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Juma

Bewertungen

Insgesamt 96 Bewertungen
Bewertung vom 21.08.2023
Valentinstag (eBook, ePUB)
Ford, Richard

Valentinstag (eBook, ePUB)


sehr gut

Ans Ende kommen ist schwer
Richard Ford, einer der großen amerikanischen Schriftsteller des 20. Und 21. Jahrhunderts scheint mit „Valentinstag“ der Romanserie um sein Alter Ego Frank Boscombe tatsächlich ein Ende setzen zu wollen. Dass er es dem einst leichtfüßigen Protagonisten im hohen Alter so schwer macht, hätte ich nicht gedacht. Der nun mittlerweile über 70jährige Frank, der sich von seinem Seniorendasein in einen Job bei den Hausflüsterern, einer Immobilienfirma mit besonderem Anspruch, als Teilzeitangestellter flüchtet, muss mit einer tragischen Tatsache zurechtkommen. Meine Überschrift ist ein Zitat aus diesem Buch.
Nachdem seine Ex-Frau ebenso verstorben ist wie sein erster Sohn, bekommt nun Franks Sohn Paul die Diagnose ALS. Der Roman beginnt mit Rückblicken, mit Gedanken übers Glücklichsein, mit der Erinnerung an seine Mutter und mit der Behandlung Pauls an einer Mayo-Klinik. Dass die Behandlung von ALS, einer Krankheit, die das gesamte Nervensystem „auffrisst“, nur erleichternden und aufschiebenden Charakter hat, das weiß jeder, die Ärzte, Frank, Paul, auch seine Schwester und natürlich jeder Leser. So werden die kommenden Kapitel eine tour de Force für Frank und Paul. Schon ein misslungener Kinobesuch gerät zu einer anstrengenden Tortur, dann beschließt Frank, mit Paul zum Mount Rushmore zu reisen. Der Weg ist das Ziel, der Weg ist das Glück. Wie die beiden das hinbekommen, lasse ich selbstverständlich offen, aber eines kann ich schreiben, es wird von Seite zu Seite spannender.
Dass sich ein Buch über ALS nicht gerade als leichte Lektüre entpuppt, wird wohl jeder akzeptieren, besonders die Ford-Fans finden in diesem Buch sicher dutzende Aha-Momente, die sich auf Franks und Pauls Vergangenheit beziehen.
Dem Übersetzer Frank Heibert ist ein Kunststück gelungen, die Übersetzung liest sich meiner Meinung nach sogar besser als das Original. Das heißt „Be mine“ und ist schon seit Juni 2023 erhältlich, so auch die recht lange Leseprobe (10 %), die ich nach dem deutschen Buch auch noch gelesen habe. Auch der Titel „Valentinstag“ ist passend gewählt. Heibert hat diesem Buch ein einfühlsames Nachwort gewidmet und auch einige Anmerkungen zu amerikanischen, dem deutschen Leser nicht unbedingt geläufigen Details verfasst. Eigentlich schade, dass diese nicht im laufenden Text mit einer Fußnotennummer versehen sind. Nicht jeder liest zuerst am Ende des Buches das Nachwort, gerade beim gedruckten Buch ist das nachträglich Auffinden der Textstellen, die zu den Anmerkungen passen, nicht so leicht wie in einem e-Book.
Fazit: Richard Fords Schreibstil wird für Ford-Neueinsteiger zuerst etwas gewöhnungsbedürftig erscheinen, aber ich denke, dass sich das Weiterlesen unbedingt lohnt. Für mich gewöhnungsbedürftig war in erster Linie die sehr naturalistische Art, mit der Frank als Vater über seinen schon von der Krankheit schwer gezeichneten Sohn erzählt. Aufgehoben wird das aber vielfach durch ironische Bemerkungen, mit denen der Autor versucht, das Gleichgewicht zwischen Tragik und Komik wieder herzustellen. Die Ironie hat in diesem Buch eindeutig die Oberhand.
Klare Leseempfehlung!

#Valentinstag #NetGalleyDE

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.08.2023
Kornblumenzeit
Wernicke, Simona

Kornblumenzeit


ausgezeichnet

Sag mir, wo die Blumen sind…
Dieses Lied von Pete Seeger, in der deutschen Version gesungen von Marlene Dietrich, fiel mir ein, als ich über dieses Buch nachdachte. Es entsprach genau meiner Gefühlsverfassung, die dieser Debütroman von Simone Wernicke bei mir hinterlassen hat. Mit ihrem Erstlingswerk muss sich die Autorin nicht verstecken, bei mir im Regal wird es seinen Platz finden zwischen all den Büchern, die ich in den letzten zwei Jahren über Krieg, Flucht, Vertreibung und unendlichen Schmerz gelesen habe. Ich erinnere mich an Christiane Hoffmanns „Alles, was wir nicht erinnern“, Susanne Bendas „Dein Schweigen, Vater“ oder Olaf Müllers „Der Himmel meiner Mutter“, auch Sachbücher wie „Das Wolfsmädchen“ von Christian Hardinghaus und „Flucht“ von Andreas Kossert stehen bei mir. Wer sich mit dieser Thematik näher befasst, wird auch Arno Surminskis Ostpreußen-Bücher kennen. Simona Wernicke gehört für mich ab sofort zu den Autoren, die mir und meiner Seele am nächsten kamen.
Der Umschlags- und der Annotationstext geben eine kurze Inhaltsangabe, erzählt wird in diesem Buch die Familiengeschichte der Kühnapfels von 1928 bis in die Nachkriegszeit. Was für mich den Roman so besonders macht, ist der erste Teil mit den ausführlichen Schilderungen der Lebensbedingungen, wie sich im kleinen Ort Locken in Ostpreußen eine Familie bildet und zusammenwächst, wie es im Haus und auf dem Hof aussieht, welche Anstrengungen nötig sind, um jedes Jahr wieder die Ernte einzufahren, wie zum Jahresende dann doch alle wieder glücklich in der warmen Stube Weihnachten feiern. Dieses ganz normale, harte, trotzdem schöne ostpreußische Leben wird wunderbar erzählt. Die Dialoge sind lebensecht und machen einen großen Teil der Authentizität dieses Buches aus. Der Leser lernt neue Begriffe, weiß bald, dass der raue ostpreußische Charakter eine ganz eigene, von vielen liebevollen Diminutiven durchwobene Sprache benutzt und die Generationen einen enormen Zusammenhalt pflegen. Dass dieses ostpreußische Land auch noch in den 1930er Jahren in vielem rückständig und unterentwickelt ist, ich denke nur an die Torftoilette unter der Treppe der Kühnapfels oder die erst spät ins Haus verlegten Wasser- und Stromversorgungen, das ist uns als heutigem Leser so fremd wie der Mond.
Die Familie aber wächst und wächst, im Hintergrund wächst der Nationalsozialismus heran. Die Kühnapfels ahnen, dass die politische Entwicklung und der Kriegsbeginn Folgen auch für ihre Familie haben werden. Das wird im zweiten Teil dieses Buches so entsetzlich realistisch geschildert, dass einem der Atem stockt. Ich werde hier auf diesen zweiten Teil nicht eingehen, einerseits denke ich, dass die meisten Leser ahnen, was ab 1945 auch dieser Familie nicht erspart bleibt, andererseits soll auch durch Spoilern kein Leser vom Weiterlesen abgehalten werden.
Gekürzte Rezension!
Zum Schluss erzählt Simona Wernicke dann in ihrem Epilog noch über das Leben ihrer Familienmitglieder bis in die heutige Zeit. Ein schöner, wenn auch teilweise trauriger Abschluss. Dass sie mit ihrem Vater über all die Ereignisse, die im Buch so lebensnah beschrieben werden, auch sprechen konnte, mit ihm Locken besucht hat und so die Familiengeschichten und -traditionen erhält, finde ich das Schönste und Bewundernswerteste an diesem Buch. Danke, Simona Wernicke!
Fazit: für mich ein außergewöhnliches und trotz der schmerzvollen Geschehnisse wunderbares Buch, ich möchte es nicht mehr missen und empfehle es uneingeschränkt weiter.

Bewertung vom 22.07.2023
Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
Knecht, Doris

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe


sehr gut

Tiefe, schmerzliche Einblicke in ein fremdes Leben

Doris Knecht kenne ich von ihren Romanen Die Nachricht und Gruber geht, gerade las ich, dass ihr Roman Wald verfilmt wurde, also eine nicht ganz unbekannte österreichische Autorin in Norddeutschland, deren neuer Roman jetzt im Sommer 2023 herausgebracht wird. Mich hat nicht nur ihr Name, sondern auch der Titel angezogen, ich war gespannt, was eine Frau so alles vergessen kann.
Ja, die Protagonistin dieses Romans vergisst viel über die Jahre, aber eigentlich ist es das Viele, an das sie sich fortwährend erinnert fühlt. Sie ist Mitte 50, die beiden Kinder (Zwillinge, Max und Mila) ziehen aus und sie macht aus der Not eine Tugend und zieht in ihre kleine, ehemalige sogenannte (Schreib-)Werkstatt. Dass sie aus der Tochter Luzi kurzerhand einen Max macht, weil Luzi nicht im Buch auftauchen will, ist ein sehr gekonnter Kunstgriff. Max lässt sich als der sensible Junge offensichtlich besser beschreiben als eine widerspenstige Tochter.
Ich will hier nicht aufzählen, was man als Frau im Laufe der Zeit so alles vergessen kann, aber einige Ideen sind schon zum Lachen, Sonnenbrillen, die gleich mehrfach verloren gehen, ebenso wie die Farbe der Teppiche oder die echten Erinnerungen an die Kinder, als sie klein waren. Doris Knecht beschreibt also nicht nur ihre materiellen, sondern auch ihre ideellen Verluste, bisweilen für meinen Geschmack etwas zu ausführlich, aber sie fängt sich immer wieder selbst ein. Beginnt mit einer neuen Überschrift einen neuen Gedanken.
Eine der schönsten Szenen spielt im Kapitel Spinnweben, die alten Eltern (die aufgebrezelte Mutter würde hier wohl das Jugendrennen gewinnen) besuchen die neue Miniwohnung und versuchen sich am Auseinandernehmen der Backofentür, in der die Mutter Spinnweben entdeckt. Wunderbar, weil so vollkommen realistisch. Trotzdem liebevoll.
Wenn Max und Mila zu Besuch sind, ist da immer etwas Hintergründiges, ich glaube, Max trifft den Seelenzustand seiner Mutter genau, als er meint, sie könne wenigstens verbergen, dass sie sich freut, wenn sie wieder allein ist und ihre Ruhe hat.
Ja, dann ist da auch noch ein Hund, an dem die beiden Kinder wohl noch mehr hängen als an der Mutter. Der fährt nicht gerne Auto. aber das ist schon wieder eine andere Story.
Mit hat dieser Roman trotzdem nur teilweise sehr gut gefallen, was mich etwas gestört hat, waren die unzähligen Jammersätze, dass die große Wohnung zu teuer wäre und nun keine schöne, neue, bezahlbare mehr zu finden sei. Da spürte ich plötzlich, dass Österreich doch gar nicht so weit weg von Deutschland ist, zumindest mental, wenn man so dem ÖRR da wie dort zuhört, wo solche Jammerorgien an der Tagesordnung sind. Immerhin hat ja die jammernde Hauptperson noch ein Häuschen, das sie nun mit dem Hund im Schlepptau anpeilen kann.
Fazit: Eine Lebensgeschichte, die dem Leser eine Frau nahebringt, die nicht mehr jung, noch nicht alt, alleinstehend, und doch nicht allein ist. Sie hat ihre Kinder in der Nähe, sie hat einen Hund, sie hat Arbeit, sie hat Freunde, sie hat sich selbst, ihre Erinnerungen und alles das, was sie meinte, vergessen zu haben, das hat sie auch noch. Kein Grund zum Traurigsein, auch wenn man mitunter ein bisschen Mitleid mit ihr verspürt.

Bewertung vom 19.07.2023
Die Uckermark ist ausverkauft
Heintze, Birgit von

Die Uckermark ist ausverkauft


gut

Letztendlich geht es immer wieder um Anerkennung

Meine Überschrift ist ein Zitat aus dem Buch, sie hätte auch heißen können „Fürs Leben lernen“, das ist auf jedem Fall, am Ende des Buches angelangt, mein letzter Gedanke.
Das im Berliner Prenzlauer Berg wohnende Ehepaar Rosa und Richard hat nach dem Auszug der nun studierenden Töchter das Bedürfnis nach Entspannung, nach Grün, nach Abgeschiedenheit, sie denken zurück an ihre ersten Jahre in Schleswig-Holstein und suchen nach dem perfekten Wochenendglück.
Dass die Uckermark, eine idyllische Gegend nordöstlich von Berlin, ausverkauft ist, hindert die beiden nicht, gerade dort ihr Glück zu versuchen. Ein ominöser Herr Petterson verkauft ihnen ein noch ominöseres Grundstück an einem See, bebaut mit einem Forsthaus, das ich als marode Ruine bezeichnen würde. Das Idyllische der Umgebung bleibt zwar erhalten, aber es kommt so dick, dass man auf jeder Seite erwartet, dass entweder die Ehe zerbricht oder das Haus.
Diplomatisches Geschick mag zwar gefragt sein beim Umgang mit Bürokraten, Architekten und Handwerkern, aber aus meiner Sicht hat alles seine Grenzen. Rosa aber ist zäh, Richard bisweilen angepestet, die Handwerker aus Nah und Fern verhalten sich zwischen renitent und kooperativ, die Nachbarn (2 Kilometer Luftlinie) sind auch gewöhnungsbedürftig. So kommt es, das Rosa häufig bei ihrem besten Freund Olaf landet, der zum Glück anderweitig orientiert ist, und dort jede Menge Tränen und Jammer ablässt. Den ausgefallenen Designwünschen für die Innenausstattung, die Rosa trotz der Frustrationen immer weiter durchboxt, hat Ehemann Richard wenig entgegenzusetzen, kein Wunder, dass er der Baustelle und seiner Frau ab und zu den Rücken kehrt.
Dieses Buch beweist es ganz deutlich, Murphys verfluchtes Gesetz ist real. Als sich dann nach zwei Jahren endlich Licht am Horizont zeigt, sind es die Holzböcke, die dem Gesetz huldigen. Ob und wie das Ganze ausgeht, will ich hier nicht schreiben, jeder Leser kann sich selbst ein Urteil bilden.
Das Buch ist ein Roman, basiert aber wohl auf ganz handfesten Erlebnissen, die Figuren sind Kunstfiguren, aber sehr lebensnah. Manchmal hat man den Eindruck, ein privates Tagebuch zu lesen, manchmal fühlt es sich eher wie ein Tatsachenroman an. Zwischendurch muss man als Leser schon recht geduldig sein, vieles wird sehr ausführlich geschildert.
Jeder, der eine Wohnung oder ein Haus mietet oder kauft, erlebt Schäden, Schädlinge oder andere Katastrophen, kommt früher oder später in den Genuss von Handwerkern. Dieses Buch dürfte den einen oder anderen von großen Experimenten abhalten. Ohne jede Menge Geld, Geduld und möglichst eigenes handwerkliches Geschick ist der Durchschnittsmensch aufgeschmissen. Deshalb empfehle ich dieses Buch als eine Art Lebenshilfe möglichst präventiv zu genießen.
Mein Fazit ist wieder ein Zitat: „Wer das nicht schafft, muss lernen, mit unschönen Kompromissen zu leben.“ Wie wahr, das ganze Leben besteht aus Kompromissen.

Bewertung vom 15.07.2023
Tobis Städtetrip
Kämmerer, Tobi;Wurster, Tina

Tobis Städtetrip


ausgezeichnet

Solche Städtetrips und Städtetipps kann es gar nicht genug geben

Mir gefällt dieses Buch ganz außerordentlich. Es ist nicht zu groß, die Schrift ist gut lesbar, die Typografie locker und ansprechend. Die Fotos sind lustig und lockern den Text gut auf. Die Fadenbindung verbessert die Haltbarkeit um ein Vielfaches, denn dieses Buch will geblättert und gebogen werden, es will ja mit auf die Reisen!

Ich kenne einige Orte bereits und habe trotzdem jede Menge unbekannte Ecken entdeckt. Beispiel Eltville, ich will sofort zum Weinhaus Krone, wenn ich dort ankomme.

Alle Ausflugs- und Einkehrtipps sind so gut beschrieben, da wäre es wohl egal, wohin man zuerst fährt. Übrigens gefällt mir das Buch fast noch besser als die Städtetrips im Fernsehen. Wer nimmt schon die Filme mit, wenn er durch die Orte spaziert. Mit dem kleinen Büchlein ist man jedenfalls vor Ort bestens informiert - und gut unterhalten, solange man zu Hause auf dem Sofa sitzt und Reisen plant.

Bewertung vom 11.07.2023
Agentenfieber
Kerwien, Bettina

Agentenfieber


sehr gut

Geheimnisvolle Postkarten sind nur die Spitze vom Eisberg

Obwohl sehr heftig fabuliert wird in diesem Krimi, hat er mir doch Spaß gemacht. Das Hintergrundwissen über Westberlin, Stasi, BND, KGB. LKA und sonstige geheimdienstliche Erkenntnisse sollte man tunlichst nicht mit der Krimiwirklichkeit vergleichen. Wer sich auf die Story um ein nicht ganz koscheres Fabergé-Ei, merkwürdige Damen aus Ost und West, durchgeknallte sowjetische Generäle und liebenswerte Charaktere wie Peter Kappe, Landsberger und Kommissarin Rosi einlässt, der wird nicht enttäuscht. Dass Autorin Bettina Kerwien das Agentenfieber mit viel Fantasie um Bond und Bomben ordentlich anheizt, ist zwar manchmal ein bisschen übertrieben, bleibt aber bis zum Schluss lesens- und liebenswert. Und das Rätsel der nebulösen Postkarten wird am Ende auch noch aufgelöst. Was will man mehr.

Ich freue mich schon auf 1984, ob da der Autorin etwas zu George Orwell im Sinn ist?

Bewertung vom 09.07.2023
Mords-Partie
Nebl, Monika

Mords-Partie


sehr gut

Unterhaltsamer Krimi mit bayerischem Flair
Wer bereits die ersten vier Wasserburg-am-Inn-Regionalkrimis von Monika Nebl gelesen hat, braucht keine Eingewöhnungszeit in die bayrische Landschaft und Sprache, bei mir als Norddeutscher hat es aber auch nicht lange gedauert und ich war drin im Geschehen.
Arminia, kurz Minnie genannt, lebt von Töpferkunst (mit Vorliebe für kleine Monsterfische) und Liebe (hier erscheint Freund und Bänker Alex). Dass sie offensichtlich auch eine kriminalistische Ader hat, wird schnell klar. Leider ist der Auslöser dieses neuen Krimis eine Leiche, Corinna, eine Zugezogene und Ehefrau vom Simon, genannt Simmerl, wird in ihrem Himmelbett tot aufgefunden. Dass sie durch fremde Hand starb, ist auch gleich klar. Wer der Mörder ist, das ist bei Weitem schwerer herauszufinden. Das Angebot an Verdächtigen ist recht groß, wenn auch eher regional. Die Minnie hat so einen Riecher, ihre Anspielungen erregen aber nicht bei jedem Freudengeschrei.
Die Autorin lässt den Leser aber nicht nur teilhaben an der Mördersuche, sie bringt auch jede Menge Abwechslung durch menschliche und zwischenmenschliche Beziehungen ins Spiel. Etwas ausführlich gerät dabei die Vorbereitung des Junggesellinnenabschieds ihrer besten Freundin Toni, die jederzeit Gefahr läuft, dass ihr kleiner Zwack lieber auf Erden als im Mutterleib herumzappeln möchte. Ob die Abschiedspartie gelingt, verrate ich nicht.
Die Figuren im Krimispiel lässt Monika Nebl nach Belieben tanzen, es ist lustig, manchmal abenteuerlich, aber eigentlich nie langweilig. Angefangen bei Mutter Traudl, die schon eine recht spezielle Person ist, weiter bei ihrem Lebenspartner Gustl, der nicht nur Rücken sondern auch Bein hat, lernt man jede Menge skurrile Typen kennen. Ja, die Angler aller Couleur nicht zu vergessen... und eine grüne Gießkanne bekommt auch noch eine Rolle im kriminalistischen Alltag.
Dass Monika Nebl auch unter verschiedenen Pseudonymen Fantasie- und Romantikromane schreibt, weiß vielleicht nicht jeder Leser, ab und an blitzen im Krimi ein paar Ideen auf, die offensichtlich aus dieser Richtung kommen.
Wer gerne mal nach Bayern fahren möchte, hätte mit dem Krimi auch schon einen kleinen Reise-, Berg und Wanderführer zur Hand. Das Regionale bindet die Autorin sehr gekonnt in die Handlung ein.
Wer sich mit dem Bairischen nicht so gut auskennt, der bekommen am Ende des Buches ein wunderbares Wörterbuch geliefert, das könnte man gleich noch extra verlegen für Urlauber und andere Fremde, die nur Bahnhof verstehen. Ich habe es vorneweg gelesen, dann habe ich es nicht mehr gebraucht, im Text ist trotz der „Fremdwörter“ alles selbsterklärend.
Dass am Ende auch der böse Mörder gefunden wird, versteht sich fast von selbst. Das Buch bietet dem Leser einen wirklich gekonnten Showdown.
Fazit: Dieses Buch macht Spaß, ist gut gegen Langeweile und hat mein Leserherz erfreut.

Bewertung vom 05.07.2023
Lost & Dark Places Sachsen
Lohs, Cornelia

Lost & Dark Places Sachsen


ausgezeichnet

Lost Places sind nicht nur ein Magnet für Abenteurer und „Grufties“, auch Wanderer, Urlauber, Ahnenforscher oder Geschichtsliebhaber machen sich heutzutage auf den Weg zu dunklen Gefilden. Cornelia Lohs legt mit ihrem Buch über 33 vergessene, verlassene und unheimliche Orte einen kleinen Wegweiser für Sachsen vor, der es in sich hat. Die Autorin kann nicht nur fantastisch fotografieren, sie hat auch – es muss schon eine Weile gedauert haben, die Menge an Material zusammenzutragen und zu einem Buch zu verdichten – zu jedem der verwunschenen Orte die Geschichte beschrieben sowie sich dem heutigen Zustand gewidmet. Ihre Informationen gehen von der Anschrift bis zu GPS-Koordinaten und soweit möglich, Öffnungszeiten oder Zutrittsmöglichkeiten. Einfach bewundernswert, diese Arbeit, die Liebe und die Akribie, die sie in jeden einzelnen Beitrag gesteckt hat.
Abgerundet wird alles mit einer Übersichtskarte innen auf der 2. Umschlagseite/Klappe, auf der man die Objekte der Begierde per Kapitelnummer sofort findet. Wer also irgendwo in Sachsen unterwegs ist, sollte dieses Buch im Gepäck haben und schauen, ob er einen der beschriebenen Orte findet. Sehr schade, ich war bereits zwei Mal in den letzten Jahren in Görlitz, aber nichts von den sechs Lost Places habe ich bei meinen Stippvisiten gesehen. Nach Görlitz muss ich also noch einmal mit diesem Buch reisen.
Für mich der überraschendste Fund in diesem Buch war die Beschreibung des Alten Israelitischen Friedhofs in Leipzig. Einige meiner Verwandten wurden wahrscheinlich dort Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts beerdigt. Für mich war völlig neu, dass dieser Friedhof noch so existiert.
Die typografische Gestaltung hat der BRUCKMANN Verlag in offenbar bewährte und goldene Hände gelegt, auch Lektorat, Korrektor etc. arbeiteten auf höchstem Niveau. Mich freut so etwas ganz besonders, ich komme aus der Buchbranche.
Auf der 3. Umschlagseite bzw. der Umschlagklappe hat der Verlag eine ansehnliche Anzahl Lost & Dark Places-Bücher vorgestellt, ich werde mir als nächstes das Ruhrgebiet vornehmen, Geburtsort meines Vaters.
Ich empfehle dieses Buch sehr, es bietet mehr als nur Lost Places, es bietet Einblicke in eine vergangene Welt und lässt mit Fantasie vielleicht etwas Neues entstehen. Danke, liebe Cornelia Lohs. Fünf Sterne plus!

Bewertung vom 12.06.2023
Die Affäre Alaska Sanders
Dicker, Joël

Die Affäre Alaska Sanders


sehr gut

Es ist ein langer Weg bis zur Lösung des Falles, aber er lohnt sich
Wer den Schriftsteller Joël Dicker kennt, ahnt bereits, es wird wieder ein langes Hörbuch resp. ein dickes Buch! Im Hinterkopf tauchen Harry Quebert, die Baltimors oder Stephanie Mailer auf, ja, in Andeutungen und interessanten Begegnungen wird man ihnen auch in dem neuen Roman begegnen. Da die anderen Romane bereits eine Weile zurückliegen, ist es auch angebracht, ab und zu an Ereignisse erinnert zu werden.
Der Fall der ermordeten Alaska Sanders bringt den Ich-Erzähler Schriftsteller Marcus Goldman und seinen Freund und Gegenspieler Sergeant Perry Gahalowood an ihre Grenzen. Jede ermittelte Spur führt zur nächsten, nichts ist wie es scheint. Joël Dicker amüsiert sich wahrscheinlich heimlich über seine irregeführten Leser. Ich werde hier über die Handlung nichts schreiben, jeder Leser sollte die Kriminalfälle, die hier miteinander verknüpft werden, selbst mit ermitteln, sonst würde es langweilig werden.
Der Autor schafft es über die lange Strecke, den Leser bei der Stange zu halten, im Hörbuch, dass ich bei Dicker generell bevorzuge, gibt Torben Kessler sein Bestes. Mir haben die 18 Stunden ein wirkliches Hörvergnügen bereitet. Und das Ende war natürlich überraschend.