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Helena

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Insgesamt 132 Bewertungen
Bewertung vom 29.11.2020
Die Farben der Schönheit - Sophias Triumph / Sophia Bd.3
Bomann, Corina

Die Farben der Schönheit - Sophias Triumph / Sophia Bd.3


gut

Als Henny vor Sophias und Darrens Wohnungstür zusammenbricht und ins Krankenhaus gebracht werden muss, setzt Sophia zunächst alles daran, ihre Freundin aus den Fängen der Opiumsucht zu befreien. Erst nachdem der Kampf gegen die Sucht gewonnen ist, wendet sich Sophia ihrer eigenen Zukunft zu. Darren und Sophia heiraten, außerdem wagt sie es bei Helena Rubinstein vorzusprechen, die sie bei sich im Büro einsetzt und die ihr zudem ein Wirtschafts- und Chemiestudium finanziert. Das Glück scheint perfekt, doch die Ehe leidet mit der Zeit immer mehr daran, dass Sophia keine Kinder mehr bekommen kann und sie sich ganz der Arbeit verschreibt. Kurz nach dem Angriff auf Pearl Harbor kommt es zu einem Eklat zwischen den beiden Eheleuten und Darren meldet sich freiwillig bei der Armee. Vier lange Jahre gehen ins Land, während derer Sophia nur kurze Briefe von ihrem Mann erhält. Kurz nach der Landung in der Normandie wird Darren als vermisst gemeldet und für Sophia bricht die ganze Welt zusammen. Als sie einen Brief erhält, dass Darren verwundet wurde, aber dennoch wie durch ein Wunder überlebt hat, bricht Sophia nach Europa auf. Dort kann sie sich nicht nur mit Darren und ihrem Vater wieder versöhnen, sondern bekommt auch Nachricht darüber, wo ihr Sohn, den sie nie zu Gesicht bekommen hat, zu finden ist.

Der letzten Teil der „Die Farben der Schönheit“-Trilogie umfasst einen Zeitraum von zwölf Jahren. Obwohl es Corina Bomann gelingt, alle losen Fäden aus den vorherigen Bänden zusammenzuführen und zu einem runden Abschluss zu bringen, lässt mich der letzte Band der Reihe doch etwas enttäuscht zurück. Es wurden zu viele ernste Themen in diesem letzten Teil der Reihe aufgegriffen, die dem Genre „Unterhaltungsroman“ entsprechend nicht adäquat umgesetzt werden konnten, wie das Problem der Opiumsucht oder die des Zweiten Weltkrieges. Auch hat mich irritiert, dass Sophia so gut wie nie etwas Gehaltvolles zu Helena Rubinstein äußert. Ein paar krtitische Worte äußert sie erst, als sie bei Helena Rubinstein kündigt. Konnte man das in den vorherigen Bänden ihrer Unerfahrenheit und ihrem jungen Alter zuschreiben, so ist es nun nicht mehr tragbar. Äußerst befremdlich fand ich auch das erste Gespräch zwischen Sophia und Darren, nachdem sie sich vier Jahre lang aufgrund des Kriegsgeschehens nicht gesehen haben. Die Unterhaltung wirkte auf mich so, als ob sie sich maximal ein paar Wochen nicht zu Gesicht bekommen hätten. Nicht zuletzt hat mich auch das erste Treffen und Gespräch zwischen Sophia und ihrem Sohn sehr enttäuscht – das habe ich mir ganz anders ausgemalt! Für mich persönlich entsteht somit folgender Gesamteindruck: Es wurde zum einen vorhandenes Potential nicht genutzt und zum anderen hat sich die Autorin für den letzten Band wohl doch etwas zu viel vorgenommen. Nichtsdestotrotz fesselt auch der letzte Band und ist bis zur letzten Seite interessant und spannungsreich.

Bewertung vom 22.11.2020
Mr. Crane
Kollender, Andreas

Mr. Crane


weniger gut

Elisabeth, deren eine Gesichtshälfte aufgrund eines Feuerunglücks entstellt ist, arbeitet als Krankenschwester im Tuberkulose-Sanatorium Badenweiler, wo einst Anton Tschechow Patient war. Im Sommer 1900 reist ein weiterer prominenter Schriftsteller im fortgeschrittenen Tuberkulosestadium ein: Stephen Crane. Elisabeth, die alle seine Bücher gelesen hat, fühlt eine große Verbundenheit zu dem Patienten, die dieser auch vom ersten Augenblick an erwidert. Acht intensive Tage folgen… Vierzehn Jahre später, Elisabeth ist mittlerweile Oberschwester, wird ein junger Soldat mit schweren Verletzungen in das Sanatorium gebracht. Er soll wieder gesund gepflegt und an die Front geschickt werden. Doch Elisabeth versucht dies um jeden Preis zu verhindern…

Der Roman „Mr. Crane“ kommt in einer edlen Qualität daher: fester Einband mit Lesebändchen, auf dem Schutzumschlag ist ein Bild des Schriftstellers zu sehen, im Hintergrund sieht man das Profil einer Frau. Auch der Klappentext ist vielversprechend und macht neugierig. Ich lese gerne Romane, in denen reale Personen fiktional verarbeitet werden. Leider war der Roman ganz anders als ich erwartet habe. Ich habe intensive Gespräche zwischen Stephen Crane und Elisabeth erwartet. Eine geistige Verbindung wie sie nur zwischen zwei Menschen, die von Leid gezeichnet sind, entstehen kann. Statt dessen spielt sich bei den beiden die Annäherung hauptsächlich auf der körperlichen Ebene ab. Ungeachtet dessen, dass sich Mr. Crane im Endstadium seiner Tuberkulosekrankheit befindet und somit extrem schwach und außerdem auch äußerst ansteckend ist, kopuliert er mit Elisabeth wann er nur kann. Elisabeths Verhalten ist sogar noch unverständlicher und gewissenloser: Sie weiß, dass sie ihn schwächt, rüttelt ihn oftmals aus dem Schlaf, damit er eine seiner Geschichten zu Ende erzählt und ‚päppelt‘ ihn schließlich mit Whiskey und Zigaretten auf, damit er länger bei Bewusstsein bleibt. Ein besonders schlechtes Gewissen scheint sie deswegen nicht zu haben, „im Krieg und in der Liebe ist alles erlaubt“ scheint ihre Devise zu sein. Gegenüber dem Oberarzt wird sie auch noch aufmüpfig, der ihr mit Verständnis begegnet und ihr sogar eine bessere Position anbietet. Sie hätte eigentlich wegen ihrer Unprofessionalität gefeuert werden sollen, stattdessen ist sie ein paar Jahre später Oberkrankenschwester… Ich frage mich, was die Intention des Autors gewesen ist. Zwar hat Mr. Crane ein paar Geschichten aus seinem Leben zum Besten gegeben, aber als Mensch und Schriftsteller ist er mir persönlich nicht näher gekommen. Die ‚Liebesgeschichte‘ zwischen ihm und Elisabeth ging mir weder nah noch fand ich sie in irgendeiner Form überzeugend. Der zweite Erzählstrang ist meiner Meinung nach besser gelungen: Elisabeth rettet ein Menschenleben, als Wiedergutmachung ihrer Schuld Mr. Crane gegenüber (so meine persönliche Interpretation).

Als Fazit halte ich fest, dass es sich bei „Mr. Crane“ um eine abstruse, wenig überzeugende Geschichte handelt, dem der abgehackte Erzählstil und die oftmals aneinander vorbeiredenden Figuren zusätzlich geschadet haben.

Bewertung vom 20.11.2020
Super Fresh
Hay, Donna

Super Fresh


sehr gut

„Wir alle wünschen uns, köstliche Mahlzeiten ohne viel Aufwand zuzubereiten. Wenn jedoch Begriffe wie „gesund“ oder „nährstoffreich“ ins Spiel kommen, schrecken viele gleich zurück… aus Angst, dieser Schub an Nährstoffen ginge auf Kosten des Geschmacks und der einfachen Zubereitung. Aber ich kann Ihnen versichern: Das passiert niemals!“

Wer zu „super fresh“ greift, hat ein Kochbuch der besonderen Art in der Hand. Es kommt bereits in einer ungewöhnlichen Aufmachung daher: die Seiten sind schwarz und die Schrift weiß. Dadurch werden die oftmals sehr kunstvollen Gerichte in den Vordergrund gerückt. Nicht umsonst ist Donna Hay Foodstylistin: Die einzelnen Gerichte sind derartig ansprechend und harmonisch gestaltet, dass man unwillkürlich bei deren Betrachtung an Kunst denkt. Alles andere als langweilig ist auch die Komposition der Zutaten. Da werden einem beispielsweise drei verschiedene Pizzarvarianten präsentiert, deren Boden nicht etwa aus Mehl, sondern hauptsächlich aus Blumenkohl besteht. Viele der in dem Kochbuch dargebotenen Speisen sind asiatisch angehaucht. Hoisin-Sauce, Kaffirlimettenblätter, Ketjap Manis, Chinakohl, Mirin (japanischer Reiswein), Misopaste, Nori, Glas-, Reis- und Soba-Nudeln, Shaoxing (chinesischer Kochwein), Shiso-Blätter und Tamarisauce sind einige der asiatischen Zutaten, die Donna Hay verwendet. Für Menschen, die die gute Hausmannskost ohne Schnickschnack bevorzugen, ist „super fresh“ somit nicht zu empfehlen. Aber jeder Kochende, der gerne Neues oder neuinterpretiertes Bekanntes ausprobiert, wird seine helle Freude an „super fresh“ haben. Dieses 225-seitiges Kochbuch mit sage und schreibe 96 Rezepten bietet eine breitgefächerte Bandbreite an Rezepten für jeden Geschmack. So werden beispielsweise auch 14 der 96 Rezepte in drei Variationen präsentiert: Es wird beispielsweise das Miso-Hähnchen aus dem Ofen im ersten Rezept mit Kürbis, im zweiten Rezept mit Brokkoli und im dritten Rezept mit Aubergine serviert. Oder es gibt ein Lasagnerezept mit Minzspinat, ein anderes mit Schwarzkohl und ein weiteres mit Salbei und Kürbis. Das heißt man kann die Gerichte der Stimmung, Jahreszeit oder auch den eigenen Vorlieben anpassen. Auch die Desserts können sich sehen lassen: Da locken Kokoseiscreme mit Karamellsauce, gegrillte Vanillepfirsiche mit Mandelcrunch und ein Schokofudgekuchen, der komplett ohne Mehl auskommt, um die Wette. Mein absoluter Liebling ist bisher die Bananentarte – die sollte jeder unbedingt ausprobieren!

Alles in allem ist „super fresh“ ein inspirierendes Kochbuch voller innovativer Gerichte, das sowohl Neues als auch neuinterpretiertes Bekanntes vorstellt. Es ist ein Kochbuch, dank dem man mit nicht zu großem Aufwand tolle Ergebnisse erzielt. Ein kultiges Kochbuch, das mit der Zeit geht und ganz bestimmt Anklang findet – sowohl beim Koch als auch bei den Gästen!

Bewertung vom 21.10.2020
Marigolds Töchter
Woolf, Julia

Marigolds Töchter


schlecht

Als Daisy plötzlich aus Mailand in ihr Zuhause in England zurückkehrt, weil sie feststellt, dass ihr langjähriger Partner Luca und sie verschiedene Vorstellungen von der Zukunft haben, ist es in dem Haus mehr als voll. Neben dem Ehepaar Marigold und Dennis wohnt die jüngere Tochter Suze sowie seit neuestem auch die Großmutter Nan in dem kleinen Cottage. Und so wird es etwas eng, als Daisy wieder ins vertraute Nest heimkehrt. Und doch ist es wiederum eine glückliche Schicksalsfügung, denn sie kann die Familie unterstützen, während es Marigold zunehmend schlechter geht, sie immer mehr und öfter Dinge sowie Menschen vergisst. Auch ahnt Daisy noch nicht, dass sie gerade hier ihr persönliches Glück finden soll...

Wenn man zu einem Buch aus dem List-Verlag greift, erwartet man keine hohe Literatur, sondern seichte Unterhaltung. Doch von Unterhaltung kann hier kaum die Rede sein, dafür kann das Wort „seicht“ extra groß geschrieben werden. Die Personen und Geschehnisse in dem kleinen Dorf irgendwo in England sind geradezu schreiend weltfremd. So fängt Daisy, die in Mailand in einem Museum gearbeitet hat, zu Hause mit dem Malen von Tierporträts an, weil sie ja „früher gerne gezeichnet hat und ja immer Talent dafür hatte“ – prompt wird ihr erstes Gemälde ein Meisterwerk. Sie kann sich vor Aufträgen kaum retten und ihr wird großer Ruhm vorausgesagt. Ganz zu schweigen davon, dass realistische Malerei heutzutage keinerlei Abnahme findet und erst recht keinen Ruhm mit sich bringt, wird hier außerdem impliziert, dass man lediglich für etwas Talent zu haben braucht. Dass viel Wissen, handwerkliches Können und harte Arbeit hinter jeder Art von kreativer Tätigkeit steckt, wird hier einfach ausgeklammert. Genauso ist es bei Suze, die Influencerin ist und über leichte Themen schreibt. Mir nichts, dir nichts entscheidet sie sich gegen Ende des Romans ein Buch über Demenz zu schreiben, das – wie sollte es auch anders sein – direkt ein Bestseller wird. Wie soll man die Autorin, die Figuren und die Geschichte da überhaupt ernst nehmen? Insgesamt jagt in diesem Buch ein Klischee das andere, Belangloses und Katastrophales wirbeln in einem wilden Mischmasch durcheinander, Nichtssagendes und triefender Kitsch sind sowohl das Fundament als auch der Überbau des Ganzen. Unglaublich ermüdend sind gerade auch die Gedanken und Gespräche der Figuren, die sich die ganze Zeit um dieselben Themen drehen – wie ein fader Brei, der mit jedem Aufwärmen geschmackloser und schließlich vollkommen ungenießbar wird. Andere mögen Gefallen an dieser Art von uninspiriertem, belanglosem und weltfremden Schreiben finden, ich aber sage entschieden: Nein, nein, nein und nochmals nein!

0 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 16.10.2020
Unter uns das Meer
Gaige, Amity

Unter uns das Meer


ausgezeichnet

„Ich fragte mich im Stillen, ob der Mensch, der ich in den vergangenen Jahren geworden war, wirklich ich war oder nicht bloß das Ergebnis meiner mich deformierenden Geschichte. Aber auf See gab es nichts, was mich davon hätte abhalten können, die Frage zu beantworten. Nichts stand der Selbsterkenntnis im Weg. Es gab immer noch mehr und noch mehr Horizont, leer in jeder Richtung, ein Fehlen jeglicher Einmischung, ein Ausblick ohne jede Vermittlung – reines, beängstigendes Bei-Sich-Sein.“

Das Leben von Juliet und Michael ist irgendwie festgefahren, sie haben sich kaum mehr etwas zu sagen, wissen nicht einmal mehr mit Bestimmtheit zu sagen, ob sie noch Liebe füreinander empfinden. Es scheint, als ob nur noch ihre beiden Kinder, Sybil und George, die Ehe zusammenhalten. Bis Michael eines Tages mit dem waghalsigen Plan aufkommt, einen einjährigen Segeltörn zu starten. Ohne zu wissen, was die Zukunft bringt, brechen die vier in eine abenteuerliche Reise auf, die ein jähes, tragisches Ende nimmt.

Amity Gaige hat ihren Roman „Unter uns das Meer“ (im Original „Sea Wife“) als eine Art Zwiegespräch aufgebaut. Auf der einen Seite haben wir Michaels Logbuch, das aber auch einen tiefen Einblick in sein Seelenleben gewährt und somit mehr Tage- als Logbuch ist, und auf der anderen Seite Juliets gegenwärtige Gedanken, Erlebnisse und Reflexionen sowie Erinnerungen an die gemeinsame Segelfahrt. Das Ergebnis ist eine hochkomplexe Studie einer Ehe. Lässt Juliet zunächst die Zeit ihrer Depressionen, die sie nach der Geburt ihrer Kinder heimgesucht haben, Revue passieren und liegt das Gewicht zunächst auf den Missverständnissen und den – oftmals politischen – Streitgesprächen zwischen den Eheleuten, so verlagert sich das Gewicht im Laufe der Handlung zunehmends zugunsten der Dinge, die Michael und Juliet zusammenhalten und nicht zuletzt erkennen lassen, dass es doch reine Liebe ist, die sie füreinander empfinden. Doch bis dahin ist es ein langer Weg: Den Gezeiten gleich durchleben beide die Höhen und Tiefen ihrer Beziehung, wobei immer wieder neue Dinge zum Vorschein kommen, die ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht entstehen lassen.

Juliet sieht sich als Poetin. Obwohl sie nicht selbst schreibt, liebt sie die Poesie und schätzt ihre therapierende und seelsorgerische Wirkung. Nicht umsonst schreibt sie ihre unvollendet gebliebene Dissertation zu der Dichterin Anne Sexton, die „Confessional Poetry“ betrieb. Die Passagen, in denen Juliet über Sextons Lyrik und deren Leben reflektiert – sowie die im Anhang zitierten Auszüge aus ihrer Doktorarbeit – sind meine liebsten Stellen in dem Roman. Davon hätte ich persönlich noch viel mehr lesen können. Unerbittlich kratzt sie an den gesellschaftlichen Fassaden und bringt Dinge ans Licht, die der Mensch natürlicherweise zu verbergen versucht. So verwundert es auch nicht, dass Juliet und Michael oftmals aneinandergeraten, denn Indifferenz ist der starken Protagonistin ein Graus. Verwundern wird auch nicht, dass Lesersympathien wohl eher bei Juliet liegen werden. Doch auch die siebenjährige Sybil kommt in dem Roman einige Male zu Wort. Ihre Gedanken berühren sehr und lassen das Herz des Lesers oftmals vor Mitgefühl überlaufen – so rein, direkt und kindlich unverfälscht sind die ihr gewidmeten Romanpassagen. Auch hierfür ziehe ich voller Bewunderung und Hochachtung meinen Hut vor der Autorin.

„Unter uns das Meer“ ist ein äußerst vielschichtiger Roman, der nicht nur drei Familienmitglieder auf authentische Weise zu Wort kommen lässt und ein in sich stimmiges psychologisches Familienbild zeichnet, sondern auch viele Fragen in den Raum wirft, mit denen sich jeder Leser auf seine eigene Art auseinandersetzen wird. Es ist ein Roman, der niemanden indifferenziert zurücklässt. Der Roman ist wie die Geschichte selbst: Eine Art Katharsis mit einem hoffnungsvollen, versöhnlichen Ende.

Bewertung vom 27.09.2020
Wien by NENI
Molcho, Haya

Wien by NENI


ausgezeichnet

Wer das Kochbuch „Tel Aviv“ kennt, ist mit der Familie Molcho, ihren bemerkenswerten Rezepten und ihrer außergewöhnlichen Buchgestaltung vertraut. Während in „Tel Aviv“ die israelische Küche im Zentrum stand, wendet sich die Familie Molcho in ihrem neuen Kochbuch ihrer Wahlheimat Wien zu: Haya und Samy Molcho sowie ihre vier Söhne gewähren uns zunächst Einblick in ihr eigenes Leben, um uns dann ihre liebsten Menschen und Orte vorzustellen – natürlich dreht sich dabei alles um gutes (und ethisch vertretbares) Essen.

„Wien by NENI“ kommt in einer sehr edlen Aufmachung einher – wie ein Coffe Table Book. Die in dem Buch enthaltenen atemberaubend schönen Fotos stammen von Nuriel Molcho, Hayas ältestem Sohn. Das Akronym NENI stetzt sich übrigens aus den Anfangsbuchstaben der Namen der vier Molcho-Söhne zusammen: Nuriel, Elior, Nadiv und Ilan.

Zunächst gibt es auch einige Rezepte der Molcho-Familie, dann folgen jedoch Porträts befreundeter Gastronomen in Wien, die die Familienmitglieder ganz besonders schätzen. Die Porträts sind sehr interessant und ansprechend. Man staunt über die unterschiedlichen Werdegänge und oftmals äußerst verschlungenen Lebenspfade. Ohne Ausnahme sind alle vorgestellten Personen so sympathisch, dass man sich wünscht, man würde sie ebenfalls persönlich kennen – auf jeden Fall möchte man sobald wie möglich nach Wien reisen, um in das ein oder andere vorgestellte Restaurant einzukehren und die erlesenen Speisen zu genießen.

Einstweilen kann man sich die Wartezeit mit dem Nachkochen der Speisen verkürzen, die in dem Kochbuch vorgestellt werden: Fünf bis sieben Gerichte verrät jeder Gastronom aus seinem Repertoire. Die meisten Rezepte sind raffiniert und aufwendig, es finden sich jedoch auch einfache Rezepte von traditionellen österreichischen Gerichten, wie Apfelstrudel und Marillenknödel. Alles in allem ist „Wien by NENI“ ein ansprechendes, inspirierendes und überzeugendes Kochbuch der besonderen Art. Etwas ungünstig ist lediglich manchmal die Farbkombination von Text und Hintergrund gewählt, so dass sich das Lesen der Texte stellenweise etwas schwierig gestaltet.

Bewertung vom 11.09.2020
Das lügenhafte Leben der Erwachsenen
Ferrante, Elena

Das lügenhafte Leben der Erwachsenen


sehr gut

Giovanna wächst als Einzelkind wohlbehütet in Neapel auf, ihre Eltern gehören dem Bildungsbürgertum an. Vom Vater fühlt sie sich vergöttert, von der Mutter geliebt. Bis sie eines Tages im Alter von zwölf Jahren ungewollt Zeugin eines Gesprächs zwischen Vater und Mutter wird: Giovanna komme ganz nach Vittoria, sagt der Vater und die Mutter widerspricht nicht. „Der Name Vittoria klang bei uns zu Hause wie der eines Monsters, das jeden besudelt und infiziert, der mit ihm in Berührung kommt.“ An ihre Tante kann sich Giovanna kaum erinnern, denn zu der Familie väterlicherseits wird so gut wie kein Kontakt aufrecht gehalten. Und so beschließt die Protagonistin sich alleine auf die Suche nach Vittoria zu geben. „Tagelang, monatelang werde ich wandern. Sonne, Hitze, Regen, Wind, Kälte, und ich unterwegs, unter tausend Gefahren unterwegs, bis ich meiner Zukunft in Gestalt einer hässlichen, boshaften Frau begegnete.“ Doch das, was sie findet, entspricht nicht ihren Befürchtungen. Denn die Welt ist nicht so wie man als Kind noch glaubte: Das Böse wird nicht von einer einzigen Gestalt verkörpert. Es ist die Welt der Erwachsenen, die voller Widersprüche, Lügen und Unberechenbarkeiten steckt. Und in diese ist Giovanna gerade im Begriff selbst einzutreten,

„Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ ist ein intensiver und anspruchsvoller Roman. Nach Schwarz-Weiß-Zeichnungen wird man vergeblich suchen. Jeder, der der Welt der Erwachsenen angehört, trägt Schuld mit und in sich. Und jeder, der im Begriff ist, in diese Welt einzutreten, ist im Begriff Schuld auf sich zu laden. Wen wir sympathisch finden und wen nicht, das wird uns von Elena Ferrante nicht vorgeschrieben. Sie ist eine Meisterin darin, in seelische Abgründe einzutauchen und all das zu Tage zu befördern, was der Mensch zu verbergen versucht. Das ist oft desillusionierend und manchmal auch verstörend. Liebe zeigt sich nur selten in ihrer reinen Form. Meistens sind es seelische Verletzungen, mit denen jede Figur auf andere Art und Weise umzugehen versucht. Auch Angst, Demütigung, Frust und Wut sind allgegenwärtige Begleiter in den Gassen Neapels. Den Schmerz des Erwachsenwerdens mit all seinen Facetten hat Elena Ferrante so lebendig und echt wiedergegeben, dass man kaum glauben möchte, dass die Autorin siebenundsiebzig Jahre alt ist.

Als Herzensbuch kann man „Das lügenhafte Leben der Erwachsenen“ wohl kaum bezeichnen, aber es ist ein sprachgewaltiger, ein aufrüttelnder Roman, der durch seine ungeschminkte Wahrhaftigkeit besticht.

Bewertung vom 05.09.2020
Sila's Orientküche
Sahin, Sila

Sila's Orientküche


ausgezeichnet

Viele Menschen mögen die türkische Küche – nicht umsonst gibt es hierzulande so viele Dönerbuden und türkische Lebensmittelläden. Ich selbst gehöre auch zu ihnen. Oftmals reicht mir ein ofenfrisches Fladenbrot mit frisch aus der Salzlake entnommenem Fetakäse und ich bin vollkommen glücklich. Während meiner Schulzeit war ich öfters bei meiner damals besten türkischen Freundin zu Besuch und natürlich habe ich dann auch jedesmal von den traditionellen Gerichten, die es bei ihr gab, profitiert. Ihre Mutter stand gefühlt die ganze Zeit in der Küche – und sie machte es gerne! Schnell stellte ich fest, dass das Essen für sie und ihre Familie mehr war als reine Nahrungsaufnahme – es ist auch ein Liebesbeweis und ein Geschenk, das man mit Familie und Freunden teilen möchte.

Und so ist es auch bei der Schauspielerin Sila Sahin. „Die Freude am gemeinsamen Essen ist Teil meines Lebens, meiner Kultur und meiner ganzen Person“, schreibt sie in ihrem Buch „Sila‘s Orientküche“. Als Tochter türkischer Eltern, die in Berlin geboren ist, ist sie sowohl mit türkischem als auch deutschem Essen großgeworden. Das spiegelt sich auch in ihrem Kochbuch wider: So findet man sowohl die Rezepte ihrer Mutter als auch neu interpretierte Klassiker der mitteleuropäischen Küche darin. Da ihr Ehemann Vegetarier und sie Mutter zweier Kinder ist, sind in ihr Repertoire zudem vegetarische und kindergerechte Gerichte miteingeflossen. Als Frau, die die Geselligkeit liebt, legt sie uns auch eine Bandbreite an Rezepten vor, die für die große Tafel geeignet sind. Auch Gerichte für ein romantisches Dinner zu zweit finden sich in Silas Kochbuch. „Meine Küche ist ein Spiegel meiner Seele“, schreibt sie. „Sie ist so vielfältig wie die unterschiedlichen Menschen und verschiedenen Orte in meinem Leben. Und sie ist so überraschend wie viele Begegnungen und Erfahrungen, die ich bisher machen durfte.“

Zunächst nimmt sie den Leser bei der Hand und zeigt ihm ihren Vorratsschrank: In dem finden sich unter anderem Bulgur, Yufkateig, Paprikamark, Joghurt und allerhand Nüsse und Saaten – alles Zutaten, die in der Türkei gewärtschätzt und oft in der orientalischen Küche Verwendung finden. Im zweiten Schritt macht Sila uns mit den wichtigsten Kräutern und Gewürzen der orientalischen Küche bekannt. Mit frischen Kräutern wird nicht gespart und Gewürze wie Pul biber oder Sumach geben den Gerichten den letzten Pfiff. Am Ende des Buches findet sich ein übersichtliches alphabetisch geordnetes Register, in dem man direkt nach dem Namen der Gerichte oder von den Zutaten ausgehend nach passenden Gerichten suchen kann. Die Fotos zu den Gerichten sind äußerst ansprechend. Aufgelockert wird das Kochbuch zudem von Fotos der Autorin und kurzen Texten, in denen sie Einblick in ihr Leben und die Beschaffenheit der von ihr präsentierten Mahlzeiten gewährt.

Mein persönliches Highlight sind die vegetarischen Gerichte. Wenn man einen Döner mit vielfältigem Gemüse und einer nahrhaften Soße hat – wer vermisst da noch das Dönerfleisch? Oder wer könnte zu gefüllten Auberginen, Linsenköfte oder einem Bulgur-Pilz-Pilaw nein sagen? Ich jedenfalls nicht und würde sie bei weitem fleischhaltigen Gerichten vorziehen. Auch die Suppen – hier habe ich nun endlich das perfekte Rezept für eine fruchtige Tomatensuppe gefunden, nach dem ich so lange gesucht habe! Die scharfe Möhren-Orangen-Suppe wird ebenfalls definitiv in mein Suppenrepertoire aufgenommen. Ein weiteres großes Highlight für mich, die Baklava heiß und innig liebt, sind natürlich die Baklava Style Pancakes – ein himmlischsüßer Traum, den ich mir jederzeit selbst schnell zubereiten kann!

Wer sich schon immer mal gewünscht hat, einige der türkischen Gerichte, die er aus der Gastronomie kennt, selbst nachkochen zu können oder wer Abwechslung in der Küche liebt, dem kann ich „Sila‘s Orientküche“ nur wärmstens ans Herz legen. Ich bin jedenfalls sehr froh darüber, dass es in meinem Bücherregal mit den Kochbüchern steht.

Bewertung vom 30.08.2020
Das Glück in vollen Zügen
Kirsch, Lisa

Das Glück in vollen Zügen


sehr gut

Marie Brunner ist 31 Jahre alt, Produktdesignerin und wohnt in einem kleinen Bauwagen mit ihrer Rottweilerhündin Dexter am Ammersee. Jeden Morgen schwimmt sie darin, bevor sie zur Arbeit aufbricht. Eigentlich könnte ihr Leben perfekt sein, wenn nicht ihre Endometriose-Erkrankung wäre, die sie davon abhält, sich an einen Mann fest zu binden.

Johannes Schraml ist 34 und arbeitet als Webdesigner in der E-Bike-Abteilung von BMW. Er lebt mit seinem Vater in Herrsching und pendelt jeden Tag zwischen Arbeit und Zuhause. Nichts wünscht er sich sehnlicher als die Frau seines Lebens zu finden und eine Familie mit ihr zu gründen. Doch diese Frau müsste auch seinen Vater akzeptieren, der dement ist und an Alzheimer leidet.

Marie und Johannes sitzen beide jeden Morgen in der S8, die in die Münchener Innenstadt fährt. Und beiden fällt der jeweils andere positiv auf. Mal möchte Marie Johannes ansprechen, mal versucht Johannes seinen ganzen Mut zusammen zu nehmen und mit Marie anzubändeln. Doch wie es der Zufall will, hält beide immer etwas davon ab. Eine aberwitzige Schnitzeljagd beginnt - natürlich mit einem Happy-End, aber bevor es dazu kommt, haben beide viele Hürden zu nehmen.

Lisa Kirsch hat mit "Das Glück in vollen Zügen" einen humorvollen und rasanten Liebesroman geschaffen, der einen mitreißt, zum Lachen bringt, aber auch berührt. Die Autorin begeistert mit frischem Humor und aktuellen Themen, scheut aber auch nicht davor zurück, ernste Inhalte in den Roman einzubauen. Die Hindernisse und Missverständnisse zwischen Marie und Johannes sind manchmal etwas zu viel des Guten, sodass das Happy-End ziemlich abrupt erfolgt, nichtsdestotrotz ist "Das Glück in vollen Zügen" ein sehr gelungener Roman, den ich wärmstens empfehlen kann.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.08.2020
Was uns verbindet
Gowda, Shilpi Somaya

Was uns verbindet


sehr gut

„Es gibt so viele Arten zu sterben, ohne die Welt tatsächlich zu verlassen: Du kannst ein Stück von dir selbst oder deinen Gefühlen abschneiden. Du kannst aufhören, die Sachen zu machen, die du liebst, oder deine Träume und Ziele aus den Augen verlieren. Du kannst dich von den Menschen lossagen, die dich lieben, oder niemals bereit sein, überhaupt Liebe zu finden. Du kannst dich von der Welt zurückziehen, oder du kannst durchs Leben gehen, ohne irgendetwas zu suchen, das größer ist als du selbst. Manche halten das vielleicht für unterschiedliche Lebensweisen, aber das sind sie nicht. Es sind nur Arten zu sterben.“

Jaya stammt aus einer angesehenen indischen Diplomatenfamilie, Keith ist amerikanischer Banker und Selfmademan aus armen familiären Verhältnissen. Als die beiden sich kennenlernen, ist es Liebe auf den ersten Blick. Sie lassen sich in Kalifornien nieder und bekommen ein Kind: Karina. Fünf Jahre später folgt ein Junge: Prem. Zusammen sind sie eine schöne, eine starke und glückliche Familie. Bis eines Tages ein Unglück passiert, das die Familie auseinanderreißt. Erst viele Jahre später gelingt es ihnen, sich wieder aufeinander einzulassen, füreinander da zu sein und etwas Neues aufzubauen.

Shilpi Somaya Gowda hat sich mit ihrem Roman „Was uns verbindet“ (im Original „The Shape of a Family“) einer schwierigen und delikaten Thematik angenommen: Dem plötzlichen Unfalltod eines Familienmitgliedes und was dieser mit und aus der Familie macht, die es zurücklässt. Berührend und souverän zugleich zeichnet die Autorin das Potrait einer vom Unglück gezeichneten Familie.

Die Autorin wechselt zwischen den Innenperspektiven und so sieht man von ganz nah, wie jedes der zurückgebliebenen Familienmitgleider leidet. Wir sehen wie Jaya Zuflucht in der Religion sucht und alles andere aus ihrem Leben ausblendet, weil sie glaubt, als Mutter versagt zu haben. Wir sehen Keith, der nur noch für seine Arbeit lebt, um nicht daran denken zu müssen, dass er seine Familie nicht zusammenhalten konnte; und der nur noch Freude aus geschäftlichen Transaktionen schöpfen kann. Und wir sehen Karina, die sich selbst verletzt, um ihrem inneren Schmerz ein Ventil zu geben, die sich ganz auf‘s Lernen konzentriert, weil sie auf den Stolz ihrer Eltern hofft und die auf ihrer verzweifelten Suche nach etwas, wofür es sich zu leben lohnt, schließlich einer sektenähnlichen Kommune in die Fänge gerät.

Ab und zu meldet sich jedoch auch Prem zu Wort: Direkt am Anfang erklärt er, dass es nicht die Schuld seiner Schwester und auch nicht die seiner Eltern war, dass er im Pool ertrunken wäre. „Das Wasser hat an dem Tag beschlossen, mich zu verschlingen“, erklärt er und nimmt damit jegliche Schuldzuweisung von Seiten des Lesers vorweg. Er meldet sich auch immer wieder im Laufe des Romans zu Wort und kommentiert das Leben seiner Schwester und das einer Eltern. Er vereint dabei die kindliche Sichtweise auf die Dinge, wie er sie im Alter von acht Jahren hatte, als er starb, mit einer alles durchschauenden Weisheit. Die Schwierigkeit, einen Toten sprechen zu lassen, hat Shilpi Somaya Gowda meisterhaft bewältigt: Weder driften diese Passagen ins Rührselige noch ins Befremdliche ab.

Der Roman hat vielleicht manchmal seine Längen, aber die hat er im Rückblick betrachtet zurecht. Er soll uns zu zeigen, dass sich eine Familie nach einem erlittenen Unglück nicht voneinander abkapseln darf, weil daraus weiteres Leid entsteht. Erst nachdem sie alle drei wieder füreinander öffnen, sind sie in der Lage, einen neuen Weg zu finden und eine neue Form anzunehmen. „Was und verbindet“ ist ein gewaltiger, ein intensiver und wertvoller Roman, wenn man bereit ist, sich auf die Geschichte einzulassen.