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Benutzername: 
dorli
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Berlin
Buchflüsterer: 

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Insgesamt 883 Bewertungen
Bewertung vom 08.08.2022
Die karierten Mädchen / Heimkehr-Trilogie Bd.1
Hennig von Lange, Alexa

Die karierten Mädchen / Heimkehr-Trilogie Bd.1


gut

In ihrem Roman „Die karierten Mädchen“ - dem ersten Band einer Trilogie, die auf den Lebenserinnerungen ihrer Großmutter basiert - erzählt Alexa Hennig von Lange aus dem Leben einer Frau, die auf ihren Wegen aus moralischer Sicht nicht immer die richtige Entscheidung trifft. Die Handlung beginnt 1929. Mitten in der Weltwirtschaftskrise ergattert die 21-jährige Klara Möbius eine Anstellung als Lehrerin in der Kinderheilstätte Oranienbaum. Klara fühlt sich dort schnell heimisch und geht in ihrer neuen Aufgabe auf. Als die einjährige Tolla, ein Mädchen mit jüdischen Wurzeln, deren Mutter sich nicht mehr um die Kleine kümmern kann, in dem Kinderheim abgegeben wird, baut Klara schnell eine enge Bindung zu dem Kind auf. Als die Zeiten noch schwieriger werden und das Heim wirtschaftlich in Schieflage gerät, bandelt Klara, die das Heim mittlerweile leitet, mit dem anhaltinischen Staatsministerium an und sieht nichts Falsches daran, die Nationalsozialisten um Hilfe zu bitten. Sie bekommt Unterstützung, aber anders als gedacht, denn die Nazis machen aus der Heilstätte ein ländliches Frauenbildungsheim, in dem den jungen Mädchen die nationalsozialistischen Werte gelehrt werden sollen. Zu spät erkennt Klara, in welche Gefahr sie sich und Tolla gebracht hat…

Klaras Erlebnisse in den 1930er Jahren sind in eine Rahmenhandlung eingebettet, die 1999 spielt. Die 91-jährige Klara lebt in ihrem norddeutschen Reihenhaus. Eine resolute Frau, die immer einen großen Wert auf Disziplin und Benehmen gelegt hat. Sie hält die Zeit für gekommen, ihren Kindern zu erzählen, wer ihre Mutter wirklich gewesen ist. Da sie erblindet ist, nimmt sie ihre Erinnerungen auf Kassette auf. Während Klara die Kassetten bespricht, reist sie gedanklich in die Zeit zurück und erlebt die damaligen Ereignisse erneut.

Alexa Hennig von Lange hat einen angenehm zügig zu lesenden Schreibstil - schnell ist man mittendrin im Geschehen und kann den unterschiedlichen Ereignissen problemlos folgen. Kurzbeschreibung und Leseprobe haben mich wahnsinnig neugierig auf diesen Roman gemacht. Ich habe eine fesselnde und ergreifende Geschichte erwartet, doch nach einem vielversprechenden Start flachte meine anfängliche Begeisterung mehr und mehr ab.

Das lag zum einen daran, dass ich mich immer wieder gefragt habe, ob die intelligente und vielfältig interessierte Frau, als die Klara hier dargestellt wird, wirklich so blauäugig gehandelt hätte. Es fällt mir schwer nachzuvollziehen, dass jemand, der zur damaligen Zeit die Verantwortung für ein Kind mit jüdischer Herkunft übernommen hat, trotz unmissverständlicher Warnungen aus seinem Umfeld die politische Entwicklung einfach beiseite wischt. Selbst als Klara erkennt, was tatsächlich um sie herum geschieht, redet sie sich die Situation noch schön.

Zum anderen haben mir die Emotionen gefehlt. Klara sagt im Verlauf der Handlung einmal, dass sie alles ganz sachlich sehen will; wenn sie die Dinge nicht sachlich sieht, würden sie nicht funktionieren. Genauso habe ich Geschichte durchweg empfunden. Irgendwie nüchtern und distanziert, so dass ich kaum mit Klara mitfühlen und mitfiebern konnte.

„Die karierten Mädchen“ konnte mich nicht so fesseln, wie ich es mir nach dem Lesen der Leseprobe erhofft hatte.

Bewertung vom 08.08.2022
Flammen über der Marsch
Denzau, Heike

Flammen über der Marsch


ausgezeichnet

Heike Denzau beginnt ihren Krimi „Flammen über der Marsch“ mit einem kurzen, aber intensiven Prolog: Auf dem Weg nach Hause zu ihren Eltern sucht die Studentin Mara Keller an einer Raststätte eine Mitfahrgelegenheit. Sie steigt zu einem Mann in einem dunklen Kombi, nicht ahnend, welch ein Albtraum sie erwartet…

Zeitsprung. Vier Jahre später. Kristin Bünz ist nach einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt wieder in Deutschland und stößt beim Auspacken ihrer eingelagerten Sachen auf einen Zeitungsartikel, in dem nach Zeugen im Fall der verschwundenen Mara Keller gesucht wird. Kristin geht zur Polizei, denn sie kann eine Aussage zu einer in dem Artikel erwähnten Jacke machen…

Kristins Hinweise schüren bei Kommissarin Lyn Harms die Hoffnung, dass doch noch Bewegung in den alten Fall kommt. Vorerst muss Lyn die Akte Keller jedoch wieder beiseite legen, denn ein aktueller Fall fordert ihre ganze Aufmerksamkeit - am Nord-Ostsee-Kanal ist das Haus von Christel Göblin bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Eindeutig Brandstiftung. Im Haus werden die verkohlten Überreste eines Menschen gefunden und unweit der Brandstelle eine zweite Leiche entdeckt…

„Flammen über der Marsch“ ist bereits Lyn Harms’ achter Fall - auch diesmal erwartet den Leser ein fesselnder Krimi mit einem abwechslungsreichen Geschehen und vielschichtigen Figuren. Heike Denzau versteht es ausgezeichnet, Situationen und Emotionen mitreißend zu beschreiben, so dass es mir ganz leicht gefallen ist, in die Handlung einzutauchen und mit den Akteuren mitzufiebern und mitzufühlen.

Im Fokus dieses Krimis steht die Familie Göblin. Die Unternehmerfamilie besitzt mehrere Ladengeschäfte für elegante Mode in großen Größen. Doch der gutbürgerliche Schein trügt - in dieser Familie geht es alles andere als harmonisch zu, jeder Einzelne scheint etwas zu verbergen zu haben. Es ist sehr spannend zu beobachten, wie nah Lyn und ihre Kollegen von Anfang um die Lösung der Fälle herumzirkeln und den Tätern mangels stichhaltiger Beweise doch nur langsam auf die Schliche kommen. Falsche Fährten, mehrere Verdächtige, überraschende Wendungen sowie immer neue Anhaltspunkte und Ereignisse halten das Geschehen lebendig und sorgen dafür, dass die Sogwirkung des Krimis bis zum Schluss nicht abreißt.

Neben der spannenden Ermittlungsarbeit darf der Leser auch wieder an Lyns turbulentem Familienleben teilhaben und miterleben, dass der ganz normale Alltagswahnsinn auch um die Familie einer Kommissarin keinen Bogen macht.

„Flammen über der Marsch“ hat mich durchweg begeistert – ein Krimi, der mit ausdrucksstarken Figuren und einer überaus spannenden Handlung überzeugt.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.07.2022
Was ich nie gesagt habe / Gretchen Bd.2
Abel, Susanne

Was ich nie gesagt habe / Gretchen Bd.2


ausgezeichnet

Köln, Juli 2016. Der Moderator Tom Monderath nimmt eine berufliche Auszeit und genießt das Leben mit seiner Freundin Jenny und deren vier Monate alten Sohn Carl. Mit der wohltuenden Ruhe ist es vorbei, als Tom seinen Halbbruder Henk trifft, von dessen Existenz er zufällig über eine DNA-Suche erfahren hat. Plötzlich keimt in Tom der Wunsch auf, mehr über seinen Vater Konrad und dessen augenscheinliche Geheimniskrämerei zu erfahren. Kein leichtes Vorhaben, denn Konrad ist bereits viele Jahre Tod und Toms Mutter Greta ist wegen ihrer fortgeschrittenen Demenz nicht in der Lage, ihm die gewünschten Antworten zu geben…

Obwohl ich den ersten Roman rund um Greta und ihren schicksalhaften Lebensweg nicht gelesen habe, war ich schnell mittendrin im Geschehen und hatte schon nach wenigen Seiten das Gefühl, mit allen Figuren gut vertraut zu sein. Auch ohne Kenntnis der vorherigen Ereignisse habe ich einen guten Eindruck davon bekommen, was Greta alles durchmachen musste. In diesem Buch rückt Toms Vater Konrad in den Fokus der Handlung. Konrads Erlebnisse und sein Handeln wirken bis in die Gegenwart nach und hatten bzw. haben einen großen Einfluss auf Tom und seinen Werdegang.

Konrads Wachsen und Werden wird in einem zweiten Handlungsstrang erzählt, der im Mai 1933 beginnt, als Konrad fünf Jahre alt ist. Der Leser begleitet Konrad durch seine Kindheit und Jugend und erlebt mit ihm die Schrecken des Krieges und die Unbarmherzigkeit der Nazis. Aus US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft zurück, studiert Konrad in Heidelberg Medizin und lernt Greta kennen und lieben. Gemeinsam mit ihr kehrt er nach Köln zurück und eröffnet mit seinem Onkel Drickes eine gynäkologische Praxis.

Susanne Abel erzählt die Geschichte sehr anschaulich - die feine Charakterisierung der Figuren, die bildhaften Beschreibungen der Handlungsorte und die Schilderungen des abwechslungsreichen Geschehens sowohl in dem historischen wie in dem zeitgenössischen Part machen diesen Roman zu einem genauso ergreifenden wie spannenden Leseerlebnis.

Die Autorin hat in diesem Buch Themen verarbeitet, bei denen es mir zum Teil eiskalt den Rücken heruntergelaufen ist. Es geht um Reproduktionsmedizin und Spenderkinder. Und um die gezielte Fortpflanzungspolitik der Nazis, um Eugenik und Kinder-Euthanasie. Außerdem geht Susanne Abel der Frage nach, was eigentlich Familie ist. Was prägt uns? Welche Rolle spielen die Gene? Auf Seite 519 sagt Helga zu Tom: „Nicht alle dunklen Ecken brauchen Licht“. Aber, ist das wirklich so? Kann eine Familie auch dann glücklich sein, wenn ihr Fundament aus Geheimnissen und Lügen besteht? Ich denke nicht. Nicht immer ist Schweigen Gold.

„Was ich nie gesagt habe - Gretchens Schicksalsfamilie“ hat mir sehr gut gefallen – eine mitreißende Familiengeschichte, die kurzweilig erzählt wird und mich auch nach dem Lesen noch lange beschäftigt hat.

Bewertung vom 28.07.2022
Die Rache der Väter
Cosby, S. A.

Die Rache der Väter


ausgezeichnet

Virginia/USA. Es ist wie so oft im Leben: Man weiß erst was man hatte, wen man es verloren hat. So ergeht es dem Afroamerikaner Ike Randolph, als er erfährt, dass sein Sohn Isiah und dessen weißer Ehemann Derek ermordet wurden. Auch für Dereks Vater Buddy Lee Jenkins bricht eine Welt zusammen. Dabei hatten beide Väter ihren Söhnen den Rücken gekehrt, weil sie für die Homosexualität der jungen Männer kein Verständnis hatten. Als die Polizei mit den Ermittlungen in dem Doppelmord nicht vorankommt, beschließt Buddy Lee, den Mörder auf eigene Faust zur Strecke zu bringen. Ike will davon nichts wissen. Als er jedoch das Grab seines Sohnes geschändet vorfindet, ändert er seine Meinung…

S.A. Cosby macht in „Die Rache der Väter“ zwei Männer zu Verbündeten, die außer einer kriminellen Vergangenheit und ein paar Jahren im Gefängnis kaum etwas gemeinsam haben. Ike, der sich mittlerweile mit einem Gartenservice ein eigenes Unternehmen aufgebaut hat und Buddy Lee, der Alkoholiker ist und in einem heruntergekommenen Trailerpark lebt, mögen einander nicht, dennoch schweißt ihre Mission sie zusammen. Angetrieben von den Schuldgefühlen, ihre Söhne nicht so akzeptiert zu haben, wie sie waren, begeben die beiden sich auf einen blutigen Rachefeldzug.

Neben der actiongeladenen Suche nach dem Täter war es für mich vor allen Dingen sehr spannend zu beobachten, wie die beiden Männer im Verlauf der Handlung ihre Vorurteile gegenüber einander und gegenüber der LGBTQ-Community erkennen, hinterfragen und schließlich abbauen.

„Die Rache der Väter“ hat mir sehr gut gefallen - ein tiefgründiger Roman über Homophobie und Rassismus, der genauso kurzweilig wie eindringlich erzählt wird und aufzeigt, wie wenig auch heute noch in unserer Gesellschaft die individuellen Besonderheiten des anderen respektiert werden.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.07.2022
NEW YORK - Wie es keiner kennt
Kaufman, Susan

NEW YORK - Wie es keiner kennt


ausgezeichnet

In dem Bildband „NEW YORK - Wie es keiner kennt“ präsentiert die Fotografin und Redakteurin Susan Kaufman Fotos von ihren persönlichen Lieblingsorten in den Stadtvierteln rund um ihre Wohnung in Greenwich Village und lädt den Leser damit zu einem Streifzug durch die ruhigeren Bezirke Manhattans ein - kein Getöse, keine überfüllten Straßen, keine Touristen-Hotspots, sondern beschauliche Ecken, an denen die Zeit stehengeblieben zu sein scheint. Man spürt beim Betrachten der Bilder, dass das Herz des Big Apples in diesen Straßen in einem anderen Rhythmus schlägt - langsamer, aber dennoch intensiv.

Zu bestaunen gibt es in diesem handlichen Bildband farbenprächtige Impressionen aus zehn Stadtvierteln. Die Entdeckungsreise durch Manhattan beginnt in Greenwich Village. Dann folgen West Village, East Village, NoHo & Nolita, SoHo, Gramercy Park, Murray Hill, Upper East Side und Carnegie Hill. Zum Schluss macht Susan Kaufman noch einen Schlenker nach Brooklyn und stellt das Viertel Brooklyn Heights vor. Den Fotos ist immer eine kurze Beschreibung vorangestellt, in der die Autorin erläutert, was sie an dem Viertel besonders fasziniert. Es folgen die ausnahmslos sehr gelungenen Aufnahmen, die den Charakter des jeweiligen Quartiers widerspiegeln. Abgeschlossen werden die Kapitel dann jeweils mit einem illustrierten Ausschnitt einer Straßenkarte, in dem die Lieblingsorte der Autorin noch einmal hervorgehoben werden.

Den Leser/Betrachter erwartet ein Kaleidoskop aus fantasievoll gestalteten Hauseingängen und Fassaden mit wunderschönen architektonischen Details. Charakteristische Gebäude aus Brownstone oder Gusseisen und Backstein. Bunte Reihenhäuser. Restaurierte Kutschenhäuser. Elegante Stadtvillen. Stilvolle Interieurs und Schaufenster mit kunstvoll arrangierten Auslagen, die neugierig auf die Welt dahinter machen. Und viele markante Haustüren, die jedem Gebäude eine besondere Note geben.

„NEW YORK - Wie es keiner kennt“ hat mir sehr gut gefallen. Susan Kaufman ist es gelungen, den historischen Charme dieses von vielen Kulturen geprägten Teil New Yorks zu vermitteln. Die einzigartige Atmosphäre, die die meist in der Mitte des 19. Jahrhunderts errichteten Gebäude mit ihrem verspielten Detailreichtum auch heute noch ausstrahlen, hat mich durchweg begeistert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.07.2022
Diabolischer Engel
Gungl, Petra K.

Diabolischer Engel


ausgezeichnet

„Diabolischer Engel“ ist der letzte Band der Trilogie rund um die Erlebnisse der Juristin und Empathin Agnes Feder. Der Roman ist auch ohne Kenntnis der beiden Vorgängerbände bestens verständlich. Diesmal nimmt die Autorin den Leser mit nach Reichenau an der Rax in das idyllisch gelegene Seminarhotel „Fackl-Wirt“.

Petra K. Gungl beginnt diesen Roman mit einem sehr spannenden Prolog, der ein Jahr vor der eigentlichen Handlung spielt: Ein christlicher Fanatiker beobachtet die spirituelle Zusammenkunft einiger Frauen und fühlt sich gemäß den Anweisungen der Bibel dazu berufen, dem vermeintlichen Teufelswerk ein Ende zu bereiten…

Agnes hat über das Pfingstwochenende ein Meditationsseminar gebucht. Doch die Kurzreise verläuft so ganz anders, als Agnes es sich vorgestellt hat. Gleich bei der Ankunft stellt sie fest, dass sie ihre Medikamente vergessen hat, die sie unbedingt wegen ihrer Migräneattacken und zum Einschlafen braucht. Auch das Miteinander mit den anderen Seminarteilnehmern ist von Anfang an schwierig, es kommt zu Spannungen und Reibereien. Das ändert sich auch nicht, als eine zweite Gruppe eintrifft. Im Gegenteil, plötzlich steht Agnes’ Ex-Freund Siebert vor ihr und löst äußerst widersprüchliche Gefühle in ihr aus. Damit nicht genug, ein heftiges Unwetter und Muren schneiden das Hotel von der Außenwelt ab und lassen die sowieso schon angespannte Stimmung immer explosiver werden. Als dann vor aller Augen ein Gruppenmitglied unter rätselhaften Umständen ums Leben kommt und ein weiteres spurlos verschwindet, droht die Situation vollends aus den Fugen zu geraten…

Petra K. Gungl hat ihre Protagonistin mit einer besonderen Gabe ausgestattet: Agnes reagiert besonders stark auf die Emotionen anderer Menschen - sie kann Gedanken sehen, Gefühle lesen und Erinnerungen wahrnehmen, wenn sie ihr Gegenüber berührt. Für Agnes eher Fluch als Segen, besonders, wenn Menschen um sie herum sind, die nichts Gutes im Schilde führen. Ihre Eindrücke verarbeitet Agnes in Träumen und Visionen, in denen sich gegenwärtige Erlebnisse mit historischen Ereignissen vermischen. Diesmal träumt Agnes sich in das Jahr 1889 und findet sich inmitten des erlauchten Kreises um Baron Rothschild auf Schloss Hinterleiten wieder.

Petra K. Gungl erzählt diese Geschichte sehr anschaulich. Die feine Charakterisierung der Figuren, die bildhaften Beschreibungen der Handlungsorte und die Schilderungen des abwechslungsreichen Geschehens sowohl in dem zeitgenössischen wie in dem historischen Part machen diesen Roman zu einem spannenden Leseerlebnis. Immer neue Ereignisse, Überraschungen und Wendungen halten die Handlung lebendig und sorgen dafür, dass die Sogwirkung bis zum Schluss nicht abreißt.

„Diabolischer Engel“ hat mir sehr gut gefallen - ein kurzweiliger Roman, der mit einer fesselnden Handlung und einer außergewöhnlichen Protagonistin zu überzeugen weiß.

Bewertung vom 26.06.2022
Frisch ermittelt: Der Fall Vera Malottke / Heißmangel-Krimi Bd.1
Franke, Christiane;Kuhnert, Cornelia

Frisch ermittelt: Der Fall Vera Malottke / Heißmangel-Krimi Bd.1


ausgezeichnet

„Frisch ermittelt: Der Fall Vera Malottke“ ist der Auftakt zu einer neuen Krimireihe, die Ende der 1950er Jahre im ostfriesischen Leer spielt. Christiane Franke und Cornelia Kuhnert nehmen den Leser mit in eine Zeit, in der die dunklen Jahre des Krieges noch nicht ganz aus den Köpfen der Menschen verschwunden sind, man aber nach den vielen Entbehrungen mittlerweile wieder optimistischer in die Zukunft blickt und das Leben überall wieder bunter wird.

Auch Vera Malottke malt sich ihre Zukunft in rosigen Farben aus, doch für sie soll es anders kommen. Vera verdient ihren Lebensunterhalt als Edelprostituierte und ist damit den meisten Leuten in der beschaulichen Kleinstadt ein Dorn im Auge. Nichtsdestotrotz geben sich die feinen Herren der Leeraner Gesellschaft bei Vera die Klinke in die Hand. Als die junge Frau tot in ihrer Wohnung aufgefunden wird, weint allerdings kaum jemand der jungen Frau eine Träne nach. Selbst Kommissar Ludger Onnen möchte den Fall möglichst schnell als bedauerlichen Unfall zu den Akten legen, doch die Obduktion ergibt eindeutig, dass ein Fremdverschulden vorliegt. Onnen hält die Honoratioren der Stadt für über jeden Verdacht erhaben und beginnt deshalb eher halbherzig mit den Ermittlungen. Schon bald hat er die Lösung seines Problems gefunden: Nur der gerade aus dem Gefängnis entlassene Richard Nowak kann der Täter sein. Denn: Einmal kriminell, immer kriminell - das weiß doch schließlich jeder…

Die Witwe Martha Frisch betreibt eine Heißmangelstube. Der Tod ihrer Nachbarin und treuen Kundin Vera Malottke erschüttert die patente Mittfünfzigerin zutiefst. Dass bei den sowieso schon lasch geführten Ermittlungen mit zweierlei Maß gemessen wird und jetzt auch noch ein vermutlich Unschuldiger für die Tat büßen soll, geht Martha gewaltig gegen den Strich. Also nimmt sie die Dinge selbst in die Hand und begibt sich auf Spurensuche…

Martha Frisch ist eine Protagonistin, der man gerne folgt. Die sympathische Hobbydetektivin hat einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit. Sie hält nichts von Vorurteilen und Doppelmoral, ist sehr umsichtig und hat einen guten Blick für Kleinigkeiten, die wichtig sein könnten. Es gefällt mir besonders gut, dass Martha während ihrer Ermittlungen stets im Rahmen ihrer Möglichkeiten bleibt - sie stellt Fragen, geht Hinweisen nach, nutzt den Klatsch und Tratsch aus ihrem Umfeld und beobachtet, spekuliert und kombiniert, bis sie dem Täter schließlich auf die Spur kommt.

Es ist den Autorinnen ganz wunderbar gelungen, den Zeitgeist der Fünfzigerjahre einzufangen und den Alltag ihrer Figuren authentisch darzustellen. Die Eigenarten und Denkweise der Menschen fließen genauso wie die Gepflogenheiten, Mode und Sprache der damaligen Zeit in die Handlung ein und lassen die Welt, wie ich sie aus den Erzählungen meiner Eltern und Großeltern kenne, vor meinen Augen aufleben. Neben dem Kriminalfall und dem Alltag spielen auch das damalige Frauenbild sowie die ersten Schritte zur Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in der sich wandelnden Nachkriegsgesellschaft eine große Rolle.

„Frisch ermittelt: Der Fall Vera Malottke“ hat mir sehr gut gefallen. Vor allem die 50er-Jahre-Atmosphäre und das authentische Verhalten der Akteure fand ich sehr gelungen. Es hat großen Spaß gemacht, Martha bei ihrem ersten Fall über die Schulter zu schauen.

Bewertung vom 14.05.2022
Papyrus
Vallejo, Irene

Papyrus


ausgezeichnet

Irene Vallejo ist promovierte Literaturwissenschaftlerin mit einer großen Passion für die Antike. Entsprechend hat sie diese Epoche in „Papyrus“ in den Fokus gerückt und erzählt die Geschichte der Bücher von den Anfängen der Bibliothek von Alexandria bis zum Untergang des Römischen Reiches.

Irene Vallejo bringt in diesem über 700 Seiten starken und dennoch handlichen Sachbuch gefühlt alles zur Sprache, was mit dem Werdegang der Bücher von den Ursprüngen bis zum heutigen Tag zu tun hat. Es geht zum Beispiel um die bahnbrechende Erfindung des Alphabets und die Magie, die in den Buchstaben steckt. Um unterschiedliche Schriften und den Materialien, auf denen im Laufe der Jahrhunderte geschrieben wurde bzw. wird. Um Bibliotheken und die Arbeit von Bibliothekaren, Kopisten und Kritikern. Um Schriftsteller, Denker und Leser. Es geht darum, wie Bücherliebhaber sich in Zeiten, in denen es noch keinen Buchhandel gab, die gewünschten Bücher beschafft haben oder auch um die Frage, was ein Klassiker ist. Und um vieles mehr.

Die Autorin schildert die Entwicklung des Buches allerdings nicht chronologisch, sondern in zahlreichen Episoden. Sie greift ein Thema auf und springt dann munter zwischen den Jahrhunderten hin und her und schweift dabei laufend ab, indem sie das Gestern mit dem Heute vergleicht, Fakten nennt und Überlieferungen hinterfragt, mit Meinungen und Vermutungen jongliert, immer wieder intelligente Parallelen zu anderen Abhandlungen zieht und zudem Zitate und Anekdoten in ihre Ausführungen einfließen lässt. Aufgepeppt wird das Ganze dann noch mit den persönlichen Gedanken, Erinnerungen und Erfahrungen der Autorin. Das klingt alles nach einem großen Durcheinander ohne jegliche Struktur, doch ich habe diesen enormen Detailreichtum während des Lesens zu keiner Zeit als verwirrend empfunden, sondern „Papyrus“ als vielfältig, informativ und vor allen Dingen als sehr unterhaltsam erlebt - ein herrliches Kaleidoskop aus Buchgeschichte und Bücherwissen, das farbenfroh und lebendig erzählt wird.

„Papyrus“ hat mir sehr gut gefallen - eine Entdeckungsreise, die es mir auf unterhaltsame Weise ermöglicht hat, auf den Spuren der Bücher zu wandeln.

Bewertung vom 08.05.2022
Flüssiges Gold / Commissario Luca Bd.1
Riva, Paolo

Flüssiges Gold / Commissario Luca Bd.1


sehr gut

Paolo Riva hat sich für sein Romandebüt „Flüssiges Gold“ als Handlungsort ein idyllisches Fleckchen inmitten der Toskana ausgesucht: Montegiardino. Hier geht es geruhsam und traditionell zu. Man begegnet sich freundlich und fröhlich, man respektiert einander. Wichtigstes Tagesthema ist zum Beispiel die Frage, ob es schon frische Steinpilze auf dem Markt gibt. Doch diese Beschaulichkeit ist trügerisch, denn unversehens fällt am helllichten Tag mitten auf der Piazza ein Schuss, der die Olivenbäuerin Fabrizia Gori schwer verletzt. Commissario Luca, der Venedig den Rücken gekehrt hatte, um solchen Gewaltverbrechen aus dem Weg zu gehen, muss sein gemächliches Leben als Gemeindepolizist hintanstellen und nimmt gemeinsam mit der Vice-Questora Aurora Mair von der Polizia di Stato aus Florenz die Ermittlungen auf...

Paolo Riva lässt seine Kommissare ohne Hektik und Action ermitteln. Genauso geruhsam, wie man sich das Leben in einem kleinen toskanischen Städtchen vorstellt, sind auch die Ermittlungen - Fragen stellen, Hinweisen nachgehen, beobachten, spekulieren und kombinieren, so versuchen Commissario Luca und die anfangs recht forsch auftretende Aurora Mair nach und nach dem Täter auf die Spur zu kommen. Auch wenn der Krimi nicht mit nervenaufreibender Höchstspannung daherkommt, lädt das mit einigen Wendungen und Überraschungen gespickte Geschehen den Leser zum Mitfiebern und Miträtseln ein.

Ganz hervorragend gelungen ist dem Autor das Lokalkolorit - neben den Besonderheiten der Region, dem Naturell und den Gewohnheiten der Bewohner Montegiardinos sowie dem facettenreichen Alltagsgeschehen inklusive Olivenanbau und Ölherstellung darf der Leser sich auch auf einige Spezialitäten und Leckereien aus der italienischen Küche freuen.

„Flüssiges Gold“ hat mir sehr gut gefallen. Wer Krimis mit warmherzigen Figuren und ganz viel Lokalkolorit mag, kommt hier voll auf seine Kosten.

Bewertung vom 05.05.2022
Die sieben Schalen des Zorns
Thiele, Markus

Die sieben Schalen des Zorns


ausgezeichnet

Hamburg. Für den Staatsanwalt Jonas van Loon ist der Posten des Generalstaatsanwaltes zum Greifen nahe, doch ein 25 Jahre zurückliegendes Ereignis droht ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen: Max Keller - seit Internatstagen ein guter Freund von Jonas und heute Allgemeinmediziner mit eigener Praxis - hat damals die Schuld auf sich genommen, als Jonas alkoholisiert Auto gefahren und in einem schweren Unfall verwickelt war, bei dem ein gemeinsamer Freund zu Tode kam. Ohne Max’ selbstloses Handeln wäre Jonas Karriere vermutlich schon zu Ende gewesen, bevor sie überhaupt begonnen hätte…

Heute ist es Max, der dringend Hilfe braucht. Er bittet Jonas, ihn vor dem Verlust seiner Approbation und einer möglichen Gefängnisstrafe zu bewahren. Max hat - in der festen Überzeugung, das Richtige zu tun - seiner Tante und Ziehmutter Maria einen großen Wunsch erfüllt: nachdem sie die Diagnose Demenz bekommen hat, hat Maria Max das Versprechen abgenommen, sie von ihrem Leiden zu erlösen, wenn die Krankheit ihr das Leben zur Qual machen sollte. Patientenverfügung und Abschiedsbrief wurden geschrieben, damit Max ihren Willen belegen kann, doch die Dokumente sind nach Marias Tod aus ihrem Tresor verschwunden. Dass Maria Max als Alleinerben eingesetzt hat und Max zudem in argen finanziellen Schwierigkeiten steckt, spricht nicht gerade für ihn. Plötzlich steht sogar der Vorwurf Mord aus Habgier im Raum…

Markus Thiele versteht es ganz ausgezeichnet, in seinen Romanen die juristische Sichtweise auf gesellschaftlich gewichtige Themen auch für den Laien leicht verständlich darzustellen und lädt seine Leser damit ein, über diese Dinge nachzudenken und sich ein eigenes Bild zu machen.

In „Die sieben Schalen des Zorns“ geht es um Sterbehilfe und die aktuelle Rechtslage zu diesem Thema. Der Autor macht im Verlauf der Handlung deutlich, wie schmal der Grad zwischen Legalität und Straftat ist und geht der Frage nach, wie weit das Recht auf einen selbstbestimmten Tod reicht. Gut gefallen hat mir, dass auch die moralischen Aspekte und religiöse Ansichten beleuchtet werden.

Die Handlung hat mich schon nach wenigen Seiten gefesselt. Markus Thiele wartet nicht nur mit einem interessanten Thema auf, er erzählt die Geschichte auch äußerst spannend. Bevor es um den eigentlichen Prozess geht, in dem über Max’ Handeln geurteilt werden soll, erfährt der Leser in mehreren Rückblenden allerlei aus den Leben von Max und Jonas. Über ihre familiären Hintergründe, ihre unterschiedlichen Charaktere, die Höhen und Tiefen, die sie durchgemacht haben und über ihre gemeinsamen Erlebnisse. Als Leser lernt man die beiden Protagonisten auf diese Weise nicht nur richtig gut kennen, es wird auch greifbar, wie groß die Belastung für Max und Jonas und ihre Freundschaft nach Marias Tod ist. Auch wenn ich sehr neugierig war, wie die Geschichte für Max ausgeht, fand ich es noch spannender, Jonas zu beobachten. Dieser steckt in einer Zwickmühle: Er fühlt sich natürlich dem geschriebenen Gesetz verpflichtet. Er ist Staatsanwalt, kein Strafverteidiger, seine Rolle in diesen Fall ist damit eindeutig geregelt. Davon abzuweichen, könnte ihm die Karriere kosten. Dennoch möchte er seinem Freund helfen, auch wenn dieser nach geltender Rechtssprechung eine Grenze überschritten hat. Jonas beginnt, sich auf unterschiedliche Weise mit der Situation und seiner Aufgabe auseinanderzusetzen…

„Die sieben Schalen des Zorns“ hat mir sehr gut gefallen – ein tiefgründiger Roman, der genauso kurzweilig wie eindringlich erzählt wird und zum Nachdenken über die Frage nach einem selbstbestimmten Lebensende animiert.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.