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Benutzername: 
LindaRabbit
Wohnort: 
Freiburg
Über mich: 
Leseratte erster Klasse!

Bewertungen

Insgesamt 251 Bewertungen
Bewertung vom 01.08.2023
Irgendwo wartet das Leben
Kelly, Erin Entrada

Irgendwo wartet das Leben


sehr gut

Fawn Creek Abenteuer

Dieses langweilige, kleine Nest, auch schon mal 'Yawn Creek' genannt, weil so absolut nichts passiert. Und jeder jeden kennt. Dinge, die einem kleinen Kind passierten, hängen selbst in der siebten Klasse noch an. Die beiden Unternehmerfamilien Crawford und Kingsley - samt ihrem Nachwuchs - beherrschen den Ort. (Restaurant, Angelerladen). Wer nicht dazu gehört - wird zum Außenseiter abgestempelt, auch oder gerade von den Jugendlichen.
Greyson hat kein Interesse an den typisch männlichen Dingen, er würde gerne nähen und Kleider entwerfen. Für sein Idol Kate Middleton, die Prinzessin von Wales. Selbst sein eigener (dämlicher) Bruder nennt ihn seine kleine Schwester.

Doch dann kommt eines Tages diese so ganz andere Orchid Manson in die Schule geschneit: In einem weißen Kleid, wirren roten Haaren und einer Blume im Haar.
Greyson findet sie toll, vom ersten Moment an. Und er überzeugt auch seine Freundin Dorothy - die Schüchterne, der sofort der 'rote Schreck' über den Hals kriecht, wenn sie mit Unvorhersehbarem konfrontiert wird. Die Drei werden eine Gruppe in einer Klasse (und sogar Schule), wo es nur Gruppen gibt. Greyson und Didi (Dorothy) waren bislang die Außenseiter.
Die Aufmerksamkeit der Klasse richtet sich sofort auf die Neue... Neugierde plagt viele, eigentlich alle. Eifersucht andere... Vor allem die Bullies, diejenigen die gerne andere dominieren und einschüchtern.

Dieses Jugendbuch ist ein großartiges 'Gemälde' einer Kleinstadt in Louisiana. Mit ihren Sonnen- und vor allem den Schattenseiten. Wer anders ist hat in so einem Gefüge kaum Entwicklungsmöglichkeiten (gelobt seien die Städte, wo doch mehr Freiheit möglich ist...). Es ist aber auch wieder ein tolles Mutmacherbuch. 'Irgendwo wartet das Leben'. Die Entwicklung von Greyson und Didi ist wunderbar, sie trauen sich. Doch das Dreierteam muss schlimme Entwicklungen ertragen.

Während des Lesens habe ich mit den Außenseitern gelitten und mich gefreut über jeden Schritt, der sie zu mehr Aufmüpfigkeit führte. Einfach großartig, dass nun solche Bücher geschrieben werden. Laßt Euch nicht unterkriegen!
Die Sprache ist wunderschön und poetisch. Ein wirklicher Lesegenuss, auch für Ältere.

Bewertung vom 28.07.2023
Eine Lady hat die Wahl
Irwin, Sophie

Eine Lady hat die Wahl


sehr gut

Eliza

Etwas Leichteres für zwischendurch. Eine Romanze.
Die siebzehnjährige Eliza wird mit dem weitaus älteren Earl of Somerset (25 Jahre Differenz), dem neunten seiner Art, verheiratet, rein aus ökonomischen Gründen. Und für den Earl ist das junge Ding auch nur eine Zierpuppe. Witwe geworden, nach zehn Jahre Ehe, überrascht sie die Testamentseröffnung. Sie ist die Haupterbin. Aber nicht, weil ihr Mann sie so sehr liebte, sondern anderen Verwandten eines auswischen wollte. Gleichzeitig wird sie mit ihrer Jugendliebe konfrontiert, denn er erhält den Titel des Lords. Doch auf jeden Fall, nun darf das Leben beginnen…

Die junge Frau wird selbstbewusster, ‚with a little help of good friends‘, genießt das Leben und entzieht sich den Konventionen…Doch im Testament steht, dass ihr der sagenhafte Reichtum nur zusteht bei einem tadelloser Lebensführung. Was sie aber letztendlich nicht davon abhält eine Dreiecksbeziehung auszuleben...

Unterhaltsam, zum Abschalten, keiner hohen intellektuellen Erwartung muss genügt werden… Ambiente der Regency Zeit. Gleichzeitig ist es wirklich gute Unterhaltung, mit einem Schuss Humor und Augenzwinkern und einen deutlichen Hinweis darauf, wie eingeengt das Leben von Frauen im 19. Jahrhundert war.
Das Umschlagsbild deutet natürlich zu gut die Richtung an. Der Titel ebenfalls. Und doch werden auch Themen angesprochen, die selbst heute noch wichtig sind, nicht nur in gewissen Ländern, auch bei uns in Mitteleuropa.

Die Hauptpersonen: Natürlich alle aus aristokratischen Kreisen, England in der Regency-Epoche - Eliza Eunice Courtenay (27, verwitwet), Right Honourable Countess of Somerset. Margret, die Gesellschaftsdame, verwandt mit Eliza und enge Vertraute. Die männlichen Teile – der Schriftsteller Lord Max Melville, charmant aber sehr eigen, und Lord Oliver Somerset, der Neffe, Titelerbe (von Julius Edward Courtenays) und erste Liebe von Eliza. Gut beschrieben wird eine zunehmend selbstbewusste Eliza. Sie lässt ihre bisherigen Einschränkungen hinter sich und geht neue Wege, sucht Freiheit und Unabhängigkeit.

Tolle Dialoge, humorig und charmant. Wie bereits erwähnt, eine leichte Lektüre... gemäß dem Anspruch, leichte Unterhaltung, gute vier Sterne.

Bewertung vom 28.07.2023
Toto und der Mann im Mond Bd.1
Sasha;Röntgen, Julia

Toto und der Mann im Mond Bd.1


sehr gut

liebevolle Gute Nacht-Geschichten

Toto heißt Kind auf Swahili und so stehen Kinder im Mittelpunkt des schönen Bildbandes. Niedliche Zeichnungen auf den Seiten ergänzen die Gute - Nacht - Geschichten, die unterschiedliche Längen haben.

Toto träumt also vom 'Mann auf dem Mond' (der Mond war schon immer fantasieanregend). Dank des Verzeichnisses am Anfang lernen wir den 'Mann im Mond' kennen, natürlich auch alle weiteren Mitwirkenden: Toto, Mimi, Frau Belatrix, Glühwürmchen Glow, Kuscheltier Luna, und natürlich Mama und Papa. Nicht zu vergessen auch - das allsehende Fernrohr.

Vorgesehen ist das tolle Bilderbuch für Kinder ab vier Jahren und beinhaltet nette Texte für Kinder, zum Selberlesen oder Vorlesen lassen! Auf dem bunten Umschlagsbild sind die Helden und Heldinnen im Buch bereits dargestellt. Gutes Titelbild, schön gezeichnet mit einem großen Herz. Einfach liebevoll. Großes Kompliment an den Zeichner Matthias Derenbach.

Bewertung vom 28.07.2023
Das Versprechen / Ein mörderisches Paar Bd.1
Wolf, Klaus-Peter

Das Versprechen / Ein mörderisches Paar Bd.1


gut

Krimisatire

Dr. Bernhard Sommerfeldt, alias Ernest Simmel (aha!), und Frauke, alias Winterberg: Seine Verlobte und ein gefälschtes Stammbuch, reden über eine Heirat...Ein Serienkiller und seine Braut, die gelegentliche Miet – Ehefrau. Das alles spielt sich in Strandnähe ab, in einer wunderschönen Landschaft, wo sich nur diejenigen mit viel Geld einkaufen können...
Besagtes Killerpärchen führt eine recht ominöse Klinik. Und hat sich sogar dem Guten verschrieben: Böse Menschen (der nicht verurteilte Schulhof – Heroindealer) werden mal eben um die Ecke gebracht.

Es wird alles sehr humorig beschrieben – Möven im Angriff, Brötchen versteckt euch, und sogar eine konzertierte Aktion, die erste Möve holte Verstärkung für den Käse.
Ist das Satire oder ein Krimi? Für mich eindeutig Satire. Da hat ein Autor wohl diese überbordende Krimikultur sattgehabt und eine Satire geschrieben (Seriensatiriker) und es kommt gut an.

Umschlagsbild - wie in Krimis üblich - ein Landschaftsbild, ein Boot.

Regio – Krimis sind etwas Besonderes – man kennt die Region, findet viele Details wieder und hat wieder richtig Lust seine Umgebungskenntnisse aufzufrischen.
Dieses Mal in Ostfriesland… Finn-Leandro, dreizehn, aus Aurich, wurde in der Schule angefixt, jetzt ist er tot. Der Anfixer kommt jedoch davon. Aber nicht mit Dr. Sommerfeldt...

Der Autor war mir bislang unbekannt, noch nie etwas von ihm gelesen. War ganz nett, jetzt diesen Satirekrimi zu lesen, so für den Strand und so.

Im großen Ganzen unterhaltsam, mal was anderes, teilweise zu langatmig, zu wenig Aktion. Dann Situationen, absolut überzogen beschrieben, Geschmackssache (nicht unbedingt meine). Doch dieses Schwarzhumorige - das lasse ich mir gefallen, macht Schmunzeln. Tatsächlich ist diese Art von Krimis so unüblich, dass es nicht viele Möglichkeiten für das Buch gibt. Entweder man liest es und sagt sich aha… okay. Nimmt es mit in Urlaub und verschenkt es dort. Oder man nimmt es als Ablage für seinen Ostfriesentee. Nimmt es wieder mit nach Hause und verschenkt es an einen Bergsteiger, damit er auch etwas von der Ostsee hat...

Gut ist die Idee von dem Rachefeldzug, nicht abgeurteilte Heroinhändler abzumurksen. Geht natürlich nicht in der Realität. Aber schon ein brauchbarer Gedanke. Bei 8 Milliarden Menschen weltweit gäbe es wohl schon ein paar. Würde nicht auffallen! Aber die Welt wohl besser machen...

Bewertung vom 28.07.2023
Nachts erzähle ich dir alles
Landsteiner, Anika

Nachts erzähle ich dir alles


ausgezeichnet

Ungeahntes, was zuerst harmlos daher kommt...
Nach 18 Jahren wieder einmal Urlaub an der Côte d‘Azur. In der alten Villa der Familie, wo Léa als Kind, als Heranwachsende öfters war und dann nicht mehr (oh, hätten wir eine Villa am Meer, ich wäre schon öfters hingefahren…). Ihre Mutter empfiehlt das dringend, damit sich die Tochter vom Stress in ihrem kleinen Unternehmen erholt.

Es sind eindringliche Worte, von der Autorin gewählt, gleich zu Beginn mit dem ‚Alpenglühen‘ im Zug und den Augen, die endlich zufallen…Der Bewusstseinsstrom, die Gedanken ziehen vorbei, lassen zuerst nicht einschlafen und dann doch träumen… dazwischen noch Gedanken an die Buchhaltung.
Und dann: Vom Ankommen und dem, Schritt für Schritt, Wiedererkennen. Sich einen Wein auf der Terrasse gönnen und dann dieses Rascheln der jungen Frau, die plötzlich auftaucht. Damit beginnt ein Abenteuer, das zu sich selbst führt. Statt Erholung und Entspannung tief schürfende Gedanken… vor allem zu der jungen Frau. Denn es taucht Emile auf, dessen Schwester die junge Frau war. Damit beginnen Gespräche, die – man mag es kaum glauben – diese Idylle um einiges erschweren. Es geht um eine Abtreibung, um das Leben der jungen Menschen in Saint Martin. Um zerplatzende Seifenblasen, um das was Léa als Kind so angenehm empfunden hat.

Der Titel hätte mich nicht abgeholt. Könnte auch ein Krimi sein, wo nachts das Schlimme passiert. Das Umschlagsbild hat mich auch zuerst nicht interessiert. Schönes Mittelmeerambiente, nur die skeptisch blickende junge Frau wirft offene Fragen auf, warum schaut sie so skeptisch? Doch der Roman ist vielmehr als ein Wohlfühlroman, oder ein Krimi, zumindest der Klappentext gibt bereits Hinweise. Als interessierte Leserin lese ich mich in die ersten Seiten ein und merke, das ist wirklich Hochkarätiger als mir Titel und Titelbild suggerieren…
Doch selbst eine Prise Humor ist – trotz der Strenge der Gespräche – zu finden. Ganz zu Beginn, Léa, erschöpft von der Arbeit im Cafe und von einer Trennung, fällt in einen Sekundenschlaf, rammt ein anderes Auto. Der Arzt im Krankenhaus sieht ihr die Erschöpfung an, sagt ‚Sie müssen dringend auf die Bremse treten‘, Léa schlagfertig, ‚dafür ist es jetzt wohl zu spät...'

Seit einiger Zeit sehe ich immer eine 'play list' in Büchern. Wie im Abspann von Filmen. Muss das jetzt so sein? Ist das ein Hinweis darauf, dass vielleicht schon ein Film ansteht oder bitte, bitte die Verfilmung erfolgen soll?

Doch allem in allem – der Roman ist es wert gelesen zu werden!

Bewertung vom 24.07.2023
Mein Leben als einsamer Axolotl
Bondestam, Linda

Mein Leben als einsamer Axolotl


sehr gut

der arme kleine Axolotl

So ein wunderschönes, reichhaltig bebildertes Büchlein, das von dem armen kleine Axolotl, der letzte seiner Art, berichtet. So schön gezeichnet, aber es macht auch zutiefst traurig...

Natürlich war mir dieses großartige Axolotl Wesen ein Begriff, eine Lurchart, die wirklich stark gefährdet ist. Auch weil es viele Freßfeinde gibt, selbst der Mensch gehört dazu. Aber die Umweltbedingungen sind schlimm geworden für den schönen seltsamen Lurch. Der Name ist Programm, da weiß man gleich woher er stammt...

Das Büchlein ist gut zum Selberlesen, aber natürlich auch zum Vorlesen. Auf jeden Fall eignet es sich gut zum Nachdenken (über die Eingriffe in der Natur) und zum eigenständigen Weiterforschen.
Schön und wichtig, dass es nun so ein wunderschönes Kinderbuch darüber gibt...Damit hat Linda Bondestam ein tolles Werk geschaffen. Bitte mehr davon!

Auf jeden Fall eine dicke Empfehlung!

Bewertung vom 24.07.2023
October, October
Balen, Katya

October, October


ausgezeichnet

Das wilde Mädchen, der Wald und die wilde Stadt

Katya Balen, October October. Die weite, wilde Welt wartet auf mich

Wildes Leben: October lebt im Wald mit ihrem Vater, eins mit der Natur. Es folgen sehr schöne Naturbeschreibungen, jedoch mystisch durchsetzt durch die Ich – Erzählerin (October).

Der Einstieg in dieses märchenhafte Jugendbuch (ab 11 Jahren) beginnt im Wald. October ist ein wildes Mädchen, dem viel Freiraum erlaubt wird. Unterrichtet von ihrem Vater, liest sie viel, beschäftigt sich mit der Natur, lebt eben in diesem Wald. Sie lernt vom Wald und sie liebt den Wald.
Sie lebt mit den Zeiten, den Jahreszeiten, den Tieren und dem Wachsen der Bäume. Ihr Vater kümmert sich um die Waldbäume. Er will ebenfalls, so wie sie, nirgendwo anders leben als im Wald, mit seiner Stille, den Waldbegebenheiten und den Waldschönheiten. Die Stadt, selbst das nahe liegende Dorf, verunsichert October. Die dortige Lärmkulisse bringt sie fast um den Verstand. Doch im Wald sind sie sich selbst - so heulen October und ihr Vater den Vollmond wie Wölfe an, einmal im Jahr - im Oktober - springen sie in den eiskalten See, ertragen die Kälte. Sie züchten ihr eigenes Gemüse, sie finden alles was sie brauchen im Wald und dazu findet October auch noch 'Schätze'.

Doch October hat – trotz ihrer Intelligenz, trotz ihrer Liebe zum Wald und ihrer Freiheit tun und lassen zu können, was sie will – auch eine wilde Seite, wie eine Amazonenkriegerin. Sie kann urplötzlich brüllen und dann passieren schlimme Sachen. Als ihre Mutter zu ihrem elften Geburtstag kommt, läuft sie davon und klettert einen hohen Baum hoch. Ihr Vater will ihr hinterher, um sie zurückzuholen, und stürzt dabei ab. Schwerkrank liegt er nun im Krankenhaus und sie muss zu dieser fremden Frau, die sie nur die Frau, die meine Mutter ist, nennt.
October hat einen starken eigenen Willen. Im Wald kann sie das ausleben und ihr Vater lässt ihr alle Freiheiten. Doch in der Gemeinschaft, Schule, in der Stadt, muss sie lernen Teil der Gemeinschaft zu sein. Ein interessanter Lernprozess...

October ist eine Erfinderin von Geschichten, ebenso wie die Autorin Katya Balen. Mit wunderschönen Worten und Beschreibungen berichtet die Autorin von einem Mädchen, was dann auch lernt in der Stadt ihre Wege zu gehen (mudlarking) und selbst in der Schule mit ihrem Freund Yussuf Geschichten zum Besten gibt… Nur gelegentlich, wenn ihr Gehirnsalat zu wild wird, dann dreht October durch… Es zeigt den Lernprozess eines kleinen Mädchens, sich als Teil des Ganzen zu begreifen. Dieses Jugendbuch, wunderschön geschrieben ist wieder ein Mutmacherbuch, sei wie du bist und arrangiere dich mit den anderen… irgendwie wird das dann schon klappen.

Sprachlich interessant geschrieben. Es geht um Neurodiversität. Das Titelbild sieht anregend aus, fast schon märchenhaft, haptisch toll gemacht mit der kleinen Schleiereule Stig und deutet sehr gut auf den Inhalt, das Wilde und das Natürliche. Also passend zum Buch.

Sehr empfehlenswert!

Bewertung vom 18.07.2023
Der Frühling ist in den Bäumen
Revedin, Jana

Der Frühling ist in den Bäumen


sehr gut

Der Erste Mai 1953, eine Nacht am Bodensee

Schon die ersten Seiten und Einstieg in das Buch (Aufbau Verlag, "Der Frühling ist in den Bäumen" von Jana Revedin) kommen sehr stark:
Renina wacht auf, neben ihr liegen zwei nackte Menschen, die sie am Abend zuvor kennenlernte. Schmerzhaft muss sie erkennen, dass ihr drogensüchtiger Mann (ein Atomphysiker der Nazizeit) sie betäubt hat und sie in diesem Zustand Teil einer Orgie wurde. Als sie ihren Mann Fred zur Rede stellt, vergewaltigt er sie nochmals. Daraufhin offenbart sie ihrem Gatten von einem Jahr, dass sie die Scheidung will.
Mit Rückenschmerzen steht sie am Ufer des Bodensees, sieht Frühlingsanzeichen (1. Mai 1953) und trifft auf eine bemerkenswerte Frau. Trotz ihrer seelischer Pein und ihren dunklen Gedanken zur Scheidung von ihrem berühmten Mann bewältigt sie einen Tag voller Erlebnisse (die Frau Traut und das bevorstehende Konzert einer jungen Japanerin, ihre Eltern, ihr Freund Basil, ihre plötzlich ankommende Freundin und eine Bekannte von ihr, der Leitartikel zur ersten Ausgabe eines Frauenmagazins und der Abend). Irgendwann bricht sie zusammen und fällt im Pferdestall in einen Erschöpfungsschlaf. Doch dieser erlebnisreiche Tag ist noch nicht zu Ende, das schlimme Ende folgt noch...

Dieses Mal schreibt die Autorin zum Leben ihrer Mutter Renina. Sie hat es mit Themen, die sehr eigen sind, aber die sich unglaublich spannend lesen! Was für eine Schreibe! Renina, die morgens auf den See schaut (sehr poetisch beschrieben) und darüber nachdenkt, was sie erlebt hat und was sie fühlt.
Dieser Erste Mai hat es in sich. So viele Ereignisse auf einmal (ich wäre schon bei einem Drittel völlig fertig). Das mag an ‚Bloomsday‘, an den Roman von James Joyce ‚Ulysees‘ erinnern, dessen voluminöser Roman sich auch an einem Tag vor den Augen der Leserschaft entrollt. Zum Glück hat der Roman von Jana Revedin nur 250 Seiten.
Renina ist jedoch, für diese Zeit, acht Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und der schlimmen Nazi Zeit, eine selbstbewusste und selbstbestimmte Frau, die sich von dem narzisstischen Ehemann lossagen kann. Erschreckend ist, dass das Thema Missbrauch, Betäubung, häusliche Gewalt und Frauenfeindlichkeit damals aktuell war und bis heute leider immer noch.
Die Erzählweise ist nicht einfach, zu viele Querverweise, machen den Verlauf etwas holprig. Die Autorin liebt das ‚name dropping‘ (ist mir bereits bei ihrem Roman zu ‚Flucht nach Patagonien‘ aufgefallen, mir manchmal zu viel).
Das Umschlagsbild erinnert an die 60er, die Zeichnung orientiert sich wohl tatsächlich an Revedins Mutter, wie ein Bild von ihr (mit natürlich Berühmtheiten ihrer Zeit) des Aufbau Verlages zeigt. Klappentext sprechen von "Martin Heidegger" und seiner jüngsten Assistentin (name dropping!), denn Heidegger kommt im Text nicht besonders vor.

Der Ort Konstanz spielt natürlich auch eine Rolle, doch eher eine schöne Nebenrolle, der See, die Landschaft, der Zufluchtsort vor den Nazis, der Wiederaufbau (Konstanz die Unzerstörte).
Alles in allem, ein lesenswertes Buch, mit den oben erwähnten Abschlägen, zu einer außergewöhnlichen Frau.

Bewertung vom 18.07.2023
Sylter Welle
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


gut

Abschiednehmen, von den Großeltern, von Sylt, von der Jugend

Der Jung fährt zum letzten Mal, so wie die Großeltern sagen, zu ihnen nach Sylt, nachdem er öfters mit ihnen dort war. Campingurlaub. Man kennt sich aus.
Jetzt werden sie zu alt dafür. Kein Camping mehr, sondern eine Wohnanlage. Der Jung eingeschmuggelt, so wie später an Strand, sparen... (das hängt bei den Älteren noch richtig drin!) Erinnerungen an frühere Aufenthalte dort, an familiäre Erlebnisse, Ansichten über seine skurrile Familie, einschließlich der besonders skurrilen Großeltern.
Über eine vom Aussterben bedrohte Generation, uff, ja genau, das ist es! Sie leben halt mit ihren Enkelkindern nur eine gewisse Zeit. Jeder hat sie und jeder vermisst sie dann – die Großeltern.
Schön, dass dies auch mal thematisiert wird…jetzt bin ich auch in der Generation, wo jede:r um mich herum, viele jedenfalls, plötzlich Enkelkinder haben und ich die Enkelkinder Bilder zu sehen bekomme. Der Kommentar dazu immer, ‚süß‘!
Großeltern vergöttern die Enkel. Kaum Arbeit mit ihnen, das liegt alles hinter ihnen, nur noch die Freude an den ‚süßen Kleinen‘. Stolz, guck guck, der stammt von mir ab…

Der Autor ist mir völlig unbekannt. Das Titelbild, ein Gemälde - der brennende Strandkorb Nr. 372, das Meer, der Strand... (ich bin noch nie in einem Strandkorb gesessen), Sylt die teure Insel...Die Schreibe ist eigenartig, der Autor sieht oft eher das Negative, der Geruch der harten Eier, doch gleichzeitig auch poetisch - die weichen Wangen der harten Oma.
Um Gotteswillen, denkt bestimmt ein jeder, der Großeltern hat, so wie vermutlich die meisten Menschen - das kommt mir so bekannt vor:
In meinem Fall waren es aber nicht die Großeltern, sondern die Mutter, die einem alles möglich Ausrangiertes vor die Füße warf, die einem ständig vollstopfte mit Nahrungsmittel, die anpflanzte… was nicht schlecht war, und bis heute, nach ihrem Ableben, bin ich sauer darüber, dass sie einen kerngesunden Kirschbaum, kerngesunde Brombeerbüsche und ebenso kerngesunde Himbeersträucher ausreißen ließ.

Zum einen liebevoll und auch voll mit witzigen Einlagen, zum anderen ein Stück Deutschlandgeschichte, Kriege, Flucht, Verlassen der alten Heimat.

Bewertung vom 18.07.2023
Luftmaschentage
Becker, Anne

Luftmaschentage


ausgezeichnet

Ricci und Mats, ein ungleiches Paar

Ein Mädchen, das extrovertiert ist, und das andere, was introvertiert ist... Gegensätze ziehen sich doch an, oder?

Dieses Jugendbuch, als eine authentische Geschichte im Klappentext beschrieben, ist wirklich sehr authentisch, sensibel und herzergreifend geschrieben. Der Stil ist hervorragend. Aus der Perspektive von Matea (Mats) erzählt, unterlegt mit Textnachrichten (SMS) an Riccarda (Ricci):
Eine völlig schüchterne Mats bringt in der Öffentlichkeit kaum ein Wort über die Lippen. In der Schule akzeptieren die Lehrkräfte diese stumme Mats, denn sie ist eine 1a Schülerin. Die Höchstnoten erhält sie jedoch nie, weil sie eben nicht redet. Zu Hause in der Familie spricht sie schon, aber nicht viel, sie will ihre Ruhe haben und in ihrer Welt leben. Mit manchen Freundinnen, z.B. der alten Loose, tut sie aber schon reden, denn die verstehen sie. Und die alte Loose bringt ihr auch das Stricken und Häkeln bei.
Kommen wir also zum Titel, der einfach genial ist - ‚Luftmaschentage‘… diese Mats hat sich zu einer Guerillastrickerin entwickelt, die mit Wolle der Loose, an sie vererbt, alles bestrickt und behäkelt, ein Baum, Gartenzaun und dann diese Jungenskulptur.
Die anderen in der Schule halten Mats für bekloppt und eine moppt sie massiv. Mats will nur eine Freundin, eine beste Freundin. Die findet sie schließlich in Ricci. Ricci ist das totale Gegenteil von Mats, sie redet viel und aggressiv, geht andere auch körperlich an, vor allem, wenn es um ihre Freundin Mats geht.
Die Mädchen sind talentiert (Mats, die gute Schülerin, die Strickerin mit tollen Ideen zur Verschönerung ihrer Umgebung; Ricci, die großartige Zeichnerin und treue Freundin, die sich auch belehren lässt, trotz ihres misslichen Umfeldes).

Was immer passiert ist, dass Mats nicht redet, wird nicht näher beschrieben, aber wie sie sich fühlt. Riccarda, die Neue in der Klasse ist das genaue Gegenteil von Mats, die Schüchterne (Madame Schüchtern im Bauch, diese breite Tante Krake, die sich sofort meldet, wenn irgendetwas passiert, was Mats nicht verarbeiten kann). Ricci, die Aggro. Ricci ist die Einzige, die von der Krake erfährt und sie sogar zeichnet. Doch auch Ricci hat ihre Geheimnisse, die sie nicht äußert. Und Mats will ihnen auf die Spur kommen, weil sie eben die beste Freundin von Ricci sein will.

Es ist eine unglaublich tolle Geschichte, wie diese Entwicklung zwischen den beiden Mädchen beschrieben wird, dazu kommen noch Yasser und Leon...
Das Titelbild dazu ist einfach super, ein Guerillastrickbaum, sehr bunt, ein bestrickter Baum, auf dem die beiden Mädchen sitzen und mit Wollfäden hantieren. Auffallend und passend zur Geschichte.

Der Beltz - Verlag, bekannt für ausgezeichnete Jugendbücher, hat mit Anne Beckers Roman wieder ein preiswürdiges Buch auf den Markt gebracht. Die Autorin selbst, eine studierte Sonderpädagogin, arbeitet als Förderschullehrin und weiß wovon sie schreibt. Das Buch, was mich total faszinierte und auch für Ältere, jenseits der Pupertät, interessant ist, verdient ein breites Publikum.