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Reader1965
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Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 60 Bewertungen
Bewertung vom 12.03.2023
Der Inselmann
Gieselmann, Dirk

Der Inselmann


sehr gut

"Der Inselmann" ist der Debütroman von Dirk Gieselmann.

Anfang der Sechziger ziehen die Eltern mit ihrem 10-jährigen Sohn Hans auf eine unbewohnte Insel. Hans wird zum König der Insel - bis er aufgrund der Schulpflicht von ihr vertrieben wird, das Leben in der Schule & im Heim kennenlernt und davon träumt, auf seine Insel zurückzukehren.

Es ist die Geschichte über ein Leben außerhalb der Gesellschaft und die Sehnsucht nach Einsamkeit. Es geht um Sprachlosigkeit & Individualität. Die Atmosphäre ist bedrückend & düster. Vieles bleibt vage. Die Sprache von Dirk Gieselmann macht diese Geschichte so besonders. Ausdrucksstark, melancholisch, kraftvoll & intensiv - und kein Wort zuviel.

"Es war so kalt, dass selbst der Wind fror." (Seite 7)

Es ist ein besonderes Buch, auf das man sich einlassen muss - und dass ich gern empfehle.

Bewertung vom 07.03.2023
Grenzfall - In der Stille des Waldes / Jahn und Krammer ermitteln Bd.3
Schneider, Anna

Grenzfall - In der Stille des Waldes / Jahn und Krammer ermitteln Bd.3


sehr gut

Spannender Grenzfall
Im dritten Buch der Grenzfall-Reihe "In der Stille des Waldes" von Anna Schneider geht es gleich um zwei spannende Grenzfälle:
Alexa Jahn & Jan Rassner ermitteln in einem alten Fall um den Mord an einer jungen Frau, dessen neue Spur die beiden von Deutschland nach Österreich führt.
Bernhard Krammer & Roza Szabo haben es in Österreich mit der Familientragödie um die Familie Fichtner zu tun.

Der Schreibstil von Anna Schneider gefällt mir gut: flüssig & spannend. Mir gefällt auch, wie die Autorin Privates über die Ermittler mit einfließen lässt und damit sehr sympathische Charaktere schafft.

Ein bisschen schade ist es, dass Alexa Jahn & Bernhard Krammer dieses Mal nicht mehr gemeinsam ermitteln - und ich hoffe, dass es im vierten Fall wieder mehr Zusammenarbeit geben wird.

Ein gelungener Cliffhanger zum Schluss erhöht die Vorfreude auf den nächsten Fall, der leider erst Anfang 2024 erscheinen soll.

Bewertung vom 07.03.2023
Kollektorgang
Blum, David

Kollektorgang


ausgezeichnet

Jugend zwischen Plattenbauten
Mario wurde nur 13 Jahre alt und erzählt aus seinem Grab heraus seine Geschichte: über den Kollektorgang in den Plattenbauten, Freundschaft, Gewalt und seinen Tod.

Das Cover wirkt beklemmend & düster und passt damit genau zur Geschichte.

Die Sprache von David Blum ist bildhaft & gewaltig. Das Buch hat nur 125 Seiten, aber die haben Gewicht.

"Ihr kennt mich nicht. Es ist nicht leicht, sich einen Namen zu machen, wenn man keine 14 Jahre alt geworden ist."

Schon mit den ersten Sätzen hat mich dieses Buch in seinen Bann gezogen. Es ist keine leichte Kost, sondern eine realistische Darstellung vom Leben im Plattenbau, dem schwierigen Verhältnis zu den Eltern und vom Rassismus. Es geht um Angst & Widerstand und auch um das erste Verliebtsein.

Die Geschichte von Mario & seinem kurzen Leben hallt nach und regt zum Nachdenken an. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung - für Jugendliche und Erwachsene.

Bewertung vom 07.03.2023
Lichte Tage
Winman, Sarah

Lichte Tage


ausgezeichnet

Ein Glücksfall
Das Buch "Lichte Tage" von Sarah Winman ist über einen kleinen Umweg zu mir gekommen - zum Glück.

Matt Haig sagt dazu:
"Ein verblüffendes Buch. Es bricht einem das Herz und wärmt es gleichzeitig."
Treffender kann man es nicht beschreiben.

Es ist die Geschichte von Ellis, Michael und Annie, die zu unterschiedlichen Zeiten aus der Sicht von Ellis und Michael erzählt wird. Es geht um Liebe, Freundschaft, Verlust und das Suchen & Finden - und die "Fünfzehn Sonnenblumen" von van Gogh.

Sarah Winnman erzählt von schönen & schmerzhaften Momenten. Sie schreibt kraftvoll & poetisch zugleich und findet Worte, die berühren und nachhallen;
"Ich frage mich, wie es wohl klingt, wenn ein Herz bricht. Ich glaube, es wäre leise, kaum wahrnehmbar und gänzlich unspektakulär - wie eine Schwalbe, die sanft zu Boden fällt." (Seite 194)

Ein wunderbares Buch.

Bewertung vom 07.03.2023
In blaukalter Tiefe
Hauff, Kristina

In blaukalter Tiefe


sehr gut

Spannend & tiefgründig
Nachdem ich von "Unter Wasser Nacht" von Kristina Hauff begeistert war, habe ich mich sehr auf ihr neues Buch "In blaukalter Tiefe" gefreut.

Fünf Menschen auf einem Segeltörn ins Ungewisse: Andreas ist Anwalt und organisiert die Reise für sich und seine Frau Caroline. Kurzfristig lädt er seinen jüngeren Anwaltskollegen Daniel und dessen Freundin Tanja zum Mitsegeln ein. Und dann noch mit dabei: Eric, der Skipper.

Die Kapitel werden abwechselnd aus der Sicht von Caroline, Andreas, Tanja und Daniel erzählt. Das fand ich sehr gut, da man als Leser so unterschiedliche Perspektiven zu den Geschehnissen auf der Yacht erhält.

Kristina Hauff schafft es von Anfang an, die Spannungen zwischen diesen fünf sehr unterschiedlichen Charakteren spürbar zu machen. Mit jedem Tag zeigen sich mehr Konflikte, die unter der Oberfläche brodeln und immer weiter eskalieren. An Bord herrscht eine beklemmende Atmosphäre und das Buch liest sich spannend wie ein Krimi.

Die Charaktere und die Beziehungen zwischen ihnen sind nachvollziehbar beschrieben. Das Menschliche & Zwischenmenschliche zu zeigen, ist die grosse Stärke von Kristina Hauff - und das verleiht auch diesem Roman wieder die Tiefgründigkeit.

Der Schluss kam für mich etwas zu abrupt und ließ ein paar Fragen offen, daher vergebe ich 4,5 Sterne.

Bewertung vom 07.03.2023
Jetzt ist Sense
Rath, Hans

Jetzt ist Sense


ausgezeichnet

Lesespaß - todsicher
Mit "Jetzt ist Sense" ist Hans Rath ein überaus unterhaltsamer Roman zu dem Thema "Tod" gelungen.

Das Cover passt perfekt zu der Geschichte um die Psychologin Olivia, die an ihrem 50. Geburtstag dem Sensenmann begegnet - denn dieser Gott des sanften Todes steckt in einer gewaltigen Sinnkrise. Und Olivia muss sich fragen, ob diese Begegnung tatsächlich nur zufällig ist...

Was dann folgt, ist eine humorvolle und zugleich tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Tod: Wollen wir wissen, wann und wie wir sterben? Sind wir dann bereit dazu oder vielleicht doch noch nicht, weil wir noch so viele Dinge erleben möchten? Und was würden wir mit der verbleibenden Zeit anfangen?

Mir hat dieser Roman ein paar sehr vergnügliche Lesestunden bereitet und mich an einigen Stellen schmunzeln lassen, weil es hier so herrlich menschlich zugeht.

Bewertung vom 06.03.2023
Siegfried
Baum, Antonia

Siegfried


sehr gut

Fesselndes Debüt
Die Ich-Erzählerin fährt eines Morgens nach einem Streit mit ihrem Partner in die Psychiatrie.

Anhand des Klappentextes hatte ich erwartet, dass ein Teil der Geschichte in der Psychiatrie spielt - das ist aber nicht der Fall. Ein Teil beschreibt die gegenwärtige Situation der Ich-Erzählerin und ein Teil der Geschichte blickt zurück auf ihre Kindheit. Immer präsent ist Siegfried, der Stiefvater.

Auch wenn ich etwas anderes erwartet hatte, hat mich dieses Buch nicht enttäuscht - im Gegenteil: Dieses Buch hat mich von der ersten Seite an gepackt.
Ich habe mit der Ich-Erzählerin mitgefühlt & mitgelitten und konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen, bis ich die letzte Seite gelesen hatte.

Antonia Baum schafft es, eine Stimmung zu erzeugen, die mich total gefesselt hat. Ich hatte das Gefühl, neben der Ich-Erzählerin zu stehen und alles mitzuerleben.
Für mich eine sehr menschliche & authentische Geschichte. Nachvollziehbar & emotional.

Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung.

Bewertung vom 06.03.2023
Saubere Zeiten
Wunn, Andreas

Saubere Zeiten


ausgezeichnet

Ein großartiger Debütroman.
Die Familiengeschichte der Aubers hat mich von der ersten Seite an gefesselt und ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen.

Erst nach dem Tod seines Vaters setzt sich für Jakob aus den Erinnerungen des Vaters die Familiengeschichte zusammen.

"... als hätte er eine schmerzliche Erinnerung an sie immer in seinem wundgescheuerten Herzen mit sich herumgetragen. Nicht wie eine normale erste Liebe, die unglücklich endete. Sondern wie eine Narbe, über die man unbewusst immer wieder mit den Fingerkuppen streift, weil man eigentlich nicht aufhören will, sie zu fühlen." (Seite 128)

Andreas Wunn schreibt über das Schweigen zwischen Vater & Sohn (Kriegskind & Kriegsenkel), die Einsamkeit und über Gefühle, die nicht ausgesprochen werden. Er findet dafür Worte, die mich sehr berührt & bewegt haben.

"Und das seine Mutter auf seine Frage, wer die Glocken denn mitgenommen habe und in welchem Kirchturm und in welcher Stadt sie denn jetzt läuten würden, nur geantwortet hatte, dass die Glocken gar nicht mehr läuteten. Sie seien jetzt eine Kanone." (Seite 35)

Besser als mit "Saubere Zeiten" hätte das Lesejahr 2023 nicht starten können.

Bewertung vom 06.03.2023
Sibir
Janesch, Sabrina

Sibir


sehr gut

Sabrina Janesch erzählt in "Sibir" eine Familiengeschichte mit realem Hintergrund:

1945, als Josef 10 ist, werden er & seine Familie nach Kasachstan verschleppt. 1955 kehren sie nach Deutschland zurück. 10 Jahre, in denen Josef das Überleben in der Steppe lernt.

1990 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kommt eine Woge Aussiedler in Mühlheim (Niedersachsen) an - und Josef wird mit seiner Vergangenheit konfrontiert.

"Das Dorf, es sei für alle, die es betraten und bewohnten, die Fremde gewesen, nichts an ihm sei eigentlich oder wesentlich erschienen, niemand habe es mit Liebe oder Wehmut bedacht, jedenfalls nicht damals. Das habe ich Vater öfter sagen hören, meistens voller Liebe und Wehmut." (Seite 84)

Nachdem Josef an Demenz erkrankt, setzt seine Tochter Leila sich mit der Geschichte ihres Vaters und den Erinnerungen an ihre Kindheit auseinander.

Die Kindheiten der beiden werden auf sehr schöne Art & Weise verknüpft - und das in einer ganz eigenen Sprache, die mir sehr gut gefallen hat.

Sabrina Janesch vermittelt Einblicke zur Situation der Verschleppten & der Aussiedler und sie schreibt über die Suche nach Heimat & die Geister der Vergangenhei.

Ein sehr lesenswertes Buch, das bewegt und nachdenklich macht.

Bewertung vom 06.03.2023
Das glückliche Geheimnis
Geiger, Arno

Das glückliche Geheimnis


ausgezeichnet

Ein wundervolles Buch.
Sehr offen schreibt Arno Geiger über sein glückliches Geheimnis: sein Doppelleben als Schriftsteller und als Lumpensammler in den Straßen Wiens ("Die Altpapiertonne ist ein Friedhof der geplatzten Träume." Seite 145)
Autobiografisches einmal ganz anders und sehr lesenswert.
Seine Gedanken zum "Wegwerfen & Finden" sind in Zeiten des Containerns sehr aktuell - und damit ist es auch ein Buch, das mich nachdenklich macht.
Und es gibt viele Sätze/Absätze zum Festhalten:
"Dabei sind Bücher eins vom Großartigsten, was es gibt, in mehr als nur einer Hinsicht. Durch Lesen verkürzen wir unsere Lebenszeit nicht, wir verlängern sie. In wenigen Stunden können wir die Erfahrungen nachvollziehen, die ein anderer Mensch in Jahren oder Jahrzehnten gemacht hat. Wir gewinnen Erfahrung im Zeitraffer. Derlei Wundersames vermögen Bücher." (Seite 228)
Auf "Das glückliche Geheimnis" trifft das auf jeden Fall zu.