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YukBook
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München

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Insgesamt 273 Bewertungen
Bewertung vom 18.02.2023
Oben Erde, unten Himmel
Flasar, Milena Michiko

Oben Erde, unten Himmel


ausgezeichnet

Neben “Karôshi”, der Bezeichnung für einen Tod, der meist durch Stress ausgelöst wird, gibt es in Japan auch ein Wort für das Versterben von vereinsamten Personen, das lange Zeit unbemerkt bleibt: “Kodokushi”. Die Hauptfigur Suzu hat tagtäglich damit zu tun, denn sie arbeitet in einer Leichenfundort-Reinigungsfirma, die sich auf solche Fälle spezialisiert hat.

Die Beschreibung ihrer Arbeit ist alles andere als appetitlich, doch erstaunlicherweise findet die 25-Jährige, die allein mit ihrem Hamster lebt, immer mehr Gefallen daran. Das liegt vor allem am Charakter und der Arbeitsmoral ihres Chefs sowie an den Kollegen, die die Außenseiterin langsam aus der Reserve locken.

Eingebettet in diese ungewöhnliche Story sind kluge Beobachtungen von gesellschaftlichen Phänomenen und Problemen Japans: zum Beispiel dass sich immer mehr Menschen in ihre Privatsphäre zurückziehen, weil sie die Pflege zwischenmenschlicher Kontakte als zu anstrengend empfinden und ja nicht auffallen wollen. Die österreichisch-japanische Autorin verwendet viele japanische Begriffe, so dass ihre Beschreibungen eines Kirschblütenpicknicks, eines Badehauses oder eines Manga Cafés noch authentischer wirken und mich sofort in meine letzten Japanreisen zurückversetzten.

Ein Beruf, der sich um Einsamkeit und Tod dreht, sorgt dafür, dass Suzu mehr Lebendigkeit und Verbundenheit verspürt - mit dieser Ironie ist Milena Michiko Flašar ein echter Clou gelungen!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.02.2023
60° Nord
Tallack, Malachy

60° Nord


sehr gut

Es gibt viele Arten, seine Reiseroute zu planen, doch der Ansatz von Malachy Tallack ist ungewöhnlich. Er erkundete den 60. nördlichen Breitengrad einmal um die Welt, von seiner Heimat Shetland über mehrere Stationen wie Grönland, Alaska, Schweden, Norwegen und wieder zurück und schrieb ein Buch darüber.

Da ich mich sehr für den Norden interessiere, bis jetzt aber leider nur Stockholm und Kopenhagen gesehen habe, war ich besonders gespannt auf das Abenteuer des schottischen Autors. Seine atmosphärischen Beschreibungen und poetische Sprache machten es mir leicht, in die verschiedenen Landschaften und Besonderheiten einzutauchen, sei es im quirligen St. Petersburg oder in der sibirischen Ödnis.

An jedem Ort füttert uns Malachy Tallack mit viel Hintergrundwissen, zum Beispiel über die Inuit-Kultur oder die Entstehungsgeschichte Helsinkis. So informativ diese Exkurse auch sind, war ich immer wieder dankbar, wenn er zu seinen unmittelbaren Erlebnissen und Gefühlen zurückkehrte. Erst dieser Wechsel zwischen historischen und geografischen Details und seinen persönlichen Ansichten und Erfahrungen machten das Buch für mich zu einer bereichernden Lektüre. Besonders gut gefielen mir seine Reflexionen und philosophischen Gedanken über Heimat und Wanderschaft, über Isolation und Gemeinschaft. So vermittelt das Buch weitaus mehr als einen Reisebericht entlang des 60. Breitengrads.

Bewertung vom 18.01.2023
Feuervogel
Sellers, Susan

Feuervogel


gut

Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Lydia Lopokova und John Maynard Keynes, die Protagonisten dieses Romans, sind allerdings so verschieden, dass man sie sich als Paar nur schwer vorstellen kann. Auslöser der Romanze ist eine Aufführung der Ballets Russes im Londoner Alhambra Theatre, in der die russische Ballerina den Ökonom regelrecht betört. Im Gegensatz zu anderen Liebesgeschichten dreht sich aber diese weniger darum, was in dieser ungleichen Beziehung geschieht, als vielmehr wie sie vom Umfeld gesehen – oder besser gesagt – missbilligt wird. Besonders die Malerin Vanessa, die Schwester von Virginia Woolf, setzt alles daran, das verliebte Paar auseinanderzubringen.

Susan Sellers lässt ein großes Ensemble von historischen Persönlichkeiten, die teilweise der Bloomsbury Group angehörten, auftreten, doch sie schaffen nur den Handlungsrahmen. Sowohl auf der Bühne als auch im Geschehen, das in drei Akten erzählt wird, steht Lydia im Rampenlicht. Der zweite Akt, in der die Primadonna in der Ich-Form von ihrer Kindheit, ihrer Ausbildung in der Kaiserlichen Ballettschule in St. Petersburg und ihren Tourneen erzählt, hat mir ihren Lebensweg und ihr überschwängliches Wesen immerhin etwas näher gebracht. Im Ganzen konnte mich der Roman jedoch nicht so fesseln wie erhofft, obwohl ich mich sowohl für die Ballets Russes als auch die Bohème von Bloomsbury interessiere.

Bewertung vom 20.12.2022
Was wir sahen, was wir träumten
Darznik, Jasmin

Was wir sahen, was wir träumten


ausgezeichnet

Über die Goldenen Zwanziger in Berlin habe ich schon einiges gelesen, doch was sich zu der Zeit in San Francisco abspielte, erfuhr ich erst durch diesen Roman von Jasmin Darznik. Ihre persönliche Verbindung zu der Stadt inspirierte sie zu einer Geschichte über das Leben der Bohemiens und ihren Rückzugsort, den sie „Monkey Block“ nannten.

Genau dort landet die 23-jährige Protagonistin Dorothea Lange aus Hoboken, die davon träumt, ein eigenes Fotoatelier zu eröffnen. Das Abenteuer, auf das sie sich einlässt, zog mich sofort in den Bann: ihre Euphorie bei ihrer Ankunft im Jahr 1918, als für sie alles möglich erscheint, ihre Begegnung mit Caroline Lee, die sie in die Künstlerkreise einführt, und ihre ersten Aufträge als Porträtfotografin. Eine Mischung aus Eigeninitiative und glücklicher Fügung helfen ihr, sich eine Existenz aufzubauen.

Doch es geht nicht nur um eine Künstlerin, die wie so viele andere auch ihr Glück in Amerika versuchen. Ins Zentrum rückt immer mehr ihre amerikanisch-chinesische Freundin und Assistentin Caroline, die das Schicksal vieler chinesischer Immigranten verkörpert. Während Dorothea als Gesellschaftsfotografin in der High Society Fuß fasst, leidet ihre Assistentin unter der antiasiatischen Haltung und Diskriminierung. Die Autorin beschreibt sehr authentisch sowohl die Glanz- als auch Schattenseiten dieser Zeit anhand vieler realer Persönlichkeiten und hat mich mit dieser facettenreichen Geschichte begeistert.

Bewertung vom 13.12.2022
Fabelhafte Rebellen
Wulf, Andrea

Fabelhafte Rebellen


ausgezeichnet

Bei einer Schriftstellerin wie Andrea Wulf hätte ich gern Schulunterricht gehabt – zum Beispiel in Philosophie, Deutsche Literatur oder Geschichte. Ihr Hörbuch dreht sich genau um diese Themen zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Die Rede ist von der Frühromantik und dem Jenaer Kreis, zu denen die titelgebenden Rebellen wie Goethe, Schiller, Fichte, Caroline Schelling-Schlegel und Alexander von Humboldt gehörten.

Die Autorin erweckt sowohl die Zeit, den Ort als auch die Protagonisten zum Leben, stellt heraus, warum Jena Ende der 1790er Jahre die ideale Voraussetzung für die Entstehung der Ich-Philosophie bot und ordnet die revolutionären Ideen der deutschen Denker und Dichter in das damalige wissenschaftliche und religiöse Weltbild ein. Ich glaubte, ihnen gegenüber zu sitzen, wenn Goethe und Schiller rege über die Befreiung des Individuums diskutierten oder Schiller und Schlegel sich gegenseitig beschimpften und sich zerstritten.

Ganz gleich, ob es um August Schlegels modische Kleidung, Novalis‘ Todessehnsucht, die Atmosphäre in der Universität Jena oder den von Fichte ausgelösten Atheismusstreit geht – die lebendigen und detailreichen Beschreibungen fließen nahtlos ineinander über und geben ein umfassendes Bild, so dass ich in den über 16 Hörstunden bestens informiert und unterhalten wurde. Dies ist auch dem Sprecher Mark Bremer zu verdanken. Er liest ruhig und kraftvoll in einem angenehmen Tempo, setzt mit stimmlichen Nuancen dramatische Akzente und sorgt für ein perfektes Hörerlebnis.

Bewertung vom 04.12.2022
Die Symphonie der Sterne
Kornberger, Ruth

Die Symphonie der Sterne


gut

Mit Astronomie habe ich mich bisher nur sehr wenig beschäftigt. Gerade deshalb wollte ich mich über das Porträt einer Astronomin dieser mir unbekannten Welt nähern. Dazu bot sich diese Romanbiografie geradezu an. Darin schildert Ruth Kornberger den Lebensweg der Sängerin Caroline Herschel, die ihrem Bruder nach England folgte und sich der Astronomie verschrieb. In einer zweiten Zeitebene, etwa 40 Jahre später, erfahren wir, wie Caroline in ihre Geburtsstadt Hannover zurückkehrt, ihrem Dienstmädchen Agnes Mathematik beibringt und ihre Memoiren schreibt.

Die wissenschaftliche Arbeit war für Caroline ihr Ein und Alles. Mit welcher Beharrlichkeit sie Nacht für Nacht an der Seite ihres Bruders am Teleskop verbrachte, den Himmel nach Sternen und Nebeln absuchte und Kataloge erstellte, ist bewundernswert. Entdeckte sie einen Kometen, war es jedoch Wilhelm, der den Forschern der renommierten Royal Astronomical Society davon berichtete. Der Weg von einer wissenschaftlichen Assistentin zur vielfach ausgezeichneten Astronomin war lang und mühsam.

Das alles erzählt die Autorin sprachgewandt und einfühlsam, doch manchmal verliert sie sich in Details. Auch im zweiten Handlungsstrang, in dem Agnes einem Geheimnis ihrer Dienstherrin auf der Spur ist, fehlte mir die Stringenz, so dass keine Spannung aufkam. Auch wenn die Romanbiografie nicht ganz meine Erwartungen erfüllt hat, konnte ich interessante Fakten über eine leidenschaftliche Forscherin erfahren, die sich als „Aschenputtel der Sternkunde" sah und sehr lange um Anerkennung kämpfte.

Bewertung vom 24.11.2022
Die Katze, die von Büchern träumte
Natsukawa, Sosuke

Die Katze, die von Büchern träumte


sehr gut

Der deutsche Titel des Romans ist etwas irreführend. Verträumt ist wenn überhaupt dann der junge Stubenhocker Rintarô Natsuki, der sich am liebsten in das Antiquariat seines Großvaters verkriecht. Als dieser plötzlich stirbt und ihm die Buchhandlung vererbt, versinkt Rintarô in Apathie. Genau zum richtigen Zeitpunkt taucht aus dem Nichts eine freche, sprechende Katze auf und bittet ihn um Hilfe: Rintarô soll gefährdete Bücher retten, daher auch der japanische Originaltitel, wörtlich übersetzt: „Die Geschichte einer Katze, die versucht, Bücher zu beschützen“.

So begleiten wir den jungen Helden samt Katze und einer Klassenkameradin auf mehrere abenteuerliche Rettungsmissionen. Sie führen über verschlungene Wege in dystopische Welten, die nicht nur Rintarô, sondern auch jeden Buchliebhaber schmerzen! So überzogen die Szenarien auch wirken mögen, findet sich überall ein wahrer Kern, der zum Nachdenken anregt. Wer möchte nicht seine Lesegeschwindigkeit steigern, um ein größeres Bücherpensum zu schaffen? Schön an dieser fantasievollen Geschichte fand ich die philosophischen Gedanken über die Bedeutung und die 'Seele' von Büchern und Rintarôs Charakterentwicklung, dem nicht nur die Lebensweisheiten seines Großvaters, sondern auch seine eigenen Erkenntnisse bei der Rettungsaktion helfen.

Bewertung vom 20.11.2022
Geschichten, die das Denken herausfordern
Wiss, Elke

Geschichten, die das Denken herausfordern


sehr gut

Bereits im Prolog setzt Elke Wiss ihr Thema praktisch um und verpackt ihr Anliegen in eine szenische Darstellung mit einer Schar von Protagonisten. Sie möchte uns dazu anregen, mit Hilfe von Geschichten unser Denken zu hinterfragen, große Themen aus philosophischer Sicht zu betrachten und bedeutungsvolle Gespräche zu führen. Zunächst erklärt sie, warum, wann und mit welchen Grundwerkzeugen es sich lohnt zu philosophieren. Neu war für mich, dass solch ein Gespräch diszipliniert und strukturiert ablaufen muss und nichts damit zu tun hat, über Gott und die Welt zu reden.

Dann geht’s in die Praxis: In 17 kurzen Erzählungen werden wir mit verschiedenen Themen wie Zeit, Besitz, Wettbewerb, Fehler oder Beziehung konfrontiert. Hier dürfte für jeden je nach Interesse und persönlicher Lebenssituation etwas Passendes dabei sein. Sehr nützlich finde ich die Themenliste am Ende des Buches. Mich haben besonders die Erzählungen über Sprache, das Reisen und den Verlust eines geliebten Menschen angesprochen. Zu jeder Geschichte hat sich Elke Wiss interessante vertiefende Fragen und kreative Aufgaben überlegt, die Denkanstöße und Stoff für philosophische Gespräche liefern.

Ich ertappte mich dabei, dass ich in manchen Erzählungen sofort eine bestimmte Bekannte oder ein Erlebnis vor Augen hatte. Die Schwierigkeit sehe ich besonders in der Versuchung, persönliche Meinungen, Erlebnisse und Anekdoten auszutauschen statt Distanz zu wahren, worauf auch die Autorin hinweist. Im Familien- und Freundeskreis lässt sich dieses Buch sicher gut anwenden, zum Beispiel wenn man herausfinden möchte, was in den Köpfen von Kindern vorgeht oder seinen Blickwinkel mal ändern möchte; in Unternehmen wäre ich eher skeptisch, ob die märchenhaften und teilweise kindlichen Erzählungen funktionieren.

Bewertung vom 12.11.2022
Kummer aller Art
Leky, Mariana

Kummer aller Art


ausgezeichnet

Wie ist es möglich, dass mich ein Buch mit dem Titel „Kummer aller Art“ laufend zum Schmunzeln bringt? Dabei widmet sich Mariana Leky durchaus ernsten Themen wie Schlaflosigkeit, Konfliktängste, Liebeskummer und Neurosen. Sie geht ihnen aber auf so humorvolle und berührende Art auf den Grund, dass ich das Gefühl hatte, eine gute Freundin weiht mich in ihre Alltagsnöte und Suche nach Lebensweisheiten ein.

Nicht nur die Erzählerin selbst, auch eine Reihe von Nebenfiguren wie Nachbarn, Verwandte oder flüchtige Zugbekanntschaften werden durch ihr Verhalten bestens charakterisiert. Die durch und durch cremeweiße Praxis ihrer Kusine hatte ich ebenso plastisch vor Augen wie die Ratlosigkeit angesichts eines plötzlich verschwundenen Briefkastens oder die Mahnungen, die von der Decke herunterflattern und der Autorin den Schlaf rauben. Sie blickt mal melancholisch, mal liebevoll auf typisch menschliche Macken und aktuelle Trends wie Entspannungstechniken. Ihre ausgefeilte Sprache und überraschenden Bilder gefielen mir so gut, dass ich mir gleich ihr viel gepriesenes Buch "Was man von hier aus sieht" besorgt habe.

Bewertung vom 01.11.2022
Das Vermächtnis der Familie Lagerfeld / Das Glück unserer Zeit Bd.2
Koschyk, Heike

Das Vermächtnis der Familie Lagerfeld / Das Glück unserer Zeit Bd.2


ausgezeichnet

Obwohl es schon ein halbes Jahr her ist, dass ich den ersten Band gelesen habe, fand ich mich schnell in die Fortsetzung hinein. Noch immer schreckt Otto Lagerfeld, Direktor der Glücksklee Milchwerke, vor tollkühnen Ideen nicht zurück und sucht angesichts der steigenden Zollbelastung Investoren für eine eigene Fabrik. Als wenn er nicht schon genug Sorgen hätte, erschweren ihm die Forderungen der amerikanischen Zentrale und die Machtergreifung der Nationalsozialisten zunehmend das Geschäft. Beruflich völlig ausgelastet, lässt er nichts unversucht, seine Familie und Geschwister, die sich in alle Himmelsrichtungen verstreut haben, zusammenzuhalten.

Manchmal erschien mir Ottos Verhalten schon fast zu ehrenhaft und makellos – was man von seiner zweiten Ehefrau Elisabeth, die in dieser Geschichte viel Raum einnimmt, keineswegs behaupten kann. Sie verhält sich so egoistisch und undankbar, dass ich sie am liebsten geschüttelt hätte. Andererseits konnte ich ihre Sehnsucht nach einer Karriere in der Modebranche, schöngeistiger Kultur und einem mondänen Leben verstehen.

Für mich war dieser Roman wieder eine perfekte Mischung aus Biografie, Familien- und Zeitgeschichte. Die Expansion der Glücksklee Milchwerke in Deutschland unter Ottos Führung habe ich ebenso gern verfolgt wie den Alltag seiner so unterschiedlichen Familienmitglieder und die Anfänge seines Sohnes Karl als Modezeichner.