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Betty Literatur

Bewertungen

Insgesamt 66 Bewertungen
Bewertung vom 08.05.2023
Noch wach?
Stuckrad-Barre, Benjamin von

Noch wach?


ausgezeichnet

Ein polarisierendes Buch


Die „Personen und Handlungen dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“ (Heinrich Böll, Die verlorene Ehre der Katharina Blum)

Der Erzähler, selber Künstler und Autor, ist seit vielen Jahren der beste Freund des Chefredakteurs eines bekannten deutschen Senders und er hadert sehr mit den Machenschaften dieses Senders, der vor allem durch laute, reißerische Nachrichten auffällt. Sie machen sich zur Stimme Deutschlands. (WIR!) Dieser Fernsehsender vermarktet hemmungslos jede Nachricht, Hauptsache sie verkauft sich. Die öffentlich bloß gestellte Ehefrau eines bekannten Fußballers nimmt sich das Leben, nachdem ihr Privatleben seziert wurde.

Er erfährt jedoch auch, dass es dort zu sexueller Belästigung von Frauen durch den stellvertretenden Chefredakteur kommt und informiert seinen Freund darüber. Dieser sagt ihm zu, dass er das selbstverständlich ernsthaft verfolgen werde.
In einer Sucht-Selbsthilfegruppe trifft er mit Sophia zusammen, die bei dem Sender arbeitet und mit dem stellvertretenden Chefredakteur eine „Beziehung“ hatte. Sie schildert ihm einige Details.
Der Erzähler, der viel Zeit in einer hippen Gruppe in Hollywood am Pool des berühmten Château Marmont, Hollywoods Kulthotel, verbringt, erfährt von Rose, dass sie ebenso sexuellen Übergriffen ausgesetzt war. Und auch ihre Freundin „Baseballs“, die in der Redaktion des Senders gearbeitet hatte, werde bald in die Öffentlichkeit treten. Dafür bittet sie um seine Unterstützung.
In den USA wird der Skandal zum Harvey Weinstein öffentlich und Rose ist eine der ersten, die ihre Geschichte erzählt.
Und in Berlin rühren sich die Frauen in der Redaktion. Sophia und der Erzähler sammeln die Informationen der Betroffenen. Die Berichte der Frauen sind erschreckend. Die Frage, ob und wie die Öffentlichkeit informiert wird, ist kompliziert. Die Frauen befürchten vor allem berufliche Nachteile sowie Verleumdungen: „Dann müssen die Frauen sich auch nicht wundern.“
Man einigt sich auf ein Compliance-Verfahren, am Ende bleibt der Täter, der Chefredakteur, zwar ein bisschen angeschlagen, weiter in seiner Position.

Der Erzähler zieht den Leser in seinen Sog. Er bestimmt die Sichtweise, auch wenn er das ja eigentlich nicht will. „… und ich mag dieses Gefühl überhaupt nicht. Moralisch im Recht zu sein oder sich auch nur zu wähnen macht so dumm, das ist immer das Problem.“
Die Stimmen der Frauen rütteln auf. Sie bekommen nächtliche Nachrichten. „Noch wach? Scheiß klimanalage-komm und wärm mich-starke vermissung- bin da-köroer an körper jetzt-wo du“ (Anm.: Originalzitat, da es sich um eine „Kurznachricht“ per Telefon handelt) oder werden aufgefordert ihn sofort (nachts) zu treffen. Wenn sie seine Bedürfnisse nicht erfüllen, werden sie „abgelöst“ und öffentlich bloßgestellt.
Benjamin von Stuckrad-Barre beherrscht die Vielfalt der Sprache.
In beißender Ironie zeigt er seine Kritik am Machtgebaren dieses mächtigen Senders und dieser mächtigen Männer, Männer als Karikaturen ihrer selbst. Seine Wortakkrobatik zeigt sich in herrlichen Wortneuschöpfungen (schweinepeinliches Feuerwehrschweifauto, irrer Blendwörter-Lalltext, Peer Group-Reinheitsgebot).
Stakkatohaft werden Ereignisse, Überlegungen, weitere Gedanken aneinandergereiht, es gibt so viel zu „bedenken“.

Es stellt sich die Frage, ob wir bei diesem Buch von einem „Roman“ sprechen können, denn die Geschehnisse sind mehr real als fiktional, das trifft auch auf die Protagonisten zu. Obwohl der Autor, zu Beginn des Buches ausdrücklich darauf hinweist (hinweisen muss?): „Dieser Roman ist in Teilen inspiriert von verschiedenen realen Ereignissen, er ist jedoch eine hiervon losgelöste und unabhängige fiktionale Geschichte.“. Es ist kein Geheimnis, dass es sich bei dem am Ende des Buches Ex-Freund des Erzählers um Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, und den zum Erzählzeitpunkt 2019 sehr mächtigen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt handelt. Da war Heinrich Böll doch mutiger….
Ein wichtiger Blick auf ein wichtiges Thema. Ob der Erzähler nun wirklich auf Seiten der Me-Too-Bewegung steht? Ich weiß es nicht. Er möchte politisch korrekt rüberkommen, ist vorsichtig bei seinen Urteilen. Vielleicht möchte er auch seine Rolle in diesem schauderhaften Schauspiel rechtfertigen. Zum Verhalten seiner Geschlechtsgenossen jedoch ist sein Urteil klar.
Ich kann das Buch unbedingt empfehlen, zumal es gerade so kontrovers diskutiert wird.

Bewertung vom 06.05.2023
Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden
Conaboy, Chelsea

Mutterhirn. Was mit uns passiert, wenn wir Eltern werden


sehr gut

Verändert sich das Gehirn von Eltern während der Schwangerschaft und wenn ja wie?
Diese Frage möchte Chelsea Conaboy, amerikanische Wissenschaftsjournalistin und selber Mutter zweier Kinder, aufgrund wissenschaftlicher Recherche vor allem der Neurowissenschaften beantworten.
„Das Mutterhirn ist nicht gleichbedeutend mit dem weiblichen Gehirn und nicht mit dem Gehirn der Gebärenden. Es ist vielmehr das Gehirn, das man sich „durch Fürsorge verdient“, wie die feministische Philosophin Sara Ruddick es beschreiben würde.“
Bereits während der Schwangerschaft finden deutlich nachweisbare Veränderungen im Gehirn statt. „Das Volumen von Hirnarealen, die bei der Fürsorge und Erziehung eine entscheidende Rolle spielen, einschließlich jener Areale, die unsere Motivation, Aufmerksamkeit und sozialen Reaktionen beeinflussen, hat sich erheblich vergrößert.“
Die Autorin räumt die Ideologie des „Mutterinstinkts“ beiseite. Die Beziehung zwischen Baby und Mutter entwickelt sich, angepasst an die Bedürfnisse des Kindes, diese „Beziehung“ entwickeln auch Väter, Adoptiveltern, gleichgeschlechtliche Paare. Die Gehirne dieser „versorgenden“ Personen verändern sich in ihrer emotionalen Aufnahmefähigkeit und Sensibilität. Unser Gehirn ist ein komplexes Gebilde, das immer in Bewegung ist und sich veränderten Umständen anpasst. So beeinflussen auch die massiven Hormonveränderungen vor und nach einer Schwangerschaft das Gehirn. Wenn Eltern auf Schreie ihres Babys reagieren, das Kindchenschema als „niedlich“ empfinden und ihre Kinder versorgen und beschützen, so wird dies durch bestimmte Hirnareale gesteuert.

Chelsea Conaboy zitiert Forscherinnen, die die Intensität der Veränderungen während einer Schwangerschaft mit denen in der Pubertät vergleichen. „Neue Elternschaft ist ein Prozess, der Zeit braucht.“
Neben aktuellen Forschungsberichten kommen zahlreiche Frauen zu Wort, die die Mutterschaft ganz unterschiedlich erlebt haben und auch die Autorin bringt ihre persönlichen Erfahrungen mit ein.
Die Idealisierung der Mutterschaft hat eine lange Tradition, sie ist jedoch kulturell und auch historisch unterschiedlich ausgeprägt und hängt oft mit der jeweiligen gesellschaftlichen Rolle der Frau zusammen.
Dieses Buch vermittelt wichtige Erkenntnisse darüber, dass Mutter- oder Elternschaft nicht (nur) biologisch determiniert ist, sondern durch Anpassungen im Gehirn aufgrund veränderter Bedingungen entsteht.
Außerdem räumt es mit dem verklärenden Mythos der Mutterschaft auf, die nicht immer positiv verläuft. So kann es auch werdenden und jungen Müttern/Eltern helfen, die Gefühlsstürme, die über sie hereinbrechen, zu verstehen.
Als „Elternratgeber“ ist das Buch eventuell zu komplex und wissenschaftlich aufgearbeitet, aber gerade die große wissenschaftliche Recherche macht es so glaubhaft.

Bewertung vom 05.05.2023
Going Zero
Mccarten, Anthony

Going Zero


ausgezeichnet

„Schöne neue Welt. Schöne neue Welt?“
Gelingt es dir, 30 Tage unterzutauchen, ohne dass die Sicherheitsbehörden dich aufspüren, dann bekommst du 3 Mio. Dollar.
Dieses Experiment des Unternehmens WorldShare, die sogenannte „Fusion-Initiative“, gemeinsam mit der US-Regierung, soll beweisen, dass es nicht möglich ist unentdeckt zu bleiben.
10 Personen sind nach dem Bewerbungsverfahren auserkoren worden, den Überwachungsmechanismen von FBI, CIA, NSA zu entkommen. An oberster Stelle der Verfolger steht Cy Baxter, ein Multimillionär, Chef von World-Share, der mit seinen neuen Überwachungs- und Ermittlungs-Programmen einen Milliardenmarkt erschließen will.
Die ersten TeilnehmerInnen werden schnell erfasst, der Zugriff auf sämtliche persönliche Daten, Bewegungsprofile klappt wunderbar.
Lediglich die Bibliothekarin Kaitlyn, ein völlig unterschätze Teilnehmerin hält länger durch als erwartet.
Viele TeilnehmerInnen machen kleine Fehler, die ihnen zum Verhängnis werden. Aber die Verfolger greifen auch durchaus auf illegale Überwachungsmethoden zurück, z.B. ein Programm, mit dem man Zugriff auf jeden Fernseher im Land hat und ihn als Abhörgerät nutzen kann.
Die letzten 9 Tage ist neben Kaithlyn nur noch ein weiterer Kandidat unauffindbar und Cy ist besessen, das Programm erfolgreich zu beenden. So wird auch der Vorletzte Kandidat gefunden.
Es gibt erstaunliche Wendungen, die gesuchte Kandidatin bleibt unauffindbar. Stattdessen richtet sie eine Drohung an Cy und nun wird die Geschichte zum Polit-Thriller.
Der Roman ist sehr spannend geschrieben, parallel dazu erschrickt die „Lässigkeit“, mit der sämtliche persönliche Daten recherchiert, verwendet, analysiert und hochgerechnet werden, um auch bereits zukünftige Entscheidungen vorauszusehen. Letztlich geht es um den Milliardenmarkt an Programmen, um Datenschutz, um Macht und hemmungslose Kriminalität.
Es ist wirklich keine schöne neue Welt.
Ich kann das Buch sehr empfehlen.

Bewertung vom 03.05.2023
Als wir Vögel waren
Banwo, Ayanna Lloyd

Als wir Vögel waren


sehr gut

Ayanna Lloyd Banvo hat ihren ersten Roman veröffentlicht, der in ihrer Heimat Trinidad spielt.
Darvin arbeitet als Totengräber in Port Angeles, einer fiktiven Stadt in Trinidad, obwohl seine Religion des Rastafari den Umgang mit Toten verbietet, aber die finanzielle Not ist groß. Er muss auch gegen ein weiteres Gebot verstoßen und seine langen Haare opfern. Er tut sich schwer mit der Atmosphäre auf dem Friedhof und den anderen Totengräbern und er ahnt recht bald, dass auf dem Friedhof merkwürdige Dinge passieren.
Yejide ist von ihrer Großmutter in die alten Mythen ihrer Familie eingeweiht worden und sie soll nach dem Tod der Mutter das Erbe der matriarchalen Reihenfolge fortsetzen. Der Tod hat in ihrer Familie eine besondere Bedeutung. Ebenso die Geschichte um die schwarzen Vögel, die Corbeaux, Aasvögel, die den Tod begleiten. Yejide leidet unter der Last, die ihr als „Erbin“ auferlegt wird. Sie kann die Toten hören und bei den Lebenden den Tod als Schatten sehen.
In einer Vision sehen die beiden Protagonisten sich bereits, bevor sie sich auf dem Friedhof wegen der Beisetzung von Yejides Mutter begegnen. Und sie wissen beide, dass sie zusammengehören. Sie vertrauen einander ihre Geheimnisse an.
Sprachgewaltig und poetisch nimmt uns die Autorin mit in eine fremde, exotische Welt voller Farben und Gerüche, die so gut beschrieben wird, dass man sich die Atmosphäre bildlich vorstellen kann.
Der verschachtelte Erzählstrang aus Sicht der beiden ProtagonistInnen schafft Spannung und lässt in ihre Gedanken blicken.
Der tiefe Glaube, die Mythen der beiden Hauptpersonen sind verwirrend und faszinierend zugleich.
Ich bin dankbar für dieses Buch, das ein ungewöhnliches Thema auf bewegende Art und Weise behandelt und uns Einblick in eine fremde Kultur gewährt.

Bewertung vom 03.05.2023
Kastenbrote
Schell, Valesa

Kastenbrote


ausgezeichnet

Es gibt ein neues Brotbackbuch von Valesa Schell, in dem sie nur Rezepte für Kastenbrote vorstellt. Die Gare findet bereits in der Kastenform statt, so dass man einen Arbeitsschritt, der sonst nötigen Stockgare, überspringen kann.
Die Brote werden entweder mit Hefe, Sauerteig, Lievito Madre hergestellt, es gibt herzhafte, süße und Vollkornbrot-Rezepte.
Valesa Schell erläutert die Grundlagen des Brotbackens, der unterschiedlichen Zutaten sowie der verschiedenen Triebmittel.
Sie beschreibt die Herstellung und Pflege von Sauerteig und Lievito Madre.
Die Rezepte sind abwechslungsreich, die Umsetzung erfordert wegen der Gärzeiten etwas Zeit. Einige Brote benötigen Zutaten, die man vielleicht nicht im Haus hat.
Ansprechende Bilder machen Lust, sofort zu beginnen.
Hinweise auf Bezugsquellen sowie Internetblogs sind für Einsteiger hilfreich.
Ich bin begeistert von dem Buch, habe bereits den Brotbackkurs von Valesa Schell ausführlich getestet.

Bewertung vom 02.05.2023
Gelegenheiten
Schneider, Romy

Gelegenheiten


sehr gut

Eine Frau geht ihren Weg.
Die Protagonistin Karla entschließt sich, ihr bisheriges Leben hinter sich zu lassen und endlich ihren Traum, ein Buch zu schreiben, zu verfolgen.
Sie mietet ein kleines Haus in der Provence, ihrem Sehnsuchtsort. Zur Begrüßung findet sie eine Flasche Roséwein mit dem vielversprechenden Etikett „Pour toutes les occasions“, für jede Gelegenheit.
In der Nähe befindet sich ein Weingut, wo sie diesen Wein kaufen möchte. Sie lernt dort den Winzer kennen, der die Weinprobe mit ihr als „Occasion“ bezeichnet. Und es finden sich weitere „Gelegenheiten“, an denen die beiden zusammentreffen.
Karla schreibt fleißig an ihrem Buch und genießt die französische Lebensart.
Sie verfolgt sehr konsequent und gradlinig ihren Weg, sie hat verstanden, was wirklich wichtig ist im Leben.

Eine schöne Geschichte über die Selbstfindung einer Frau, gerahmt in der wunderbaren Natur der Provence in den wechselnden Jahreszeiten und eine Liebesgeschichte, die nicht kitschig ist.

Bewertung vom 01.05.2023
Das Ende der Ehe
Roig, Emilia

Das Ende der Ehe


sehr gut

Die Autorin hinterfragt die Institution der Ehe, da sie in ihren Augen dazu dient, das patriarchalische System zu stützen und Frauen in bestimmte Rollen zu drängen. Sie konzentriert sich in ihren Ausführungen auf die heterosexuelle Ehe. Selbstverständlich ist ihr bewusst, dass es andere sexuelle Orientierungen und Beziehungen gibt.
Die Sehnsucht nach der Ehe wird durch Narrative und Mythen erzeugt, denen wir alle unterliegen. Ein Bespiel sind die typischen Rollenbilder in Märchen, die auch heute noch erfolgreich vermarktet werden, z.B. in Disney-Verfilmungen oder Musicals.
Und die Ehe ist eine mächtige kulturelle Norm. Die Rollen von Mann und Frau sind definiert. Vor allem für Frauen scheint der gesellschaftliche Erwartungsdruck hoch zu sein. Ihr Selbstwertgefühl definiert sich über ihren Beziehungsstatus. Da ist die Ehe quasi die „Krönung“. Ehefrau oder Mutter sind Identifikationsmerkmale auch in Social Media-Portalen von Frauen.
Noch im letzten Jahrhundert war die Ehe vor allem für Frauen eine gesellschaftliche und finanzielle Notwendigkeit, da ging es nicht um die große Liebe.
Heute wird die Liebe nun gedanklich kombiniert mit der Ehe und wird als größte Erfüllung prophezeit. Um diese Erfüllung zu finden, sind Frauen nach wie vor bereit, alles zu tun und mehr Kompromisse einzugehen als ihre Partner.
Für Männer gibt die Ehe die Sicherheit, jemanden zu haben, der sich um ihn kümmert. Die Machtposition des Mannes in der Ehe wird noch verstärkt dadurch, dass er in der Regel den größeren finanziellen Beitrag leistet.
Die Ehe wird in der Regel mit Kinderwunsch assoziiert. Auch hier sind die Denkmuster gesellschaftlich und kulturell vorgegeben.
In den Märchen wird leider verschwiegen, wie die Zeit zwischen der Hochzeit und dem Schluss „…und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende“ aussieht.
Es gibt Untersuchungen über sogenannte „Post-Hochzeitsdepressionen“, in die viele Frauen verfallen.
Die Idee der romantischen Liebe, monogam, heterosexuell und von Dauer, ist prägend für unsere Vorstellungen eines glücklichen Lebens. Singles sind unvollständig, kurze Beziehungen gelten als gescheitert, Goldene Hochzeiten werden gefeiert.
Viele Paare bleiben aber auch zusammen, wenn die Liebe verloren gegangen ist. Das Single-Leben macht Angst, der soziale Druck ist groß, häufig besteht eine finanzielle Abhängigkeit, der Freundeskreis ist ein Paare-Freundeskreis und man bleibt „wegen der Kinder“ zusammen.
Frauen verwenden ihre gesamte emotionale Energie darauf, dass das Ehekonstrukt hält, Schränken sich und ihre Bedürfnisse ein, kümmern sich um den Partner und seine Bedürfnisse. Sie lesen Beziehungsratgeber und versuchen, Männer zu verstehen. Und sie wollen eine „gute Mutter“ sein. Auch dazu gibt es klare gesellschaftliche Vorstellungen.
Das Idealbild des Paares in der Gesellschaft, der glücklichen Familie, schließt alle Menschen aus, die dem nicht entsprechen. Diejenigen, die dieser Norm nicht entsprechen, sind weniger „wert“.
Auch der Mythos, dass Kinder in der klassischen Kleinfamilie die besten Bedingungen haben, um gesund aufzuwachsen, muss hinterfragt werden. Kindesmissbrauch und Gewalt gegen Frauen finden in der Regel im häuslichen Umfeld statt.
Care-Arbeit, nennt man die tägliche Arbeit, die in einem Haushalt anfällt, in einer Ehe wird sie in der Regel von der Frau erledigt, oft zusätzlich zu ihrer Berufstätigkeit. Care-Arbeit ist unbezahlt und wird aus Liebe geleistet. Und sie ist gesellschaftlich notwendig, damit Männer sich voll und ganz ihrem Beruf widmen können und zum Wirtschaftswachstum beitragen. Dieses Prinzip wird vom Staat durch steuerliche Entlastung belohnt.
Die Autorin vertritt, die These, dass unsere Vorstellung von Sexualität nach wie vor von Männlichkeit und „Penetration“ geprägt ist, Heterosexualität gilt als die „Norm“. Die Frau ist auch sexuell im Besitz des Mannes. Das „sexuelle Kapital“ der Frau, Ihr aussehen, muss gepflegt werden und erhalten werden, damit sie am „Markt“ vermittelbar ist. Es ermöglicht ihr gesellschaftlichen Aufstieg. Das Problem der Schwangerschaftsverhütung ist nach wie vor bei den Frauen und bei der Legalisierung von Abbrüchen sind sie auf das Wohlwollen männlicher politischer Entscheidungen angewiesen.
Es ist nicht leicht, dieses komplexe Buch zusammenzufassen. Es liefert einen großen Überblick über die Rollen von Mann und Frau, es gibt historische Exkurse, zahlreiche AutorInnen werden zitiert, die aktuelle Feminismus-Diskussion findet Berücksichtigung. Der Blick wird erweitert auf LGBTQI+- Community, kulturelle, religiöse, soziale Unterschiede.
Was ist das Fazit?
Hier zeigt die Autorin Möglichkeiten einer Veränderung auf.
Das Buch ist inspirierend, es bestätigt vieles von dem, was ich über die Ehe denke.
Wir brauchen mehr solcher Bücher, vielleicht ein wenig kürzer…..

Bewertung vom 01.05.2023
Elternabend
Fitzek, Sebastian

Elternabend


ausgezeichnet

Sebastian Fitzek hat mal keinen Krimi geschrieben, dafür eine sehr unterhaltsame, wirklich witzige Gesellschaftssatire über einen Elternabend.
Durch einen merkwürdigen Zufall und durch merkwürdige Umstände gelangen ein Mann und eine Frau, die sich vorher nicht kannten, auf einem „Elternabend“ und geben sich als Eltern eines Kindes aus, weil sie beide auf der Flucht vor der Polizei sind.
Zwischendurch bleibt einem das Lachen im Halse stecken, als der Protagonist, der Ich-Erzähler, aus seinem Leben erzählt. Wir werden mit einem schwierigen Thema konfrontiert, das der Autor ernsthaft und sensibel behandelt.
Das Buch ist unglaublich gut konstruiert, der Erzähler verweist darauf, dass er auf bestimmten Seiten bereits Hinweise gegeben habe. Und so ist es irgendwie doch ein „Indizienfall“, den der Erzähler löst. Am Ende jedes Kapitels wird der Leser mit neuen Informationen konfrontiert und plötzlich sieht alles wieder ganz anders aus. Dadurch entsteht große Lust am Weiterlesen. Ich konnte jedenfalls nicht aufhören.
Das Buch ist so beeindruckend bildlich geschrieben, dass bereits beim Lesen ein Film im Kopf abläuft.
Ich habe das Buch auf dem Rückweg von der Leipziger Buchmesse gelesen, die Schlange am Signier-Tisch war leider zu lang.
Sebastian Fitzner ist zu Recht ein vielbeachteter Autor.
Ich kann das Buch unbedingt empfehlen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.04.2023
Idefix und die Unbeugsamen - Der Wecker von Lutetia
Uderzo, Albert;Goscinny, René

Idefix und die Unbeugsamen - Der Wecker von Lutetia


sehr gut

Idefix und die Unbeugsamen
Der Wecker von Lutetia

„Wir befinden uns im Jahre 52 vor Christus. Ganz Lutetia ist von den Römern besetzt. Ganz Lutetia? Nein! Eine kleine Schar unbeugsamer Tiere, unter der Führung von Idefix, leistet dem Eindringling Widerstand…“

Dieses Mal wird die uns bekannte Asterix-Geschichte aus der Sicht der Tiere erzählt, denn sie spielen eine wichtige Rolle und werden oft zu wenig beachtet bei der Betrachtung historischer Ereignisse.
Idefix und seine Freunde Dertunix (eine Bulldogge aus Toulouse), Turbine, Sardine (eine Katze), Astmatix (eine alte Taube), Weissnix (ein Uhu) müssen in einem schwierigen Fall ermitteln.
Sinfonix, der Hahn, der normalerweise die schlafende Stadt weckt und auch ehrlich gesagt, einige Tiere nervt, ist plötzlich verstummt.
Monalisa, die verwöhnte Katze, wohnt im römischen Palast, sie ist der Liebling des Generals und sie hasst das Gekrähe von Sinfonix. Also wünscht sie sich von ihrem Herrn „Hähnchen mit Datteln“. Die Soldaten machen sich auf den Weg und erwischen Sinfonix.
Idefix und seine Freunde schicken Weissnix zum Spionierflug über den Palast und er entdeckt den Hahn in der Küche mit Monalisa, die ihn zubereiten will.
Mit vielen Tricks und gemeinsamer Unterstützung gelingt es den Freunden in letzter Sekunde Sinfonix zu befreien.
Das Buch ist ein „Erstlesebuch“ für Kinder ab 6 Jahren, kann aber bestimmt auch vorgelesen werden. Es orientiert sich inhaltlich an der TV-Serie „Idefix und die Unbeugsamen“.
Mir hat es gut gefallen, die Charaktere der Tiere sind ausgesprochen phantasievoll und lustig, ebenso die Dialoge.

Bewertung vom 25.04.2023
Strandgeflüster in St. Peter-Ording
Deckner, Anni

Strandgeflüster in St. Peter-Ording


weniger gut

Leider habe ich mich bei der Auswahl des Romans von meiner Liebe zur Nordsee verleiten lassen.

Bettina, Schriftstellerin von Liebesromanen, eilt nach St Peter Ording, weil Ihre Mutter, die sich dort aufhält, anscheinend Hilfe benötigt. Sie lernt den Ostfriesen Noah kennen, der sie bei der Suche nach der Mutter unterstützt, und die beiden verlieben sich schnell ineinander.
Nun kommt der Vater noch nachgereist, er vermisst seine Frau, die ohne Worte verschwunden ist. Der Vater, obwohl Akademiker, ist eine lächerliche Person im Versorgungsnotstand.
Nach einigem Hin- und Her wird dann alles gut.
Es gibt ordentlich Lokalkolorit: Die Landschaft, die Natur, die Örtlichkeiten werden ausführlich beschrieben.
Das Thema, dass eine Ü30-Frauauf der Suche nach dem richtigen Mann ist, ist nicht neu. Und dass die Frau so naiv ist auch nicht.
Ebensowenig der locker-leichte Plauderton und der übertriebene Umgang mit sprachlichen Bildern.
Auch inhaltlich ist das Buch enttäuschend. Die Charaktere sind wenig überzeugend, klischeehaft überzeichnet, fast schon lächerlich.
Mir hat das Buch gar nicht gefallen. Ich sollte wohl die Finger von „Liebesgeschichten“ lassen.