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Benutzername: 
kerstin_aus_obernbeck
Wohnort: 
Ostwestfalen

Bewertungen

Insgesamt 63 Bewertungen
Bewertung vom 06.06.2023
Die Sekunde zwischen dir und mir
Steele, Emma

Die Sekunde zwischen dir und mir


sehr gut

Robbie aus der Fraktion „easy going“ arbeitet als Koch, macht gern Party und hat dank einer finanziellen Absicherung durch seine Eltern ein gar nicht mal so unfeines Leben.
Jenn ist Ärztin, als sie 13 war hat der Vater sie und ihre Mutter verlassen, goldene Löffel waren bei ihr nie an der Tagesordnung und sie hat sich alles hart erarbeiten müssen.
Die beiden lernen sich in einem Pub in Edinburgh kennen und es ist potzblitz Liebe auf den ersten Blick.
 
Der Roman beginnt mit einer Szene, in dem sie im Auto unterwegs sind und auf einen Lkw zusteuern – und dass zu einem Zeitpunkt, an dem sie gerade wieder nach einer Trennung zusammengekommen sind.
In Rückblicken erzählt der Roman nun Szenen aus der Vergangenheit und aus Jenns Erinnerungen. Robbie ist als eine Art Beobachter in ihren Erinnerungen dabei.
Es sind ebenso gemeinsame Momente, in denen sie glücklich waren, wie Situationen in Jenns Vergangenheit, bei denen Robbie eine semi-gelungene Rolle gespielt hat. Noch immer im Auto sitzend auf den Lkw zu rauschend erkennt Robbie nach und nach, warum die Beziehung zunächst nicht funktioniert hat, wie viel Jenn ihm bedeutet, wie glücklich er über die 2. Chance ist und er sucht nach einem Ausweg aus der sich anbahnenden Katastrophe.
 
Die Zeit- und „Ebenen“sprüngen in dem Roman waren für mich zunächst ziemlich verwirrend, denn mal wurde über die Vergangenheit von Robbie berichtet, dann über die Vergangenheit von Jenn, dann waren es Erinnerungen von Jenn und Robbie war Beobachter – im Buch wird es geteile Todeserfahrung gennant - und ich hab gebaucht, bis ich durchgefunden habe.
Es ist alles in allem eine Liebesgeschichte, aber kein schnulziges Herzscmerz-Ding, sondern tatsächlich ein berührender, irgendwie ehrlicher Roman – auch wenn mich diese Beobachtungsmomente an „Ghost – Nachricht von Sam“ erinnert haben.
Aber mal ganz ehrlich, wie kann man ein Buch, in dem ein Protagonist zu „There is a light that never goes out“ tanzt, nicht mögen?

Bewertung vom 27.05.2023
Blue Skies (deutschsprachige Ausgabe)
Boyle, T. C.

Blue Skies (deutschsprachige Ausgabe)


ausgezeichnet

Familie Rivers ist eine durchschnittliche amerikanische Familie, die Eltern wohnen in Kalifornien, dort lebt auch ihr Sohn Cooper und arbeitet als Entomologe. Tochter Cat ist der Liebe wegen in Florida, sie träumt von einer Karriere als Influencerin. Doch das sorglose Leben wird durch die mit dem Klimawandel einhergehenden Folgen sukzessive getrübt. Während in Kalifornien eine Hitzewelle eine Bedrohung für alle Lebewesen darstellt, ist es in Florida das Wasser, dass das bisher bekannte Leben verändert. Familie Rivers spürt die Folgen in vielfältiger Weise, und eine von einem Hurricane ruinierte Hochzeit ist dabei noch das geringste Problem. Sie bemühen sich um Anpassung, versuchen einen Beitrag für die Umwelt zu leisten – aber ein E-Auto und Insekten statt Fleisch sind nicht allein die Lösung und manchmal stehen Unwissenheit, Arroganz, Ignoranz und Egoismus einer Veränderung im Weg.
 
Die Geschichte erzählt mit einer grandiosen Leichtigkeit die Hoffnungslosigkeit der Situation. Bedroht von Feuer und Wasser bemühen sich die Menschen, ihr Leben aufrechtzuerhalten und zu retten, was zu retten ist. Die Figuren sind toll beschrieben, schlüssig und trotz bisweilen unklugem Handeln sympathisch, lediglich bei Cat habe ich alle paar Minuten ein innerliches „geht’s noch“ gehabt, die hat mich mit ihrer Dusseligkeit echt genervt. Und die schier unendlichen Mengen Alkohol in dem Roman haben mich echt überrascht. 396 Seiten oder ca. 3,7 Promille.
 
Der Roman kommt nicht mit einem erhobenen Zeigefinger daher, predigt nicht, was Mensch alles ändern müsste, damit es nicht so weit kommt, wie beschrieben, sondern es wird erzählt, wie es ist, wenn es so weit ist.
Prophetisch, erschreckend, unheimlich, manchmal lustig, skurril, tödlich und schlimm.
 
Mein erster Roman von T. C. Boyle. Ich bin begeistert!
 
Absolute Leseempfehlung! Ein brillantes Buch.

Bewertung vom 01.05.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


ausgezeichnet

Wien 1966. Robert Simon, 31, lebt in Wien zur Untermiete bei einer Witwe. Er ist in einem Heim für Kriegswaisen aufgewachsen und hat nach Ende der Schulzeit mit Gelegenheitsjobs auf dem Markt Geld verdient. Er ist fleißig, umgänglich und bei den Marktleuten aufgrund seines ruhigen, besonnenen Wesens beliebt.
Wien ist im Aufbruch, die Stadt verändert sich und auch Robert möchte seinem Leben eine Wendung geben – er pachtet das ehemalige Marktcafé, dass schon eine Weile leer steht.
 
Der Markt und das Café liegen in einem der weniger gut betuchten Viertel der Stadt. Es bietet keine spektakulären Speisen und Getränke, sondern eine solide Karte: Bier, Wein, Schmalzbrote. Die Kundschaft besteht aus Händlern vom Markt, Handwerkern, Menschen aus dem Viertel – und wie im echten Leben hat auch im „Café ohne Namen“ jeder Mensch seine eigene Geschichte.
 
Robert Seethaler erzählt in dem Roman eine Geschichte von Veränderung. In dem Café treffen die Menschen aufeinander, sprechen über das Hier und Jetzt und was kommen mag – und nicht jeder kann mit dem Wandel, der immer schneller werdenden Zeit mithalten. Aber es gibt auch Hoffnung, Liebe und Lichtblicke - Schönes, in einer bisweilen trüben Welt.
 
Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Ruhig und zurückhaltend und dennoch sehr lebhaft erzählt Robert Seethaler die Geschichte von Robert Simon, von seinen Gästen im Café und von der Stadt Wien im Wandel der Zeit.
Beim Lesen bin ich mit Robert durch Wien geschlendert, habe den Prater besucht, mit ihm an der Donau gesessen – und ich habe seine Gäste im Café beobachtet, wie sie einander begegnen, diskutieren, streiten, Karten spielen, leben, lieben und lachen.
Ein ganz wunderbares Buch! Absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 23.04.2023
Und morgen ein neuer Tag
Alexander, Claire

Und morgen ein neuer Tag


sehr gut

Meredith Mags ist Ende 30 und hat ihr Haus seit 1.214 Tagen nicht verlassen. Sie hat sich in ihrer selbstgewählten Isolation gut eingerichtet und alles bestens organisiert. Freiberuflich arbeitet sie zuhause als Texterin, Lebensmittel bringt der Lieferdienst, Kater Fred leistet ihr Gesellschaft und regelmäßig kommt ihre allerbeste Freundin Sadie zu Besuch.
 
In Rückblenden erzählt der Roman die Geschichte von Meredith. Ihr Leben ist geprägt von einer maximal lieblosen Kindheit, psychischer und physischer Gewalt, Vergewaltigung, Depression und Suizidversuchen. Ihre Erlebnisse und die daraus resultierenden traumatischen Auswirkungen haben dazu geführt, dass sie seit mehr als 3 Jahren ihr Haus nicht mehr verlassen hat.
Aber auch wenn sie sich und anderen vorgaukelt mit der Situation zufrieden zu sein, ist erkennbar, dass dem nicht so ist. Doch der Weg zurück in ein Leben, dass auch außerhalb der eigenen 4 Wände stattfindet, ist nicht einfach.
Zum Glück gibt es Menschen, die Meg auf diesem Weg begleiten. Sie erlebt professionelle Hilfe durch ihre Therapeutin, sehr viel Unterstützung durch die bedingungslose Freundschaft ihrer Freundin Sadie und dann ist da auch noch Tom … und natürlich ihr eigener Mut und ihr Wille zu einer Veränderung.
 
Die Geschichte ist sehr intensiv. Es ist eine Weile her, dass ich mit einer Protagonistin derart mitgefühlt,-gelitten & –gehofft habe. Weil ich wissen musste, wie es mit Meg weitergeht, habe ich die 440 Seiten ruckzuck gelesen. Die Charaktere sind lebhaft beschrieben, das Buch hat kurze Kapitel und einen gut lesbaren Schreibstil.
Auch wenn alles nachvollziehbar erzählt wird, weiß ich nicht, ob es sein musste, eine solche Bandbreite an schwierigen Themen in eine einzige Geschichte zu packen. Für mein Empfinden war es in Summe zu heftig.
Aber es ist auch eine Geschichte mit viel Hoffnung, über Mut und wahre Freundschaft.

Bewertung vom 09.03.2023
Leonard und Paul
Hession, Rónán

Leonard und Paul


ausgezeichnet

Leonard und Paul / Ronan Hession

„Lass uns einfach glücklich sein. Solange wir noch Zeit haben.“
Ein wunderbarer Satz aus einem wunderbaren Buch
 
Im Verlag WOYWOD & MEURER ist der Roman „Leonard und Paul“ von Ronan Hession erschienen und ich habe ihn lesen dürfen.
 
Leonard und Paul, beide Ü30, sind geliebt und behütet aufgewachsen, allerbeste Freunde und führen ein unaufgeregtes Leben in ruhigen Bahnen. Leonard arbeitet als Ghostwriter für Kinderlexika. Seine Mutter ist kürzlich verstorben, nun lebt er allein in seinem Elternhaus. Paul wohnt bei seinen Eltern und arbeitet als Aushilfspostbote.
 
Doch irgendwie ist klar, dass es nicht immer so weitergehen wird. Leonard hat den Wunsch nach einer Veränderung –
 
„Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich die Türen und Fenster in meinem Leben ein bisschen aufschieben muss.“
 
– und stellt sich dieser zögerlich, bisweilen unbeholfen, aber voller Überzeugung und Ehrlichkeit. Und auch Paul, der nach Meinung seiner Schwester bisher munter in seinem kleinen Lebenskarussel herumgegondelt ist, nimmt auf seine Art und Weise, in seinem Rahmen sein Leben in die Hand.
 
„Leonard und Paul“ ist eine wunderschöne Geschichte über zwei Menschen, die im Alltag übersehen werden, die in einer Art sozialen Unsichtbarkeit eine Randexistenz führen - und dabei ihrem Umfeld, der Gesellschaft, viel zu geben haben, denn was sie auszeichnet, sind
scheinbar scheinbar grenzenlose Freundlichkeit, Ehrlichkeit und Friedfertigkeit, sowie der Glaube, an das Gute. Erzählt wird die Geschichte einer Freundschaft von zwei besonderen Menschen. Das Buch hat mich berührt, mir hat diese stille, unaufgeregte und warmherzige Geschichte sehr gut gefallen.
 
„Wenn es eines gab, woran sich die innige Zuneigung der beiden Freunde ablesen ließ, dann war es der Enthusiasmus, mit dem sie ihre Freude über gute Nachrichten teilten, gewiss, dass jeder dem anderen nur das Allerbeste wünschte.“
 
– und so ist es mir auch beim Lesen ergangen, ich habe Leonard und Paul nur das Allerbeste gewünscht.
 
 
ES WIRD EMPFOHLEN, OBIGES ZU BEACHTEN


Ein wirklich wunderbares, absolut lesenswertes Buch!

Bewertung vom 09.03.2023
In die Wellen!
Nordberg, Amy

In die Wellen!


ausgezeichnet

Das hübsche Cover, der Leichenwagen auf der Rückseite – zack, hatte ich mich in „In die Wellen“ von Amy Nordberg schockverliebt. å

Erzählt wird die Geschichte von Katha „Hellcat Kate“ Muñez. Ihr Leben ist ziemlich festgefahren, ihre Ehe auch nicht der Knaller. Ein Sabbatical in Spanien mit ihrem Mann Carlos soll’s irgendwie richten. Kurz vor der Abfahrt gibt das Auto für die Reise den Geist auf. Hilfe kommt von Henne, einem bezaubernden, buddhistischen, (bedingt) brandheißen Bestatter. Der leiht Katja für den Trip nach Spanien einen Leichenwagen, hört zu, wenn sie mal den Lebensmist loswerden muss und hat auch noch andere Qualitäten.
In Spanien ist dann der fast chronisch übellaunige, pedantische und mental steinalte Carlos Kontroletti mit der Gesamtsituation unzufrieden und es wird ungemütlich im warmen Murcia. Als nix mehr geht haut Katha ab und macht sich mit dem Leichenwagen auf eine abenteuerliche Reise - durch diverse Länder und zu sich.

Den Debütroman von Amy Nordberg habe ich quasi in einem Rutsch gelesen, weil ich wissen musste, wie es mit Katha weitergeht. Eine spannende und nachvollziehbare Geschichte, die super zu lesen ist. Man kann sich in Katha hineinversetzen, auch wenn es durchaus widersprüchliche Momente in ihrem Handeln gab, an denen ich mir ein „echt jetzt?“ nicht verkneifen konnte. Die Charaktere in dem Buch sind gut beschrieben, ich habe mir Carlos, Tammy und Henne genau vorstellen können. Vor allen Dingen Henne …
Neben der packenden Geschichte haben mich an dem Roman die Informationen zu Land, Leute und Küche der jeweiligen Station von Kathas Reise begeistert.
Ein toller Roman, der es verdient gelesen zu werden.

Bewertung vom 09.03.2023
Gezählte Tage
Häusler, Martin

Gezählte Tage


ausgezeichnet

Gezählte Tage – Als John Lennon seine Seele verkaufte / Martin Häusler

Das Cover ist schrill, in bunten Farben finden sich hier Jesus, kreischende Girls, die Beatles und im Vordergrund John Lennon mit etwas um den Hals, was wohl der Seeleneinkäufer ist.

Das Buch beginnt in den 1960ern, eine talentierte, jedoch vom Glück eher nicht verfolgte Tanzkapelle aus Liverpool träumt vom großen Erfolg und bemüht sich dafür in Hamburg den Grundstein zu legen. Wer die Geschichte der Beatles ein wenig kennt, weiß, dass die Jahre auf der Reeperbahn kein Ponyhof waren. Und dort soll John Lennon zu Tony Sheridan gesagt:

„Ich weiß, dass die Beatles Erfolg haben werden wie keine andere Gruppe.
Ich weiß es genau, denn für diesen Erfolg habe ich dem Teufel meine Seele verkauft.“

ZACK – und da haben wir die Geschichte, denn genau um diesen diabolischen Deal geht es in dem Buch.

Die Beatles werden in den 60ern weltweit gefeiert und schreiben Songs für die Ewigkeit. Erfolg, Ruhm, Geld, ein feines Leben – alles, was sich John, Paul, George und Ringo gewünscht haben, wird wahr.

Jedoch basiert dieser Ruhm auf der verkauften Seele von John Lennon.

Das Buch handelt primär von ihm, einem Mann, der „Das Gute, das Böse, das Schöne, das Hässliche, der Friede, die Gewalt, die Genügsamkeit, die Gier“ in einer Person ist. So beschreibt sich John Lennon nach einem Traum und genau so habe ich ihn beim Lesen des Buches empfunden.

Wie es John Lennon vom Abschluss des Deals bis zum 8.12.1980 ergeht, wie er lebt, liebt, sich musikalisch entwickelt und experimentiert, wer ihn umgibt, wen er verlässt und wie er versucht mittels Spiritualität, Glaube und Liebe einen Ausweg aus dem Pakt zu finden, wird in der Geschichte von Martin Häusler auf sehr lesbare Art erzählt. Man trifft Freunde, Familie und Weggefährten in einer Geschichte mit fließenden Übergängen zwischen Fakt und Fiktion.

„Gezählte Tage“ ist speziell im allerbesten Sinne, ebenso weird wie berührend, es macht nachdenklich und wirft Fragen auf. Ein tolles Buch – unbedingt lesen!

Bewertung vom 09.03.2023
Das Papierhaus
Domínguez, Carlos María

Das Papierhaus


ausgezeichnet

Das Papierhaus / Carlos María Domínguez

88 Seiten sind nicht gerade ein riesiger Wälzer, aber bei dem Buch „Das Papierhaus“ ist ganz klar Qualität statt Quantität das Motto!

„Im Frühjahr 1998 kaufte Bluma Lennon in einer Buchhandlung in Soho eine alte Ausgabe der Gedichte von Emily Dickinson und wurde an der nächsten Straßenecke, als sie gerade beim zweiten Gedicht angelangt war, von einem Auto überfahren.
Bücher verändern das Schicksal der Menschen.“

Ein ungewöhnlicher Einstieg in ein Buch und ich war neugierig, wie es weitergeht.

Erzählt wird die Geschichte durch einen Kollegen von Bluma Lennon, der ihre Aufgaben an der Universität Cambridge übernimmt und einige Zeit nach ihrem Tod ein an sie adressiertes Paket aus Uruguay erhält. In diesem Paket findet sich ein zerlesenes, verdrecktes, mit Zement verunreinigtes Exemplar von Joseph Conrads „Schattenlinie“ mit einer rätselhaften Widmung von Bluma Lennon an einen dem Erzähler unbekannten Carlos.

Neben dem Wunsch, das Buch an den Absender zurückzubringen und zu erklären, dass Bluma verstorben ist, ist auch die Neugier des Erzählers geweckt, mehr über das Buch, warum es sich in diesem Zustand befindet und den Absender zu erfahren. Zu diesem Zweck macht er sich auf eine aufregende Spurensuche nach Südamerika. Dort erfährt er, wie die Liebe zu Büchern und zur Literatur aussehen können und welche Auswirkungen eine Bücherobsession haben kann – und die Frage der optimalen Sortierung der Druckwerke im Regal ist dabei nur ein Teilaspekt.

Mich hat das Buch von der ersten bis zur letzten Seite gefesselt und zum Ende der Geschichte mehr und mehr nachdenklich gemacht. Es ist eine Liebeserklärung an Bücher, es erzählt vom Leben und vom Lesen und einer großen Leidenschaft für Literatur. „Das Papierhaus“ ist ein Buch mit viel Gefühl.

Ein wunderbares Buch für einen zeitlich überschaubaren Lesemoment, ein feines Geschenk für einen Buchmenschen und eine schöne Geschichte, wenn man Bücher liebt.

Bewertung vom 09.03.2023
Der betrunkene Berg
Steinfest, Heinrich

Der betrunkene Berg


ausgezeichnet

Der betrunkene Berg / Heinrich Steinfest
 
Eine Buchhandlung auf einem Berg in 1.765 m Höhe und ein vor dem Erfrieren geretteter Unbekannter – mir hat der Klappentext gereicht, damit ich neugierig auf das Buch war.
 
Katharina Kirchner betreibt auf einem Berg eine Buchhandlung. Nach persönlich und beruflich bewegten Jahren hat sie sich für dieses Leben entschieden. Von Oktober bis Dezember ist die benachbarte Schutzhütte nicht besetzt und Katharina ist allein auf dem Berg. Bei einer Tour entdeckt sie einen Mann in Sommer-Wanderbekleidung, der halb erfroren im Schnee liegt. Katharina ist überzeugt: „hier oben stirbt keiner“ und rettet „den vom Unglück verzauberten Bären“. Der Fremde kann sich nicht erinnern, wer er ist und was er auf dem Berg wollte. Katharina gewährt ihm den Wunsch, eine Weile bei ihr bleiben zu dürfen und da der richtige Name nicht bekannt ist, einigen sie sich auf den Namen Robert.
 
Die Beiden gestalten den Alltag in der Abgeschiedenheit, indem sie den Buchladen renovieren, Robert seine Qualitäten als Koch unter Beweis stellt und sie sich aus dem Buch „Selbstporträt eines lächelnden Mannes auf der Spitze des Berges“ (ein Buch im Buch mit einer ebenfalls bemerkenswerten Geschichte) vorlesen. Nach und nach kommen Roberts Erinnerungen zurück.
 
„So war die Natur. Ein achselzuckendes, geniales Wesen zwischen Feingeist und Monstrum.“ - und dies gilt nicht nur für die Natur, sondern auch für die Protagonisten des Romans, wie der Leser im Laufe der Geschichte erfährt. Das Buch beginnt unaufgeregt und gelassen, selbst die Entdeckung des Fremden erscheint unspektakulär, jedoch ist von Beginn eine Spannung vorhanden, die durch die unerwarteten Wendungen gesteigert wird, bis die Geschichte ein überraschendes Ende nimmt.

„Die Sonne wirkte so groß und greifbar nahe, als sei sie ein riesiges Loch im Himmel, eine fantastische Wunde, durch die das helle Blut des Universums flutete.“ - der Autor beschreibt Personen, Orte und Situationen wunderbar bildhaft. Ich war beim Lesen mit auf dem „Bücherberg“.

Ein fesselnder, gewaltiger Roman. Unbedingt lesen!

Bewertung vom 09.03.2023
Die Ladenhüterin
Murata, Sayaka

Die Ladenhüterin


ausgezeichnet

Die Ladenhüterin / Sayaka Murata

Schon als Kind ist Keiko Furukara speziell, fehlende Emotionen und unerwartete Verhaltensweisen sind für ihre Familie und ihr Umfeld nicht nachvollziehbar und führen zu Problemen.

~ „Jetzt guck doch mal, Keiko, das ist doch traurig, das arme Vögelchen (ist tot)“, flüsterte meine Mutter unentwegt auf mich ein, aber ich fand das kein bisschen. ~

Keiko erkennt, dass ihr Verhalten ihre Umwelt irritiert. Mit der Strategie nur das Nötigste zu sagen und sich aus allem herauszuhalten, bewältigt sie die Schul- und Unizeit.

~ Meine Freizeit verbrachte ich grundsätzlich allein, persönliche Unterhaltungen führte ich nie. Ich fand überhaupt keinen Anschluss an die Gesellschaft. ~

Während des Studiums nimmt sie einen Aushilfsjob in einem 24/7-Supermarkt an, diesen behält sie auch nach dem Uni-Abschluss, denn der Konbini mit seinem Handbuch,
seinen Regeln und strukturieren Abläufen gibt ihr Sicherheit.

~ Zum ersten Mal war es mir gelungen, am normalen Leben teilzunehmen. Als wäre ich gerade erst geborgen worden. Mein erster Tag im Konbini war mein Geburtstag als normales Mitglied der Gesellschaft. ~

Die Normalität, wie Keiko sie empfindet, ist jedoch nicht real und für die Ewigkeit. Das Imitieren anderer Menschen und maximale Anpassung verhindern nicht, dass es im Leben immer wieder zu irritierenden Situationen kommt.
Mit Mitte 30 muss sie sich dann fragen lassen, warum sie noch immer einen Aushilfsjob ausübt, nicht verheiratet und kein normales Mitglied der Gesellschaft ist. In dieser Situation begegnet sie Shiraha.

„Die Ladenhüterin“ - ein ganz besonderes Buch. Mit seiner Doppeldeutigkeit gibt der Titel bestens auch Keikos Situation wieder. Die Autorin hat einen fluffig-lesbaren Stil, die Charaktere sind gut beschrieben und die Geschichte ist originell.
Die Fragen, was normal ist, wie man zu einem normalen Mitglied der Gesellschaft wird und die damit verbundene Kritik, dass Individualität zur Ausgrenzung führen kann und Konformität eine mögliche Lösung ist, haben mir gut gefallen.

Ein Einblick in die japanische Kultur, eine Geschichte, die lesenswert ist und nachdenklich macht.