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Bücherstadt
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Insgesamt 126 Bewertungen
Bewertung vom 06.08.2015
Interventionen
Houellebecq, Michel

Interventionen


ausgezeichnet

Denjenigen, die eher zu den Menschen gehören, die sich bisher noch nicht mit Michel Houellebecq auseinandergesetzt haben, empfahl ich bisher immer seine Gedichte parallel zu einem Roman zu lesen. Das hört sich vielleicht ein bisschen verquert an, hat aber den Hintergrund, dass ich in den Gedichten einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis seines Gesamtwerkes sehe. Wer mit Lyrik eher nichts anfangen kann, kann sich jetzt mit Hilfe eines Essaybandes in die Gedankenwelt des Franzosen hineinarbeiten.
"Interventionen" vereint 28 Texte unterschiedlicher Natur, die zwischen 1992 und 2008 erschienen sind. Dabei handelt es sich um Vorworte, Interviews, literarische und eher philosophische Aufsätze sowie Repliken. Die Themen stammen aus den Bereichen der Gesellschaftskritik, der Literaturgeschichte, der Philosophie und der Biologie. Diese Vielfältigkeit überrascht zunächst, wenn man Houellebecq nicht kennt und man könnte schnell den Gedanken entwickeln, dass eine einzelne Person sich doch nur sehr oberflächlich mit so unterschiedlichen Themen befassen und dann dazu äußern kann. Das ist aus meiner Sicht allerdings so faszinierend an dem französischen Autor: Er kann sich zu diesen Themen sehr kompetent äußern! Er hat in vielen Bereichen ein enormes Wissen und schafft es neuralgische Punkte in Debatten sehr schnell zu entdecken. Zudem ist er extrem ehrlich und offen gegenüber seinen Mitmenschen. Und das ist glaube ich der Punkt, der vielen Menschen aufstößt. Houellebecq sagt was er denkt, analysiert sehr exakt und erkennt gesellschaftliche Veränderungen sehr früh. Wenn er seine Beobachtungen in einem Roman verarbeitet und den Menschen den Spiegel vorhält, können das viele nicht ertragen und schlagen einen konfrontativen Kurs ein.
Die Texte, die in dem Band vereinigt sind, bieten einen tieferen Einblick in seine Denkweise und ermöglichen dem Leser so ein besseres Verständnis. Durch die große Zeitspanne lassen sich auch Veränderungen in seinen Ansichten erkennen und die unterschiedlichen Romane sowie Gedichte erscheinen vielleicht auch für den kundigen Leser in einem etwas anderen Licht.
Es handelt sich allerdings nicht um ein Buch, dass spannungsgeladen ist und an einem Abend ruckzuck ausgelesen ist. Aber das sind Essaybände in den seltensten Fällen. Nein, ich habe auch noch lange über einzelne Aussagen oder Ansichten nachgedacht. Dann habe ich eines seiner Bücher aus dem Regal genommen, nachgelesen und teilweise ein anderes Verständnis für die Zusammenhänge entwickelt. Und dabei dachte ich, dass ich ein klares Bild von der Aussage habe, die der Autor mit seinen Büchern in die Welt tragen will. So wie sich die Sicht auf literarische Texte mit dem Alter verändert, verändert sie sich natürlich auch, wenn wir neues Wissen erlangen. Das finde ich persönlich interessant und spannend. Daher hat mir die Lektüre eine Freude breitet, die nichts mit dem üblichen Lesespaß zu tun hatte, sondern auf einem anderen intellektuellen Niveau angesiedelt ist.
Danke lieber Michel Houellebecq! Danke lieber DuMont Verlag! Und Merci an Hella Faust für die sehr gelungene Übersetzung.

Bewertung vom 24.07.2015
Zeugenkussprogramm / Kiss & Crime Bd.1
Völler, Eva

Zeugenkussprogramm / Kiss & Crime Bd.1


weniger gut

In meinem Arbeitsalltag und in der Freizeit habe ich viel mit (lesenden) Jugendlichen zu tun und kenne daher auch viele Lesegewohnheiten. Gleichzeitig lese ich aber auch sehr häufig selbst Jugendromane und unterhalte mcih mit der eigentlichen Zielgruppe darüber. Daher bilde ich mir ein, dass ich auch erkenne, wenn es sich um ein gutes Buch für junge Menschen handelt. Das ist mir bei diesem Buch leider nicht gelungen. Ich habe mich ehrlich gesagt beim Lesen gequält. Schon die ersten Seiten empfand ich als langatmig und ich hatte auch den Eindruck, dass einige Aspekte mehrfach beschrieben wurden. Natürlich mit anderen Worten und in unterschiedlichen Kontexten, aber ich hatte das Gefühl, dass ich als Leser nicht richtig ernst genommen werde.

Die Geschichte wirkt zunächst sehr konstruiert. Das gibt sich zwar im Verlauf der Handlung ein wenig, aber wirklich ernsthaft konnte ich an die ganze Sache nicht herangehen. Ich bin auch mit den meisten Figuren nicht warm geworden. Dies liegt meiner Meinung nach daran, dass sie sehr blass dargestellt werden und unecht wirken. Sie bleiben eindimensionale Wesen, deren Charakterzüge nicht mein Interesse wecken und deren Denken und Handeln mich nicht mitreißt.

Letztendlich habe ich die Sprache auch als eintönig empfunden. Es hat sich bei mir kein Lesefluss eingestellt und ich musste mich immer wieder zum Weiterlesen zwingen.
Leider teilen diese Meinung auch ein paar Bekannte, aus den unterschiedlichen Altersgruppen, die unvoreingenommen ein paar Seiten angelesen haben.

Bewertung vom 24.07.2015
Maggie und die Stadt der Diebe
Hertweck, Patrick

Maggie und die Stadt der Diebe


ausgezeichnet

Maggie ist ein junges Mädchen, das eigentlich im Waisenhaus lebt. Sie weiß nicht wer ihre Eltern sind und ist natürlich auch nicht sonderlich glücklich im Waisenhaus. Als eines Tages ein Paar auftaucht und Maggie als ihre vermisste Tochter identifiziert, ist sie zunächst skeptisch, sieht aber in gewisser Weise auch eine Chance in dieser Begegnung. Endlich bietet sich eine Gelegenheit zum Verschwinden. Doch hätte sie auch nur anstazweise geahnt, was in der darauf folgenden Zeit auf sie zukommt, wäre sie wohl doch lieber im Waisenhaus geblieben. Sie lernt unfreiwillig und sehr schnell das harte Pflaster New Yorks im Jahr 1870 kennen. Und ihre einzige Chance ist ausgerechnet eine Diebsbande, die von einem komischen alten Zwerg angeführt wird, der bei ihrem Anblick erschaudert.

Patrick Hertweck nimmt seine Leser bereits auf der ersten Seite mit in ein rasantes Abenteuer. Maggie wird dem Leser zwar kurz vorgestellt und beschrieben, doch im nächsten Augenblick rennt man mit ihr schon durch die Straßen von New York und versucht gemeinsam mit ihr einigen finsteren Gesellen zu entkommen. Die Dynamik, die auf den ersten Seiten entsteht, bleibt während der gesamten Lesezeit erhalten und sorgt dafür, dass man nicht mehr aufhören kann. Nach der Flucht will man natürlich wissen, wie es mit Maggie weitergeht, dann will man wissen, wo sie herkommt und schließlich möchte man gemeinsam mit ihr dunkle Machenschaften aufdecken. Selbst in den ruhigen Momenten, die Maggie selbstverständlich auch erlebt, ist man stets konzentriert bei der Sache, weil immer wieder neue Informationen an das Tageslicht kommen.

Trotz dieser schnellen Abfolge von Ereignissen schafft es der Autor den einzelnen Figuren ausreichend Raum für ihre Persönlichkeit zu geben. Man erfährt über die wichtigsten Personen in Maggies Umfeld so viel, dass sich ein umfangreiches Bild ergibt, dass zu einer sehr plastischen Vorstellung der damaligen Zeit und der Lebensverhältnisse beim Leser führt. Zudem wirken alle Handelnden authentisch und gleichzeitig kann man auch aus der heutigen Zeit heraus ihr Verhalten und ihre Gefühle nachvollziehen. Dieser Spagat gelingt leider nicht allen Jugendbuchautoren und daher muss man dem Newcomer hier ein dickes Lob aussprechen.

Zudem hat man an keiner Stelle den Eindruck, dass ein Erwachsener über Kinder und Jugendliche schreibt und sich dabei sehr anstrengen muss. Die Sprache ist sehr ausgewogen. Das heißt sie ist auf einem angemessenen Niveau und gleichzeitig gut verständlich. Es stellt sich sehr schnell ein guter Lesefluss ein und man bleibt nicht an einzelnen Wörtern hängen.

Fazit: Für mich war die Begegnung mit Maggie ein wahrer Lesegenuss. Und vielleicht gibt es ja irgendwann ein Wiedersehen?

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.07.2015
Der Profiler
Petermann, Axel

Der Profiler


ausgezeichnet

Der Mensch ist sicherlich schon immer daran interessiert das Böse zu erkennen und sich davor zu schützen. Und gerade in unserer Zeit spielt die Vorhersage eine wichtige Rolle. Kann man einen Täter schon vor der Tat erkennen? Gibt es DAS Böse überhaupt? Natürlich ist es nicht so einfach. In allen Menschen steckt in gewisser Weise das Böse. Unter bestimmten Bedingungen kann daher auch jeder zum Mörder werden. Viele Menschen schieben diesen Gedanken aber fort und sehen in den Straftätern Personen, die anders ticken müssen als sie selbst. Darin liegt in gewisser Weise auch eine Faszination, die sich in den letzten Jahren in der Medienlandschaft widerspiegelt. Bücher über die Psychologie des Bösen, Berichte von Forensikern und Serien über die Verfolgung von Straftätern haben Hochkonjunktur. In diversen Werken tauchen auch immer wieder so genannte Profiler auf. Sonderbar ist allerdings, dass sie meist in den Werken amerikanischer Autoren auftauchen. Erst langsam spielen sie auch eine Rolle in deutschen Werken.

Erstaunlich ist dies aus meiner Sicht, weil bereits 1987 die erste Fallanalyse in Deutschland durchgeführt wurde (Quelle: BKA). Allerdings muss man natürlich bei dieser Bewertung berücksichtigen, dass erst 1999 die eigentliche Einführung in den Polizeialltag erfolgte. Bereits seit 1989 setzte sich Axel Petermann mit dem Thema auseinander. Er war Mordkommissionsleiter und stellvertretender Leiter im Kommissariat für Gewaltverbrechen. Im Jahr 2000 baute er die Dienststelle "Operative Fallanalyse" auf, die er bis zur Pensionierung (2014) leitete. In den letzten Jahren seiner Amtszeit schrieb er zwei Bücher, die sich mit dem Profiling beschäftigen und sich längere Zeit in den Bestsellerlisten behaupten konnten.

Wer sich mit Hilfe der Bücher und/oder diverser Fernseh- sowie Radiobeiträge ein wenig mit der Arbeit von Axel Petermann beschäftigt hat, ahnte natürlich schon, dass nach der Pensionierung noch lange nicht mit dem Lösen von Mordfällen Schluss sein wird. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass nun ein neues Buch auf den Markt gekommen ist.

In diesem Buch beschreibt Axel Petermann in vier Kapiteln seine Arbeit als Profiler. Die verschiedenen Fälle handeln von ganz unterschiedlichen Personen und Delikten. Allen Fällen ist aber gemein, dass sie Petermann anscheinend sehr nachhaltig im Gedächtnis geblieben sind. Teilweise waren sie sogar wegweisend für seine berufliche Laufbahn. Die Darstellung der Taten und des Profiling erfolgt schonungslos, aber in einer sehr angenehmen und leicht verständlichen Sprache. Wichtige Begriffe werden im Verlauf erklärt, das jeweilige Vorgehen wird immer erläutert und die Entscheidungen werden begründet. So ergibt sich ein sehr umfangreiches Bild, dass aufgrund der Spannungsbögen nicht langweilig wird. Es handelt sich natürlich trotzdem nicht um einen Thriller, aber die einzelnen Fälle sind so interessant, dass sie selbst als Vorlage für diverse fiktionale Texte dienen könnten. Wer also Interesse an der Arbeit eines Profilers hat, wird dieses Buch verschlingen und anschließend gleich zu den älteren Werken greifen.

Ich möchte gar nicht mehr verraten, sondern einfach sagen: Lesen!

Bewertung vom 30.06.2015
Die Suche
Louth, Nick

Die Suche


sehr gut

Mit einer wichtigen und zugleich gefährlichen Fracht, die baer zunächst nicht näher benannt wird, ist ein Flugzeugpassagier unterwegs. Er versucht ganz unauffällig zu sein und wartet auf den richtigen Moment. Viel mehr erfahren wir zunächst nicht über ihn.
Denn viel wichtiger sind Max und Erica.
Max ist ein aufstrebender Künstler, der vor allen Dingen an großen Skulpturen aus Metall arbeitet. Erica ist eine Wissenschaftlerin, die sich bereits einen Namen in der Malariaforschung gemacht hat. Auf einem Kongress in Amsterdam will sie ihre neuen Erkenntnisse über einen Malariaimpfstoff vorstellen. Max besucht Erica in Amsterdam und hat eine Überraschung für sie vorbereitet. Nach dem Vortrag möchte er um ihre Hand anhalten.
Doch bevor es dazu kommen kann, verschwindet Erica spurlos. Da der Vortrag einer der wichtigsten meilensteine in ihrem Leben ist, würde sie sich nicht einfach aus dem Staub machen. Max geht davon aus, dass sie entführt wurde. Und als er auch noch mitbekommt wie ihr Laptop gestohlen wird, vermutet er einen Zusammenhang mit ihrer Forschung.
Da er von der holländischen Polizei zunächst nicht ernst genommen wird, rechercheirt er selbst und gerät in einen Strudel aus Gewalt, Intrigen und den dreckigen Geschäften in der Pharmaindustrie.

Nick Louth, der eigentlich als Wissenschaftsjournalist bekannt ist, hat für seinen Thriller umfangreich recherchiert und sich tief in die Themen Pharmaindustrie und Produktion von bestimmten Arzenistoffen eingearbeitet. Dies merkt man von der esrten Seite an und ich habe dies als sehr angenehm empfunden. Man hat auf der einen Seite das Gefühl, dass der Autor Ahnung von seinem Thema hat und auf der anderen Seite ist man aber auch nicht gelangweilt. Das liegt auch daran, dass die Sprache sehr versändlich ist und man gut in den Lesefluss kommt. Zudem bauen die verschiedenen Erzählstränge, die aus unterschiedlichen Perspektiven berichten, eine gewisse Spannung auf. Schließlich möchte man unbedingt wissen, wie die einzelnen Geschehnisse, die ja teilweise zwanzig Jahre auseinanderliegen, zusammenhängen. Die Kernhandlung ist zudem spannend strukturiert und mit einer guten Portion Gewalt und Action gespickt.
Neben diesen sehr positiven Aspekten muss aber auch erwähnt werden, dass die Figuren teilweise nur sehr oberflächlich dargestellt werden. Mir fehlte bei verschiedenen Charakteren etwas die Tiefe.
das ist natürlich sehr schade, mindert aber nicht den Lesespaß den man mit dem Buch hat.

Fazit: Ein leicht lesbarer und gut aufgebauter Thriller, der Lust auf mehr macht.

Bewertung vom 13.05.2015
Letzte Nacht
McKenzie, Catherine

Letzte Nacht


schlecht

Da die Produktbeschreibung eigentlich schon die ganze Geschichte erzählt, spare ich mir die Mühe.

Catherine McKenzie erzählt die Geschichte der drei Protagonisten, die auch in dem Buch abwechselnd zu Wort kommen, in einer leichten Sprache, die keine Fragen hinterlässt. Daher kann man die Geschichte theoretisch sehr rasch lesen und muss den eigenen Kopf nicht sonderlich anstrengen. Die Handlung ist in der amerikanischen Mittelschicht angesiedelt und behinhaltet die vorhersehbaren Zutaten: Golf, Bildung, Familie, Job und Affäre. Auch hier gibt es alles keine Besonderheiten. Und das ist das Problem des Buches oder vielleicht eher das Problem, das ich mit dem Buch habe. Die Handlung ist vorhersehbar, die Figuren sind einfach konstruiert und haben keine Ecken und Kanten. Sie sind aalglatt und somit auch ziemlich langweilig. Ebenso langweilig ist auch die Geschichte, deren Monologe und Dialoge oft unnötig in die Länge gezogen wurden. Und da es auch keine unvorhersehbaren Wendungen oder tolle Spannungsbögen gibt, habe ich mich ehrlich gesagt durch das Buch gequält. daher kann ich es leider nicht empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.01.2015
Das halbe Haus
Cynybulk, Gunnar

Das halbe Haus


ausgezeichnet

Dass das Schreiben ein Prozess der Reinigung und der Vergangenheitsbewältigung sein kann, haben wir schon anhand vieler Romane kennengelernt. In vielen Fällen reisen wir dafür gemeinsam mit einem Protagnoisten in die Vergangenheit der eigenen Familie oder erforschen diese zunächst. Dabei sorgt eine gewisse Nähe zwischen Autor und Protagonist häufig dafür, dass der Leser nicht zu sehr in eine kitschige Umgebung eines drittklassigen historischen Romans gelenkt wird. Die eigene Würde des Literaten bildet sozusagen eine innerliche Barriere.(...)
Zu Beginn des Buches hatte ich den Eindruck, dass Gunnar Cynybulk mir seine Hand nie reichen wird. Ich verzweifelte fast an den stakkatoartigen Sätzen, die den wunderbaren Erzählfluss plötzlich unterbrachen. Ich konnte den Gedanken nicht immer folgen und verlor daraufhin den Faden. Doch so schnell wollte ich nicht aufgeben. Daher habe ich mich noch einmal ganz neu auf das Buch eingelassen und mich von der Familie, deren Geschichte erzählt wird, aufsaugen lassen. So wurde ich zu einem stummen Begleiter, der nicht jeden Gedanken nachvollziehen, aber das Gefühl, welches mit diesem Gedanken verbunden wurde, nachempfinden konnte. Schon war ich von der Geschichte, die eigentlich hauptsächlich in den 80er Jahren spielt, gefangen. Im Mittelpunkt steht eine ostdeutsche Familie, die aus einer älteren Dame, ihrem Sohn und ihrem Enkel besteht. Ein kleines Haus, das sie gemeinsam bewohnen, bildet zunächst den Lebensmittelpunkt.

Der Autor erzählt seine Geschichte in vier großen Erzählsträngen, die fortlaufend miteinander verwoben sind. Zunächst geht es um Frank, der seine Ehefrau verloren hat und nun gemeinsam mit seinem Sohn und seiner Mutter im elterlichen Haus lebt. Frank hat einen angesehenen Job als Ingenieur, sehnt sich aber nach der Freiheit, die er im Westen vermutet. Er fühlt sich eingeengt und bevormundet. Nachdem seiner Mutter als Rentnerin die Ausreise genehmigt wird, steigert sich sein Drang die DDR zu verlassen enorm. Die im Westen befindliche Mutter erzählt ihre Geschichte ebenfalls. Hier liegt aber der Schwerpunkt zunehmend auf dem Erzählstrang, in dem sie sich mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinandersetzt. Explizit geht es um die Ereignisse, die mit dem Nationalsozialismus in Verbindung stehen. Dabei spielen Flucht, Vertreibung, Liebe und Tod eine große Rolle. Hier ergibt sich für den Leser ein Vorteil gegenüber Frank. Er hat anscheinend keine Kenntnisse über die Familiengeschichte. Sein pubertierender Sohn Jakob, der ein aufstrebender Sportler ist, hat allerdings schon einige Ungereimtheiten entdeckt. Seine eigene chaotische Geschichte lässt ihm jedoch keine Zeit für Nachforschungen. Jakob hat genug mit dem Wunsch des Vaters, einer neuen Stiefmutter, Schikanen in Schule und Sport sowie dem eigenen Erwachsenwerden zu tun.

Gunnar Cynybulk erschafft eine dichte Erzählung, die wundervolle Bezüge zu verschiedenen literarischen und musikalischen Werken herstellt, philosophisch angehaucht ist und immer wieder klar macht, dass es keinen geraden Weg gibt. Kein Leben ist vollkommen und niemand ist fehlerfrei. Man trifft Entscheidungen aus Liebe oder aus einer Überzeugung heraus. Dabei vergisst man hin und wieder die Menschen um sich herum, weil man auch mal selbstsüchtig handeln muss. Manchmal stehen die Prinzipien über allen Dingen und manchmal vergisst man alle Vorhaben, weil man pures Glück empfinden will. Häufig sorgt aber auch der Verlauf der Geschichte dafür, dass alles ganz anders kommt. Wenn man sich auf die Sprache des Autors einlässt und den Figuren ihre Abschweifungen nicht übel nimmt, sondern diese mit ihnen geht, wird man nach dem Lesen des Buches trotz aller Tragik glücklich sein. Man wird sich freuen, dass man mit dem Autor zurückgehen und die Vergangenheit betrachten konnte. Und man wird sich selbst fragen, was man nicht alles für die Freiheit, ein bisschen Liebe und eine Portion Glück machen würde.

Bewertung vom 12.12.2014
Das Bootshaus an den Klippen
Glanville, Kate

Das Bootshaus an den Klippen


gut

Phoebe denkt, dass sie nach einem sehr unsteten Leben endlich einen Ruhepol gefunden hat. Sie hat die Liebe ihres Lebens gefunden. Das einzige Problem ist, dass ihr Traummann verheiratet ist. Er versichert Phoebe aber, dass seine noch bestehende Ehe sehr unglücklich verläuft. Daher glaubt sie an ein Happy End. Doch an einem Wintermorgen endet dieser Traum plötzlich, weil der Mann ihrer Träume bei einem Unfall stirbt.

Phoebe fällt in eine tiefe Trauer, die auch gleichzeitig Einsamkeit bedeutet. Da sie nur eine Affäre mit David hatte, kann sie natürlich mit keiner Person über ihre Gefühle reden.

Als sie nicht mehr weiter weiß, macht sie sich auf den Weg nach Irland. An der Westküste hatte ihre Großmutter ein kleines Bootshaus, in dem sie lebte und wo Phoebe unbeschwerte Kindheitstage verbracht hat.

An Tagen, die sie in dem kleinen Ort Carraigmore verbringt, schwelgt sie jedoch nicht nur in ihren Erinnerungen und kommt langsam zur Ruhe. Sie erfährt auch viele neue Dinge über ihre Familie und sich selbst. Dabei kommt sie dem Glück näher und näher.



Der Einband und der Klappentext des Buches wirkten auf mich zunächst sehr kitschig und ich begann das Lesen schon mit einer gewissen negativen Grundhaltung. Gleichzeitig hatte ich mir aber auch fest vorgenommen das Buch auf jeden Fall zu beenden, weil man sich ja auch täuschen und dadurch viel verpassen kann.

Schon nach den ersten Seiten hatte sich mein ungutes Gefühl aufgelöst. Die Sprache ist nicht übermäßig beladen, aber auch nicht glasklar und völlig schnörkellos. Es handelt sich einfach um eine gute Mischung, die zu einem angenehmen Lesefluss beiträgt. Gleichzeitig ist die Struktur der Sätze nicht so verschachtelt, dass man Verständnisprobleme hat. Man kann schlichtweg sagen, dass sich die Geschichte sozusagen rasch weg liest. Dazu trägt auch die gute Handlungsstruktur bei, die eine gute Abwechslung zwischen Spannung und ruhigen Momenten darstellt. Natürlich gibt es bestimmte Aspekte, die voraussehbar sind. Aber auf der anderen Seite gibt es auch mehrere Punkte, die mir nicht so schnell klar waren und zu überraschenden Wendungen geführt haben.

Insgesamt habe ich mich sehr gut unterhalten geführt und war begeistert von der Geschichte.

Gerade in den kalten Monaten sollte man dieses Buch lesen. Ein tolle Liebesgeschichte, eine interessante Familie und vielschichtige Charaktere. Gepaart mit einer kuscheligen Decke, einem bequemen Sofa und einem warmen Getränk ergibt sich eine wundervolle Mischung, die man sich nicht entgehen lassen sollte.

Bewertung vom 04.10.2014
Deutschland misshandelt seine Kinder
Tsokos, Michael;Guddat, Saskia

Deutschland misshandelt seine Kinder


sehr gut

(...)
Reagiert ein Mediziner, Lehrer, Nachbar oder das Jugendamt und die Verletzungen der Kinder werden dokumentiert, dann erfolgt dies meist durch Rechtsmediziner. Sie sind in der Lage gerichtsfest zu klären, wie die Verletzungen entstanden sein können und wann sie dem Opfer zugefügt wurden. Michael Tsokos, der seit 2007 die Rechtsmedizin der Charité leitet und selbst mehrfacher Vater ist, sieht misshandelte Kinder nahezu täglich. Gemeinsam mit seiner Kollegin Saskia Guddat (jetzt: Etzold) wollte er aktiv werden und der Gesellschaft einen Spiegel vor das Gesicht halten.

In ihrem Buch “Deutschland misshandelt seine Kinder” stellen sie anhand aktueller Fälle die Situation dar und geben Hinweise auf mögliche Veränderungen, die dem Schutz der Kinder dienen können. Die Autoren wollen informieren, aufrütteln und langfristige Änderungen herbeiführen.

Obwohl gleich zu Beginn des Werkes gesagt wird, dass sie Misshandlungen durch alle Schichten der Gesellschaft zieht, wird ein Augenmerk auf Familien gelegt, die eher dem sozial schwachen Milieu zuzuordnen sind. Dies hängt auf der einen Seite damit zusammen, dass man festgestellt hat, dass ihn gut bürgerlichen Familien eher psychische Misshandlungen vorkommen, die zunächst nicht sichtbar sind. Auf der anderen Seite haben die Rechtsmediziner beobachtet, dass schwere Misshandlungen und Misshandlungen mit Todesfolgen häufig in Familien vorkommen, die bereits Kontakt mit dem eigentlichen Schutzsystem für Kinder hatten. Und genau hier scheinen die größten Probleme zu liegen, die Tsokos und Guddat zu vier Punkten zusammenfassen.
Zudem gibt es in der deutschen Gesellschaft anscheinend eine Kultur des Wegschauens, die Straftäter indirekt unterstützt.
Mit diesen Punkten setzen sich die Autoren in zwölf Kapiteln auseinander. Dies geschieht in einer recht klaren und verständlichen Sprache, der man natürlich einen gewissen akademischen Hauch anmerkt. Für einige Leser wird das Buch daher zeitweise etwas trocken wirken. Durch die realen Fälle, die nichts für schwache Gemüter sind, wird die Erzählweise jedoch aufgelockert. Anstrengend ist an manchen Stellen, dass dem Text teilweise eine gewisse Stringenz fehlt und sich einige Aspekte mehrfach wiederholen. Hier gewinnt man leider den Eindruck, dass der Ghostwriter nicht ganz bei der Sache war oder so unbedingt die Leserschaft aufrütteln wollte, dass er ansatzweise in ein nerviges Lamentieren verfallen ist. Dies ist gerade bei der Brisanz des Themas und dem Ziel, das hinter der Schrift steht, sehr bedauerlich. Auch die stetige Anmerkung, dass man nicht die Mitarbeiter des Jugendamtes per se schlecht machen will, hätte einmalig erfolgen können beziehungsweise wird sie schon dadurch obsolet, dass verschiedene Mitarbeiter und ihre Vorgehensweisen innerhalb des Textes erläutert werden.

Man kann also sagen, dass man es hier mit einem interessanten Sachbuch zu tun hat, das zwar einige Mängel in der B-Note aufweist, seine Wirkung aber bei den meisten Lesern nicht verfehlen wird. Doch wer liest eigentlich dieses Buch und wie stark verinnerlicht der Leser die gesagten Worte? Darüber habe ich mir mehrfach den Kopf zerbrochen, weil ich das Gefühl hatte, dass die eigentlich verantwortlichen Personen das Buch nicht wahrnehmen werden oder die Situation bereits kennen. Und diejenigen, die das Buch lesen haben vielleicht keinen nennenswerten Einfluss. Kehren wir aber gedanklich wieder zu den Fallzahlen zurück, wird schnell klar, wie eigentlich jeder Einfluss ausüben kann. Wir können uns weiterbilden, wir können wachsam sein, wir können nachfragen und zuhören. Zudem können wir das, was wir aus dem Buch gezogen haben weitergeben. Wir können Ansprechpartner für Kinder sein, wir können aber auch einfach dem Nachbarn, der mal etwas lauter wird oder der sichtlich überforderten Mutter Hilfe anbieten. Und wir können in bestimmten Situationen einfach zum Telefon greifen und Hilfe rufen.