Brian

Quantentheorie in 30 Sekunden


sehr gut

Die erfolgreichste Theorie aller Zeiten

Können die Leser die Quantentheorie in 30 Sekunden erlernen? Sicherlich nicht. Die zugrunde liegende Physik ist so merkwürdig, dass Albert Einstein, einer der Wegbereiter dieser Theorie, sich Zeit seines Lebens weigerte, die Quantentheorie als gültige Beschreibung der realen Welt anzuerkennen. Dennoch gilt, dass die Quantentheorie bis heute allen Versuchen der Falsifikation standgehalten hat.

Brian Clegg unternimmt mit diesem Buch den Versuch, die Effekte der Quantenphysik einem breiten Publikum verständlich zu machen. Es geht um die Grundlagen der Theorie und der praktischen Anwendung in der Technik. Die Leser lernen die Protagonisten der Quantentheorie kennen einschließlich ihrer Lehren. Die Einzelthemen werden jeweils übersichtlich und gleichartig strukturiert auf einer Seite zusammengefasst.

Die Leser werden mit Begriffen konfrontiert wie „Superposition“, „Komplementarität“, „Quantenverschränkung“, „Dekohärenz“ und „Tunneleffekt“, um nur Beispiele zu benennen. Sie lernen das paradoxe Verhalten der Wellen bzw. Teilchen im Mikrokosmos kennen einschließlich verschiedener Interpretationen der Quantentheorie. Fakt ist, die Wirklichkeit liegt außerhalb unserer Vorstellungswelt.

Auch wenn das Buch wohl strukturiert ist und einen guten Überblick gibt, ähnelt es eher einem Lexikon und weniger einem Werk, welches Wissen im Zusammenhang vermittelt. Ohne Vorkenntnisse ist die Verwirrung groß. Daher empfehle ich zum gleichen Thema eher die zusammenhängende Darstellung „Auf der Suche nach Schrödingers Katze“ von John Gribbin. Hier fließt die historische Entwicklung ein, die für das Verständnis erforderlich ist.

Bewertung vom 18.07.2016
Die Macht des Guten
Goleman, Daniel

Die Macht des Guten


ausgezeichnet

Visionen eines Weltbürgers

Tenzin Gyatso, der Vierzehnte Dalai Lama, gilt als Wiedergeburt des Dreizehnten Dalai Lama, durchlief in seiner Kindheit eine Ausbildung als tibetischer Mönch und wurde im Alter von fünfzehn Jahren als geistiges und weltliches Oberhaupt Tibets ernannt. Nach dem Einmarsch der chinesischen Truppen floh er 1959 nach Indien. Seitdem versucht er aus dem Exil heraus die Situation seiner Landsleute in Tibet zu verbessern.

Daniel Goleman, Psychologe und Wissenschaftsjournalist, ist ein Freund des Dalai Lama und hat zu dessen 80. Geburtstag ein Buch geschrieben, in dem er die Visionen des Dalai Lama für die Menschheit vorstellt. Im Zuge der letzten 50 Jahre ist aus dem tibetischen Führer und Gelehrten ein Weltbürger mit zahlreichen Kontakten geworden.

„Es ist unrealistisch zu meinen, die Zukunft der Menschheit ließe sich mit Gebeten und guten Wünschen gestalten – wir müssen vielmehr aktiv werden und Hand anlegen.“ (7) Diese Meinung des Dalei Lama überrascht, aber zum Einen erweist er sich damit als undogmatischer Denker und zum Zweiten als handlungsorientierter Gestalter. Landesgrenzen sowie Grenzen religiöser oder kultureller Art spielen für ihn nur eine untergeordnete Rolle.

Das Buch ist in vier Abschnitte und zahlreiche Kapitel gegliedert. Im ersten Abschnitt erläutert Goleman, was der Dalai Lama für ein Mensch ist und welche historische Entwicklung ihn geprägt hat. Der Mensch wird anschaulich beschrieben, die Gründe für die chinesische Besetzung Tibets kommen zu kurz. Hier hätte ich mir tiefer gehende Hintergrundinformationen gewünscht.

Der zweite Abschnitt handelt von der Erforschung der Emotionen, von dem Spannungsverhältnis zwischen Gefühlen und Vernunft, von Selbstbeherrschung und Mitgefühl sowie von der wissenschaftlichen Erforschung der Emotionen. Auf diesen Gebieten ist Goleman als Psychologe ein Experte [1] und der Dalai Lama ein einzigartiges Studienobjekt. Für Mitgefühl gibt es gute Gründe und der Autor erklärt warum.

Der Dalai Lama pflegt Kontakte mit politischen Führern, mit sozialen Gruppen, mit Geschäftsleuten und mit Wissenschaftlern, wie im dritten Abschnitt beschrieben wird. Der Wissenschaft steht er sehr aufgeschlossen gegenüber und seit er den Friedensnobelpreis erhalten hat, interessiert sich die Welt auch für ihn. Er erkennt, wie auch schon Stefan Klein [2], dass die Zufriedenheit einer Gesellschaft umso höher liegt, je gleichmäßiger das Vermögen verteilt ist.

Der Dalai Lama denkt und plant langfristig, auch wenn er die Ergebnisse seiner Arbeit selbst nicht mehr erlebt. Er möchte einen Wandel in Richtung Humanismus. „Solange wir uns sagen, dass wir nichts tun können, bleibt alles, wie es ist ....“ (245) Seine Methode ist der gewaltfreie Protest, ein Weg, der Geduld erfordert. „Wer die Welt ändern möchte, …, muss erst einmal in sich selbst etwas ändern.“ (251) Das ist die Quintessenz aus dem vierten Abschnitt.

Der Dalai Lama ist grenzenlos, fast schon naiv, optimistisch. Er glaubt an das Gute in der Welt, auch wenn die Rahmendaten in politischer, wirtschaftlicher und ökologischer Sicht düster sind. Goleman stellt den Dalai Lama so vor, einschließlich seiner Visionen, wie man ihn aus den Medien kennt. Insofern gibt es keine Überraschungen, eher vertiefende Einsichten. Es handelt sich um ein lesenswertes Buch über eine markante Persönlichkeit der Zeitgeschichte.

[1] Daniel Goleman: „Emotionale Intelligenz“
[2] Stefan Klein: „Die Glücksformel“

Bewertung vom 18.07.2016
Die Reise des Ibn Fattuma
Machfus, Nagib

Die Reise des Ibn Fattuma


ausgezeichnet

Utopie vom Glück

Ibn Fattuma, ein aufmerksamer Junge, wächst als Moslem auf. Er wundert sich bald über viele Ungerechtigkeiten in seinem Land. Eines Tages hört er von dem weit entfernten Gaballand, welches das einzige vollkommene Land sei. Aber niemand weiß Genaues über dieses geheimnisvolle Land. Er ist neugierig und so begibt er sich mit einer Karawane auf eine lange Reise durch die Wüste. Er will Weisheit erlangen und der Erste seines Volkes sein, der das geheimnisvolle Gaballand tatsächlich erreicht.

Auf seiner Reise lernt er viele Menschen und unterschiedliche Gesellschaftssysteme kennen. Manche Systeme favorisieren die Freiheit, andere Gerechtigkeit und wieder andere Spiritualität. Zu seinem Kummer stellt er fest, dass keine Gesellschaftsform perfekt ist. Die Reise zum Gaballand ist lang und beschwerlich. Die Reisenden müssen eine Wüste durchqueren und eine Bergkette überwinden. Eines Tages ist in der Ferne das Gaballand erkennbar.

„Die Reise des Ibn Fattuma“ ist eine Parabel über die Möglichkeiten und Schwächen der Menschheit. Das Gaballand entspringt der Sehnsucht nach Vollkommenheit. Der Mensch formt die Welt und schafft Ideologien, die er als Wahrheiten verkauft. Hierfür werden Kriege geführt und Morde begangen. Kein von Menschen entworfenes System ist vergleichbar mit der mystischen Vorstellung des Paradieses. Jede Ideologie vergewaltigt menschliche Wesenszüge und führt zu Unterdrückung und Krieg. Der Krieg verfolgt Ibn Fattuma durch alle Kulturen. Erst auf seiner letzten Station entwickelt er eine Ahnung von einem friedlichen Leben.

Nagib Machfus erweist sich, wie auch bereits in „Spiegelbilder“, als distanzierter Beobachter und Menschenkenner, der mit unterschiedlichen aber gleichwertigen Perspektiven umgehen kann. Vollkommenheit ist im Diesseits nicht erreichbar. Diese fundamentale Erkenntnis ist die Quintessenz aus diesem großartigen Buch, welches man, einmal angelesen, nur ungern zur Seite legt.