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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Desiree
Wohnort: 
Wanne-Eickel

Bewertungen

Insgesamt 117 Bewertungen
Bewertung vom 10.09.2023
Kleine Probleme
Pollatschek, Nele

Kleine Probleme


ausgezeichnet

Lars, ist 49, hat einen erwachsenen Sohn, eine Teenagertochter und ist momentan Strohwitwer. Kurz bevor Johanna aus Lissabon zurückkommt und auch Tochter Lina, will er endlich Dinge erledigen. Das fällt ihm schwer, aber er will sich ändern und wann kann man das besser als zwischen den Jahren. Nur leider bekommt er das auch mit der selbst auferlegten Deadline nicht hin und steht am 31. Dezember vor einem Container unerledigter Sachen: Steuern, Haus in Ordnung bringen, Nudelsalat machen, Lebenswerk schreiben. All die Dinge, die er vor kurzem oder sein ganzen Leben lang immer wieder aufgeschoben hat, greift er an.
Nele Pollatschek hat mit „Kleinen Problemen“ ein wunderbaren Roman geschrieben, der mich oft zum Lachen gebracht hat, aber auch zum Nachdenken. Mit Lars konnte ich mich mehr als identifizieren, ich halse mir auch oft zu viel auf, verzettle mich und verfalle in Lethargie, das hat Lars sogar perfektioniert. Prokrastination kennen wir wohl alle, aber Lars Gedanken springen so schnell hin und her, er kommt vom Hölzchen aufs Stöckchen und wieder zurück, das ich manchmal fast den Überblick verloren hätte. Amüsant war es trotzdem, auch wenn ein wenig Trauer mitschwingt, weil Lars sein ganzes Leben nur geträumt hat, anstatt einfach zu machen und nicht alles zu zerdenken. Das ist auch die Kernbotschaft, die ich aus dem Roman für mich mitnehme.
Nele Pollatschek beweist ihr schriftstellerisches Talent in banalen Alltagssituationen, die sie mit viel Witz beschreibt. Manchmal war es etwas viel, etwas lang, aber genau so ist Lars. Er lebt mit diesen Gedankensprüngen und verfängt sich durch sie in seinem Leben. Anfangs vermutete ich nur eine lustige Geschichte und einen Protagonisten in dem ich mich wiedererkennen kann, aber der Roman ist viel tiefer, wenn man sich darauf einlässt.
Und ein tolles Beispiel, dass Frauen sehr gut mit männliche Protagonisten arbeiten können.

Bewertung vom 04.09.2023
Eigentum
Haas, Wolf

Eigentum


gut

Wolf Haas’ Mutter liegt im Sterben und er rekapituliert ihr Leben. Allerdings nicht in Gänze. Sein Augenmerk liegt auf ihren Erzählungen und er lässt sie selbst oft zu Wort kommen. Er denkt über sie nach, über ihre Eigenheiten und Marotten, über ihre Wünsche. Ihr größter Wunsch, den eines Eigenheims, erfüllt sich erst nach ihrem Tod mit dem eigenen Grab.
Viel zum Inhalt von „Eigentum“ von Wolf Haas kann ich nicht sagen. Es geht halt um seine Mutter. Er wiederholt, was sie ihm erzählt hat, von den Irrtümern ihres Großvaters, der immerwährenden Inflation, vom Servierkurs, von ihrer Zeit in der Schweiz und vom Krieg. Ihr gemeinsames Leben schildert Haas selbst, wobei er ihre Eigenarten hervorhebt, zum Beispiel ihre dreimaligen Wiederholungen beim Sprechen, was zu ihrem Merkmal wurde. Marianne wurde durch seine Schilderungen präsent, erwachte um ihren Tod herum für mich zum Leben.
Auch wenn der Tod eigentlich ein schwermütiges Thema ist, gehört er bei einer 94 Jährigen, die ein ereignisreiches Leben hatte, dazu. Haas erzählt mit viel Liebe und Witz von ihr, was den Roman zu einer Liebeserklärung an die Mutter macht. Sprachlich ist es natürlich gut, Wolf Haas hat unzählige Bücher geschrieben, meist Krimis, aber auch den ein oder anderen Roman, von daher weiß er, was funktioniert und was sich gut lesen lässt. Manchmal fand ich den Dialekt der Mutter, wenn er sie direkt zu Wort kommen lässt, etwas anstrengend, aber das macht es auch authentisch. Es gab einige Längen, gerade zum Schluss, obwohl es nur 157 Seiten sind.
Was ich bemerkenswert fand und was mir sehr gut gefallen hat, war des Fehlen von eher männlich konnotierten Themen (Sexismus, Männlichkeit, Machtgehabe), die auch absolut fehl am Platz gewesen wären und es ist schon traurig, dass mir sowas bei einem Autor direkt ins Auge springt und mir erwähnenswert erscheint. Aber es zeigt auch, es geht auch anders liebe Autoren.

Bewertung vom 03.09.2023
All die Liebenden der Nacht
Kawakami, Mieko

All die Liebenden der Nacht


sehr gut

Fuyuko ist 34 und geht ganz in ihrer Arbeit als Korrekturleserin auf. Das ist nicht schwer, denn sie geht nicht aus, hat keine Freund*innen, keine Hobbys. Erst als sie über ihre neue Arbeit Hijiri kennenlernt, beginnt sie ein wenig aufzutauen. Dafür nutzt sie Bier und Sake und wird dadurch zu einer anderen Person, naja nicht komplett anders, aber sie traut sich mehr, unternimmt Dinge, lernt sogar einen Mann kennen, in den sie sich verliebt. Doch ihre Gefühle scheinen so verkümmert, dass sie ihnen nicht traut.
„Alle Liebenden der Nacht“ von Mieko Kawakami ist mein erstes Buch dieser zurecht gefeierten japanischen Autorin und ich bin froh „Brüste und Eier“ bereits auf meinem Sub liegen zu haben. Mit Fuyuko hat sie eine Protagonistin geschaffen, die durch die Welt schwebt ohne anzuecken, aber auch ohne sich selbst richtig wahrzunehmen, da hilft auch der Alkohol nicht. Dabei verherrlicht der Roman mitnichten dessen Konsum. Sehr zart schildert Fuyuko als Ich-Erzählerin ihre Zweifel, ihre Suche, Ängste und Erfahrungen, die durch eben dieses Zartheit besonders ans Herz gehen.
Doch in dem Roman steckt noch viel mehr. Er ist bereits 2011 in Japan erschienen und enthält feministische Themen, die heute vielleicht in aller Munde sind, aber damals noch eher in abgegrenzten Bubbles zu finden waren. Diese sind ganz subtil in die Geschichte eingeflochten, man nimmt die Botschaft beiläufig auf: wie unnötig Zickenkrieg ist, wie eine Frau zu sein hat, was Partnerschaft, Ehe und Kinder zu bekommen bedeutet. Es wird die Lebensrealität von Frauen geschildert, die sich durchbeißen, aber auch die sich anpassen. Es ist ein Einblick in die weibliche japanische Kultur und wie Frauen untereinander agieren. Das alles schafft Mieko Kawakami mit der schüchternen Fuyuko, was umso eindrucksvoller ist.
Und obwohl es sich lange so anfühlt als wäre „All die Liebenden der Nacht“ eine Liebesgeschichte, so enthält sie doch einen viel wichtigeren Kern: das Erkennen des eigenen Selbst.

Bewertung vom 01.09.2023
Nichts in den Pflanzen
Haddada, Nora

Nichts in den Pflanzen


ausgezeichnet

Leila versucht ein Drehbuch zu schreiben, die Betonung liegt auf versucht, denn es gelingt ihr einfach nicht. Alles fängt gut an. Durch Leon, ihren neuen Freund, bekommt sie Kontakt zu Produzentin Lenka, die das Drehbuch verfilmen will, aber Änderungen verlangt und die Fertigstellung. Also versucht Leila es, mal mehr, mal weniger. Alles lenkt sie ab, erst Leon, dann Partys, ein andere Mann. Immer wieder verfällt sie in einen Arbeitsrausch aus dem nichts hervorgeht. Und dann ist da auch noch Aischa, die in allen Belangen eine direkte Konkurrenz für Leila darstellt.
„Nichts in den Pflanzen“ von Nora Haddada wollte ich unbedingt lesen, weil Benedict Wells einen Blurb geschrieben hat und ich wurde nicht enttäuscht. Anfangs war ich verwirrt, denn es las sich wie eine Liebesgeschichte, auch wenn Leila Leons Katze auf dem Gewissen hat. Aber mit Liebe hat das nichts zu tun, Leon ist nur Mittel zum Zweck und zwar die ganze Zeit, so wie alle Menschen in Leilas Umgebung. Die Oberflächlichkeit und das Geschwafel der Kreise in der Leila sich bewegt, ist ansteckend und daher auch kein Wunder, dass sie es nicht schafft sich hinzusetzen und voranzukommen. Ihr fliegt schon alles zu, aber sie erkennt es nicht und schöpft ihre Inspiration aus dem Leid der Anderen, vielleicht auch aus ihrem eigenen. Sie ist kaputt.
Leila würde ich ungern begegnen, ich habe sie nicht gemocht. Ihre Berechnung, ihre Gehässigkeit, ihre Ignoranz und ihr Überzeugung, dass es alle besser als sie haben, obwohl sie es nicht leichter haben könnte. Ich hab mir gewünscht, dass sie endlich auf die Fresse fliegt, mal Konsequenzen erfährt und das tut sie.
Nora Haddada hat ein beeindruckenden Roman abgeliefert, was nicht verwunderlich ist, da sie schon viel Erfahrungen gesammelt hat, die sie offensichtlich hat einfließen lassen. Sie ist eine neue erfrischende Stimme in der Literatur und ich freue mich schon mehr von ihr zu lesen.

Bewertung vom 30.08.2023
Tage im warmen Licht
Pfister, Kristina

Tage im warmen Licht


ausgezeichnet

Maria kehrt mit ihrer Tochter Linnea in die Stadt ihrer Jugend zurück, in das Haus ihrer Oma Hanne, welches sie geerbt hat. Eigentlich wollte sie nie zurück, aber München macht es ihr schwer zu bleiben und so hat sie keine Wahl. Aber auch Hannes Haus, das zugig ist und nicht ihr zu Hause, macht es ihr nicht leichter. Auch die Dämonen der Vergangenheit, die sie versucht hat wegzusperren, brechen aus und versetzen sie in eine Zeit, die sie am liebsten vergessen möchte. Aber es gibt Lichtblicke, nicht nur Linnea fühlt sich wohl, da ist auch noch Nachbarin und Hannes beste Freundin Martha, Britta und Marias alter Schulfreund Henning, den sie plötzlich mit ganz anderen Augen sieht.
Ich wollte „Tage im warmen Licht“ von Kristina Pfister unbedingt lesen, nachdem mir letztes Jahr „Ein unendlich kurzer Sommer“ in Erinnerung geblieben ist. Und sie hat abgeliefert und wie sie abgeliefert hat. Der Inhalt, weder mein oben beschriebener, noch der Klappentext, geben einen Eindruck wie viel in dem Roman steckt. Als Hauptthema würde ich wohl weibliches Empowerment nennen, aber es geht auch um Konsens beim Sex und die Wandlung, die unsere Gesellschaft in der Hinsicht endlich macht. Es geht um Veränderung und Traumabewältigung, um Victimblaming.
Kristina Pfister hat ein Talent für szenisches Erzählen und es läuft direkt ein Film vor meinem inneren Auge ab, wenn ich anfange zu lesen. Die Figuren tun ihr übriges. Es sind viele, aber alle müssen genauso da sein und runden das Bild ab. Maria als Protagonistin war manchmal etwas anstrengend, aber das störte mich nicht und ihre Entwicklung ist auf jedenfalls auffällig. Sprachlich ist es auch sehr gut. Ganz selten bin ich mal über eine Formulierung gestolpert und manche Kleinigkeit wurde doppelt erwähnt, aber das ist auch das einzige, was ich bemerkt habe.
Dieser Roman ist wichtig und alle, vor allem Frauen, sollten ihn lesen - um sich zu stärken, um sich mit dem Thema Konsens auseinanderzusetzen und alte Denkweisen endlich zu hinterfragen.

Bewertung vom 24.08.2023
Der berühmte Tiefpunkt
De Gryse, Amarylis

Der berühmte Tiefpunkt


sehr gut

Marieke schläft in ihrem Auto. Ihr Freund Blok hat sie vor die Tür gesetzt und sie weiß nicht wohin. Ihre Schwestern interessieren sich nicht für sie, ihre Mutter gibt ihr die Schuld, zum Vater hat sie den Kontakt verloren. Sie hat nur noch ihre Arbeit im Altenheim und die Bewohner*innen schenken ihr ein wenig Trost, denn sie sind als einzige Station noch nicht in das neue Haus umgezogen und somit genauso vergessen und abgestellt wie Marieke.
„Der berühmte Tiefpunkt“ von Amarylis de Gryse beschreibt nicht nur einen, sondern eine Anhäufung von Tiefpunkten. Mariekes Leben ist komplett auseinandergefallen. Das hat mich anfangs extrem traurig gemacht, denn ein Schlag folgt auf den nächsten. Es überrascht mich nicht, dass Marieke so geworden ist und immer nur weiter runterschluckt anstatt sich zu wehren. Allerdings ändert das sich und zum Schluss schafft sie den Befreiungsschlag. Vieles, was mich am Anfang stutzen ließ, hat sich später als absolut stimmig erwiesen.
Was neben Mariekes Leid am deutlichsten heraussticht, ist die Situation in der Pflege. Natürlich wird sie etwas überspitzt geschildert, aber dennoch herrschen solche und ähnliche Zustände und unsere Senior*innen und Pflegebedürftigen werden schnell auf ein Abstellgleis geschoben. So drastisch geschildert, habe ich es noch nicht gelesen und ich finde es gut und wichtig.
Anfangs hatte ich einige Schwierigkeiten reinzufinden. Es wird zwar ausschließlich aus Mariekes Perspektive erzählt, aber sie spring in der Erzählung und manchmal war ich etwas orientierungslos, was sich aber später gegeben hat. Sprachlich war es gut und ich mochte Mariekes Umgang und Amarylis de Gryse Schilderung zum Thema Essen, welche ich sehr authentisch empfand.
„Der berühmte Tiefpunkt“ ist ein berührender Roman über die Schwierigkeiten des Lebens.

Bewertung vom 14.08.2023
Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2
Yokomizo, Seishi

Mord auf der Insel Gokumon / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.2


sehr gut

Privatermittler Kosuke Kindaichis zweiter Fall führt ihn nach dem zweiten Weltkrieg auf die Insel Gokumon. Er hatte seinem sterbenden Kameraden das Versprechen gegeben, seine Schwestern zu retten. Diese gehören der Stammfamilie der Insel an, die eine ganz eigene Welt ist, nicht nur, weil sie von Nachkommen von Piraten und Sträflingen bewohnt wird. Es dauert nicht lange und die erste Schwester wird ermordet und das wird nicht das einzige Verbrechen bleiben. Mehr verrate ich zum Inhalt nicht!
Seishi Yokomizo ist das japanische Pendant zu Agatha Christie und Sir Arthur Conan Doyle und leider in Deutschland noch wenig bekannt, wofür ich keine Erklärung haben. Das hatte mich schon bei den „Honjin-Morden“ gewundert. Auch „Mord auf der Insel Gokumon“ ist rätselhaft und sehr verzwickt. Automatisch rätselt man mit, allerdings hat sich meine Vermutung nicht bestätigt. Yokomizo ist ein Meister der falschen Fährten.
Kosuke Kindachi ist gewohnt exzentrisch und ein Charakter für sich, doch ist der Krieg nicht spurlos in ihm vorbeigegangen. Und auch der altbekannte Kommissar Isokawa ist wieder mit von der Partie.
Ich mochte den Kriminalroman sehr gern, bin allerdings nicht so begeistert wie von den „Honjin-Morden“. Auch hier waren die Verbrechen wieder sehr gut konstruiert und spektakulär, aber ich hatte das Gefühl, dass es sprachlich nicht so ausgereift war, was ich nicht auf die Übersetzung schieben möchte, denn da hat Ursula Gräfe schon bei dem Vorgänger ihr Können unter Beweis gestellt.
Den Einblick in die japanische Kultur aus diesem speziellen Blickwinkel finde ich faszinierend. Jedoch sollte man im Auge behalten, dass es kurz nach dem zweiten Weltkrieg spielt und von den Rollen, welche die Frauen aufgedrückt bekommen, möchte ich gar nicht erst anfangen. Aber darum soll es bei diesem Krimi auch nicht gehen.
Wer also Sherlock Holmes und Hercules Poirot mag, wird sich freuen Kosuke Kindaichi kennenzulernen.

Bewertung vom 13.08.2023
Die Unbändigen
Hart, Emilia

Die Unbändigen


sehr gut

Kate, Violet und Altha gehören der Linie der Weyward-Frauen an, allerdings spielen ihre Geschichten zu unterschiedlichen Zeiten. Kates 2019, Violets 1942 und Althas 1619. Allen ist gemein, dass sie eine besondere Verbindung zur Natur haben und mit ihr auf besondere Weise interagieren können, sowie dass sie unter Männern und deren Machtausübungen leiden. Kate ist gefangen in einer Beziehung mit einem gewalttätigen Mann. Sie flüchtet in das Cottage ihrer vor kurzem verstorbenen Großtante Violet, die als junges Mädchen von ihrem grausamen Vater dorthin verbannt wurde. Und ganz am Anfang steht Altha, die der Hexerei angeklagt wurde.
„Die Unbändigen“ von Emilia Hart ist nur im Hinblick auf die Gabe der Weyward-Frauen ein Fantasy-Roman, ansonsten ist er in der Realität verhaftet, was mir sehr gefallen hat. Zumal die Gabe aus dieser besonderen Verbindung zur Natur besteht und damit nicht allzu fantastisch ist. Auf vielfältige Weise wird die Gewalt und Macht, die von Männern ausgeübt wird, geschildert, nicht nur in körperlicher und sexueller Hinsicht, sondern auch die strukturelle, gesellschaftliche und konstitutionelle. Der Mann kann machen, was er will, denn die Schuldige und vermeintliche Verursacherin ist ganz klar die Frau.
Kate, Violet und Altha waren mir sympathisch und ihre Schicksale taten weh. Emilia Hart schlüpft gekonnt in die verschiedenen Geschichten und verdeutlicht das auch sprachlich, wobei sie ihr schriftstellerisches Können unter Beweis stellt. Sie entwirft Bilder, die unter die Haut gehen. Zum Ende hatte es einige Längen und vieles war voraussehbar, trotzdem habe ich weitergelesen. Die fast ausschließlich negative Darstellung der Männer fand ich anfangs gut, später etwas zu konstruiert, aber zum Schluss schafft Emilia Hart dann doch noch den Bogen.
Ich werde nicht müde zu sagen, dass solche Bücher wichtig sind, weil sie eine Lebensrealität aufzeigen vor der wir nicht länger die Augen verschließen dürfen!

Bewertung vom 06.08.2023
Die Einladung
Cline, Emma

Die Einladung


gut

Alex schmarotzt sich durchs Leben. Ich kann es nicht anders ausdrücken. Schon in der Stadt hat sie sich von Männern aushalten lassen und sie zum Dank noch bestohlen. Sie hat in einer WG gewohnt ohne Miete zu zahlen und sich einfach an allem bedient. Inzwischen meint es das Leben nicht mehr so gut mit ihr. Ein Lichtblick ist Simon, der sie mit in die Hamptons nimmt. Alex glaubt, der Stadt und den dortigen Problemen entfliehen zu können. Doch dann schmeißt Simon sie raus und sie nimmt ihren Pfad der Verwüstung wieder auf.
„Die Einladung“ von Emma Cline konnte mich nicht richtig überzeugen. Alex war mir durchweg unsympathisch. Die Haltung, die sie an den Tag legte, dieses keinerlei-Verantwortung-übernehmen und nur auf den eigene Vorteil aus sein, kann ich in der Realität schon kaum aushalten, in der Fiktion ist das aber ok. Warum es mir hier nicht gelang, kann ich nicht sagen, ich musste jedenfalls immer wieder mit den Augen rollen. Ihr Maß an Manipulationsgeschickt war für mich nicht nachvollziehbar. Aber die Macht, die bestimmte Kreise und vor allem die Männer, die darin wandeln, besitzen, fand ich gut geschildert.
Passend zu Alex sind viele lose Enden geblieben. Sie selbst interessiert sich nicht dafür, was nach ihrem Abgang passiert und so erfahren wir auch nicht wie die Menschen, die einen kurzen Augenblick von Bedeutung für sie waren, mit dem Chaos umgehen und wie sie das Aufräumen bewältigen. So wie Alex sich selbst nicht richtig wahrnimmt, flimmert auch nur ein vages Bild von ihr vor meinen Augen. Ich kann sie nicht greifen, sie flutscht mir mit ihrer Anpassung, die keine eigene Persönlichkeit enthält, immer wieder durch die Finger.
Sprachlich war es ok, nicht überragend, einige gute Bilder und ein gelungener Sprachfluss haben mich weiterlesen lassen, aber es hat sich dennoch kurzweilig angefühlt. Ich kann nicht behaupten, dass es einen wirklich bleibenden Eindruck hinterlassen hat.

Bewertung vom 31.07.2023
Nachts erzähle ich dir alles
Landsteiner, Anika

Nachts erzähle ich dir alles


ausgezeichnet

Léa flieht in das Ferienhaus ihrer Familie nach Südfrankreich. Sie war schon lange nicht mehr an diesem mit Erinnerungen beladenen Ort und trifft gleich am ersten Abend Alice. Zu einem weiteren Treffen kommt es nicht, da Alice in der Nacht verstirbt. Dafür tritt ihr Bruder Émile in Léas Leben und verwandelt diesen Sommer in einen ganz besonderen.
„Nachts erzählen wir uns alles“ von Anika Landsteiner auf ein paar Worte zu reduzieren, schaffe ich nicht. Dieses Buch hat alles, was ich von einem guten Roman erwarte und noch viel. Es wurde schon mit den ersten Seiten zu meinem absoluten Jahreshighlight. Ich hatte schon „So wie du mich kennst“ gelesen und meine Erwartungen waren dementsprechend hoch, aber Anika Landsteiner hat diese bei weitem noch übertroffen. Mit Léa hat sie eine authentische Protagonist kreiert, die ich direkt vor mir sehen und mit der ich mich identifizieren konnte. Sie hat ihr ganzes Herzblut und Können in diesen Roman gesteckt, was man an jedem gut gewählten Wort merkt und trifft Aussagen, die einfach auf den Punkt sind.
Sie hat sich in mein Herz geschrieben. Das hat sie nicht mit leichter Lektüre geschafft, denn sie bringt Themen auf Tableau wie Trennung, Tod, Abtreibung, Liebe, abwesende Väter und Familienkonflikte. Sie rückt Frauen und Feminismus in den Fokus, ohne die Männer auszuklammern und beschreibt ein Mutter-Tochter-Beziehung, die geradezu perfekt ist, aber niemals kitschig oder abgedroschen wirkt. Sie vereint gleichgeschlechtliche Liebe, Freundschaft, Sehnsucht, Leidenschaft und bündelt es in dem Haus in Frankreich, in das ich immer wieder zurückkehren möchte.
Ich habe mich in den Seiten verloren und wollte nicht wieder auftauchen. Will es immer noch nicht und vermisse Léa, Émile und Claire jetzt schon. Ich konnte es nicht aus der Hand legen und wollte noch weniger, dass es endet.
Ich hoffe sehr, dass diese Autorin noch viel schreibt. Ich werde alles von ihr lesen!