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Dajobama

Bewertungen

Insgesamt 117 Bewertungen
Bewertung vom 14.11.2022
Krankhafte Narzissten enttarnen
Strauch, Silvia Christine

Krankhafte Narzissten enttarnen


ausgezeichnet

Narzissten enttarnen – Silvia Christine Strauch
Dies ist ein höchst informativer Ratgeber über das Thema „Narzissmus“, der interessierten Laien einen spannenden Einblick in die recht verbreitete Persönlichkeitsstörung gewährt. Die Autorin beschreibt sachlich fundiert das Verhalten des Narzissten in den verschiedenen Lebensbereichen Partnerschaft, Familie, Beruf und Freunde. So fällt es leichter, diese als solche zu erkennen und sich vor ihnen zu schützen. Anhand vieler Beispiele werden die Ausführungen noch plastischer. Zusätzlich gibt es jede Menge Tipps, eine etwaige toxische Beziehung zu einem Narzissten wieder zu beenden.
Frau Strauch hat einen sehr angenehmen und eingängigen Schreibstil und liefert hiermit wichtige Informationen und Tipps für Betroffene und Interessierte.
Ein Ratgeber zu einem wichtigen Thema, das ich sehr gerne weiterempfehle! 5 Sterne.

Bewertung vom 14.11.2022
Unsre verschwundenen Herzen
Ng, Celeste

Unsre verschwundenen Herzen


sehr gut

Unsre verschwundenen Herzen – Celeste Ng
Eine sprachlich brillante Dystopie, die sich eigentlich gar nicht wie eine solche liest.
Der zwölfjährige Bird lebt mit seinem Vater in einem Wohnheim in Harvard, nachdem die Mutter die Familie verlassen hat. Nach der „großen Krise“, die vorerst noch nebulös bleibt, werden Asiaten diskriminiert, ihre Kinder teilweise weggenommen und in Pflegefamilien untergebracht.
Den ersten Teil dieses Romans erzählt Bird seine Erlebnisse. Dadurch bleiben diese kindlich, unvollständig, mit vielen Fragezeichen. Es ist sehr gut zu lesen, auch spannend, dennoch erschien mir dieser Teil beinahe etwas eindimensional. Schließlich beschließt Bird sich auf den Weg zu machen und seine Mutter zu suchen. Ab diesem Moment, dem zweiten Teil des Buches, übernimmt die Mutter, Margaret, eine Chinesin, die Erzählstimme. Sie verbindet die Vergangenheit mit der Gegenwart, schließt viele Lücken und verleiht dem Text die nötige Tiefe um wirklich interessant zu werden.
Dies ist eine Dystopie, die allerdings kaum so wirkt. Zu real wirken die Geschehnisse. Vielmehr erkannte ich eine Sozialkritik an der amerikanischen Gesellschaft. Zudem werden tatsächliche Fakten der Geschichte verwendet, wie beispielsweise, die Kinder der indigenen Bevölkerung, die aus den Familien gerissen und in Internaten „umerzogen“ wurden. Am Beispiel einer anderen Bevölkerungsgruppe ist dies auf tragische Weise tatsächlich passiert und scheint daher überhaupt nicht weit hergeholt. Ebenso wie das „Feindbild China“ – insbesondere seit Corona. Diese absolut plausible und wenig dystopisch wirkende Ausgangssituation fand ich besonders spannend, jedoch auch beklemmend.
Sprachlich ist dieses Werk von großer Eleganz. Gehoben, teilweise beinahe poetisch, aber locker-leicht zu lesen. Sowohl Bird als auch Margaret konnten mich als Protagonisten überzeugen. Ich konnte mich gut einfühlen und mitfiebern. Dennoch taten sich vor allem gegen Ende die ein oder anderen Fragen bezüglich der Logik bzw. der Notwendigkeit des Handelns auf. Mich persönlich hat das aber kaum gestört.
Besonders gefallen hat mir der deutliche Bezug zu Gedichten, Büchern und Bibliotheken, bzw. deren Mitarbeiterinnen. Es sind die Gedichte von Birds Mutter, die sich wie ein roter Faden durch den Roman ziehen. Nicht zuletzt ist dies einfach die Geschichte der Liebe zwischen Mutter und Sohn.
4 Sterne

Bewertung vom 08.11.2022
Das Wasser des Sees ist niemals süß
Caminito, Giulia

Das Wasser des Sees ist niemals süß


ausgezeichnet

Das Wasser des Sees ist niemals süß – Giulia Caminito
Nach „Ein Tag wird kommen“ ist dies mein zweiter Roman der italienischen Ausnahmeautorin Giulia Caminito. Mit ihrem unvergleichlichen Schreibstil erzählt sie von den kleinen und großen Dramen des Lebens.
Im Mittelpunkt dieses (Anti-) Bildungsromans steht das Mädchen Gaia, das mit der dominanten Mutter, dem an den Rollstuhl gefesselten Vater und drei Geschwistern in eine Sozialwohnung am Lago di Bracciano zieht. Dieser See zieht sich tatsächlich wie ein roter Faden durch die Geschichte. Ebenso wie die ärmliche Herkunft, die Gaia niemals vergisst und deren Hürden sie nie überwinden wird. Mutter Antonia ist herrisch und ehrgeizig: Die Kinder sollen es einmal besser haben, sollen in der Gesellschaft aufsteigen, koste es, was es wolle. Es ist ein immenser Druck, dem sie insbesondere ihre Tochter aussetzt. Diese stellt nämlich schnell fest, dass Lerneifer allein nicht ausreicht, um bei den Altersgenossen akzeptiert zu werden – und sie findet neue Mittel und Wege, um sich durchzusetzen. Gaia trägt einen Zorn in sich, der immer wieder nach außen drängt.
Gaia ist somit nicht unbedingt eine sympathische Protagonistin. Sie macht Fehler, sie ist gewalttätig, teilweise kriminell. Dennoch spürt man diese tiefe Verletzlichkeit, die unter diesen Wutausbrüchen liegt. Man möchte sie in den Arm nehmen, bekommt ein tieferes Verständnis für sie und ihren Charakter. Eine Figur, die sehr tiefsinnig und vielschichtig ist – ebenso wie der ganze Roman. Eine tolle Leistung.
Es sind die großen Fragen des Lebens, denen Frau Caminito sich hier widmet, wie die schiere Unmöglichkeit eines sozialen Aufstiegs beispielsweise. Manch andere Themen erscheinen dagegen beinahe banal, etwa Mädchenfreundschaften, erste Lieben etc. Es ist eine Kindheit und Jugend, ein Erwachsenwerden unter schwierigen Umständen. Unbedingt besonders wird diese Geschichte vor allem durch Caminitos wunderbaren Schreibstil. Zart und dennoch geradezu wütend erzählt sie von Gaia und ihrem Umfeld. Bildreich, oft beinahe poetisch, aber immer direkt ins Herz treffen ihre Sätze. Wie oft blieb ich bei einer Aussage hängen, nachsinnend und bewundernd.
Woran auch immer es liegt, dass diese Autorin bei uns immer noch recht unbekannt ist – das muss und wird sich ändern. Denn für mich ist dies wieder ein absolutes Highlight – 5 Sterne!

Bewertung vom 01.11.2022
Shatter and Shine / Faith-Reihe Bd.2
Stankewitz, Sarah

Shatter and Shine / Faith-Reihe Bd.2


sehr gut

Shatter and Shine -Sarah Stankewitz
Dies ist der zweite Teil der Faith-Reihe. Ich habe den ersten Teil gelesen, finde aber, dass man die Bände sehr gut unabhängig voneinander lesen kann. Es ist eine in sich abgeschlossene Geschichte und es gibt nur wenige Berührungspunkte zur Vorgängerstory.
Auch hier geht es wieder um durchaus ernste Themen, wie den Verlust eines geliebten Menschen oder Traumata von Kriegsheimkehrern.
Hazel und Cameron haben beide viel durchgemacht und sind eigentlich nicht bereit für eine neue Beziehung. Cameron hat gar in Afghanistan sein Gehör verloren. Als er jedoch auf die Gebärdensprachlehrerin Hazel trifft, gibt es da eine starke Anziehungskraft, die beide nicht ignorieren können.
Die Autorin schreibt sehr gefühlvoll über wichtige Themen. Es entsteht ein Sog, dem man sich als Leser kaum entziehen kann. Auch sprachlich gibt es nichts zu beanstanden, auch wenn es mir das ein oder andere Mal fast zu emotional wurde. Obwohl ich dieses Buch sehr mochte und gar nicht sagen kann, woran es liegt, fand ich doch den ersten Teil noch ein kleines bisschen besser. Vielleicht war es mir hier im Endeffekt doch etwas zu viel Trauer und Vergangenheitsbewältigung. Deshalb von mir 4 Sterne!

Bewertung vom 01.11.2022
Kalt und still / Hanna Ahlander Bd.1
Sten, Viveca

Kalt und still / Hanna Ahlander Bd.1


sehr gut

Kalt und still – Viveca Sten
Dies ist der vielversprechende erste Fall für Hanna Ahlander und der Start einer neuen Schweden-Krimi-Reihe.
Hanna wurde nahegelegt, den Dienst bei der Stockholmer Polizei zu quittieren. Am selben Tag macht ihr Freund Schluss und sie steht auch noch quasi ohne Wohnung da. Im Ferienhaus ihrer Schwester, im abgelegenen Are soll Hanna ihre Wunden lecken und sich Gedanken über ihre Zukunft machen. Kaum angekommen, wird sie auf die Vermisstensuche nach der 18-jährigen Amanda aufmerksam. Diese war nach einer Party nicht nach Hause gekommen. Ehe sie es sich versieht, steckt Hanna bis zum Hals in den Ermittlungen…
Dieser Krimi ist sehr spannend und extrem nah an seinen Figuren. Der Leser erhält tiefe Einblicke in die Leben und Beweggründe von Opfern, mutmaßlichen Tätern und den Ermittlern Hanna und Daniel. Es menschelt sehr und es ist beinahe unmöglich, nicht mit Opfern, aber auch Ermittlern mitzuleiden. Denn dies ist ebenfalls Thema: was bedeutet es für das Privatleben eines Polizisten, wenn er sich plötzlich in einem großen Fall wiederfindet? Überhaupt schneidet die Autorin etliche wichtige und aktuelle Themen an, etwas aus dem Bereich der Sozialpolitik.
Die klirrende schwedische Kälte tut ein Übriges und macht diesen Krimi zu einem fesselnden Leseerlebnis! Hat mir gut gefallen! Leseempfehlung und 4 Sterne!

Bewertung vom 23.10.2022
Connemara
Mathieu, Nicolas

Connemara


gut

Connemara – Nicolas Mathieu
Mathieus Schreibstil finde ich ganz große Klasse, inhaltlich konnte er mich mit diesem Werk allerdings nicht überzeugen.
Die vierzigjährige Helene ist in der Mitte ihres Lebens angekommen, ist verheiratet, hat zwei Töchter und erfolgreich Karriere gemacht. Trotzdem ist sie unzufrieden. Aus der Beziehung ist die Luft raus, der stressige Alltag überfordert sie. Soweit fand ich die Thematik sehr interessant. Allerdings bewegte sich die Handlung für meinen Geschmack sehr schnell in eine ungünstige Richtung. Helene sucht Zerstreuung bei anderen Männern, sie baut sich also noch ein Parallelleben auf. Sie dated offensiv und trifft dabei schließlich auf Christophe, den sie aus ihrer Jugend noch kennt. Einer Jugend in einfachen Verhältnissen, der sie damals den Rücken zugewandt hat, ohne zurückzusehen. Um Karriere zu machen, gesellschaftlich aufzusteigen.
Der Kampf um den sozialen Aufstieg und alles, was dafür auf der Strecke blieb, das ist das eigentliche Thema dieses Romans. Helenes Familie, Mann und Töchter, sind kaum mehr Thema. Wofür gibt es schließlich Kindermädchen… Vielmehr geht es um Helene, die ausbricht um sich selbst zu finden und um Christophe, der geblieben ist, wer er immer war. Leider hat dieses Werk erhebliche Längen. Helenes Probleme, Partnerin zu werden, Sinn- bzw. Sinnlosigkeit von Fusionen etc. Ebenso wird Christophes Leben in sämtlichen Einzelheiten ausgebreitet. Detailliert beschriebene Eishockeyspiele inklusive. Das ist einfach zu viel. Die eigentliche Geschichte hätte leicht in einem Drittel dieses Werks Platz gehabt.
Trotz einiger Distanz zu den ohnehin nicht sonderlich sympathischen Protagonisten, tröstet Mathieus genialer Schreibstil über einiges hinweg. Er schreibt schnörkellos, aber sehr nah an seinen Figuren und schafft es, dass dies schon wieder elegant wirkt. Irritierend ist allerdings, dass er mitten im Kapitel plötzlich wieder zu einer früheren Begebenheit, Kindheit, Jugend, etc. abschweift. Da kann es schon mal passieren, dass man den Faden verliert.
Nicolas Mathieu schreibt fesselnd, feministisch, immer auch politisch. Dennoch konnte ich mit diesem Werk leider nicht viel anfangen. Zu viele Längen und zu blasse Figuren hinterlassen wenig Begeisterung.
Trotz allem vergebe ich hier 3 Sterne.

Bewertung vom 23.10.2022
The Dark
Haughton, Emma

The Dark


sehr gut

The Dark – Emma Haughton
Ein spannender Antarktis-Thriller mit herrlich unperfekten Figuren, der die Spannung bis zum Schluss hochhält und mich bestens unterhalten hat.
Kate North nimmt kurzerhand das Angebot an, auf einer UN-Forschungsstation in der Antarktis als Ärztin einzuspringen. Ihr Vorgänger Jean-Luc war bei einem Unfall im Eis ums Leben gekommen. Bald sorgen die Wintermonate für absolute Dunkelheit, was sich auch auf die ohnehin schon angespannte Stimmung innerhalb der dreizehnköpfigen Crew auswirkt. Einige der Menschen geraten in der Forschungsstation an ihre Grenzen und es häufen sich die Hinweise, dass im Zusammenhang mit Jean-Lucs Unfalltod irgendetwas im Argen liegt.
Die Ärztin Kate ist, durch einen Unfall traumatisiert, selbst in keinem guten psychischen Zustand. Ein Wunder eigentlich, dass sie all die Auswahltests bestanden hat. Sie hält sich selbst mit Medikamenten über Wasser und sie macht Fehler. Den wachsenden Anforderungen scheint sie kaum gewachsen zu sein. Trotz allem fand ich sie als Protagonistin erfrischend unperfekt und einfach menschlich.
Die Situation auf der Forschungsstation hat den Charakter eines „locked room“. Dreizehn Personen unterschiedlichsten Naturells sind auf sehr engem Raum zusammengepfercht. Über Monate ist es praktisch unmöglich, Hilfe einzufliegen bzw. Kranke oder Verletzte auszufliegen. Dunkelheit rund um die Uhr und die labile psychischer Verfassung einiger Gruppenmitglieder tun ein Übriges.
Emma Haughton schafft es, die Spannung über den ganzen Roman aufrecht zu erhalten. Ich war gefesselt und habe den Thriller beinahe am Stück verschlungen.
4 Sterne

Bewertung vom 03.10.2022
Lügen über meine Mutter
Dröscher, Daniela

Lügen über meine Mutter


sehr gut

Lügen über meine Mutter – Daniela Dröscher
Es ist die Ehe ihrer Eltern, von der die Autorin hier erzählt. Und es ist ihre Kindheit, in der sie viel zu viel von den Problemen und Streitereien der Erwachsenen mitbekommen hat, viel zu viel darüber nachgegrübelt und zu schnell erwachsen werden musste. Diese Familie nämlich, in der Frau Dröscher aufwuchs, ist eine unglaublich dysfunktionale.
Tatsächlich (man will es kaum für möglich halten) ist das Gewicht der Mutter immer wieder Thema und wird ihr immer wieder auf unfairste Weise vorgehalten. Der Vater demütigt sie über Jahre hinweg. Teilweise kontrolliert er gar das Ergebnis auf der Waage, macht sie immer wieder vor den Kindern lächerlich. Die eigentlichen Ursachen für diese absolut nicht funktionierende Ehe liegen natürlich wesentlich tiefer und werden immer mal wieder angerissen.
Die ganze Familie befindet sich wie in einem Hamsterrad. Es gibt eingefahrene Abläufe und Reaktionen. Unglücklich sind sie alle. Als Leser fragt man sich, wie hält die Frau das nur so lange durch? Das eigentlich Interessante an diesem Buch ist jedoch die Erzählperspektive durch die Tochter. Ela hat, wie jedes Kind, zunächst einen arglosen Blick auf ihre Eltern und deren Konflikte. Ihre Unbekümmertheit wird jedoch mehr und mehr durch Vorsicht und genaue Beobachtung der Erwachsenen abgelöst.
Sprachlich liest sich dieses Werk leicht und geradezu spannend weg. Inhaltlich werden einige schwere Themen aufgegriffen. Daniela Dröscher ist ein Kind der 80er. Die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau scheint damals noch strikter gewesen zu sein, der Ausbruch aus einer unglücklichen Ehe schwieriger. Ist das so? Ich habe ein ganz ähnliches Alter wie die Autorin und bin mir dessen nicht sicher. Aber damals wie heute sind es wohl ganz individuelle persönliche Situationen, die ein Familienleben beeinflussen.
Es ist spannend, wie die Autorin ihre damaligen kindlichen Eindrücke mit heutigem Wissen durch Gespräche mit ihrer Mutter abgleicht und einordnet. Eine Familiengeschichte, die mich sehr interessiert und gefesselt hat. 4 Sterne.

Bewertung vom 29.09.2022
Das Leuchten der Rentiere
Laestadius, Ann-Helén

Das Leuchten der Rentiere


ausgezeichnet

Das Leuchten der Rentiere – Ann-Helen Laestadius
Ein wunderbarer Roman, der die kaum bekannte Welt der Samen im Norden Schwedens zugänglich macht.
Das samische Mädchen Elsa ist erst neun Jahre alt, als sie mitansehen muss, wie ein Mann ihr Rentierkalb ermordet. Völlig eingeschüchtert behält sie das Gesehene für sich. Dennoch wird diese Tat noch über viele Jahre hinweg ihr Leben beeinflussen.
Obwohl der Täter von Anfang an bekannt ist, hat dieser Roman durchaus Elemente eines Krimis und wird sogar richtig spannend. Und doch ist dieses Buch soviel mehr. Ein Hauptthema ist die Anfeindung der Samen (auch Lappen genannt) aus der übrigen schwedischen Bevölkerung. Sie werden beschimpft und unterdrückt. Und leider auch von der Polizei nicht wirklich ernst genommen. Die Autorin ist selbst samischer Abstammung und teilt viel Wissen über Kultur und Traditionen der indigenen Bevölkerung. Wichtigste Einnahmequelle und ebenso Teil ihrer Kultur ist die Rentierhaltung. Diese Tiere sind quasi Dreh- und Angelpunkt des Alltags und dadurch auch Angriffsziel Nummer eins. Viele junge Samen tun sich schwer damit, ihr Los anzunehmen und die Rentierhaltung unter Anfeindungen fortzuführen. Eine extrem hohe Selbstmordrate ist deshalb leider ebenso Thema dieses Romans.
Elsa ist eine sehr starke Frau, eine Kämpferin, die zu ihren Wurzeln steht und die Arbeit mit den Rentieren trotz aller Widrigkeiten liebt. Es dauert ein bisschen, bis man sich in die Geschichte eingelesen hat, doch dann wachsen einem Elsa und ihre Familie und Freunde wirklich ans Herz.
Sprachlich ist dieser Roman eher unauffällig. Es sind knappe, eher nüchterne Sätze, die die Autorin da aneinanderreiht und auf eine eigene Art eine tolle Atmosphäre schafft. Die Figuren erwachen zum Leben und das vor einer großartigen schneebedeckten Kulisse des hohen Nordens mit jeder Menge Rentiere im Hintergrund. Nach kurzer Eingewöhnzeit fand ich es wirklich toll. Sehr atmosphärisch und dicht mit jeder Menge Gefühle zwischen den Zeilen.
Eine große Leseempfehlung für alle, die sich gerne mit anderen Kulturen in entlegenen Regionen auseinandersetzen! 5 Sterne!°

Bewertung vom 19.09.2022
Verbrenn all meine Briefe
Schulman, Alex

Verbrenn all meine Briefe


ausgezeichnet

Verbrenn all meine Briefe – Alex Schulman
Erst letztes Jahr konnte mich sein Roman „Die Überlebenden“ restlos begeistern, nun ist es dem Autor mit diesem Werk wieder gelungen. Was für eine unglaubliche Erzählgabe!
Erzählt wird gewissermaßen auf drei Zeitebenen. In der Gegenwart, Alex Schulman als Erwachsener, der Familiengeheimnissen auf der Spur ist. 1988, Alex Schulmans Erinnerungen als Kind zu Besuch bei den Großeltern, Karin und Sven. Und schließlich die wichtigste Handlungsebene, weiter zurück in die Zukunft, die 30er Jahre. Karin und Sven sind bereits verheiratet, leider nicht sonderlich glücklich. Das Drama beginnt, als Karin sich in Olof verliebt.
Alex versucht nach all den Jahren Licht ins Dunkel zu bringen. Woher kommt die ganze Wut in seiner Familie, all die Feindschaften, der Hass? Es gibt Tagebucheinträge und Briefe aus der Jugend seiner Großeltern. Bei der Recherche wird Alex schnell klar, dass sich in deren Vergangenheit regelrechte Abgründe auftun. Was ist damals wirklich passiert und hat die ganze Familie über Generationen vergiftet?
Kann Wut tatsächlich weitervererbt werden? Schwierige Frage. Auf jeden Fall wirken sich schlechte Gefühle, Lügen, Geheimnisse, auf die Erziehung der Kinder und damit auf die nächste Generation aus. Indirekt also vermutlich, ja.
Dieser Roman ist spannend wie ein Krimi. Stück für Stück werden lange verschlossene Wahrheiten aufgedeckt. Auch wenn man den Ausgang der Dreiecksgeschichte in den 30er Jahren bereits kennt, fiebert man mit, hofft und bangt. Denn das ist eine große Stärke des Autors. Er ist so unglaublich nah an seinen Figuren und am Leser. Seine Worte treffen zielgenau mitten in die Seele. Er schreibt so ungefiltert und unmittelbar. Mühelos, doch auf hohem Niveau vermittelt er geradezu überwältigende Gefühle. Es ist so tieftraurig und tragisch. Das Gelesene hallt lange nach.
Auch in diesem Buch verarbeitet Schulman offensichtlich autobiographische Fragmente. Allein die Nennung der tatsächlichen Familiennamen (mehrere!) macht dies deutlich. Dennoch betont er, dass es sich hierbei um einen Roman handelt.
Eine berührende Familiengeschichte, die ich beinahe atemlos verschlungen habe! Eine große Leseempfehlung für ein weiteres grandioses Werk dieses tollen Autors! 5 Sterne.