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Top-Rezensenten Übersicht

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FrauSchafski

Bewertungen

Insgesamt 131 Bewertungen
Bewertung vom 30.06.2019
Erebos Bd.1
Poznanski, Ursula

Erebos Bd.1


sehr gut

Spiel oder Realität?

Ich muss sagen, das war buchtechnisch der perfekte Urlaubsstart. Die Story hatte mich gleich so sehr gepackt, dass meine 5 Stunden Zugfahrt wie im Flug vergingen und ich fast das halbe Buch durch hatte. Wer es noch nicht kennt: Es geht um ein Spiel - Erebos - das sich wie ein Lauffeuer unter den Schülern einer Londoner Schule verbreitet. Niemand darf darüber sprechen, alles ist ein großes Geheimnis, was das Spiel noch begehrenswerter macht. Einmal begonnen, entfaltet es einen Sog, dem sich die Schüler nicht entziehen können - auch nicht, als das Spiel von ihnen verlangt, in der realen Welt Aufträge zu erfüllen. Diese scheinen zunächst harmlos, doch nach und nach ergibt sich ein Muster und der Verdacht entsteht, dass das Spiel einen finsteren Plan ausheckt.

Klingt spannend? Das war es auch. Poznanski lässt uns Protagonist Nick in der Realität, aber ebenso seiner Spielfigur Sarius in Erebos folgen, was mich ebenfalls völlig in den Bann des Spiels gezogen hat, als hätte ich selbst am Joystick gesessen. Nun mag das vielleicht daher kommen, dass ich durchaus gerne rumdaddel, aber ich glaube, diese Faszination wird auch nicht spielaffine Leser ergreifen. Poznanskis Schreibstil lässt einfach durch die Seiten fliegen, Längen gab es kaum und die Auflösung fand ich ebenso stimmig wie den Handlungsverlauf, wenn auch die ein oder andere Frage nicht ganz befriedigend beantwortet wurde.

Fazit: Sehr hoher Unterhaltungswert, ein Buch, das einfach Spaß macht. Und für einen Jugendroman schwingen durchaus auch nachdenklich stimmende Töne mit. 4 Sterne mit Leseempfehlung gibt’s von mir.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.06.2019
Der Zopf
Colombani, Laëtitia

Der Zopf


gut

Drei Frauen, drei Schicksale, drei Kämpferinnen

Ich bin mal wieder sauer. Sauer darüber, dass der Klappentext dieses Buches schon die ganze Auflösung verrät. Für mich ist es absolut unverständlich, warum so etwas passiert, und es schmälert meinen Lesegenuss erheblich, wenn ich von vornherein weiß, wie sich später alles auflöst. Gerade bei diesem Buch, das so viele positive Stimmen erntet, war ich gespannt, wie sich „Der Zopf“ zusammenfügen wird. Tja, und dann lese ich den Klappentext und bin quasi schon bedient. Danke, das hätte wirklich nicht sein müssen.

Nun ja, unabhängig davon, sind meine Eindrücke von den drei Geschichten durchaus positiv, wenn auch nicht so überschwänglich wie die von vielen anderen Rezensenten. Colombanis Schreibstil ist ruhig, sachlich und distanziert. Drei Frauen, drei Schicksale, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Alle drei werden auf eine harte Probe gestellt, alle drei weigern sich aufzugeben. Sie werden konfrontiert mit Vorurteilen, Diskriminierungen aufgrund ihres Geschlechts und /oder ihrer Herkunft - Alltag könnte man etwas überspitzt sagen. Dahinter verbirgt sich das eigentlich wichtige Thema: Emanzipation. Und genau das tun diese Frauen, setzen ein Stoppzeichen und nehmen ihr Glück selbst in die Hand, emanzipieren sich von ihrem Umfeld. Das liest sich gut, fast schon schwerelos trotz der durchaus existenziellen Problemstellungen. Allerdings ist das auch mein Hauptkritikpunkt an dem Roman: Er plätschert so vor sich hin, die Figuren werden auf Distanz gehalten, die eigentlich relevanten Themen schwingen so mit, ohne dass sie wirklich angesprochen werden. Mir persönlich war das etwas zu wenig. Darüber hinaus merke ich schon beim Schreiben dieser Rezension, dass ich Probleme habe, für mich relevante Dreh- und Angelpunkte zu finden, über die sich ein weiteres Nachdenken lohnen würde.

Fazit: Das ist ein nettes Buch für Zwischendurch. Hauptpluspunkt ist die Tatsache, dass Frauen im Mittelpunkt stehen, Kämpferinnen, die sich weigern, sich einfach so ihrem Schicksal zu ergeben. Die wichtigen Themen Diskriminierung und Emanzipation werden mit hübscher Sprache garniert in einer Perücke versteckt. Etwas mehr Tiefgang hätte ich mir gewünscht. So lande ich bei drei Sternen.

2 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 12.06.2019
Die Unsterblichen
Benjamin, Chloe

Die Unsterblichen


sehr gut

Unwissenheit ist eine Form der Unbeschwertheit

Was würdest du tun, wenn es eine Wahrsagerin gäbe, die dein Todesdatum voraussagen könnte? Würdest du es wissen wollen? Und wenn du es wüsstest, wie würdest du mit diesem Wissen umgehen? Das sind die zentralen Fragen, die sich die vier Geschwister Gold in diesem Roman stellen. Wie zu vermuten, entscheiden sie sich dafür, die Wahrsagerin aufzusuchen und müssen danach mit ihrer Vorhersage leben. Dies tut jeder von ihnen auf andere Weise, sodass die Autorin sozusagen vier verschiedene Antworten auf die Was-nun-Frage anbietet.

Mich hat der Roman von der ersten Seite an gefesselt. Chloe Benjamin hat einen tollen Stil, ein gutes Gespür für das Zusammenspiel ihrer Figuren, das den Roman trotz des fantastischen Elements Wahrsagerei absolut authentisch macht. Es ist schon paradox, dass der Titel „Die Unsterblichen“ lautet, beschäftigen sich die vier Geschwister doch permanent mit der eigenen Sterblichkeit. Aufgebaut ist der Roman zwar chronologisch, steht jedoch jedem einzelnen Geschwisterteil seine eigene Geschichte zu. Das ist schlau konstruiert, denn auf diese Weise erfahren wir nicht nur, wie jeder Einzelne von ihnen mit dem Wissen um sein Todesdatum umgeht, sondern auch, wie die anderen diese individuellen Lebensentwürfe einschätzen. Dadurch wird jedes einzelnen Schicksal von zwei Seiten beleuchtet: der ganz persönlichen Lebensentscheidung und der Beurteilung dieser Lebensentscheidung von nahestehenden Personen. Hinzu kommt die dritte Instanz: wir, die Leser. Auf diese Weise entsteht eine Vielschichtigkeit, die den Roman tiefgründig macht und philosophisches Nachdenken anregt. Vermutlich wird sich jeder anders entscheiden, wird mit jeweils einer Figur und deren Umgang mit diesem Wissen sympathisieren, sich ihr nah fühlen - und gleichzeitig froh sein, nicht um das eigene Sterbedatum zu wissen. Unwissenheit ist eine Form der Unbeschwertheit.

Fazit: Mich hat der Roman mitgerissen und tief berührt. Allein, dass er zum Nachdenken über die eigene Sterblichkeit anregt und dafür so viele unterschiedliche Facetten liefert, ist eine große Leistung. Eine der drei Geschichten war für mich etwas weniger nachvollziehbar, sodass ich insgesamt nur vier Sterne vergeben möchte, allerdings verbunden mit einer absoluten Leseempfehlung.

Bewertung vom 08.06.2019
Schuldig
Minato, Kanae

Schuldig


gut

Freundschaft, Loyalität und Schuld

Kanae Minato hat mich mit ihrem ersten in Deutschland erschienen Buch „Geständnisse“ begeistert. Besonders fasziniert hat mich die ungewöhnliche Erzählweise, die unterschiedliche Texttypen so zusammenfügt, dass daraus aus verschiedenen Perspektiven auf ein und denselben Vorfall geblickt wird und so am Ende die Wahrheit ans Licht kommt. Insofern hatte ich recht hohe Erwartungen, als ich mich ihrem zweiten Buch „Schuldig“ widmete.

Auch in diesem steht der Tod eines Menschen in Vordergrund. Hirosawa verunglückt tödlich mit dem Auto, als er auf dem Weg ist, einen Freund vom Bahnhof abzuholen. Das allein ist tragisch genug, jedoch werden seine Freunde, die mit ihm ein langes Wochenende auf einer Berghütte verbringen wollten, von Schuldgefühlen heimgesucht, weil sie Hirosawa losgeschickt haben, obwohl er zuvor Alkohol getrunken hatte. Als sie Jahre später in anonymen Briefen des Mordes bezichtigt werden, macht sich Fukase auf, um die Wahrheit hinter dem Unfall herauszufinden. Die Figur des Fukase ist für westliche Gemüter nur sehr schwer nachzuvollziehen. Er verkörpert gesellschaftliche Umstände Japans, die für uns fremd sind, weil er mit nur geringem Selbstbewusstsein gesegnet wurde und sich allein deswegen innerhalb seines Umfeldes, das auf Leistung und Status getrimmt ist, minderwertig fühlt. In seinem Empfinden ist er es kaum wert, gesehen zu werden, geschweige denn Freundschaft oder Liebe zu verdienen. Diese Gefühle ziehen sich durch die gesamte Handlung, da Fukase unser Erzähler ist, und das andauernde Nachdenken über seine Minderwertigkeitskomplexe ist kaum zu ertragen. Allein das macht „Schuldig“ zu einer eher anstrengenden Lektüre. Hinzu kommt, dass die Aufklärung des Falls vom sozialen Geflechts Hirosawas geprägt ist. Wer - wie ich - einen mysteriösen Komplott erwartet, wird am Ende vielleicht enttäuscht sein. Dennoch spiegelt dieser Roman erneut für mich faszinierende Besonderheiten japanischen Zusammenlebens wieder und nicht zuletzt eine große Liebe für Kaffee - und Honig.

Fazit: Die gesellschaftlichen Gepflogenheiten sind gut eingefangen, jedoch für uns schwer nachzuvollziehen. Sich in Fukases Figur hineinzuversetzen, erweist sich als schier unmöglich. Der Spannungsaufbau wird von diesen beiden Faktoren dermaßen überlagert, dass der Roman streckenweise eher zähflüssig wie Honig ist. Aber die Lektüre tut auch nicht weh und wer sich für Japan interessiert, wird eine weitere Facette hinzufügen können. Für mich bleibt es letztlich bei drei Sternen.

Bewertung vom 07.06.2019
Der Zopf meiner Großmutter
Bronsky, Alina

Der Zopf meiner Großmutter


sehr gut

Eine Protagonistin wie ihr Zopf: halb rot, halb silber

Die meisten von uns haben warmherzige und schöne Erinnerungen an ihre Großmütter. Margarita, die Großmutter in diesem Roman, gehört auf den ersten Blick nicht zu dieser Sorte. Sie ist einer dieser Menschen, die man zweifelsohne als anstrengend bezeichnen würde und denen man lieber aus dem Weg geht. Es ist Max, der uns von seiner Großmutter erzählt, der aus seiner Position eine beobachtende, doch niemals wertende Position einnimmt, denn seine Großmutter ist für ihn zugleich Mutterersatz. Das Werten und Einschätzen ist Aufgabe des Lesers, und gerade zu Beginn, wenn der Charakter eingeführt wird, ist man schnell mit voreiligen Urteilen: Starrsinnig, unbelehrbar, übervorsichtig, überbemutternd, besserwisserisch, bösartig, sind Adjektive, die ich sofort im Kopf hatte. Die Figur ist dermaßen unsympathisch, dass ich nach dem ersten Drittel nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Ich fand sie einfach nur ganz furchtbar.

Doch dann beginnt die Autorin, nach und nach die harte Schale ihrer Figur aufzubrechen. Dies passiert ganz subtil, niemals stößt sie uns mit der Nase darauf. Und plötzlich beginnen wir, Verständnis für das Verhalten der Großmutter aufzubringen, sehen sie als Produkt dessen, was sie in ihrer Vergangenheit erlebt hat. Gleichzeitig erleben wir mit zunehmend verstreichender Zeit wie sie sich weiterentwickelt. Damit hat mich die Autorin sehr beeindrucken können, denn als Leser vollzieht man diese Wandlung quasi mit der Figur, sodass am Ende ein tiefes Verständnis und gar Sympathie für sie entstehen. Und das macht dieses Buch, diese Großmutter besonders und erinnernswert.

Fazit: Letztlich ist Margo wie ihr Zopf, halb rot halb silber, halb kämpferisch und unnachgiebig, halb tief verletzt und traurig. Sie wird mir ganz sicher durch ihre bitterböse aber auch fürsorglicher Art im Gedächtnis bleiben und dafür vergebe ich gerne gute 4 Sterne.

Bewertung vom 30.05.2019
Düsternbrook
Milberg, Axel

Düsternbrook


weniger gut

Eine lahme Vorstellung

Auf dem Klappentext heißt es „Das Leben ist ein Abenteuer [...]“, entsprechend erwartet man eine abenteuerliche Lektüre: Ein Adoleszensroman, der in einer nordischen Kleinstadt spielt und seinen Helden nach und nach dem behüteten Umfeld entwachsen lässt. Und irgendwie bekommt man das auch, allerdings in sehr, sehr kleinen Erinnerungshäppchen, deren einzige Verbindung Axel und Düsternbrook ist.

Leider kommen die einzelnen Episoden ohne sinnstiftende Binnenhandlung daher und erscheinen dadurch merkwürdig abgehakt. Hie und da tauchen zwar immer wieder dieselben Figuren auf, diese bleiben jedoch ohne Charakter, wirken eher wie Stafetten, die je nach Gebrauch hin und her geschoben werden. Die eigentlichen „Abenteuer“ bestehen letztlich aus Verletzungen, Bonbons, elterlichem Zwist und kindlichen Verschwörungstheorien, nichts davon ist wirklich spannend. Einzig die unheimliche Figur eines pädophilen Namenlosen, der Kinder entführt, schürt das Interesse. Doch sie verschwindet ebenso wie die Kinder im Ort. Niemand weiß, was mit ihr passiert ist oder was aus den Kindern wurde. Warum also greift der Autor sie überhaupt auf? Und hier nähern wir uns dem Kern des Problems: Es fehlt der rote Faden, der den ganzen Blitzlichtepisoden einen Zusammenhang und übergreifenden Sinn geben würde. Axel Milberg kann zwar sehr präzise formulieren, aber das allein reicht nicht, um einen guten Roman zu schreiben, im Gegenteil tue ich mich sogar schwer damit, dieses Buch überhaupt als solchen zu bezeichnen.

Fazit: Wofür das alles, warum sollte dieses Buch gelesen werden? Meine Antwort: Ich weiß es nicht, mir hat sich der Sinn nicht erschlossen und was dann übrig bleibt, ist eine sehr lahme Vorstellung. Über weite Strecken zog sich die Lektüre für mich wie Kaugummi, mehr als zwei Sterne kann ich beim besten Willen nicht vergeben.

Bewertung vom 05.05.2019
Lubotschka
Goldberg-Kuznetsova, Luba

Lubotschka


gut

Eine merkwürdige Flaneurin

Dieses Buch hat mich vor allem deswegen interessiert, weil es in Russland, genauer gesagt in St. Petersburg, spielt und ich Land und Kultur kaum kenne. Viele der darin beschriebenen kulturellen Eigenheiten erschienen mir befremdlich, ebenso wie der Eindruck, den unsere Protagonistin Lubotschka von Deutschland und „dem Westen“ hat. Der Blick, den sie dem Leser auf „ihre“ Stadt gewährt, ist gefärbt von Aufbruch und melancholischer Tauer gleichermaßen, wird sie doch in Kürze ihre Heimatstadt gen Deutschland verlassen.

Es dauert eine Weile, bis man sich in der schnell wechselnden Erzählweise zurecht findet. Die Erzählerin springt von einem Gedanken zum nächsten, greift eine Anekdote auf, nur um durch ein Stichwort gleich zur nächsten angeregt zu werden. Währenddessen flaniert sie seitenlang durch die Stadt, lässt uns deren Schönheit, aber auch Eigenheiten durch ihre Augen erleben. Es ist der Blick einer jungen Frau, die gerade das Erwachsenenalter erreicht. Die Sehnsucht nach Abenteuer und Zerstreuung verleitet sie dazu, jede sich ihr bietende Gelegenheit zum Zeitvertreib zu nutzen. Oft wirkt sie getrieben von Vergnügungssucht, weil sie weiß, dass sie bald fort geht, und ihr Handeln grenzt zuweilen an großem Leichtsinn. Bei all dem wirkt Lubotschka jedoch meist merkwürdig unbeteiligt, als würde sie in einer Blase über allem schweben. Doch dies ist nur ein Schutz, den sie um sich herum gebaut hat. In ihr streiten widersprüchliche Gefühle. Die Auffälligsten sind Abneigung bis hin zu Ekel und gleichzeitig eine tief empfundene Liebe zu „ihrer“ Stadt. Beides vereint sich in ihren Eindrücken, während sie scheinbar ziellos durch die Straßen irrt.

Fazit: Diese Protagonistin hat es mir sehr schwer gemacht. Sie ist eigensinnig und sperrig, ihr Auftreten, ihre Haltung macht sie unsympathisch. Auf mich wirkte sie meist ablehnend und völlig haltlos. Ja, es gelingt ihr, Stadt und Menschen durch ihren Blick gefiltert zu vermitteln, jedoch ist dieser meist wenig freundlich, sodass der Leser die Liebe in ihren Worten suchen muss. Daher komme ich über drei Sterne nicht hinaus und hoffe, dass Lubotschka den Sinn hinter all dem für sich irgendwann gefunden hat.

Bewertung vom 04.05.2019
1793 / Winge und Cardell ermitteln Bd.1
Natt och Dag, Niklas

1793 / Winge und Cardell ermitteln Bd.1


sehr gut

Erlebe Stockholm von seiner hässlichsten Seite

Historische Romane lese ich nur sehr selten. Vielleicht liegt das daran, dass ich eher ein auf die Zukunft ausgerichteter Mensch bin und dadurch eher zu Gegenwartsromanen oder Sci-Fi greife. Aber bei diesem historischen Kriminalroman haben mich die vielen positiven Stimmen so neugierige gemacht, dass ich mir unbedingt selbst eine Meinung bilden wollte. Und was soll ich sagen, das ist ganz schön harter Tobak ...

Was für ein Glück, dass ich nicht in dieser Zeit gelebt habe! Und das ist gleichzeitig auch ein dickes Kompliment an den Autor. Der hat das Stockholm dieser Zeit so gut eingefangen, dass es mich fast schon anwidert. Überall Unrat und Gestank, Körperflüssigkeiten begegnen uns auf Schritt und Tritt, der Alkohol fließt in Strömen, weil er den Bürgern dieser Zeit einerseits zum Vergnügen, andererseits zum Vergessen dient. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft extrem auseinander. Frauen in der unteren Schicht sind nichts wert, dienen den Männern entweder als Ventil für ihre sexuellen Bedürfnisse oder als billige Arbeitskräfte ohne Rechte. Vor diesem Hintergrund entspinnt sich die Aufklärung der Todesumstände einer Leiche, die ohne Arme und Beine, Zunge, Zähne und Augen im dreckverseuchten Fluss gefunden wird. Dass die Todesumstände überhaupt geklärt werden könnten, scheint unmöglich.

Wer dieses Buch liest, braucht einen starken Magen. Die Beschreibungen sind so schonungslos, dass mir mehr als einmal flau wurde. In anderen Rezensionen habe ich häufig das Wort „derb“ gelesen und das trifft es ziemlich genau, wobei ich noch menschenverachtend und grausam hinzufügen möchte. In vier Erzählabschnitten, die nicht chronologisch aufeinander folgen und sich zudem zwischenzeitlich um Personen drehen, die scheinbar überhaupt nichts miteinander zu tun haben, nähern wir uns der Auflösung. Das ist gut gelungen, dennoch war ich zeitweise verwirrt, weil der Zusammenhang absolut willkürlich scheint. Auch wenn sich letztlich alles fügt, empfand ich den Weg dorthin immer wieder etwas zäh und ich habe lange gebraucht, bis ich einigermaßen in der Handlung angekommen war.

Fazit: Den überschwänglichen Lobreden über eine Neudefinition des Genres möchte ich mich nicht anschließen. Ja, das ist gut konstruiert und so detailliert beschrieben, dass es regelrecht weh tut. Jedoch habe ich mich zeitweise sehr schwer getan und vergebe daher „nur“ 4 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 01.05.2019
Heldenhaft
Thamm, Andreas

Heldenhaft


weniger gut

Der Autor packt viele wichtige Themen an. Was passiert, wenn ein Junge in bescheidenen Verhältnissen aufwächst und durch einen schlimmen Fehltritt im Gefängnis landet? Wie geht man mit Eltern um, die ihrer Tochter die eigenen religiöser Überzeugungen aufzwingen wollen? Das Schwierige hierbei ist nur, dass dies die Probleme der Nebenfiguren ist, sodass davon nur durch die Augen unseres Erzählers Andi berichtet wird, der nicht annähernd in der Lage ist, die Problematik zu umfassen oder Hintergründe zu beleuchten. Am Ende blieb bei mir dann lediglich das Gefühl zurück, dass diese Konflikte zwar angefasst, jedoch nicht oder nur unbefriedigend zuende gebracht werden und das finde ich doch eine zweifelhafte Aussage.

Fazit: Beginnt gut, baut dann jedoch sehr stark ab. Die Wunderkerze auf dem Cover mag zwar funkeln, jedoch ist sie zu schnell ausgebrannt. Für mich bleiben nicht mehr als zwei Sterne übrig.

Bewertung vom 28.04.2019
Der Sommer mit Pauline
Calberac, Ivan

Der Sommer mit Pauline


weniger gut

Ein Tränenmeer für Venedig

Ein Klassiker: Verunsicherter Pubertierender, der sich irgendwie für seine Familie schämt, sie aber auch irgendwie liebt, trifft auf seine erste große Liebe, die aus einer superreichen Familie kommt, wunderschön ist und in so vielen Dingen überlegen, dass das sowieso nichts werden kann. Die alte Geschichte von Aschenputtel und dem Prinzen, nur in den Rollen getauscht. Man mische noch verschrobene, aber herzallerliebste Charaktere dazu, einen Roadtrip nach Venedig und schon entsteht ein neuer Roman. Klar funktioniert das, weil es zu einer locker leichten Lektüre führt, die eine breite Leserschaft anspricht. Mich hat es allerdings nicht überzeugt.

Und das lag am Hauptcharakter Émile. Émile ist ein - wie man hier im Rheinland so schön sagt - „Heules“. Er jammert ständig rum. Selbstbewusstsein sucht man bei ihm vergebens. Natürlich trägt er ein Herz aus Gold in sich, dieses ertränkt er nur leider in Selbstmitleid. Er liebt seine Familie - er hasst seine Familie und natürlich wird darüber geweint. Etwas funktioniert nicht so, wie er sich das erhofft hat, Émile versinkt in einem Meer aus Tränen. Dabei ist er 15 und man möchte meinen, in dieser Zeit überwiegt Kampfesgeist und Auflehnung gegen seine Familie. Aber nein, Émile weint. Dabei tut seine Familie alles, um ihn zu seinem Superdate nach Venedig zu bringen - nur auf ihre eigene, ziemlich chaotische Art. Ach ja, und die angebetete Pauline ist eine Egoistin, die Émile zu einem Spielball in ihrem ach so furchtbaren Leben macht. Doch gutherzig, wie Émile nun einmal ist, rennt er dem Mädel mit Scheuklappen hinterher und - wie sollte es anders sein - vergießt unzählige Tränen.

Fazit: Sorry, das war mir zu viel Drama. Zwei Sterne gibt es noch, weil es sich unkompliziert lesen lies und die ein oder andere skurrile Szene ganz nett war.