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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Xirxe
Wohnort: 
Hannover
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 869 Bewertungen
Bewertung vom 07.04.2021
Frostmond
Buchholz, Frauke

Frostmond


gut

In den letzten 30 Jahren sind mehr als 1.200 indigene Frauen verschwunden oder ermordet worden, wobei die Dunkelziffer sehr wahrscheinlich viel höher liegt. Von einigen dieser Verbrechen handelt das Buch Frostmond, in dem gleich zu Beginn in Montreal die Leiche einer 15jährigen Indianerin gefunden wird. Aufgrund der vielen ungelösten Morde gibt es großen Druck auch von Seiten der Presse, sodass der Profiler Garner aus dem 6.000 km entfernten Regina hinzugezogen wird. Gemeinsam mit der ortsansässigen Polizei machen sie sich auf die Suche, die sich nicht nur wegen der mangelnden Bereitschaft zur Zusammenarbeit der Indigenen schwierig gestaltet, sondern auch aufgrund der sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten der beiden verantwortlichen Ermittler.
Die Untersuchung des Mordfalles entwickelt sich allmählich, ca. bis zur Hälfte liegt der Schwerpunkt eher bei der Beschreibung der beiden Polizisten sowie den Lebensverhältnissen im Reservat, aus dem das ermordete Mädchen stammt. Garner wie auch sein aus Montreal stammender Partner LeRoux erzählen abwechselnd von ihren Nachforschungen wie auch von ihrem Privatleben, wobei bei LeRoux fast die Privataktivitäten überwiegen, mit denen er seinen Frust über die Arbeit vergeblich zu vergessen sucht. Als dritte Stimme kommt ein Cousin und guter Freund der Toten hinzu, Leon, der als Cree und Ich-Erzähler seine Sicht der Dinge schildert.
Die Autorin beschreibt in ihrem Erstling die Lebens- und Gesellschaftsverhältnisse der indigenen EinwohnerInnen sowie das Verhältnis zum Rest der Bevölkerung überzeugend und glaubwürdig. Es ist nicht verwunderlich, wenn die Indigenen kein Vertrauen zur Polizei haben, die offensichtlich geprägt ist von Vorurteilen und Rassismus. Etwas weniger überzeugend wirkten die Figuren der beiden Ermittler auf mich, wobei insbesondere LeRoux mehrfach Kopfschütteln bei mir auslöste, aber die gute Geschichte ließ mich leicht darüber hinwegsehen.
Doch leider gerät das letzte Viertel des Buches für meinen Geschmack zu sehr in den Bereich der Phantasie. Die beiden Polizisten werden zum Superhelden bzw. zur tragischen Gestalt und wenn schon nicht das Recht siegt, dann zumindest die Gerechtigkeit - was nicht unbedingt das Schlechteste ist. Auf jeden Fall bietet es so schon fast zwangsläufig den Raum für eine Fortsetzung - mit einem vielleicht (oder hoffentlich?) etwas glaubwürdigerem Ende.

Bewertung vom 07.04.2021
Der gekaufte Tod
Mack Jones, Stephen

Der gekaufte Tod


gut

Nach einem Jahr Auszeit kehrt August Snow, Ex-Cop, Multimillionär, zurück nach Mexicantown in Detroit, dem Viertel in dem er aufgewachsen ist, um neu zu beginnen. Doch kurz nach seiner Ankunft wird er von einer der vermögendsten und einflussreichsten Frauen der Gegend beauftragt, sich um die Vorgänge in ihrer Bank zu kümmern. August lehnt ab, doch als sie kurz danach tot aufgefunden wird, lässt ihm sein schlechtes Gewissen keine Ruhe. War es wirklich Selbstmord? August beginnt zu ermitteln und stößt in ein Wespennest.

Zu Beginn ist schnell klar: Heimlicher Mittelpunkt dieses Krimis ist die Stadt Detroit. Stephen Mack Jones lässt seinen Protagonisten August Snow ausführlich und durchaus witzig über den Verfall der Stadt und seine Ursachen erzählen, was ihm überzeugend gelingt. Der eigentliche Fall jedoch gestaltet sich für mein Empfinden recht verwirrend, was vielleicht daran liegen könnte, dass eine vergangene Geschichte, die August die sagenhafte Summe von 12 Millionen Dollar Schadensersatz eingebracht hat, immer wieder mit neuen Details erwähnt wird. Dazu die Geschichten zu Augusts Familie, seinen Freunden und das Leben in Detroit – der Krimi gerät fast ein bisschen ins Hintertreffen.

Zuguterletzt gibt es einen Showdown, bei dem vermutlich bereits an die Verfilmung gedacht wurde. Die Helden kämpfen gegen eine Überzahl und und unter Einsatz aller ihrer Kräfte und Feuerwaffen und bleiben natürlich siegreich, denn es gibt eine Fortsetzung. Das Ende wirkt zudem ein bisschen zerfasert, denn aus einem Fall werden plötzlich zwei, wobei beide nur für August mehr oder weniger gelöst sind.

Insgesamt ein politisch sehr korrekter Krimi, denn der Held hat einen afroamerikanischen Vater und eine mexikanische Mutter; er verteilt sein Geld großzügig an die Schwachen und Armen und setzt Gerechtigkeit auch da durch, wo es vor dem Recht keine gibt. Für ein Debüt nicht schlecht, aber Potential nach oben ist durchaus vorhanden.

Bewertung vom 07.04.2021
Dinge, die so nicht bleiben können
Bauer, Michael Gerard

Dinge, die so nicht bleiben können


ausgezeichnet

An der Uni ist Tag der offenen Tür. Sebastian, 16 Jahre, extrem schüchtern und hoffnungslos romantisch, wartet im Foyer eines Kinos ohne wirklichen Grund auf ein bestimmtes PWW – ein perfektes weibliches Wesen. Statt dessen lernt er Frida kennen: frech, schlagfertig und ziemlich schräg. Wie auch Sebastian ist sie meisterhaft im Geschichtenerfinden, doch bald wird es immer nebulöser, was von dem, was sie über sich selbst erzählt, tatsächlich stimmt. Aber auch Sebastian ist zurückhaltend mit der Wahrheit …

Es sind ernste Dinge, die die beiden Jugendlichen zu verarbeiten haben; es geht um Trauer, Verletzung, Gewalt, Einsamkeit. Doch keiner von Beiden will (natürlich) offen darüber reden und so liefern sie sich statt dessen einen verbalen Schlagabtausch voller Witz, Intelligenz und Schlagfertigkeit, der jedoch über ihre Verletzlichkeit nicht hinwegtäuschen kann. Gemeinsam mit Sebastians Freund Tolly, der auf der Sonnenseite des Lebens steht, nähern sie sich sehr vorsichtig einander an, was trotzdem für eine/n noch immer zu schnell geht.

Michael Gerard Bauer hat hier ein tolles Jugendbuch geschrieben, dass mit den Problemen in diesem Alter (und noch ganz anderen) nicht hinterm Berg hält, diese jedoch geschickt unter mehr oder weniger geistreichen, aber stets witzigen Wortspielen und Frotzeleien verbirgt, die von Ute Mihr grandios übersetzt sind. Ich bin mir sicher, Jugendliche werden das Buch lieben – Erwachsene auf jeden Fall auch.

Bewertung vom 07.04.2021
Leichenblume / Heloise Kaldan Bd.1
Hancock, Anne Mette

Leichenblume / Heloise Kaldan Bd.1


gut

Gerade als die erfolgreiche Journalistin Heloise Kaldan durch einen Skandal schwer angeschlagen ist, erhält sie von einer Frau, die seit Jahren als Mörderin zur Fahndung ausgeschrieben ist, einen Brief. Aufgrund des teils persönlichen Inhaltes wird sie auf diesen Fall angesetzt und bringt damit nicht nur sich ungeahnt in Lebensgefahr.

Die Geschichte ist ausgesprochen rätselhaft und ich habe vergleichsweise lange gebraucht, bis mir die Zusammenhänge klar waren. Zwar werden häufig Krimilesende vermutlich bald einen Verdacht haben in welche Richtung es geht, aber so richtig löst sich das Ganze erst später auf.

Schwerpunkt ist die Recherchearbeit in Bezug auf die gesuchte Mörderin, bei der Heloise auch Kommissar Erik Schäfer zur Seite steht. Obwohl sie nicht viel gemeinsam haben, entsteht schnell ein Vertrauensverhältnis zwischen den Beiden.

Der Krimi ist bemerkenswert wenig brutal, es gibt kaum blutige und/oder grausame Szenen, was kein Manko darstellt. Hingegen fällt der zum Ende hin zunehmende Mangel an Logik deutlich mehr auf: Wieso werden einem Verurteilten keine Fragen zu seinen Hintermännern gestellt? Wieso führen Schuldgefühle, die ganz offensichtlich schon früher vorhanden waren, erst jetzt zur Bereitschaft, Dinge offenzulegen?

Doch die Ausgangslage ist gut gewählt – ich habe eine Weile gebraucht, bis ich den Überblick hatte.

Bewertung vom 07.04.2021
Das Leben ist zu kurz für irgendwann
Geraghty, Ciara

Das Leben ist zu kurz für irgendwann


sehr gut

m Buchladen hätte ich dieses Buch aufgrund des kitschigen Covers und merkwürdigen Titels keines weiteren Blickes gewürdigt. Da ich es jedoch überraschend als Rezensionsexemplar bekommen habe, habe ich mich, wenn auch skeptisch, daran gewagt. Und kaum zu glauben, es hat mir gefallen.

Terry und Iris sind beste Freundinnen, auch wenn sie kaum gegensätzlicher sein könnten. Iris liebt das Leben und lässt sich trotz ihrer schweren MS-Krankheit nicht unterkriegen. Terry hingegen, die Ich-Erzählerin, ist voller Ängste und kann sich ein Leben ohne sorgfältige Planung und Organisation nicht vorstellen. Als sie erfährt, dass Iris aufgrund ihrer Krankheit in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchte und bereits auf dem Weg dorthin ist, reist sie ihr ganz entgegen ihrer Gewohnheiten spontan nach, inklusive ihres dementen Vaters. Eine ungewöhnliche Reise nimmt ihren Lauf …

Ok, Manches in diesem Buch ist vermutlich wirklich zu schön, um auch nur annähernd wahr zu sein. Beispielsweise wäre eine solche Reise mit einem schwer dementen alten Mann wohl für alle Beteiligten in der Realität eine Tortur, und nicht wie hier der Auslöser für so einige amüsante Geschehnisse. Aber sei’s drum – Terry erzählt so herrlich naiv-ängstlich-liebevoll von all den Ereignissen, dass ich die meiste Zeit ein Grinsen im Gesicht hatte. Dennoch gelingt es der Autorin, die Dimensionen der Themen Sterbehilfe und Demenz immerhin ansatzweise darzustellen, was angesichts der humorvollen Erzählweise schon erstaunlich ist.

Alles in allem eine wirklich unterhaltsame Lektüre zu ganz und gar nicht seichten Themen – für mich eine wirklich gelungene Überraschung.

Bewertung vom 20.03.2021
Hard Land
Wells, Benedict

Hard Land


ausgezeichnet

Im Sommer 1985 findet der 15jährige Sam nicht nur einen Ferienjob in einem Kino, sondern auch Freunde und er verliebt sich zum ersten Mal. Obwohl seine Mutter schwer krank ist, erlebt er die schönsten Monate seines Lebens. Zum ersten Mal ist er anerkannt und kein Sonderling wie in der Schule. Doch dann trifft ihn ein schwerer Schicksalsschlag, der alles wieder zunichte zu machen scheint.
Es ist keine außergewöhnliche Geschichte, die Benedict Wells uns erzählt, sondern vielmehr ein typischer Jugendlichensommer wie er sein sollte, angereichert mit jeder Menge Beigaben aus den 80ern. Nicht zuletzt auch mit einer Playlist der im Buch erwähnten Songs, von der man im Anhang erfährt, wo man sie finden kann.
Wunderschön ist die Sprache, in der der Autor Sam als Ich-Erzähler von dieser Zeit berichten lässt. Einerseits gibt es tragische Ereignisse, die einem als Lesenden fast das Herz zerreißen (ich gebe zu, ich habe hin und wieder ein Tränchen verdrückt), aber kurz danach schildert er selbstironisch Szenen, bei denen man laut lachen muss. Wells trifft den Ton wie auch die Gedanken und Gefühle des später 16jährigen so gut, dass einem Sam schnell ans Herz wächst und man mit ihm leidet, sich freut, ärgert und jubelt.
Auch wenn die Zielgruppe Erwachsene zu sein scheinen und das Umfeld die Südstaaten der USA Mitte der 80er sind, werden sich vermutlich auch heutige Jugendliche in Europa schnell mit Sam identifizieren und mitfühlen können, was ihn bewegt. Denn diese Dinge sind universell und nicht auf Zeit oder Raum begrenzt.
Mit dem letzten Teil hadere ich etwas, denn hier ist der Hang zum Happyend selbst mir

3 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 10.03.2021
Mission Pflaumenbaum
Wonneberger, Jens

Mission Pflaumenbaum


gut

Kramer, der keinen Vornamen zu haben scheint (oder habe ich den überlesen?), besucht übers Wochenende seine verheiratete Tochter auf dem Land, zu der er kein besonders enges oder gutes Verhältnis hat. Auf dem Weg von der Bushaltestelle zu ihrem Haus trifft er einen alten Mann, der ihn ungefragt mit Informationen über das Dorf versorgt und dem er ihm Laufe des Wochenendes immer wieder begegnet. Das Zusammensein mit seiner Tochter und seinem Schwiegersohn gestaltet sich nicht unproblematisch, sodass Kramer sich fast schon nach der Gesellschaft des schrulligen Alten sehnt.
Tja, viel mehr passiert auch nicht an diesem Wochenende

Bewertung vom 04.03.2021
Kim Jiyoung, geboren 1982
Cho, Nam-joo

Kim Jiyoung, geboren 1982


ausgezeichnet

Kim JiYoung ist eine junge Frau in Seoul, studiert, glücklich verheiratet und Mutter eines kleinen Mädchens – eigentlich ein perfektes Leben. Eigentlich … Denn plötzlich verwandelt sie sich im Beisein ihres Mannes in andere Personen: ihre Mutter, eine frühere Freundin, immer Frauen aus ihrem näheren Umfeld.

Cho Nam-Joo erzählt sachlich und neutral die Lebensgeschichte JiYoungs, die sich vermutlich nur wenig von der anderer Südkoreanerinnen unterscheidet. Im Vergleich zur Generation ihrer Mutter eher modern aufgewachsen, muss sie nach Schule und abgeschlossenem Studium feststellen, dass die Begünstigungen ihrer Studienkollegen im Arbeitsleben noch wesentlich größer sind als zuvor, obwohl deren Abschlüsse deutlich schlechter sind. Und auch im Alltag muss sie immer wieder realisieren und selbst erfahren, wie respektlos Männer mit Frauen umgehen und auf sie herabschauen.

Die Geschichte ist ein einziges Trauerspiel, das nüchtern aufzeigt (zeitweilig wie ein Sachbuch), wie immens die Benachteiligung von Frauen noch immer ist. Auch wenn Südkorea wirtschaftlich betrachtet ein fortschrittliches Land sein mag, gesellschaftspolitisch scheint es sich in der Steinzeit zu befinden. Doch es wäre unbillig, alleine Südkorea an den Pranger zu stellen. Denn Kim JiYoungs Erlebnisse sind universal – ich wette: Jede Frau wird sich in diesem Buch wiederfinden; die eine mehr, die andere weniger, aber alle haben ihre Erfahrungen gemacht mit Benachteiligungen, Feindlichkeiten und Respektlosigkeiten ihresgleichen gegenüber.

Auch wenn Viele das Wort Emanzipation nicht mehr hören können oder wollen: Dieses Buch macht überdeutlich, dass es noch ein weiter Weg ist, und zwar auf der ganzen Welt, bis wir tatsächlich von Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann reden können.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Die Experten
Kröger, Merle

Die Experten


ausgezeichnet

Nach dem Ende des II. Weltkrieges waren die deutschen Nazi-Wissenschaftler begehrte Arbeitskräfte; die USA wie auch die Sowjetunion holten mehr als 1.000 von ihnen ins Land. Doch nicht nur bei den Siegermächten war das Interesse groß an den erfahrenen Raketenbauern und Flugzeugingenieuren – auch in Ägypten fanden sie besondere Beachtung. Ab Anfang der 60er Jahre begannen immer mehr deutsche Staatsbürger an ägyptischen Rüstungsprojekten mitzuarbeiten, was nicht nur wegen Deutschlands Vergangenheit heikel war, sondern ebenso dass ehemalige Nazigrößen mitmischten.

Hier setzt Merle Krögers Roman ein, der eher eine spannende Familiengeschichte als ein Thriller ist (was aber keine Abwertung sein soll!). Die 16jährige Rita muss mit ihrer Familie nach Ägypten, genauer nach Kairo ziehen, wo ihr Vater im Auftrag der dortigen Regierung gemeinsam mit früheren Kollegen Flugzeuge konstruieren soll. Nur der ältere Bruder bleibt zurück, der sich so gar nicht in Vaters gewünschte Richtung entwickelt. Rita beginnt als Sekretärin zu arbeiten im Bereich der Raketenbauer und stellt bald fest, dass ihr neues Leben doch nicht so übel ist. Als Expertentochter genießt sie jede Menge Privilegien und die Familie ist finanziell gut aufgestellt; Kairo und überhaupt Ägypten sind aufregend schön. Aber plötzlich geschehen Dinge, die sie das Tun der Deutschen in Frage stellen lässt. An ihrem Arbeitsplatz detonieren Briefbomben, die Tote und Verletzte zur Folge haben; ein Kollege verschwindet und es machen die verschiedensten Gerüchte die Runde.

Die Geschichte Ritas basiert auf der Familiengeschichte einer Freundin Merle Krögers, die geschickt mit den wahren historischen Geschehnissen im Zusammenhang mit den Experten in Ägypten verflochten wird. Alle realen Figuren werden in dokumentarischer Form (knapp und sachlich) dargestellt, sowohl für vergangene wie auch künftige Zeiträume, was des öfteren zu ungläubigem Staunen bei mir führte (Wie, so ein Nazi an so einer Stelle?). Auszüge aus BND-Akten sowie Artikel aus diversen Zeitschriften und Zeitungen ergänzen das Ganze und vermitteln auf diese Weise einen Überblick über die damalige gesellschaftliche Situation im Nahen Osten wie auch in Deutschland.

Merle Krögers Schreibstil mag nicht Allen gefallen. Sie schreibt meist kurz und knapp im Präsens, detailliert und meist sehr sachlich. Dennoch ist das Buch trotz seiner fast schon dokumentarischen Form spannend, unterhaltsam und nicht zuletzt informativ. Ein historischer (Thriller)Roman und Geschichtsschreibung in seiner besten Form!!!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 04.03.2021
Das Verschwinden der Erde
Phillips, Julia

Das Verschwinden der Erde


sehr gut

Kamtschatka ist als weitgehend unberührtes Naturparadies bekannt, in dem Besuchende Vulkane, Geysire, Braunbären und mehr entdecken können. Doch wie die Menschen in diesem dünn besiedelten Teil Russlands (die Halbinsel ist etwas größer als Deutschland mit ca. 310.000 dort Lebenden verschiedener Ethnien) leben, dürfte weitestgehend unbekannt sein.
Julia Phillips erzählt in monatlichen Abständen in 13 Geschichten von Frauen und Mädchen, die in irgendeiner Form mit dem Verschwinden zweier kleiner Mädchen in Berührung gekommen sind; sei es durch Pressemitteilungen, Verwandtenberichte oder ähnlichem. Auch wenn der Vermisstenfall scheinbar im Vordergrund steht (das erste Kapitel handelt davon), ist er letztlich ’nur‘ die Verbindung zwischen den Frauen über die hier berichtet wird, die aus den verschiedensten Gegenden der Halbinsel kommen und so unterschiedlich sind wie ihre Herkunft. Männer, zumindest wenn sie leben, tauchen in diesen Geschichten fast nur als unangenehme Zeitgenossen auf: Schwätzer, unzuverlässig, autoritär, sexistisch – nur die Toten scheinen die wirklich Guten zu sein.
Durch die Porträts dieser Frauen, die meiner Meinung nach nicht alle gelungen sind, entsteht ein Panorama der Gesellschaft Kamtschatkas, die sich aufgrund diverser Missstände wie fehlender Infrastruktur, Korruption und Rassismus gegenüber Indigenen und Gastarbeitern mühsam durchs Leben kämpft. Doch nicht nur das Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen ist schwierig, auch die Indigenen selbst haben Probleme innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft: Generationenkonflikte, das Festhalten an Traditionen gegen die Wünsche der Jüngeren, Engstirnigkeit und ebenso hier Rassismus.
Auch wenn es sich praktisch um einzelne Geschichten handelt: Durch das geschickte Einflechten von kurzen Sätzen, meist ganz beiläufig, erfährt man immer wieder etwas über das Schicksal der Frauen, die schon erwähnt wurden. Manchmal ist auch etwas detektivischer Scharfsinn gefragt um sich Zusammenhänge aus vorhergehenden Kapiteln zu erschließen, was das Lesevergnügen aber nicht mindert, ganz im Gegenteil. Schlussendlich versöhnt das Ende mit all den offenen Fragen, die eventuell noch geblieben sind, sodass ich das Buch mit einem zufriedenen Seufzer zur Seite legte.
Vor dem Hintergrund der grandiosen Landschaft Kamtschatkas zeigt die Autorin das Leben von Frauen, die wenig bis nichts verbindet, aber eines gemeinsam haben: Wünsche und Sehnsüchte, die wohl nie in Erfüllung gehen werden.