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nessabo

Bewertungen

Insgesamt 85 Bewertungen
Bewertung vom 20.07.2024
Love, unconventionally
Joyce, Lola

Love, unconventionally


gut

Leichter Lesefluss und tolles Plädoyer für mehr Toleranz, für mich aufgrund der Protagonistin aber nicht so passend

Der Roman liest sich auf jeden Fall super schnell, der Schreibstil ist also sicher zugänglich für viele Menschen. Ich finde ihn thematisch spannend und war super überrascht vom großen Thema! Dafür gibt es von mir auch Pluspunkte, denn Sexarbeitsfeindlichkeit ist so präsent in dieser Gesellschaft und im Rahmen eines Romans für den Abbau von Vorurteilen zu kämpfen, lobe ich sehr. Dass es einige spicy Szenen gab, hat mir ebenso gut gefallen. 🌶️

Auch, dass es diverse Figuren und Lebensmodelle im Roman gab, finde ich gut. Sprachlich gab es für mich hingegen ein paar Dinge, die noch verbessert und inklusiver formuliert werden können.

Es fehlte mir zudem etwas am Comedy-Aspekt, ich würde es eher als Romance mit einem klaren Plädoyer für mehr Toleranz und sexuelle Freiheit einordnen.

Mein Hauptkritikpunkt ist, dass ich einfach gar keinen Bezug zu Claire hatte und mir Leon wiederum zu eindimensional war. Klar, er hat das große Geheimnis, aber ansonsten scheint er keine "Fehler" zu haben. Ich mag ambivalente Figuren lieber, aber das ist nur meine persönliche Präferenz. Ich verstehe auch, dass viele Menschen so nette Charaktere super schön finden. 
Claire ist einfach gar nicht mein cup of tea. Wir sind zwar ähnlich alt, aber mir gingen ihr Selbstmitleid und ihre sich ständig wiederholenden Gedankengänge mit den ganzen Vorurteilen ehrlicherweise auf die Nerven. Ich bin aber in meinem Toleranzdenken einfach schon deutlich weiter und sehe mich deshalb nicht als Zielgruppe des Romans.

Ich empfehle das Buch für Menschen, die keine Berührungsängste haben und sich vielleicht bezüglich des eigenen Toleranzdenkens testen wollen. Dafür ist der Roman nämlich wirklich gut geeignet und wird dann für eine gute Lesezeit sorgen.

Bewertung vom 18.07.2024
Die schönste Version
Thomas, Ruth-Maria

Die schönste Version


ausgezeichnet

Auf die schmerzvollste Art schön

TW: häusliche und sexualisierte Gewalt

Ruth-Maria Thomas hat hier ein unglaublich schmerzvolles und intensives Debüt geschaffen, mit dem ich mich in Teilen viel zu stark identifizieren konnte.

Jella und Yannick führen eine Beziehung, die gesellschaftlich gern als „leidenschaftlich“ bezeichnet wird. Die Autorin zeichnet in „Die schönste Version“ auf zwei Zeitebenen eindrücklich die Dynamiken einer toxischen Beziehung. Wie konnte es dazu kommen, dass Jella trotz einer zu Beginn so wunderschön erscheinenden Partnerschaft eines Tages auf dem Polizeirevier sitzt und Anzeige erstattet - mit den Würgemalen noch am Hals?

Dabei behandelt der Roman nicht nur, warum Frauen in gewaltvollen Partnerschaften bleiben, sondern auch das Aufwachsen als Frau in einer durch und durch misogynen Gesellschaft. Das Setting einer Kleinstadt in der Lausitz während der 00er-Jahre setzt der Handlung für mich persönlich das Krönchen auf. Die Perspektivlosigkeit junger Menschen in dieser strukturschwachen Gegend aber auch die Verbundenheit mit ihr ist immer wieder spürbar.

Thomas zeichnet komplexe, ambivalente und nahbare Charaktere. Jella bemüht sich entsprechend der patriarchalen Erwartungen von Anfang an darum, Männern zu gefallen. Ihre ersten sexuellen Erfahrungen sind entsprechend so schrecklich wie sie nur sein können. Bei allen Fragen, die sie sich danach stellt, war mir schlecht vor Wut und Trauer. „Ist wirklich etwas passiert? War es denn überhaupt so schlimm? Hätte ich klarer kommunizieren müssen?“ In welcher Welt leben wir, dass Gewaltopfer sich diese Fragen stellen - und warum hat sich das einfach kein Stück verändert? 💔

Doch Jella ist auch impulsiv, verletzt andere Menschen, während sie versucht, die Kontrolle über ihr Leben wiederzuerlangen. Das macht sie für mich als Figur unglaublich spannend und greifbar. Gleichzeitig schafft es die Autorin, niemals ernsthaft zu vermitteln, Jella sei auch nur in Teilen mitschuldig an dem, was ihr passiert. Das halte ich für ein großes Talent, denn die Protagonistin wird mit diesen Fragen ständig konfrontiert. Wieder und wieder zeigen sich außerdem ihre Traumata und das schiere Ausmaß derer hat mich zerstört. 😭

Wir begleiten Jella während der 11 Tage nach der Tat. Ihren Freundinnen öffnet sie sich erst extrem spät und während auch dieser Punkt mir so unfassbar weh getan hat, war das Thema Freundinnenschaft immer wieder auf heilsame Art präsent.

Und so lässt mich der Roman auch zurück: mit schmerzendem, aber auch irgendwie geheiltem Herzen und der Frage, warum ich so viel Lebenszeit mit den unerreichbaren Idealen des Patriarchats verschwendet habe statt mit meinen Freundinnen eine gute Zeit zu haben. Ich bin beeindruckt vom Schreibstil der Autorin, auch wenn er phasenweise aufgrund seiner fragmentarischen Art herausfordernd war. Doch das passt meiner Meinung nach perfekt zum Inhalt, welcher ebenso Zeit und Raum zum Reflektieren braucht. Ein Text, der einfach weggeatmet werden kann, hätte dem widersprochen.

Achtet auf die Triggerwarnungen, aber lest dieses Buch, wenn ihr könnt. Ich denke, es kann ganz viele Menschen erreichen. Ob mit oder ohne Gewalterfahrung, ob Millenial oder nicht. Die grundlegenden Dynamiken haben sich leider nicht merklich verändert. 2023 waren 70,5 % aller Opfer häuslicher Gewalt weiblich. Jeden Tag versucht ein Mann, seine (Ex-)Partnerin zu ermorden, jeden 3. Tag gelingt es ihm. Wir müssen Betroffenen glauben und dürfen ihnen keine Schuld zusprechen, denn kein Mensch hat das Recht, einem anderen das Leben zu nehmen oder es zu bedrohen. Genau das vermittelt der Roman auf die schmerzvoll-schönste Art. ❤️‍🩹

4,5 Sterne

Bewertung vom 16.07.2024
The Summer of Broken Rules
Walther, K. L.

The Summer of Broken Rules


gut

Sommerliche RomCom, die mir phasenweise zu seicht, unlogisch und emotional einseitig war

Wer nach einer seichten Geschichte für den Sommer sucht, ist hier an der richtigen Stelle. Ich hatte mit dem Buch auch ein gutes Leseerlebnis, doch es kann für mich nicht mit anderen RomComs mithalten.

Das sommerliche Setting auf Martha’s Vineyard, wo die Autorin selbst viele Sommer verbrachte, ist super schön. Auch die beschriebenen Figuren sind eigentlich alle liebenswert, respektvoll und einfach nett. Sehr gut gefallen hat mir das Spiel „Killer“, in dem sich die Teilnehmenden gegenseitig mit Wasser „umbringen“ müssen. Da das Spiel 24 h am Tag läuft, entsteht eine spannende, aber gleichzeitig auch harmlose Dramatik.

Ich habe aber auch einige Punkte, die „The Summer of Broken Rules“ für mich einfach nicht zu einer perfekten RomCom machen. Zum einen hätte die Liebesgeschichte deutlich tiefer sein können. Klar, die beiden sind noch nicht einmal 20, aber das Buch ist ja kein YA und da hätte es für mich ruhig expliziter sein können. Und obwohl ich die liebevolle Familiendynamik sehr mochte und sogar heilsam fand, waren mir die Charaktere damit irgendwie auch zu eindimensional. Außer der Liebe zwischen den Figuren habe ich emotional nicht wirklich viel greifen können. Selbst die beschriebene Trauer Merediths um ihre verstorbene Schwester konnte ich nicht so richtig fühlen. Und Wit blieb mir bis zum Ende mehr oder weniger ein Rätsel. So richtig viel habe ich nicht von seinem Charakter mitbekommen, außer dass er sanft zu sein scheint.
Auch die Handlung fand ich nicht so ganz rund. Ich brauche nicht zwangsläufig enormes Drama, aber die Geschichte plätscherte teilweise zu doll vor sich hin. Außerdem hatte ich einige Stolpermomente, in denen die Figuren etwas gemacht haben, das für mich recht unlogisch erschien. Ich hatte da den Eindruck, die Autorin wollte bestimmte Dinge einfach reinschreiben, auch wenn es nicht so richtig passte.

Trotz meiner Kritik lässt sich das Buch super schnell und leicht lesen. Ich empfehle es Menschen, die Drama nicht wirklich brauchen und stattdessen einen Sommer-Roman über eine funktionierende, liebevolle Familie lesen wollen. 3,5 ⭐️

Bewertung vom 14.07.2024
Für uns gibt es keinen Namen
Manzini, Gaia

Für uns gibt es keinen Namen


sehr gut

Besonderer Beziehungsroman, sprachlich anspruchsvoll und in seiner Komplexität schmerzhaft

Das schlichte Cover hätte mich im Laden nicht angesprochen, der Klappentext hat mich aber sehr neugierig gemacht. Und ich wurde wirklich positiv überrascht, auch wenn ich das Buch in mehrerlei Hinsicht nicht einfach fand.

Gaia Manzinis Sprache empfinde ich durchaus als anspruchsvoll. Sie ist zwar schnörkellos und klar, doch durch etliche Sprünge und relativ wenige Dialoge fiel es mir phasenweise schwer, nicht gedanklich abzuschweifen. Einmal wirklich im Lesefluss kam ich aber auf eine unerwartet tiefe Emotionsebene und das bewerte ich als sehr positiv. An einigen Stellen war die Übersetzung etwas holprig oder fehlerhaft, da dürfte also nachjustiert werden.

Wo genau die Handlung hingeht, ist eigentlich an keiner Stelle klar. Ada ist zerrissen, gehört scheinbar nirgends so recht hin und mindestens genauso schwierig ist die Einordnung ihrer zwei Haupt-Beziehungen: die zu ihrem Kollegen Alessio und zu ihrer Tochter Claudia. Während sie zu Alessio in Mailand eine enge und emotional tiefe Bindung aufbaut, ist die Beziehung zu ihrer Tochter sehr distanziert. Wenig verwunderlich, war diese schließlich auch nicht gewollt und wächst bei Adas Mutter am Lago Maggiore auf. Auch die Beziehung zwischen Ada und ihrer Mutter ist keine klare oder leichte.

Ich bin zwischen Mitgefühl und Unverständnis hin- und hergesprungen. Die Autorin hat ein großes Talent für die Ambivalenzen im Leben. So fand ich es einerseits total verständlich, dass Ada aufgrund der Schwangerschaft im Jugendalter keine gute Bindung zu ihrer Tochter aufbauen konnte/wollte. Andererseits empfand ich den Umgang mit ihr phasenweise auch als ziemlich hart. Die romantische Liebe zu Alessio scheint aufgrund dessen Homosexualität nicht möglich zu sein, was ich ehrlicherweise nicht so recht nachvollziehen konnte. Wo Liebe ist, kann doch auch eine Beziehung möglich sein, oder? Diktiert das Label hier nicht ein bisschen zu sehr das reale Leben? Aber auch das sind Fragen, die lange bei mir als Leserin nachwirken. Und ich würde auch sagen, dass der Roman alle Lesenden herausfordert, darüber nachzudenken, ob wir fremde Beziehungen überhaupt einordnen und bewerten sollten oder ob wir sie nicht einfach in ihrer Komplexität und Individualität wertfrei betrachten können.

Das Buch hat mich nach Startschwierigkeiten aufgrund der fragmentarischen und sprunghaften Sprache wirklich positiv überrascht. Ich empfehle es allen, die besondere Beziehungsromane mögen, Lust auf Fühlen haben und gern den eigenen Reflektionsprozessen Raum geben. Weiterhin denke ich, dass es sinnvoll ist, das Buch in einem Rutsch zu lesen, weil dann erst die dem Text inhärenten Emotionen wirken können. Kein leichter, aber ein umso bemerkenswerter Roman.

Bewertung vom 12.07.2024
Forgotten Garden
Gosling, Sharon

Forgotten Garden


ausgezeichnet

Ein wohltuendes Plädoyer für Gemeinschaft, Zusammenhalt und Naturverbundenheit

„Forgotten Garden“ war mein erstes Buch von Sharon Gosling, ein anderes stand aber bereits auf meiner Leseliste. Und ich hatte eine wunderschöne Lesezeit mit diesem Roman, der mir viel Hoffnung in die Menschheit geschenkt hat.

Luisa hat sich nach dem traumatischen Tod ihres Mannes von ihrer Leidenschaft als Landschaftsarchitektin zurückgezogen, bekommt aber die Chance, im abgelegenen Collaton einen Gemeinschaftsgarten aufzubauen. Dort trifft sie nicht nur auf den Boxlehrer Cas, sondern auch auf die Schülerin Harper, die sich mit Unterstützung von Cas gegen die Widrigkeiten ihres Lebens zu stellen versucht.

Alle Figuren fand ich wundervoll geschrieben und haben mein Herz erwärmt. Ich finde es so wichtig, gerade in strukturschwachen Gegenden Gemeinschaftsprojekte aufzubauen und genau darum geht es auch in diesem Roman. Die anfängliche Skepsis der Anwohner*innen weicht irgendwann der Freude an Gemeinschaft und das hat mich sehr berührt. Der Roman hatte für mich ein gutes Maß an Drama und wird vor allem getrieben von Menschen, die aneinander glauben und füreinander einstehen. Der kleine Küstenort ist authentisch und sehr greifbar beschrieben. Und die Schilderungen über den Gemeinschaftsgarten haben mir richtig Lust auf’s Gärtnern gemacht. 😊

Ich würde das Buch vor allem Menschen empfehlen, die eine leichte Geschichte suchen, welche trotz allem erstaunlich viel Tiefgang hat und wichtige Themen wie Jugendkriminalität, Trauma und Naturverbundenheit aufgreift. Sicherlich sind einige Elemente der Handlung etwas sehr optimistisch und unrealistisch, aber wenn mensch so etwas sucht, ist der Roman perfekt. Der Romance-Aspekt hätte für mich stärker ausgeprägt sein können, das ist aber meine einzige Kritik.

4,5 Sterne

Bewertung vom 12.07.2024
Forgotten Garden (eBook, ePUB)
Gosling, Sharon

Forgotten Garden (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein wohltuendes Plädoyer für Gemeinschaft, Zusammenhalt und Naturverbundenheit

„Forgotten Garden“ war mein erstes Buch von Sharon Gosling, ein anderes stand aber bereits auf meiner Leseliste. Und ich hatte eine wunderschöne Lesezeit mit diesem Roman, der mir viel Hoffnung in die Menschheit geschenkt hat.

Luisa hat sich nach dem traumatischen Tod ihres Mannes von ihrer Leidenschaft als Landschaftsarchitektin zurückgezogen, bekommt aber die Chance, im abgelegenen Collaton einen Gemeinschaftsgarten aufzubauen. Dort trifft sie nicht nur auf den Boxlehrer Cas, sondern auch auf die Schülerin Harper, die sich mit Unterstützung von Cas gegen die Widrigkeiten ihres Lebens zu stellen versucht.

Alle Figuren fand ich wundervoll geschrieben und haben mein Herz erwärmt. Ich finde es so wichtig, gerade in strukturschwachen Gegenden Gemeinschaftsprojekte aufzubauen und genau darum geht es auch in diesem Roman. Die anfängliche Skepsis der Anwohner*innen weicht irgendwann der Freude an Gemeinschaft und das hat mich sehr berührt. Der Roman hatte für mich ein gutes Maß an Drama und wird vor allem getrieben von Menschen, die aneinander glauben und füreinander einstehen. Der kleine Küstenort ist authentisch und sehr greifbar beschrieben. Und die Schilderungen über den Gemeinschaftsgarten haben mir richtig Lust auf’s Gärtnern gemacht. 😊

Ich würde das Buch vor allem Menschen empfehlen, die eine leichte Geschichte suchen, welche trotz allem erstaunlich viel Tiefgang hat und wichtige Themen wie Jugendkriminalität, Trauma und Naturverbundenheit aufgreift. Sicherlich sind einige Elemente der Handlung etwas sehr optimistisch und unrealistisch, aber wenn mensch so etwas sucht, ist der Roman perfekt. Der Romance-Aspekt hätte für mich stärker ausgeprägt sein können, das ist aber meine einzige Kritik.

4,5 Sterne

Bewertung vom 10.07.2024
Wo die Asche blüht
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


ausgezeichnet

Ein unfassbar dichtes, gut recherchiertes, multidimensionales und überwältigend emotionales Buch

Das Buch war ein überraschendes Highlight, denn eigentlich lese ich nicht so gern Romane mit deutlich historischem Bezug. Konkret zum Vietnamkrieg und der Zeit danach hatte ich beschämend wenig Wissen, aber Nguyễn Phan Quế Mai schafft es, mit viel Eleganz eine enorme Dichte an Fakten in die Handlung einzuflechten.

Im Zentrum des Romans steht das Schicksal der Amerasier*innen - die Kinder US-amerikanischer Soldaten und vietnamesischer Frauen. Diese sahen sich nach Ende des Krieges starker Diskriminierung gegenüber, da sie „vom Feind abstammten“. Zu ihrer Unterstützung gab es verschiedene Projekte, die eine Migration in die USA ermöglichen sollten. Die Verfahren wurden aber zunehmend restriktiv und für viele Amerasier*innen schlicht unmöglich, da sie die Identität ihres Vaters meist nicht kannten.

„Wo die Asche blüht“ spielt vor allem 1969 und 2016, außerdem auf mehreren Erzählebenen. Wir begleiten 1969 Trang und ihre Schwester Quỳnh, die in armen Verhältnissen leben und aus finanziellen Gründen nach Sài Gòn gehen, um dort als sogenannte Barmädchen zu arbeiten. Wie sich herausstellt, bleibt es jedoch nicht beim Trinken mit amerikanischen Soldaten, sondern umfasst vielmehr auch Prostitution. Auf diesem Wege lernt Trang, die sich den Decknamen Kim gibt, den Hubschrauberpiloten Dan kennen und geht eine Beziehung mit ihm ein, die schließlich in einer Schwangerschaft endet.

Dan reist 2016 mit seiner Frau Linda in das heutige Hồ-Chí-Minh-Stadt. Primär, um sich mit seinen Kriegstraumata auseinanderzusetzen, insgeheim aber auch für die Suche nach Kim und dem gemeinsamen Kind. Linda weiß derweil nichts von Dans Affäre während seiner Stationierung in Vietnam.

Außerdem begleiten wir den Waisen und Amerasier Phong, wie er ebenfalls 2016 versucht, eine Ausreisegenehmigung zu erhalten und nach der erneuten Absage versucht, seinen amerikanische Vater zu finden. Aufgrund seiner dunklen Haut hat er mit zusätzlicher Diskriminierung zu kämpfen und wünscht sich ein besseres Leben für seine eigene Familie.

Ich weiß gar nicht, wie ich meiner Begeisterung für das Buch jemals mit Worten gerecht werden soll! Die Handlung springt zwischen den Charakteren und Zeitebenen mit einer Geschicklichkeit, die Spannung aufbaut, dabei den Faden aber niemals verliert. In dem Buch steckt so unglaublich viel Recherche zum Krieg selbst, aber auch zu den multidimensionalen Schicksalen danach, dass es eine Masse an Wissen vermittelt, ohne je sachbuchartig zu werden. Vor allem aber bin ich zutiefst beeindruckt, mit wie viel Liebe und Detailliertheit Nguyễn Phan Quế Mai ihre Figuren schreibt.

Alle Figuren sind einfach so vielschichtig, dass ganz organisch Themen wie Kriegstraumata, Armut, sexuelle Ausbeutung und eine allgemeine Frage nach Verantwortung innerhalb eines schrecklichen Krieges behandelt werden. Besonders Dan reflektiert sein Verhalten als amerikanischer Soldat auf extrem authentische Weise. Zudem fällt auf, wie respektvoll das Buch in Bezug auf vietnamesische Kultur, Sprache sowie buddhistischen Glauben geschrieben ist. Immer wieder werden vietnamesische Begriffe oder ganze Sätze eingebunden und ganz elegant innerhalb der Handlung übersetzt. Keine Fußnoten, Glossare oder hölzerne Übersetzungen, die mich sonst immer sehr aus dem Lesefluss bringen.

Ich habe bitterlich geweint, war emotional so gerührt wie selten bei einem Buch, fand die Plottwists großartig und gehe aus der Lektüre mit dem Gefühl, extrem viel gelernt zu haben. Eine absolute (!) Leseempfehlung von mir, bitte lest dieses Buch. Und um es mit den Worten der Autorin abzuschließen: „Möge unser Planet nie wieder einen bewaffneten Konflikt erleben.“ 🤍🥺

Bewertung vom 05.07.2024
Weil ich an dich glaube - Great and Precious Things
Yarros, Rebecca

Weil ich an dich glaube - Great and Precious Things


gut

Klassische Romance ohne große Überraschungen und mit einigen Klischees, aber gutem Lesefluss

Zum Hörbuch: Für mich waren beide Stimmen sehr angenehm, Martin Krah hat aber lebensnaher gesprochen. Bei Lisa Cardinale wirkten Extremsituationen oft zu aufgesetzt. Mir ist an einigen Stellen bei beiden allerdings auch aufgefallen, dass der Text eine bestimmte Leseweise vorgab, die dann aber so nicht umgesetzt wurde - z. B. wenn Rose ein Wort extra langsam ausspricht. Soundeffekte gab es keine, die ich bewerten könnte. Durch die Abwechslung der beiden Stimmen waren die Übergänge immer ganz klar und so war mir immer bewusst, wessen Perspektive gerade dran ist. Ich habe also ein paar Kritikpunkte, konnte im Großen und Ganzen aber trotzdem gut zuhören.

Zum Buch selbst: Da ich Fourth Wing und Iron Flame vor diesem Buch gelesen habe, „Weil ich an dich glaube“ ja aber im Original davor rauskam, wundert mich mein Eindruck nicht, dass hier einige Tropes weniger gut bereits verwendet wurden. Bad Guy trifft Good Girl, mit der er früher eng befreundet war und sich dann von ihr abwendete, weil er sie nicht „haben“ konnte. Ich persönlich bin einfach wirklich keine Freundin dieses Tropes. Auch spricht sich Cam in einem Konflikt mit Willows Vater gegen Besitzansprüche aus und dafür, dass sie ihre eigenen Entscheidungen treffen sollte. Dabei spricht er wiederholt davon, dass sie nun „seine“ ist und spricht ihr zumindest am Anfang wiederholt ab, selbst entscheiden zu können, ob sie eine Beziehung mit ihm eingehen möchte oder nicht. Ich muss wirklich sagen, dass ich diesen Handlungsstrang ziemlich platt fand. Und dabei geht es mir nicht darum, dass das Ende vorhersehbar ist. Das ist bei dem Genre völlig in Ordnung. Aber es wirkte eben wie eine x-te Fassung der immer gleichen Erzählung vom bösen Jungen, der „sein Mädchen“ vor einfach allem beschützen möchte. Mir ist bewusst, dass das in der Empyrean-Reihe nicht anders ist. Wahrscheinlich hat für mich der Fantasy-Aspekt den Unterschied gemacht.

Was ich wiederum sehr mochte, war die Thematisierung von Alzheimer und dem Recht auf körperliche Selbstbestimmung in Bezug auf lebenserhaltende Maßnahmen. Das hat mich deutlich mehr emotional gebunden und besonders den Gerichtsprozess fand ich unheimlich fesselnd geschrieben. Im Laufe der Handlung wurden mir die Charakteristika und Selbstvorwürfe der Figuren wiederum echt ein wenig zu penetrant wiederholt. Die ganzen Enthüllungen am Ende kamen mir zudem überstürzt vor und schienen nur der Besserstellung eines Charakters zu dienen. Hätte ich persönlich nicht gebraucht.

Ich habe das Buch gut und flüssig lesen können, es haben mir jedoch einfach Besonderheiten gefehlt und da gibt es für mich bessere Bücher des Genres. Daher 2,5 Sterne.

Bewertung vom 05.07.2024
Man sieht sich (MP3-Download)
Karnick, Julia

Man sieht sich (MP3-Download)


ausgezeichnet

Ein unglaublich emotionales Werk mit viel Feingefühl für die Ambivalenzen des Lebens

Zum Hörbuch: Ich mochte die Stimme von Katrin Daliot sehr gern. Gut gefallen hat mir, dass sie Tonys Parts mit einem leichten Akzent gesprochen hat - das hätte mir beim Selbstlesen sehr gefehlt. Phasenweise wirkte mir die Vorleserin jedoch etwas zu förmlich und aufgesetzt. Das Buch ist ja ein sehr emotionales und genau an der Stelle konnte Daliot für mich nicht immer perfekt abliefern. Ich habe das Hörbuch auf 2,5-facher Geschwindigkeit gehört und das war für mich in Ordnung. Langsamer hätte ich als etwas einschläfernd empfunden. Die Übergänge zwischen den großen Zeitabschnitten fand ich jedoch wirklich gelungen umgesetzt, es wurde sehr gut transportiert, dass jetzt ein größerer Umbruch folgt. Ich gebe trotz meiner Kritikpunkte volle 5 Sterne für das Hörbuch, weil ich gar nicht pausieren wollte.

Zum Buch selbst: Ganz ehrlich hätte ich nicht gedacht, dass das Buch mich so mitreißen würde. Ich hatte die Befürchtung, dass ich mit den älteren Protagonist*innen nicht so gut mitfühlen kann. Aber Julia Karnick hat hier vielmehr einen Coming-of-Age-Roman mit einem unglaublichen Talent für emotionale Szenen ohne Pathos geschrieben.

„Man sieht sich“, gleichzeitig auch die Catchphrase der beiden Hauptfiguren, begleitet Robert und Frie abwechselnd über einen Zeitraum von 1988 bis 2023. Es geht um die Freund*innenschaft und Beziehung der beiden, die mal näher und mal distanzierter ist. Zwischen den beiden ist viel Liebe, die aber scheinbar nie gleichzeitig gleich stark zu sein scheint, weshalb sie einfach nie den richtigen Zeitpunkt für eine romantische Beziehung erwischen. Diese Beschreibung legt irgendwie eine große Portion Pathos nahe, was dem Roman aber überhaupt nicht gerecht wird.

Stattdessen ist die Geschichte lebensnah, emotional extrem aufwühlend und politisch. So webt Karnick subtil Themen wie Beziehungsgewalt, mentale Gesundheit, chronische Erkrankungen, Klassen- sowie Ost-West-Unterschiede nach der Wende und patriarchale Unterdrückung in die Handlung ein. Besonders beeindruckend finde ich die jeweiligen Reflektionsprozesse der Figuren, die je nach Alter unterschiedlich ausgeprägt stattfinden - auch hier zeigt sich Karnicks Talent, die Lebensrealitäten verschiedener Altersstufen authentisch zeichnen zu können.

Im Verlauf der Zeit entwickeln sich die Charaktere mal gemeinsam, mal getrennt voneinander weiter. Dabei regt die Geschichte eigene Überlegungen zu Privilegien an und dazu, wie schnell sie sich auch umkehren können. Verschiedene Lebensrealitäten reiben sich aneinander, ohne zu viel Drama zu verursachen.

Die Handlung spielt zu großen Teilen in den 80er/90ern, was mich neben dem Fakt, dass auch dieses Buch emotional enorm herausfordernd ist, sehr an „Morgen, morgen und wieder morgen“ von Gabrielle Zevin erinnert. Und das ist meinerseits das größtmögliche Kompliment!

Ein herausragender Beziehungsroman, in dem es um so viel mehr geht als romantische Liebe. Herzzerreißend, lebensnah und mit viel Tiefgang. 💚

Bewertung vom 03.07.2024
Scheidung
Herngren, Moa

Scheidung


gut

Mitreißend, emotional und vielschichtig - jedoch nicht mit der erhofften Objektivität

Ich finde die Idee, einen Scheidungsprozess aus beiden Perspektiven heraus zu betrachten, wirklich spannend und so liest sich "Scheidung" auch. Es hinterfragt kontinuierlich das eigene Urteil und lässt viel Raum für Ambivalenz. Dennoch hätte ich mir insgesamt noch mehr Objektivität gewünscht.

In diesem Roman wird zuerst Bea, dann Niklas begleitet. Beide haben unterschiedliche Gefühle zur Scheidung, die von Niklas nach 32 Jahren scheinbar urplötzlich eingeleitet wird. Während im ersten Abschnitt Beas Schock und Unverständnis greifbar sind, setzt sich das Gesamtbild im zweiten Abschnitt mit Niklas' Eindrücken zusammen. Im letzten Abschnitt laufen beide Perspektiven dann direkt nebeneinander, was dem Roman enorm viel Tempo gibt. Die Situation spitzt sich gegen Ende hin auch zu und wird um verschiedene zusätzliche Dramen innerhalb der Familie verstärkt.

Wirklich sehr gut gefallen haben mir die beiden Sichtweisen! Ich mag es, dass meine selbst gefällten Urteile immer wieder herausgefordert und neu geformt wurden. Emotional war der Roman äußerst vielschichtig und die Figuren mit ihren Hintergrundgeschichten interessant. Das Setting in Schweden fand ich als völlig Unkundige zu Beginn schwierig, weil so viele Orte eine Rolle gespielt haben, die ich nicht kannte. Das werte ich aber nicht als expliziten Kritikpunkt.

Was ich hingegen deutlich kritisiere, ist die ingesamt dann doch mangelnde Objektivität der Autorin. Gewünscht hätte ich mir, dass ich mit Niklas und Bea mitfühlen, sie aber auch gleichermaßen kritisieren kann. Herausgekommen ist meiner Meinung nach aber vielmehr ein subtiles, aber doch recht deutliches Framing von Bea als die egoistische, bevormundende Böse und Niklas als den bemitleidenswerten unterdrückten Ehemann. Während ich in Beas Abschnitt noch extrem mit ihr mitgefühlt habe, kippte das direkt in Niklas' Abschnitt. Er wirkte viel nachvollziehbarer und Beas Handlungen meistens völlig drüber. Dass Niklas aber schlichtweg nicht weiß, was er will und entsprechend quasi gar nicht kommuniziert, geht dabei fast unter. Während Niklas' Überforderung ob Lohnarbeit und finanziellem Druck nachvollziehbar geschrieben sind, wirken Beas Wünsche nach einem schönen Zuhause und familiären Miteinander irgendwie übertrieben. Mir wurde zudem eine andere weibliche Figur zu sehr als die bessere Variante von Bea geschrieben, so sehr ich die Figur menschlich auch mochte.

Besonders gegen Ende bekommt der Text für mich fast Mobbing-Dynamiken, die mich emotional extrem aufgewühlt haben. Ich konnte im letzten Abschnitt so einige Reaktionen, vor allem von der Schwiegerfamilie Bea gegenüber, nicht nachvollziehen und auch das Ende kam mir zu plötzlich und gewollt versöhnlich. Ein anderer Schluss wäre zwar unfassbar schlimm, aber vom Handlungsverlauf schlüssiger gewesen.

Ich fand den Roman trotzdem wirklich gut und hätte 4 Sterne gegeben, weil er sich gut lesen lässt und die Geschichte mitreißend ist. Aber für diese doch deutlich spürbare Gut-Böse-Dichotomie ziehe ich noch einmal einen halben Stern ab und gebe 3,5 Sterne.