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a.n.
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Insgesamt 129 Bewertungen
Bewertung vom 06.05.2018
Mindful@work
Braun, Ralf

Mindful@work


sehr gut

Achtsamkeit, aber Achtung
Achtsamkeit, das Achten auf sich selbst ist jedem bekannt, wenn auch nicht immer in der gleichen Intensität praktiziert. Bei der Achtsamkeit, die in diesem Buch vorgestellt wird, handelt es sich vorrangig um den Umgang mit meinen Mitmenschen, insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit seinen Kollegen. Teamwork allerdings ist in der heutigen Arbeitswelt leider immer weniger gefragt. Die Kollegen sollen konkurrieren. In diesem Fall kann das Buch zumindest eine kleine Hilfestellung bezüglich des Ertragens bieten. Einiges ist in diesem Zusammenhang neu formuliert und berufsbezogen zusammengestellt, doch das meiste ist dem Leser bereits bekannt – Ausgleich zwischen Arbeit und Freizeit, Umgang mit Stress, körperliche und seelische Gesundheit.
Leicht verständlich geschrieben, bereitet der Autor dem Leser einen raschen Einstieg in die Thematik. Ein Lesen hintereinander weg ist nicht unbedingt nötig, da jedem Leser situationsbedingt ja etwas anderes wichtiger ist als es nun die Reihenfolge des Buches vorgibt. Die wenigsten Leser werden sich allerdings an die vom Autor empfohlene Lese-Strategie halten.
Drei mal tief durchatmen ist nie verkehrt. Daher konnte auch ich sehr schnell die beispielsweise vorgestellten Atemübungen sehr gut in meinen Arbeitsalltag integrieren. Ein schnell wirkender positiver Effekt, von dem niemand etwas mitbekommt. Ebenso unauffällig kann man die Finger- und Körperübungen durchführen. Zum Teil sehr simple Handlungen, die man nun mit mehr Bewusstsein ausführt und von denen man nicht gedacht hätte, dass sie so wirksam sind, wenn man sich wirklich darauf einlässt. Doch Vorsicht ist immer geboten, wenn es um Entschleunigen geht. Dies offensiv und offensichtlich für sich durchzusetzen, kann auch kontraproduktiv auf das Kollektiv wirken und das genaue Gegenteil bewirken.
Obwohl ein besseres Miteinander angestrebt wird, ist es doch fraglich, ob die aufgeführten Anliegen, wie bereits erwähnt, auch immer auf fruchtbaren Boden treffen. Jeder muss für sich lesen und verinnerlichen. Inwieweit dies dann auch wirklich in der Praxis anwendbar ist, bleibt jedem selber überlassen. Doch Achtung, wer nur allein achtsam ist, der steht bald an der Wand. Inwieweit das vermittelte Wissen das eigene Leben wirklich erleichtert, liegt nicht nur in der eigenen Hand. Es kommt auch immer auf die Mitmenschen an und eben besonders auf den Grad der Achtsamkeit, den diese praktizieren.
Leider ist dieser Ratgeber eher nur für Büroberufe geeignet. Postboten, Handwerker oder in ähnlichen Berufsgruppen Tätige werden damit kaum etwas anfangen können. Es wird kein Leben verändern, doch kann es den einzelnen Tag verbessern, wenn schon nicht auf Arbeit, dann in jedem Fall in seinem Privatleben.

Bewertung vom 13.03.2018
halb zehn - das Frühstückskochbuch
Prus, Agnes

halb zehn - das Frühstückskochbuch


sehr gut

Halb zehn – Entschleunigen, Beisammensein, Genießen
Blättert man in diesem Frühstückskochbuch, scheint man schier die Qual der Wahl zu haben. Was es nicht so alles für leckere Möglichkeiten gibt, den Tag genussvoll zu beginnen. Doch das ändert sich schnell, sobald man genauer hinsieht. Jenseits von Milch und Müsli, Brötchen und Marmelade liegt ein reich gedeckter Frühstücktisch von süß bis herzhaft, von leicht bis reichhaltig, von kalt bis warm, wobei die Kapitelübersicht den Schwerpunkt nur vermeintlich auf süß(lich) legt. Die jeweiligen Zubereitungszeiten variieren ebenfalls sehr stark.
Die meisten vorgestellten Rezepte sind ohne besondere Küchenutensilien sowie mit Zutaten herzurichten, die es in fast allen Supermärkten zu kaufen gibt. Obwohl es sich „nur“ um die Zubereitung von Frühstück handelt, sollte man auch hierbei schon etwas Geschick und Kreativität aufzubieten haben, um sich nicht schon am morgens in Stress zu versetzen, sollen die Gerichte doch die Weichen in einen gelungenen Tag stellen. Das Frühstück soll zelebriert werden. „Halb zehn“ ist daher eher als eine Einladung zum gemeinsamen Frühstücken mit der Familie oder zum Brunchen mit Freunden an freien Tagen oder Wochenenden zu sehen, wird es doch nur unter diesen Gesichtspunkten seinen Zweck vollends erfüllen.
Brot und Brötchen selber backen ist nicht unbedingt jedermanns Sache. Man darf das Familienoberhaupt also auch beruhigt erst einmal zum Bäcker schicken und in aller Ruhe weiterblättern und sich inspirieren lassen. Hier ist für jeden Appetit sowie jedes Geschmäckle etwas dabei. Meine persönlicher Favoriten sind Röstbrot mit Pfifferlingen und Comté, als Nachspeise Grießbrei mit Erdbeerkompott und ganz zum Schluss noch einen Haselnuss-Zimt-Latte. Hmmmmm!
Alle Rezepte werden kurz vorgestellt. Dann folgt die Zutatenliste, gefolgt von der Anleitung zur Zubereitung. Am Ende findet man die Nährwertangaben, die man sich bei manchen Gerichten besser nicht so genau ansieht. Genießer sind gefragt, keine Kalorienzähler. Die Fotos der fertigen Gerichte sind eher schlicht gehalten, wirken so aber recht stilvoll.

Bewertung vom 18.02.2018
Der Reisende
Boschwitz, Ulrich Alexander

Der Reisende


ausgezeichnet

homo homini lupus
Schon das kurze Vorwort hat es in sich. Die Weichen sind gestellt. Der Zug ist ins Rollen gekommen und mitreisen werden Angst, Verzweiflung, Hass und Willkür. Otto Silbermann wird dabei auf der Strecke bleiben. Dem Leser wird nichts erspart. Er geht den ganzen Weg mit ihm.
Anständiges Miteinander wird zum immer seltener werdenden gnädigen Abgeben und Dulden. Dankbarkeit und Ducken werden dafür erwartet. Der Leser ist schon ab der ersten Seite höchst alarmiert. Silbermann hingegen weiß sehr lange nicht, was mit ihm geschieht. Das Unheil kommt schleichend. Gedanken, Worte, Taten – geschürt und mit Rechtfertigung gestützt.
Zu allen Zeiten ist diese Saat aufgegangen. Verwirrend ist, dass man manche Argumente verstehen kann. Alles sind menschliche Reaktionen, charakterlich gesteuerte Verhaltensweisen. Beide Seiten wollen überleben, nur nicht auffallen. Gleichzeitig ist man schockiert, wie überzeugt jeder ist, genau das richtige zu tun. Beklemmende Realität.
Keiner hat etwas gesehen, keiner hat das gewollt. Das geht mich nichts an. Was sollten wir denn machen? Wir würde man selbst in derselben Situation handeln? Wäre man wirklich anders, wenn es um die eigene Sicherheit geht? Wegschauen oder aktiv mittun; beides führt zum gleichen Ergebnis. Nachbarn werden zu Feinden, selbst Freunde zur Bedrohung. Mobbing endet im Massenmord.
Schon während des Lesens kann sich seiner selbst nicht mehr sicher sein. Die Mitmenschen von damals unterscheiden sich in Nichts von uns heute.
Passivität erzeugt dieselbe Schuld wie aktives Handeln. Rechtfertigungen und Unschuldsbeteuerungen sind wertlos. Anpassung, Stillhalten oder Gleichtun versprechen Rettung und Verschonung. Die Angst und Verzweiflung der anderen können an das eigene Dilemma nie heranreichen. Die dabei offen gelebte Unmenschlichkeit wird zur erschreckenden Normalität. Vielleicht ist es aber gerade dies ein fester Bestandteil menschlichen Handelns ist, das jeder in sich trägt. Diese Erkenntnis zeigt das Schicksal Otto Silbermanns, das stellvertretend für Millionen Menschen steht, nur allzu deutlich. Ich halte die geschilderten Mechanismen keineswegs für ein typisch deutsches Phänomen. Daher stellt die Lektüre für mich der gesamten Menschheit ein sehr schlechtes Zeugnis aus. Erinnerung, Mahnung und Warnung. Denn wenn die Umstände es für einem selbst zu verlangen scheinen, ist der Mensch dem Menschen ein Wolf, kein Mensch.

Bewertung vom 28.01.2018
Das Vermächtnis der Spione / George Smiley Bd.9
le Carré, John

Das Vermächtnis der Spione / George Smiley Bd.9


sehr gut

Keine Ehrenmänner
Wer ist Mensch, wer ist Marionette? Eine Geheimaktion läuft aus dem Ruder. Wir tauchen in eine Welt voller Lug und Trug ein, in der man nie sicher weiß, wer hier die „Guten“ sind, welche Operation man wirklich gutheißen kann. Gut und böse, gerecht und richtig sind in diesem Roman auch genau die Attribute, um die es gerade nicht geht. Ein befremdliches Milieu, in dem die Handlung spielt. Ein Ex-Spion erzählt frei von der Leber weg, wie er zum Geheimdienst kam und wie eben eines aus dem anderen folgte. Kein Unrechtsbewusstsein, keine Reue, keine Scham. Eine Person, der man zwar interessiert Gehör schenkt, die man aber eigentlich nicht kennen möchte. Der Leser bleibt auf Abstand, ohne sich aber von der Handlung zu entfernen.
Der Sprecher besitzt eine eher hohe Stimme. Sehr deutliche Worte, dezent betont, zügig gesprochen. Ein beinahe Abhandeln. Aalglatt, nicht greifbar, nicht angreifbar. Einmal Spion, immer Spion. Regelrecht unbeteiligt schildert die Hauptfigur als Ich-Erzähler, was sich damals zutrug. So war das eben. Nichts ficht ihn an. Ein williger Handlanger und dennoch kein Überzeugungstäter.
Undurchsichtig, verschlungen, nüchtern, sachlich, ganz wie in dieser Schattenwelt, von der man als „normaler“ Mensch ja nie tangiert wird, ist bisweilen auch der Handlungsfaden gestrickt. Konzentration und wirkliches Interesse sind beim Hören / Lesen gefragt, um wirklich zu durchschauen, welche Größenordnungen selbst kleinere Sachverhalte annehmen können.

Bewertung vom 01.01.2018
Winterengel
Bomann, Corina

Winterengel


sehr gut

Das kitschige Cover enttäuscht. In der Vorweihnachtszeit erschienen, passt das Layout zwar gut in die damit verbundene Kaufphase, hat aber rein gar nichts mit der Handlung an sich zu tun.
An die eher unterkühlt klingende Stimme von Anne Abendroth konnte ich mich während des gesamten Hörens leider nicht gewöhnen. Inmitten von Eis, Kälte und Ungewissheit bezüglich Annas weiterem Schicksal hätte ich mir eine wärmere und vor allem mädchenhaftere Sprechstimme passender gefunden.
Trotz dieser Kritikpunkte hat mich die unterschwellig spannende Handlung des (Hör)Buches nicht enttäuscht. Die Autorin lässt den romantisch veranlagten Leser erneut tief in die geschichtliche Vergangenheit eintauchen und ihn dabei an den Sorgen und dem vielleicht großen Glück der neunzehnjährigen Anna Härtel teilhaben, die nach dem Tod ihres Vaters ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen muss: für eine unverheiratete Frau Ende des 19. Jahrhunderts keine leichte Aufgabe. Wird ihre innere Stärke, ihr unkonventionelles Wesen belohnt werden?
Nun, eins kommt zum anderen und alles kommt, wie es kommen muss. Trotzdem man beruhigt und seufzend ahnt, wie Annas Geschichte ausgehen wird, ist auch dieser von Romantik durchdrungene Roman ein Muss – und das nicht nur für Bomann-Fans.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.11.2017
Sex Story
Brenot, Philippe

Sex Story


ausgezeichnet

Der Blick in tausend Schlafzimmer
So groß und schwer das Buch an sich ist, so zahlreich und prägnant sind die berauschenden Informationen, die es in sich birgt. Das schlichte Cover gibt zudem vorab nichts über den Inhalt preis. Trotzdem kauft man damit nicht die Katze im Sack. Ganz dem Klappentext treu bleibend, werden alle Fragen zum Thema Sex, auch die gar nicht gestellten, beantwortet und das stilvoller und tiefgründiger, als man es erwartet. Viel ernsthafte und umfangreiche Recherchearbeit im Vorfeld war zu bewältigen. Herausgekommen ist ein seltenes Werk, das Mythen, religiöse Überzeugungen und wissenschaftliche Fakten unterhaltsam und informativ miteinander verquickt. Die Auswirkungen auf uns Menschen im Wandel der Zeit haben dabei eine Erlebensspanne, die von fatal bis phantastisch reicht. Die Lust der Götter war (und ist?) allzu oft eine Last für den Menschen. Sex, Liebe, Lust und Leidenschaft hat viele Gesichter und ist dennoch den verschiedensten äußeren Einflüssen unterworfen oder wird von selbigen beflügelt.
Witzig zum einen, kritisch zum anderen. Alles hat eine Kehrseite, die nicht immer sehr schön anzusehen ist. Und auch beim Thema Sex wird hier das Verhältnis zwischen Mann und Frau an Bett UND Tisch nicht ausgeblendet. Auch wenn dabei die Frau erfahrungsgemäß eindeutig / zweideutig fast nie die Hosen anhat, ist Sex Story für uns alle textlich lesens- und bildhaft bewundernswert. In der Praxis steckt mehr Theorie, als man bisweilen wahrhaben will. Die Sexualität im Wandel der Epochen – ein Auf und Ab, ein Hin und Her, ein Vor und Zurück in puncto Freiheitlichkeit und Freizügigkeit. Von Prostitution zu Perversion, von wahrer Liebe zu purem Trieb. Wie viel Natur steckt in Kultur? Nach der Lektüre bleibt auf jeden Fall „mehr hängen“, als nach dem Lesen eines trockenen Sachbuchs. Alles läuft auf eins hinaus – Lustbefriedigung und Fortpflanzung. Schon viel wurde darüber geschrieben, aber noch nie so witzig und interessant in Szene gesetzt. Ein Buch, nicht unbedingt nur für Erwachsene.

Bewertung vom 29.10.2017
Und du kommst auch drin vor
Bronsky, Alina

Und du kommst auch drin vor


gut

Mal was anderes
Das Cover lässt vorab keinesfalls auf den Inhalt schließen. Im Nachhinein allerdings könnte man die vielen Steine als Puzzle oder Mosaik interpretieren, das sich zwar so nach und nach zusammensetzt, doch letztendlich nicht unbedingt ein stimmiges Bild ergeben muss. Die Jugendlichen werden somit auch dem Ende der Handlung mehr abgewinnen können als erwachsene Leser. Das Buch ist leicht lesbar – keine langen und schwierigen Sätze, eher vielsagend mit einfachen Worten. Das Lesepublikum kann also auch etwas jünger sein als die Hauptakteure.
Kim und Petrowna, beide um die 15 Jahre alt, sind die besten Freundinnen. Gegen die mit allen Wassern gewaschene Petrowna wirkt Kim regelrecht naiv, obwohl auch sie nicht auf den Mund gefallen ist, kann sie ihre beste Freundin dennoch nicht in Derbheit und Rigorosigkeit übertreffen. Sie selbst gehen miteinander allerdings schon milder und verständnisvoller um, als sie es beispielsweise mit ihren Klassenkameraden tun.
Der Beginn der Geschichte ist mysteriös. Eine Autorin liest aus ihrem neuen Roman „Dinge, die du nie erfährst“. Kim ist sich auf Anhieb sicher, dass es in der Geschichte genau um ihr Leben geht. Kann so etwas überhaupt möglich sein? Sie muss dieses Buch also unbedingt haben. Als Leser ist man nicht minder neugierig auf das Buch als Kim selbst.
Ganz wie nebenbei treten im Verlauf der Handlung Ansichten und Herangehensweisen von Heranwachsenden zutage, mit denen man als Erwachsener gar nicht rechnet oder ahnt. Der junge Leser hingegen wird sich sehr verstanden fühlen. Besonders Scheidungskinder werden diesem Buch einiges mehr abgewinnen können, erzählt doch Kim ganz offen, wie man sich dabei fühlt und in welche Situationen man dabei kommen kann, eine Thematik, die in vielen Jugendbüchern eher nur unterschwellig behandelt wird, wenn überhaupt. Eine tolle Buchidee. Beim Lesen hatte zumindest ich oft das Gefühl, dass man daraus hätte mehr machen können.

Bewertung vom 15.10.2017
Herrn Haiduks Laden der Wünsche
Beckerhoff, Florian

Herrn Haiduks Laden der Wünsche


gut

Menschen machen Orte besonders
Ein kleiner Ort des Friedens in der Großstadt; für Menschen mit einem Blick, der tiefer geht. Doch es ist einzig und allein Herr Haiduk, der diesem Ort, seinem Laden, genau diesen Flair verleiht und ihn so besonders macht. Alles um diese Insel herum verändert sich. Die Menschen hetzen, die Autos rasen, alles ist auf Eile und Effektivität ausgerichtet. Nur in dem Laden verändert sich nichts, am wenigsten Herr Haiduk selbst. Er hat schon viel gesehen und viel erlebt. Er kennt die Menschen und er liebt sie nach wie vor. Seine Neugier steckt an. Offen, herzlich, geistreich.
Auf den ersten Blick wirken seine Kunden mitunter einfach nur komisch, doch auch sie sind auf ihre Weise Unikate, deren Kennenlernen lohnt. Der Laden ist hierfür die perfekte Plattform. Er überlässt ihnen praktisch das Feld. Doch Herr Haiduk weiß genau, was er tut und ahnt auch meist sehr schnell, was den Menschen fehlt. Er führt sie zusammen, als hätte er schon längst einen Plan mit ihnen. Als wüsste er längst, schon vor den Betreffenden selbst, welchen Wunsch es zu erfüllen gilt.
Owohl es seine Kunden sind, die den Laden betreten, ist es doch Herr Haiduk, der auf leisen Sohlen in ihr Leben tritt. Und er hinterlässt seine Spuren bei denen, die ihm begegnen; selbstverständlich auch beim Leser. Doch es ist fast unmöglich, in Herrn Haiduks Fußstapfen zu treten, denn solche durch und durch gutartigen Menschen, die still ihr Leben leben und ihre Weisheit dezent verschenken, sind selten. Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass die anderen Beteiligten, eher farblos und naiv hinter ihm zurückstehen. Auch mein Verständnis für gewisse Aktionen, aus absoluter Naivität geboren, blieb oftmals auf der Strecke. Ich hatte während des Lesens stets den Eindruck, als wolle der Autor seine Geschichte in eine bestimmte Richtung lenken, doch die Handelnden kommen dabei nicht so recht mit. Durch sich aneinanderreihende Absurditäten geht bisweilen das Interesse verloren. Das ist sehr schade, birgt doch der Beginn der Geschichte um den Laden und seine Besucher sehr viel Potential zum Verflechten von Krisen, Hoffnungen, lange gehegten Wünschen und was daraus entstehen kann, wenn die Karten praktisch neu gemischt werden. Und es können eben weitaus vielsagendere Dinge geschehen, wenn Menschen sich begegnen, als das Hickhack um den Lottogewinn. Immerhin ein netter und heiterer Roman, bei dem man nicht denken muss.

Bewertung vom 08.10.2017
Und du wirst den verborgenen Schatz in dir finden
Gounelle, Laurent

Und du wirst den verborgenen Schatz in dir finden


sehr gut

Welten treffen aufeinander
Ort des Geschehens ist das kleine französische Dorf Cluny, in der Alice und Jérémie ihre Kindheit und Jugend verbrachten. Jérémie, inzwischen Priester der Dorfgemeinde, vollbringt derzeit wahrlich keine Wunder. Die Gottesdienstbesucher in der großen Kirche kann man beinahe an zwei Händen abzählen. Irgend etwas scheint er falsch zu machen.
Gott sei Dank tritt in dieser Situation Alice, die Atheistin, auf den Plan. Sie hat ihre Heimat schon vor vielen Jahren verlassen und ist mittlerweile eine sehr erfolgreiche Unternehmensberaterin. Sie ist selbstbewusst, dynamisch und ausgesprochen durchsetzungsstark. Damit ist sie das ganze Gegenteil ihres Jungendfreundes, welcher eher sehr bodenständig, zurückhaltend und still agiert.
Mit ihm wird der Leser auch schneller „warm“ als mit der forschen Alice. Doch schon bald ist man auch von ihr und vor allem ihrem Ideenreichtum fasziniert. Engagiert und ganz auf erfolgreiches Marketing getrimmt, legt sie los, „das Christentum wieder aufzupeppen“.
Der Leser staunt nicht schlecht, wie viele Parallelen es doch zwischen Geistlichkeit und Weltlichkeit gibt. Sie redet mit Engelszungen auf Jérémie ein, der daraufhin gar nicht anders kann, als ihre angedachten Strategien in Wort und Tat umzusetzen. Zu nennen sind da beispielsweise ihre nutzungsorientierte Sicht auf die Spiritualität S. 47 oder dass ein persönliches Coaching nach der Beichte effektiver für den Gläubigen wäre als Absolution S. 81.
Die Thematik Glaube / Ungläubigkeit wird zwar nicht tiefschürfend bearbeitet, aber es wird immerhin ordentlich gekratzt und gebuddelt. Alle Argumente werden so abgehandelt, dass keine Seite als „Sieger“ hervorgeht oder sich als „Verlierer“ fühlen muss. Takt, Toleranz, Wohlgesonnenheit werden groß geschrieben. Es wird Kritik geübt und darüber gesprochen, welche Kraft der Glaube in einem Menschen auslösen kann. Die verschiedenen Sichtweisen stehen gleichberechtigt, treten also nicht in Konkurrenz zueinander.
Zahlreiche lustige Situationen sind vorprogrammiert, die den Leser bestens unterhalten und kurzweilig informieren, kennt er sich doch nach der Lektüre in Glaubens- und Marketingangelegenheiten besser aus als (je) zuvor. Die Zusammenarbeit unserer Haupthelden hinterlässt auch bei ihnen selbst Spuren. Doch vorerst sind sie viel zu sehr mit dem Wiederbeleben der Kirchgemeinde beschäftigt, um dies zu bemerken und den Schatz in sich selbst zu entdecken.
Das Ende dieser unvorhersehbaren Geschichte hätte ich mir zwar anders vorgestellt, doch Gottes Wege sind eben unergründlich.