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Der Medienblogger
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- Alles rund um Medien Für alle Serienjunkies, Leseratten, Kinoliebhaber, Eurovisionfans und Lautaufdreher genau das Richtige. Website: http://medienblogger.wixsite.com/jstreb.

Bewertungen

Insgesamt 132 Bewertungen
Bewertung vom 13.04.2020
Hannahs Traum
Strohmaier, Melanie

Hannahs Traum


gut

Die junge deutsche Autorin Melanie Strohmaier legt mit "Hannahs Traum" ihren Debütroman vor. Neben ihrer schriftstellerischen Tätigkeit begeistert sie sich ebenfalls für das Zeichnen und die Fotografie. Das wunderschöne vorliegende Cover stammt aus eigener Anfertigung und birgt nicht nur eine mystische Atmosphäre, sondern stimmt die Leser*innen auch auf den ebenso verträumten Inhalt ein. Auf den Roman, dem lediglich positive Resonanzen vorauseilen, bin ich durch die direkte Empfehlung einer anderen Bloggerin gestoßen – welche Erwartungen kann er letztendlich erfüllen?


Hannah ist eine Protagonistin, zu der ich aufgrund ihrer hitzigen, sturen Persönlichkeit lange keinen richtigen Zugang fand. Das Verhältnis vom Geben und Nehmen zu ihren Freunden wirkte oftmals unausgeglichen, das grundlegende Misstrauen gegenüber anderen Menschen anstrengend. Ich musste mir immer wieder in Erinnerung rufen, dass sie aufgrund der tragischen Ereignisse und zur emotionalen Absicherung diese innere Distanz sucht und nicht etwa ihrer Arroganz wegen. Ihr Gedankenhorizont erschien mir teils triftig unlogisch, ebenfalls die starke innere Entwicklung, die sie durchschreitet, verbunden mit den dabei erlangten Erkenntnissen. Die an ihrer Seite stehenden Freunde wirken etwas schablonenhaft skizziert, können aber deutlich schneller Sympathiepunkte sammeln.

Über die knapp fünfhundert Seiten ist die vorliegende Lektüre ein kurzweiliges Lesevergnügen, sodass ich das Buch freudig innerhalb von zwei Tagen beenden konnte. Das rasche Erzähltempo der Autorin reißt die Leser*innen ab der ersten Seite an mit. Letztlich der letzte Akt zieht die Handlung durch die fehlende erzähltechnische Konstante und einem seicht vor sich hinplätschernden Spannungsniveau zäh in die Länge. Ein wirkliches Finale, das dem Szenario gerecht wird, gibt es nicht; die Lösung des Grundkonflikts geschieht schließlich ohne aktives Zutun der Protagonistin.

Melanie Strohmaier beweist in diesem Potpourri vieler guter Ideen großen Einfallsreichtum und schreibtechnisches Können. Sie entwirft ein spannendes Szenario, in dem sich die Traumwelt zunehmend mit der Realitätsebene vermischt, und kreiert dabei eine beklemmende Vision eines Zustands, in dem man rund um die Uhr wach zu sein scheint. Zudem geht sie auch gelungen auf menschliche Ängste und psychische Krankheiten ein. Sie hat einige Kniffe und Überraschungen auf Lager; der Schluss beendet das Buch auf eine rührselige Art und Weise. Ich würde gerne mehr über die Welt erfahren, in deren Fängen Hannah sich zunehmend befindet, auch wenn die Figur ihr selbst nur wenig Interesse entgegenbringt – einer möglichen Fortsetzung, wie sie die Autorin im Nachwort ankündigt, stehe ich daher positiv gegenüber.

Den steten Lesefluss mildern leider sich häufende Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler, sodass der Text den Status eines blinden entgegengebrachten Vertrauens verliert. Trotz dieser negativen Aspekte, die mich an "Hannahs Traum" störten, fühlte ich mich mit dem Buch gut unterhalten und möchte daher eine Empfehlung aussprechen, wenn man denn seine Erwartungshaltung ein wenig senkt.


"Hannahs Traum"
ist ein kurzweiliges und spannendes Fantasyabenteuer, das erzähltechnisch hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.

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Bewertung vom 09.04.2020
Friedrich der Große Detektiv
Kerr, Philip

Friedrich der Große Detektiv


ausgezeichnet

Zahlreiche Werke des bis heute durch "Das fliegende Klassenzimmer", "Das doppelte Lottchen" oder auch "Emil und die Detektive" berühmten Schriftstellers Erich Kästner wurden durch die Nationalsozialisten als "undeutsch" bezeichnet, verboten und einige Exemplare sogar im Mai 1933 in Berlin verbrannt. Er blieb als einer der wenigen prominenten Gegner der NSDAP in Deutschland. Der vor zwei Jahren verstorbene britische Autor Philip Kerr präsentiert uns mit "Friedrich der große Detektiv" nicht nur eine liebevolle Hommage an den Autor, sondern gleichzeitig ein auf mehreren Ebenen überzeugendes Lesevergnügen, das begeistert.

Das dem Roman zugrunde liegende Szenario ist, und das möchte ich gleich zu Beginn erwähnen, clever gewählt: Zeitlich spielt es nämlich während dem Erstarken der antisemitischen Partei NSDAP und einer sich rasch verbreitenden rechtsradikalen Gesinnung. Somit schafft es der Autor auf geschickte Art und Weise, die Aufmerksamkeit der Lesepublikums zu packen, das sich vergebliche Hoffnungen über einen potenziellen Sieg des Guten macht. Man denkt: Möge dieser furchtbare, menschenverachtende Krieg doch bloß nicht ausbrechen!

Somit schafft es "Friedrich der große Detektiv", trotz oder gerade wegen der besorgniserregenden Umstände, der recht jungen Zielgruppe aufklärerische und objektiv richtige Botschaften mit an die Hand zu geben und somit unsere wichtige Erinnerungskultur aufrechtzuerhalten. Adolf Hitler als die letztendliche Personifikation des Bösen und Emil als Fluchtmöglichkeit in eine fiktive Welt, als die kindliche Fantasie, die die Realität retten kann, gerät zwar etwas überspitzt, überzeugt aber durch ihre metaphorische Vielschichtigkeit.

Innerhalb der Familie gibt es eine gut ausgearbeitete notwendige Reibungsfläche, die häufig Ursache für politische Auseinandersetzungen zwischen Rolf (Friedrichs Bruder) und dem Vater ist. Somit kann die Leser*in nicht nur die Motive der jeweiligen Streitparteien nachvollziehen, sondern auch ein eigenes Meinungsbild dazu erstellen. Das für ein Kinderbuch zunächst kühl erscheinende Ende schließt die Geschichte realistisch und nicht beschönigend ab.

Friedrich erweist sich als sympathischer, junger Protagonist, dessen Lebenstraum, Detektiv zu werden, glaubwürdig dargestellt ist. Er ist ein angenehm unkomplizierter Charakter, der viel Platz zur Identifikation bietet. Der emotionale Konflikt zwischen moralisch richtigen und den durch die Umstände erzwungenen, gehorsamen Taten, dem er sich zunehmend ausgesetzt sieht, wird sehr treffend dargestellt und animiert das Lesepublikum zum Anstellen eigener Gedankenexperimente: Was würde man selbst in der Situation tun? Was könnte man überhaupt bewirken?

Neben dem Erwecken politischen Bewusstseins und der Verantwortung zum Handeln ist die vorliegende Lektüre zudem sehr kurzweilig: Die bereits äußerlich durch die Vignetten und die geschickte Veränderung des Covers erzielten Parallelen zu "Emil und die Detektive" machen wirklich Spaß. So ist es aber auch die Freundschaft zu Erich Kästner selbst als zentraler Aspekt des Romans, durch die der Autor seine Liebeserklärung an den Schriftsteller und die Literatur ausspricht. Die Einbindung real existenter Personen (deren Lebenslauf kurz im Nachwort erläutert wird) steigert den Authentizitätsgrad deutlich.

Bleibt denn überhaupt ein Wunsch an "Friedrich der große Detektiv" offen? Nun ja, ein wenig mehr Raffinesse in der Ausarbeitung des zu lösenden Kriminalfalls wäre vielleicht wünschenswert gewesen. Die hier präsentierte Auflösung des Moders ist im Vorhinein vorhersehbar – und zudem durch die wenigen Indizien bereits leicht zu durchschauen.

Dass ich für das Buch nichtsdestotrotz ob der soeben genannten Argumente eine unbedingte Leseempfehlung ausspreche, sollte daher keine Überraschung sein. Auch Jugendliche bzw. Erwachsene können mit dieser Lektüre ihre Freude haben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.04.2020
Und in mir ein Ozean
Stephan, Dennis

Und in mir ein Ozean


ausgezeichnet

Der berlinerische Journalist und Schriftsteller Dennis Stephan präsentiert uns mit "Und in mir ein Ozean" seinen bereits zweiten Roman. Dieser beschäftigt sich mit dem Protagonisten Arthur und der Suche nach sich selbst. Lediglich positive Resonanz eilte ihm voraus, der zugrunde liegende Klappentext und das Cover weckten ebenfalls Interesse in mir, sodass ich recht schnell zu dem Buch nach dem Einzug in mein Bücherregal griff – welche Erwartungen kann es aber letztendlich erfüllen?

Der Titel "Und in mir ein Ozean" führt die Leser*innen stimmig in die Richtung ein, die die Handlung einschlägt. Arthur, der sich von den gischtspritzenden, aufschäumenden Wellen des Lebens treiben lässt, fungiert als äußerst greifbarer Protagonist, den wir auf der intimen Entdeckung des eigenen Ichs begleiten dürfen. Das Lesepublikum wird dabei oftmals selbst zum Denken angeregt – ich ertappte mich mehrfach dabei, während den Zeilen in Gedanken abgeschweift und eigene, ungewisse Zukunftsvisionen, -hoffnungen und -befürchtungen vor dem inneren Auge durchgegangen zu sein.

Die Lektüre trifft dabei einen weltoffenen, quicklebendigen Erzählton, der nicht nur herrlich schnell mitreißt, sondern eine impulsive, übersprudelnde Motivation zum Loslassen und Entdecken gibt. Man möchte geradezu einen Rucksack schultern, den nächsten Zug erwischen und seine ganz eigene Geschichte erleben (natürlich immer mit dem inspirierenden Buch im Gepäck). Dennis Stephan besitzt die Gabe, sich poetisch und sprachgewaltig auszudrücken, ohne dabei allzu pathetisch-verschraubt zu wirken. So gut wie jeder zweite Satz schien es mir wert, in einer Sammlung bewegender Zitate festgehalten zu werden – ein großartiger Schreibstil!

"Und in mir ein Ozean" ist in fünf Akte gegliedert, die jeweils Arthurs bewusst gesetzte Neuanfänge in unterschiedlichen Städten und somit eigene Lebensabschnitte mit völlig anderen Erlebnissen darstellen. In jedem Teil wird die Figur durch neue Erfahrungen und Erkenntnisse bereichert, die sie auf ihrer Reise sammelt. Diese Aufenthalte werden in abwechslungsreich schillernden Montagen festgehalten, die einen tiefen Einblick in das Innenleben der Figur geben – und sich dabei so realistisch, lebensecht anfühlen. Somit werden durchaus auch Momente zutage gefördert, in denen man wie Arthur nicht richtig weiß, wie man sich fühlen soll. Dieses jugendliche emotionale Chaos und die stete Orientierungslosigkeit (ironischerweise als einzige Konstante in Arthurs Leben) bieten für die Leser*innen eine große Identifikationsfläche.

Einzig und allein die Beziehung zu seiner Mutter und ihr mysteriöses Verschwinden sind es, die Arthur in seinem sonst sich ständig wandelnden Leben erden. Puzzlestückhafte Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit, die mittels überzeugender Rückblenden illustriert werden, machen die Erschütterung und Enttäuschung des Protagonisten begreiflich. Daher ist es der letzte Akt, der nicht so hundertprozentig schmecken möchte: Für die erneute Annäherung zwischen Sohn und Mutter lässt sich der Autor zu wenig Zeit, die über Arthur einstürzende Gefühlsflut erlebte ich aus unangenehmer Distanz, da ich mich hier nicht in den Charakter einfühlen konnte. Dennoch endet "Und in mir ein Ozean" in einem herzerwärmenden und rührseligen Schluss, der Freude macht und ein rundum außergewöhnliches Werk zu Ende führt.

Letztendlich möchte ich für das vorliegende Werk nichts anderes als eine unbedingte Leseempfehlung aussprechen – lange schon hat sich Literatur nicht mehr so lebendig angefühlt.

"Und in mir ein Ozean"
ist ein inspirierender, sprachgewaltiger Roman über den Fluss des Lebens und die Suche nach sich selbst.

Bewertung vom 02.04.2020
Marianengraben
Schreiber, Jasmin

Marianengraben


ausgezeichnet

Die deutsche Autorin Jasmin Schreiber ist, wie man ihrer Autorenbeschreibung im Schutzumschlag entnehmen kann, nicht nur studierte Biologin, sondern auch als leidenschaftliche Bloggerin unter dem Namen "LaVieVagabonde" und ehrenamtlich als Sterbebegleiterin tätig. Mit "Marianengraben" präsentiert sie uns ihren erst kürzlich erschienenen Debütroman. Welche Erwartungen an die geübte Schreiberin kann er erfüllen?

Bereits die wunderschöne Aufmachung und der überzeugende Klappentext konnten in mir starkes Interesse wecken. Dass die Autorin einige biographische Elemente in ihr Werk mit einfließen lässt, steigert den Authenzitätsgrad deutlich. "Marinengraben" setzt sich schonungslos mit emotional brutalen Thematiken wie dem Tod, Ansprüche an das eigene Leben und die den Menschen nach einem Verlust verfolgende Schuldfrage auseinander; zudem ist die Protagonistin eine promovierende Biologin.

Das vorliegende Buch ist, und das möchte ich hier bereits vorwegnehmen, bereits jetzt ein würdiges Jahreshighlight für mich – und dies liegt an vielen Aspekten, die "Marianengraben" für mich außergewöhnlich machen. Diese Geschichte fühlt sich an wie etwas Besonderes, das in dieser Kombination außergewöhnlich und neu ist.

Die Ausarbeitung der Figuren ist Jasmin Schreiber wunderbar gelungen. Paula und Helmut sind zwei authentische Personen, die mitsamt ihren Eigen- und Besonderheiten geschildert und durch ihre bewegenden Hintergrundgeschichten ausgeleuchtet werden. Sie fügen sich nicht in das Konstrukt austauschbarer, blass bleibender Charaktere ein (wie es in heutiger Literatur immer öfter der Fall ist), sondern etablieren sich als liebenswerte, erfrischend unterschiedliche Figuren.

Der Roman ist eine abstruse Mixtur aus skurrilen Zusammenkünften und kuriosen Zufällen, die in eine handlungstechnische Entwicklung münden, die ich so noch nicht erlebt habe und in jeder Hinsicht progressiv und originell ist. Die zwei unterschiedlichen aufeinanderprallenden Zeitebenen und weltanschaulichen Geisteshaltungen von Helmut und Paula fügen sich zu einem oftmals ungewollt komischen und zugleich tiefgründigen Ganzen, das zu keiner Zeit langatmig wird, sondern die Leser*innen ab der ersten Seite auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitreißt.

Der Umgang mit den bereits genannten, ernsten Thematiken wirkt zwischen all den lustigen, entlastenden Elementen behutsam und ehrlich. Die Autorin schenkt Kraft und Mut zum Wiederaufrappeln, Weitermachen, Weiterleben, lässt aber genügend Raum für eine klare Daseinsberechtigung von Trauer und Schmerz.

"Marianengraben" ist ein abwechslungsreicher, unvorhersehbarer Roadtrip mit knuffigen Wendungen und traumhaften Kulissen. Jasmin Schreiber zeigt, was für eine fabelhafte Erzählerin sie ist, indem sie teils amüsant, teils poetisch anmutend und berührend schreibt, dass die Leser*in einen wahren, zuschnürenden Kloß im Hals bekommt und den Tränen nah ist.

Aber ist es doch die aufopfernde, alles aufbrauchende Liebe und der Umgang mit dem eigenen Verlust der Hauptfiguren, was mich am meisten ergriffen hat. Die eingeschobenen Szenen, in denen Paula in Erinnerungen an ihren Bruder schwelgt, setzen sich collagenartig zu einem erfüllenden Person über eine Person zusammen, die "nur" noch im Herzen existiert und dort nach Fischen und Krabben sucht. Helmut und seiner ungeheuren emotionalen Stärke, die er nicht nur selbst aufzubringen, sondern auch an Paula weiterzuschenken weiß, erweise ich größten Respekt.


"Marianengraben"
ist etwas Außergewöhnliches, Ergreifendes, noch nicht Dagewesenes – unbedingt lesen!

Bewertung vom 29.03.2020
Der Riss im Raum / Reise durch die Zeit Bd.2
L'Engle, Madeleine

Der Riss im Raum / Reise durch die Zeit Bd.2


weniger gut

Vor einigen Tagen beendete ich den ersten Band einer weltbekannten Kinderbuchreihe der US-amerikanischen Autorin Madeleine L'Engle und stellte trotz des sprudelnden Ideenreichtums eine handwerklich eher schwache Umsetzung fest. Dennoch war mein Interesse gegenüber dem Szenario aufgrund seiner Kurzweiligkeit noch nicht vollständig erloschen. Dem zweiten Teil mit dem Titel "Der Riss im Raum" gab ich also mit geringer Erwartungshaltung eine Chance. Konnte er insgesamt mehr überzeugen als sein Vorgänger?


Direkt zu Beginn kann ich erleichtert feststellen, dass viele im ersten Band begangenen Fehler in der vorliegenden Lektüre ausgebügelt und behoben wurden. Die bisher schwach charakterisierten, blassen Figuren erhalten ein deutlich griffigeres Profil. Ich konnte mich besser in sie hineinversetzen, obgleich noch immer Großteile ihrer inneren Handlung ausgespart werden. Ausnahme von dieser progressiven Entwicklung stellen die Zwillinge Sandy und Dennys dar, denen nicht nur geringere Intelligenz, sondern auch eine niedere Position innerhalb der Familie zugeschrieben ist.

Der Konflikt, dem die Protagonisten ausgesetzt sind, wird klarer dargestellt und ein offenkundiger, ausgeglichener Spannungsbogen entfaltet. Innerhalb des Szenarios fehlten mir jedoch einige Elemente, die für das vollständige Verständnis für und Versinken in die Handlung notwendig gewesen wären. Die Konsequenzen, die bei einem möglichen Scheitern zu befürchten sind, erschlossen sich mir bis zum Schluss nicht; die Herkunft und der Auftritt der elementaren Figur Blajeny blieben ebenfalls ungeklärt.

So wie die erste Hälfte des Buchs unterhaltsame Unterhaltung (mit einer eigenen telepathischen Kommunikationsart: dem Kythen) bietet, so verstrickt sich die Autorin schlussendlich in gequält langen philosophischen Ansätzen, die für die Zielgruppe durchweg unangemessen ist. Sie hinterfragt die Welt und das Sein, nimmt sich dabei selbst viel zu ernst und die kindliche Freude an dem gegebenen Abenteuer bleibt auf der Strecke. Die angebrachten Gedankengänge kratzen jederzeit bloß an der Oberfläche und gewinnen keine hinterfragenden Tiefen.

Die Erzählung nimmt zunehmend abstrakte Formen und Proportionen an und gerät dabei repititiv. Die Autorin beweist Kreativität in der Ausgestaltung einer Welt mit eigenen Begriffen und Regeln, etabliert sie jedoch unzureichend: Als Leser fühlte ich mich teils erschlagen von den verwendeten, noch nie zuvor gehörten Fachwörtern – und daher langfristig nicht in das Szenario aufgenommen. Die eindeutig sehr junge Zielgruppe dürfte mit der Schnelligkeit der Einführung neuer Elemente überfordert sein.

Durch Proginoskes, einem sogenannten Cherubim, gewinnt "Der Riss im Raum" an wichtigen, eindeutig christlich geprägten Botschaften und die Notwendigkeit einer gewissen Solidarität untereinander in der Menschheit wird deutlich. Die vorliegende Lektüre kann weitestgehend ohne Wissen zum Vorgänger genossen werden. Trotz deutlicher Verbesserungen gegenüber "Das Zeiträtsel" wird hier der Spaß und die jugendliche Entdeckungsfreude vernachlässigt, die für mich einer der zentralen positiven Aspekte war. Ich spreche daher eine Empfehlung für diejenigen aus, die sich mit dem ersten Band anfreunden konnten und Lust auf mehr Lesestoff rund um Meg, Calvin und Charles Wallace haben – allen anderen wird das Buch wahrscheinlich weniger gefallen.


"Der Riss im Raum"
ist eine Fortsetzung, die einige Schwächen ihres Vorgängers behebt, insgesamt aber weniger spaßig ist.

Bewertung vom 26.03.2020
Gehen, ging, gegangen
Erpenbeck, Jenny

Gehen, ging, gegangen


weniger gut

Erpenbeck zeigt, dass sie sich mit dem brisanten Stoff auseinandergesetzt hat und zu einer reflektierten Wiedergabe der Erkenntnisse fähig ist. Sie gibt dem Lesepublikum einen überzeugenden Einblick in den Gedankenhorizont der geflüchteten Asylsuchenden und erzählt ihre ergreifenden Schicksale und Hintergrundgeschichten. Ihre Träume, Erwartungen und Befürchtungen, die sie an das Leben (oftmals als das Einzige, was ihnen übrig blieb) haben, werden authentisch ausgeführt.
Die Autorin ergreift in ihrem Werk zudem deutlich Partei für die Bedürftigen und vertritt eine liberale, aufgeklärte Position, die meiner Meinung nach eigentlich nicht zur Debatte stehen sollte. Zahlreiche politisch rechte Bewegungen der letzten Jahre zeichnen aber das traurige Bild unserer Gesellschaft, die bloß auf die Sicherung des eigenen materiellen Wohls fokussiert ist und die notwendige Unterstützung der Notleidenden, Besitzlosen aus den Augen verliert.
Außerdem stellt sie ihr teilweise außergewöhnliches sprachliches Niveau unter Beweis, mit dem sie nicht nur zu gesellschaftspolitischen, sondern auch ethischen Gedankengängen anregt. Der hypotaktische, verschachtelte Satzbau gerät auf Dauer jedoch ermüdend und stellt die Konzentration der Leser*innen auf die Geduldsprobe.
"Gehen, ging, gegangen" leidet, trotz all seiner inhaltlichen Stärken und Vorzüge, unter einigen erzähltechnischen Schwächen, die dem Buch ein großes Maß seines Potenzials nehmen. Die Erzählung ist beinahe durchgehend in einem sich sehr schwerfällig weiterentwickelndem, vor sich hin dümpelnden Tempo verfasst. Man wünscht sich hier sehnlichst einen richtigen Spannungsbogen her, der den Roman aus diesem ewig herumdrucksenden Zustand befreit und auf einen Weg, der ein echtes Ziel ansteuert, leitet – aber vergeblich. Schließlich mündet die Geschichte in ein übereiltes, hektisch geschildertes Ende, indem mehr zu passieren und die Hauptfigur ein deutlicheres Profil zu bekommen scheint als in den zweihundert Seiten zuvor.
Und da liegt ein weiteres erhebliches Problem: der Protagonist Richard erweist sich als wenig inspirierter, leblos kalter Protagonist, der zwar bis auf wenige Ausnahmen die Handlung aus seiner eigenen Perspektive wiedergibt, aber den Leser*innen einen nur sehr beschränkten Blick in sein Innenleben gewährt. Seine Hoffnungen und Wünsche bleiben häufig ungeklärt, seine aus purer Langeweile und schierem Zeitüberdruss entstandenen Motive oftmals fraglich. Ich hatte bis zur letzten Seite das Gefühl, nie auch nur in Ansätzen in die Gefühlswelt des alten, weißen Mannes eintauchen zu können – und das obwohl wir ihn auf ausschweifenden, teils philosophisch anmutenden gedanklichen Spaziergängen begleiten durften.
In ihrem Roman schafft die Autorin es nicht, die notwendige Grenze zwischen der Masse der Flüchtlinge, oftmals als Problemursache diskreditiert, und dem Individuum mit subjektiven Schicksalsschlägen und Erwartungen zu ziehen. Die Eigenarten der einzelnen Figuren werden recht unbeherzt herausgearbeitet, einige Personen sogar bis zum Ende hinter der undankbaren Maske ihrer Freizeitbeschäftigung verborgen (die "Billardspieler") und wirken insgesamt recht austauschbar – somit gerät die Charakterisierung der Asylsuchenden größtenteils unzureichend.
Dennoch möchte ich der Autorin gegenüber meine Dankbarkeit aussprechen, sich in ihrem Buch auf ein so wichtiges Thema wie dieses zu beziehen und nicht nur offene Kritik an der deutschen Bürokratie auszuüben, sondern auch das Bewusstsein einer breiteren öffentlichen Masse darauf zu lenken. Es ist spürbar, wie sehr sie hinter diesem Roman steht.

"Gehen, ging, gegangen" ist ein politisch brisanter Roman, der sich kompetent mit der Thematik auseinandersetzt. Erzähltechnisch geht ihm aber recht schnell die Puste aus.

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Bewertung vom 25.03.2020
Rise up!
Li, Amanda

Rise up!


ausgezeichnet

Ende Januar erschien im Arena-Verlag ein kurzweiliger Sammelband unter dem etwas sperrigen Titel "Rise Up: Außergewöhnliche Lebensgeschichten von starken Kids", der bereits durch seine farbenfrohe, abwechslungsreiche Gestaltungsart Lust zum Schmökern gemacht haben. Kann aber das Gesamtpaket hinter der bunten Fassade überzeugen?


Amanda Li präsentiert uns eine gelungene Bandbreite an neunundzwanzig erzählten Geschichten, die nicht nur unterschiedliche thematische Ansätze und Handlungsmotive, sondern auch Ethnien, Kulturen und Hautfarben abbilden. Im jungen Zielpublikum wird ein Bewusstsein für strukturelle Probleme der Welt geschaffen, die durch die Kreativität und den Mut dieser jugendlichen, idolisierten Figuren bekämpft wurden. Man wird angeregt, sowohl unseren Alltag in Überfluss und -druss in einem der reichsten Land der Erde als auch das eigene Konsumverhalten zu hinterfragen.


Jeder Jugendliche und dessen Beweggründe zu seinen Errungenschaften wird dabei auf vier Seiten Umfang vorgestellt. Die Autorin weiß mit gut formulierten, knappen Texten, die den Inhalt informativ und übersichtlich zusammenstellen, zu überzeugen. Zudem wird das Zielpublikum mit kreativ ausgewählten, ermutigenden Zusatzinformationen versorgt, die die jungen Leser*innen ernst nehmen und Mut zu eigenem Handeln auslösen. Diese Tipps sind vielschichtig gewählt: beispielsweise betreffen sie die Erläuterung konkreter technischer Vorgänge, aber auch das Selbstbewusstsein fördernde Vorschläge für das sichere Auftreten gegenüber einer Gruppe werden erläutert.


Zudem möchte ich hier erneut die hervorragende gestalterische Aufmachung hervorheben, die nicht nur die Taten der Kids abwechslungsreich illustrieren, sondern auch lesefördernd auf die Leser*innen einwirken kann. Die Heldentaten wecken oftmals die Motivation zum Anstellen eigener Recherchen.


Insgesamt ist "Rise Up" also ein Sammelband voller inspirierender Botschaften, der mir persönlich teilweise den Glauben an die Menschheit (oder zumindest an den jugendlichen Anteil) zurückgegeben und zum Nachdenken angeregt hat. Die Darstellungsweise ist außerordentlich gut gelungen. Das, was dem Buch aus meiner Sicht fehlt, ist ein Resümee. Eines, das die Gleichheit aller Menschen betont, die Notwendigkeit zur solidarischen Zusammenarbeit hervorhebt und, ja, eventuell auch eine subjektive Note der Autorin, die schließlich die Geschichten zusammentrug, beinhaltet, wäre schön und wünschenswert gewesen.


Nichtsdestotrotz möchte ich für diese Lektüre eine uneingeschränkte Leseempfehlung aussprechen. Vor allem für die jüngsten Leser mit wenig Geduld und Konzentration ist diese episodenartige Aufgliederung ideal, da man sich dem Stoff in kurzen Intervallen annähern kann.


"Rise Up: Außergewöhnliche Lebensgeschichten von starken Kids" ist ein liebevoll aufgemachter Sammelband mit inspirierenden Heldentaten und starken Botschaften.

Bewertung vom 23.03.2020
Das Zeiträtsel / Reise durch die Zeit Bd.1
L'Engle, Madeleine

Das Zeiträtsel / Reise durch die Zeit Bd.1


weniger gut

Bereits auf den ersten Seiten beweist die Autorin ihr Händchen, fantastische und kreative Elemente zu einer märchenhaften Erzählung zusammenzuführen. Dabei weiß sie durch einige knuffige, individuelle Ideen durchaus zu unterhalten und beweist ihren Einfallsreichtum und Spaß am Erschaffen eigener Welten. Die drei feenartigen Wesen agieren als liebenswerte Verkörperungen des Guten und bringen neben einer Portion Witz moralische Instanzen mit, auf die sich das sehr junge Zielpublikum verlassen kann.
Leider fallen, trotz der an sich kurzweiligen Handlung, zahlreiche erzähltechnische Mängel an, die dem Buch einen Großteil seiner Magie nehmen und hier nicht unerwähnt bleiben können. Die Figurengestaltung beispielsweise gerät in dem Roman völlig unzureichend. Meg erweist sich zunehmend als farblose, austauschbare Figur ohne jegliches Alleinstellungsmerkmal. Sie bekommt, obwohl ihr klar die Funktion der Protagonistin zugewiesen wird, kaum Beachtung, da sie ständig im Schatten ihres fünfjährigen Bruders Charles Wallace steht. Dieser beweist nicht nur aus unerklärten Gründen bereits in seinem jungen Alter mehr Intelligenz und Reife als die übrigen Figuren, sondern treibt als einziger die Geschichte tatsächlich effizient voran.
Alle auftauchenden Hauptcharaktere sind völlig lieb- und leblos dargestellt; ihnen fehlt es an Herz und Seele, ihnen wurde kein Leben eingehaucht. Die innere Handlung wird häufig außen vor gelassen, die Motive sind oftmals nicht nachvollziehbar und ihr Gedankenhorizont unklar erläutert. Es wirkt so, als hätte die Autorin selbst nicht mehr den Ausweg von einem ihrer zweidimensionalen Planeten gefunden. Megs Vater beispielsweise, ein berühmter und erfolgreicher Wissenschaftler, ist figurtechnisch ein totaler Reinfall, der nicht nur für die Leser*in gänzlich unnahbar, sondern auch gegenüber der eigenen Familie fremdartig, unvertraut und in Anbetracht der erreichten Forschungserfolge (und einem daher vorauszusetzenden gewissen Maß an Intelligenz und Kompetenz) gesamtheitlich dämlich und unfähig zum Treffen eigener Entscheidungen auftritt.
Eindeutig zu viele Informationen, die für den Roman eigentlich erforderlich gewesen wären, werden dem Lesepublikum entweder vorenthalten oder fehlen vollständig. Woher stammt Charles' übertrumpfende Intelligenz, seine geistige Reife und das Wissen über den fremden Planeten? Wieso greifen die Feen nicht früher ein, geben eindeutigere Tipps und woher stammen diese Wesen überhaupt? Je länger ich an diesem Text schreibe, desto mehr Ungereimtheiten kommen mir noch in den Sinn.
Ebenfalls leidet die gesamte Handlungskomposition unter immenser Unausgewogenheit. Zu lange ist der zu lösende Konflikt nicht eindeutig definiert, die Hindernisse und Gefahren, denen sich zum Sieg des Guten ausgesetzt werden muss, viel zu einfach überwindbar. Der Showdown, auf den die gesamte Geschichte hinarbeitet, wird auf wenige Seiten zusammengerafft und lieblos den Leser*innen zum Fraß vorgeworfen - ihm fehlt es an jeglicher Spannung, sodass mir der Ausgang des Buchs fast gleichgültig war. Der schwache Antagonist fügt sich in die Menge der blassgrauen restlichen Figuren ein und enttäuscht durch die fehlende Darstellung einer eigenen Ideologie und büßt somit stark an der Böshaftigkeit ein, die den Schluss interessant hätte gestalten könnten.
Die Zeitreisen als zentraler Aspekt des Romans sind ein immer wiederkehrendes Motiv, über deren Funktionsweise ich persönlich mir gerne mehr Hintergrundwissen angeeignet hätte, das hier aber nicht geboten wird. Somit ist das vorliegende Werk trotz seiner Fähigkeit, unterhalten zu können, eine in vielen Gesichtspunkten schwach ausgearbeitete Lektüre, das leider durchgehend hinter seinem Potenzial zurückbleibt.

"Das Zeiträtsel" ist eine märchenhafte Erzählung mit kreativen Ideen, aber einer konsequent schwachen Umsetzung.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.03.2020
Ramona Blue
Murphy, Julie

Ramona Blue


ausgezeichnet

Die Jugend mit all ihren Höhenflügen, Schwierigkeiten und fundamentalen Entscheidungen ist wohl eine der am meisten prägenden Phasen des menschlichen Lebens. Auch Ramona Blue muss sich in ihrem titelgebenden Roman mit den wichtigen Fragen des eigenen Seins und einer geplanten Zukunft auseinandersetzen. Der US-amerikanischen Autorin Julie Murphy ist dabei ein einfühlsames, wunderbares Werk gelungen, das noch lange im Gedächtnis - und im Herzen - bleibt.



Ramona mit all ihren Eigenarten und charakterlichen Attributen erweist sich als starke und vielschichtige Hauptfigur, die ab der ersten Seite mit einem beständigen, glaubwürdigen Horizont aus Wünschen, Ängsten und Träumen auftritt. Mit einer großen Identifikationsfläche und ihrer Hilfsbereitschaft erobert sie sich einen Platz im Herz der Leser*innen.



Sie agiert in einem warmherzigen, gütigen Umfeld mit hervorragend etablierten Figuren, die ich kennen- und zu schätzen gelernt habe. Ich fühlte mich in dem vorgestellten Ensemble derart wohl, dass die Lektüre meinetwegen gerne um einige hundert Seiten ausführlicher hätte sein können.



Der Roman glänzt mit der Fülle an behandelten Thematiken, ohne jemals überfüllt zu wirken: Die sexuelle Selbstorientierung der jungen Protagonistin (die ein zeitgemäßes Weltbild ohne jegliches Schubladendenken verfolgt) und ihre Unsicherheiten aufgrund der ungewissen Zukunft werden dargestellt; auch ihre aufopfernde Hilfsbereitschaft für die eigene Familie und das besondere Verhältnis zur Schwester (das zunehmend unausgewogen im Geben und Nehmen entwickelt) sind ein zentraler Aspekt des Romans. Die familiäre Armut aufgrund der vergänglichen Naturkatastrophen werden authentisch als Grundlage der vergangenen Träume zur Selbstverwirklichung dargelegt.



Essenziell ist aber Ramona und all ihre Liebe, die sie nach außen hin verteilt. Sei es in echten, stabilen Freundschaften oder in zärtlichen, zerbrechlichen Beziehungen. Die Lektüre erweist sich als wahrhaftiges Vergnügen, das in meinem Herzen Sommer ausgelöst hat. Sie gibt ihren Leser*innen inspirierende Botschaften mit auf den Weg, die noch lange nachwirken.



Julie Murphy schreibt in angemessen flotten Erzähltempo und begeistert durch ihren angenehmen, teils poetisch anmutenden Schreibstil. Ihre Behutsamkeit und Weltoffenheit, das Verständnis, mit dem sie dem jugendlichen Lesepublikum begegnet, sind lobenswert. Ich habe mir in der Lektüre so viele Stellen markiert, die mich besonders berühren konnten, wie es mit nur wenigen Büchern vergleichbar ist. Ich möchte jedem "Ramona Blue" dringend weiterempfehlen, denn es hat wirklich alles, was man von Literatur erwarten kann - eine gute Portion Witz, authentische Gefühle und das Herz am rechten Fleck. Für mich persönlich jetzt schon ein absolutes Jahreshighlight!



"Ramona Blue" ist eine warmherzige, inspirierende Lektüre, die in meinem Herzen Sommer auslöst.

Bewertung vom 20.03.2020
Kompass ohne Norden
Shusterman, Neal

Kompass ohne Norden


gut

Bereits im Vorwort macht Star-Autor Neal Shusterman sein Anliegen, das er mit "Kompass ohne Norden" verfolgt, klar. Psychisch Erkrankten zu zeigen, dass sie nicht alleine sind, und in den Leser*innen Empathie zu wecken. Dabei ist die emotionale Entwicklung der Hauptfigur Caden, die hier geschildert wird, stark angelehnt an die Eindrücke von Shustermans Sohn - allein dadurch schöpft er eine Authentizitätsquelle, die man dem durch den Deutschen Jugendliteraturpreis gewürdigten Roman nicht so leicht absprechen kann. Kann er mit dem Gesamtpaket überzeugen?


Shusterman kann mit einem sprachlich herausragenden Niveau, das durch die deutsche Übersetzung nicht an Qualität verliert, aufwarten. Für die Reise ins Innere seiner Hauptfigur weiß er mit bewusst formulierten sprachlichen Bildern und philosophisch-verzweifelten Gedankensprüngen, die den psychischen Zustand widerspiegeln, zu beeindrucken. Er schreibt so tiefsinnig, dass sich hinter jedem Satz eine versteckte Metaphorik erahnen lässt - und genau da liegt das Problem.


Trotz der ergreifenden Reise in die (im wahrsten Sinne des Wortes) ozeanweiten und -tiefen Abgründe des menschlichen Geistes konnte ich mich in Caden nie hineinversetzen, nein, seine Gedankenwelt wirkte auf mich statisch taub und überschwemmt. Das liegt daran, dass der dargestellte Inhalt oftmals aufgrund der bedeutungsschwangeren Symbolik unnötig verschachtelt ist und ich als Leser nur selten wirklichen Zugang zu einer Figur, über die man im weiteren Verlaufe fast nichts erfährt, fand.


Sicherlich war dies auch das Herzanliegen des Autors, in mir Verständnis für das stetige gedankliche Abdriften, die reizüberflutende Gefühlswelle und die erstickende Distanzierung von den Mitmenschen, die Caden durchschreitet, zu wecken - und dies hat er geschafft. Dennoch kann diese sprachliche Schöpferkraft nicht über eine insgesamt recht unspektakuläre Handlung mit schwachem Spannungsbogen hinwegtäuschen.


Das Erzähltempo gerät ziemlich schleppend - vor allem über weite Teile in der fantastischen Ebene, in die der Protagonist zunehmend versinkt, hinweg -, sodass ich fast Erleichterung aufgrund der Beendigung der Lektüre empfand. Die Vermischung der seifenblasenartigen Imagination mit der Realitätsstufe empfand ich als unzufriedenstellend, da mir die Bildsprache teilweise zu unklar war (und mein von Verwirrung getrübtes Bild erst durch das Nachwort etwas verklärt werden konnte).


Am Schluss empfand ich dann doch so etwas wie väterlichen Stolz für Caden aufgrund der vorerst überwundenen psychischen Blockade und konnte erste richtige Identifikationsfläche in der Figur entdecken. Die Illustrationen von Brendan Shusterman, die der Geschichte beigefügt wurden, funktionieren gut in ihrer Aufgabe als authentische Ergänzung. Ich möchte das Buch ja unbedingt gut finden, weil es handwerklich beinahe an Perfektion reicht und für eine wichtige Botschaft Partei ergreift - aber muss dann doch ehrlich zugeben, dass es mich oftmals kaltgelassen hat. Meiner hohen Erwartungshaltung konnte es nicht genügen.


"Kompass ohne Norden" ist ein sprachlich herausragender Mutmacher für psychisch Erkrankte, der sich in seiner Schwere seiner bedeutungsschwangeren Bildsprache verliert und daher die Figuren vernachlässigt.


Ich vergebe daher noch drei von fünf möglichen Sternen.