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Alais

Bewertungen

Insgesamt 186 Bewertungen
Bewertung vom 28.10.2021
Schwarzes Herz
Kuhnke, Jasmina

Schwarzes Herz


ausgezeichnet

Ein packender Roman – authentisch, berührend und schonungslos erzählt, bis es schmerzt
„Ich schreibe, um anderen Frauen Hoffnung zu geben, damit sie sich nicht schämen und sich ihrem Schicksal ergeben. Ich will, dass du weißt: Du bist nicht allein. Du kannst es schaffen.“ S. 7
Dieses Buch lässt nicht unberührt. Belastende Themen wie Frauenhass, Mobbing und Rassismus in der Gesellschaft stehen im Zentrum dieses Romans, der auf brillante Weise den Lebensweg einer jungen Mutter nachzeichnet – von frühen Rassismuserfahrungen über eine toxische, von Gewalt geprägte Beziehung bis hin zur Suche nach einem neuen Weg im Leben. Dabei legt die Erzählung zielsicher den Finger auf Wunden in der Gesellschaft.
Die Sprache ist unverblümt, drastisch, manchmal vulgär und sollte daher eigentlich so gar nicht meinen Geschmack treffen – und doch ist das Gegenteil der Fall, denn die Autorin setzt sie mit großem Geschick und stets treffsicher so ein, dass mich die sprachliche Gestaltung noch tiefer in die Geschichte eintauchen ließ. Worüber auch immer Kuhnke gerade schreibt, immer spiegelt sich die jeweilige Gefühlswelt mit großer Wucht in ihren Worten wider. Man spürt förmlich die Energie des Laufsports, die lähmende Wirkung von Angst, die Spuren, die Gewalt bei Menschen hinterlässt, aber auch die tiefe Liebe der Protagonistin zu ihren beiden Kindern.
Und gleichzeitig wuchsen in mir immer mehr Respekt und Bewunderung für die Hauptfigur, die taff und verwundbar zugleich erscheint, die über die seltene Fähigkeit der Selbstreflexion und Selbstkritik verfügt, die mir in mancherlei Hinsicht so unähnlich ist und der ich mich doch das ganze Buch hindurch so nahe fühlte.
Es ist ein Buch, das aufwühlt und dadurch natürlich auch alte Wunden aufreißen kann – die Inhaltswarnung, die verantwortungsbewusst diesem Roman vorangestellt ist, hat auf jeden Fall ihre Berechtigung. Vor allem aber ist es auch ein Buch, das Hoffnung schenkt und Mut macht, niemals aufzugeben.

Bewertung vom 23.10.2021
Shelter
Poznanski, Ursula

Shelter


ausgezeichnet

Eine unfassbar spannende Geschichte und leider beängstigend realistisch!
Zum Inhalt: Schwer verärgert durch die Begeisterung eines befreundeten Paares für abenteuerliche Theorien beschließt nach einer feucht-fröhlichen Feier eine Gruppe von Studenten und Studentinnen, den Fans von Verschwörungstheorien eine Lektion zu erteilen: Sie möchten selbst eine Verschwörungstheorie erfinden, diese verbreiten und später die Menschen aufklären. Wie sich sicherlich der eine oder andere Mensch mit Erfahrung mit den sozialen Netzwerken denken kann, bekommen sie jedoch sehr bald ein ziemlich übles „Die-Geister-die-ich-rief“-Problem – das sich noch verschärft, als ein mysteriöser Octavio die Bühne betritt und ihre Theorie zu kapern beginnt …
Poznanskis Sätze fliegen nur so dahin. Die Erzählung zog mich so schnell in ihren Bann, dass ich kaum auf den Schreibstil achten konnte – „flüssig“ ist er somit jedenfalls ganz sicher! Darüber hinaus hat die Autorin einen wunderbar bissigen Humor, der ab und zu den beklemmenden Charakter, den die Geschichte aufgrund ihres Realitätsbezugs für mich hatte, etwas auflockerte.
Die Idee der Verbreitung einer Verschwörungstheorie zu späteren Aufklärungszwecken mag nüchtern betrachtet fürchterlich naiv und – leider im wahrsten Sinne des Wortes – brandgefährlich wirken, aber der Autorin gelingt es sehr gut, die besondere Stimmung zwischen Feierlaune und Verärgerung, aus der dieses gewagte Projekt entstand, zu vermitteln. Ich war sehr gespannt, wie sich dieses Experiment weiterentwickeln würde, und es erfüllt mich mit Entsetzen, wie schnell es außer Kontrolle geriet und Menschen in Gefahr brachte … Besonders beunruhigend, weil eine solche Entwicklung und das Gefährdungspotenzial eben ganz und gar nicht unrealistisch wirken …
So entsteht aus der Erzählung über ein faszinierendes Experiment schnell ein packender Thriller, der mich mit den Handlungsfiguren mitfiebern ließ. Diese Figuren baut die Autorin lebensnah und facettenreich auf und zugleich ist sie sehr gut darin, Misstrauen zu säen – bald waren mir tatsächlich alle Figuren suspekt.
Zum Schluss bietet die Autorin noch einen besonders gruseligen neuen Handlungsort und eine weitere Wendung, die mich ziemlich überraschte. Wenn mir auch dieses Ende nicht hundertprozentig schlüssig erschien, hat mich dieses Buch schlicht und ergreifend begeistert – eine beeindruckende Erzählung, die spannende Unterhaltung bietet und gleichzeitig zum Nachdenken anregt.

Bewertung vom 16.10.2021
The Stranger Times Bd.1
McDonnell, C. K.

The Stranger Times Bd.1


ausgezeichnet

Fantastisch (und völlig verrückt)!
"Denn auf einer tiefen Ebene, auch wenn keiner es zugibt, glauben wir doch alle, dass es reine Magie ist – und auf einer noch tieferen Ebene wissen wir, dass man der Magie nicht mit Logik kommen darf, sonst kriegt die Magie nämlich schlechte Laune und hört auf zu funktionieren." (S. 332)
Was für ein Buch! Völlig verrückt, ziemlich schräg, dabei aber auch ziemlich klug, immer wieder irrsinnig komisch und doch eine zusammenhängende, packende Erzählung, die Bekanntes aus dem Fantasybereich neu interpretiert und eine Reihe eigentümlicher Gestalten in einem spannenden Krimiabenteuer zusammenkommen lässt. Dabei beginnt alles fast schon normal:
Hannah bricht, tief verletzt von den Affairen ihres Mannes, aus einem behüteten Leben aus und sieht sich plötzlich und wohl zum ersten Mal in ihrem Leben mit schweren Geldsorgen konfrontiert. In großer Verzweiflung, mit hungrigem Magen und wenig Hoffnung bewirbt sie sich auf eine Stelle bei einer kleinen Zeitung. Doch schon der Weg zum Vorstellungsgespräch in der Kirche der Alten Seelen, wo die Zeitung ihren Sitz hat, ist mit Merkwürdigkeiten gepflastert ... Der Beginn eines skurrilen Abenteuers, in dem Hannah ihren Platz in einem überaus merkwürdigen Zeitungsteam findet, das mit einer Reihe ebenso seltsamer, schauriger Verbrechen konfrontiert wird ...
Von Hannah hatte ich, ehrlich gesagt, anfangs nicht viel erwartet. Ich war voller Vorurteile: Der Ausbruch aus ihrer Ehe wirkte auf mich wie die erste eigenständige Tat in ihrem Leben, Hannah selbst kam mir zunächst fürchterlich angepasst und konservativ vor. Aber erstaunlicherweise blühte sie in dem merkwürdigen Umfeld der Zeitung regelrecht auf, zeigte Empathie, Lebensklugheit und Stärke und bot ihrem polternden neuen Chef, der im Umgang alles andere als einfach ist (was noch eine maßlose Untertreibung ist), gerne auch schon mal die Stirn. So wie sie mir immer mehr ans Herz wuchs, verliebte ich mich aber auch noch gleich in eine ganze Reihe der anderen vom Autor geschaffenen Figuren.
Neben diesen teils ziemlich skurrilen und doch überzeugenden
Figuren zählten die schlagfertigen Dialoge und die Situationskomik für mich zu den großen Stärken dieses Romans. Ich fühlte mich wunderbar unterhalten, ziehe meinen Hut vor dem Übersetzer André Mumot, der diesen Text in eine so lockere wie elegante deutsche Form übertragen hat, und freue mich auf den nächsten Band, denn dieser Roman stellt erst den ersten Teil einer Trilogie dar ... Dabei ist es dem Autor zum Glück gelungen, genau die richtige Balance zu finden, um die Geschichte dieses ersten Bandes abzurunden und doch Neugier auf den nächsten Band zu wecken.
Kurzum: Ich bin begeistert, werde sicher noch viele Bücher von diesem mir zuvor unbekannten Autor lesen und möchte den Lesern und Leserinnen dieses Bandes zum Schluss noch die Empfehlung mit auf den Weg geben, unbedingt auch die Danksagung am Ende zu lesen - es lohnt sich!

Bewertung vom 16.10.2021
Einfach schön hier
Jacobsen, Chris

Einfach schön hier


sehr gut

Atmosphärischer Husum-Krimi
Dieser Roman ist mit so viel Liebe zu Husum geschrieben, dass ich viel Freude hatte, ihn zu lesen (und jetzt unbedingt nach Husum reisen möchte). Eigentlich handelt es sich ja um einen Kriminalroman: Ein Hamburger Hauptkommissar macht (leicht unwillig) Urlaub in seiner Heimatstadt Husum und wird dabei mit einem Mordfall konfrontiert ... Die Kriminalhandlung tritt jedoch etwas in den Hintergrund, wichtiger erschien mir die Entwicklung verschiedener Charaktere, die angesichts der Kürze des Buches erstaunlich tiefgründig beschrieben werden.
Mein einziger Kritikpunkt: Das Korrektorat hätte an einigen Stellen etwas sorgfältiger arbeiten können, wobei mich einer der Fehler (eine Wortverwechslung von „Milch“ und „mich“ auf S. 41) zum Schmunzeln brachte, weil er kurz das Genre auf Horrorroman umstellte („man brauchte mich nur zu erhitzen, abzukochen“ ... hehe).
Dabei geht der Autor ansonsten auf ganz wunderbare Weise mit Sprache um und ist ein Meister darin, die Landschaft und verschiedenen Handlungsfiguren (nicht nur Menschen, ganz wunderbare Charaktere sind in diesem Buch auch ein Hund und ein Stier!) so zu beschreiben, dass sie lebendig wirken. Sein Schreibstil hat für mich etwas Künstlerisches und wirkt gleichzeitig locker und sympathisch. Der Roman bietet viel Atmosphäre und einen angenehmen, leisen Humor, der manchmal in wunderbarer Situationskomik mündet.
Einfach schön und lesenswert!

Bewertung vom 09.09.2021
Instagrammatik
Schröder, Johannes

Instagrammatik


ausgezeichnet

Tapferer Lehrerblick auf die Herausforderungen des Schulalltags – leicht schräg, bissig und wunderbar galgenhumorig!
Mit sympathischem Humor und einer unterhaltsamen Erzählung geben die beiden Comedians Herr Schröder, der im "echten Leben" auch studierter Deutschlehrer ist, und sein Mitautor Simon Slomma Einblick in einen Schulalltag, der in Zeiten von Corona und Digitalisierung alles andere als alltäglich ist ...
Für mich war es einfach schön, auf diese humorvolle Weise (ohne erneut in die undankbare Rolle einer Schülerin schlüpfen zu müssen) in die Welt der Schule eintauchen zu können, die so ganz eigen ist und dennoch „aufs Leben“ vorbereiten soll. Einiges erkannte ich wieder – nicht nur aus meiner Schulzeit, sondern auch ganz allgemein den Schrecken einer Tätigkeit im fürchterlich hierarchisch geordneten öffentlichen Dienst und ebenso fürchterlich nervige moderne Managementtrends. Aber natürlich stellt die Pandemie den Schulalltag vor neue Herausforderungen … Corona steht jedoch nicht im Mittelpunkt, Herr Schröder und seine Klasse haben in diesem Buch mit Herausforderungen ganz anderer Art zu kämpfen ...
Herr Schröder als leidtragende Romanfigur ist einfach herrlich - etwas frotzelig, aber auch ein Meister der Selbstironie. Bei den Erwachsenen werden ganz allgemein munter Klischees bedient und gnadenlos auf die Spitze getrieben, während die Schülerinnen und Schüler wesentlich behutsamer, respektvoller beschrieben werden – das fand ich sehr sympathisch.
Aus irgendeinem Grund hatte ich ein anekdotenhaftes Buch erwartet, aber schnell kristallisiert sich eine zusammenhängende Geschichte zum Lachen und Mitfiebern heraus, die ich überraschenderweise ziemlich spannend fand. Dabei werden auch in Romanen ungewohnte Textarten wie WhatsApp-Unterhaltungen, E-Mails oder Bekanntmachungen eingesetzt, was den ohnehin schon leicht schrägen Text zusätzlich auflockert. Es gibt Slapstick-Einlagen, erhebende Momente und spannende Szenen. So liest sich das Buch leicht und mit Genuss!

Bewertung vom 27.08.2021
Buona Notte / Lukas Albano Geier Bd.2
Di Stefano, Andrea

Buona Notte / Lukas Albano Geier Bd.2


ausgezeichnet

Bereits „Tutto bene“, den ersten Band dieses deutschsprachigen Autoren-Duos (die sich aus ihren beiden Vornamen Andreas und Stephan ein italienisches Pseudonym zusammengestellt haben), hatte ich mit Genuss gelesen und dieser zweite Band gefiel mir sogar noch besser. Wieder spielt der Musiker und ehemalige Zeugenschützer Lukas Albano Geier, der in einem Turm am Lago Maggiore lebt, die Hauptrolle – Vorkenntnisse aus dem ersten Band sind meiner Ansicht nach aber für die Lektüre dieses zweiten Bandes nicht nötig. Dieses Mal steht seine Freundin, Kriminalkommissarin Cristina Conte, unter Mordverdacht und Lukas versucht, ihr zu helfen …
Geboten wird eine verwickelte Kriminalerzählung, die zum Teil weit in die Vergangenheit der Beteiligten hineinreicht. Die Erzählung bietet einige spannende Momente, liest sich im Großen und Ganzen aber eher gemütlich und das fand ich gar nicht schlimm, denn durch die stimmungsvollen Beschreibungen der Handlungsorte fühlte ich mich beim Lesen in entspannter Genießerstimmung und wie in die idyllische Landschaft des Lago Maggiores versetzt. Auch liebte ich es, wenn zwischendurch über Musik, eines der Nebenthemen der Rahmenhandlung, geschrieben wird, da dies mit sehr viel Herzblut geschieht.
Begeistert hat mich bei diesem zweiten Band auch wieder der angenehme Schreibstil – das Buch liest sich so wunderbar leicht und zugleich merkt man ihm an, dass es voller Freude an der Sprache geschrieben ist.
Rundum gelungen und erwähnenswert ist darüber hinaus die Gestaltung – vom atmosphärischen Abendbild des Lago Maggiores auf dem Cover über eine Karte des Sees mit der Lage der Handlungsorte in der vorderen Umschlaginnenklappe bis hin zu einem Foto und Grußwort der beiden Autoren in der hinteren Umschlaginnenklappe ist das Buch bestmöglich ausgestattet. Und wer gerne passende Musik zum Buch hört, kann sich zusätzlich auf YouTube den Song „Buona Notte“ von Lukas Albano Geier anhören. Quasi ein Rundum-Verwöhnpaket!

Bewertung vom 10.08.2021
Die letzte Bibliothek der Welt (eBook, ePUB)
Sampson, Freya

Die letzte Bibliothek der Welt (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Ein Wohlfühl-Pageturner mit vielen Büchern, einer kleinen Liebesgeschichte und der Geschichte eines Aufstands

Dieses Buch beginnt bescheiden, still und leise mit June, einer Bibliothekarin, die in ihrer Bücherei vor sich hinträumt, und entwickelte sich im weiteren Verlauf für mich zu einem fesselnden Wohlfühl-Pageturner, den ich gar nicht mehr aus der Hand legen wollte: Angesichts einer drohenden Schließung der Bibliothek beginnt eine bunte Mischung ihrer Stammbesucher:innen, sich zu mobilisieren, die schüchterne June wird vor große Herausforderungen gestellt ... und, nein: Dieser Roman mit seinem feinen Humor ist keineswegs so vorhersehbar, wie es nun den Anschein hat, zumindest nicht in allen Punkten ...

Die Erzählung ist eine schöne Liebeserklärung an Büchereien und die Rolle, die sie innerhalb einer Gemeinschaft spielen können – als Stütze und Zufluchtsort für einsame Menschen, Menschen in Not oder einfach nur auf der Suche nach einem ruhigen Ort zum Lernen ...

Die Autorin lässt in ihrer Geschichte viele faszinierende, starke und zuweilen auch etwas kauzige Charaktere verschiedener Altersklassen auftreten. Sie miteinander agieren zu sehen ist eine helle Freude. So hatte ich viele Lieblingsfiguren - die resolute Mrs B, die schroffe Vera oder auch Stanley, ein älterer Herr und typisch britischer Gentleman, der mehr als ein Geheimnis hat. Ausgerechnet June selbst ist mir nicht hundertprozentig sympathisch, da es ihr nicht gelingt, einen Zugang zu Alan Bennett, dem Kater ihrer verstorbenen Mutter zu finden. Das missmutige Gesicht des Katers, wenn ihn wieder einmal eine Nachbarin nach Hause zurückträgt, entwickelte sich zwar fast schon zu einem gelungenen kleinen Running Gag, aber er tat mir auch, auch wenn sich June durchaus Mühe gab, fürchterlich leid. Was ich aber bei June als Romanfigur gut fand, war die Thematisierung von Schüchternheit bei Erwachsenen und die Probleme, die diese für die Betroffenen bewirkt.

Ein besonders wichtiges Thema in diesem Roman ist auch Trauer, der Umgang mit Verlust. Dieser eher schweren Thematik werden aber auch manchmal eine sanfte Heiterkeit und natürlich die für Wohlfühlromane typische Liebesgeschichte entgegengesetzt. Letztere hat mir tatsächlich gefallen, obwohl ich kein Liebesgeschichtenfan bin, viel erhebender war es für mich allerdings, von den Wundern zu lesen, die Zusammenhalt unter völlig verschiedenen Menschen bewirken. Es ist immer wieder schön, wenn Menschen über sich hinauswachsen ...

Ein Mutmachbuch, das nichts beschönigt, aber zeigt, wie sich manchmal trotz Dunkelheit ein Licht erkennen lässt.

Bewertung vom 05.08.2021
Sie schlüpfen auch in deiner Stadt / Bloom Bd.2
Oppel, Kenneth

Sie schlüpfen auch in deiner Stadt / Bloom Bd.2


sehr gut

Ein Fantasyabenteuer mit mysteriösen Aliens und frischen Ideen

Die Welt wird angegriffen von einer außerirdischen Macht, die eine Reihe von Boten bzw. Plagen entsendet. Doch wer genau attackiert sie und auf welcher Seite steht eine Gruppe von Jugendlichen, die sich allmählich selbst in außerirdische Lebewesen zu verwandeln scheinen? Manchen wachsen Schwänze, anderen Betroffenen Federn oder Fell … Die Teenagerzeit ist sicherlich für die meisten Menschen schwierig, doch diese Jugendlichen haben nicht nur mit extremen körperlichen Veränderungen zu kämpfen, sondern werden auch noch von ihren Familien getrennt, ihnen droht, dass ihnen ihre Menschlichkeit aberkannt wird, die Erde wird bedroht und die Jugendlichen werden vor schwierige Entscheidungen gestellt …
Eines vorweg: Obwohl ich eine rebellische Leserin bin, die Romanreihen gerne in chaotischer Reihenfolge liest, glaube ich bei dieser Reihe ausnahmsweise, dass eine Einhaltung der Lesereihenfolge besser wäre. Und dennoch hat mich, obwohl ich den ersten Band nicht kenne und ab und zu das Gefühl hatte, dass mir Vorwissen fehlt, dieses Leseabenteuer schnell in seinen Bann gezogen.
Der Roman bot für mich viel Unerwartetes, eine Geschichte mit reichlich Action und unvorhersehbarem Verlauf, die im zum Teil sehr abgenutzten Fantasybereich neue Wege findet – und auf unaufdringliche Weise bietet sie dazu noch Stoff zum Nachdenken. Diese Jugendlichen tragen eine große Last und werden mit Situationen konfrontiert, die alle ihre Gewissheiten in Frage stellen und für die es keine Handlungsanleitungen gibt. Letztendlich geht es so auch um spannende große Fragen des Lebens: wer man ist und inwieweit man darüber bestimmen kann, wer man ist bzw. zu wem man wird. Welchen Weg man im Leben einschlagen will, welche Rolle Freundschaften, Herkunft und Familie spielen können ... So werden vor dem Hintergrund einer fantastischen Erzählung typische Themen aus dem normalen Teenageralltag angesprochen – das fand ich sehr geschickt gemacht!
Die drei jugendlichen Protagonisten wirkten auf mich anfangs etwas schemenhaft. Erst allmählich entstanden facettenreiche Bilder ihrer Persönlichkeit, dann fand ich es aber sehr interessant, diese unterschiedlichen Charaktere durch ihre Abenteuer zu begleiten.
Eine Geschichte, die mich mitgerissen und beeindruckt hat - das Warten auf den nächsten Band wird allerdings schwer werden ...

Bewertung vom 26.07.2021
Eskalation
Benrath, Nora

Eskalation


sehr gut

Bietet nervenzerfetzende Spannung mit vielen unerwarteten Entwicklungen
Ich liebe es, wenn Thriller aus dem typischen Genre-Schema ausbrechen und neue Wege beschreiten – und das ist bei dieser Erzählung definitiv der Fall: Die Spannung wird ganz ohne Verklärung eines ach-so-faszinierenden Psychopathen aufrechterhalten, wesentlich interessanter wirken die Opfer und ihr Umfeld, die Erzählung ist zwar blutig, aber die Spannung zehrt nicht allein von grausigen Beschreibungen, und wer in diesem Roman Opfer wird, ist nicht so stark auf die Opferrolle beschränkt, wie dies bei ähnlichen Thrillern der Fall ist …
Für sein Genre ist das Buch mit seinen knapp über 300 Seiten darüber hinaus zwar auch relativ schlank, dennoch hat die Autorin die einzelnen Figuren sorgfältig herausgearbeitet und ich konnte sie mir gut vorstellen – wenn ich auch das Handeln und Verhalten mancher Charaktere nicht immer logisch fand. Aber natürlich handeln „echte“ Menschen auch nicht immer logisch, gerade dann nicht, wenn sie unter Stress stehen … Und schon die Ausgangssituation ist nicht nur ungewöhnlich, sondern extrem stressig: Ein anonymer Anrufer terrorisiert spät abends Dina, eine junge Mutter im Auto vor ihm, und erteilt ihr Befehle. Dass sie das Gespräch nicht einfach beendet, kann ich immer noch nicht ganz verstehen, auch wenn es sich zumindest zum Teil dadurch erklären lässt, dass der Täter sie mit der bloßen Nennung des Namens ihres Kindes erschreckt. Und Dinas Angst vor dem bedrohlichen Unbekannten im Wagen hinter ihr ist ja leider auch gerechtfertigt ...
Das Buch hat mich so mitgerissen, dass ich Zeile um Zeile verschlang und kaum Zeit hatte, auf den Schreibstil zu achten – „flüssig“ beschreibt ihn dann wohl sehr gut. Nebenbei meinte ich allerdings noch den unheilvollen Einfluss eines gewissen Online-Händlers zu spüren, so ist auf S. 70 auch von „Rezensionen“ die Rede, dabei geht es eindeutig nicht um Rezensionen von Büchern oder Theaterstücken, sondern um Kundenbewertungen für ein Nagelstudio – ein für diesen gewissen Online-Händler typischer Fehler, der zugegebenermaßen inzwischen so verbreitet ist, dass er vielleicht auch nicht mehr als Fehler, sondern als sprachliche Weiterentwicklung gelten kann. Außerdem trägt eine der Handlungsfiguren den Namen Alexa, was angesichts des Verhaltens ihres Mannes ihr gegenüber vielleicht auch kein Zufall ist ...
Nach einem so packenden Start wie bei dieser Geschichte folgt für gewöhnlich ein kleiner Spannungsabfall – nicht so bei diesem Buch, das ist fesselnd von der ersten Zeile an, geht rasant weiter … und bietet viele unerwartete Entwicklungen und einen für mich überraschenden Schluss.
Wer spannende Erzählungen mag, wird dieses Buch lieben!

Bewertung vom 10.07.2021
Berlin 1922 - Crime Mysteries
Küpper, Michaela

Berlin 1922 - Crime Mysteries


sehr gut

Ein bibliophiles Leseerlebnis mit dem Charme und Elan der 1920er Jahre
Mit diesen Kriminalerzählungen zum Mitraten kann man in das Berlin der 1920er Jahre eintauchen. Als Ermittlerteam treten stets ein Kommissar Hartmann und seine neue Polizeiassistentin Rosalie Menzel auf, die Ich-Erzählerin der Geschichten, die als Frau bei der Polizei, die auch noch Auto fahren kann, mit einigen Vorurteilen zu kämpfen hat.
Die verschiedenen Geschichten sind sehr abwechslungsreich. Die Kriminalhandlungen an sich fand ich aber in der Regel nur mäßig spannend – als viel spannender und oft amüsant empfand ich hingegen das Setting und die Dialoge. Erzählt werden die Geschichten mit viel Witz und einem auf angenehme Weise altmodischen und zugleich beschwingten Charme. Bei manchen Zeugen kommt auch der berlinerische Dialekt zum Vorschein, ohne dass ich mich als Nicht-Berlinerin überfordert fühlte.
Die Gestaltung verdient bei diesem ungewöhnlichen Buch besondere Erwähnung: Jede Seite ist liebevoll illustriert mit Zeichnungen und Fotografien, die die Atmosphäre der 1920er Jahre aufleben lassen und perfekt zu den Kriminalerzählungen passen. Die Frage, wie viele der Fotos tatsächlich aus der Zeit stammen und welche nachgestellt wurden, bleibt allerdings leider offen (oder muss mühsam anhand der Angaben im Bildnachweis recherchiert werden) – sehr schade, denn ein kleines "Making-of" am Ende des Buches hätte ich bei dieser beeindruckenden Gestaltung interessant und auch als Anerkennung für diese Leistung angebracht gefunden. Dafür gibt es ein weiteres ungewöhnliches Gestaltungsmerkmal: Auf einigen Seiten steht jeweils unten eine Frage, bei der die Leser:innen ihre Beobachtungsgabe und ihr Detektivtalent unter Beweis stellen können. Ich habe dabei leider meist kläglich versagt, aber es hat Spaß gemacht! Die Lösungen kann man dann jeweils im weiteren Verlauf der Erzählung erfahren.
Dies alles machte dieses Buch für mich zu einem ganz besonderen bibliophilen Leseerlebnis, das ich sehr genossen habe!