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hasirasi2
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Dresden

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Insgesamt 1174 Bewertungen
Bewertung vom 01.09.2020
Zwei Schwestern für ein Halleluja (eBook, ePUB)
Kruse, Tatjana

Zwei Schwestern für ein Halleluja (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Keine Ermittlung ohne Gabi!

„Man kann nicht jeden Mord aufklären, über den man zufällig stolpert.“ (S. 189) beschwert sich Konny bei Kriemhild, als sie im Kloster die dritte Leiche finden. Dabei hatte alles so romantisch angefangen. Konny hatte sich in ihren Pensionsgast Robert verliebt, seines Zeichens Pfarrer in einem Kloster. Aber das ist für Konny ja kein Hinderungsgrund. Während sie bereits ihr Leben als seine „Haushälterin“ plant (herrlich dornenvögelig, Händchenhalten würde ihr zur Not ja reichen), stirbt er an einem Herzinfarkt. Natürlich lässt es sich Konny nicht nehmen, zu seiner Beerdigung zu fahren, begleitet von Kriemhild und Herrn Hirsch. Und genau in dem Moment, als sie eine Schaufel Erde ins Grab wirft, trifft eine SMS ein: „Ich wurde ermordet – führen Sie meinen Mörder seiner gerechten Strafe zu!“ (S. 50) Da hilft nur eine Flasche Klosterschnaps „Nerventrost“ zur Beruhigung! Anschließend ist sie so betrunken, dass sich die K&K Schwestern zum Leidwesen der Nonnen im Gästehaus des Klosters einquartieren und „unauffällig“ ermitteln. Dabei wirbeln sie eine Menge Staub auf und bringen das geruhsame Klosterleben gehörig durcheinander. Vor allem, als auch noch Gabi und Amenhotep im Kloster auftauchen …

„Zwei Schwestern für ein Halleluja“ ist bereits der vierte Teil der K&K Schwestern und obwohl man ihn auch ohne die Vorgängerbände versteht, würde ich allen Neulingen empfehlen, mit dem ersten Band zu beginnen. Euch entgeht sonst etwas!

Die beiden Schwestern ergänzen sie sich auch bei diesen Ermittlungen wieder perfekt, wenn sie sich nicht gerade streiten, bis die Fetzen fliegen. Da sich Konny zeitweise mit dem Klosterschnaps abschießt, muss Kriemhild ihren Part als taffe Ermittlerin übernehmen. Und sie macht ihre Sache nicht mal schlecht, wenn ihre schroffe Art ihr Gegenüber auch mehr als einmal brüskiert.

Tatjana Kruses Bücher sind ein Garant für ein extrem lustiges, trotzdem sehr spannendes und leider auch immer viel zu kurzes Lesevergnügen. Ich liebe ihre skurrilen Protagonisten und sie trifft meinen Humor punktgenau – es sind Krimis mit Lachtränengarantie.
Durch falsche Fährten und diverse Hinweise wird man zum Miträtseln animiert. Denn als wäre die SMS des Toten nicht schon mysteriös genug, taucht immer wieder eine geheimnisvolle Bibel auf, die K&Ks fühlen sich auch nachts und im Klosterkeller beobachtet und dann ist da noch dieses merkwürdige Pärchen – aber halt, ich will hier ja nicht zu viel verraten…

Ein Schenkelklopfer jagt den nächsten, Herr Hirsch und die Schwestern werden (im Kloster!) zum Strippoker eingeladen, Gabi und Amenhotep sorgen mehrfach für Aufregung und Kommissarin Klum glaubt, dass ihr eine Nonne Herrn Hirsch abspenstig machen will!
Alles gipfelt in einem filmreifen Showdown und natürlich der Auflösung, die ich so gar nicht auf dem Schirm hatte.

Und trotzdem bleiben Fragen offen. Wird Gabi auch beim nächsten Mal dabei sein? Lernt Chuck Norris wieder fluchen? Überwindet Herr Hirsch seine Aphasie und findet Konny eine neue Liebe?! Fragen über Fragen, die hoffentlich im nächsten Band beantwortet werden ;-).

5 Sterne und meine uneingeschränkte Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.08.2020
Die Schatten von Freshley Wood / Laetitia Rodd Bd.2
Saunders, Kate

Die Schatten von Freshley Wood / Laetitia Rodd Bd.2


ausgezeichnet

Mord im Kloster

London 1851: Laetitia Rodd hat sich einen Namen als verschwiegene und erfolgreiche Privatdetektivin gemacht. Ihr neuester Fall wird ihr von ihrem Bruder Frederick, einem berühmten Anwalt, vermittelt. Der todkranke Jacob Welland will sich vor seinem Ableben unbedingt mit seinem Bruder Joshua aussöhnen. Dieser ist ein ehemaliger Oxford-Student, lebt inzwischen aber als Aussteiger in den Wäldern von Freshley Wood und möchte von niemandem gefunden werden.

Als verwitwete Pfarrersgattin hat Laetitia überall Bekannte und verbindet die Suche nach Joshua mit dem Besuch bei ihrer Freundin Rachel und deren Mann Arthur. Die Beziehung der beiden scheint glücklich, auch wenn sie kinderlos geblieben sind. Darum ist Laetitia auch so erschrocken, als Arthur kurz darauf ermordet wird und Rachel und Arthurs Hilfsprediger wegen Mordverdachts verhaftet werden. Zusammen mit Inspektor Thomas Blackbeard von Scottland Yard geht sie der Sache auf dem Grund und deckt nicht nur das Geheimnis des Mordes an Arthur auf …

Laetitia ist intelligent, hilfsbereit, einfühlend und eine gute Zuhörerin – und sie weiß ganz genau, wie sie ihr Gegenüber zum Reden bringt. Ihre Verbindungen reichen weit und sie kennt immer wieder jemanden, den sie fragen oder um Hilfe bitten kann. Auch Inspektor Thomas Blackbeard weiß das inzwischen zu schätzen. Die beiden sind ein eingespieltes Team, aber meine Hoffnung, dass aus ihnen auch ein Paar wird scheint sich nicht zu erfüllen.

Wie schon „Das Geheimnis von Wishtide Manor“ versprühen auch „Die Schatten von Freshley Wood“ mit der etwas gestelzten Sprache, den Teegesellschaften und gegenseitigen Besuchsritualen herrlich altmodischen britischen Charme. Geschickt werden dem Leser immer wieder neue Spuren und Hinweise serviert, so dass ich bis zum Ende keine Idee hatte, wer warum dahintersteckt.

Kate Saunders schreibt sehr atmosphärisch und lässt die verschiedenen Gesellschaftsschichten und deren Lebensumstände geschickt in die Handlung einfließen. Das macht den Krimi angenehm kurzweilig, abwechslungs- und lehrreich. Auch die Hintergründe der Oxfordbewegung, der Arthur angehörte, und die verschiedenen Familiengeheimnisse fand ich sehr spannend.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.08.2020
Die Tochter des Zauberers / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.14
Rehn, Heidi

Die Tochter des Zauberers / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.14


sehr gut

Mehr als nur die Tochter von …
Erika und ihr Bruder Klaus reisen im Herbst 1936 nach Amerika, um alles für das politisches Kabarett „Pfeffermühle“ vorzubereiten. Sie sollen Visa, Auftritte und vor allem Geld für die restliche Truppe organisieren, die mit einem anderen Schiff folgen wird. Die „Pfeffermühle“ will Amerika aufrütteln und vor den Nazis warnen. Aber schon beim ersten Dinner mit potentiellen Geldgebern wird Erika klar, dass diese kein Interesse an Hitler und Europa haben und die Amerikaner die Texte der Pfeffermühle auch in Englisch nicht verstehen würden, weil ihnen das Hintergrundwissen fehlt. Die Leute wollen unterhalten werden, nicht belehrt. Außerdem werden sie und Klaus nur auf die Rolle der Kinder von Thomas Mann reduziert. Ein eigener Kopf oder gar eine Karriere wird ihnen nicht zugestanden. Man möchte familiäre Anekdoten über den Literaturnobelpreisträger hören, keine Warnung vor dem nächsten Krieg, an den sowie niemand glaubt. Dabei ist sie so viel mehr als nur die Tochter von …

Eins vorweg, Erika und ich wären wahrscheinlich keine Freunde geworden. Dazu erscheint sie mir zu unsympathisch, manipulativ, vergnügungssüchtig, abgehoben und egoman. Sie ein echtes Luxusweibchen, hatte keine Probleme damit, sich von anderen aushalten zu lassen und im Restaurant das teuerste Gericht auf der Karte zu bestellen, auch wenn sie wusste, dass ihr Gegenüber sich das eigentlich nicht leisten konnte. Aber sie war auch sehr intelligent, leidenschaftlich, zielstrebig, selbstbewusst und durchsetzungsstark. Sie wollte Hitler stoppen, die Welt wachrütteln und hat sogar ihren Vater dazu gebracht, endlich Stellung zu beziehen. Heidi Rehn zeichnet in „Die Tochter des Zauberers“ ein extrem vielschichtiges Bild von ihr und lässt den Leser an allen Facetten ihres Lebens teilhaben. Sie zeigt auch, wie umstritten Erika wegen ihres Lebensstils selbst innerhalb des Ensembles der „Pfeffermühle“ war und wie sie deswegen angefeindet wurde.

Erika scheint ein echter Freigeist gewesen zu sein: verheiratet mit einem Engländer wegen des Passes, lebt sie offen mit der Münchner Künstlerin Therese zusammen. Doch als sie in New York ankommt, lernt sie gleich zwei faszinierende Männer. Den Arzt und Schriftsteller Martin Gumpert und den Bankier Maurice Wertheim. Beide machen ihr Avancen, Maurice wird ihr Förderer, finanziert die „Pfeffermühle“ und legt ihr jeden nur denkbaren Luxus und die Welt zu Füßen. Da kann Martin nicht mithalten, aber bei ihm findet sie Ruhe und Geborgenheit. Wenn es nach Klaus geht, soll sie sich natürlich für Maurice entscheiden, aber das Herz will, was es will – und auch Therese gibt nicht so leicht auf. Ein Liebestaumel beginnt.

Die symbiotische Beziehung des Geschwisterpaares spielt in diesem Buch eine sehr große Rolle. Erika ist nur ein Jahr älter als Klaus und hat eine extrem engere Bindung zum ihm. Sie will ihm zu seinem Durchbruch als Schriftsteller verhelfen. Er lebt und arbeitet wie im Rausch, flüchtet sich immer wieder in Drogenexzesse, unternimmt Selbstmordversuche. Klaus ist menschenscheu und kann nicht offen mit seiner Homosexualität umgeben.
So unterschiedlich Erika und Klaus auch sind, eines haben sie gemeinsam. Sie wollen endlich aus dem Schatten des übermächtigen Vaters treten und als eigenständige Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Allerdings erschien mir ihre Beziehung an einigen Stellen zu ungesund und zu eng – welches Geschwisterpaar küsst sich schon leidenschaftlich auf den Mund?!

Heidi Rehn gibt das Flair vom New York der 40er Jahre sehr anschaulich wieder, die Kunst- und Künstlerszene, in der sich Erika bewegt, den Broadway, die Shows, Kellerclubs und Nachbars, dazu kommen die vielen Berühmtheiten der damaligen Zeit (wie z.B. Vicky Baum, Billy Wilder, Kurt Weil oder die Roosevelts), denen sie begegnet. Auch das Hotel Bedford, die Sammelstelle und neuen Heimat der Emigranten (vor allem Juden), die Europa bereits verlassen hatten, wird sehr lebendig beschrieben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.08.2020
Oktoberfest 1900 - Träume und Wagnis
Grill, Petra

Oktoberfest 1900 - Träume und Wagnis


sehr gut

Träume sind (Bier-)Schäume

Colina ist Schankmädchen in einer München Wirtsstube und träumt von einem besseren Leben. Sie schafft es mit viel Dreistigkeit und Einfallsreichtum, von dem aus Nürnberg neu zugezogenen Bierbrauer Curt Prank als Gouvernante für dessen Tochter Clara engagiert zu werden.
Prank will sein fränkisches Bier unbedingt auf dem Oktoberfest ausschenken – ein schnell erlassenes Gesetz verhindert das aber. Seine letzte Chance ist Claras Hochzeit mit dem Vorstandsvorsitzenden der größten Münchner Brauerei, der allerdings mehr als doppelt so alt ist wie sie. Clara entzieht sich diesem Vorhaben durch die Flucht und Colina landet wieder da, wo sie nie mehr hinwollte – als Schankmädchen auf dem Oktoberfest …

Oberwachtmeister Lorenz Aulehner ist neu bei der Kriminalabteilung der königlichen Schutzmannschaft in München. Er soll der Nachfolger des jetzigen Leiters werden und ist mit seinen Kollegen für Ruhe und Ordnung auf dem Oktoberfest zuständig, denn hinter den Kulissen kämpfen die Bierbrauer und Wirte mit harten Bandagen und unlauteren Mitteln um die Gäste und Vorherrschaft. Als es im Umfeld der Wiesn zu einigen Todesfällen kommt stellt sich die Frage, ob diese etwas mit den Ausschanklizenzen für das Fest zu tun haben.

„Oktoberfest 1900“ von Petra Grill zeichnet ein sehr authentisches Bild der damaligen Zeit und vermittelt dabei viele historische Fakten. Ich wusste z.B. nicht, dass die Ausschanklizenzen damals noch nicht an die großen Brauereien, sondern an kleine Wirte vergeben wurde, die mit dem dort erwirtschafteten Geld das restliche Jahr überbrücken mussten. Um ordentlich daran mitzuverdienen, kauften die großen Brauereien die Wirte nach und nach auf. „In ein paar Jahren gibt’s in München kein Wirtshaus mehr, das nicht einer Brauerei gehört.“ (S. 302)
Auch die Arbeitsbedingungen der Schankmädchen waren unvorstellbar. Sie schufteten täglich bis zu 18 Stunden und bekamen keinen festen Lohn, sondern nur ihr Trinkgeld. Deshalb verdienten sich was dazu, indem sie mit den männlichen Gästen schliefen.

Colina hat mich sehr beeindruckt. Sie ist zielstrebig, taff und weiß genau, was sie will – einen ordentlichen Lohn und nicht mehr von den Trinkgeldern und der Hurerei abhängig sein. Doch als sie glaubt, es endlich geschafft zu haben, wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt.
Clara ist zu Beginn eine verwöhnte und sehr naive Fabrikantentochter. Aber sie will sich nicht länger dem Willen ihres Vaters unterordnen, sondern sich ihren Ehemann selber suchen. Dass sie für ihr Glück alles riskiert und eine sehr starke, fast schon harte Persönlichkeit wird, hat mich sehr überrascht.
Lorenz Aulehner will alles richtig machen und seinen Chef beeindrucken, kann seine menschliche Seite zum Glück aber nicht ganz abschalten. Als Außenstehender hat er einen unvoreingenommenen Blickwinkel auf den Münchner Klüngel und ist noch niemandem verpflichtet.

Die Autorin erzählt die Geschichte abwechselnd aus Colinas und Aulehners Perspektive und lässt auch berühmte Persönlichkeiten wie König Otto von Bayern oder Fanny zu Reventlow auftreten. Sie schreibt sehr detailverliebt und lässt Hintergrundinformationen zur wirtschaftlichen und politischen Situation, den Frauenrechten, Arbeits- und Lebensbedingungen ihrer Protagonisten einfließen. Leider waren mir diese Schilderungen manchmal etwas zu ausführlich und sorgten in der an sich recht spannenden Handlung für ein paar kleine Längen. Davon abgesehen hat mich das Buch aber sehr gut unterhalten.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.08.2020
Schicksalhafte Zeiten / Hebammen-Saga Bd.3
Winterberg, Linda

Schicksalhafte Zeiten / Hebammen-Saga Bd.3


ausgezeichnet

Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen …

„Mir fehlt Edith. … Ich habe oftmals das Gefühl, wird sind nicht vollständig ohne sie.“ (S. 290)
Nur ein Wunder kann Luise, Margot und Christa noch helfen, wenn sie Edith je wiedersehen wollen. Zum Glück ist die Jüdin schon vor dem Krieg mit ihrem Mann in die Schweiz emigriert. Sie halten den Kontakt über Briefe, und in jedem schwingt die Hoffnung mit, dass der Krieg bald vorbei ist und die Nazis mit ihren menschenverachtenden Taten dann nicht mehr an der Macht sein werden – und Edith endlich nach Berlin zurückkehren kann.

Den 3. Teil ihrer Hebammensaga hat Linda Winterberg in einem besonders dunklen Kapitel deutscher Geschichte angesiedelt, dem 2. Weltkrieg. Sehr fesselnd und aufwühlend erzählt sie, wie die drei Freundinnen versuchen, sich auch in dieser Zeit ihre Menschlichkeit bewahren. „Irgendwann hat dieser Spuk ein Ende. Man muss nur irgendwie durchkommen und dabei sein Gewissen bewahren. Wir sind Hebammen, wir holen das Leben auf die Welt, wert oder unwert gibt es bei uns nicht.“ (S. 16) Die Hebammen müssen täglich miterleben, wie mit dem angeblich „unwertem“ Leben umgegangen wird. Da werden Frauen im 5. Monat zur Abtreibung gezwungen und gleichzeitig sterilisiert, weil sie nicht der Norm entsprechen. Den Ostarbeiterinnen nimmt man ihre Kinder meist direkt nach der Geburt weg und auch die zum Tode verurteilten Schwangeren in den Gefängnissen überleben die Geburt ihrer Babys nur für 6 Monate, so lange sie sie stillen.

10 Jahre sind seit dem letzten Buch vergangen. Luise ist keine Oberhebamme mehr, weil sie sich geweigert hat, in die NSDAP einzutreten. Margot konnte die Zwangssterilisationen nicht mehr ertragen und arbeitet erst als niedergelassene Hebamme, behandelt die Zwangsarbeiterinnen in den Lagern, und arbeitet später sogar als Gefängnishebamme. Als sie dort eine Bekannte entdeckt, riskiert sie ihr eigenes Leben, um diese zu retten.
Doch egal wo und unter welchen Bedingungen die Freundinnen den Schwangeren helfen (im Krankenhaus, Luftschutzkeller, Bunker, Lager oder einer Ruine), sie unterliegen immer strengster Kontrolle und müssen alles genau notieren, damit die nationalsozialistische Gesundheitspolitik eingehalten wird. Bei Nichtbeachtung droht Gefängnis und Zwangsarbeit. Die Angst vor einer Entdeckung und Anzeige schwingt immer mit – und die Angst vor den Bomben, die immer öfter fallen.
Ich habe Luise, Margot und Christa für ihrer Stärke und Courage bewundert. Sie haben stets Mitgefühl gezeigt und ihren Patientinnen so gut wie möglich geholfen, egal welcher Gesinnung oder Abstammung diese waren.

Seit dem ersten Band bin ich ein großer Fan der Hebammensaga und beeindruckt, wie anschaulich die Autorin das komplexe Thema Geburtshilfe und die besonderen Erschwernisse während des Krieges umgesetzt hat.
Das Buch zeigt aber nicht nur die Schrecken der Nazizeit und des Krieges, sondern auch die wunderbare Freundschaft und den Zusammenhalt der Frauen. Es ist auch eine Geschichte voller Hoffnung. Luise und Christa sind beide in „unpassende“ Männer verliebt – haben sie trotzdem eine Chance auf ihr Glück?

5 Sterne und meine Leseempfehlung (für die ganze Reihe)!

Bewertung vom 24.08.2020
Jasmunder Geheimnisse
Behn, Anja

Jasmunder Geheimnisse


ausgezeichnet

Trügerische Idylle

Richard Grubens 4. Fall führt ihn auf die Halbinsel Jasmund auf Rügen. Er besucht seine Freundin Jette, die den Altar der Dorfkirche in Hollvitz saniert. Als er die Leiche von Susanne Ortlepp entdeckt, die er auf Jettes Bitte hin am Abend zuvor mit auf die Insel gebracht hat, ist ihm sofort klar, dass deren Tod kein Unfall gewesen sein kann. Dafür sind die Umstände zu ungewöhnlich. Außerdem hatte sie von einer ganz großen Entdeckung geschwärmt, die Hollvitz weltberühmt machen würde – Genaueres wollte sie ihnen am nächsten Tag erzählen.

„Jasmunder Geheimnisse“ ist die langersehnte Fortsetzung der Reihe von Anja Behn um den Kunsthistoriker Richard Gruben.
Bei seinem letzten Fall (Kalter Sand) hat er zusammen mit Jette den Tod von deren Schwester aufgeklärt. Dabei haben sie sich ineinander verliebt und sind später ein Paar geworden. Als sie jetzt für 7 Monate den Auftrag auf Rügen annimmt, ist er enttäuscht. Durch seinen kleinen Sohn ist er an Dortmund gebunden, eine Fernbeziehung wäre zu kompliziert. Außerdem hat er das Gefühl, dass Jette ihm etwas verheimlicht. „Hollvitz sollte eine Art Traumabewältigung für mich werden. Eine Herausforderung, der ich mich jeden Tag neu stellen muss. Viel Arbeit bedeutet keine Zeit zum Nachdenken.“ (S. 77)
Susanne Ortlepp arbeitete bei der Landesdenkmalpflege Schwerin und war für die Sanierung der Hollvitzer Kirche zuständig. Sie entstammte einer Politikerfamilie und wollte selbst bei der nächsten Landtagswahl antreten.

Zusammen mit Jette und dem Polizisten Bert Mulsow geht Richard der Frage nach, was Susanne eigentlich entdeckt hatte und ob der Täter verhindern wollte, dass Touristen und Fachleute das beschauliche Dörfchen überrennen oder ob er einen ganz persönlichen Grund hatte, die zukünftige Politikerin aus dem Weg zu räumen. Bei ihren Nachforschungen stoßen sie auf ein dunkles Kapitel der DDR-Geschichte. Die Besitzer des ehemaligen örtlichen Kalkwerkes und der dazugehörigen Werkssiedlung wurden damals enteignet, das Werk in ein Kinderheim umgewandelt und Bewohner grenznaher Gebiete in die Siedlung zwangsumgesiedelt.
Heute suggeriert Hollvitz wieder eine trügerische Idylle mit der Kirche als Mittelpunkt. Das Dorf liegt im Hinterland der Insel, fernab von Massentourismus uns Bauboom. Und die Bewohner wollen auch, dass das so bleibt …

Anja Behn schreibt sehr fesselnd über (alte) Schuld, Ängste, Geheimnisse und menschliche Abgründe. Die Handlung ist sehr dicht und kommt mit nur wenigen Protagonisten aus – neben Richard und Jette sind das vor allem der Pastor des Dorfes, der seine Kirche unbedingt erhalten will, die alte Ruth, deren verstorbener Mann die Ortschronik führte und an die sich Susanne wegen ihrer Entdeckung gewandt hatte, und den Nachfahren der Besitzer des Kreidewerkes, die ihren Besitz nach der Wendet rückübereignet bekamen. Dadurch erinnert der Krimi schon fast an ein Kammerspiel. Das wird durch die Konzentration auf wenige Handlungsorte, vor allem die Kirche, die Werkssiedlung und Jettes Häuschen noch verstärkt.

5 Sterne für diese starke Fortsetzung. Ich hoffe, dass Richard noch in weitere Fälle stolpern wird.

Bewertung vom 23.08.2020
This Is (Not) a Love Song
Pishiris, Christina

This Is (Not) a Love Song


sehr gut

Die erste Liebe ist grausam

„Bei Liebeskummer gibt es keine Abkürzung. Durch die Gefühle muss man durch.“ (S. 326)
Seit ihrer Jugend ist Zoë in ihren amerikanischen Freund Simon verliebt, der davon aber nichts weiß. Sie haben sich seit fast 20 Jahren nicht mehr gesehen, nur über Telefon, Social Media und witzige Postkarten ihres erdachten Pop-Idols Zac Scaramouche Kontakt gehalten. Als plötzlich eine Postkarte mit den Worten „… ich komme nach London, Baby.“ (S. 22) endet, schlägt Zoës Herz Purzelbäume. Sie ist Single, Simon geschieden – sollte jetzt endlich ihre Liebesgeschichte beginnen?
Doch gleichzeitig platzt auch PR-Manager Nick in ihr Leben. Ihr Herz rast definitiv jedes Mal, wenn sie ihn sieht – vor Wut, weil er ihr beruflich Probleme bereitet, oder weil sie sich zu ihm hingezogen fühlt?!

Zoë ist Journalistin der berühmten in Londoner Musikzeitschrift Re:Sound, ein echter Workaholic, die für die Musik und ihren Job brennt und sich darüber definiert. „Ich bin die erste Frau auf dem Chefredakteursposten, und ich will die Zeitschrift wieder zu dem machen, was sie mal war.“ (S. 63) Leider sinken die Verkaufszahlen immer mehr und die Herausgeber drohen damit, das Blatt einzustampfen. Zoë sieht ihre Chance in einem Interview mit ihrem Idol, der berühmten Sängerin Marcie Tyler. Die hat sich vor vielen Jahren aus dem Musikbusiness zurückgezogen, doch es geht das Gerücht um, dass sie ihr Comeback plant. An Marcie kommt sie allerdings nur über deren Manager Nick, der im Gegenzug fordert, dass Re:Sound eine Boyband hypt, die nicht zum Anspruch des Magazins passt.

„This ist (not) a Love Song” von Christina Pishiris kam als Überraschungsbuch vom Aufbau-Verlag und wäre mir aufgrund des ungewöhnlichen Titels und Covers sicher auch im Buchladen aufgefallen.
Es ist zwar eine typische, zum Teil überraschende Dreiecksgeschichte, aber ich fand es spannend mit Zoë zu rätseln, ob Nick nun Freund oder Feind ist und für wen ihr Herz wirklich schlägt. „Ich kennen niemanden, mit dem ich mich so fühle wie mit Simon.“ (S. 176)
Die Musik spielt eine zentrale Rolle. Jedem Kapitel ist ein (not) Lovesong vorangestellt und auf Spotify gibt es die Playlist zum Buch – so konnte ich beim Lesen in den alten Songs schwelgen und mich an meine Jugend erinnern *seufz*.
Christina Pishiris schreibt sehr humorvoll und nimmt dabei auch ihre eigene griechische Abstammung auf die Schippe. Besonders witzig fand ich die Idee mit Zoës und Simons erdachtem Pop-Idol Zac Scaramouche und den Postkarten, die sich beide in seinem Namen schicken. “Wir tanzten weiter den Fandango und benutzen einen imaginären Rockstar, um um unsere Gefühle füreinander herumzulavieren, ohne die richtigen Schritte zu wagen.“ (S. 8)
Meine Kritikpunkte sind das Hin und Her im letzten Drittel des Buches und die Teenager-Verhaltensweisen der immerhin Mitte 30jährigen Protagonisten.
3,5 Sterne.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.08.2020
Peggy Guggenheim und der Traum vom Glück
Villard, Sophie

Peggy Guggenheim und der Traum vom Glück


gut

Guggenheim Jeune

„Sie war eine erwachsene Frau und konzentrierte sich ab sofort auf ihre Arbeit statt auf Männer.“ (S. 11) sagt sich Peggy Guggenheim, als sie 1937 auf einer Party Samuel Beckett kennenlernt und sich sofort in ihn verguckt. Eigentlich ist sie schon auf dem Weg nach London, wo sie eine Galerie für die modernen, bereits angesagten und noch kommenden Künstler ihrer Zeit eröffnet. Ob sie das bewusst oder unbewusst als Konkurrenz zu der ihres Onkels Solomon Guggenheim in New York tut, bleibt offen. Trotzdem kann sie nicht von Beckett lassen und beginnt eine On-Off-Beziehung mit ihm, reist ständig zwischen London und Paris hin und her, bis der erste Weltkrieg ausbricht …

Sophie Villard biografischer Roman dreht sich um Peggy Guggenheims Leben und Schaffen in den Jahren 1937 – 1942. Da ist sie bereits von ihrem ersten Mann, dem Dadaisten Laurence Vail, geschieden und macht sich einen Namen als Kunstmäzenin. Besonders beeindruckt hat mir ihr verrücktes „ein Bild pro Tag“ Motto, mit dem sie während des 2.WKs für Furore aber auch Unverständnis sorgte, denn sie hätte das Geld ja auch direkt in die Flüchtlingshilfe investieren können (was sie dann auch tat). „Meine Leistung besteht eben darin, die Kunst unserer Zeit zu retten.“ (S. 231)

Das Buch lässt mich sehr zwiegespalten zurück. Einerseits macht Sophie Villard deutlich, dass es viele avantgardistische Kunstwerke nicht mehr gäbe, wenn Peggy sie nicht gekauft und den Künstlern damit oft das Ticket nach Amerika und somit die Flucht vor den Nazis finanziert hätte. Peggy scheint eine sehr freigiebige Persönlichkeit gewesen zu sein, die oft intuitiv handelte, geradezu visionär bei der Auswahl der Künstler und ihrer Werke. Zudem wird sie deswegen von Männern und Frauen gleichermaßen für verrückt erklärt – die schrullige reiche Erbin, die nicht weiß, wohin mit ihrem Geld. Selbst dem Leiter des Louvre, den sie um Hilfe beim Verstecken der Sammlung im Krieg bittet, ist diese zu modern und nicht schützenswert.
Andererseits beschreibt die Autorin sie auch als sehr promiskuitiv und naiv. Trotz ihrem Vorsatz, sich nicht mehr mit Männern einzulassen, lässt sie jeden in ihr Bett, der ihr auch nur ansatzweise gefällt – egal, ob sie gerade verliebt und in einer Beziehung ist oder nicht. Außerdem verschließt sie ihre Augen vor der Kriegsgefahr, kauft weiter Kunst, während sich alle anderen schon in Sicherheit bringen. Dabei hat sie keinen Plan, wo sie die Werke unterbringt und später versteckt. Sie handelt wie ein kleines Mädchen, das nur das Schöne sehen will und alles andere verdrängt, nicht an die Konsequenzen denkt. „Einen optimistischeren Menschen als sie habe ich noch nie getroffen. Oder sollte ich sagen, einen naiveren?“ (S. 225)

Leider konnte mich auch der Schreibstil der Autorin nicht fesseln. Ich fand ihn sehr emotionslos. Die Handlung wird nicht wirklich flüssig erzählt, sondern wirkt oft nur wie eine Aneinanderreihung von Namen und Begegnungen oder ein Who's Who.
Zudem fand ich es sehr unrealistisch, dass ausgerechnet sie, die jeden kennt, eine Affäre mit Yves Tanguy beginnt und nicht weiß, dass er verheiratet ist.

Schade, ich hatte mir von dem Buch mehr erhofft. Leider nur 3 Sterne.

Bewertung vom 17.08.2020
Die Bilder der Frauen
Lester, Natasha

Die Bilder der Frauen


sehr gut

Das Modell und die Fotografin

1942: Jessica May ist Fotomodell in New York, ziert die Titelseiten der Vogue, schreibt aber auch selbst Artikel und macht Fotos. Als ihr Freund ein Foto von ihr für die Werbung von Damenhygiene verkauft, enden ihre Karriere und ihre Beziehung abrupt. Jessica sieht das als Chance, sich endlich einen Namen als Kriegsfotojournalistin zu machen und überredet ihre Chefin, sie für die Vogue nach Europa zu schicken. Ihre Voraussetzungen für den Job, sind gut, da ihre Eltern Paläobotaniker und mit ihr auf der ganzen Welt unterwegs waren. Sie braucht keinen Luxus zum Leben, spricht fließend Französisch, Italienisch, etwas Deutsch. Zusammen mit anderen Journalistinnen wird sie der Armee unterstellt und bekommt den Rang eines Captains, darf aber immer nur dann arbeiten, wenn sie auch einen Marschbefehl bekommt. Also besteht ihre Zeit in Europa lange nur aus Warten …

Natasha Lester erzählt in ihrem neuen Buch „Die Bilder der Frauen“ von zu Unrecht vergessenen Heldinnen des 2. Weltkrieges – weiblichen Journalistinnen. Von Frauen wie Lee Miller (Jessicas historischem Vorbild) und Martha Gellhorn, der Ehefrau von Ernest Hemingway, die genau wie ihre männlichen Kollegen oft an vorderster Front und mitten im Kriegsgeschehen waren, aber trotzdem nicht ernst genommen, (sexuell) belästigt und bei der Arbeit behindert wurden. Sie lässt den Leser an deren Kampf um Anerkennung und Gleichberechtigung teilhaben. Ich fand es erschreckend, dass selbst Ernest Hemingway seiner Frau den Beruf bzw. den Erfolg nicht gegönnt hat. „Bist du Kriegskorrespondentin oder die Frau in meinem Bett?“ (S. 95)

Der Krieg wird sehr direkt, bewegend, aufwühlend und intensiv aus weiblicher Sicht beschrieben. Jessica und Martha sollen eigentlich nur die weiblichen Army-Mitglieder wie z.B. Krankenschwestern interviewen und fotografieren, finden ihre Inspirationen aber überall, haben die Kamera stets griffbereit und berichten neben dem aktuellen Geschehen auch von den kleinen Freuden oder Glückbringern der Soldaten, von geretteten Kindern, die in Lazaretten aufgezogen werden. Und obwohl sie ihren Job wirklich gut machen, berühmte Bilder schießen und Millionen Menschen erreichen, werden sie nicht immer wieder respektlos behandelt und auf ihr Geschlecht reduziert. „Ich dachte, sie sehen mich inzwischen als eine der Ihren. Aber inzwischen glaube ich, dass wird nie passieren. Ich bin in erster Linie eine Frau, und alles andere ist bestenfalls zweitrangig.“ (S. 224)
Natasha Lester lässt das Grauen des Krieges lebendig werden, schreibt über die Befreiung der KZ’s und wie die Soldaten nicht glauben konnten, was sie da sehen. Sie lässt Jessica aber auch über die Vergewaltigungen der Französinnen durch die amerikanischen Soldaten recherchieren und wie diese versucht, dem entgegenzuwirken.
Auch die zarte Liebesgeschichte zwischen Jessica und Major Dan Hallworth hat sich harmonisch in die Handlung eingefügt und mir gut gefallen.

Daneben gibt es noch einen zweiten Handlungsstrang, der 2004 in Frankreich spielt. Arthandlerin D‘Arcy soll für ihre Galerie die Fotos des berühmten „Photographer“ nach Sydney holen. Niemand weiß, wer sich hinter dem Pseudonym versteckt, aber D‘Arcy kommt dem Geheimnis bald auf die Spur und damit auch der Vergangenheit ihrer eigenen Familie. Dieser Teil der Geschichte war ebenfalls sehr spannend und überraschend, allerdings war mir die darin enthaltene Liebesgeschichte etwas zu flach und für die Handlung nicht wirklich notwendig.

Bewertung vom 14.08.2020
Zwei fremde Leben
Goldammer, Frank

Zwei fremde Leben


ausgezeichnet

1973 will Ricarda in der Dresdner Frauenklinik ihr Kind entbinden. Da es bei der Geburt Probleme gibt, spritzt ihr der Arzt etwas und sie dämmert weg. Als sie wieder aufwacht wird ihr gesagt, dass das Kind eine Totgeburt war. Das Brisante dabei ist, dass der Arzt ihr Vater und schon die ganze Zeit gegen das Kind gewesen ist. Ricarda bekommt den Leichnam ihres Babys nicht zu sehen und kann darum nicht an dessen Tod glauben. Sie ist überzeugt, dass ihr Vater ihr das Baby weggenommen hat und will das beweisen.

Zufällig erfährt der junge Kriminalpolizist Thomas Rust davon, dessen Frau wegen Schwangerschaftsproblemen auf der gleichen Station liegt. Ihm ist in der bewussten Nacht ein Auto mit Berliner Kennzeichen aufgefallen, das am Hinterausgang der Klinik wartete. Rust ist sehr ambitioniert und hat das Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmt. In Absprache mit seinem Vorgesetzten und dem seines Stasi-Führungsoffiziers beginnt er nachzuforschen und bringt damit sich, seine Frau und sein ungeborenes Kind in Lebensgefahr.

1989 versucht die 16jährige Claudia Behling mit einer Gruppe Gleichaltriger aus einer Laune und erster Verliebtheit heraus über die tschechische Grenze und Ungarn nach Österreich zu kommen. Sie wird erwischt und zu ihren Eltern zurückgebracht, danach erfährt sie, dass sie adoptiert wurde. Als im Herbst die Grenze öffnet, packt sie ihre Sachen und verschwindet.

Frank Goldammer zeigt das schwierige Leben der Menschen in der DDR, das oft einem Balanceakt oder Versteckspiel gleicht, und wie es ihnen nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung ergeht. Sie werden abgewickelt, genau wie ihre ehemaligen Betriebe, und fühlen sich oft als Menschen 2. Klasse.
Man spürt den Schmerz, die Aussichtlosigkeit und Hoffnungslosigkeit seiner Figuren sehr direkt. Ich habe mit Ricarda, Claudia und Rust mit gefiebert und gelitten.
Vor allem die beiden Frauen taten mir unglaublich leid.

Obwohl Ricardas Eltern und ihr Mann ihr immer wieder versichern, dass es kein Kind gibt, verbringt sie die nächsten 20 Jahre mit der Suche nach ihm, zerstört damit ihre Ehe und verliert fast alle Freunde. Sie findet auch immer wieder Indizien, aber nie Beweise, nie das Kind, also glaubt ihr auch niemand. Im Gegenteil, man hält sie für verrückt und macht ihr das Leben schwer. Sie ist zu unbequem für den Staat und ihren Vorzeigevater, den berühmten Frauenarzt mit Veröffentlichungen und Reisen in den Westen.

Claudia geht es ähnlich. Sie hält den Leistungsdruck und die Enge zu Hause nicht mehr aus. Ihr Vater ist ein hoher Partei- und Stasifunktionär, die Anforderungen an sie sind extrem hoch. Vor allem ihre Mutter macht es ihr nie leicht. Um sie endgültig zu strafen, vernichteten ihre Eltern alle Adoptionsunterlagen, nachdem sie es ihr gesagt haben. Auch Claudia sucht jahrzehntelang erfolglos nach ihrer leiblichen Mutter und muss immer wieder Rückschläge einstecken.
Thomas Rust ist eine sehr ambivalente Persönlichkeit, extrem wandelbar. Man ist sich nie sicher, auf welcher Seite er eigentlich steht und was er bezweckt. Zu Beginn ist er 100%ig von der DDR überzeugt, aber je tiefer er sich in den Nachforschungen verstrickt, desto mehr zweifelt er am System und an allem woran er bisher geglaubt hat. Trotzdem lässt er sich nie richtig in die Karten gucken – eine wirklich spannende Persönlichkeit.

Seit dem „Angstmann“ bin ich ein großer Fan von Frank Goldammer und auch bei „Zwei Fremde Leben“ hatte er mich von der ersten Seite an gepackt. Er beschäftigt sich mit dem Thema Kindesentzug und Zwangsadoption in der DDR, gesteuert von der Stasi und der Regierung. Geschickt wechselt er zwischen den Zeitsträngen und Personen, heizt die Neugier des Lesers immer mehr an, fesselt ihn ans Buch. Ich hatte lange keine so große Sogwirkung mehr bei einem Roman und habe ihn an nur einem Tag am Stück gelesen – er war spannender als mancher Krimi!
Auch das Setting des Buches übt einen ganz besonderen Reiz auf mich aus, da ich als gebürtige Dresdnerin die

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