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Benutzername: 
Emmmbeee
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Feldkirch

Bewertungen

Insgesamt 108 Bewertungen
Bewertung vom 24.05.2022
Bekenntnisse eines Betrügers
Raina, Rahul

Bekenntnisse eines Betrügers


gut

How to Kidnap the Rich

Ramesh ist das Gegenteil eines Aussteigers, wie wir diese Gruppe von Menschen heute verstehen. Er möchte in erster Linie der Armut und seinem gewaltbereiten Vater entkommen. Er ist intelligent genug für eine höhere Bildung. Durch die Förderung der Nonne Claire steht er kurz vor den All India Examen. Sein Ziel, ein Aufsteiger zu werden, ist in greifbare Nähe gerückt.
Kurz davor jedoch öffnet sich ihm eine andere Möglichkeit, um zu Geld zu kommen. Ein Reigen von Lüge, Gaunerei, Schwindel, Betrug, Korruption, Erpressung und sogar Kidnapping beginnt. Nicht umsonst lautet der englische Originaltitel „How to Kidnap the Rich“. Die rasende Jagd nach den Millionen überflügelt den Kampf ums bloße Überleben schon bald. Zwar endet der Roman nicht so, wie unser Held es sich erträumt hat, doch er landet auf der Seite der Gewinner.
Der Leser hastet von Seite zu Seite mit den beiden Hauptpersonen Ramesh und Rudi wie die Figur auf dem Cover. Schon bald fragt er sich, wann denn der Ballon dieses ergaunerten Höhenfluges endlich platzen wird.
Bereits der erste Satz ist ein Anreißer. Doch bis es zum angedeuteten Kidnapping kommt, dauert es etwa den halben Roman. Auch sonst ist der erste Teil (bis Kapitel neun) erfüllt von Ankündigungen. Und weil diese so oft vorkommen, verblasst mit der Zeit ihre Wirkung als Cliffhanger, finde ich. Der Autor springt wie ein Gummiball ständig vor und zurück, mir persönlich wurde es ein wenig zu viel.
Der Spannungsbogen ist also durchaus gegeben, die Schilderungen wurden vom Übersetzer Alexander Wagner sehr farbig und lebendig wiedergegeben. Wir Leser gewinnen viel Einblick in die Welt der Inder, der höheren ebenso wie der niedrigsten Kaste. Doch auf die reichliche Einstreuung von Fäkalausdrücken hätte ich locker verzichten können, obwohl diese Sprache authentisch sein mag und ich diesbezüglich tolerant bin.
Im Anschluss an das letzte Kapitel ist zum besseren Verständnis ein großzügiges Glossar angefügt. Wem empfehle ich diesen Roman? Wohl eher solchen Lesern, bei denen eine gepflegte Sprache nicht unbedingt an erster Stelle steht.

Bewertung vom 30.04.2022
Die Sommerschwestern Bd.1
Peetz, Monika

Die Sommerschwestern Bd.1


gut

Wieder vereint am Ferienort

Die Schwestern Doro, Yella, Helen und Amelie treffen sich nicht mehr oft und haben einander ein wenig aus den Augen verloren. Sie erkennen jedoch schnell, wie wenig sie im Grund voneinander wissen, als ihre komplizierte Mutter eine Familienkonferenz in den Niederlanden einberuft. Und das ausgerechnet an jenem Ort ihrer früheren gemeinsamen Ferien, an dem ihr Vater tödlich verunglückt ist. Jede reagiert unterschiedlich auf die Ankündigung ihrer Mutter. Doch keine von ihnen hat auch nur im Geringsten erwartet, was schließlich auf sie zukommt.
Die deutlichste Figur ist Yella, von den andern Frauen erfährt der Leser nicht so viel. Das ist schade, denn als Erzählerin sehe ich Yella nicht. Deshalb erscheint mir zum Beispiel ein wenig mehr Licht auf Helen geraten. Auch über die Mutter möchte ich mehr wissen. Aber dann wäre der Roman wohl ausgeufert.
Das Erzähltempo fand ich sehr unterschiedlich. Mal war ich gefesselt, dann wieder habe ich mehrere Seiten hintereinander quergelesen, weil es mir zu langatmig war. Ich kam den Figuren schon nahe, hätte selbst aber gern ein paarmal den Stift angesetzt. Wie die Autorin die einzelnen Personen gezeichnet hat, ist hingegen faszinierend.
Auch gefielen mir die Schilderungen der Orte und Stationen in Holland. Allerdings haben mir manchmal die sprachlichen Übersetzungen gefehlt, denn nicht immer hat sich mir ganz erschlossen, was die Ausdrücke bedeuten.
Die Umschlaggestaltung hat es mir angetan, denn sie drückt mit wenigen Mitteln vieles aus: Sommer, Strand, Weiblichkeit, Nachdenklichkeit, Rückbesinnung und Zukunft.
Durchaus ein Sommerbuch, das uns zwischen seinen Seiten ans Meer entführt.

Bewertung vom 29.04.2022
Fast ein Idyll
Falk, Susanne

Fast ein Idyll


gut

So hätte es sein können

In ihren halbwegs wahren Geschichten im Band „Fast ein Idyll“ legt uns Susanne Falk eine Reihe von Episoden vor, wie sie durchaus hätten stattfinden können. Nur grad eben nicht. Kaiser Franz Joseph I. bildet Anfang und Schluss, und zwischen seinen ausgebreiteten Armen tummeln sich diverse Größen aus Kunst, Dichtung, Wissenschaft, Mode, Theater, Musik, Gesellschaft etc. Immer wieder tauchen Jane Austens Briefe an Cassandra auf.
Die Geschichten geben Einblick in das Leben dieser Prominenten, auch wenn sie nicht ganz der Wahrheit entsprechen. Aber endlich weiß ich, was es mit Schrödingers Katze auf sich hat, obwohl ich mit Quantenmechanik sonst absolut nichts am Hut habe.
Mir gefällt Falks lockerer Sprachstil, die kurzen Stories, die Abwechslung zwischen den Epochen und Schichten. Das Buch liest sich flott und erheiternd – und schon ist man am Ende.
Ich empfehle es allen, denen zumindest der Großteil der Personen bekannt ist. Die bisher weniger bekannten lernen wir jedoch beim Lesen ein bisschen kennen.

Bewertung vom 10.04.2022
Auf der Zunge
Clement, Jennifer

Auf der Zunge


sehr gut

Sprachpralinen

Eine Frau versucht, vor der Strenge ihres Ehemannes zu fliehen, um nicht erdrückt zu werden. Sie streift durch die Stadt New York und begegnet verschiedenen Menschen, meist Männern, und lässt sich auf sie ein.
Ist es nur Fantasie, oder geschieht dieser Frau wirklich, was die Autorin von ihr erzählt? Anfangs habe ich nur schwer hineingefunden, in dieses Buch, das kein Roman sein will. Dann aber genoss ich zunehmend die anspruchsvolle Sprache, die bilderreich, fantasievoll, poetisch, alle Sinne ansprechend daher sprudelt.
All die Begegnungen, die Jennifer Clement beschreibt, müssen einem erst einfallen. Und was sie daraus macht, ist ein Bilderbogen, der sich kreuz und quer durch eine Großstadt spannt. Auch wenn es nicht immer gleich offensichtlich ist, führt eine Begegnung zur anderen. Immer wieder kommen die Feuerleitern an den Hauswänden vor, die Schutz und Einbruchsgefahr gleichzeitig darstellen. Besonders angesprochen hat mich das kurze Kapitel vom Astronauten, das vollends wie ein surreal atemloser Traum klingt.
Ja, es ist eine Sehnsuchtshymne, der Ausbruch einer eingeengten Frau, die nur durch diese Spaziergänge den kontrollierenden Ehemann kompensieren kann. Das Fremdgehen, meist wohl nur in ihrer Fantasie, lässt sie die festgefahrene Ehe ertragen. Ihr Mann sollte froh sein, dass sie diese Tür gefunden und geöffnet hat.
Das Buch bietet einiges an Philosophie und jüdischer Weisheit. Schon deshalb darf man es nicht überfliegen. Vielleicht, damit wir beim Lesen innehalten und die einzelnen Sprachpralinen intensiver goutieren, lässt Clement zwischen den kurzen Texteinheiten Zeilenabstände wie zwischen einzelnen Abschnitten. Das verleiht der Geschichte eine zusätzliche Leichtigkeit. Die vorletzte Seite habe ich mehrmals gelesen, um die Aussagen in ihrer Vielfalt in mich aufzunehmen.
„Auf der Zunge“ ist eins der wenigen Bücher, bei denen ich bedauert habe, dass ich am Schluss angekommen war.

Bewertung vom 08.04.2022
Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn
Matthiessen, Susanne

Diese eine Liebe wird nie zu Ende gehn


gut

Liebeserklärung und Wehklage zugleich

Susanne Matthiessen hat ihren zweiten Roman vorgelegt. War „Ozelot und Friesennerz“ noch in Dur komponiert, so herrscht im Nachfolgeband eindeutig Moll vor. „Diese eine Liebe…“ scheint mir eine Wehklage, vordergründig wegen Covid19 und dem Ausbleiben der Touristen. Im Rückblick, weil Sylt nicht mehr das ist, was es einmal war, das Pelzgeschäft darnieder liegt. Aber auch wegen der Sorte von Urlaubern, welche die Insulaner lieber nicht hätten, etwa die Punks und die Tierschützer. Daneben selbstverständlich eine fulminante Liebeserklärung, die bereits aus dem Buchtitel hervorgeht.
Matthiessen hat ihr Werk in 10 Kapitel unterteilt, die jeweils mit einem passenden Zitat (von Theodor Storm, Hans Albers, Rilke, Karl May etc.) beginnen. Ich habe mir neben der Insel- und Familiengeschichte etwas mehr erwartet, mehr eigene Jugenderlebnisse oder Verliebtheiten, Heimlichkeiten, Streiche, was junge Leute halt so machen. Der Untertitel lautet ja „Roman einer Sylter Jugend“.
Doch ist es fast immer die Insel, welche im Mittelpunkt steht, was ja für Sylt spricht. Oft zieht sich der Text dahin, die Absätze sind lang, es gibt wenig wörtliche Rede. Die Lektüre war für mich ermüdend, was meist ins Querlesen mündete. Insgesamt wirkt der Roman eher wie ein Sachbuch über die Nordsee.
Sehr ansprechend ist die Covergestaltung, auf dem Foto ist wohl auch die Autorin zu sehen. Vielleicht habe ich deshalb mehr Jugenderlebnisse erwartet. Der Klappentext verspricht Humor, der aber mit der Lupe gesucht werden muss. Matthiessens Sprachstil gefällt mir, aber das Lesen war wie bereits erwähnt über weite Strecken recht mühsam.
Ich finde nicht, dass es eine leichte Sommerlektüre ist. Wenn ich das Buch empfehlen sollte, dann den Fans der deutschen Nordseeinseln.

Bewertung vom 22.03.2022
Schallplattensommer
Bronsky, Alina

Schallplattensommer


ausgezeichnet

Die Einsamkeit junger Menschen

Wenn ein Teenager Maserati heißt und nicht mit seiner Mutter in Verbindung gebracht werden will; wenn ein junger Mann allein lebt und taub ist; wenn zwei andere Halbwüchsige sich wohlstandsverwahrlost fühlen, es offensichtlich auch sind und mit Traumata zu kämpfen haben: Dann befinden sie sich in einer Einsamkeit, zu der Erwachsene keinen Zutritt haben. Doch letzten Endes müssen sie sich den Tatsachen stellen, ihre Erfahrungen machen und können sich teils auch gegenseitig ein wenig helfen.
Alina Bronsky hat ihren Finger wieder auf ein heikles Stück Gesellschaftsleben gelegt. Ihre Sprache ist präzise, bildhaft, haptisch, in diesem Werk geradezu olfaktorisch deutlich und sehr süffig. In keinem ihrer Romane geht es um eine heile Welt, überall liegen Scherben, reißen Stacheldrahtzäune.
Eine ganz bestimmte Schallplatte geistert durch den Roman, sie ist auch der Dreh- und Angelpunkt der Probleme, die dem jungen Mädchen in diesem Sommer erwachsen. Deshalb hat die Autorin sie auch für den Titel gewählt. Mit dem Ruderboot ist das Cover sehr passend gestaltet, daneben wie bei Bronsky gewohnt minimalistisch gehalten. Dennoch fällt das Werk auf dem Büchertisch sofort auf: sehr gekonnt gemacht!
Nein, ein richtiges Happyend gibt es bei Alina Bronsky nie. Und doch schimmert immer wieder ein Zwinkern durch, kommt Humor ins Spiel. Es ist wieder ein schmaler Band geworden, den ich soeben in einem Happen verschlungen habe und ihm nun noch ein wenig nachschmecke. Er hat Teigtaschen im Abgang. Ich empfehle dazu Omas Zitronenlimo.

Bewertung vom 16.03.2022
Die Kinder sind Könige
Vigan, Delphine

Die Kinder sind Könige


sehr gut

Traurige, aber reale Geschichte

Dass soziale Medien und mit ihnen YouTube heutzutage eine Macht ausüben, die alles Bisherige übersteigt, ist bekannt. Dass dieser Macht auch jüngere Eltern verfallen, ist logisch. Dass die ersehnte Aufmerksamkeit aber auch ihre Kehrseite hat, zeigt Delphine de Vigan im vorliegenden Roman.
In diesem Fall ist es die wohlmeinende Mutter Mélanie, die das in ihrer eigenen Jugend Versäumte nachholen und via Blog ihren Kindern die Segnungen öffentlicher Anerkennung zukommen lassen möchte. Klarerweise sind ihre Sprösslinge nicht gleichermaßen erfreut darüber. Besonders die Tochter sträubt sich gegen das Drehen der Videos. Und dann verschwindet das Kind spurlos.
Durch die Polizistin Clara Roussel, welche mit der Aufklärung des Falles betraut worden ist, erhalten wir Leser nach und nach Zugang zu dem, was geschieht und bisher geschah. Und es ist erschreckend, was alles zutage kommt. Alles ist so real, so nahe, so in unserm eigenen Umkreis möglich. Zu Königen wollen Eltern wie Mélanie ihre Kinder erheben, aber letztlich sind die Absichten nicht zum Wohl dieser Könige. Im Gegenteil: Was wird den Kindern mit dieser Erhebung zu Stars eigentlich alles angetan!
Vigan schreibt immer sehr fundiert über ihre fast immer heiklen Themen. Ihre Texte lesen sich locker-leicht, trotz aller Problematik: Ich mag ihren Stil seit jeher.
Das Cover sagt wenig über den Inhalt des Buches aus. Die Figur könnte genauso gut eine ungelenk dastehende junge Frau wie ein Kind sein und sollte wohl ein Mittelding darstellen.

Bewertung vom 14.03.2022
Manifesto. Warum ich niemals aufgebe. Ein inspirierendes Buch über den Lebensweg der ersten Schwarzen Booker-Prize-Gewinnerin und Bestseller-Autorin von »Mädchen, Frau etc.«
Evaristo, Bernardine

Manifesto. Warum ich niemals aufgebe. Ein inspirierendes Buch über den Lebensweg der ersten Schwarzen Booker-Prize-Gewinnerin und Bestseller-Autorin von »Mädchen, Frau etc.«


sehr gut

Kämpferische Frau

In einem Manifest werden konkrete Positionen festgehalten und veröffentlicht. Der Autor macht sich gleichsam gläsern bezüglich Identität, Erfahrungen, Weltanschauung, Überzeugung und Absichten. Genau das tut Bernardine Evaristo in ihrem Sachbuch. Wer im England der Sechzigerjahre etwas erreichen wollte, aber weder weiß noch männlich war, hatte es damals weit schwerer als heute. People of Color so wie Evaristo erlebten Rassismus allerorten, und dieser Begriff taucht gerade im ersten Kapitel in fast jedem Absatz auf. Sie legt den Finger auf viele heikle Stellen, klagt auch immer wieder an, wird aber nie larmoyant. Die Autorin schreibt mit Drive, sehr leidenschaftlich, mit Eigenkritik und Humor.
Evaristo bündelt die Themen in sieben Kapiteln. Damit führt sie dem Leser ihre Welt bis ins Detail vor: ihren Werdegang vom Kleinkind bis heute, der Einfluss verschiedener Menschen auf ihren Charakter und ihr Leben, ihr Schaffen auf der Bühne und als Autorin, das innerste Ich und ihre Ziele. Respekt vor dieser kämpferischen Frau, deren Werk vielen Menschen Mut machen kann.
Die Gestaltung des Buches selbst weist einige ungewöhnliche Einzelheiten auf. Jedes Mal, wenn ein neues Kapitel beginnt, wird dessen Nummer in den Sprachen ausgeschrieben, die darin eine Rolle spielen: Englisch, Altenglisch, Yoruba, Gälisch, Irisch, Portugiesisch und Brasilianisch. So lassen sich ganz nebenbei allfällige eigene Sprachkenntnisse auffrischen.
Am unteren Ende der Seiten wird der Name des Kapitels angeführt, zum Beispiel „Vier: Theater, Community, Performance, Politik“. In der Mitte des Werkes sind 16 Seiten mit Fotos, welche ausgiebig erläutert werden.
Eine sehr lange Danksagung, die sich über fünf Seiten erstreckt (auch das ist selten), beschließt das Buch. Ich empfehle es jedem, dessen Eigenmotivation ab und zu einen Schubs braucht. Oder dem, der sich an außergewöhnlichen Menschen ein Beispiel nehmen möchte.

Bewertung vom 05.03.2022
Chopinhof-Blues
Silber, Anna

Chopinhof-Blues


gut

Hoffnung für Generation Y

Im Roman „Chopinhof-Blues“ begegnet der Leser jungen Menschen, die sich selbst noch nicht für ein Lebensziel entschieden haben. Sie sind geprägt von Verletzungen, getrieben von der Hoffnung auf ein besseres Leben und versuchen mit ihren Narben zurechtzukommen.
Der Roman spannt einen Bogen zwischen zwei Hauptstädten, Berlin und Wien, das zur finalen Begegnungsstätte wird. Doch auch Budapest wirkt stark in die Handlung hinein. Aus verschiedenen Ethnien stammend, werden die kleinen Gruppen von Anna Silber in einen gemeinsamen Erzählstrang geflochten, der sich rund um einen Wiener Gemeindebau bündelt.
Es ist ein farbig-plastisch gezeichnetes Bild der Jugend von heute, zusammengesetzt aus diversen Charakteren. Doch so richtig sympathisch ist mir eigentlich keiner von ihnen, am ehesten noch Ádám, der sich sehr um seine Frau bemüht, ihr aber hilflos gegenübersteht.
Auch war mir der Schreibstil etwas zu zäh, die Handlung zu statisch, es wollte keine rechte Spannung aufkommen. Das Ende des Romans entwickelte für mich wenig Sinn, scheint der Autorin etwas entglitten zu sein. Das Cover assoziiere ich eher mit der Hamburger Speicherstadt als mit den Wiener Gemeindebauten.
Aus allen Personengruppierungen spricht das Prinzip Hoffnung, und Hoffnung hege ich auch für die weiteren Werke von Anna Silber, schließlich ist es ihr Erstling. Alles in allem jedoch ist „Chopinhof-Blues“ eine Enttäuschung für mich.

Bewertung vom 28.02.2022
Man vergisst nicht, wie man schwimmt
Huber, Christian

Man vergisst nicht, wie man schwimmt


sehr gut

Ein Tag wie kein anderer
Pascal Friedrich, genannt Krüger, kann sich vorstellen, einmal Schriftsteller zu werden. In sein Notizbuch schreibt der Fünfzehnjährige unter anderem vier Geschichten, in denen er seine teils tief verstörenden Beobachtungen und Erlebnisse festhält. Krügers Tag verläuft völlig unvorhergesehen und verwirrend. Er gerät an seine Grenzen, macht mit seinen Schwächen Bekanntschaft, aber auch mit seiner inneren Stärke. Er steht seinen Mann, wächst über sich hinaus, verliebt sich das erste Mal nachhaltig.
Krüger hat Geheimnisse, hinter die niemand kommen darf. Bis ihm ein rothaariges Mädchen seinen Eastpak raubt und die Geschehnisse eines einzigen Tages sie, seinen besten Freund Viktor und ihn selbst eng miteinander verbindet.
Vier Teile und der Epilog geben dem Werk seine Struktur. Auch wenn der Schlussteil „Heute“ seine Längen hat und ich den Rest eigentlich schon überspringen wollte, gewinnen die letzten Seiten noch einmal an Lebendigkeit und Kraft.
Der Roman ist durchsetzt von der Musik in Krügers Kopf, deren Soundtrack auf der letzten Seite aufgeführt ist.
Dieser Ablauf eines einzigen Tages hat mich an „Ulysses“ von James Joyce erinnert, nur ist „Man vergisst nicht…“ ungleich spannender (auch wenn das jetzt respektlos klingt), und der Tag endet tragisch.
Christian Hubers Stil ist jung, frisch, süffig. Sehr gut gelang es dem Autor, von einem Kapitel zum nächsten mit Cliffhangern die Spannung zu halten. Wenn sein Protagonist sich durchringt zu erzählen, was ihn am Schwimmen hindert, geht das sehr nahe. Man möchte Krüger dann ganz fest drücken. Viktor erweist sich als echter Freund, fordert ebenfalls meine Sympathie ein, und erst recht das Mädchen Jacky.
Das minimalistisch gestaltete Coverbild mit dem springenden Jungen könnte passender nicht sein. Ich würde das Buch allen im Herzen junggebliebenen und empathischen Lesern empfehlen.