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yellowdog

Bewertungen

Insgesamt 2022 Bewertungen
Bewertung vom 18.08.2022
Ein junger Herr aus Neapel / Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero Bd.1
Giovene, Andrea

Ein junger Herr aus Neapel / Die Autobiographie des Giuliano di Sansevero Bd.1


sehr gut

Der junge Herr

Mit "Ein junger Herr aus Neapel" beginnt die 5teilige Autobiographie des Giuliano di Sansevero, die in den sechziger Jahren entstanden ist und den Lebensweg Giuliano di Sansevero zeigt. Es zeigt z.B. seine Internatszeit in einem Benedikterkloster ab ca. 1903.
Später kehrt er auf das elterliche Anwesen zurück und bekommt Privatlehrer. ca. 20 jahre vergehen.

Man merkt, dass das Buch aus den sechziger Jahren stammt, aber das ist ja nicht negativ.
Direkt dramatisch oder handlungsreich wird es nicht, aber die Beschreibungen sind detailliert und ansprechend.
Nicht alles konnte mich gleichermaßen interessieren. Manchmal scheint mir derr Junge bzw. junger Mann zu passiv. Er ist aber offensichtlich eher der abwartende und beobachtende Typ.

Ein schön gestaltetes Buch. Die Übersetzung ist von Moshe Kahn und kommt mir passend vor.
Es dürfte eine literarische Herausforderung werden, vielleicht alle 5 Bände zu lesen. Lohnenswert wäre es sicher.

Bewertung vom 18.08.2022
Doppelleben
Sulzer, Alain Claude

Doppelleben


sehr gut

Bruderliebe

Der erfahrene und routinierte Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer zeichnet sich durch einen hohen Erzählton aus, mit deme r aus der Masse rausragt.
In diesem Buch erzählt er von den bekannten Brüdern Edmond und Jules de Goncourt.
Sie sind auch heute noch berühmt, aber viel über sie habe ich nicht gewusst. Ich denke, Alain Claude Sulzer hat gut recherchiert z.B. auch in den Journalen der Brüder.
Sie waren nicht nur Brüder und Vertraute sondern auch ein Team.
Hinzu kommt mit der Köchin Rose eine wichtige Figur, die fest mit dem Leben der Brüder verbunden war.
Sulzer schafft es, die historischen Persönlichkeiten zu Leben zu erwecken und das 19.Jahrhundert zu vermitteln.

Das Buch ist sowohl Roman wie auch ein wenig Biografie und ist mehr als ordentlich umgesetzt.

Bewertung vom 17.08.2022
Intimitäten
Kitamura, Katie

Intimitäten


sehr gut

Die Dolmetscherin

Die US-amerikanische Schriftstellerin Katie Kitamura, bekannt für ihren vorherigen Roman Trennung, hat einen geschickten und ansprechenden Roman um eine Dolmetscherin geschrieben.
Sie, die auch Icherzählerin ist, ist trotz jungen Alters schon viel in der Welt herumgekommen. Obwohl sie aus New York kommt, fühlt sie sich irgendwie Heimatlos. Jetzt ist sie in Den Haag und dolmetscht für Angeklagte vor dem Gerichtshof. Aktuell ist es ein Kriegsverbrecher, der mal Präsident in einem westafrikanische Staat war.
Gleichzeitig hat sie ihr Liebesleben auch nicht so ganz im Griff. Sie hat was mit einem niederländischen Mann, der verheiratet ist, sie dann aber verlässt. Nicht ohne sie aufzufordern, bis zu seiner Rückkehr in seiner Wohnung zu leben. Doch er kommt nicht zurück und die Kommunikation findet nicht mehr statt.

Als Leser ist man nah an der Figur dran, ohne dass man sie ganz verstehen kann. Dafür ist sie zu verschlossen und gibt nicht viel von sich preis. Man spürt es aber unter der Oberfläche brodeln. Ich denke, sie ist noch auf der Suche nach sich selbst.

Intimitäten war letztes Jahr auf der Barack Obamas 2021 Summer Reading List.
Ein erstaunliches Buch, sowohl von der Handlung als auch von der Sprache.
Sprachlich wirkt es trotz Zurückhaltung elegant.

Bewertung vom 16.08.2022
Ein dunkler Ort / Felix Bruch Bd.1
Goldammer, Frank

Ein dunkler Ort / Felix Bruch Bd.1


sehr gut

Schauer und Bruch

Ich könnte mir vorstellen, dass mit diesem Buch und seiner ungewöhnlichen Hauptfigur einige Leser ihre Probleme haben. Ich aber finde Figuren mit Macken manchmal interessanter und das Team dieses Buches überzeugt mich.

Die 38jährige Polizistin Nicole Schauer kommt aus Hamburg nach Dresden und wird Kollegin von Kommissar Felix Bruch, den sie zunächst ziemlich eigenartig findet. Sein Verhalten ist jedenfalls seltsam, aber Schauer ist nicht auf den Mund gefallen und setzt sich sofort als gleichwertiges Teammitglied durch.
Sie haben auch gleich einen wichtigen Fall. Ein Mädchen ist verschwunden.
Bruch bringt das mit einem Fall von vor zwei Jahren in Verbindung.

Doch Schauer wundert sich immer noch über Bruch. Nicht wenig genervt, will sie den schweigsamen Bruch ausfragen und hinter sein Geheimnis kommen.

Frank Goldammer legt gutes Tempo und eine gewisse Härte vor. Er erinnert mich vom Stil her ein klein wenig an den großartigen Friedrich Ani.

Bewertung vom 16.08.2022
Abgrund
Quintana, Pilar

Abgrund


sehr gut

Pilar Quintana ist eine kolumbianische Autorin, die vorletztes Jahr durch ihren preisgekrönten Roman Hündin aufgefallen war. Im neuen Buch ist ein 8jähriges Mädchen die Erzählerin. Es ist aber keine ungetrübte Kinderperspektive, die Claudia beobachtet voller Sorge die schlechter werdende Beziehung ihrer Eltern. Es sind die frühen Achtziger Jahre und so gibt es nicht nur eine Atmosphäre durch die blühende Fauna sondern auch durch die Zeit.
Der Titel Abgrund bezieht sich aus der Angst des Mädchens, dass sich ihre unglückliche Mutter selbst umbringen könnte.
Beklemmend mit zu verfolgen, die das Mädchen immer mehr in emotionalen Druck gerät.

Abgrund ist anders als der Erfolgsroman Hündin, aber auf seine Art ebenso intensiv.

Bewertung vom 16.08.2022
Lento Violento
Muhar, Maria

Lento Violento


sehr gut

Lento Violento

Depression einer ganzen Generation

Dieser Roman mit dem ungewöhnlichen Cover und für manche vielleicht rätselhaften Titel beschreibt den emotionalen Zustand einiger junger Leute, die stellvertretend für eine Generation sind, die von elektronischer Musik beeinflusst wurde.
Die in Wien lebenden Daniel, Alex und vor allen Ruth sind die Hauptfiguren, die die Depression einer ganzen Generation spüren.

Lento Violeno ist das Musikgenre, das elektronische Dancemusic aus Italien bietet. Gespielt wird das in Clubs, da kommen natürlich gelegentlich auch Drogen hinzu.

Maria Muhar fängt die Stimmung ein, die nicht unbedingt besonders positiv ist, irgendwie auch humorlos. Möglicherweise empfinde ich das auch nur so, da ich nicht zur Zielgruppe gehöre.
Nicht immer verstehe ich die Protagonisten, aber ab und zu blitzt eine Erkenntnis auf.

Die Autorin nutzt einige literarische Kniffe, die auch funktionieren, z.B. tagebuchartige Passagen, der massive Einsatz von Songtexten, Einsprengsel gesellschaftsrelevanter Themen oder Dialogfetzen von Ruth Therapie.
Die geschickte Erzählweise und die literarische Qualität retten den Roman für mich. Der Text entwickelt einen Sound.

Bewertung vom 15.08.2022
Der Geruch von Wut
Clima, Gabriele

Der Geruch von Wut


sehr gut

Ein anderer Zustand der Dinge

Dieses Jugendbuch von Gabriele Clima wurde von Barbara Neeb und Katharina Schmidt aus dem Italienischen übersetzt.

Der Geruch von Wut ist ein gut lesbares, intensives Buch über einen 16jährigen Jungen, der bei einem Unfall seinen Vater verloren hat. Auch er selbst und seine Mutter wurden schwer verletzt. Jetzt ist Alex vollkommen von Wut beherrscht. Er sucht den Fahrer, der den Unfall verursacht hat. Es ist ein Mann namens Moussa Mbaye.
Dafür schließt es sich sogar einer rechtsradikalen Gang, den Black Boys an.

Der sensible Alex ist in vielen Passage im inneren Dialog mit seinem toten Vater. Diese Passagen waren mir ein wenig zu viel, aber auch sie tragen einen wichtigen Teil zur Story bei.

Da immer die Perspektive beim Jungen liegt,. Folgt man seinen verzweifelten Weg, der ihn immer tiefer in Probleme bringt, schließlich auch zu Konflikten mit der Gang.
Das man so nah an die Figur kommt, ist die Qualität des Buches.

Bewertung vom 13.08.2022
Die Rückkehr der Kraniche
Fölck, Romy

Die Rückkehr der Kraniche


ausgezeichnet

In der Marsch verwurzelt

Die Rückkehr der Kraniche ist ein Roman um 4 Frauen und eine Feier des Lebens in der ländlichen Umgebung Norddeutschlands. Diese Feier ist aber keine Verherrlichung, denn auch Beschränkungen des Landlebens werden nicht ausgespart.
Den meisten erzählerischen Raum nehmen die Schwester Grete und Freya ein. Sie kommen wieder zusammen, als die Mutter Wilhemine erkrankte. Auch Gretes Schwester Anne kommt hinzu.

Als Leser fühlt man sich schnell mit diesen Figuren verbunden. Das gilt selbst für die hanseatisch strenge Wilhelmine, die sich jetzt im Alter mit der Hilflosigkeit schwer tut.

Es geht um Erwartungen und Enttäuschungen, wenn sich erträumte Lebensentwürfe nicht erfüllen. Aber es kann auch neue Chancen geben.

Romy Fölck hat einen wunderbaren Roman geschrieben, der durch das Mitfühlen mit den Figuren und tollen Naturbeschreibungen geprägt ist.

Bewertung vom 10.08.2022
Die Hennakünstlerin / Jaipur Bd.1
Joshi, Alka

Die Hennakünstlerin / Jaipur Bd.1


ausgezeichnet

Schwestern in Jaipur

Alka Joshis Roman Die Hennakünstlerin führt uns nach Indien im Jahr 1955. Das Land hat die Unabhängigkeit erreicht. Eine spannende Zeit.
Im Mittelpunkt steht die geheimnisvolle Lakshmi, die mit ihren Henna-Malereinen erfolgreich ist. Und um sozialen Aufstieg kämpft.
Schnell erfährt der Leser ihr Geheimnis. Sie ist seit Jahren auf der Flucht vor ihrem gewalttätigen Ehemann und lebt jetzt in Jaipur, als ihr Mann plötzlich auftaucht und ihre 13jährige Schwester Radha mitbringt.
Wie dann die Beziehung der Schwestern geschildert wird, hat mir sehr gefallen. Es ist nicht immer einfach, aber sie brauchen sich auch. Es wird zudem ein Bild der Vergangenheit dadurch entworfen.

Der Roman ist abwechslungsreich, da Lakshmi viele Kundinnen hat, die sie mit Henna bemalt und so erfährt man von vielen Geschichten dieser Frauen.
Die Handlung um die Schwestern verdichtet sich immer mehr.

Stilistisch ist der Roman ansprechend und unterhaltsam. Die Autorin ist zwar in Indien geboren, lebt aber schon lange in den USA, entsprechend amerikanisch ist ihr Schreibstil.

Bewertung vom 10.08.2022
Der Rote Diamant
Hürlimann, Thomas

Der Rote Diamant


sehr gut

Auf der Klosterschule

Thomas Hürlimann hat einen neuen Roman: Der rote Diamant.
Es wird von Arthur erzählt, der als ca.11jähriger von seiner Mutter Mimi in ein Internat in einem Kloster gebracht wird.
Er ist damit auch ganz einverstanden und denkt, dass die Klosterschule ihn prägen wird.
Es sind die sechziger Jahre.
Die Passagen von dem jungen Helden mit seiner Mutter sind ziemlich amüsant. Andererseits frage ich mich doch, ob Mimi nicht eine zu überzeichnete Gestalt wird. Und vermutet ja stark autobiografische Elemente. Wird Hürlimann seiner Mutter in dieser Figur der Mimi gerecht?
Der Schweizer Schriftsteller Thomas Hürlimann hat als einer der wenigen Autoren der Gegenwart einen vollkommen eigenständigen Stil. Darin ist viel Wortwitz enthalten und so einige exzellente Formulierungen.
Darin gleicht dieser Roman den früheren großen Büchern wie Fräulein Stark oder Der große Kater.
Hürlimann ist aber auch ein eigenwilliger Autor und manchmal frage ich mich schon, was seine Figuren so antreibt. Ich bin daher über weite Strecken ein Leser mit emotionaler Distanz geblieben.
Das hohe Niveau der Sprache Hürlimanns und viele seiner Fabulierungen konnte ich dennoch ohne Einschränkungen genießen.