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Renas Wortwelt

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Insgesamt 144 Bewertungen
Bewertung vom 14.08.2024
Im Netz der Lügen / Die Detektivinnen von Nachtigall & Co. Bd.2
Printz, Charlotte

Im Netz der Lügen / Die Detektivinnen von Nachtigall & Co. Bd.2


gut

Der zweite Band in der Reihe um die Detektei Nachtigall, die von Carla und ihrer Halbschwester Wally mehr schlecht als recht geführt wird. Die beiden jungen Frauen versuchen mehrere Fälle gleichzeitig aufzuklären, verzetteln sich dabei aber zusehends.
Der erste „Fall“ verlangt von Carla, einen verschwundenen Ehering zu finden. Irma, die Frau, die den Ring verlor, hat große Angst vor ihrem derzeit verreisten Ehemann, einem Bestatter, und so beauftragt sie die Detektei mit der Suche. Empfohlen wurde ihr die Detektei Nachtigall von ihrer Schwägerin Bertha, die noch eine größere Rolle spielen wird.
Zusätzlich soll Carla einer Freundin ihrer Tante Lulu helfen, die plötzlich zu Reichtum kam durch eine Erbschaft. Erblasserin war eine Jüdin, die während des dritten Reichs ein Lehrbuch für Hebammen geschrieben hatte, welches dann aber unter dem Namen einer deutschen Nazihebamme veröffentlicht wurde. Henny, Lulus Freundin, möchte, dass die eigentliche Verfasserin posthum zu ihrem Recht kommt und der Verlag und die Betrügerin sich öffentlich entschuldigen. Bevor es aber soweit kommt, wird Henny ermordet und Lulu als Hauptverdächtige verhaftet.
Parallel zu all diesen Ereignissen hat Wally so ihre Geheimnisse. Sie kooperiert mit Spionen der DDR und soll einen geflüchteten Wissenschaftler ausliefern. Doch sie hadert mit diesem Auftrag, weiß aber, dass sie sich bei Verweigerung selbst in Gefahr bringt. Dass sie so offensichtlich etwas vor Carla, ihrer Halbschwester, die sie erst im letzten Band kennenlernte, verbirgt, sorgt für erhebliche Missstimmung zwischen den beiden jungen Frauen.
So sympathisch die diversen Protagonistinnen dargestellt sind, so flott der Schreibstil des Romans ist, so verwirrend und verwickelt ist die Handlung. Hier scheint die Autorin ein bisschen zu viel gleichzeitig gewollt zu haben, der Plot ist dadurch etwas überladen, es gibt zu viele Handlungsstränge, zu viele unklare Andeutungen, so dass man recht bald den Faden verliert.
Schon der Beginn des Romans ist fast zu hektisch, man wird in die Ereignisse hineingeworfen, bekommt mit ein paar wenigen Brocken Verweise auf die Handlung des ersten Bands. Die Dialoge sind ebenfalls oft etwas hektisch, wirr und verlieren sich im Nebensächlichen.
Dabei ist das Thema bzw. die Themen durchaus interessant und hätten für einen Krimi ausreichend Stoff geboten. Doch hier werden sie ein bisschen zu oberflächlich, zu leichtfüßig abgehandelt. Dazu gab es einige unschöne Fehler, wie z.B. die Verwechslung von Queen Mary und Queen Elizabeth II. Schade, dass das Lektorat das übersah.
Insgesamt mag ich diese Reihe aufgrund der Protagonistinnen und der Zeit, in welcher die Handlung angesiedelt ist. Gerade der Schauplatz Berlin bietet hier spannende Themen und interessante Örtlichkeiten ebenso wie viele historische Figuren dieser Zeit. Daher hoffe ich trotz der leisen Kritik an diesem Band auf Fortsetzungen, die dann vielleicht an die Qualität der ersten Folge anschließen können.
Charlotte Printz - Im Netz der Lügen
dtv, Juli 2024
Taschenbuch, 399 Seiten, 13,00 €

Bewertung vom 12.08.2024
Scheue Wesen
Chambers, Clare

Scheue Wesen


ausgezeichnet

Schon allein auf dieses wunderschöne Cover könnte man Hymnen singen. Es passt perfekt zum Inhalt dieses genialen Romans, ebenso wie der Titel. Denn die Protagonisten der Geschichte sind in der Tat sehr scheue Wesen.
Was sich aber im Laufe der Zeit ändert. Zu Beginn ist die im Mittelpunkt stehende Helen, Anfang dreißig und ledig, sehr schüchtern und zurückhaltend. Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist, dass sie mit einem verheirateten Kollegen eine Affäre hat. Sie arbeitet als Kunsttherapeutin in einer psychiatrischen Klinik in London, es ist das Jahr 1964.
Da wird sie eines Tage zusammen mit Gil, ihrem Liebhaber, der einer der leitenden Ärzte der Klinik ist, zu einem alten Haus gerufen. Nach Beschwerden der Nachbarn hatte die Polizei in diesem Haus eine verwirrte alte Dame gefunden und einen völlig verwahrlosten jungen Mann. William Tapping, so sein Name, spricht nicht, sein Bart reicht ihm bis zu den Knien, er hat offensichtlich seit Jahrzehnten das Haus nicht verlassen, keinen Kontakt zu anderen Menschen als seiner Tante gehabt.
Helen findet später in dem Haus Zeichnungen von William und erkennt sein fulminantes Talent, integriert ihn in ihre Therapiegruppe. Irgendwann entlockt sie ihm auch wieder Worte, beginnt er zu sprechen. Sie findet Menschen, die ihn von früher kennen und nach und nach stellt sich seine Geschichte heraus.
In rückwärts laufenden Rückblicken, die zwischen die aktuelle Handlung eingeschoben sind, erleben wir William während der Kriegsjahre, zuerst als junger Mann, dann als Teenager, dann als Kind. Wir lernen seine drei Tanten kennen, bei denen er aufwuchs und erfahren, warum er irgendwann nicht mehr aus dem Haus gehen durfte.
Die Erfahrungen mit William haben auf Helen einen großen Einfluss, sie beginnt ihre Beziehung zu Gil zu hinterfragen, ihr Verhältnis zu ihrer Mutter. Langsam lernt sie sich zu emanzipieren, ebenso wie ihre Nichte, die wiederum unter dem Verhältnis zu ihrer Mutter leidet.
Der Roman ist ganz wunderbar sanft, fast zärtlich geschrieben. Man gleitet durch die Seiten, verfolgt atemlos die spannende Geschichte Williams, möchte Helen anschubsen, sich von ihren Fesseln und (noch) zeitgemäßen Dünkeln zu befreien. Und neben der eigentlichen Romanhandlung greift die Autorin, deren voriger Roman „Kleine Freuden“ mich genauso begeistert hatte, noch das Thema der damaligen Entwicklungen in der Psychotherapie und dem Umgang mit deren Patienten auf.
Der Schreibstil von Clare Chambers ist unglaublich warmherzig, voller Empathie, immer mit ganz leisem Humor, als wolle sie die Schrullen ihrer Figuren zeigen, aber nie verurteilen. So erschafft sie liebenswerte, lebensechte Charaktere, deren Handlungen stets folgerichtig sind. Man kommt diesen Figuren so nah, kann sich so gut in sie hineinfühlen, dass man am Ende des Buchs ein großes Bedauern verspürt, sie nun verlassen zu müssen.
Ein ganz und gar wunderbares Buch, uneingeschränkt und nachdrücklich empfehlenswert.
Clare Chambers - Scheue Wesen
aus dem Englischen von Wibke Kuhn
Eisele, Juli 2024
Gebundene Ausgabe, 510 Seiten, 26,00 €

Bewertung vom 05.08.2024
Kleine Monster
Lind, Jessica

Kleine Monster


gut

Dieser Roman ist nicht nur wegen des Themas schwierig, sondern für mich auch wegen der Protagonistin. Wenn ich die Hauptfigur eines Roman nicht mag, wenn sie mir unsympathisch ist, hat es der Roman schwer, mich zu erreichen. Daher wurde ich nicht nur mit Pia, die diese Geschichte in Ich-Form erzählt, nicht warm, sondern eben auch mit dem ganzen Roman.
Pia und ihr Mann Jakob werden in die Schule ihres siebenjährigen Sohnes Luca gerufen, es sei „etwas vorgefallen“. Doch niemand, weder die Direktorin noch das beteiligte Mädchen und noch viel weniger Luca selbst erzählen, was denn genau vorgefallen ist.
So steigert sich Pia nach und nach immer mehr in diesen Vorfall hinein, mal glaubt sie, die anderen Beteiligten übertreiben, denkt, die Eltern der anderen Schüler:innen schneiden sie, schließen sie aus. Mal misstraut Pia ihrem eigenen Sohn, beginnt ihn zu beobachten, interpretiert in alles, was er tut, sagt oder eben nicht sagt oder tut, einiges hinein, traut ihm irgendwann auch das Schlimmste zu.
Ganz anders ihr Mann Jakob, der all das viel entspannter angeht, der sich nicht getrieben fühlt von der Meinung anderer, sondern seinem Sohn vertraut, der Luca glaubt, was immer dieser auf die insistierenden Fragen antwortet.
Zwischen die Beschreibung der aktuellen Ereignisse, der Gefühle und Zweifel Pias sind eingewoben Rückblicke auf ihre eigene Kindheit, auf ihr Aufwachsen mit zwei jüngeren Schwestern. Eine, Romi, war adoptiert, die andere, die jüngste, Linda, starb mit vier Jahren. Diese Ereignisse haben auf Pia nachhaltige Wirkung gehabt, verfolgen sie bis heute. Sie hat nie erfahren, nie verstanden, was damals geschah, wie Linda starb und ob Romi damit etwas zu tun hatte oder nicht. Mit Romi selbst hat sie seit langem keinen Kontakt mehr, auch mit ihren Eltern versteht sie sich nicht ohne Probleme.
Die Vermischung aus Vergangenheit und Gegenwart machen es zu Pias eigener Geschichte, mehr als dass es eine Geschichte um ihr Muttersein und ihrem Umgang mit ihrem Sohn ist. Es wird nicht klar, ob sie anders mit den aktuellen Geschehnissen, mit den Vorwürfen gegen Luca umgehen würde, hätte sie selbst eine andere Kindheit erlebt. Wie sehr wurde sie durch den Tod ihrer kleinen Schwester und vor allem durch den Umgang der damaligen Erwachsenen damit geprägt, wie sehr beeinflusst das ihr Handeln heute?
Was mir aber Pia so gänzlich unsympathisch machte, war ihre Empathielosigkeit, ihre Unfähigkeit mit ihrem Sohn altersgerecht umzugehen, ihn als Kind zu sehen und zu behandeln. Mal scheint er fast ihr Feind zu sein, dann wieder drängt sie ihm regelrecht ihre Liebe auf. Ich konnte mich in Pia nicht hineinfühlen, mich stieß ihr Verhalten manchmal sogar ab. Das machte es mir wirklich schwer, den Roman zu mögen. Der im Übrigen schon wieder das Thema Mütter und ihren Umgang mit der Mutterschaft thematisiert, was derzeit ein sehr aktuelles und immer wieder in neuen Romanen ausgeschöpftes Thema zu sein scheint.
So kann ich den Roman zwar wegen des wirklich guten Schreibstils, der Fähigkeit der Autorin, die Zerrissenheit der Protagonistin plastisch und nachvollziehbar in Worte zu fassen, einerseits empfehlen. Andererseits sollte man nicht erwarten, eine nette, sympathische Hauptfigur anzutreffen, zumal die aufgestellte Problematik schließlich auch nicht einfach ist.
Jessica Lind - Kleine Monster
Hanser Berlin, Juli 2024
Gebundene Ausgabe, 251 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 02.08.2024
Ein Mann zum Vergraben
Casale, Alexia

Ein Mann zum Vergraben


ausgezeichnet

Dieser Roman, den ich binnen weniger Stunden verschlungen habe, ist längst nicht so witzig, wie Titel, Klappentext und Werbung andeuten. Denn vorrangig behandelt er ein sehr ernstes, sehr schlimmes Thema, nämlich Gewalt gegen Frauen.
Dieses schwere Thema verpackt die Autorin geschickt in eine halbwegs leichtfüßige Geschichte, ohne dabei zu leichtgewichtig zu werden. Ich-Erzählerin Sally erschlägt im Affekt ihren Mann Jim, als der sie wieder einmal mit kochendem Wasser verbrühen will. Nun steht sie da, einerseits befreit von einer jahrelangen Quälerei, andererseits konfrontiert mit der Frage: Wohin mit dem toten Ehemann?
Während sie über diese Frage grübelt, entdeckt sie immer mehr, was sie glücklich macht. So beispielsweise Gartenarbeit, für die sie sich Tipps bei der Nachbarin Edwina holt. Diese ältere Dame spielt in der Siedlung die Corona-Polizei. Denn wir befinden uns im Lockdown und strenge Abstandsregeln und Vorschriften für Einkaufen oder Spaziergänge gelten. Was zwar manchen Vorteil mit sich bringt, aber auch viele Schwierigkeiten verursacht.
So ist es ein wirklich enormer Zufall, dass Sally bei ihren nächtlichen Streifzügen auf der Suche nach einem Entsorgungsplatz für die Leiche einer Frau begegnet, die vor dem gleichen Problem steht. Ruths Ehemann starb, gerade als er sie wieder einmal verprügeln wollte. Damit nicht genug, treffen sie schließlich auch noch Samira, die sich ebenfalls ihres Ehemanns entledigte. Vierte im Bunde wird dann Janey, die ehemals beste Freundin Sallys, deren Mann gleichermaßen das Zeitliche segnete.
Damit stehen nun vier Damen mit vier Leichen da, die entsorgt werden müssen. Unter Zeitdruck, mit kuriosen Methoden zur Geruchsverhinderung und immer wieder gestört von besuchenden Kindern oder Handwerkern, suchen die Frauen nach Lösungen, verzweifelt erwägen sie, sich zu stellen, wollen aber andererseits genau dies nicht ihren Kindern antun.
Vor allem aber erkennen sie sich selbst jeweils in den anderen wieder. Nur sie können verstehen, warum eine Frau bei einem Mann bleibt, der sie regelmäßig schlägt, nur sie können nachempfinden, wie es jenen Frauen ergangen ist und wie sie sich nun fühlen.
Das Ganze ist mit viel Humor erzählt, ohne dass es in Klamauk abrutscht. Immer wieder blitzt der Ernst des Themas durch, aber viel Witz und etliche Pointen sorgen für Tempo und einen hohen Unterhaltungswert des Romans. Die letzte Pointe allerdings erahnt man zwar früh, aber auch sie ist sehr geschickt gestaltet und gelingt absolut.
Dass Titel und Klappentext (außer der Formulierung „tyrannische Ehemänner“) wenig auf diesen ernsten Hintergrund hinweisen, empfinde ich als gewisses Manko, denn die Erwartung, die geweckt wird, ist eine gänzlich andere. Dieses Manko aber tritt in den Hintergrund durch die temporeiche und sehr unterhaltsame Erzählweise, durch die erhebliche Spannung um die Frage, welche Entsorgungslösung die Damen denn finden werden und durch den einfühlsamen Stil der Autorin, die sich in dem Thema, wie sie im Nachwort erklärt, auskennt.
So ist zu erklären, dass ich das Buch am selben Tag, als es bei mir ankam, bereits nach ein paar Stunden ausgelesen hatte. Es fesselt, es ist interessant, es berührt und erschüttert und es macht Hoffnung. Denn neben der Ernsthaftigkeit singt es vor allem ein Loblied auf die Freundschaft.
Sehr empfehlenswert.
Alexia Casale - Ein Mann zum Vergraben
aus dem Englischen von Christine Blum
dtv, Juli 2024
Taschenbuch, 428 Seiten, 13,00 €

Bewertung vom 31.07.2024
Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
Brooks, Sarah

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland


ausgezeichnet

Dieses Buch in einer Rezension zusammenzufassen ist nicht einfach. Dabei wäre die Handlung schnell und in einem Satz gesagt: Im Jahr 1899 fährt ein Zug von Peking nach Moskau und benötigt dafür 20 Tage.
Doch das, was während dieser Reise im Zug und in dem Land, durch der er braust, geschieht, das ist so spannend, so mystisch und geheimnisvoll, dass man es in einer Buchbesprechung nicht erwähnen kann, da man sonst viel zu sehr spoilert.
An Bord des Zuges befinden sich neben vielen anderen der Naturforscher Henry Grey, der seinen beschädigten Ruf retten will durch die Entdeckung der Tierwelt des sogenannten Ödlands, eine Frau mit geborgtem, fremden Namen, die den Ruf ihres Vater wiederherstellen möchte, ein junges Mädchen, das nie woanders lebte als in diesem Zug, in dem es geboren wurde.
Der Zug ist, zumindest für die Passagiere der ersten Klasse, sehr luxuriös. Doch vor allem achtet man sehr auf die Sicherheit der Mitfahrenden. So sind die Fenster vergittert, um die Türen öffnen zu können, benötigt man mehrere Schlüssel und Codes. Und die Beauftragten der Companie, die den Zug betreibt, beobachten alles und sind stets zur Stelle, um jemanden zur Ordnung zu rufen. Nicht umsonst nennt Weiwei, das im Zug geborene Mädchen, sie die Krähen.
Die Reise, auf die der Zug sich begibt, ist keineswegs ungefährlich. Das mussten schon die Besatzung und die Passagiere der letzten Fahrt erleben, während der unbeschreibliches geschah. Doch es scheint sich keiner der damals Mitgefahrenen an das Geschehene zu erinnern. So sah es lange so aus, als würde nie wieder ein Zug das Ödland durchqueren, bis eben jetzt zu dieser Fahrt.
Sozusagen als Hilfestellung, als Anleitung oder Benimmbuch, gibt es ein Handbuch eines seither spurlos verschwundenen Autors, ein „Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland“, in welchem vor den Gefahren gewarnt wird und Hinweise für den Umgang mit dem, was einem auf der Reise begegnen kann, gegeben werden.
Und da begegnet den Menschen, die sich trauen, aus den Fenstern zu sehen während der Fahrt, ganz Ungewöhnliches, Fremdes, Geheimnisvolles und Gefährliches. Seltsame Pflanzen und Tiere, merkwürdige Phänomene und bedrohliche Angriffe gegen den Zug, all das erleben die Fahrgäste und schließlich wird auch noch das Wasser knapp, ein Umweg muss gefahren werden. Schließlich taucht auch noch eine blinde Passagierin auf.
Die prosaische Leserin versucht zu entschlüsseln, was wohl in dieser Ödland genannten Region vor sich geht, versucht zu verstehen, was die Menschen, die aus dem Zug hinausschauen, sehen und erleben. Die an Magie glaubende Leserin genießt diese Reise einfach und hofft, wohlbehalten anzukommen.
Auch wenn der Roman durchaus ein paar Längen hat, etliches sich oftmals wortgleich wiederholt, manchmal binnen weniger Seiten oder gar Zeilen, so ist das Buch dennoch ungemein fesselnd, hochspannend und emotional. Insbesondere der psychische Aspekt, was die Reise mit den Figuren macht, wie sie agieren und reagieren, wie sie mit Gefahr und Herausforderung umgehen, das ist wunderbar geschildert. Man mag kaum glauben, dass es sich um den Debütroman einer Autorin handelt, für den sie jedoch völlig zu Recht mit Preisen ausgezeichnet wurde.
Erwähnen muss man auch die gelungene Übersetzung, die den fast poetischen Text geschickt ins Deutsche übertragen hat, ohne die Wirkung, die die Worte haben, zu verlieren.
Sarah Brooks - Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
aus dem Englischen von Claudia Feldmann
C. Bertelsmann, Juli 2024
Gebundene Ausgabe, 415 Seiten, 24,00 €

Bewertung vom 29.07.2024
Never Been Better
Simpson, Leanne Toshiko

Never Been Better


gut

Dee, Matt und Misa, deren Alter man leider im Roman nicht erfährt, haben sich in einer psychiatrischen Klinik kennengelernt, in der sie alle drei wegen bipolarer Störungen Patienten waren, alle nicht zum ersten Mal.
Dee hat sich in dieser Zeit in Matt verliebt, der für sie damit nicht nur zu ihrem besten Freund wurde, sondern auch der Mann, von dem sie träumt. Dabei ist Matt, wie Dees Schwester Tilley nicht müde wird zu betonen, keineswegs attraktiv.
Doch statt Dee wird Matt nun Misa heiraten. Die drei waren ein eingeschworenes Team, doch nachdem Dee die Klinik hatte verlassen müssen, waren ihre Wege auseinandergegangen. Jetzt aber erhält Dee die Einladung zur Hochzeit, die auf einer exklusiven Inselgruppe stattfinden soll.
Zusammen mit Tilley reist Dee zu den sich über etliche Tage hinziehenden Feiern, obwohl sie es im Grunde gar nicht will. Sie glaubt, dem ganzen Rummel nicht gewachsen zu sein, aufgrund ihrer psychischen Störung. Und vor allem natürlich, weil es sie schmerzt, zu sehen, wie sehr Matt und Misa sich lieben.
Dennoch gibt es auch zwischen den Beiden Probleme, unter anderem weil Misa ihrer in japanischen Traditionen verfangenen Familie nie von ihrer Krankheit erzählt hat und deswegen nun permanent eine Rolle spielen muss. Währenddessen ist Tilley die einzige, die wirklich Spaß hat an diesen Veranstaltungen, findet doch all das in sündhaft teuren Hotels statt, mit Pomp und allem Schnickschnack.
Immer wieder treffen Matt und Dee oder Misa und Dee zusammen und führen lange Gespräche, weil sie gegenseitig jeweils die einzigen sind, die nachempfinden können, wie sich ihre Krankheit auswirkt, wie es ihnen geht, was sie fühlen und wie sie damit umgehen können oder müssen.
So brechen auch immer mehr Konflikte auf, zwischen Misa und ihren Eltern, zwischen Matt und Dee und auch zwischen Matt und Tilley, die ihm nicht verzeiht, dass er Schuld trägt am damaligen Rauswurf Dees aus der Klinik.
In dieser Form geht es das ganze Buch hindurch, ein Gespräch reiht sich an das nächste, die Gespräche drehen sich im Kreis, die Aussagen, Gedanken und Gefühle wiederholen sich permanent. Die gesamte Geschichte trägt sich während dieser Hochzeitsfeier zu – abgesehen von den ersten paar Seiten – das heißt, über 300 Seiten schildern jedes Event und eben jedes Gespräch in aller Ausführlichkeit.
Das führt dazu, dass bei aller Sympathie für die Figuren, die mit viel Empathie gezeichnet sind, bei allem Mitempfinden und Mitgefühl für ihre psychische Krankheit und deren gelungene Darstellung, dass trotzdem dem Roman das Tempo, die Handlung fehlt.
Die Autorin, wie ihre Figur Misa mit japanisch-kanadischen Wurzeln, lebt selbst auch mit einer bipolaren Störung, weiß also, wovon sie berichtet. Das merkt man, denn sie beschreibt sehr einfühlsam und verständnisvoll, was die Krankheit für die Betroffenen bedeutet.
Dennoch steht das zu allein im Mittelpunkt, um aus der Geschichte einen fesselnden Roman zu machen, so locker und leichtfüßig der Schreibstil auch ist. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, vor allem dank Tilley, der einzigen Figur, die sich ungezwungen benimmt.
So lässt mich der Roman mit zwiespältigen Gefühlen zurück. Zum einen lernt man sehr viel über bipolare Störungen, was als sehr interessantes Thema geschickt in einen Unterhaltungsroman verpackt wurde. Andererseits hat der Roman eben auch etliche Längen, die die Lektüre etwas zäh werden lassen.
Leanne Toshiko Simpson - Never been better
aus dem Englischen von Silke Jellinghaus
Rowohlt polaris, Juli 2024
Taschenbuch, 335 Seiten, 18,00 €

Bewertung vom 26.07.2024
Der Bademeister ohne Himmel
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


sehr gut

Im Mittelpunkt der Geschichte, die anrührend ist und nachdenklich macht, steht die fünfzehnjährige Linda. Sie erzählt in Ich-Form von ihrer Freundschaft zum sechsundachtzigjährigen Hubert, den sie lieber besucht als die Schule.
Linda wächst bei ihrer Mutter auf, der Vater ist verschwunden, doch beide weinen ihm nicht nach, denn er schlug auch schon mal zu. Doch zwischen Linda und ihrer Mutter fehlen oft die Worte, sie scheinen nicht dieselbe Sprache zu sprechen. Als ein neuer Mann in das Leben der Mutter tritt, wird es nicht besser.
So ist es auch eine Art Flucht, wenn Linda so oft wie möglich zu ihrem Nachbarn Hubert geht. Der immer mehr seiner Demenz verfallende Mann wird von Ewa versorgt, einer Polin, die mit Fachkenntnis, Akribie und Liebenswürdigkeit ihre Arbeit versieht. Beauftragt wurde sie von Huberts Tochter, die Linda nur den „Nachtfalter“ nennt. Denn die Tochter ist überfordert mit dem zunehmenden Verfall des Vaters, ist hilflos im Umgang mit dem Mann, der nie so reagiert, wie man es erwartet.
Linda hingegen scheint einen Draht zu ihm zu haben, sie geht völlig unverkrampft mit ihm um, spricht mit ihm, als erwarte sie Antworten von dem ehemaligen Bademeister, geht auf ihn ein, ohne ihn zu irgendetwas zu zwingen. Dabei wächst ihr der alte Mann immer mehr ans Herz und rettet ihr in gewisser Weise sogar das Leben. „Und mit einem Mal stehe ich vor Huberts Fotowand und vor meinen Augen verschwimmt das Bild des Babys. Und im selben Moment weiß ich, dass keine Mutter ihr Kind verlieren will, und sogar, wenn wir krass Streit hätten, würde Mama wollen, dass ich lebe.“ (S. 205)
Denn eigentlich wollte sich Linda vor einen Bus werfen, Selbstmord begehen. Doch Hubert und vor allem auch ihr Freund Kevin halten sie davon ab. Kevin ist ein Nerd, er hat genauso wenig Freunde wie Linda, ist überzeugt davon, dass die Menschen den Planeten zerstören und beschäftigt sich fast ausschließlich mit Fragen des Klima- und Umweltschutzes. Auch er wächst ohne Vater auf und seine Mutter braucht immer wieder Lindas Hilfe, um ihren Sohn überhaupt zu erreichen.
Die Sprache, in der die österreichische Autorin diese Geschichte erzählt, ist wunderbar leicht, sanft, sehr empathisch und vor allem trifft sie perfekt den Ton eines Teenagers. Das aber, ohne sich anzubiedern, ohne penetrant Jugendsprache zu verwenden oder ähnliche Klischees, sondern locker, humorvoll, doch gleichzeitig einfühlsam, melancholisch, sehr berührend.
Dennoch fehlt der Geschichte ein wenig das Tempo, über lange Strecken dümpelt die Handlung ein wenig vor sich hin, es geschieht wenig, man ist als Leserin eher Beobachterin als das der Roman einen in die Ereignisse hineinzieht. Wobei es im Grunde bis kurz vor dem Ende so gut wie keine Ereignisse gibt. So ist der Roman einerseits ergreifend sowohl wegen der sehr anschaulichen Schilderung der Demenzerkrankung wie auch wegen der authentischen Beschreibung der jungen Protagonistin. Andererseits aber ein ganz klein wenig handlungsarm.
Davon unbenommen, vor allem wegen der gelungenen Sprache, unbedingt zu empfehlen.
Petra Pellini - Der Bademeister ohne Himmel
Kindler, Juni 2024
Gebundene Ausgabe, 317 Seiten, 23,00 €

Bewertung vom 24.07.2024
Die perfekte Mutter
McCreight, Kimberly

Die perfekte Mutter


weniger gut

Das Etikett Thriller passt so gar nicht auf diesen Roman, dazu fehlt es an Spannung, an Suspense und an Tempo. Stattdessen bietet die Geschichte zu viel Selbstmitleid, zu viel Tränendrüse, zu viel Drama.
Molly, die bisher in einer Mütterberatungsstelle gearbeitet hat und jetzt bei der Zeitung ihres neuen Wohnortes tätig ist, bekommt unverhofft den Auftrag, über eine aufgefundene Leiche zu berichten. Sie ist weder als Journalistin ausgebildet noch gehörten solche Aufgaben bisher zu ihrem Bereich. Molly ist verheiratet mit Justin und Mutter der fünfjährigen Ella. Und sie ist traumatisiert durch eine Totgeburt, die aber bereits ein paar Jahre zurückliegt, sie jedoch in tiefe und langanhaltende Depressionen stürzte, aus denen sie noch immer nicht ganz herausfand.
Umso schlimmer für sie, dass die gefundene Leiche ein Baby ist. Durch ihre Recherchen findet sie heraus, dass es zwar in der Kleinstadt bislang noch keine Morde, dafür aber am jetzigen Fundort der Babyleiche einen tödlichen Unfall gab vor ein paar Jahren.
An dieser Stelle wechselt abrupt die bislang in Ich-Form erzählte Perspektive und wir folgen nun der jungen Sandy, deren Handlung in der dritten Person erzählt wird. Sandys Mutter Jenna ist verschwunden, der Vermieter droht wegen ausstehender Mietzahlungen mit Rauswurf.
Dazwischen gibt es Rückblicke auf Mollys Gespräche mit ihrer Therapeutin nach der Totgeburt und auf Jennas Erlebnisse vor etlichen Jahren.
Dann wechselt erneut die Perspektive und nun erleben wir die Geschehnisse aus der Sicht von Barbara. Sie ist die Ehefrau des ermittelnden Kriminalbeamten und ihr Sohn geht zusammen mit Mollys Tochter in den Kindergarten. Ebenfalls in diesen Kindergarten geht der Sohn von Stella, Mollys Freundin, deren älterer Sohn Aiden ständig Probleme mit Obrigkeiten hat. Er wiederum hat Kontakt zu Hannah, der älteren Tochter Barbaras, die wiederum Sandy Nachhilfeunterricht in Mathe gibt. Barbara ihrerseits kann Stella überhaupt nicht leiden und verdächtigt deren Söhne, ihren Sohn auf irgendeine Weise verstört zu haben.
All diese mühsam konstruierten Verbindungen und Verwicklungen wirken unrealistisch. Dazu kommt eine ständige Beschäftigung der Protagonistinnen mit sich selbst, einzig Sandy erscheint hier eher authentisch, sowohl was die Sprache als auch was ihre Handlungen und Reaktionen angeht. Die diversen Mütter – es kommen auch noch Schwiegermütter und Großmütter hinzu – zweifeln an ihrer Perfektion, scheitern daran, geben sich an allem die Schuld und so weiter und so weiter.
An dieser Stelle hat mich der Roman unangenehm an „Das Geflüster“ erinnert, den ich kürzlich rezensierte, in dem sich auch alles um Mütter drehte, die ständig über alles klagen und lamentieren. Hier nun sorgt das dafür, dass die doch eigentlich die Hauptrolle spielende Krimihandlung zu sehr in den Hintergrund gerät. Molly bezieht alles auf sich und ihr Trauma, Barbara behütet ihren Sohn wie einen Augapfel, vergisst darüber die Tochter. Irgendwann hat es mich nicht mehr interessiert, wer warum wann das Baby getötet hat oder ob es überhaupt getötet wurde. Irgendwann wurde der Roman zäh, langweilig, monothematisch und spannungsarm. Alles, was ein Thriller definitiv nicht sein sollte.
Kimberly McCreight - Die perfekte Mutter
Originaltitel: When they found her
aus dem Englischen von Kristina Lake-Zapp
Droemer, Juli 2025
Klappenbroschur, 414 Seiten, 16,99 €

Bewertung vom 22.07.2024
Mord in Shady Hollow / Shady Hollow Bd.1
Black, Juneau

Mord in Shady Hollow / Shady Hollow Bd.1


sehr gut

Man mag es als Fabel verstehen oder als Kinderbuch missverstehen – dabei ist dieser Waldtierkrimi mehr, nämlich eben in der Tat ein echter Krimi. Die beiden Autorinnen, die sich hinter dem Pseudonym verbergen, erschaffen eine komplette Stadt mit ausschließlich tierischen Bewohnern, deren einer schließlich einem Mord zum Opfer fällt.
In einer der Geschichte vorangestellten Anmerkung verweist Juneau Black darauf, dass man sich durchaus fragen könne, wie Fuchs und Kaninchen friedlich nebeneinander in der Zeitungsredaktion arbeiten können oder wie es gelingen kann, dass ein Elch und eine Maus sich auf Augenhöhe unterhalten. Doch diese Fragen treten bei der Lektüre fast gänzlich in den Hintergrund, denn die Story ist flott geschrieben, hat Spannung, es gibt mehrere Verdächtige und unzählige Spuren.
Hauptfigur ist die Füchsin Vera Vixen, ihres Zeichens Reporterin beim Shady Hollow Herald. Als die Kröte Otto tot aufgefunden wird – ein Einwohner mit so gut wie keinen Freunden, dafür aber vielen Feinden – hält Vera es nicht nur für ihre Aufgabe, sondern geradezu für ihre Pflicht, die Tat aufzuklären. Zur örtlichen Polizei, bestehend aus den zwei Bären, dem permanent abwesenden Chief und dem eifrigen Deputy Orville, hat Vera in dieser Hinsicht nämlich wenig Vertrauen.
Der Ermordete lag in ständigem Clinch mit dem Sägewerksbesitzer, dem Biber Reginald von Beaverpelt, der gleichzeitig der reichste Bewohner von Shady Hollow ist, der größte Arbeitgeber und außerdem Vater von zwei verwöhnten Töchtern. Alle drei geraten in Verdacht, Otto ermordet zu haben. Bevor Vera mehr herausfinden kann, gerät sie selbst in Lebensgefahr. Und dann geschieht ein weiterer Mord.
Zu den sehr sympathischen und vor allem sehr besonderen Einwohnern des Ortes zählen unter anderem der Elch Joe, Betreiber des Cafés Kaffeekanne, die Räbin Lenore, Besitzerin der Buchhandlung Nimmermehr und beste Freundin von Vera. Außerdem das schwarze Schaf Ruby, der Mäuserich Howard, Buchhalter im Sägewerk und stolzer Vater einer mehr als zahlreichen Kinderschar. In der Redaktion arbeitet außerdem der Kolibri Gladys unten den Augen des strengen Chefs, dem Stinktier SW Stein. Und vor der Stadt schließlich haust der Professor, die Eule Ambrosius Heidegger.
Dass alle diese Tiere problemlos nebeneinander leben, miteinander kommunizieren, dass sie auf dem Computer tippen können, Verbände anlegen und vieles mehr, all das irritiert irgendwann nicht mehr, wenn nämlich die Handlung in den Bann zieht und man diesen Roman liest wie einen herkömmlichen Krimi. Ein Krimi, der sehr viel Spaß macht, den man halt auch einfach nicht zu ernst nehmen darf.
Auf Fortsetzungen ist zu hoffen.
Juneau Black - Mord in Shady Hollow
aus dem Englischen von Barbara Ostorp
rororo, Juni 2024
Taschenbuch, 283 Seiten, 14,00 €

Bewertung vom 19.07.2024
Ein letztes Geschenk
Henkel, Calla

Ein letztes Geschenk


ausgezeichnet

Diese Autorin werde ich mir merken. Wenn sie immer so gut schreibt wie in diesem Roman, dann hat sie einen neuen Fan gewonnen. Die Geschichte um Esther, die sogenannte Scrap Books gestalten soll, ist so voller Kapriolen, Wendungen, Höhepunkten und Spannung, dass man den Roman verschlingen muss.
Esther, die sich selbst als Kunsthandwerkerin beschreibt und Bücher von Hand bindet, lernt auf einer Vernissage die reiche Naomi kennen. Von ihr erhält sie den Auftrag, als Geburtstagsgeschenk für deren Ehemann Alben zu gestalten, sogenannte Scrap Books.
Den Auftrag nimmt Esther allerdings erst an, als sie von ihrer Lebenspartnerin Jessica verlassen wird und nun die Hypothek für das gemeinsame Haus allein tragen muss. Daraufhin erhält sie von Naomi eine ganze LKW-Ladung von Kisten mit Material für diese Alben, eine Kiste pro Jahr über viele Jahre. Darin hat Naomi alles aufbewahrt: Fotos, Kassenbelege, Klassenarbeiten und Zeugnisse ihrer Tochter, Elternbriefe, Einladungen, Zeitungsausschnitte und Kontoauszüge, auch aus der Firma ihres Mannes. Wichtigste Regel für den Auftrag: Absolute Verschwiegenheit, dafür muss Esther Naomi bürgen und etliche Unterschriften leisten. Auch der gesamte Kontakt zu ihrer Auftraggeberin verläuft auf sehr geheimnisvolle Weise.
Je tiefer Esther in die Unterlagen eintaucht, desto mehr gerät sie in den Bann von Naomis Familie und deren Geschichte und Geheimnisse. Durch die Fotos lernt sie alle Menschen, die in Beziehung zu dieser Familie stehen, kennen und so beschäftigt sie sich immer mehr damit, beginnt zu recherchieren.
Parallel dazu leidet sie jedoch fürchterlich unter der Trennung von Jessica, spielt mit Selbstmordgedanken. Dann lernt sie ihren neuen Nachbarn Patrick kennen, einen sehr verschlossenen alten Mann. Erst nach und nach kommen sie sich näher und dann findet sie bei ihm unerwartete Hilfe und Unterstützung.
Als Naomi dann plötzlich ums Leben kommt, setzt Esther alles daran, die Hintergründe herauszufinden, geht dabei nicht immer legal vor und gerät auch schon mal in arge Bedrängnis.
Esther ist eine faszinierende Frauenfigur, schillernd, chaotisch, mal schrill, mal verzweifelt, die auch immer wieder mit ihrer eigenen Familiengeschichte hadert. Doch immer, bei allem was sie tut, wie sie reagiert und fühlt, wirkt diese Figur absolut authentisch. Man leidet beim Lesen mit ihr, möchte sie mal aufhalten, mal anfeuern. Und dann ist da ja noch die Frage, was geschah wirklich mit Naomi? Und warum liebte diese Frau den Roman „Gone Girl“ von Gillian Flynn so sehr?
Dieser Roman ist ganz sicher ein Highlight in meinem Lesejahr 2024, hier stimmt einfach alles. Die Darstellung der einsamen Heldin im Kampf gegen unbekannte Mächte, gegen Einsamkeit, Ungewissheit, Unsicherheit und ihre eigene Vergangenheit ist absolut gelungen, man ist ganz tief drin in der Geschichte. So soll ein Roman sein, fesselnd, spannend, überzeugend.
Und mit einem derart überraschenden Ende. Genial!
Calla Henkel - Ein letztes Geschenk
aus dem Englischen von Verena Kilchling
Kein & Aber Verlag, Juli 2024
Gebundene Ausgabe, 459 Seiten, 25,00 €