Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Lesereien

Bewertungen

Insgesamt 79 Bewertungen
Bewertung vom 16.02.2023
Young Mungo
Stuart, Douglas

Young Mungo


ausgezeichnet

Young Mungo wächst in einer Sozialsiedlung in Glasgow auf. Seine Mutter ist alkoholabhängig, sein älterer Bruder Hamish ist in Bandenkämpfen zwischen Katholiken und Protestanten verwickelt. Nur Mungos Schwester, Jodie, kümmert sich und versucht die Abwesenheit der Mutter auszugleichen.

Trostlosigkeit, Chancenlosigkeit, vorgezeichnete Schicksale, aus denen sich die Figuren nicht befreien können: Das sind die Themen, die die Charaktere ausnahmslos verkörpern. Da ist Hamish, der studieren wollte, aber dem die Lehrer gesagt haben, das sei nichts für ihn. Und Mungos Mutter, die zu früh Kinder bekommen hat und sie bis heute für Ausrutscher hält. Oder Mrs Campbell, die Nachbarin, die sich von ihrem Mann schlagen lässt, weil dieser selbst ein schweres Leben gehabt hat.

In deren Mitte wächst Mungo heran. Viel zu naiv und fürsorglich für eine Umwelt, die von harten Männlichkeitsidealen geprägt ist. Er sorgt sich für seine Mutter und kann nicht aufhören an sie zu denken, wenn sie für längere Zeit verschwunden ist. Als er James kennenlernt, einen Jungen aus der Siedlung, der Tauben züchtet, entwickelt sich eine zarte Freundschaft, die schon bald das Misstrauen der anderen erregt. Als sich erste Gefühle zwischen den Jungen entwickeln, reagiert ihr Umfeld mit Gewalt.

Schließlich wird Mungo von seiner Mutter weggeschickt, auf einen Campingtrip, mit zwei Männern aus ihrer Gruppe der Anonymen Alkoholiker. Sie sollen aus ihm einen Mann machen, doch überschreiten stattdessen Grenzen.

Für mich beweist Douglas Stuart auch mit "Young Mungo", dass er ein schriftstellerisches Ausnahmetalent ist. Kaum ein anderer schreibt so nah, so aufwühlend und mitreißend über das Aufwachsen am Rande der Gesellschaft. Seine Geschichten haben etwas Raues. Es wirkt stets so, als wäre ein Graufilter über alles gelegt und inmitten dieser Brachlandschaften haben seine jungen Protagonisten eine Leuchtturmfunktion. Sie stechen heraus, in jeder Hinsicht. Und genau deshalb ist ihr Leben so schwer.

Als Leser*in zu einem Teil dieser ganz besonderen Coming-of-age-Entwicklung zu werden, ist bewegend und sowohl Shuggie als auch Mungo lassen einen nicht so einfach los. Sie bleiben bei einem, noch lange nach der Lektüre.

Bewertung vom 16.02.2023
Dead Romantics
Poston, Ashley

Dead Romantics


gut

Was, wenn der eigene Lektor plötzlich als Geist vor einem Auftauchen würde? Genau das passiert Florence. Sie ist Ghostwriterin für eine berühmte Autorin von Liebesromanen, doch findet einfach kein Ende für ihr aktuelles Buchprojekt. Die eigenen Erfahrungen in Sachen Liebesleben haben zunehmend dazu geführt, dass sie nicht mehr an die große Liebe glaubt. Dann stirbt ihr Vater, Florence muss in den Ort ihrer Kindheit zurück, den sie so lange gemieden hat und nur kurz darauf erfährt sie, dass auch ihr Lektor Ben einen tragischen Unfall hatte. Als dieser immer öfter auftaucht, stellt sich die Frage: Wird Florence jemals wieder an die Liebe und ans Happy End glauben können?

Um eines vorwegzunehmen: “Dead Romantics” ist immer wieder kitschig, aber das ist nur die eine Seite des Romans. Die andere Seite ist unterhaltend und erfrischend. Immerhin ist der love interest ein Geist und die Protagonistin die einzige, die ihn sehen kann. Klar, das gab’s schon in der Literatur, eine ganz neue Idee ist es nicht (man denke an Marc Levys „Solange du da bist“). Aber trotzdem funktioniert es und auch wenn der Roman kleine Schwächen hat, so macht er letztlich doch Spaß zu lesen!

Bewertung vom 16.02.2023
Northern Spy - Die Jagd
Berry, Flynn

Northern Spy - Die Jagd


ausgezeichnet

Als Tessa erfährt, dass ihre Schwester Marian in einen Überfall der IRA verwickelt war, kann sie es kaum glauben. Sie und Marian haben sich stets gegen die Gewalt in Nordirland ausgesprochen. Für Tessa setzt sich also ein völlig neues Bild zusammen. Sie muss nicht nur ihre Beziehung zu ihrer Schwester überdenken, sondern sich auch fragen, wie sicher sie sich in Belfast noch fühlen kann. Denn schließlich ist sie Mutter eines kleinen Sohnes, der auf sie angewiesen ist.

„Northern Spy“ liest sich flüßig und ist durchgehend spannend, was aber an keiner Stelle erzwungen wirkt. Durch Tessas Mutterschaft und ihre Beziehung zu ihrem Baby wird die Spionage-Geschichte um eine emotionale und menschliche Ebene erweitert. Dadurch sind die Figuren und vor allem Tessa als Hauptfigur nahbar.

Außerdem ist die Wahl des Nordirland-Konflikts als zeitliches und räumliches Setting des Romans interessant. Neben seinem Unterhaltungsaspekt taucht der Roman zwar nicht tief, aber auch nicht oberflächlich in diese politische Dimension ein und schafft damit einen glaubwürdigen und mitreißenden Rahmen für die Geschichte.

Für mich ein unterhaltender und lesenswerter Thriller.

Bewertung vom 12.02.2023
Lichte Tage
Winman, Sarah

Lichte Tage


ausgezeichnet

Ein Foto mit drei Menschen. Ellis, Annie und Michael. Sie sehen glücklich aus, lächeln, stehen im Sonnenlicht. Dann ist da noch das andere Bild, die Sonnenblumen von van Gogh, die Dora, Ellis Mutter, bei einer Verlosung als Kopie gewinnt. Gegen den Willen ihres Mannes hängt sie das Bild im Haus auf. Es wird zu einem Objekt der Kraft und der Zuflucht für sie.

Diese beiden Bilder schaffen Verbindungen in Sarah Winmans Roman „Lichte Tage“. Ein Roman, der voller Wärme ist, dem es gelingt, den Geist der Jugend, der ersten Liebe und ihre anfängliche Unbeschwertheit und Unbändigkeit einzufangen. Nur um im nächsten Atemzug diese Leichtigkeit in melancholische Schwere zu wandeln und von Schicksalsschlägen, Verlusten und Trauer zu erzählen.

Winman entführt ihre Leser ins Oxford der 1960er Jahre, in dem sich zwei Jungen kennenlernen, Ellis und Michael. Sie nähern sich einander an und erfahren in Südfrankreich neun Tage der Freiheit. Doch das Leben zwingt sie dazu, Entscheidungen zu treffen. Bald heiratet Ellis Annie und die drei werden zu einem unzertrennlichen Trio. Zumindest für eine Weile. Denn in der Gegenwart fehlt Michael. Ellis lebt alleine in Oxford. Und als Leser sieht man sich mit der Frage konfrontiert, was geschehen ist.

Was machen die Umstände und die Menschen, die in unser Leben eintreten und es auf unterschiedliche Art und Weise wieder verlassen, mit uns? Für mich ist es das, was im Mittelpunkt dieser Geschichte steht. Der Roman geht diesem Gedanken nach, indem er Orte, Momente, Erinnerungen und Gefühle so miteinander verwebt, dass ein Text entsteht, der berührt, aber auch betrübt. Denn ich habe das Buch nicht nur als melancholisch, sondern vor allem als zutiefst traurig empfunden. Im zweiten Teil vielleicht weniger, da hat der Roman für mich ein wenig an Kraft verloren. Als Gesamtbild überzeugt er dennoch.

Bewertung vom 12.02.2023
Equilon
Raich, Sarah

Equilon


sehr gut

Eine Zukunft, in der viele Teile der Welt durch den Klimawandel nur schwer bewohnbar geworden sind. Doch der Algorithmus Equilon verspricht Gleichberechtigung und ein Leben in Wohlstand. Zumindest dann, wenn man den Score für die „Eine Milliarde“ knackt und nach New Valley, dem Zentrum des Fortschritts und Wohlstands, ziehen darf. So wie Jenna.
Dorian hingegen kann und will sich nicht hocharbeiten wie Jenna. Dennoch führt auch sein Weg auf abenteuerliche Weise nach New Valley. Und schließlich sind da noch die Rebellen, eine Gruppe von Menschen, die das System anprangern und es umstürzen wollen.

„Equilon“ ist ein solider SciFi-Roman. Er ist sicher nicht perfekt. Dafür laufen manche Erzählstränge und Szenen zu nahtlos ineinander über und wirken dann etwas konstruiert. Auch die Welt, die beschrieben wird, setzt sich teilweise erst relativ spät im Laufe der Geschichte zusammen. Es bleiben lange Zeit weiße Flecken bezüglich der Entstehung und dem „Funktionieren“ dieser Zukunft, was etwas irritiert.

Der Fokus liegt stattdessen sehr auf den Figuren und auf dem Element der Weltrettung. Das sorgt aber gleichzeitig dafür, dass der Roman nicht an Spannung verliert, stets ein ordentliches Tempo draufhat und im Großen und Ganzen gut unterhält. Und genau das erwartet man von einem guten SciFi-Roman schließlich auch.

Bewertung vom 05.02.2023
Macht
Furre, Heidi

Macht


sehr gut

Ein Foto im Innendeckel von Heidi Furres Roman "Macht" zeigt, wie die Künstlerin Niki de St Phalle auf eine Wand schießt. Diese berühmten "Schießbilder" von St Phalle sind Teil eines persönlichen Verarbeitungsprozesses von sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung.

Mit dem erlebten Trauma fertig zu werden, es zu verarbeiten, darum geht es in Furres Roman. Genau wie Niki de St Phalle verbirgt und unterdrückt die Protagonistin die erfahrene Vergewaltigung jahrelang. Sie heiratet und wird Mutter. Doch die Nähe und Verbindung zu ihrem eigenen Kind löst Ängste aus und lässt Unterdrücktes wieder an die Oberfläche dringen.

Alles in ihrem Alltag scheint sie an das Erlebte zu erinnern. Da ist der Schauspieler, dem sie auf ihrer Arbeit begegnet und dem vorgeworfen wird, dass er eine sexuelle Straftat begangen hat. Da ist die Angst in der Dunkelheit, auf einsamen Wegen, der Besuch beim Zahnarzt, die Angst davor, was ihre eigene Tochter eines Tages erleben konnte oder die Nachbarskinder...

Die Vergewaltigung nimmt einen immer größeren Raum in ihrem Leben ein. Und gleichzeitig kann sie das Wort nicht denken, geschweige denn aussprechen. Stattdessen bewahrt sie mit aller Macht den Schein. Ihr Äußeres ist ihr wichtig. Sie will nicht negativ auffallen, in keine Opferrolle gedrängt werden. Macht über die Fassade zu haben, bedeutet für sie, die Kontrolle über ihr Leben zu behalten.

Furres Roman fokussiert sich auf die Spuren, die eine Vergewaltigung in der Psyche des Opfers hinterlässt. Er zeichnet den jahrzehntelangen Kampf mit dem Trauma nach und stellt gleichzeitig die Frage nach Mutterschaft, Sexualität, Erwartungen und Macht.

"Macht" ist ein eindringlicher und komplexer Roman, der dem Thema der sexueller Gewalt in der Hinsicht gerecht wird, als dass er aus dem Innersten seiner Protagonistin erzählt. Zwischen Leser*in und Protagonistin steht keine Erzählstimme, die eine Distanz schafft. Die Protagonistin selbst wirkt daher zu jeder Zeit mit dem, was sie denkt und fühlt, glaubhaft und das ist sicherlich die Stärke dieses Buchs.

Weniger überzeugend ist jedoch das Ende, das sich vom Rest der Geschichte abhebt und etwas zu literarisch konstruiert wirkt. Auch manche Aspekte, die im Laufe des Romans aufgeworfen werden, finden keinen richtigen Abschluss. Das ist zwar bedauerlich, aber letztlich nicht schwerwiegend genug, um diesen Roman nicht zu empfehlen. Denn dafür ist sein Thema zu wichtig und die Umsetzung insgesamt, von den erwähnten Schwächen abgesehen, zu gelungen!

Bewertung vom 05.02.2023
The Man I Never Met - Kann man lieben, ohne sich zu kennen?
Cook, Elle

The Man I Never Met - Kann man lieben, ohne sich zu kennen?


ausgezeichnet

Ein Anruf bei der falschen Nummer: So lernen sich Davey und Hannah kennen. Was als Zufall beginnt, wird zu einer Fernbeziehung, die aus Nachrichten, Anrufen und Videocalls besteht. Davey lebt in Texas, Hannah in London. Doch Davey wird für seinen Job nach London ziehen. Darauf fiebern die beiden hin. Ihre Fernbeziehung wird damit ein Ende haben. Als Hannah Davey jedoch am Flughafen abholen möchte, kommt dieser nicht an...

Ich mochte die Ausgangssituation von „The Man I Never Met“: Zwei menschen, die sich über Nachrichten und Anrufe kennenlernen. Es hat mich ein bisschen an „Gut gegen Nordwind“ erinnert. Letztlich hat der Roman viel weniger Tiefe entwickelt und auch das Briefromanelement, oder in diesem Fall besser das Kennenlernen durch Telefonate, hat nicht so einen großen Raum eingenommen, wie ich es mir erwünscht hätte. Klischees und nicht ganz nachvollziehbares Verhalten der Figuren dürfen ebenfalls nicht unerwähnt bleiben.

Trotzdem: „The Man I Never Met“ ist kein schlechter Unterhaltungsroman. Für kalt Winterabemde, an denen man einfach mal was ganz Leichtes mit wenig Anspruch braucht, ist der Roman ganz in Ordnung.

Bewertung vom 05.02.2023
Jede*r kann die Welt verändern! - Ich bin Martin Luther King Jr.
Eliopoulos, Christopher;Meltzer, Brad

Jede*r kann die Welt verändern! - Ich bin Martin Luther King Jr.


ausgezeichnet

Ein neues Buch in der Reihe „Jede*r kann die Welt verändern“. Und es ist ein ganz wunderbares! Dieses Mal steht Martin Luther King Junior im Mittelpunkt. Die Lichtgestalt des friedlichen Protests, des Kampfes um die Gleichberechtigung von Weißen und Schwarzen in den USA wird den jungen Leser*innen vorgestellt.

Das gelingt, wie ich finde, ausgesprochen gut! Das Buch beginnt mit Kings Kindheit und Jugend, mit den Ungerechtigkeiten, die er schon während der Schulzeit erlebt und den Fragen, die er sich stellt. Schnell versteht er, welche Macht Worte haben und wie wirksam friedlicher ziviler Ungehorsam sein kann.

Seine Reden, seine Taten sind in die Geschichte eingegangen und in Form dieses Buches wird Kindern beigebracht, wie wichtig es ist, für Gerechtigkeit und Gleichberechtigung zu kämpfen und für den Frieden einzustehen.

Für mich ist es daher ein Buch, das unverzichtbar ist, wenn man möchte, dass die eigenen Kinder nicht nur mit dieser wichtigen historischen Persönlichkeit vertraut gemacht werden, sondern auch verstehen, dass Träume die Realität verbessern können.

Bewertung vom 24.01.2023
Lightlark Bd.1
Aster, Alex

Lightlark Bd.1


sehr gut

Isla herrscht über das Wildfolk. Sie sind Teil eines Reichs, über dem ein Fluch liegt. Für die sechs Völker des Reichs bedeutet der Fluch unterschiedliches, für das Wildfolk bedeutet er, dass sie jeden, in den sie sich verlieben, töten müssen und sich ausschließlich von menschlichen Herzen ernähren können. Ihr Ruf als verführerische Monster eilt ihnen voraus.

Alle hundert Jahre jedoch treffen die Herrscher der Völker während des Centennials aufeinander, um den Fluch zu brechen. Dafür muss einer der sechs Herrscher und damit sein ganzes Volk sterben. Bisher ist das nicht gelungen.

Isla wurde ihr ganzes Leben lang auf das Centennial vorbereitet. Und für sie ist es gefährlicher als für alle anderen. Denn obwohl sie die Herrscherin über das Wildfolk ist, hat sie weder deren Fluch vererbt bekommen noch deren Kräfte. Doch das dürfen die anderen Herrscher auf gar keinen Fall erfahren.

Der Roman bedient sich der altbekannten Figur der jungen unerfahrenen Heldin, die ein Reich retten soll. Isla hat gleich an mehreren Fronten zu kämpfen, muss ihr Geheimnis verbergen, Verbündete finden, nach einer Lösung suchen, um ihr Reich zu retten und verliebt sich gleichzeitig.

„Lightlark“ wurde im englischsprachigen Raum gleich aus vielerlei Gründen kritisiert. Ich kann diese Kritik in den meisten Fällen nicht ganz nachvollziehen. Mir hat der Roman gut gefallen. Es ist eine Geschichte zum Abtauchen. Man kann sich in dieser Welt, die Alex Aster erschaffen hat, verlieren. Und das macht ein gutes Unterhaltungsbuch doch aus.

Zugegeben, im zweiten Teil hätte ich mir gewünscht, dass die Autorin auf einige Längen verzichtet hätte und zum Ende hin schienen manche Fäden doch unter sehr großem Kraftaufwand miteinander verknüpft worden zu sein. Die Wendungen wirkten dann etwas konstruiert. Aber letztlich hat all das meinem Lesevergnügen keinen Abbruch getan.

Bewertung vom 17.01.2023
Der Inselmann
Gieselmann, Dirk

Der Inselmann


ausgezeichnet

Ein Junge steht mit seinem Vater und seiner Mutter am Ufer eines Sees. Sie warten auf einen Kahn, der sie auf eine Insel übersetzen soll. Es ist Winter, der Kahn kommt nicht, ist im Eis eingefroren. Als er die kleine Familie endlich zur Insel, ihrem neuen Zuhause bringt, wirkt dieses wie eine verlassene, unwirtliche Festung.

So fängt dieser außergewöhnliche Roman von Dirk Gieselmann an. Er erzählt die Geschichte eines Jungen, Hans, der in der Natur einer kleinen Insel, die für ihn „von Beginn an die größte der Welt“ ist, obwohl er sie in einer halben Stunde umrunden kann, eine Heimat findet. Er krönt sich selbst zum Inselkönig, macht sich den Ort zu eigen. Benennt beispielsweise die Bucht nach seinem einzigen Freund aus der Stadt, baut sich einen Kalender aus Kieselsteinen am Strand, sucht die Weihnachtsgeschenke für seine Eltern in der Natur und findet im Hund des verstorbenen Schäfers, der vor ihnen die Insel bewohnt hat, einen Freund.

„Hans wollte sie beide umarmen, den Vater, die Mutter, damit sie und diese Welt nicht gleich wieder zerbräche, ganz fest umarmen, damit alles heil bliebe und eins.“

Gieselmann schreibt in einer Sprache, die Bilder heraufbeschwört, die Landschaften vor dem inneren Auge flirren lässt. Das ist teilweise so beeindruckend, dass man bestimmte Sätze und Abschnitte noch mal lesen muss, weil man sie nicht gleich wieder vergessen, sondern festhalten möchte.

„Wohin zieht sich das Frühjahr zurück, bis es zurückkehren darf? Wo übersteht er den Winter?

Aber es sind nicht nur die Naturbeschreibungen, nicht nur das Leben des Jungen auf der Insel, die zu überzeugen vermögen. Es ist das Gesamtbild. Alles harmoniert miteinander, die Sprache ist durchgehend schön, die Geschichte bis zum Ende überzeugend. Selten liest man diese Art von Büchern, die bewegen, ohne tief graben oder laut schreien zu müssen. Die es schaffen, etwas in einem zu berühren, scheinbar mühelos. Und genau solch ein Buch ist „Der Inselmann“.