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Benutzername: 
iGirl
Wohnort: 
Bad Nauheim

Bewertungen

Insgesamt 147 Bewertungen
Bewertung vom 13.05.2022
Vielleicht habe ich dich nur erfunden
Scheel, Tatjana

Vielleicht habe ich dich nur erfunden


ausgezeichnet

DER NASENFAKTOR

Im Mittelpunkt steht Alex, die kaum volljährig auf die schillernde Sheela und ihren Bruder Ennis trifft. Was zunächst jugendliche Faszination ist entwickelt sich mehr und mehr zu einer Obsession, die deutliche Wunden bei Alex hinterlässt. Die Geschichte spielt in 3 Kapiteln an 3 Orten: Sizilien, Berlin, Island. Dazwischen liegen jeweils mehrere Jahre in denen Alex versucht ihre Gedankenwelt von Sheela zu lösen. Dabei begleiten verschiedene Personen Alex' Leben, wobei jede einzelne Figur auf ihre eigene Art ebenfalls besonders ist und selbst nach 'ihrem Leben' sucht. Normalität scheint es rund um Alex kaum zu geben.

Als erstes fiel mir auf, dass Alex eine massive 'Nasen-Affinität' hat. Ein interessanter Aspekt: je größer und schiefer die Nase, umso höher die Alex-spezifische Sympathie zu der Person. Die Geschwister Sheela und Ennis zeichnen sich durch besondere Exemplare aus und üben alleine dadurch auf Alex ihre Anziehung aus. Die Geschichte wird durch das Hin und Her der Gefühle zwischen Alex und Sheela bestimmt. Jedes Treffen wird bestimmt durch ein Ringen um Anziehung und Abstoßung bei dem unklar bleibt wer wen mehr beherrscht. Feuer und Eis ist eine durchaus treffende Beschreibung der Autorin. Vielleicht ist Sheela wirklich nur erfunden, wie der Buchtitel vermuten lässt, und es geht vielmehr um das Finden eines eigenen Lebenswegs?

Tatjana Scheels köstliche Beschreibungen der Menschen und ihrer Eigenheiten machten das Buch für mich zu einem echten Lesegenuss. Der Schreibstil passt wunderbar zur Geschichte: jugendlich, witzig, flapsig. Trotz aller Leseleichtigkeit bekam ich als Lesende einen tiefen Einblick in Alex' Gedanken- und Gefühlswelt. Die gelungenen Dialoge unterstreichen die Charaktere und die jeweilige Situation. So ist ein Buch entstanden bei dem man das Lesen nicht gerne unterbrechen mag. Ein wirklich gelungenes Debüt.

Bewertung vom 06.05.2022
Vom Gehen und Bleiben
Hucke, Petra

Vom Gehen und Bleiben


ausgezeichnet

Intensiv, gefühlvoll, mitreißend

Ein halbes Jahr lang geht es um das Bangen und Hoffen einer Dorfgemeinschaft in der Idylle der Schweizer Berge. Der mächtige Piz Brunclia droht auf das kleine Dorf Vischnanca zu stürzen und es mit sich zu reißen. Doch wie halten die Menschen, die in dieser Landschaft voller Schönheit und gleichermaßen Bedrohung, seit Generationen leben, das aus?

Ich finde die Geschichte mit kleinen rätoromanischen Sprachanteilen wunderbar, hautnah und mit unglaublichem Gefühl geschrieben. Sofort war ich als Lesende fast ein Teil der Dorfgemeinschaft. Einerseits sind es ja „nur“ viele kleine Geschichten um verschiedene Familien und das Leben im kleinen Bergdorf, aber andererseits liest es sich wie ein Thriller – ich konnte gar nicht aufhören zu lesen und dachte ständig über mögliche kommende Szenarien und Verknüpfungen nach. Alles dreht sich um die vielen starken Charaktere und deren Ringen um ihre Entscheidung zu Gehen oder zu Bleiben. Die Dorfgemeinschaft scheint sich zu spalten in die Hardliner, die bleiben wollen, koste es was es wolle; diejenigen die leicht weg gehen da sie schon länger darüber nachdachten und die Unentschlossenen. Und über allem schwebt der Berg als unberechenbare tödliche Gefahr, der fast schon personifiziert sein eigenes Spiel spielt.

Was für ein Buch! Dicht gepackt voller Gefühle, jedoch an keiner Stelle schwülstig. So viele kleine Zwischentöne, so viele Schicksale, die sichtbar aber nicht breit getreten werden. So viele starke Charaktere und so viele intensive Gedanken der ProtagonistInnen. Dieses Buch finde ich rundherum klasse – Chapeau, liebe Petra Hucke!

Bewertung vom 25.04.2022
Einsame Entscheidung / Leander Lost Bd.5
Ribeiro, Gil

Einsame Entscheidung / Leander Lost Bd.5


ausgezeichnet

Gewürfelte Logik

Für mich war es das erste Buch von Gil Ribeiro und es gefiel mir gut. Sieben Ermittlungstage benötigt das Team um Graciana Rosada, Carlos Esteves, Miguel Duarte und Leander Lost, um den Mord an einem englischen Touristen aufzuklären. Es beginnt mit der Suche nach dessen portugisischen Begleiterin Antonia, auf die alles als Täterin hindeutet und die verschwunden ist. Und plötzlich tauchen USB-Sticks mit professionell verschlüsselten Daten auf. Und jetzt geht es richtig los. Mächtige Netzwerke spinnen ihre Fäden um das Ermittlerteam und die Flüchtige. Unversehens befinden sind alle in Lebensgefahr - Gut und Böse verschwimmt. Kann Leander Lost, mit der unvergleichlichen Logik eines Aspergers Licht ins Dunkel bringen?

Die Charaktere, gerade auch Leander, finde ich überzeugend und gut dargestellt - es fällt leicht ein eigenes Kopf-Bild zu jeder Figur zu malen. Graciana ist eine starke, klar denkende und handelnde Kommissarin, die ihr Team professionell führt. Carlos ist ein sympathischer Kerl, der gutes Essen liebt und wohl das Herz am richtigen Fleck hat. Duarte, den eitlen Spanier („der Pfau“), kann ich mir richtig gut vorstellen, wenn er auch eine überraschende Rolle in der Handlung einnimmt. Soraia, die eine so wichtige Person in Leanders Leben ist und ihn mit seiner Besonderheit so liebt wie er ist. Zara, jung, mutig und unerschrocken. Stellenweise waren es mir im Laufe der Geschichte etwas zu viele Figuren, die manchmal auch sehr abrupt in die Handlung eingeflochten werden. Bildhaft beschrieben waren sie dennoch alle.

Zunächst plätschert die Geschichte etwas vor sich hin, nett geschrieben, Kennenlernen der Protagonist*innen, witzige Dialoge, aber es dauert etwas bis die Handlung an Fahrt gewinnt. Im letzten Drittel des Buchs wird es dann aber richtig spannend, die Handlung überschlägt sich fast und ist keineswegs vorhersehbar. Übrig bleibt bei mir ein wenig Nachdenklichkeit zur Skrupellosigkeit der Düngemittelindustrie, der Wirtschaft und der Politik und der Uneinsichtigkeit von uns Verbrauchern, alles rund ums Jahr und dann noch möglichst billig kaufen zu können....im wahrsten Sinne: koste es was es wolle...

Mein Fazit: 'Einsame Entscheidung' ist eine spannende und unterhaltsame Lektüre mit speziellen Charakteren, Charme, Witz und ein wenig portugisischem Flair – mal was ganz anderes im Vergleich zu vielen populären, problembeladenen Kommissaren der letzten Jahre. Von mir gibt es daher eine eindeutige Leseempfehlung!

Bewertung vom 19.04.2022
Das Leben eines Anderen
Hirano, Keiichir_

Das Leben eines Anderen


ausgezeichnet

Die Lockung des Neubeginns
Wer möchte nicht gerne mal in das Leben eines anderen schlüpfen? Akira Kido, Familienvater und Scheidungsanwalt, vertritt eine Klientin, deren verstorbener Ehemann anscheinend nicht die Person war, deren Name er hatte. Doch warum und wie geht das überhaupt? Kido übernimmt diesen Fall und taucht ab in ein scheinbar undurchdringliches Netz an organisiertem Identitätstausch. Und plötzlich scheint Kido, angesichts seiner privaten Probleme, die Aussicht ein Anderer zu werden, durchaus verlockend.

Kido ist eine reflektierende Person, deren Gedanken uns Lesende in detailliert beleuchtete Denk-Szenarien mitnehmen. Einerseits empfindet Kido Glücksgefühle in seinem aktuellen Leben, jedoch lockt ihn seine Fantasie in mögliche Abenteuer eines neuen Lebens. Vielleicht könnte er hier auch den „Makel“ seiner koreanischen Wurzeln abstreifen?

Die Geschichte ist keineswegs reißerisch. Vielmehr sind es die leisen Töne, die, in hervorragender Sprache, eine Melodie der verschiedenen Leben spielen. Dem Autor gelingt es ein verwobenes Netz zu spinnen, an dessen Knotenpunkten sich die Identitätstauscher begegnen und in anderer Richtung weitergehen. Und doch bleiben sie irgendwie immer verbunden. Jeder hat seine besonderen Gründe weswegen er ein Anderer geworden ist. Sehr intensiv beschrieben fand ich den Drahtzieher des Ganzen: Omiura, der nicht nur wegen seines abstoßenden Aussehens eine sehr unsympathische Figur ,und dennoch eine wichtige, ist.

Mein Fazit: Nicht immer ist alles leicht zu verstehen, auch im Privatleben Kidos bleibt einiges der Fantasie des Lesenden überlassen. Insgesamt finde ich das Buch empfehlenswert, aufgrund seines literarischen Sprachstils, der gelungenen Übersetzung aus dem Japanischen und natürlich wegen seiner beeindruckenden Geschichte. Ich denke, jeder hat irgendwann einmal den Wunsch eine ganz andere Person zu sein und manch einem gelingt es zumindest in seiner Gedankenwelt. Keiichiro Hirano, der Autor, hat uns auf seine Reise dorthin mitgenommen.

Bewertung vom 15.04.2022
Die Molche
Widmann, Volker

Die Molche


sehr gut

Poesie und Derbheit

Es geht um Max, 11 Jahre, konfrontiert mit der Grausamkeit der Mitschüler. Wir Lesende begleiten ihn bei seiner Bewältigung und auf seinem Weg des Heranwachsenden. Leider begleiten ihn die Eltern nicht wie es nötig wäre, so dass es zu Geschehnissen kommt, die vielleicht vermeidbar gewesen wären, hätte man mehr auf die Kinder geachtet und ihre Bedürfnisse erkannt. Aber gerade dadurch ist es auch ein Zeitportrait: ein Dorf im Bayern der 60er-Jahre und die Geschichte eines 'Zugereisten'.

Beim Lesen sah ich mich konfrontiert mit starken Gefühlen: Angst, Schmerz, Kampf, Sex, Trauer, Leid. Doch mit Bezug auf den Titel scheint Max den richtigen Ansatz für seine Bewältigung zu finden: „Molche besitzen die Fähigkeit, Gliedmaßen und Organe nach Verletzungen oder Verlust zu regenerieren“ und einige „erreichen bereits im Larvenstadium die Geschlechtsreife“ (vgl. Wikipedia).

Dem Autor gelingt es in seinem Buch mittels starker, teils derber, mitunter verstörender, dann wieder fast poetischer Sprache und intensiven (Natur-) Beschreibungen seinen Protagonisten ein starkes Profil auf den Leib zu schneidern und die Gefühle spürbar zu machen. Nein, lustig ist da nichts, aber unglaublich berührend.

Mich hat der Debüt-Roman von Volker Widmann ziemlich beeindruckt. Es ist ein Zeitbild einer 60-er Jahre Kindheit. Ich würde das Buch daher durchaus auch an Menschen verschenken, die in diesen Jahren herangewachsen sind – ich konnte die eine oder andere Parallele zur eigenen Kindheit darin entdecken.

Bewertung vom 14.04.2022
Der vergessene Geschmack von Glück
Simon, Lars

Der vergessene Geschmack von Glück


ausgezeichnet

Kulinarischer Lesegenuss

Alles dreht sich um ein etwas heruntergekommenes Hotel auf einer kleinen Insel im schwedischen Sund und alles dreht sich um das Essen, oder besser: um den Genuss. Leif, der Protagonist, ist Koch und startete eigentlich mit großer Leidenschaft und einem hervorragenden Ausbilder in seinen Beruf. Doch dann kam alles anders und er landet in einer Fastfood-Gastronomie. Und weil so einiges in seinem Leben nicht mehr rund läuft entsinnt er sich seiner eigenen Wünsche, kündigt und stößt zufällig auf ein Stellengesuch für einen Koch genau in jenem kleinen Hotel. Was er dort vorfindet ist allerdings völlig anders als er erwartet hatte: mysteriöse Vorkommnisse scheinen mit einem lange zurück liegenden schrecklichen Ereignis zusammen zu hängen und sein Kochen gerät zum Desaster.

Es überrascht nicht, dass sich die Geschichte um Leidenschaft dreht, zum Kochen und auch generell zu dem wie man als Mensch so lebt. Das Buch liest sich gut und zwar nicht alleine nur durch die gelungene Sprache. Die Charaktere sind bildhaft geschildert und erhalten im Verlauf der Geschichte und durch die Dialoge durchaus bemerkenswerte Profile. Als Lesende kam ich den Personen schnell nahe, denn der Autor lässt auch den Nebenrollen unterschiedlichste menschliche Facetten zukommen: jeder hat sein persönliches Päckchen zu tragen. Hier setzt auch der tiefere Sinn der Geschichte an: 'Der vergessene Geschmack von Glück'. Nun wird das Geschehen kulinarisch umrundet und mit einem Quentchen Zwischenmenschlichkeit gewürzt und schon hat man das perfekte Lesemenü. …und ständig großen Appetit auf die wunderbaren Menüs.

Mir hat das Buch gefallen. Es ist eine Geschichte, die fröhlich macht, sowohl angenehmes Gruseln als auch Hoffnung birgt und dennoch nicht platt daher kommt. Ich denke, dieses Buch eignet sich bestens zum selbst Lesen oder auch als Geschenk für eine Freundin.

Bewertung vom 10.04.2022
Schwerkraft der Tränen
Monteiro, Yara Nakahanda

Schwerkraft der Tränen


sehr gut

Auf der Suche nach der eigenen Herkunft

Vitória wuchs bei den Großeltern auf, die während des Krieges in Angola nach Portugal fliehen. Als Lesende begleiten wir sie über den Zeitraum von sechs Monaten in denen sie von ihrem Lebensort Lissabon nach Angola reist, um sich auf die Spurensuche nach ihrer Mutter zu machen, die sie nie kennenlernte. Nach ihrer Ankunft in Angola wird sie in einen Riesentopf Verwandtschaft geworfen. Von nun an vergeht kaum eine Minute in denen ihr die Unterschiede und Gemeinsamkeit des Lebens der Menschen und sich selbst vor Augen geführt wird. So wird für sie die Bekanntschaft mit General Vindu arrangiert, der ihr vielleicht bei ihrer Suche helfen kann.

Zahlreiche Personen und viele starke Frauen prägen den Verlauf der Geschichte. Trotz des patriarchalischen Systems ist die Stärke der Frauen durchgängig spürbar. Während des Lesens muss man schon sehr aufpassen damit man die Zusammenhänge nicht verpasst. Diese sind teilweise nur angedeutet bzw. plötzlich dazwischen gestreut. Beeindruckend fand ich die Einblicke in Vitórias Gedankenwelt, die in Satzfetzen geschrieben sind. Starke Gefühle und zahlreiche Tränen durchziehen die Geschichte.

Ich finde 'Schwerkraft der Tränen' ist ein beeindruckendes Buch, aber auch harte Kost. Es bietet zudem einen kleinen Einblick in das Alltagsleben ohne etwas zu beschönigen. Einen Grund zum Lachen findet man darin nicht, was angesichts des Titels ohnehin nicht beabsichtigt war. Aber so richtig viel zu Lachen gibt es in Angola nach wie vor sowieso nicht.

Bewertung vom 22.03.2022
BONJOUR, SAINT-EX! (eBook, ePUB)
Trauboth, Jörg H.

BONJOUR, SAINT-EX! (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Auf den Spuren eines fliegenden Träumers

Jörg Trauboth gelingt es in „Bonjour, Saint-Ex“ biografische Elemente in eine märchenhaften Geschichte zu weben. Alles dreht sich um die Spurensuche des jungen Fabian Braun, begeisterter Flieger, nach der Wahrheit um die Kriegserlebnisse seines Vaters. Hat dieser das Flugzeug von „Saint-Ex“ abgeschossen? Dazu begibt sich Fabian nach Korsika, um den letzten Flug von Antoine de Saint-Exupéry nachzufliegen.
Der klare Sprachstil des Autors, kombiniert mit poetischen und philosophischen Elementen, macht das Lesen zum Genuss. Wir Lesende begleiten Fabian auf seiner Suche, „Saint-Ex“ auf seinem letzten Flug und erheben uns in den Lesehimmel für den ungewöhnlichsten Teil der Geschichte – die man natürlich lesen muss, um sie mit zu erleben.

Sehr viel erfahren wir über das ungewöhnliche Leben des „Saint-Ex“, z. B. Über seine zahlreichen Abstürze und seine unbezähmbare Leidenschaft zum Fliegen. Gleichzeitig werden wir in das Kriegsgeschehen 1944 geworfen und werden Zeuge einer unglaublichen Gedankenwelt und emotionalen Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben auf diesem letzten Flug. Das Buch ist eine wunderbare Abhandlung zur Poesie des Fliegens und der weiten Welt der (kindlichen) Vorstellung. Sehr gut fand ich dabei auch die aktuellen Bezüge zu Klima, moderne Kriegsführung, Flucht und das Arm-Reich-Gefälle. Auch die Bezugnahme auf weitere Bücher Antoine de Saint-Exupérys hat mir gut gefallen.

Sehnsüchtig wünsche ich mir beim Lesen die Unbeschwertheit der Kindheit zurück - denn wie wahr ist es: mit dem Erwachsensein nimmt der Materialismus, die eigene Versklavung und die Einsamkeit vom Menschen Besitz und wie schwer ist es dagegen zu halten. Die Leuchttürme der Kindheit: Freundschaft und Liebe, verblassen zunehmend.

Was für eine philosophische Flugstunde mit einem zweifellos sehr besonderen Menschen – ich habe jede Leseminute genossen - Danke dafür!

Bewertung vom 19.03.2022
Eine Frage der Chemie
Garmus, Bonnie

Eine Frage der Chemie


ausgezeichnet

...und es zischt und dampft

Danke, dass es Frauen wie Elisabeth Zott gegeben hat. Ihnen ist es zu verdanken, dass wir Frauen und unsere Töchter heute das lernen und beruflich ausüben dürfen was ihren Neigungen und Berufungen entspricht.

Elisabeth hat das Glück in Calvin Evans, ebenfalls Chemiker, einen Menschen zu treffen, der sie nicht unterdrückt, sondern zusammen mit ihr einen Weg beschreiben will. Wie zu erwarten trifft Elisabeth mit ihrem gewählten Fach Chemie auf ein typisches Männer-Spielfeld. Kann das für Elisabeth gut gehen Anfang der 60er-Jahre? Aus dem damaligen Blickwinkel des Mannes taugt eine Frau dazu hübsch auszusehen, Anweisungen zu erhalten und mit dem ersten Kind zuhause ein behagliches Haus für den Mann und die Familie zu schaffen. Da passt es für die männlichen Entscheider nur zu gut Elisabeth aus der Wissenschaft heraus in eine 'Koch-Show' zu drängen. Doch Rückschläge machen Elisabeth nur stärker.

Ich habe selbst Verfahrenstechnik studiert und traf Ende in den 80er Jahren auf ein gut funktionierendes männliches Netzwerk, das immer bemüht war, anstelle von Förderung, Hindernisse in den Weg zu legen … hat aber nicht geklappt. Umso mehr habe ich das Lesen von 'Eine Frage der Chemie' genossen und mich gefreut, dass Elisabeth sich nicht unterkriegen ließ, obwohl es für sie unglaublich schwer war.

Dieses Buch ist einfach nur klasse! Toll und einfühlsam geschrieben, starke Charaktere...sogar der Hund... und ein authentisch gezeichnetes Zeitbild. Ich kann dieses Buch allen Frauen, die sich für einen naturwissenschaftlichen Berufsweg entscheiden, nur ans Herz legen – es macht Mut und trägt dazu bei stark und beharrlich zu bleiben. Der ständige kleine und große Kampf zahlt sich am Ende aus!

Bewertung vom 19.03.2022
Leo und Dora
Krup, Agnes

Leo und Dora


ausgezeichnet

Gespenst in Kittelschürze

Leo ist Schriftsteller mit einer nicht enden wollenden Schreibblockade. Die Kriegserlebnisse, seine brennenden Bücher, die Emigration nach Palästina und das Zerbrechen seiner Ehe haben aus ihm einen unausstehlichen Miesepeter gemacht. Seine Agentin und Freundin Alma erhofft sich ein literarisches Revival Leos indem sie ihn in ihr Ferienhaus in einem kleinen Ort in Connecticut schickt. So weit so gut. Doch es ist schon mieses Karma, wenn man endlich mal neue Energie schöpfen möchte, Erholung erhofft und dann bei der Ankunft erfährt, dass die Unterkunft abgebrannt ist. Und damit nicht genug folgt nun auch noch ein Zwangsaufenthalt in dem einzigen, leider völlig maroden Gästehaus am Ort mit der scheinbar unmöglichen Wirtin Dora. Langsam und mit leisen Tönen entspinnt sich daraus eine besondere Geschichte mit vielen besonderen Menschen, insbesondere Dora und Anton, einer dörflichen Gemeinschaft und unerwarteter Nähe.

Die Geschichte zeichnet sich aus durch besondere teils skurrile Dialoge, durch die speziellen Charaktere, die so verschieden sind und die doch gemeinsame Schicksale teilen und durch ein Hausgespenst. Eigentlich hatte ich mir anhand der Leseprobe ein unterhaltsames Leseerlebnis versprochen und letztendlich war es das auch, jedoch anders als erwartet. Ich wurde, als Leserin, in das Entstehen bzw. auch Wiederfinden der zarten Beziehungsfäden zwischen Menschen eingebunden. Am besten gefallen haben mir die einfühlsam geschilderten Stimmungen an den verschiedenen Orten: im Gästehaus, am See, im Laster, im Boot, bei Freunden und besonders auch beim Telefonieren.

'Leo und Dora' ist ein leises, wunderbar geschriebenes Buch, das ohne spektakuläre Effekte auskommt und sich vieles 'zwischen den Zeilen' entwickelt. Allein dadurch ist es lesenswert und empfehlenswert.