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Elisabeth

Bewertungen

Insgesamt 112 Bewertungen
Bewertung vom 05.02.2019
Der Hunger der Lebenden / Friederike Matthée Bd.2
Sauer, Beate

Der Hunger der Lebenden / Friederike Matthée Bd.2


sehr gut

Hunger nach Normalität – vor dem Hintergrund grausamer Verbrechen
Bei Beate Sauers historischem Kriminalroman „Der Hunger der Lebenden“ handelt es sich um den zweiten Fall für die junge Polizeibeamtin Friederike Matthée, die in den Nachkriegsjahren in und um Köln herum ermittelt. Das Buch ist im Januar 2019 bei ullstein erschienen und umfasst 432 Seiten.
Um es vorweg zu sagen: Obwohl es sich hier um den zweiten Band einer Reihe handelt, kann man dem Geschehen mühelos folgen, ohne den ersten zu kennen. Der Fall ist in sich abgeschlossen, und die Autorin hat alle dem Verständnis dienlichen Informationen in die Erzählung integriert.
Insgesamt besticht dieser Krimi weniger durch seine Spannung als vielmehr durch seine Darstellung der Nachkriegsjahre: Die Menschen sind „ausgehungert“, sie sehnen sich nach Normalität. Entsprechend ist auch der Titel des Buches zu verstehen: Auf der einen Seiten herrscht wegen der knappen Lebensmittelzuteilungen wirklicher physischer Hunger, auf der anderen Seite auch der psychische. Ein Teil dieser Normalität ist bestimmt auch durch die Vergangenheitsbewältigung, die in diesem Buch eine große Rolle spielt, wenn bspw. Friederike nicht weiß, wie sie mit den grausamen Vergehen ihres Bruders umzugehen hat. Gut fügt sich in dieses Zeitpanorama auch die zarte Liebesgeschichte zwischen Friederike und Richard ein, die eine/n tief in diese Zeit eintauchen lässt und zeigt, wie schwierig sich eine (Wieder-)Annäherung zwischen den ehemaligen Gegnern gestaltete.
Obwohl es sich bei diesem Roman um einen Krimi handelt und die Leser/innen auch gleich von Anfang an mit dem Fall konfrontiert werden, kommt wirkliche Spannung beim Lesen erst im letzten Drittel auf, wenn der Fall sich allmählich als immer komplexer erweist, sich Zusammenhänge herausstellen, von denen vorher niemand etwas geahnt hat, und die Ermittler/innen verschiedenen irrigen Annahmen folgen. Gegen Ende jedoch wird der Kriminalfall glaubwürdig und nachvollziehbar gelöst, wobei das Finale mannigfaltigen Stoff zum Nachdenken bietet, wie sehr der Nationalsozialismus mit seinen Folgen doch unser Verhältnis zu anderen geprägt hat und wie man auch heute noch mit vergangener Schuld umgehen könnte.
Sauers Sprache ist angenehm und flüssig zu lesen, besonders in beschreibenden Passagen auch plastisch, was ein Eintauchen in die Welt der Protagonisten erleichtert und das Lesen zu einem Vergnügen werden lässt.
Ebenso realitätsnah sind die recht zahlreichen Charaktere gezeichnet. Besonders Friederikes teilweise Unsicherheit und ihre Zerrissenheit zwischen Loyalität zu ihrem Bruder und dem Wunsch nach Wiedergutmachung kommen authentisch zum Ausdruck. An der Figur Richard Davies kann man leicht nachvollziehen, wie schwer es für die Opfer des Dritten Reiches gewesen sein muss, den ehemaligen Widersachern vorbehaltlos zu begegnen.
Am Ende des Buches befindet sich ein Personenverzeichnis, das die Orientierung beim Lesen erleichtert. Selbiges gilt für die sich in der inneren hinteren Buchklappe befindenden Karte vom Großraum Köln bzw. dem Bergischen Land. Auch das Nachwort ist lesenswert, enthält es doch neben einer Danksagung zahlreiche Informationen über historische Begebenheiten, die Recherche der Autorin sowie Literaturangaben.
Das Cover des Buches ist sehr ansprechend, es zeigt Nachkriegskinder vor den Trümmern einer zerbombten Großstadt, der Himmel ist grau. Gemeinsam mit der schönen, farblich auf das Bild abgestimmten Schrift und dem Inhalt bildet das Layout so ein harmonisches Ganzes.
Insgesamt handelt es sich bei „Der Hunger der Lebenden“ um einen Kriminalroman, der ein eindrucksvolles Panorama der Nachkriegszeit bietet, die Lesenden in die damalige Welt entführt und mannigfaltigen Stoff zum Nachdenken bietet.

Bewertung vom 04.02.2019
Blinde Rache / Mara Billinsky Bd.1
Born, Leo

Blinde Rache / Mara Billinsky Bd.1


ausgezeichnet

Der Thriller beginnt gleich spannend mit der Schilderung eines Folter- und Mordverbrechens. Unwillkürlich fragt man sich beim Lesen, wer wohl dahinterstecken und was wohl das Motiv zu diesem grausamen Verbrechen sein mag. Wie von einem Thriller, der im Milieu der Banden- bzw. organisierten Kriminalität spielt, nicht anders zu erwarten, geht es auch im weiteren Verlauf eher brutal zu. Die Foltermethoden haben es wirklich in sich. Dennoch dominiert während des Lesens die Spannung, voyeuristische Elemente werden vom Autor gemieden; beim Lesen zermartert man sich unwillkürlich das Hirn, um auf eine Lösung zu kommen. Das Ende des Romans hat es dann endgültig in sich: Nach einer überraschenden Wendung und einem nervenzerreißenden Showdown werden die Morde zwar aufgeklärt, aber den Leser/innen stellen sich einige moralische Fragen. Auch wenn die Mordopfer sehr unangenehme Zeitgenossen waren, bleibt die Frage nach den Grenzen sowie dem Recht und Unrecht der (Selbst-)Justiz.
Neben der eigentlich zentralen Mordserie spielen noch zwei weitere Verbrechen eine Rolle, die teils aber nicht endgültig geklärt werden. Dieses animiert die Lesenden, sich auf weitere Bände dieser Serie zu freuen. Gleiches gilt für die abschließende Offenlegung von Maras Schicksal.
Immer wieder richtet der Autor den Blick auf die Schattenseiten unserer Gesellschaft, wenn er z.B. Einblicke in Hannos Jugendzentrum und das Schicksal der dortigen Jugendlichen gewährt oder das Thema „(Zwangs-)Prostitution“ thematisiert.
Borns Sprache und Stil sind flott und flüssig zu lesen. Perspektivwechsel und an passenden Stellen eingefügte fragmentarische, kurze Sätze verleihen dem Lesen Tempo; Gleiches gilt für die eher kurzen Kapitel, die oft mit einem Cliffhanger enden. So mag man beim Lesen das Buch kaum zur Seite legen. Besonders gut ist es dem Autor gelungen, die dunkle Seite der Bankenmetropole Frankfurt darzustellen. Auch dieses sorgt für eine Aufrechterhaltung des Spannungsbogens und zugleich für eine bedrückende Atmosphäre.
Mara Billinsky ist bestimmt ein streitbarer Charakter, jedoch erfährt man beim Lesen immer wieder häppchenweise Details aus ihrer Vergangenheit, die es nachvollziehbar machen, wieso sie so ist, wie sie ist, nämlich eine Einzelgängerin, die wenig Wert darauf zu legen scheint, wie sie bei anderen ankommt. Sie ist aber dennoch, wie auch die anderen Charaktere, vielschichtig gezeichnet, was mir persönlich sehr gut gefällt. Einblicke in die Psyche der Handlungsträger erleichtern eine Identifikation mit denselben, Selbstreflexionen derselben lassen sie wandelbar und entwicklungsfähig erscheinen. Dieses gilt vor allem auch für Maras Partner Jan Rosen.
Insgesamt legt Leon Born mit „Blinde Rache“ einen äußerst spannenden, teils bedrückend und stets rasant zu lesenden ersten Teil einer Thrillerreihe vor, den ich selbst am liebsten in einem Rutsch durchgelesen hätte. Auf jeden Fall hat mich das Buch neugierig auf die Nachfolgebände gemacht, denen ich mich bei Gelegenheit ebenfalls widmen werde. Ich kann diesen Thriller allen Freund/innen der deutschen Thrillerliteratur nur wärmstens empfehlen.

Bewertung vom 03.02.2019
Der dunkle Garten
French, Tana

Der dunkle Garten


sehr gut

Psychologische Spannung - detailliert und faszinierend erzählt

Es fiel mir anfangs schwer, mich in das Buch und das Geschehen hineinzufinden, was in erster Linie an der sehr ausschweifenden Schreibart er Autorin lag. Je weiter ich im Lesen jedoch fortschritt, desto mehr faszinierte mich ihr Stil. Die Autorin legt großen Wert auf Beschreibungen, sowohl Dinge als auch Charaktere sind sehr detailliert geschildert, die Sprache dabei literarisch, fast schon poetisch, immer wieder gespickt auch von einem feinen Humor, wenn Toby z.B. den Einbrechern dankt, seine Kondome mitgenommen zu haben, um sich nicht weiter fortpflanzen zu können. Andererseits gibt es Abschnitte mit einer leichteren, fast schon als ans Schnoddrige grenzenden Schreibweise. Dies hilft beim Lesen, sich das Beschriebene vors Auge zu führen und sich in die Charaktere hinzuversetzen, sorgt aber andererseits für sehr langatmige Passagen. Die mit ca. 50 Seiten doch recht langen Kapitel, die einem logischen Aufbau folgen, unterstützen beim Lesen das Gefühl, nicht voranzukommen. Erst mit dem Auffinden des Schädels und vor allem später, im letzten Drittel des Romans, nimmt die Handlung an Rasanz und Brisanz zu, sodass man das Buch kaum noch aus der Hand legen mag. Durch den letzten Teil bin ich regelrecht hindurchgeflogen. Das Ende des Romans konnte mich dennoch nicht restlos überzeugen, da zum einen nicht alle Ereignisse zufriedenstellend aufgelöst werden, zum anderen die ein oder andere Wendung gegen Ende doch sehr konstruiert, teils sogar überflüssig wirkt.
Der gesamte Roman ist aus der Ich-Perspektive, genauer aus der Sicht des 28-jährigen Toby, geschrieben. Da man dadurch einen guten Einblick in sein Seelenleben erhält, fällt es leicht, mit ihm mitzufühlen und – vor allem – mitzuleiden. Aber auch die anderen Charaktere, vor allem sein Cousin, seine Cousine und sein Onkel, sind vielschichtig gezeichnet und machen große Wandlungen im Geschehen durch, sodass man vor Überraschungen und neuen Einsichten nicht gefeit ist. Somit legt French hier die Charakterstudie einer Familie vor, die ihresgleichen sucht. Ein besonderes Vergnügen war es für mich, den Ermittlungen des Polizeibeamten Rafferty zu folgen, der seine Vernehmungen so clever führt, wie ich es kaum jemals gelesen habe.
Neben der Familiengeschichte der Hennessys thematisiert French auch allgemeinere Themen wie Umgang mit Tod und Sterben und dem Internet, Mobbing und soziale Ungerechtigkeit. Manchmal hat man das Gefühl, im Mikrokosmos der Familie dem Makrokosmos der Welt gegenüberzustehen.
Das Cover des Buches zeigt ein altes Herrenhaus, umgeben von einem verwilderten Garten. Liest man das Buch, scheint dieses Bild direkt in Ivy House aufgenommen worden zu sein: An allen Ecken und Enden begegnet man ihm beim Lesen.
Trotz meiner Kritikpunkte hat mich das Lesen des Buches insgesamt sehr fasziniert, was vor allem an der Sprache der Autorin und dem Einblick in die Psyche der Familienmitglieder liegt. Hier ist French eine wirklich großartige Studie gelungen, die mich durchweg gefesselt hat, sodass dieser bestimmt nicht der letzte von Frenchs Romanen ist, den ich gelesen habe. Allen, die ein Faible für intelligente psychologische Spannung und detaillierte Beschreibungen haben, kann ich diese Lektüre nur wärmstens empfehlen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 07.01.2019
AMNESIA - Ich muss mich erinnern
Herrmann, Jutta Maria

AMNESIA - Ich muss mich erinnern


sehr gut

Geschildert werden in diesem Roman sechs Tage im Leben der Protagonistin, eingerahmt von einem Prolog und einem Epilog. Sehr eindrücklich werden Helens psychische Verfassung und ihre Medikamentenabhängigkeit geschildert, doch dauert es bis zur zweiten Hälfte des Romans, bis die Spannung zunimmt – dann allerdings rasant. Dabei gibt es immer wieder Rückblenden in ihre Kindheit und Jugend, die die Identifikation erleichtern. Allerdings hat das offene Ende mich dann doch nicht völlig überzeugen können, was aus einer sich mir nicht vollends erschließenden Logik resultiert. Ich nehme Helens Mutter am Ende den Wandel einfach nicht ab, auch wenn es heißt, sie sei wie eine „verschlossene Auster“, die man nur „zu öffnen“ bräuchte.
Die Handlung wird aus der Ich-Perspektive erzählt, was einen guten Einblick in die Psyche eines Menschen gibt, der dem Tod geweiht ist. Hier hat Jutta Maria Herrmann wirklich sehr gute Recherchearbeit geleistet. Kurze Sätze an den passenden Stellen lassen Helens Verzweiflung überzeugend zur Geltung kommen und verleihen dem Lesen Tempo. Dass die Autorin sprachliches Knowhow besitzt, zeigen die wirklich detailreichen Beschreibungen, eine dichte, atmosphärische Sprache und eindringliche, pointierte Formulierungen wie „ein Korsett aus Panik“.
Neben dem Einblick in die Psyche einer Sterbenden und der Medikamentenabhängigkeit sind zerrüttete Familienverhältnisse und häusliche Gewalt weitere Themen des Romans. All diese sind ebenfalls realistisch und nachvollziehbar dargestellt.
Der Roman kommt mit einer überschaubaren Zahl an Charakteren aus. Alle sind detailliert, lebensnah und – vor allem – wandlungsfähig dargestellt. Insbesondere Helens Schwester präsentiert sich während des Geschehens sehr vielschichtig und ließ mich nach dem Lesen mit einem Gefühl des Zweifels zurück. Ähnliches gilt für ihre Mutter.
Das Cover ist dunkel gehalten, mit einem zerkratzten Hintergrund versehen, und vor allem das in Großbuchstaben geschriebene Wort „Amnesia“ sticht ins Auge. Gemeinsam mit seiner „rauen“ Struktur passt es sehr gut zum beklemmenden Inhalt des Romans.
Ich muss gestehen, der Thriller lässt mich doch etwas zwiegespalten zurück, denn im Grunde hat er alles, was ein guter, ja sogar brillanter Thriller braucht: einen spannenden Plot, ausgefeilte Charaktere, tiefgründige Psychologie und eine überzeugende Sprache. Dennoch konnte mich das Buch nicht restlos überzeugen, was vor allem auf den stellenweise fehlenden Nervenkitzel zurückzuführen ist. Doch kann ich das Buch nichtsdestotrotz als lesenswert einstufen.

Bewertung vom 06.01.2019
Bittere Schokolade / Xavier Kieffer Bd.6
Hillenbrand, Tom

Bittere Schokolade / Xavier Kieffer Bd.6


ausgezeichnet

Wir wollen alles – und das sofort, billig und aus aller Herren Länder. Nur ab und zu meldet sich unser schlechtes Gewissen. Den Konsequenzen dieser Konsumentenmentalität kommt Tom Hillenbrand auf spannende und informative Weise auf die Spur.
In „Bittere Schokolade“ ermittelt Xavier Kieffer nun schon zum sechsten Mal im kulinarischen Milieu. Der Kriminalroman ist im November 2018 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen und umfasst 480 Seiten.
Als der luxemburgische Koch Xavier Kieffer nach vielen Jahren seine ehemalige Freundin wiedertrifft, engagiert diese sich inzwischen als Pattiseurin für sozial verträglichen Kakao- bzw. Schokoladenanbau und –handel. Doch kurze Zeit darauf wird sie vor seinen Augen niedergeschossen; für Kieffer natürlich ein Grund, auf eigene Faust zu ermitteln. Dabei führen seine Ermittlungen tief in den Dschungel des alles andere als koscheren Kakao- und Schokoladengeschäfts.
Hillenbrands Roman überzeugt nicht in erster Linie durch seine durchgängige kriminalistische Spannung im herkömmlichen Sinne, sondern vielmehr durch seine nicht weniger dramatische Thematik. Zwar stößt man beim Lesen immer wieder auf äußerst spannungsgeladene Passagen, wenn Kieffer z.B. in einer Hauruckaktion seine eigenen Nachforschungen auf der afrikanischen Kakaoplantage von Varanga anstellt oder in einem fulminanten Showdown Verbrechern gegenübersteht, doch ist das eigentlich Ungeheuerliche der Einblick in das spekulative Geschäft mit dem Kakaoanbau, der sich bestimmt auf beliebig viele Branchen übertragen lässt und zum Nachdenken anregen sollte – ein Thema, das mich persönlich schon lange beschäftigt. Dabei ist die Handlung von Anfang bis Ende logisch aufgebaut, lässt es aber dennoch nicht an Überraschungsmomenten missen.
Weitere gesellschaftskritische Themen, die in diesem Roman angesprochen werden, sind das Hofieren des Essens, wenn Kieffer auf seine Hausmannskost setzt, die Dominanz der digitalen Medien, wenn z.B. Valéries Verlag am Rande des Ruins steht, und eine immer wieder einfließende Kritik an der Europapolitik, hier personifiziert in Kieffers Freund Pekka Vatanen. Nicht zuletzt erhalten Leser/innen einen liebevollen Einblick in luxemburgische Besonderheiten.
Sehr gut gefallen haben mir Hillenbrands Sprache und Stil. Die Sprache ist eine angenehme Mischung aus Anspruch, wenn z.B. Begriffe wie „quichottenhaft“ verwendet werden, und Flapsigkeit. Auch das Luxemburgische kommt nicht zu kurz, und typische Gerichte werden am Ende in einem Glossar erklärt - alles in allem abwechslungsreich, gut und flüssig zu lesen. Ist das Thema des Buches an sich auch ernst zu nehmen, fehlt es dennoch nicht an einer klug eingestreuten Prise Humor: „Kieffer wollte nicht selten abstürzen, sondern überhaupt nicht.“
Dieses ist der erste der kulinarischen Krimis, die ich gelesen habe. Und ich muss festhalten: Mit Xavier Kieffer hat Tom Hillenbrand einen mir wirklich sympathischen Protagonisten geschaffen – nicht mehr der Jüngste, Kettenraucher und in mancherlei Hinsicht herrlich unbedarft spontan (Wer reist schon so völlig unvorbereitet in den Kongo?), kommt er auf unorthodoxe Weise doch ans Ziel. Auch alle anderen Charaktere sind wandelbar, detailliert und sorgfältig gezeichnet.
Der Titel ist Programm, das Cover für alle Schokoladenfans eine Augenweide: Wer träumt nicht von diesem cremigen Genuss? Mir jedenfalls läuft – trotz des weniger schönen Hintergrunds – bei dessen Anblick das Wasser im Mund zusammen.
Insgesamt hat mir dieser Krimi in vielerlei Hinsicht große Lesefreude bereitet und Denkanstöße geboten, und es wird bestimmt nicht der letzte Roman um diesen außergewöhnlichen Amateur-Ermittler gewesen sein, den ich gelesen habe. Für mich jedenfalls das erste Highlight des Jahres und eine uneingeschränkte Leseempfehlung.

Bewertung vom 06.01.2019
Rachgier / Tony Hill & Carol Jordan Bd.10
McDermid, Val

Rachgier / Tony Hill & Carol Jordan Bd.10


ausgezeichnet

Um es vorweg zu sagen: Der Thriller gleicht eher einem Krimi, stehen doch die Mordermittlungen im Mittelpunkt. Dieses tut der Spannung jedoch keinen Abbruch, und die Grenzen zwischen diesen beiden Genres sind bekanntermaßen fließend.
Das Buch ist von der ersten Seite an spannend geschrieben, und der Spannungsbogen steigt bis zum Ende stetig an. Auch wenn mich gegen Ende Carols Gedankengänge sehr irritierten und sie fast von mangelnder Professionalität seitens der Ermittlerin zeugen, fand ich den Schluss an sich überraschend und sowohl brillant als auch tragisch. Hier hat McDermid erneut bewiesen, dass sie ihr Handwerk wirklich versteht und die Lesenden überraschen kann.
Der Roman selbst umfasst mehrere Erzählstränge. Neben dem eigentlichen Mordfall haben Carol und Tony sowohl auf beruflicher als auch auf privater Ebene ihre Kämpfe auszutragen, und auch unter ihren Teammitgliedern gibt es einige, die nebenbei mit der Lösung eigener Probleme beschäftigt sind. Dieses hat zur Folge, dass die Erzählung immer wieder vom eigentlichen Kriminalfall abweicht, was aber dem Spannungsaufbau nicht schadet. Genau im Gegenteil: Dadurch bekommt der eigentlich der Unterhaltung dienende Roman neue thematische Impulse, hier z.B. die Kritik am Umgang mit dem Internet, insbes. den Social Media, die Denkanreize bieten. Auch das mehrmalige Rückgreifen auf ältere Fälle behindert das Verstehen nicht.
Die unterschiedlichen Perspektiven, aus denen der Thriller erzählt wird, sind ebenfalls sehr reizvoll. Neben den einzelnen Ermittlungsbeschreibungen erfolgt immer wieder ein Wechsel zur Perspektive des Mörders. Hier erfährt man nach und nach, welche Motive der Täter hat, sodass man sich beim Lesen in dessen Psyche hineinversetzen kann und dem Ermittlungsteam in weiten Phasen an Wissen voraus ist. Sehr interessant und überzeugend fand ich die immer wieder eingeblendeten Gedanken von Tony Hill, es also nachzuvollziehen, wie er an den Fall herangeht.
Die Charaktere sind detailliert und realitätsnah beschrieben, weshalb es leichtfällt, sich mit ihnen zu identifizieren. Selbstzweifel, von denen einige Ermittler/innen immer wieder heimgesucht werden, lassen die fiktiven Figuren menschlich erscheinen. Lediglich die Intrigantin Penny Burgess war mir von Anfang an unsympathisch, was mir die Identifikation erschwerte.
McDermids Sprache ist schnörkellos und flott zu lesen, es fehlt auch nicht an humoristischen Elementen. Dass die Autorin gewandt mit Sprache umgehen kann und gut recherchiert hat, kann man Begriffen wie „kathartische Tat“ und ähnlichem entnehmen.
Insgesamt handelt es sich bei „Rachgier“ um einen spannend und hervorragend geschriebenen Roman, der Leserinnen und Leser von der ersten bis zu letzten Seite in seinen Bann zieht, durch gut Recherche und sprachliches Knowhow glänzt. Ein Buch, das ich allen Thriller- und Krimileser/innen einfach nur ans Herz legen kann.

Bewertung vom 30.12.2018
Blutwette / Julia Durant Bd.18
Franz, Andreas;Holbe, Daniel

Blutwette / Julia Durant Bd.18


gut

Mit Julia Durant schuf Andreas Franz eine starke Kommissarin. Nach seinem Tod trat Daniel Holbe dessen Erbe an und führt die Reihe nun mehr fort, sodass die Frankfurter Polizistin hier schon in ihrem 18. Fall ermittelt. Mit dabei wie immer: ihre bewährtes Team.
Unter dem Titel „Blutwette. Julia Durants neuer Fall“ erschien dieser Kriminalroman im August 2018 bei Knaur Taschenbuch und umfasst 416 Seiten.
Da ich Franz‘ Krimis sehr gern gelesen habe, freue ich mich immer wieder auf einen neuen Fall der Durant. Doch muss ich auch feststellen, dass Holbes Romane nicht an das Original heranreichen.
Im Gegensatz zu den vorherigen Roman brauchte es dieses Mal einige Zeit, bis ich mich in den Fall hineingefunden hatte: Er beginnt zwar, wie gewohnt, mit einem Todesfall, dann werden aber erst einmal verschiedene Szenen und Vorkommnisse geschildert, die im Laufe des Romans nicht unbedingt eine tragende Rolle spielen. Die vielen losen Fäden verwirren beim Lesen eher, als dass sie Spannung erzeugen, und werden am Ende nicht alle befriedigend miteinander verknüpft. Erst ab etwa der Hälfte des Romans steigt der Spannungsbogen allmählich an, jedoch kam ich trotz allem beim Lesen nicht so richtig in den Flow. Einige Ungereimtheiten während der Ermittlungen, warum z.B. Kullmer so vehement auf seinen Undercover-Einsatz beharrt, oder was das Steine in den Weg-Legen von oberster Stelle jetzt wirklich zu bedeuten hat, blieben mir bis zuletzt unklar. Gerade bei Letzterem habe ich den Eindruck, als wollte Holbe einfach noch etwas Skandalträchtiges und Publikumswirksames in die Handlung einbauen. Verschwörungstheoretiker gibt es allerdings, meiner Meinung nach, schon genügend in diesem Land.
Wenn es um Julia Durants privates Schicksal geht, das sich durch alle Bände hindurchzieht, kommt es beim Lesen immer wieder zu Doppelungen, auch werden Details aus ihrem Umfeld geschildert, die für die Handlung an sich keine Rolle spielen, sodass das Lesen zwischendurch recht langatmig erscheint. Natürlich müssen Hintergründe offengelegt werden, damit auch Neueinsteiger/innen in eine Reihe befriedigt werden, doch ist es hier einfach des Guten zu viel. Da hilft es auch nicht, dass sich den Leser/innen immer wieder neue Spuren auftun, in Sackgassen enden und überraschende Wendungen angebracht werden.
Sprachlich lässt sich der Krimi, wie gewohnt, locker und leicht lesen.
Die Charaktere werden detailliert dargestellt und erweisen sich als wandlungs- sowie lernfähig. Besonders Dina hat mich am Ende doch überrascht und hinterlässt bei mir einen zwiespältigen Eindruck.
Der Grundtenor des Buches ist derselbe wie immer: Die Welt ist voller Grausamkeiten, doch gibt es Menschen, die diesen nach bestem Wissen und Gewissen entgegentreten und nicht aufgeben, auch wenn der Kampf endlos erscheint: Grund zur Hoffnung gibt es also allemal, ohne dass die Welt rosarot gemalt wird. Dieses ist eine Botschaft, die mir an diesen Büchern sehr gut gefällt.
Alles in allem handelt es sich auch bei diesem 18. Durant-Band wieder um einen zwar guten und durchaus auch lesenswerten Krimi, wenn man die Durant und ihr Team aber wirklich auskosten und liebgewinnen möchte, sollte man eher zu den älteren Bänden greifen. Von mir gibt es dennoch eine Leseempfehlung, doch sollte man die Erwartungen nicht zu hoch schrauben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.12.2018
Die Sache mit der gestohlenen Zeit / Zarah und Zottel Bd.2
Birck, Jan

Die Sache mit der gestohlenen Zeit / Zarah und Zottel Bd.2


ausgezeichnet

Hausmeister Holzköppel wirft Zarah, Zottel und ihren Freunden vor, ihm mit ihren Spielen auf dem Hof die Zeit gestohlen zu haben. Doch das wollen die Kinder nicht auf sich sitzen lassen. Und so machen sie sich auf die Suche nach der gestohlenen Zeit … und entdecken dabei Verblüffendes …
„Wir haben einfach zu wenig Zeit.“ Wer kennt das Problem nicht? Auch Kinder leiden schon unter diesem Zuwenig. In seinem Buch regt Jan Birck auf kindgerechte und einfallsreiche Weise dazu an, dem Mangel an Zeit auf die Spur zu kommen, und zeigt, dass ein Mehr an Zeit auch ein Mehr an Miteinander zur Folge hat.
Weitere Themen, die Kinder betreffen und in diesem Buch angesprochen werden, sind das Aufwachsen mit nur einem Elternteil sowie der Traum vom Indianerleben.
Blättert man das Buch durch, stechen einem zuerst die großflächigen, künstlerisch wertvollen und dennoch Kindern angemessenen Bilder ins Auge. Sie sind achtsam, mit Liebe zum Detail gezeichnet und geben Anlass zum Innehalten, Betrachten und Entdecken. Außerdem bergen sie eine gewisse Dynamik in sich, was bei Kindern des medialen Zeitalters gut ankommen dürfte.
Der Text ist in kleinen Portionen auf den Seiten verteilt, sodass sich das Buch auch als erste Lektüre für Erst- und Zweitklässler/innen eignen sollte. Sehr gefallen hat mir, dass man das Buch auch ab und an drehen und wenden muss, um das Geschriebene richtig lesen zu können. Die Sprache ist einfach gehalten, die Sätze und Satzkonstruktionen sind nicht zu kompliziert, entsprechen also den Verstehenskompetenzen von Kindergarten- und Grundschulkindern, ohne jedoch zu anspruchslos zu sein. Auch in diesem Buch fehlt es wieder nicht an Wortwitz und –spielerei.
Alles in allem präsentiert Jan Birck auch mit diesem zweiten Band wiederum ein Bilderbuch, das sowohl Kindern als auch Vorleser/innen Freude bereitet, Grund zum Nachdenken gibt und Leseanfänger/innen dazu animiert, sich mit der geschriebenen Sprache zu beschäftigen.

Bewertung vom 26.12.2018
Kälter als die Angst / Schneidmann & Käfer Bd.5
Drews, Christine

Kälter als die Angst / Schneidmann & Käfer Bd.5


sehr gut

Mit „Kälter als die Angst“ präsentiert Christine Drews ihren mittlerweile fünften Band rund um das Ermittlerduo Charlotte Schneidmann und Peter Käfer. Der Münster-Krimi ist im Dezember 2018 bei Bastei Lübbe erschienen und umfasst 304 Seiten.
Nach ihrer Scheidung versucht sich Katrin Ortrup gemeinsam mit ihren beiden Söhnen ein neues Leben aufzubauen. Doch das Glück währt nicht lange: Bald erhält sie mysteriöse Drohbriefe. Werden diese anfangs nur bedingt ernst genommen, ändert sich dieses, als Carla Delbrück erschlagen wird. Sie nämlich wohnte jahrelang in Katrins neuer Wohnung. Als sich dann auch noch herausstellt, dass vor Jahren im Nachbarhaus ein ähnlicher Mord wie der an Carla geschah, spitzt sich die Lage zu.
Mit einem Prolog, in dem ein Verbrechen geschildert wird und der unter die Haut geht, schafft es die Autorin gleich zu Beginn, einen Spannungsbogen aufzubauen, der sich nach und nach steigert und bis zum Ende anhält. Gemeinsam mit dem Ermittlerteam wird man auf falsche Fährten und in Sackgassen geführt, sodass man permanent grübelt, was wohl hinter dem Mord und den Drohbriefen stecken mag. Das Ende ist sehr überraschend, aber dennoch logisch und nachvollziehbar. Die eine oder andere kleine Frage bleibt am Ende zwar offen, dieses tut dem Lesegenuss jedoch keinen Abbruch.
Drews erzählt ihren Roman aus drei Perspektiven: aus der Sicht des Täters, der eines ehemaligen, geläuterten Gefängnisinsassen und der des dominierenden Er-Erzählers, welcher die Ermittlungsarbeiten nachzeichnet. Besonders gefallen hat mir beim Lesen, dass die Gedanken des Ex-Häftlings „ein Buch im Buch“ darstellen.
Die Charaktere sind detailliert, lebensnah und durchaus vielschichtig gezeichnet. Viele scheinen nicht diejenigen zu sein, die zu sein sie vorgeben. Gerade Letzteres leitet die Lesenden immer wieder in die Irre, führt zu Nervenkitzel und Überraschungsmomenten.
Katrin Ortrup ist einigen sicher schon bekannt aus Drews Roman „Schattenfreundin“. Auch im weiteren Verlauf des Romans gibt es immer wieder Anspielungen auf Schneidmanns und Käfers ältere Fälle, doch dürfte dieses auch für Neueinsteiger/innen in die Reihe kein Problem darstellen, da diese für den aktuellen Fall von wenig Relevanz sind. Zusätzlich machen sie Lust, auch zu den älteren Bänden zu greifen.
Drews Sprache ist eingängig und flott zu lesen, was gemeinsam mit dem durchgehenden Spannungsbogen für ein flüssiges und aufregendes Leseerlebnis sorgt. Ich jedenfalls mochte während des Lesens den Roman kaum aus der Hand legen.
Wie es sich für einen Regionalkrimi gehört, ist auch das vorliegende Werk gespickt mit Lokalkolorit. Dieses wird gekonnt in die Handlung eingeflochten und zeugt davon, dass die Autorin mit dieser westfälischen Stadt vertraut ist.
Mit „Kälter als die Angst“ konnte Christine Drews mich wieder einmal überzeugen, und ich warte schon gespannt auf weitere Münster-Krimis mit diesem sympathischen Ermittlerduo. Ein Buch, das ich allen Liebhabern deutscher Kriminalliteratur einfach nur ans Herz legen kann.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.