Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
dear_fearn
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 61 Bewertungen
Bewertung vom 29.09.2019
Wer im Himmel auf dich wartet
Albom, Mitch

Wer im Himmel auf dich wartet


ausgezeichnet

Als Annie ihre Jugendliebe Paulo an diesem Tag heiratet, ahnt sie nicht, dass ihnen bald ein Unglück widerfahren wird. Auf dem Weg in ihre Flitterwochen halten sie am Straßenrand, um dem Ballonfahrer Tolbert mit seinem geplatzten Reifen zu helfen. Er steckt Paulo seine Visitenkarte zu und damit nehmen einige unheilvolle Entscheidungen ihren Lauf. Voll Überschwang arrangieren sie mit Tolberts jungem, unerfahrenen Kollegen bei aufziehendem Wind eine Ballonfahrt, die in einem Absturz endet, der die Leben der drei Insassen für immer verändert. Annie will im Krankenhaus Gutes tun, erwacht aber nun selbst im Himmel.

Ich wusste vorher nicht, dass es eine Vorgeschichte zu diesem Buch gibt und kann allen künftigen Lesern versichern, dass es diese nicht braucht, um das Buch zu genießen.

Als Annie im Himmel erwacht, stehen ihr fünf Begegnungen bevor, die sie bestimmte Dinge lehren und ihre Ankunft im Himmel verstehen lassen sollen. Sie begegnet Personen, an die sie sich teilweise nicht erinnert oder nur schwer erkennt. Sie alle halten Lektionen für sie bereit.

Annies Geschichte im Himmel wechselt sich mit Abschnitten zu ihren "Fehlern", Rückblicken in ihr bisheriges, recht trauriges Leben und Tolberts Geschichte in der Gegenwart ab, in der er erfährt, was geschehen ist und der Leser auf dem aktuellen Stand in der realen Zeit gehalten wird. Alles endet in einer herzbrechenden Wendungen, die man als Leser nicht kommen sieht.

Mitch Albom bedient sich einer leichten Sprache, mit vielen Dialogen, der Ausschmückung der Gefühlswelt der Charaktere und zahlreichen, sehr schönen Beschreibungen, die die Bilder vor dem inneren Auge nur so vorbei rauschen lassen. Selbst die abstrakten Passagen im Himmel werden von ihm bildhaft beschrieben, sodass sich der Leser zu keiner Zeit orientierungslos fühlt.

Die grafische Gestaltung lässt alles ein wenig kitschig wirken, Sternchen unterteilen die Kapitel, immer wieder taucht das tanzende Paar auf. Das wird der Tiefgründigkeit der Story m.E. nicht ganz gerecht. Aber was im Nachhinein von der Geschichte bleibt, ist die Gewissheit, dass alles seinen Grund hat und wir alle miteinander verbunden sind und aufeinander aufbauen.

Bewertung vom 29.09.2019
Bell und Harry
Gardam, Jane

Bell und Harry


ausgezeichnet

Wer beschließt, dieses Buch zu lesen, sollte keinen Abenteuerroman zweier Freunde wie Tom Sawyer und Huckleberry Finn erwarten. Was dieser Roman von Jane Gardam verspricht und hält, ist pure Entschleunigung, aber mehr als nur eine Sommergeschichte.

Die Familie Bateman pachtet das Haus Light Trees während der Ferienmonate von der Familie Teesdale, die im benachbarten Haus wohnen. Benachbart im weitesten Sinne, da es im ländlichen Gebiet von Feldern, Wiesen und Moor umgeben ist. Die Häuser stehen auf dem sogenannten "hohlen Land", da es im Untergrund vom Bergbau zerfurcht ist, der jedoch eingestellt wurde. Harry Bateman und Bell Teesdale trennen ein paar Jahre Altersunterschied, aber das hält sie nicht davon ab, Freunde zu werden und gemeinsam die Umgebung unsicher zu machen. Dabei stellen sie einige abenteuerliche Dinge an und die gewonnene Freundschaft begleitet sie ein Leben lang. Die Familie Bateman, eigentlich Londoner und den Dorfbewohnern anfangs suspekt, bringen sich nach anfänglichen Schwierigkeiten und Missgeschicken gut in die Gemeinde ein und sind bald immer herzlich willkommen, gehören dazu.

Anders als erwartet beschreibt Jane Gardam nicht nur einen Sommer, sondern viele Sommer, auch Winter, mit großen Zeitsprüngen dazwischen. Dabei lernt der Leser in der Kürze des Buchs nicht nur die beiden Jungen, sondern auch Familienmitglieder, Nachbarn und verschrobene Gestalten aus der Umgebung kennen. Als Leser fliegt man nur so durch die Jahre.

Was dem Leser aber in Erinnerungen bleibt, ist die anhaltende Freundschaft der beiden Jungen, ihre Ausflüge in die Natur, ihr jugendlicher Leichtsinn und die dörflich-ländlichen Charaktere, die liebenswürdiger nicht sein könnten.

Im Nachhinein bin ich an Astrid-Lindgren-Idylle und den Löwenzahnwein von Ray Bradbury erinnert.

Bewertung vom 22.09.2019
Das flüssige Land
Edelbauer, Raphaela

Das flüssige Land


gut

Als Ruth nach dem Tod ihrer Eltern erfährt, dass es deren Wunsch war, ein Groß-Einland beerdigt zu werden, das offiziell gar nicht existiert, gerät sie in eine Art Rausch, fährt ziellos und verzweifelt umher, um schließlich zwei Herren zu belauschen, die von diesem Ort sprechen, ihnen durch einen Waldpfad dorthin zu folgen und ihr Auto dabei vollständig zu demolieren.

In Groß-Einland angekommen widmet sie sich jedoch nicht der Ausrichtung der Beerdigung, sondern verplempert ihre Zeit, steht unter ständigem Einfluss von Kodein und verliert völlig ihr Zeitverständnis, wobei doch gerade das der Inhalt ihres langjährigen Studiums und ihrer Habilitation ist, an der sie seit Jahren arbeitet.

Ihr Medikamentenwahn wird nur noch umso bildlicher, als das große Loch ins Spiel kommt, das unter der Ortschaft verläuft und die ganze Stadt in die Tiefe zu reißen droht. Darum ranken sich Geschichten, die weder fundiert noch recherchierbar sind. Ruth verwendet den Großteil ihrer Zeit dafür auf, alte Bücher zu durchforsten und abstrusen Geschichten hinterherzuforschen. Das alles wird von einer Gräfin überschattet, die das Erinnerungsvermögen des Ortes manipuliert und das Loch zu vertuschen zu versucht, statt eine gute Lösung für ein Auffüllen zu finden.

Mit dem Schreibstil hatte ich sehr zu kämpfen, vor allem, weil auch viele österreichische Begriffe drin sind, die ich so im Deutschen nicht kenne. Darüber stolperte ich immer wieder und kam schwer voran. Der Handlung musste ich erstmal ein paar Seiten Zeit geben, weil ich sie anfangs recht unlogisch fand. Was vor allem im Gedächtnis bleibt, sind Beschreibungen von Natur, Stadt und Einwohnern, die ein großartig klares Bild des Ortes hinterlassen.

Das ist meiner Einschätzung nach aber auch schon alles, was dem Leser von dieser Geschichte bleiben wird. Sämtliche Spannungsbögen verlaufen im Nichts, Fährten in Ruths Recherchen verlieren sich einfach, ungeklärte Fragen bleiben genau das: ungeklärt. Interpretationen sind hier womöglich völlig Fehl am Platz, dennoch komme ich nicht umhin, das alles als eine Art Drogenrausch zu empfinden, in dem die Zeit verschwimmt, Halluzinationen entstehen, die Gebäude ins Wanken geraten und sich in Ruth selbst ein unendlicher Abgrund auftut, der schwer zu füllen ist. Fantasystory, ok, aber etwas Sinn hätte ich mir doch gewünscht.

Bewertung vom 13.09.2019
Das Leuchten jenes Sommers
Scott, Nikola

Das Leuchten jenes Sommers


gut

Kein Leuchten...

Es gibt zwei Handlungsstränge in zwei unterschiedlichen Zeiten. Die eine spielt kurz vor dem ersten Weltkrieg und beschäftigt sich mit der jungen Madeleine und ihrer älteren Schwester Georgiana, die bei der Rückkehr von ihrer Europareise einen Mann mitbringt, Victor. Die beiden Mädchen haben früh ihre Eltern verloren und das Summerhill-Anwesen an Englands Küste geerbt, das Victor nutzt, um sich zwischen die beiden Schwestern zu drängen. Madeleine zeichnet für ihr Leben gern und bringt ein Kinderbuch heraus, um das Anwesen weiterhin zu finanzieren.

Der zweite Handlungsstrang findet in der heutigen Zeit statt. Es geht um Chloe, die vom Arzt erfährt, dass sie schwanger ist, aber zögert, es ihrem Mann, Aidan, zu erzählen. Als sie den Auftrag erhält, Madeleine zu fotografieren, die erneut an einem Buch arbeitet, um das Summerhill-Anwesen halten können, drängt sich ihr Mann dazwischen, da er Chloe unter allen Umständen für sich allein haben will. Als er zudem von ihrer Schwangerschaft erfährt, sperrt er sie gänzlich im Haus ein und entzieht ihr alles, was ihr etwas bedeutet.

Anfangs war ich wirklich verliebt in die Geschichte. Mir gefiel die Athmosphäre in Madeleines Summerhill, die Natur, die Liebe zum Zeichnen. Auch Chloe hatte viel Interessantes in ihrer Geschichte. Die Reibereien und Intrigen der Männer brachten auch nochmal eine interessante Spannung rein. Das letzte Drittel wurde dann allerdings ganz schön zäh und die Charaktere verhielten sich plötzlich völlig irrational. Die Handlung der beiden Frauen wurde nicht gut miteinander verknüpft, teilweise ergeben Sachen überhaupt keinen Sinn, z.B. dass der strenge Buchverleger Matt Cooper plötzlich auftaucht und den beiden Damen beisteht, das ist doch völlig unrealistisch. Hier scheint es, als wurde auf Krampf ein an RTL-anmutendes Happy-End erzwungen, das die komplette Storyline ruiniert. Schade!

An sich ist der Schreibstil aber sehr einfach gehalten, auch die 1937-Sprache ist im heutigen Stil, insgesamt sehr bildhaft. Der Personenwechsel in den Kapiteln lässt sich sehr gut durch die Namen in den Überschriften erkennen, aber auch durch die Erzählprespektive - Maddy: ich, Chloe: sie.

Leider wird es, wie gesagt, am Ende etwas flach und hektisch. Die ganze mühsam und liebevoll aufgebaute Storyline endet in einem ganz schön schnell abgehandelten Durcheinander. Am Ende ist nicht mal klar, welcher Sommer jetzt inwiefern geleuchtet hat. Meiner Meinung leuchtete da relativ wenig...

Bewertung vom 05.09.2019
Laufen
Bogdan, Isabel

Laufen


ausgezeichnet

Von diesem Buch bekommt man als Leser richtig Herzbluten. Man lernt die Ich-Erzählerin auf ihrer ersten Joggingrunde kennen und liest quasi ihre Gedanken. Sie ist Anfang 40, spielt Bratsche in einem kleinen Orchester und ihr Freund hat sich ungefähr ein Jahr zuvor nach langer Depression das Leben genommen. Durch das Joggen will sie eigentlich ihre wiederkehrenden, traurigen Gedanken abschütteln, quasi weglaufen. So ganz klappt das aber nicht. Stattdessen ist es eher eine intensive Trauerverarbeitung, mit Wut und allem drum und dran, ganz nach Lehrbuch.

Der Satzbau spiegelt durch sehr lange Sätze und Kommata das Laufen wieder, das Hecheln, das Seitenstechen, das wiederkehrende Ermahnen "Ich muss langsamer laufen", Rhythmus finden "Ein ein aus aus aus aus", die abdriftenden Gedanken, den Überdruss von Verlustgefühlen und Wut und Einsamkeit und Schuldgefühlen und Schmerz. Das wurde von der Autorin wirklich wunderbar umgesetzt. Immer wieder tauchen auch Beobachtungen auf, wie "Hat der Typ grade wirklich "Schöne Beine!" gerufen?", was alles sehr schön auflockert.

In ihren inneren Monologen spricht sie immer wieder zu ihrem verstorbenen Freund, ganz direkt, mit "du". Sie wertet so ihre Gefühle ihm gegenüber aus, ihre Erlebnisse und Unterstützung durch die Orchesterkollegen und ihre Freundin Rike samt Familie, ihre Therapiestunden bei Frau Mohl, ihre Fortschritte. Bis es nicht mehr "du" ist, sondern "er".

Es tut gut, einen so gesunden Heilungsprozess mit allen Hochs und Tiefs beobachten zu können. Das gibt Hoffnung, bringt Verständnis für die Krankheit Depression, aber auch wie schwer es ist, als Angehörige(r) oder sogar Zurückgelassene(r) damit umzugehen.

Bewertung vom 02.09.2019
Der Sprung
Lappert, Simone

Der Sprung


ausgezeichnet

Ein Sprung ins Leben

Für Simone Lapperts Erzählweise benötigt der Leser zu Beginn etwas Durchhaltevermögen: Es gibt keinen durchgehenden Erzählstrang, sondern mehrere, die Kapitel für Kapitel wechseln. Anfangs ist auch gar nicht klar, was die einzelnen Personen miteinander gemeinsam haben, aber Stück für Stück überschneiden sich ihre Schicksale. Und alle zusammen überschneiden sich mit dem der jungen Frau Manu, die auf einem Dach steht, sich die Haare rauft, schreit, Dachziegel und all ihre Gärtnerwerkzeuge vom Dach wirft.

Wie sie aufs Dach gekommen ist und was sie da oben vorhat, weiß keiner. Eine Dame aus der Nachbarschaft rief die Polizei, dachte an einen Suizidversuch und seitdem wurde ein Sprungkissen aufgebaut, stehen Polizei, Schaulustige und die Presse unten auf dem Platz. In diesem Buch erfährt man über alle Leute alles mögliche, aber über Manu so wenig. Nur die sanften, liebevollen Beschreibungen von Manus Freund Finn geben einen Einblick in ihr Leben. Obwohl alle Charaktere von unterschiedlichem sozialen Status und Alter sind, haben sie alle ihre persönlichen, sehr realen Probleme, die mehr als nur unter die Haut gehen.

Die Sprache ist leicht verständlich, auch lange Sätze lassen sich leicht lesen. Insgesamt ist es teilweise wirklich poetisch, mit viel Feinsinn und Beobachtungen alltäglicher Handlungen, die sofort Bilder im Kopf erscheinen lassen ohne je banal zu sein, voll von Schmerz und Pathos!

Dieses Buch werde ich sicher nochmal und nochmal lesen. Bis jetzt mein Lese-Highlight 2019!

Bewertung vom 02.09.2019
Wir von der anderen Seite
Decker, Anika

Wir von der anderen Seite


ausgezeichnet

Rahel ist Mitte 30, Drehbuchautorin für Komödien, in einer glücklichen Beziehung und lebt in einer schön eingerichteten Wohnung, die der eines englischen Rentners ähnelt. Über Weihnachten fährt sie nach Hause zu ihren Eltern, beginnt gerade ein neues Drehbuch und dann - Cut. Sie wacht im Krankenhaus auf. Überall ragen Schläuche aus ihrem Körper, überall Monitore, die sämtliche Vitalfunktionen überwachen, ihre Haut ist ganz gelb, sie ist so müde, sie erinnert sich an nichts. Was ist passiert?

Anika Decker hat die Gabe, in einer leicht-fließenden Sprache die schlimmsten Momente mit geistreichem Witz zu untermalen. Ihre Charaktere sind sympathisch und glaubhaft, wenn auch etwas schräg. Rahels Erinnerungslücken nutzt sie sehr gut zum Spannungsaufbau und gibt sie ihr Stück für Stück zurück, sodass die Handlung dank Leser-Neugier nie langweilig wird. Ein ums andere Mal kam ich aus dem Schmunzeln über hübsche Begebenheiten nicht heraus, teilweise war ich aber auch fassungslos angesichts dem Verhalten einiger Charaktere. Am Ende siegt aber doch die Rührung über Rahels Mut zum Durchhalten und Weitermachen und der endlosen Unterstützung und Liebe, die sie auf ihrem Weg von ihren Eltern und ihrem Bruder Juri bekommt, obwohl Rahel auch menschlich keine einfache Person ist und das ewige Kreiseln um Krankheiten und Befindlichkeiten durchaus für Angehörige anstrengend und zehrend ist.

Sehr gut geschrieben, sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 23.08.2019
Mittwoch also
Elstad, Lotta

Mittwoch also


sehr gut

Hedda ist Anfang 30 und hat eigentlich nichts mehr zu lachen: Job verloren, Liebeskummer, Flugangst beim Fluchtversuch aus ihrem festgefahrenen Leben, bei dem der Pilot einen Sturzflug veranstaltet, und wird dann auch noch bei einem Tinderabenteuer versehentlich geschwängert. Uff! Und nun?

Zugegeben, ich habe auch erst gedacht, dass Hedda die vom Arzt verordnete Bedenkzeit nutzt, das Für und Wider der Abtreibung zu durchdenken. Im Kopf hatte ich mir das schon sehr schön ausgemalt, vielleicht sogar mit einer Änderung ihres Vorhabens entgegen ihrer ersten Einstellung.

Aber Milo taucht auf! Und jetzt beginnt alles nur noch mehr durcheinander zu geraten. Dass es nicht so gekommen ist, wie erst gedacht, ist vollkommen okay. Manchmal steht ein Entschluss und ist unumstößlich.

Die Charaktere sind meiner Meinung sehr gut gelungen und sehr echt. Ich mag die wilde Hedda, die Freiberuflerin in der Klemme, die Intellektuelle, die Junggebliebene. Und Lukas, für den Hedda einfach nicht die Richtige ist. Milo ist da schon abgedrehter, aber klar, es gibt solche Leute, irgendwie schräg-liebenswert. Dass Hedda sich in die Ecke gedrängt fühlt, hilflos ist, im Bauch eine tickende Zeitbombe, die alles nur noch komplizierter macht, kann ich verstehen.

Es ist, im Gegensatz zum ersten Eindruck, leichte Lektüre. Der Schreibstil ist hektisch, viele Literaturzitate, mit vielen Anspielungen auf aktuelles Geschehen, bei dem etwas Hintergrundwissen nicht schadet. Man erkennt den Puls der heutigen Zeit im Text. Einige Seiten sind fast leer, je nachdem, was gerade passiert, so rauscht man schneller durch das Buch, aber muss sich manchmal doch einen Moment Zeit nehmen, um den Sinn zu erfassen.

Bewertung vom 20.08.2019
Sal
Kitson, Mick

Sal


ausgezeichnet

Von dear_fearn
Ich-Erzählerin ist die kleine Sal. Aber was heißt klein? Anders als die meisten 13-jährigen in ihrem Alter, musste sie schon früh erwachsen werden. Ihre Mutter ist meistens betrunken und deren Freund nicht nur ebenfalls alkoholabhängig, sondern auch noch gewalttätig und übergriffig. Er missbraucht Sal seit sie 10 ist.
Seit Peppa auf der Welt ist, tut Sal alles, um sie zu beschützen. Als Peppas 10. Geburtstag bevorsteht, bekommt Sal Panik und macht einen Plan, denn Peppa soll nicht das gleiche geschehen wie ihr. Sie dürfen nicht an die Öffentlichkeit gehen, denn die Schwestern haben Angst, dass sie vom Jugendamt in unterschiedliche Familien geschickt und getrennt werden. Es bleibt also nur ein Ausweg: Weglaufen!

Das Buch ist wirklich fantastisch geschrieben: Die Sprache ist die eines Kindes, mit viel "und", fast plappernd. Angesichts der Geschehnisse, der wilden Flucht, der Gewalt, den Begegnungen mit Ingrid und Adam, erscheint ihr Sprech fast etwas gefühlskalt. Sie registriert wirklich alles. Sehr ausführlich beschreibt sie die Landschaft und die Handgriffe beim Bau einer Hütte, beim Feuerentfachen, Hasenfangen, Angeln. Von ihr kann man als Leser viel lernen.

Alkoholmissbrauch, Gewalt und Vergewaltigung sind aktuelle Themen unserer Zeit. Das Aussteigerleben-Thema wird hier nochmal aus einer, aus der Not geborenen, Sicht beschrieben. Empfehlenswert und lehrreich. Auch aus emotionaler Ebene: Durch die anhaltenden Gefühle der Schwestern gegenüber ihrer Maw.

Bewertung vom 20.08.2019
Alles okay
LaCour, Nina

Alles okay


ausgezeichnet

Marin wächst am Ocean Beach in San Francisco auf. Dieser Strand hält die besten und schlimmsten Dinge für sie bereit. Das Meer beruhigt sie und sie verbringt dort die schönsten Momente mit ihrer besten Freundin Mabel. Aber an diesem Strand ist auch ihre Mum ertrunken, bei einem Surf-Unfall. Marin war erst drei Jahre alt und lebt seitdem bei ihrem Gramps. Die beiden haben eine ganz spezielle Beziehung, voller bedeutungsvoller Rituale, aber meist ist jeder für sich. Marin weiß nichts über ihre Mum. Gramps spricht nicht über sie und konnte ihren Verlust nie ganz verwinden. Als Gramps eines Tages verschwindet und die Polizei sie über seinen Tod informiert, macht Marin zuhause eine schmerzhafte Entdeckung. Kurzerhand beschließt sie wegzulaufen, alles hinter sich zu lassen, alle Kontakte abzubrechen und nicht mehr zurückzuschauen. Sie fliegt früher als geplant zu ihrem College, übersteht zwei Wochen in einem dreckigen Motel und beginnt schließlich ein neues Leben gemeinsam mit ihren Kommilitonen. Doch die Vergangenheit lässt sie nicht los, sie fühlt sich einsam und verloren. Und dann kommt Mabel kurz vor Weihnachten zu Besuch…

Durch dieses Buch bin ich voller Tränen geschwommen. Kurz und schmerzhaft. Der Schreibstil ist leicht verständlich, voller Beschreibungen und Dialoge. Aber zwischen den Zeilen schwingen Gefühle, die schwer auszuhalten sind: Verlust, Trauer, Einsamkeit. Marin fühlt sich betrogen, verlassen, erträgt den Gedanken an ihr altes Leben nicht mehr, weiß nicht, ob das alles real oder nur Täuschung war. Die Kapitel sind relativ kurz. Es wird zwischen Rückblick und Gegenwart gewechselt, bis Mabel Marins altes Leben mit in ihr neues bringt. Es ist eine Geschichte über Schmerzen, Heilung und darüber wie sehr wir die Liebe anderer Menschen benötigen.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.