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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Aenna (www.buecherspleen.blogspot.com)
Wohnort: 
Niedersachsen

Bewertungen

Insgesamt 94 Bewertungen
Bewertung vom 21.08.2011
Tiger, Tiger
Fragoso, Margaux

Tiger, Tiger


ausgezeichnet

Margaux ist sieben, als sie Peter zum ersten Mal trifft.
"Kann ich mit Dir spielen?" fragt sie ihn, nicht ahnend, dass diese Frage ihr ganzes Leben verändern soll.
Denn Peter Curran ist 51 Jahre alt und hat eine Vorliebe für kleine Mädchen.
Und er hat leichtes Spiel, Margaux für sich einzunehmen, kommt sie doch aus schwierigen Familienverhältnissen mit einem Vater, den sie fürchtet und einer psychisch labilen Mutter.
So wird Peters Haus mit den vielen Tieren für das kleine Mädchen zu einem Paradies auf Erden, und Peter, der alles mitmacht und vor Einfallsreichtum sprüht, der beste Spielkamerad.
Die zunächst spielerischen, sexuellen Übergriffe bleiben unbemerkt...
Margaux wird zu Peters Obsession.
IDADULDFI bedeutet: "Ich Denke An Dich Und Liebe Dich Für Immer" und steht unter jedem Brief, den Margaux von Peter bekommt... 15 Jahre lang,...jeden Tag.

Margaux Fragoso hat alles aufgeschrieben. Ihr ganzes Leben, das eigentlich noch so jung ist, aber in dem schon so viel passiert ist. So viel Unglaubliches, so viel Leid.
"Tiger, Tiger" ist das schockierende Portrait eines Pädophilen, geschrieben mit der Feder seines Opfers.
Und dieses Opfer beschreibt keinesfalls ein Monster, nein, es erzählt von einem netten und charmanten Mann, einer Vaterfigur, die zu ihr hält, sich um sie sorgt.
Wir lesen die Gedanken und Worte eines kleinen Mädchens, das uns... eine Liebesgeschichte erzählt.
Eine Liebesgeschichte...?
Mein Innerstes wehrt sich gegen diesen Begriff. Kann das denn sein? Es kann.
Wir werden Zeuge des sog. "Stockholm-Syndroms".
Trotz sexuellem Missbrauchs, körperlicher Gewalt und psychischer Manipulation fühlt sich Margaux immer mehr zu Peter hingezogen, hält die "Beziehung" geheim.
Ihre Schutzmechanismen sind für sie ein Spiel.
Sie entwickelt eine emotionale Abhängigkeit von ihrem Peiniger und wird sogar krank, als sie von ihm getrennt wird.
Selbst als Erwachsene hält sie den Kontakt aufrecht.
Erst mit Peters Selbstmord endet der Leidensweg von Margaux, erst da ist es ihr möglich, sich aus seinen Klammern zu befreien.
"Seit Peters Tod war mir, als erwachte ich aus tiefem Schlaf zum Geheul eines Hundes oder Wolfs draußen in der Wildnis. Als hätte ich etwas geträumt, das von Sekunde zu Sekunde blasser wird."

Die Geschichte ist leicht zu lesende, aber sehr schwer verdauliche Kost.
Fragoso bedient sich einer schönen Sprache, die voll im Gegensatz zum Inhalt ihres Buches steht.
Sie erzählt unverblümt. Ohne Rücksicht (vor allen Dingen auf sich selbst) beschreibt sie ihr Erlebtes, selbst vor sexuellen Details macht sie keinen Halt, auch wenn ihr dies besonders schwer gefallen ist, wie sie in einem Interview erzählt.
Mit "Tiger, Tiger" publiziert die Autorin ein Tabuthema, und zwar aus erster Hand.
Sie zeigt den Täter als Menschen, was beim Leser ein gewisses Unbehagen hervorruft, aber auch viel Stoff zum Nachdenken gibt.
Denn es wird sehr deutlich, mit welchen Methoden und wie viel Manipulation ein Pädophiler vorgeht.
Womit letztendlich auch die Frage beantwortet wird, warum ein solcher Missbrauch überhaupt vor den Augen von Eltern, Nachbarn und Behörden möglich ist.

Mich hat diese Autobiographie sehr berührt und aufgewühlt.
Ich frage mich, wie viele Narben die heute 34-jährige Autorin trotzdem zurückbehalten hat...Kann man sich wirklich alles von der Seele schreiben?
Ich hoffe sehr, dass es Margaux möglich ist, mit ihrer Vergangenheit zu leben ...
...und danke ihr für den Mut, dieses Buch zu schreiben!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.08.2011
Blutige Stille / Kate Burkholder Bd.2
Castillo, Linda

Blutige Stille / Kate Burkholder Bd.2


ausgezeichnet

Kate Burkholder, Polizeichefin von Painters Mill, steht vor einer schweren Aufgabe.
Alle sieben Mitglieder der Amish- Familie Plank wurden ermordet, grausam hingerichtet. Alle, einschließlich des Babys....
Und Mary und Annie, die beiden Töchter der Familie, mussten zuvor noch schwerste Folter ertragen....

Wer ist zu solch einer Tat fähig? Und was hat den Mörder angetrieben?
Kate steht vor einem Rätsel.
Doch dann findet sie das Tagebuch von Mary...


Nach ihrem Erstling "Die Zahlen der Toten" hat Linda Castillo mit "Blutige Stille" nunmehr den zweiten Roman mit Protagonistin Kate Burkholder vorgelegt.
Tatsächlich kenne ich Band 1 noch gar nicht und habe, ganz entgegen meiner Grundsätze, Castillos zweites Buch vorweggenommen.
Doch dies hat mein Lesevergnügen in keinster Weise beeinträchtigt.

Sehr schnell habe ich mich in Kates Umfeld orientieren und in die Geschichte reinfinden können.
Linda Castillo beschreibt ihre Charaktere liebevoll, offenbart uns deren Seele, so dass sie schnell vor meinen Augen zum Leben erwacht sind.
Die Autorin hat einen ruhigen, fast bedächtigen Schreibstil, der bei mir dazu beigetragen hat, mich gut in das Amish-Millieu, wie ich es mir vorstelle, hineinversetzen zu können.

Trotzdem schafft es Castillo, kontinuierlich Spannung aufzubauen.
Dadurch, dass die Geschichte überwiegend von Kate in der Ich-Form und in der Gegenwart erzählt wird, hat der Leser die ganze Zeit das Gefühl, hautnah dabei zu sein.
Er identifiziert sich mit Kate, die aber trotzdem als Hauptfigur interessant bleibt.
Die Hintergründe ihrer eng mit der Amish-Gemeinde verwobenen Vergangenheit, mit der sie zu kämpfen hat, bleiben bis zum Schluss geheimnisvoll.
Weiterhin sorgt die komplizierte Liebesbeziehung, die sie mit ihrem Kollegen John Tomasetti verbindet, dafür, dass wir hinter der Polizistin auch den Menschen Kate sehen...

Hinzu kommt eine hervorragend konstruierte Geschichte, die mich vollkommen gefesselt und bis zum absolut befriedigenden Ende nicht mehr losgelassen hat.

Ich habe das Buch verschlungen! Ganz sicher bleibt "Blutige Stille" nicht mein letztes Buch von Linda Castillo.
Bleibt zu hoffen, dass noch viele Bände, vor allem mit Protagonistin Kate Burkholder und ihrem Team, folgen werden.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 15.08.2011
Erlösung / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.3
Adler-Olsen, Jussi

Erlösung / Carl Mørck. Sonderdezernat Q Bd.3


ausgezeichnet

Eine alte Flaschenpost taucht im Sonderdezernat Q auf und beschäftigt das Ermittlerteam um Vizepolizeikommissar Carl Morck.
Die Nachricht aus der Flasche ist verwittert und kaum noch zu entziffern, doch ist sich das Team schnell einig, dass sie von Kinderhand geschrieben sein muss.
Es handelt sich um den Hilferuf zweier Brüder, die entführt, jedoch nie als vermisst gemeldet wurden...
Was ist aus ihnen geworden?
Durch ihre hartnäckigen Recherchen wird das Team auf die unglaubliche Vorgehensweise eines Psychopathen aufmerksam, der seinen schrecklichen Verbrechen noch immer nachgeht...

Mit "Erlösung" legt Jussi Adler-Olsen den nunmehr dritten Fall des eigenwilligen Ermittlerteams um Carl Morck vor.
Auf satten 588 Seiten präsentiert er uns einen spannungsgeladenen Thriller und erfüllt damit die hohen Erwartungen seiner Leser.
Seine Hauptprotagonisten Morck, Assad und Rose, deren Charaktere er mit jedem Teil weiter ausbaut, begegnen uns mittlerweile wie alte Bekannte und liefern mit ihren Dialogen die humoristische Zutat der Lektüre, gewohnt erfrischend, für den Lacher zwischendurch.
Der Rest ist Spannung pur! Und die liefert der Autor nicht nur aus einer Ecke, nein, die Geschichte wartet mit mehreren Spannungsfeldern auf, die den Leser mit aufgerissenen Augen und starrem Blick Seite für Seite umblättern lassen.
Aber nicht nur Spannung und Humor, sondern letztendlich die hervorragend konstruierte Geschichte selbst ist es, die überzeugt.
Und die erfahren wir aus der Sicht der unterschiedlichen Charaktere.
Wir tauchen nahezu ein in die Psyche des Killers, die Qualen seiner Ehefrau, das Leid der Kinder....
Adler-Olsen versteht es, sensibel die jeweiligen Situationen zu beschreiben, lässt uns gekonnt Zeuge werden, gewährt uns Einblicke in befremdliche Welten.
Wir sind ganz nah am Geschehen dran... identifizieren uns mit den Opfern, möchten dem Täter Einhalt gebieten und die Ermittler auf die richtige Spur lenken....
Wir sind atemlose Begleiter - bis zum fulminanten Ende!

Ich habe nun alle drei (auf deutsch) erschienenen Romane um das Sonderdezernat Q gelesen.
Jeder Fall war anders, jede Geschichte für sich etwas Besonderes.
"Erlösung" ist meiner Meinung nach Adler-Olsens bisher bestes Buch und hat mich komplett überzeugt!

75 von 128 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 19.07.2011
Die Eindringlinge
Marshall, Michael

Die Eindringlinge


sehr gut

Eine Mutter und ihr halbwüchsiger Sohn werden brutal ermordet...
Hat der Ehemann und Vater seine Familie hingerichtet?

Madison ist neun Jahre alt.
Das kleine Mädchen irrt ganz alleine durch Seattle...
Was treibt sie an und welches Ziel verfolgt sie?

Jack Whalens Ehefrau Amy verschwindet spurlos....
Als sie plötzlich wieder auftaucht, tut sie so, als sei nichts gewesen.
Aber Jack, ehemaliger Polizist, bleibt misstrauisch...
Warum ist seine Frau so verändert?
Und was hat Gary Fisher, ein alter Freund aus Schulzeiten, mit all den mysteriösen Vorkommnissen zu tun?
Jack lässt nicht locker und stößt auf unvorstellbare Dinge...

Als ich den Prolog von "Die Eindringlinge" las, dachte ich nur "WOW" und war auf einen Thriller à la McFadyen gefasst.
Doch ich hatte mich geirrt...
Zwar versteht es der Autor Michael Marshall, seine Leser mit einem sehr flüssigen Schreibstil zu fesseln, doch geht das Genre des Buches in eine völlig andere Richtung als zunächst erwartet...
Dies wird dem Leser allerdings nicht sofort klar...
Er wird durch mehrere kleine Episoden geführt, die aus der Sicht der unterschiedlichen Protagonisten erzählt werden, was sich erst einmal als recht verwirrend erweist. Denn zunächst lässt sich kein Zusammenhang zwischen den einzelnen Charakteren erkennen.
Jedoch nimmt die Verwirrung des Lesers nicht überhand, sondern wird stattdessen von der entstehenden Spannung regelrecht überflügelt. Der Drang, weiter zu lesen, ist groß...
Dennoch war ich ein wenig enttäuscht, als ich erkannte, dass es sich bei diesem Buch eher um einen Mystery-Thriller handelt, was natürlichen in meinem persönlichen Geschmack begründet liegt und nicht zur Abwertung des Buches führen soll.
Was ich von dem Ende halten soll, weiß ich so richtig noch immer nicht....
Doch habe ich den Verdacht, dass möglicherweise genau dies in der Absicht des Autors liegt....- uns im Unklaren zu lassen und Stoff zum Nachdenken zu geben!
Denn wer weiß denn schon, wie weit Fiktion und Realität auseinander liegen?

Von dem Autor Michael Marshall hatte ich zuvor noch nie gehört bzw. etwas gelesen, obwohl er schon mehrere Thriller veröffentlicht hat.
Sein Schreibstil hat mir sehr zugesagt, so dass "Die Eindringlinge" sicher nicht mein letztes Buch von ihm gewesen ist, auch, wenn mich diese Geschichte nicht komplett überzeugt hat.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 06.07.2011
Acht Wochen verrückt
Lohmann, Eva

Acht Wochen verrückt


sehr gut

Mila hat einen Job, um den sie beneidet wird, lebt in einer festen Beziehung und hat anscheinend alles denkbar Wünschenswerte.
Aber Mila ist unglücklich, zieht sich immer mehr zurück, will nicht zur Arbeit gehen, bekämpft ihre ständig auftretenden Kopfschmerzen mit immer stärkeren Medikamenten.
Schließlich bricht sie zusammen. Diagnose: Depression.
Nichts geht mehr, und sie beginnt eine Therapie in einer psychosomatischen Klinik...In der "Klapse"...

In ihrem Buch "Acht Wochen verrückt" verarbeitet die Autorin Eva Lohmann ihre eigenen Erfahrungen in einer psychosomatischen Klinik.

Was ist verrückt und was normal? Und wo ist die Grenze?

Diese Frage stellt sich Protagonistin Mila, die Lohmann in der Ich-Form erzählen lässt, immer wieder aufs Neue, als sie in der Klinik eintrifft und ihre "Leidensgenossen" kennen lernt.
Sie wird mit den unterschiedlichsten Krankheitbildern konfrontiert und schildert auf sehr erfrischende und lockere Art und Weise ihren Alltag in der Klinik, lässt uns teilhaben an ihren Beobachtungen an ihren Mitpatienten.
Fast schon nebenbei berichtet sie über ihre Auseinandersetzung mit sich selbst und den eigenen Problemen.
Sehr kurzweilig und mit einer guten Portion Humor wird der Leser durch acht Wochen Klinikaufenthalt geführt. Dabei wird ihm aber auch aufgezeigt, welche Problematiken für den psychiatrischen oder psychosomatischen Patienten mit einem solchen Aufenthalt entstehen.
Das Unbehagen des Partners, die eigene Scham, vor sich selbst, vor Freunden oder Angehörigen. Peinliche Gefühle...
Letztendlich macht "Acht Wochen verrückt" aber auch Mut. Denn Eva Lohmann hat diese Gefühle überwunden und stellt sich mit ihrem Buch, das ein Teil ihrer eigenen Geschichte ist, der Öffentlichkeit.

Der Leser bekommt mit dieser Lektüre viel Stoff zum Nachdenken.
Wer kennt sie denn nicht, die Vorurteile gegenüber psychisch Kranken?
Die doch eigentlich "nur" Menschen sind mit Problemen. Aber sind wir denn nicht alle Menschen mit Problemen?
Kennen wir das nicht alle, das Gefühl, dass uns mal der Sinn des Lebens verloren geht oder die Sicht darauf versperrt wird?
Sind diejenigen, die die richtige Richtung nicht alleine finden, sind die verrückt? Sind das die "Psychos"?
Ist man verrückt, weil man sich fachmännische Hilfe sucht? Ab wann ist man verrückt? WAS ist eigentlich verrückt?

Mir hat das Buch sehr gut gefallen.
Ich habe es aus aktuellem Anlass gelesen, da sich ein mir sehr nahe stehender Mensch zur Zeit in einer psychosomatischen Klinik Hilfe sucht (J., ich bin so stolz auf Dich).
Es hat mir gezeigt, dass ein Gesundwerden möglich ist und somit eine große Last von meinem Herzen genommen.

Die Autorin Eva Lohmann (geb.1981) schreibt gerade an ihrem zweiten Buch, welches ich mit Spannung erwarte...

32 von 34 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.06.2011
Der Besucher
Waters, Sarah

Der Besucher


sehr gut

Schon als Kind war Dr. Faraday, aus bescheidenen Verhältnissen kommend, fasziniert von Hundreds Hall, dem alten Herrenhaus der Familie Ayres.
Als er nun, fast 30 Jahre später und kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges, in seiner Eigenschaft als Arzt erneut das alte Anwesen aufsucht, werden vergessen geglaubte Erinnerungen wach.
Doch der Besitz strahlt längst nicht mehr in altem Glanz.
Mrs. Ayres, mittlerweile Witwe, und ihre Kinder Roderick und Caroline, haben wirtschaftlich schwer mit den Folgen des Krieges zu kämpfen und können Hundreds Hall kaum halten.
Faraday freundet sich mit der Familie an und versucht, ihnen beizustehen.
Dann geschehen unheimliche Dinge in dem alten Haus...


Als ich das Buch "Der Besucher" von der britischen Schriftstellerin Sarah Waters das erste Mal in den Händen hielt, entfuhr mir ein begeistertes "Wow", zu schön ist einfach dieser Schutzumschlag mit seiner rauhen, riffligen Oberfläche, von dem geheimnisvoll wirkenden Motiv mal ganz abgesehen...
Entfernt man den Umschlag, verstärkt sich diese Begeisterung noch, denn auch auf dem Buchdeckel wurde ein Muster aufgebracht, das an eine alte Tapete erinnert. Wunderschön.

Sarah Waters lässt in ihrem Buch ihren Protagonisten Dr. Faraday in der "Ich-Form" erzählen.
Die Geschichte nimmt einen recht langsamen Anlauf, und ich gebe zu, dass ich anfangs schon ungeduldig wurde, dass etwas passiert...
Auf ihre eigene, ruhige Weise nimmt sie dann doch an Tempo zu, steigert sich mit eher gedämpften Höhepunkten.
Dass der Leser trotzdem gebannt diese Geschichte verfolgt, liegt an der einzigartigen Erzählkunst der Autorin.
Mit einer schönen Sprache und durchdachter Wortwahl versetzt sie uns in die Nachkriegszeit Englands und in die mystische Umgebung des alten Herrenhauses.
Geradezu liebevoll beschreibt sie die Örtlichkeiten, fein zeichnet sie die Charaktere ihrer Protagonisten, die vor den Augen der Leser immer mehr Gestalt annehmen, ja geradezu wachsen. Auch ans Herz.
Die gesamte Lektüre wird getragen von einer Stimmung, die perfekt zum Geschehen passt und den Leser Seite für Seite durch die Geschichte trägt.
(Ein Lob hier auch an die Übersetzerin Ute Leibmann).
Über das "Unheimliche" in der Geschichte möchte ich lieber Stillschweigen bewahren, um potentiellen Lesern nichts vorweg zu nehmen...
Das Ende ließ mich nachdenklich zurück....mit dem Wunsch, das Buch noch einmal zu lesen......!

"Der Besucher" ist kein Buch, bei dem man vor Spannung die Luft anhält.
Es ist eine ruhige, aber durchaus fesselnde Geschichte mit mystischen Aspekten und sprachlich ein literarisches Meisterwerk.

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.05.2011
Blut von deinem Blute
Roth, Silvia

Blut von deinem Blute


sehr gut

Laura Bradley ist Mitte 30, erfolgreich im Beruf und unabhängig.
Niemand ahnt, welch traumatische Vergangenheit sie zu bewältigen hat, nicht einmal Leon, ihr derzeitiger Freund.
15 Jahre ist es her, dass Lauras Vater und ihre Stiefmutter auf bestialische Weise in ihrem alten Herrenhaus ermordet wurden. Die grausame Tat wurde nie aufgeklärt.
Laura verließ damals fluchtartig ihre Heimat und lebt seitdem in Frankfurt.
Auch zu ihrer exzentrischen Schwester Mia pflegt sie keinen Kontakt mehr.
Aber die immer wiederkehrenden Alpträume lassen Laura nicht zur Ruhe kommen, lassen ihre Zweifel immer wieder aufleben.
Denn Laura hat keine Erinnerung an die Mordnacht...
Aber sie erinnert sich ganz genau an die Stimme des Kommissares: "Es kann im Grunde nur eines der Mädchen gewesen sein."
Nur welches? Laura will Gewissheit....

"Blut von deinem Blute" ist das erste Buch, das ich von der Autorin Silvia Roth gelesen habe.
Von Beginn an hat mich die Geschichte der beiden ungleichen Schwestern und ihrer mysteriösen Vergangenheit gefesselt.

Die Autorin erzeugt durch den geschickten Aufbau ihres Romans von Anfang an Spannung.
In kursiver Schrift teilt sie uns im ersten Teil ihres Buches immer wieder die Erinnerungen Lauras an die Geschehnisse vor 15 Jahren mit. Damit weckte sie bei mir als Leser natürlich eine große Neugier.
Flüssig und mit moderner Sprache führt Roth uns durch ihre Geschichte, die zu keinem Zeitpunkt Langeweile aufkommen lässt.

Wir lernen nicht nur Laura und ihre Schwester Mia näher kennen, sondern auch eine Vielzahl an Nebencharakteren, die vergleichsweise blass bleiben, aber dennoch so interessant sind, dass man sie im Hinterkopf behält.
Nur Lauras Freund Leon, der auf eigene Faust Nachforschungen anstellt und dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, hätte meines Erachtens ein bisschen mehr Farbe verdient.

Die Spannung zwischen den Schwestern ist für den Leser geradezu spürbar, und ich schwankte während des Lesens mehrfach mit meiner Einschätzung über die beiden Protagonistinnen.

Die Schauplätze der Geschichte waren für mich gut vorstellbar. Die Autorin verliert sich nicht in endlosen Beschreibungen, hinterlässt aber dennoch beim Leser ein genaues Bild und zum Teil beklemmende Gefühle.

Das Ende war für mich nicht vorhersehbar, da sich während der 542 Seiten Lektüre doch mehrere Möglichkeiten auftaten. Es war aber schlüssig und hat mich letztendlich absolut zufrieden gestellt.

"Blut von deinem Blute" hat mich vollends überzeugt. Silvia Roth hat ein spannendes Buch mit einem Touch "Gruselfaktor" vorgelegt, das mich gut unterhalten hat und sicher nicht mein letztes dieser Autorin bleiben wird!

Bewertung vom 21.05.2011
Farbenblind
Williams, Precious

Farbenblind


gut

Anita Precious Williams kommt bereits mit drei Monaten als schwarzes Baby in eine weiße Pflegefamilie.
Ihre leibliche Mutter will das so, sie hat ihr Kind sogar in einer Zeitung praktisch inseriert. Anita soll es schließlich einmal besser haben.
Von ihrer Pflegemutter und deren Tochter sehr geliebt, wächst das kleine Mädchen behütet auf. Ihre leibliche Mutter lässt sich sporadisch sehen, lässt es ihrem Kind jedoch an Liebe und aufrichtigem Interesse mangeln.

"Farbenblind" ist eine wahre Geschichte.
Die Autorin Precious Williams verarbeitet in ihrem Buch ihr eigenes Leben, angefangen bei ihrer Kindheit, die trotz der Liebe ihrer Pflegefamilie nicht unbeschwert ist.
Sie erzählt uns von ihrer Jugend, in der die Suche nach ihren Wurzeln und der eigenen Identität beginnt.
Sie berichtet von der Sehnsucht nach der Liebe ihrer Mutter.
Sie lässt uns teilhaben an ihren freien Fall nach ganz tief unten.....

Trotzdem die Autorin in der "Ich-Form" schreibt, blieb mir beim Lesen die Figur "Anita" doch irgendwie fremd.
Das mag an den zum Teil eher emotionslosen Schilderungen liegen, die mir als Leser aber wiederum zeigen, wie schwer der Autorin die Auseinandersetzung mit diversen Abschnitten und Erlebnissen ihres Lebens gefallen sein muss.
Mit großer Ehrlichkeit berichtet Williams jedoch von den emotionalen Auswirkungen dieser Geschehnisse, den Defiziten und Entscheidungen, die sie nun vor ihrer eigenen Tochter rechtfertigen muss.

Das Buch macht deutlich, dass ein Nachvollziehen unmöglich ist für Menschen, die nie in einer solchen Situation waren.
Die nie zwischen zwei Müttern hin-und hergerissen wurden.
Die nie zwischen zwei Kulturen festgesteckt haben.

Und das ist der Grund, weshalb man "Farbenblind" lesen sollte...