Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Betty Literatur

Bewertungen

Insgesamt 80 Bewertungen
Bewertung vom 18.07.2023
Erzähl's nicht deinem Bruder
Shalev, Meir

Erzähl's nicht deinem Bruder


sehr gut

Erzähl‘s nicht deinem Bruder
aus dem Hebräischen von Ruth Achlama

Die beiden Brüder Boas und Itamar treffen sich einmal im Jahr in Israel. Itamar, ein sehr gutaussehender Mann, lebt schon lange in den USA. Bei ihren „Brudernächten“ erinnern sie sich an die Zeit mit ihren Eltern und ihre Begegnungen mit Frauen. Mittlerweile sind beide über 60.
Itamar erzählt seinem Bruder von einer Begegnung mit einer Frau, Scharon, mit der er vor 20 Jahren in Israel bei einem seiner Besuche eine aufregende Begegnung hatte. Scharon bringt ihn in ein abgelegenes Haus. Seine Kurzsichtigkeit wird ihm dabei zum Verhängnis, denn sie versteckt seine Brille, damit er die Nacht bei ihr bleibt. Im Laufe des Abends gibt es spannende Entwicklungen.
Das Erzählen der Geschichte dieser Begegnung wird immer wieder durch witzige Dialoge unterbrochen, weil Boas Rückfragen stellt oder Bemerkungen einfließen lässt.
Michal, die frühere Geliebte Itamars spielt ebenfalls eine wichtige Rolle in dem Gespräch.
Die dauernden Unterbrechungen, so unterhaltsam sie auch sind, führen leider dazu, dass die Dramaturgie der eigentlichen Geschichte leidet.
Was aber deutlich wird, ist die große Nähe der Brüder zueinander, die sich am Ende doch alles erzählen, was sie als Geheimnisse mit sich herumgetragen haben.
Shalev ist ein zweifellos ein großartiger Erzähler, die Beschreibung der Kindheit, die Rolle der Eltern, die Spiele, die sie spielen und in die sie ihre Söhne einbinden, sind sehr lesenswert und amüsant.
Ich kann gar nicht genau sagen, warum mich dieser Roman nicht so begeistert. Vielleicht ist es Boas belehrender Ton, der mich stört, seine Eifersucht auf seinen Bruder. Auch Michals Rolle, die so entscheidend für Itamars Leben ist, bleibt mir zu wenig ausgearbeitet.
Trotz allem ein lesenswerter Roman.

Bewertung vom 06.07.2023
Der Liebende
Ehrenhauser, Martin

Der Liebende


ausgezeichnet

Ein poetisches, leises, sinnliches Buch.
Ein Mann und eine Frau begegnen sich und finden Interesse aneinander. Das ist zunächst nicht ungewöhnlich.
Für den Seelsorger im Ruhestand Monsieur Haslinger gerät jedoch seine ordentliche, strukturierte Welt ein wenig ins Wanken, als die lebensfrohe Nachbarin Madame Janssen im Nachbarhaus einzieht. Er, der bisher zölibatär gelebt hat, spürt sich zu Madame Janssen hingezogen und lässt sich vorsichtig auf die Nähe zu ihr ein.
Beide verbindet die Freude an Pflanzen. Und diese Pflanzen sind ein wunderbares Symbol für das Leben und die Vergänglichkeit des Lebens.
Ich habe mich ein wenig in Monsieur verliebt. Seine feinfühlige Art und seine Bereitschaft, sich auf ein kleines Abenteuer einzulassen.
In der Er-Erzählperspektive erleben wir die Welt mit den Augen des Monsieur Haslinger. Es ist außergewöhnlich berührend, wie dieser Mann eine Frau bewundert, die Nähe zu ihr und körperliche Berührung zum ersten Mal erlebt.
Madame überredet ihn, nackt zu baden und in der Beschreibung dieses Moments liegt all seine Zerrissenheit. „Er musste ihr einen schnellen Blick zuwerfen. Vorsichtig schaute er an ihr vorbei, gerade so, dass er sie noch sah (…). Er erspähte ihre weiblichen Rundungen, die ihre Unterwäsche straff ausfüllten. Aufregend schön war der Anblick.“
Die beiden werden ein Liebespaar. Doch das Glück währt nur eine kurze Zeit.

Für mich ist es eine der schönsten Liebesgeschichten, die ich bisher gelesen habe. Inhaltlich und sprachlich perfekt.

Bewertung vom 05.07.2023
Vom Ende der Nacht
Daverley, Claire

Vom Ende der Nacht


ausgezeichnet

Rosie und Will begegnen sich als Teenager bei einem Lagerfeuer und seitdem kreisen ihre Gedanken umeinander, auch wenn sie eigentlich in ihrer Unterschiedlichkeit nicht zueinander passen.
Rosie, brav und angepasst, fleißig in der Schule, musikbegeistert und kreativ, leidet unter dem Erwartungsdruck ihrer Mutter und einigen Zwangsstörungen.
Will ist von seiner Mutter verlassen worden und wächst mit seiner jüngeren Schwester bei den Großeltern auf. Er ist eher ein „bad boy“, fällt in der Schule negativ auf, sucht Herausforderungen beim Motorradfahren und hat immer wieder Probleme mit Alkohol. Er träumt davon, die Eintönigkeit des Kleinstadtlebens zu verlassen und die Welt zu erkunden.
Rosie und Will kommen überhaupt nicht dazu, ihre erste Liebe auszuprobieren, denn ein furchtbares Unglück, umwoben mit einem Geheimnis, belastet sie beide so sehr, dass sie auf getrennten Wegen ersuchen, ihre Leben zu gestalten.
Sie begegnen sich immer wieder, müssen weitere Schicksalsschläge gemeinsam meistern.
In dieser besonderen Liebesgeschichte geht es um zwei Menschen, die sich wollen, aber es nicht mitteilen oder umsetzen können, weil die Umstände nicht passen.
Zwei traurige Menschen, die parallel zu einander versuchen, ihre Leben zu leben.
„Sie denken nicht aneinander. Nicht oft. Wirklich nicht.“
Die Er-/Sie Erzählperspektive ermöglicht es, das Leben, die Gedanken und Gefühle beider Protagonisten zu erleben. Die Autorin schafft es, in eindringlicher Sprache, in kurzen, präzisen Sätzen, den Alltag, aber auch die Zerrissenheit der Menschen abzubilden. Rosie und Will kämpfen beide um die Bewältigung der Gespenster ihrer Vergangenheit, sie brauchen einander und lassen doch immer wieder voneinander los. Sie fühlen Nähe, können aber ihre Gefühle nicht aussprechen, sie haben Sehnsucht nacheinander, aber können es sich nicht mitteilen.
Beide arbeiten an sich, versuchen ohne einander zu leben.
Die Geschichte hat eine große Anziehungskraft. Nichts ist, wie es ist, das Leben ist traurig, Menschen sterben. Die Liebe ist da und so nah und doch so kompliziert. Und nirgendwo ist Kitsch, auch nicht, wenn der Himmel in unterschiedlichen Farben erscheint.
Meine Sorge, in eine Young-Adult-Liebesgeschichte hineingeraten zu sein, hat sich nicht bewahrheitet. Es ist vielmehr ein großartiger Entwicklungsroman, zweier junger Menschen, die ihre Ängste überwinden müssen, um zu verstehen, was ihnen im Leben wichtig ist und dann Entscheidungen treffen zu können.
Ein faszinierender Roman, den ich sehr gerne gelesen habe.
aus dem Englischen von Margarita Ruppel

Bewertung vom 05.07.2023
Nachts erzähle ich dir alles
Landsteiner, Anika

Nachts erzähle ich dir alles


sehr gut

„Der Welt bist du egal“ schreibt die 16-jährige Alice in ihr Tagebuch.
Anika Landsteiner, Autorin und Podcasterin hat einen neuen Roman veröffentlicht, der mich sehr beeindruckt hat.
Léa fährt nach Südfrankreich in das Haus ihrer Familie. Sie braucht Abstand zu ihrem bisherigen Leben und der Arbeit in ihrem Café.
Im Garten ihres Hauses begegnet ihr am späten Abend eine Teenagerin namens Alice aus der Nachbarschaft. Am nächsten Tagen erfährt Léa, dass diese junge Frau in der Nacht erstorben ist. Sie ist vermutlich die Letzte, die sie gesehen hat.
Léas Bruder Émile versucht mit ihr gemeinsam die letzten Stunden seiner Schwester zu rekonstruieren. Émile ist ein sehr bekannter Podcaster und beschäftigt sich mit gesellschaftlichen und philosophischen Themen. Er sucht Trost in dem Gespräch mit Léa und gemeinsam versuchen sie die Hintergründe des Todes seiner Schwester herauszufinden.
Zwischen Léa und Émile entwickelt sich eine vertrauensvolle Atmosphäre und
Lea muss sich eingestehen, dass sie, die eine lange Beziehung zu einer Frau hatte, den 10 Jahre jüngeren Mann anziehend findet. Aber passen ihre Leben zueinander?
Parallel schreibt Claire, eine Freundin von Léas Mutter in Frankreich, die sich um das Haus und auch um Léa kümmert, in einem Monolog an Léa, wie sie selber die Zeit als Teenager und die Zeit mit ihrer Mutter erlebt hat.

Dieser Roman ist ein großes Buch über die Liebe. Die Vielfalt der Liebe.
Liebe kann großartig sein. Sie ist viel mehr als die Liebe eines Paares. Liebe fordert keine Gegenliebe, sie ist ein Geschenk.
Aber es ist auch ein politisches Buch über Schwangerschaft und die Entscheidungsfreiheit von Frauen. „Das Private bleibt politisch“, wie die Autorin in ihrem Nachwort betont.

Nebenbei macht das Buch Lust auf Frankreich, der Duft französischen Gebäcks, frittierter Zucchiniblüten, gebratenem Fisch und marinierten Erdbeeren liegt in der Luft.

Bewertung vom 03.07.2023
Lenny Hunter - Die magische Sanduhr (Bd.1)
Thilo

Lenny Hunter - Die magische Sanduhr (Bd.1)


ausgezeichnet

Lenny Hunter, Cleo und Marvin sind beste Freunde und ermitteln in Kriminalfällen. Romolus, Lenny Großvater, ruft um Hilfe, denn eine Verbrecherbande, die Rote Pfote, ist auf der Suche nach der magischen Sanduhr. Mithilfe dieser Uhr kann man Ereignisse rückgängig machen. Das ist natürlich gefährlich in der Hand von Verbrechern.
Die 3 Freunde begeben sich mit Rosty, einem „besonderen“ Flugzeug, auf die Suche nach der Roten Pfote in den Dschungel. Bis es ihnen gelingt, die Sanduhr zu sichern, müssen sie einige Gefahren meistern.
Diese Abenteuergeschichte ist wirklich spannend und unterhaltsam geschrieben, schöne, witzige Dialoge zwischen den Freunden, phantasievolle Namen („Plappageien“) machen diesen Text lesenswert.
Mir gefällt, dass die einzelnen Akteure relativ geschlechtsunspezifisch dargestellt werden.
Das Buch ist sehr ansprechend gestaltet, die Bilder passen toll zum Text. Karten, Briefe, Opas kleines Notizbuch, Steckbriefe der Verbrecher sowie Aufklappseiten ergänzen die Geschichte und unterstützen die Neugierde beim Lesen.
Ich würde das Buch ab 5 Jahren empfehlen. Mir hat es sehr gefallen.
In der Reihe Lenny Hunter gibt es weitere Bücher.
Illustriert von Silvio Neuendorf

Bewertung vom 19.06.2023
Der letzte Sessellift
Irving, John

Der letzte Sessellift


sehr gut

Erzähler Adam, Kind einer alleinerziehenden Mutter, geboren 1941, fährt nach Aspen in das Hotel, in dem seine Mutter sich häufig aufgehalten hat, er ist auf der Suche nach seinem Vater, den die Mutter ihm verschwiegen hat.
Die Mutter, eine leidenschaftliche Skifahrerin, findet in seiner Kindheit wenig Zeit für Adam, er wird von Großeltern, Tanten und Onkeln großgezogen.
Wir erleben die Familie, die aus dem „sprachlosen“, debilen Großvater, der Großmutter, die die Familie zusammenhält, den beiden „schrecklichen Tanten“ samt ihrer norwegischen Verwandtschaft, der Cousine Nora, die die engste Vertraute des Erzählers ist, dem Cousin Henrik, der ihn gern drangsaliert, besteht.
Die Mutter heiratet, als sie 34 Jahre alt ist, der Erzähler ist 14 Jahre alt, den kleinwüchsigen „Schneeschuhläufer“, der 27 ist.
Die Mutter ist fasziniert von dem winzigen, gutaussehenden Mann, der an der High-School Literatur unterrichtet. „Sie wissen, was Klein mit mir macht“, sagte sie mit ihrer rauchigsten Stimme. Aber die Mutter liebt auch Molly, eine Schneeraupenfahrerin. Die drei Erwachsenen finden ein Arrangement, gemeinsam zu leben und auch ihre sexuellen Bedürfnisse auszuleben und Adam wird Teil dieses Lebens. „Es gibt mehr als nur eine Art zu lieben, Adam“, sagt Molly, als seine Mutter heiratet.
Der Ich-Erzähler berichtet von seinen Bemühungen, Frauen zu finden, die nicht für eine ernsthafte Beziehung geeignet sind. Und er berichtet von seinen Begegnungen mit Gespenstern.
Als er endlich in Aspen ist, wird die Begegnung mit den Gespenstern und seinem Vater real. Auch sprachlich. Der Ich-Erzähler, selber Schriftsteller und Drehbuchautor, wechselt vom Roman zum Drehbuch. Und das ist dann wirklich „noir“.

Irving ist bekannt dafür, dass er gern viel erzählt. Und gern ungewöhnliche Charaktere präsentiert.
Die Dialoge mit den beiden boshaften Tanten sind unglaublich unterhaltsam. Sie haben keinerlei Hemmungen ihre Abneigung gegenüber anderer sexueller Orientierung zum Ausdruck zu bringen: „Homo-Alarm“.
Irving scheut keine unnötigen Details: technische Erörterungen über Schneeraupen,
die perfekte Ski-Abfahrttechnik, Ringer und deren Gewichtsklassen.
Aber er spielt auch damit: „niemanden interessierte es, wo und wann sie die ersten Barlow-Thriller gelesen hatten“.
Der Autor schafft eine wunderbare Situationskomik, wenn gemeinsame Essen der Familie beschrieben werden, und skurrile Charaktere sich begegnen.
Die Liebe zu seiner Mutter ist ein großes Thema, ebenso die Suche nach dem Vater.
Es geht um Themen von Minderheiten, sexuelle Orientierung und Diskriminierung, kleinwüchsige Menschen, Frauenrechte, die politischen Veränderungen in den USA der letzten 60 Jahre. Die Liebe zueinander schweißt diese ungewöhnlichen Menschen zusammen.
Dem Ich-Erzähler begegnen Gespenster aus Vergangenheit und Zukunft, so geht es mir mit diesem Irving-Buch auch. Die autobiographischen Bezüge sind offensichtlich, viele Grundideen und Charaktere kommen einem „bekannt“ vor. Die Anspielungen an frühere Werke schaffen eine Verbindung zum Autor, so ist Irving nun mal.
Die Frage bleibt jedoch, ob das nicht etwas kürzer gegangen wäre. Die Grundidee ist gut, die Entwicklungen interessant, manche Erzählstränge ufern zu sehr aus, einige Gedanken wiederholen sich zu oft. Die unendlichen Exkurse über Ringer und Moby-Dick hätte er uns ersparen können
Aber es ist ein so unterhaltsames, spannendes Buch, so dass es sich lohnt, sich darauf einzulassen. Es braucht halt etwas Zeit bei 1088 Seiten.

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Anna-Nina Kroll und Peter Torberg

Bewertung vom 06.06.2023
Idol in Flammen
Usami, Rin

Idol in Flammen


gut

„Mein Idol steht in Flammen. Er soll einen Fan geschlagen haben.“
Akari, die junge Ich-Erzählerin, verfolgt den Shitstorm um Masaki, den Sänger einer Band, ihr Idol.
Akari ist seit einem Jahr Fan, hat alles über das Leben ihres Idols recherchiert und betreibt eine Fanseite mit einem Chat. Sie will ihm gerade jetzt treu bleiben.
„Aber diese Welt (das Internet), in der meine Persönlichkeit halb Fiktion ist, ist tolerant. Für uns alle ist es zur Routine geworden, einfach nur unser Idol anzuhimmeln.“
Die Obsession zu ihrem Idol bestimmt ihr Leben, sie arbeitet, um sich Fanartikel (alle, die es gibt!) kaufen zu können und Konzerte von Masaki besuchen zu können. In der Schule kann sie sich nicht mehr konzentrieren. Sie leidet auch körperlich Qualen, wenn es ihrem Idol nicht gut geht. Sie bricht die Schule ab und findet keinen Bezug zum Alltag.
Masaki kündigt seinen Rücktritt aus dem Showgeschäft an (er möchte nicht mehr Star, sondern Mensch sein) und Akari kann sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen.
Dieses Buch zeigt eindringlich und erschreckend, wie Star-Kult ein Leben zerstören kann. Besonders überzeugend wirkt es durch die Erzählperspektive der Ich-Erzählerin, die keinerlei Zweifel an ihrem Handeln hat und einfach nur beschreibt, wie ihr Leben zerbricht.
Ich denke, es kann eine spannende und wichtige Lektüre für Jugendliche sein, mich selber hat es nicht so angesprochen, vielleicht weil ich als „Erwachsene“ innerlich den Kopf schüttele über die Selbstzerstörung dieser jungen Frau.
Die 21-jährige Autorin Rin Usami hat in ihrer Heimat Japan mit ihrem bereits zweiten Buch viel Anerkennung bekommen und wird als „Shooting-Star“ der japanischen Literatur gefeiert.

aus dem Japanischen übersetzt von Luise Steggewentz

Bewertung vom 04.06.2023
Das Restaurant der verlorenen Rezepte / Die Food Detectives von Kyoto Bd.1
Kashiwai, Hisashi

Das Restaurant der verlorenen Rezepte / Die Food Detectives von Kyoto Bd.1


gut

Eine kleine Notiz weist in einem Gourmet-Führer auf ein Restaurant hin, das man in Kyoto tatsächlich suchen muss, aber wenn man es dann gefunden hat, wird man mit wunderbaren japanischen Köstlichkeiten verzaubert.

In vielen einzelnen Geschichten wird von den Menschen erzählt, die zu Nagare, einem ehemaligen Polizisten, und seiner Tochter Koishi ins Restaurant kommen. Sie bekommen das Tagesmenü serviert, werden mit besonderen Gerichten verwöhnt. Was sie jedoch eigentlich an diesen Ort treibt, ist die Suche nach verlorenen Rezepten. Rezepten von Gerichten, mit denen sie besondere Erinnerungen verbinden, oft aus der Kindheit. Nagare ermittelt akribisch, nachdem seinen Tochter von den Gästen die benötigten Informationen über den Geschmack oder das Aussehen des Gerichts erfragt hat. Wenn die Gäste dann in der Regel nach 14 Tagen wiederkommen, schaffen Nagare und seine Tochter eine Atmosphäre, die mit Hilfe des gekochten Gerichts, die Erinnerungen weckt.
Den Preis für das nachgekochte Gericht bestimmen die Gäste selber.
Das Buch bietet einen poetischen Einblick in die japanische Küche, die Besonderheiten der Regionen sowie der Jahreszeiten. Diese liebevoll und aufwändig gekochten Gerichte möchte man wirklich selber probieren.
Die Beziehungen zwischen den Menschen scheinen in Japan sehr traditionell geprägt zu sein. Es liest sich für mich eher ungewöhnlich, dass die verstorbene Frau durch einen Hausaltar geehrt wird, unverheiratete Kinder bei den Eltern wohnen, die Frau für den Haushalt zuständig ist. So detailliert und liebevoll die einzelnen Gerichte beschrieben werden, hätte ich mir auch die Darstellung der Charaktere gewünscht, die doch sehr oberflächlich bleiben.
Die einzelnen Geschichten sind leider sehr ähnlich konstruiert, einzelne Textpassagen wiederholen sich regelmäßig. Vielleicht soll das ein gemeinsamer Rahmen für die Geschichten sein, aber gerade da hätte ich mir mehr Kreativität gewünscht.

Bewertung vom 28.05.2023
What Women Want
Mei-Fung Chung, Maxine

What Women Want


ausgezeichnet

Die Psychotherapeutin Maxine Mei-Fung Chung erzählt in ihrem Buch die Geschichten von 7 Frauen, die sie während der Therapie kennen gelernt hat.
„Wir Frauen sind kein unergründliches Mysterium, genauso wenig wie unsere Wünsche und Bedürfnisse. Aber unser Begehren ist komplex.“

Es gibt zahlreiche Mechanismen, die dafür sorgen, dass wir Erlebnisse und Erfahrungen, Traumata, verleugnen und verdrängen, und unsere Bedürfnisse nicht erkennen. In der Psychotherapie geht es darum, im Gespräch zu einem klares Denken angeregt zu werden und ein tieferes Verständnis für sich selber zu entwickeln.

Terri, die bald heiraten wird, wird von ihrer Sehnsucht in Bars getrieben. Sie sucht und findet Erfüllung bei Frauen. Und sie braucht einen schmerzhaften Prozess, um es zu verstehen und zu ihrer Liebe zu stehen.

Kitty, ein Modell, versucht gegen ihre Angst und innere Leere anzukämpfen.
Sie hat diverse Rituale entwickelt, um sich zu beruhigen. Als sie die Lieblosigkeit versteht, der sie als Kind ausgeliefert war, lernt sie sich von ihren Ängsten zu befreien.

Die Patientin Ruth, mit einer Essstörung, erzählt von schrecklichen, physischen und psychischen Gewalterfahrungen durch den Stiefvater. Sie fand Trost im Essen.

Eine weitere Frau, Marianna, hegt einen Kinderwunsch, sie leidet aber auch unter der Untreue ihres Partner. Trotzdem projiziert sie den Kinderwunsch auf ihn. Aber sie entwickelt auch Rache-Szenarien, um ihn zu bestrafen.

Tia berichtet von ihren Rassismus-Erfahrungen durch den eigenen, weißen Vater. Sie hat sich ihr Erscheinungsbild verändern lassen und ihr jamaikanische Wurzeln verleugnet. Sie ist hart zu sich und ihrer Tochter. Fühlt sich einsam, nirgendwo zugehörig.

Die Rentnerin Agatha bittet um Hilfe, weil sie sich verliebt hat.
Nach 2 lieblosen Ehen erlebt sie das erste Mal Gefühle. Ihr frisch getrennter Sohn macht ihre neue Beziehung schlecht. Sie möchte aber eine Leben an der Seite des Mannes, den sie liebt, erleben.

Beverly muss den Suizid ihres Sohnes verarbeiten und möchte selber nicht mehr leben.

Die Autorin erzählt sehr sensibel, emphatisch, aber auch mit dem professionellen therapeutischen Blick über ihre Patientinnen. Die Lebensgeschichten sind sehr beeindruckend und bewegend wiedergegeben. Sehr interessant finde ich auch Maxine Mei-Fung Chungs Erläuterungen über die veränderte Rolle der Psychotherapeutin in der Therapie, die durchaus auch die eigenen Gefühle zulässt.
Auch sie erzählt ihre Geschichte.
Ein wunderbares Buch über Frauen und ihre Wege zur Befreiung.
Ich kann es unbedingt empfehlen.

Übersetzung aus dem Englischen von Sabine Längsfeld