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Circlestonesbooks.blog

Bewertungen

Insgesamt 87 Bewertungen
Bewertung vom 26.07.2018
Der englische Liebhaber
de Cesco, Federica

Der englische Liebhaber


ausgezeichnet

„Wir müssen lernen, die Dinge aus der Distanz zu sehen.“ (Zitat Seite 90)

Inhalt:
Die junge Anna Henke arbeitet nach Kriegsende im zerstörten Münster als Dolmetscherin für die britische Besatzungsmacht. Sie lernt den britischen Offizier Jeremy Fraser kennen und lieben. Obwohl diese Beziehung zwischen einer Deutschen und einem Mitglied des englischen Nachrichtendienstes absolut unerwünscht war, wollen sie trotz aller Hindernisse heiraten. Im April 1946 wird Jeremy in die Zentrale nach London zurückbeordert und aus Tagen werden lange Jahre, in denen Anna nie wieder etwas von ihm hört. Die gemeinsame Tochter Charlotte wächst dadurch als uneheliches Besatzungskind auf und lernt ihren Vater erst 1972 kennen. Kurz vor ihrem Tod übergibt Anna ihrer Tochter einige Schmuckstücke, persönliche Tagebuchaufzeichnungen und Tonbänder. Wird dies Charlotte helfen, die Geschichte ihrer Eltern besser zu verstehen?

Thema und Genre:
Erzählt wird eine Liebesgeschichte nach einer wahren Begebenheit, die im Nachkriegsdeutschland beginnt und das Leben mehrere Menschen dauerhaft prägt. Der Hauptteil dieses Romans ist in Tagebuchform geschrieben und hat biografische Ansätze. Thema sind die deutschen Kriegs- und Nachkriegsjahre und die Frage, wie die Menschen mit der Vergangenheit umgehen. Es geht aber auch um den Aufbruch und Protest der 68er Generation.

Charaktere:
Der Schwerpunkt dieses neuesten Romans der bekannten Autorin liegt mehr im Erzählen der Geschichte von Anna und Jeremy, den Lebensumständen im armen Nachkriegsdeutschland und weniger in der Charakterisierung der handelnden Personen selbst. Ihre Beweggründe ergeben sich eher aus dem Umfeld, als auch eigenen aktiven Entscheidungen und man hinterfragt sie als Leser daher auch nicht, sondern nimmt sie zur Kenntnis.

Handlung und Schreibstil:
Kernstück der Handlung ist die Geschichte von Anna und Jeremy, erzählt in den Tagebüchern und Aufzeichnungen von Anna selbst, daher in Ich-Form. Die Sichtweise der erwachsenen Charlotte der Jetztzeit bildet eine untergeordnete Rahmenhandlung und wird in der 3. Person erzählt. Die gesamte Erzählung fließt auf allen Ebenen gleichmäßig dahin, ohne Spannung aufzubauen. Obwohl die Autorin politische Fragen um Verantwortung und Aufbegehren streift und auch die Jugendkultur der 68er in die Handlung einbringt, bleibt sie auch hier an der Oberfläche der allgemein bekannten Tatsachen. Die sprachliche Qualität dagegen ist auch diesmal wieder großartig.

Fazit:
Ich hatte große Erwartungen in diesen neuesten Roman der bekannten Schriftstellerin, der in meinen Augen leider nicht an ihre früheren Bücher herankommt. Diese Geschichte, die sich 360 Seiten lang dem Leser als eine ruhig erzählte Biografie präsentiert, konnte mich leider nicht überzeugen. Es ist ein netter, sprachlich sehr gut geschriebener Liebes- und Generationenroman, der an der Oberfläche dahinplätschert, den Leser nicht fordert und schnell gelesen ist.

Bewertung vom 26.07.2018
Das Revier der schrägen Vögel / Kommando Abstellgleis Bd.2
Hénaff, Sophie

Das Revier der schrägen Vögel / Kommando Abstellgleis Bd.2


ausgezeichnet

„Ihre schrägen Vögel bringen ein bisschen Wind in die Sache.“ (Zitat Seite 62)

Inhalt:
Nach dem Abschluss des ersten Falles wird diese spezielle Einheit unbequemer, sehr eigenwilliger Ermittler unter der Leitung von Anne Capestan wieder von allen Kollegen geschnitten. Da ruft ihr Mentor, Directeur Buron, sie zum Schauplatz eines neuen Mordes. Sie soll mit ihrer Abteilung parallel zum Team des BRI ermitteln. Als sie den Toten sieht, versteht sie den Grund dafür: es handelt sich um einen pensioniertem hohen Beamten des BRI und - es ist ihr Schwiegervater. Beinahe zeitgleich gab es in einem kleinen Ort in der Provence einen weiteren Mord. Das Team um Capistan, erweitert um ein neues Mitglied, das nicht ohne Grund den Spitznamen „D’Artagnan“ trägt, vermutet sofort einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Morden und ermittelt unbeirrbar weiter, als die BRI bereits einen Mordverdächtigen gefunden und verhaftet hat.

Thema und Genre:
Bei diesem Kriminalroman handelt es sich um den zweiten Band einer Serie um eine Gruppe von Ermittlern, die man aus unterschiedlichen Gründen in ihren bisherigen Abteilungen nicht mehr haben wollte, die man aber auch nicht aus dem Polizeidienst entlassen konnte. Wieder geht es um einen Fall, der in der Vergangenheit stattgefunden hat, aber direkt in die Gegenwart führt.

Charaktere:
Die Autorin stellt eine Gruppe von Außenseitern, die sie humorvoll und immer auch glaubhaft charakterisiert, in den Mittelpunkt ihrer Romanserie. Gerade diese einzelnen Protagonisten machen den Charme auch dieser Geschichte aus, die durch die Eigenheiten und Schicksale der einzelnen Personen Tiefe erhält.

Handlung und Schreibstil:
Trotz der lustigen Szenen und die originellen Eigenheiten der Teammitglieder handelt es sich um eine spannende Geschichte mit bis zum Schluss überraschenden Wendungen. Etwas Besonderes ist das Kapitel 31, in dem es um den 24. Dezember 2012 geht. In Unterkapiteln mit der jeweils genauen Uhrzeit wird der Tagesablauf jedes einzelnen Mitgliedes des „Kommando Abstellgleis“ geschildert.

Fazit:
Dieser zweite Fall für das eigenwillige Ermittlerteam bietet wieder spannende, sehr unterhaltsame Lesestunden. Die einzelnen Mitglieder dieser Gruppe von schrägen Vögeln auf dem Abstellgleis werden auch im zweiten Band gut beschrieben, man muss nicht unbedingt auch den ersten Band gelesen haben.

Bewertung vom 26.07.2018
Das Marillenmädchen
Hanika, Beate T.

Das Marillenmädchen


weniger gut

„Ich dachte daran, was wir zu Anfang sind, was das Leben aus uns macht und welchen Teil wir davon selbst in die Hand nehmen.“ (Zitat Seite 80)

Inhalt:
Elisabetta Shapiro wohnt noch immer in dem Haus ihrer Familie in Wien, in dem sie 1934 geboren wurde. Mit ihr leben auch die alten Erinnerungen und der große Marillenbaum in ihrem Garten, den ihr Vater gepflanzt hatte. Jedes Jahr kocht sie aus den Früchten Marmelade, wie es schon ihre Mutter getan hatte. Die Wohnung im ersten Stock vermietet sie und eines Tages zieht Pola ein, eine junge deutsche Ballettänzerin. Schicksal oder Zufall? Denn es gibt eine Verbindung in ihrem Leben.

Thema und Genre:
In diesem Generationenroman geht es um die Zeit ab 1938 in Wien und das Leben der Menschen, die diese Zeit er- und überlebt haben. Es geht aber auch um Liebe, Mut und Feigheit. Der Roman spielt hauptsächlich in Wien, wobei die Autorin zwar die realen Örtlichkeiten verwendet, diese jedoch für ihre Handlung völlig verfremdet. Durch die Mariahilfer Straße bimmeln seit 1993 keine Straßenbahnen mehr, es gibt auch keine kleinen Häuser mit Gärten und Marillenbäumen, sondern urbane Gründerzeithäuser und Innenhöfe mit alten Kastanien. Eine Melange ist keine schwarze Flüssigkeit, sondern hell, da mit viel Milch. Es fahren keine Droschken, sondern Fiaker, die „Kneipen“ in der Nähe des Stephansdoms sind Bars und Restaurants. Auch der niederländische Maler Carel van Lier wird als Karel Lier nach Wien verpflanzt. Hier hat sich die Autorin leider keine Zeit für Recherchen genommen und sie kennt Wien wohl auch nicht. Es fällt vermutlich ihren deutschen Lesern auch nicht auf, mir als Wienerin aber schon. Diese Beschreibungen haben mit Wien leider nur den Namen gemeinsam und ich frage mich, was das für einen Sinn haben soll und ob der Verlag kein Lektorat mehr hat.

Charaktere:
Elisabetta lebt mehr in und mit der Vergangenheit, als in der Gegenwart. Ihre eigene zwiespätige Gefühlswelt wird durch ihre gedanklichen Gespräche mit ihren beiden so unterschiedlichen Schwestern sehr gut geschildert. Auch Pola, die zornige junge Frau, die nur wirklich frei ist, wenn sie tanzt, ist stimmig beschrieben.

Handlung und Schreibstil:
Die Handlung besteht aus mehreren Erzählsträngen, teilweise in der Vergangenheit, teilweise in der Gegenwart, die oft und teilweise abrupt wechseln. Innerhalb des jeweiligen Zeitstranges sind die Episoden jedoch chronologisch. Elisabetta erzählt jene Teile, die sie selbst und die Rückblenden ihrer Erinnerung betreffen, in der ersten Person, für alle anderen Abschnitte wählt die Autorin die dritte Person. Wirklich überzeugend ist die sprachliche Qualität dieses Romans.

Fazit:
Ich hatte mir auf Grund der Leseprobe wesentlich mehr erwartet. Mich konnte dieser sehr konstruierte und oberflächlich erzählte Roman, abgesehen von der großartigen Sprache, nicht überzeugen. Wirklich genervt hat mich diese kitschige Beschreibung eines Eigenheims mit Gemüsegarten und Marillenbaum gleich neben einer der belebtesten Einkaufsstraßen Wiens, dazu ein kurzer nächtlicher Spaziergang vom Konzerthaus an die Donau (man bräuchte dafür etwa 90 Minuten). Ein Roman wohl eher für junge Leser, die gerne Liebesgeschichten mit etwas Vergangenheitsbezug lesen.

Bewertung vom 26.07.2018
David
Taschler, Judith W.

David


ausgezeichnet

„Alles, was auf diesen heißen Augusttag folgte, waren in den ersten Jahren tägliche kleine Katastrophen, sie mündeten in einer einzigen großen Katastrophe und die Folgen davon ließen aus ihrem Leben ein Desaster werden.“ (Zitat Seite 23)

Inhalt:
Magdalena Millet kehrt nach 28 Jahren zurück ins Haus ihrer Kindheit, wo sie bei ihrer Oma Clara gelebt hat, bis diese überraschend verstorben ist und Magdalena in ein Heim kam. Sie renoviert das Haus, um darin zu leben.
Jan ist 18 Jahre alt, als seine Adoptivmutter bei einem Autounfall tödlich verunglückt. Er findet sie, ihr Auto ist an einen Baum geprallt. Es ist ein großer, alter Davidsahorn, der auf Magdalenas Grundstück steht. Dieser Baum ist der Schlüssel zu einem alten Familiengeheimnis.

Thema und Genre:
In diesem Familien- und Generationenroman geht es um jene Momente, in denen eine Entscheidung getroffen wird, die unvorhersehbare Folgen für alle Beteiligten und auch das Umfeld hat. Es geht auch um Vorurteile, das Leben in kleinen Dorfgemeinschaften und um die Liebe.

Charaktere:
Die Autorin entwickelt unglaublich lebensnahe Charaktere mit allen menschlichen Schwächen, die den Leser mit ihren Schicksalen sofort in den Bann ziehen und uns mitfühlen lassen. Hier geht es nicht so sehr um die Frage, ob man einzelne Entscheidungen vielleicht anders getroffen hätte, sondern vor allem darum, was dann die Zeit, man kann es auch Ironie des Schicksals nennen, daraus macht.

Handlung und Schreibstil:
Die Handlung beginnt mit einem Ereignis in der Vergangenheit als Prolog und entwickelt sich in einzelnen Kapiteln zwischen Gegenwart und erklärender Vergangenheit weiter, bis sich der Bogen schließt. Die Geschichte ist in ihrer Komplexität spannend und schlüssig erzählt und bleibt auch nach der letzten Seite in den Gedanken des Lesers. Die poetische Sprache macht diesen Roman zu einem insgesamt beeindruckenden, großartigen Leseerlebnis.

Fazit:
Eine facettenreiche Generationengeschichte in einer dichten, poetischen Sprache. Trotz der schwierigen Einzelschicksale ist es wunderbar positive Geschichte, die hier erzählt wird. Für mich persönlich eines meiner Lieblingsbücher 2018.

Bewertung vom 22.06.2018
Lady Liberty
Tilly, Annabelle

Lady Liberty


ausgezeichnet

„Glaubst du, dass Lady Liberty in zweihundert Jahren immer noch hier steht?“
(Zitat Seite 386)

Inhalt:
Camille St. Laurent ist die jüngste von sechs Töchtern einer wohlhabenden, adeligen Pariser Familie. Sie will Journalistin werden, was im Jahr 1885 für eine Frau beinahe unmöglich war. Doch Jules Aragon, der Chefredakteur des Figaro gibt ihr eine Chance.
Sie soll nach New York reisen, um dort vom Aufbau der Freiheitsstatue zu berichten. Allerdings sollen die Leser denken, dass Camille ein Mann ist. Der Verleger Joseph Pulitzer, dem die New York World gehört, teilt den Reporter Patrick O’Sullivan ein, sich um „den Kollegen aus Frankreich“ zu kümmern.
Nach anfänglichen Zweifeln werden die beiden rasch ein Team und neben den Berichten über den Bau des Sockels für die Freiheitsstatue recherchieren sie in einem Mordfall: zwei Frauen sind ermordet worden. Sie folgen mehreren Spuren, doch als Camille die Zusammenhänge erkennt, könnte sie das nächste Opfer sein …

Thema und Genre:
Dieser historische Unterhaltungsroman verpackt die Geschichte einer engagierten jungen Frau, die in der Männer-dominierten Welt des späten 19. Jahrhunderts ihren Weg gehen will. Themen sind das soziale Umfeld der wohlhabenden amerikanischen Familien, die Frauenrechte in Amerika, die Konstruktion der Freiheitsstatue und vor allem die Errichtung derselben in New York, wo es beinahe am Bau des entsprechenden Sockels scheitert.

Charaktere:
Camille ist eine selbstbewusste Frau, die sich rasch den amerikanischen Gegebenheiten anpasst. Patrick ist irischer Abstammung und stammt aus ärmlichen Verhältnissen. Er zeigt ihr sein New York und gibt ihr dadurch ein Gefühl von Freiheit abseits der engen gesellschaftlichen Zwänge, die damals in Europa noch vorherrschten.
Besonders liebenswert ist Camille’s Tante Catherine, die seit vielen Jahren in New lebt und bei der Camille wohnt. Tante Catherine ist eine nach außen hin etwas strenge alte Lady, die jedoch Sinn für Humor, Spaß und ein großes Herz hat.

Handlung und Schreibstil:
Ort der Handlung ist vorwiegend New York. Die Ereignisse dieses Romans finden in den Jahren 1885 bis 1886 statt und in chronologischer Reihenfolge. Ein kurzer Prolog schildert den ersten Mord. Die Handlung ist in insgesamt 35 Kapitel eingeteilt, die Überschrift gibt jeweils Ort und Zeitrahmen an, es folgt ein kurzer Epilog. Spannung erhält die Geschichte durch die Mordfälle und die Klärung der Zusammenhänge, wobei die Autorin die Protagonisten und damit auch den Leser auf einige falsche Fährten führt. Der Schreibstil ist flüssig und sprachlich sehr angenehm zu lesen, Die Beschreibungen der Stadt New York im Jahr 1885 sind sehr lebhaft und anschaulich, auch die berühmten Schauplätze wie Coney Island fehlen nicht.

Fazit:
Ein historischer Roman, der spannende Lesestunden garantiert. Die in den Roman eingebauten geschichtlichen Tatsachen sind sehr gut recherchiert, auch das Leben in der Stadt New York ist realistisch, anschaulich und interessant geschildert. Die ersten Frauenbewegungen im Zusammenhang mit dem angestrebten Wahlrecht für Frauen, sowie der mühsame Überlebenskampf der Frauen in den Armenvierteln im Gegensatz zum Leben der sehr reichen Gesellschaftsschicht vertiefen das Thema und machen aus diesem Buch mehr als nur unterhaltsame Trivia.

Bewertung vom 21.06.2018
Die Schatten der Ideen
Modick, Klaus

Die Schatten der Ideen


ausgezeichnet

„Das College sei ein Zauberberg, der unter seiner akademischen Käseglocke dahindämmere, und damit werde das Abgeschiedene des Städtchens noch isolierter, die Puppenstubenidylle noch hinterwälderischer, der Elfenbeinturm noch weltentrückter.“ (Zitat Seite 55)

Inhalt:
Moritz Carlsen, Schriftsteller und Übersetzer, wird von seinem früheren Studienkollegen Hocki eingeladen, am Centerville College in Vermont als Gastprofessor zwei Seminare in deutscher Sprache zu halten. Da ihm gerade die Ideen für einen neuen Roman fehlen und er daher das Geld benötigt, sagt er zu. Er bezieht ein altes Gästehaus, das zum College gehört. Im Keller entdeckt er durch Zufall eine Korrespondenz zwischen Carl Zuckmayer und Julius Steinberg, sowie die Tagebücher von Julius Steinberg, der zwischen 1939 und 1950 Assistenzprofessor für Geschichte am Centerville gewesen war. Neugierig geworden, beginnt er zu recherchieren. Doch in den Archiven findet sich kein Hinweis auf Steinberg und einige einflussreiche Personen sind sehr daran interessiert, dass dies auch so bleibt.

Thema und Genre:
Es handelt sich hier um einen Roman auf zwei Zeitebenen, Hauptbezugsort der Handlung ist ist das Centerville College in Vermont, USA. Die Ereignisse, in deren Mittelpunkt Moritz Carlsen steht, spielen in der Gegenwart, während der Leser die Geschichte von Julius Steinberg aus dessen Briefen und Aufzeichnungen erfährt. Themen sind das Leben der vor den Nazis geflohenen Juden in Amerika, die Wirtschaftskrise, Gewerkschaften und die McCarthy-Ära.

Charaktere:
Die Hauptprotagonisten sind Julius und Moritz. Beide zeigen Zivilcourage und lassen sich von politischem Druck nicht einschüchtern. Sehr gut beschrieben ist die Situation in diesem kleinen College, sowohl in der Gegenwart, als auch in der Vergangenheit.

Handlung und Schreibstil:
Die aktuelle Geschichte ist in der personalen Erzählform geschrieben, Steinbergs Tagebücher in der Ich-Form. Beide Handlungsstränge sind sehr spannend aufgebaut und in sich geschlossen, wobei die Gegenwart die Vergangenheit gleichsam umschließt. Sehr anschaulich beschrieben ist das politische Umfeld im Amerika zur Zeit des WKII und danach. Auch diesmal verwöhnt uns der Autor mit sprachlich großartigen Schilderungen.

Fazit:
Eine spannende Handlung, ein Roman mit interessanten Themen und eine gelungene, glaubhafte Idee. Wer schon Romane von Klaus Modick gelesen hat, wird auch diesmal begeistert sein und wer diesen Autor erst mit diesem Buch kennen lernt, wird sicher weitere Bücher von ihm lesen.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.06.2018
Unter blutrotem Himmel
Sullivan, Mark

Unter blutrotem Himmel


ausgezeichnet

„Das Beste ist, um die Menschen zu trauern, die man geliebt und verloren hat, und dann die neuen Menschen willkommen zu heißen und zu lieben, die dir das Leben vor die Nase setzt.“ (Zitat Seite 360)

Inhalt:
1943 ist Pino (Giuseppino) Lella siebzehn Jahre alt, liebt Jazz und Mädchen und träumt von Amerika. Seine Familie lebt in Mailand, das von den Deutschen besetzt ist. Als die ersten Bomben der Alliierten auf Mailand fallen, wird er, wie zuvor schon sein jüngerer Bruder, in ein Jugendlager in den Alpen, die Casa Alpina, geschickt. Dort hat Pater Re eine Aufgabe für ihn. Mehrmals in der Woche führt Pino jüdische Flüchtlinge über gefährliche Berg- und Kletterpfade an die Schweizer Grenze. Doch sein Vater ruft ihn zurück nach Mailand und Pino verpflichtet sich widerwillig zur deutschen Armee. Am 8. August 1944 wird er der persönliche Fahrer von Generalmajor Hans Leyers und dadurch eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten. Er sieht auch Anna wieder, die er vor vierzehn Monaten ein Mal gesehen und nie vergessen hat. Doch der Krieg ist noch nicht zu Ende und seine Aufgaben sind gefährlich …

Thema und Genre:
Dieser biografische, historische Roman erzählt eine wahre Geschichte und steht beispielhaft für die vielen noch immer unbekannten mutigen Menschen, die während des WKII unter Einsatz des eigenen Lebens einen täglichen heimlichen Kampf gegen die Nationalsozialisten führten, Menschenleben retteten, ohne sich jemals selbst als Helden zu präsentieren. In diesem Buch geht es um Norditalien unter deutscher Besatzung, von Juni 1943 bis Mai 1945. Der Roman handelt aber auch von persönlicher Verantwortung und Schuld und stellt die Frage, ob Mord, egal von welcher Seite, gerechtfertigt sein kann.

Charaktere:
Die Hauptprotagonisten sind Pino Lella und Generalmajor Hans Leyers. Pino ist ein normaler siebzehnjähriger Teenager, als die Bomben der Alliierten auf Mailand zu fallen beginnen. Innerhalb weniger Wochen wird er erwachsen und übernimmt die Verantwortung für die Flüchtlinge, die er über steile Alpenwege führt. Obwohl er Angst hat, bleibt er spontan in seinen Entscheidungen und gibt nie auf. Er träumt vom Ende des Krieges und einem gemeinsamen Leben mit seiner großen Liebe Anna.
Hans Leyers hat gelernt, immer auf der richtigen Seite zu stehen. Befehle empfängt er direkt vom Führer, dennoch versucht er, eigene Wege zu gehen und seine Rolle blieb undurchschaubar, was auch dazu führte, dass er in den Jahren nach dem Krieg seine Verbrechen erfolgreich leugnen konnte.

Handlung und Schreibstil:
Nicht nur durch die Geschichte, die ihm Pino Lella persönlich erzählt, sondern auch durch die nachfolgenden intensiven Recherchen gelingt dem Autor hier ein realistisches Portrait der Ereignisse während dieser für Norditalien prägenden Jahre vor Kriegsende.
Der Roman ist in 5 Teile eingeteilt und in insgesamt 34, fortlaufend nummerierte Kapitel.
Der Autor wählt die personale Erzählform, er erzählt die Ereignisse aus der Sicht von Pino, verzichtet jedoch auf die Ich-Form.
Die Geschichte ist sehr packend und sprachlich gekonnt erzählt. Der Spannungsbogen ergibt sich schon durch die tatsächlichen Ereignisse dieser Zeit, wobei die Spannung durch Pino Lellas Einsätze gesteigert wird.

Fazit:
Ein großartiger Roman, den zu lesen sich wirklich lohnt, ein wichtiges Stück Zeitgeschichte, über die außerhalb Italiens relativ wenig bekannt ist, da man nach dem Krieg über diese Ereignisse geschwiegen hat. Der reale biografische Hintergrund macht dieses Buch ungemein spannend.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.06.2018
Das Jahrhundertversprechen / Jahrhundertsturm Trilogie Bd.3
Dübell, Richard

Das Jahrhundertversprechen / Jahrhundertsturm Trilogie Bd.3


sehr gut

„Träume tragen einen auch durch die finstere Nacht.“ (Zitat Seite 357)

Inhalt:
Seit Max Brandow Weihnachten 1918, gerade vierzehn Jahre alt, der elfjährigen Luisa von Briest das Leben gerettet hatte und dabei nur durch ein Wunder überlebt, gehört auch er zur Familie und lebt auf Gut Briest. Die Wirtschaftskrise trifft auch Otto und Hermine von Briest, ihre Detektivagentur bekommt kaum mehr Aufträge und sie müssen damit rechnen, das Gut zu verlieren. Magda von Cramm wartet schon darauf, dieses zu erwerben, ganz im Sinne der verbitterten Feindschaft zwischen den beiden Familien. Ihr Sohn Sigurd von Cramm fährt Autorennen. Auch Max begeistert sich für Automobile, arbeitet als Mechaniker, aber träumt ebenfalls davon, selbst Rennen zu fahren. Luisa dagegen ist vom Film und den neuen Möglichkeiten begeistert, doch vor allem liebt sie Max. Doch sie leben in gefährlichen Zeiten, denn eine neue, extreme Partei ist dabei, Deutschland zu unterwandern …

Thema und Genre:
Der dritte Teil der Jahrhundert-Trilogie spielt in der Zeit der Weimarer Republik. Dieser historische Roman umfasst die Jahre 1918 – 1934. Thema sind die extrem schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland mit Inflation und Weltwirtschaftskrise, vor allem jedoch die zuerst versteckt agierenden, dann immer offener und mächtiger werdenden Anhänger der Nationalsozialistischen Partei. Beschrieben wird auch in diesem dritten Band wieder eine wichtige technische Entwicklung, diesmal ist es das Automobil und hier besonders die Autorennen, doch auch die beginnende Filmindustrie ist ein Thema.

Charaktere:
Hauptprotagonisten sind die Mitglieder der beiden verfeindeten adeligen Familien von Briest und von Cramm. Unter den weiteren Protagonisten ist auch der bekannte Filmregisseur Fritz Lang, der sehr realistisch geschildert wird. Insgesamt jedoch sind die Charaktere sehr strikt in Gut und Böse eingeteilt, ohne die Graubereiche des menschlichen Charakters.

Handlung und Schreibstil:
Der Roman ist in 4 Bücher eingeteilt, dazu ein Prolog und ein Epilog. Jedes Buch trägt eine Überschrift und den entsprechenden Zeitraum und ist in nummerierte Kapitel unterteilt, die jeweils neu mit 1 beginnen.
Die Handlung ist spannend und in einem sich steigernden Bogen aufgebaut, wobei sich die Spannung einerseits durch die Familiengeschichte ergibt, die erzählt wird, andererseits durch die ohnedies aufregenden realen historischen Ereignisse.
Die Sprache erzählt angenehm und flüssig, ergänzt durch detaillierte Beschreibungen.

Fazit:
Ein Familienroman und Abschluss einer Generationsgeschichte, eingebunden in eine Episode neuerer deutscher Zeitgeschichte. Eine interessante Lektüre für Leser von historischen Romanen, wobei man diesen dritten Band auch lesen kann, ohne die beiden anderen Bücher zu kennen. Die Charaktere konnten mich allerdings nicht vollkommen überzeugen, ich hätte mir mehr Facetten gewünscht und weniger „gut und edel“.

Bewertung vom 12.06.2018
Das Grau der Karolinen
Modick, Klaus

Das Grau der Karolinen


sehr gut

„Auch er spürte, daß hier jede Stimmung unmittelbar Wirklichkeit schuf, daß umgekehrt alle Wirklichkeit sich augenblicklich in Stimmung umsetzte.“ (Zitat Seite 345, Ausgabe 1998)

Inhalt:
Michael Jessen hat ursprünglich Malerei studiert, arbeitet jedoch erfolgreich als Grafiker für die Werbeagentur McLinn in Hamburg. Als er sich bei einem Regenguss im Eingang eines Trödelladens unterstellt, entdeckt er ein Ölgemälde, grau in grau, mit zwei roten Doppeldecker-Flugzeugen. Er kann nicht sagen, was genau es ist, aber dieses Bild lässt ihn nicht mehr los und er kauft es. Was hat es mit diesen eigenartigen Schattierungen der Grautöne auf sich und wer ist der Maler mit der Signatur C.W.? Er beginnt zu recherchieren und die Kunsthistorikerin Edith Gärbels unterstützt ihn bei dieser zunächst nicht sehr erfolgreichen Suche, bis sich eine völlig neue Sichtweise ergibt …

Thema und Genre:
„Das Grau der Karolinen“ ist ein Roman über Kunst und Künstler. Er handelt von Malerei, vor allem aber vom Sehen aus der Sicht eines Betrachters, mit unterschiedlichen Verständnisebenen. Hier taucht das Thema tief in die Philosophie ein. Es geht aber auch um die Schrecken der beiden Weltkriege, um Freiheit und darum, die eigene Erfüllung in der Kunst und im einfachen Leben zu finden.

Charaktere:
Je tiefer Michael Jessen in die Geschichte des Gemäldes eintaucht, desto mehr hinterfragt er seine Tätigkeit als Grafiker, welche sich nach dem Geschmack der Auftraggeber und der Konsumenten richtet und ihm plötzlich banal erscheint. Sein Studienkollege und Freund Benjamin Waldhoff dagegen ist weiterhin als freier Künstler tätig. Hauptprotagonisten sind Michael Jessen, Edith Gärbels und vor allem das eigenartige Gemälde. Gemessen an der Fülle und dem Zeitrahmen der Erzählung kommt der Autor mit erstaunlich wenigen Personen aus, um seine Geschichte zu erzählen.

Handlung und Schreibstil:
Der Roman ist in vier Teile gegliedert, mit jeweils einem Zitat zu Beginn. Es gibt keine weiteren Unterkapitel. Der gesamte Zeitrahmen umfasst die Jahre 1841 bis 1988. Es gibt jedoch nur einen Handlungsstrang, der in der Gegenwart von 1985 bis 1988 spielt. Die früheren Ereignisse erfährt der Leser aus schriftlichen Aufzeichnungen wie Tagebüchern und aus Gesprächen und Erinnerungen. Der Autor wählt die personale Erzählform aus der Perspektive von Michael Jessen, wird jedoch in den zahlreichen Beobachtungen und philosophischen Betrachtungen teilweise zum auktorialen Erzähler. Die Handlung selbst entwickelt sich von Beginn an spannend und nachvollziehbar, geschrieben in einer poetischen, beeindruckenden Sprache.

Fazit:
Die packende Handlung, der künstlerische Hintergrund und die Charaktere überzeugen, wie auch die großartige Sprache. Dennoch hatte dieser Roman für mich auf Grund der langen kunst-philosophischen Betrachtungen einige Längen und konnte mich nicht so uneingeschränkt begeistern, wie „Der kretische Gast“, ein Roman ebenfalls von Klaus Modick.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.