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Benutzername: 
violetta1961
Wohnort: 
Frankfurt am Main

Bewertungen

Insgesamt 53 Bewertungen
Bewertung vom 01.02.2021
Krass
Mosebach, Martin

Krass


sehr gut

Das Buch teilt sich in drei Teile auf.
Im ersten Teil lernen wir im Jahr 1988 den Charakter des charismatisch-machtbesessenen Geschäftsmannes Ralph Krass in Neapel kennen.
Er zieht einen Kreis von Menschen in seinen Bann, denen er großzügig ein Dolce Vita bietet, die sich jedoch seinen Regeln unterwerfen müssen.
So auch sein unsicherer Assistent Dr. Jüngel. Eine weitere wichtige Figur ist Lidewine Schoonemaker, die aufgrund ihres autonomen Charakters ebenso schnell aus dem Kreis entlassen wird, wie sie in ihn hereingezogen wurde. Nach einem Eklat im dubiosen geschäftlichen Bereich, löst sich der illustre Kreis auf.
Im Teil zwei erfahren wir vom Schicksal Dr. Jüngels einige Monate später: Verlassen und mittellos versucht er, in einem kleinen Ferienhaus eines Freundes Abstand zu gewinnen. Dieser Teil gehört für mich zu dem besten Abschnitt des Buches. Er ist schnörkellos und nachdenklich geschrieben,
aber sehr interessant. Die Geschichte um den alten Schuster ist meisterhaft.
Teil drei spielt 20 Jahre später, 2008 in Kairo. Der gealterte Krass ist dort gestrandet, ein Geschäft hat nicht geklappt, er ist plötzlich mittellos, lernt den jungen Anwalt Mohammed kennen, der sich um ihn kümmert, auch als er krank wird. Dass auch Dr. Jüngel und Lidewine Schoonemaker just in diesem Moment in Kairo zu tun haben, sich sogar im selben Hotel und auch noch den Anwalt kennenlernen, der sie zu Krass bringt, sind für meinen Geschmack einfach zu viele Zufälle. Und auch der Niedergang des Machtmenschen Krass, der sich bedingungslos in die Hände des Anwalts begibt, ist mir zu schnell konstruiert.
Insgesamt aber ist der Roman ungewöhnlich und eine tolle zeitlose Charakterstudie von Machtmenschen, wie wir sie aus Politik und Wirtschaft kennen. Martin Mosebach überzeugt durch seine ironische Sprache und seine grotesk-amüsanten Beschreibungen von gesellschaftlichen Konstellationen.

Bewertung vom 20.01.2021
Vati
Helfer, Monika

Vati


ausgezeichnet

Monika Helfer fügt hier kunstvoll die Facetten ihres Vaters zusammen.
Sie erinnert sich selbst und führt Gespräche über ihren Vater mit ihren Schwestern u.a..
Dabei nimmt sie die Leser auf verschiedene Stationen ihrer Kindheit in der Nachkriegszeit mit, schildert z.B. das zunächst glückliche Familienleben mit dem aufgrund einer Beinprothese humpelnden Vater, der eine Stelle in einem Kriegsopfer-Erholungsheim in den Bergen erhält. Man erfährt Humorvolles und Fragliches über die zahlreichen Familienmitglieder. Begreiflich nah werden Armut und Schicksalsschläge, aber auch Zusammenhalt, Sympathie und Unterstützung.
Was hat ihren Vater ausgemacht? Ein großes Thema spielt dabei auch seine Liebe zu Büchern.
Mir hat besonders gut die Sprache gefallen: österreichische Wörter und Ausdrücke kennenzulernen, bereichert. Durch unbedeutende, eigentlich sinnfreie Wiederholungen und rhythmische kurze Dialoge schildert die Autorin das Denken der Kinder und den alltäglichen Umgang realistisch und mit einem Hauch Melancholie. Ein gelungener Familienroman.

Bewertung vom 04.12.2020
Wo du nicht bist
Gebert, Anke

Wo du nicht bist


ausgezeichnet

Diese bewegende Liebesgeschichte spielt im Berlin der Nachkriegszeit.
Irma Weckmüller sucht in den Trümmern ihren Verlobten, den jüdischen Arzt Erich Bragenheim. In Rückblenden wird diese auf einer wahren Begebenheit basierenden Liebesgeschichte erzählt. Sie beginnt 1929, als Irma, ihre Schwester begleitend, den Arzt kennenlernt. Bis zur Deportation erfahren wir die berührenden Anfänge und leiden mit Irma mit, denn ihre Verbindung und Heirat wird durch die nationalsozialistische Herrschaft unmöglich gemacht. Diese Heirat jedoch gelingt Irma nach langen Jahren juristischen Kampfes posthum, denn Erich wird von den Nationalsozialisten ermordet. Aus der Sicht Irmas beschreibt die Autorin Anke Gebert eindrucksvoll die damaligen Lebensverhältnisse, nicht nur die der jüdischen Menschen, sondern auch die der Frauen. Wir erfahren von Alltag, Hunger und Elend 1945 und vom Denunziantentum in den 1930er Jahren.
Der Roman ist sehr gut recherchiert und ähnlich wie ein Film in zeitlichen Rückblenden angelegt. Er ist flüssig zu lesen, einfühlsam und fesselnd geschrieben.