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Raumzeitreisender
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Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 767 Bewertungen
Bewertung vom 20.07.2016
Chargaff, Erwin

Abscheu vor der Weltgeschichte


ausgezeichnet

Ein Wissenschaftskritiker rechnet ab

Erwin Chargaff, Biochemiker von Weltrang, starb 2002 im Alter von 96 Jahren. Er gilt als einer der Pioniere auf dem Gebiet der Erforschung der Struktur der DNS und wurde in späteren Jahren zu einem der kompetentesten Kritiker der naturwissenschaftlichen Forschung. Bezeichnend für ihn war, neben seinem enormen Fachwissen, sein hohes Maß an klassischer Bildung.

Was ist Wahrheit? Der eine sucht die Wahrheit mit dem Kopf und der andere mit dem Herzen. Nach Erwin Chargaffs Interpretation strebt die Naturwissenschaft zwar nach Wahrheit, kann aber nur Wahrscheinlichkeitsaussagen machen. Was Leben ist, kann die Naturwissenschaft nicht erklären. Dass sie für viele zu einer Art Religionsersatz geworden ist, schränkt sie eher ein. Wie sieht es dagegen mit der Wahrheit in der Literatur und der Kunst aus? Große Werke der Literatur und der Kunst zeichnen sich durch Schönheit aus, nicht durch Wahrheit. Chargaff zitiert Nietzsche, um seine Ansicht zu untermauern: „Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wahrheit zugrunde gehen.“

Chargaff untersucht die Verhältnisse in seiner Wahlheimat Amerika und entdeckt an vielen Stellen chronischen Hass. Ein T-Shirt mit der Aufschrift „Kill a Commie for Mommy“, das manche Kinder tragen, ist für ihn Einstieg in das Thema. Harmlose Graffiti? Der Hass ist nicht immer eindeutig erkennbar, aber er ist vorhanden. Chargaff dehnt seine Überlegungen auf Europa aus und findet auch hier zahlreiche negative Beispiele. Die Ursachen sieht er im Patriotismus, der sich schnell zum Nationalismus entwickeln kann.

Die Völker haben ihre Traditionen verloren. Es gibt nach Chargaff zu viele Spezialisten und zu wenige Generalisten. Ist damit das Bildungsniveau gestiegen? Bildung, so wie Chargaff sie versteht, setzt Wissen quer durch die Literatur und die Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften voraus. Hieran mangelt es in unserer modernen Zeit. Traditionsbewusstsein, entstanden aus dem Vermächtnis unzähliger Menschen, gibt es heute nicht mehr.

Historiker schreiben Bücher, die zum Erbe ihrer Sprache und der Kultur ihres Landes gehören. Was ist, wenn diese Vergangenheit voller Schande ist? Der Abscheu vor der Weltgeschichte wird am Holocaust besonders deutlich. Was ist, wenn dunkle Phasen der Geschichte verdrängt werden? Das Gedächtnis des Volkes hat nur einen beschränkten Lagerraum für nationale Schande. Folglich werden Verdrängungsmechanismen in Gang gesetzt. Geschichte wird gefälscht, nach dem Motto: Glücklich ist, wer vergisst.

Chargaff setzt sich kritisch mit den Naturwissenschaften auseinander. Die Geschwindigkeit, mit der technische Neuerungen in die Wirtschaft einfließen und auch das Gemütsleben Einzelner beeinflussen, ist ein besonderes Merkmal dieser Zeit. Warum sind die Früchte vom Baum des Wissens tödliche Früchte? Hiroshima, Tschernobyl, Bhopal und Seveso sind Beispiele dafür, dass die Menschheit in ihrem Wissensdurst schon viel zu weit gegangen ist. Chargaff zitiert Kierkegaard: „Alles Verderben wird zuletzt von den Wissenschaften ausgehen“. Dass die Erde den Menschen nur geliehen wurde, scheint in Vergessenheit geraten zu sein.

Erwin Chargaff thematisiert Grenzüberschreitungen der Menschheit und führt einen Kampf gegen das Vergessen. Seine Analysen sind messerscharf und seine Gesamtschau rüttelt an Grundfesten. Sein extremer Pessimismus lässt keinen Spielraum für eine positive Zukunft. Trotzdem – oder gerade deshalb – sollte man sich mit Chargaff auseinandersetzen. Seine Thesen sind hoch aktuell.

Bewertung vom 20.07.2016
Brown, Dan

Diabolus


gut

Ein diabolischer Plan und ein Wettlauf gegen die Zeit

Die Kryptographische Abteilung des amerikanischen Geheimdienstes NSA setzt für Dechiffrierarbeiten einen Hochleistungscomputer namens TRANSLTR ein, mit dem weltweit jeder Code innerhalb weniger Minuten entschlüsselt werden kann. Der Rechner ist im Dauereinsatz damit beschäftigt, codierte Texte von Terroristen, Drogenkurieren und sonstigen Kriminellen zu entschlüsseln. Ziel ist es, die Sicherheit der USA um jeden Preis zu wahren.

Eines Tages taucht ein mysteriöses Programm auf, welches den Super-Computer überfordert. Der TRANSLTR ist seit 16 Stunden mit dem Programm Diabolus beschäftigt, ohne es knacken zu können. Der Entwickler des Programms droht, Diabolus der Öffentlichkeit zugänglich zumachen. Durch eine Veröffentlichung würde Diabolus zum Verschlüsselungs-Standard werden, mit der Folge, dass der NSA und ihrem Hochleistungsrechner die Basis entzogen wäre.

Autor Dan Brown versteht es, die Spannung ins Unendliche zu steigern. Kurze Kapitel mit jeweils wechselnden Handlungsorten tragen dazu bei. Aber die Geschehnisse wirken teilweise unglaubwürdig. Warum gelingt es einem Profikiller nicht, sein unerfahrenes Opfer zu töten?

Wo liegt der Unterschied zu Büchern wie Illuminati oder Sakrileg? Während es Dan Brown in Illuminati gelungen ist, die Themen Wissenschaft und Religion zu verschneiden und die Leser nebenbei fundierte Informationen über Aufbau und Geschichte des Vatikans erhalten, setzt er sich in Sakrileg mit spekulativen kirchengeschichtlichen Hypothesen und Geheimbünden auseinander, die Fragen über den Wahrheitsgehalt der offiziellen Geschichtsschreibung aufwerfen. Beide Bücher sind hinsichtlich der Handlungen abenteuerlich, aber wirken sauber recherchiert. In Diabolus greift Brown mit den realen Geheimdiensten und ihren technischen Hilfsmitteln ein ebenso fesselndes Thema auf. Nur diesmal wirkt die Aufbereitung unausgereift. Nach 524 Seiten ist der Leser eher verwirrt und weiß nur wenig über die (realen) Möglichkeiten der Computertechnik und der Kryptographie.

Unabhängig von der Plausibilität der vermittelten Informationen wirft Dan Brown in Diabolus eine wichtige gesellschaftspolitische Frage auf: Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure? Es wird deutlich, welche Macht die Geheimdienste haben. Ist das Sicherheitsinteresse eines Landes so groß, dass eine Überwachung nach Big Brother- Manier gerechtfertigt ist? Dieses wichtige Thema, welches in den 1980er Jahren (auch wegen des besonderen Jahres „1984“) hoch aktuell war, wird durch dieses Buch erneut ins Gespräch gebracht.

Legt man als Maßstab an, dass ein Thriller spannend, unterhaltsam und informativ sein soll, so kommt insbesondere die letzte Kategorie in diesem Buch zu kurz. Es handelt sich – im Vergleich zu Illuminati und Sakrileg - um kein hochklassiges Buch, trotzdem legt man es, einmal angelesen, nur ungern zur Seite.

Bewertung vom 19.07.2016
Gaarder, Jostein

Das Kartengeheimnis


ausgezeichnet

Eine Reise in die Welt der Philosophie

Das Buch besteht aus mehreren kunstvoll verschachtelten Geschichten. Die Rahmenhandlung: Ein Vater fährt mit seinem zwölfjährigen Sohn Hans-Thomas von Norwegen nach Griechenland, um seine Frau zu suchen. Sie hat ihn vor acht Jahren verlassen, um nach Athen zu reisen und dort ein neues Leben zu beginnen. Wer Jostein Gaarder kennt, ahnt bereits, dass „Das Kartengeheimnis“ mit Philosophie zu tun hat. Die Reise führt nicht nur geographisch, sondern auch thematisch, ins Zentrum der Philosophie.

Auf ihrer Reise haben sie Aufenthalt in einem kleinen Schweizer Bergdorf. Dort begegnet Hans-Thomas dem ortsansässigen Bäcker. Er erhält von ihm ein mysteriöses Buch, welches eine Art Sippengeschichte beinhaltet. Es handelt sich um Aufzeichnungen des Bäckers, die für Hans-Thomas bestimmt sind. Das Buch beschreibt eine Geschichte, die vor zweihundert Jahren mit einem Schiffbruch begann und einen jungen Seemann auf eine magische Insel führte. Spätestens an dieser Stelle gleitet die Geschichte über ins Fantastische, denn die seltsamen Bewohner der Insel sind das Produkt der Fantasie des einsamen Seemanns. Was ist das Besondere an dieser rätselhaften Insel? In der virtuellen Inselwelt werden die gleichen existenziellen Fragen erörtert, wie auf der realen Fahrt nach Griechenland.

Im weiteren Verlauf werden die Handlungsfäden auf wundersame Weise miteinander verwoben. Die Grenzen zwischen imaginärer und realer Welt verschwimmen. Philosophische Fragen werden aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und der Joker, eine geheimnisvolle Gestalt aus dem Buch des Bäckers, spielt dabei eine besondere Rolle. Er durchbricht die natürliche Ordnung von Raum und Zeit und überschreitet unterschiedliche Welten. Er ist Sinnbild für den Drang der Menschheit nach Erkenntnis.

Das Buch wirkt ausgereift und wohl durchdacht. Jostein Gaarder ist ein erfahrener Schreiber, der genau weiß, wie er die Fantasie der Leser anregen und gleichzeitig Wissen vermitteln kann. Ähnlich wie „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupery oder „Die Möwe Jonathan“ von Richard Bach ist „Das Kartengeheimnis“ aufgrund seiner Aussagen ein zeitloses Werk und für jede Altersgruppe geeignet.

Bewertung vom 19.07.2016
Khadra, Yasmina

Die Schwalben von Kabul


sehr gut

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Yasmina Khadra beleuchtet in seinem Roman das Schicksal zweier Paare im Kabul der Taliban. Mohsen Ramat und seine Frau Zunaira gehören zur gebildeten Gesellschaftsschicht. Ihre Beziehung funktioniert, da sie sich trotz der Widrigkeiten des Alltags gegenseitig respektieren. Sie haben sich einen Rest an Kultiviertheit bewahrt und hoffen auf diese Weise die notwendige Kraft zu schöpfen, die Zeit der Unterdrückung zu überwinden.

Gefängniswärter Atiq Shaukat und seine Frau Mussarat sind, so wie viele Menschen ihrer Gesellschaft, orientierungslos und zermürbt. Sie gehören zu den einfachen Leuten, denen es nur noch darum geht, ihren Alltag zu überstehen. Träume sind ihnen fremd. Atiq ist verzweifelt und ratlos, da seine Frau schwer krank ist. Was bedeutet das in einem Land, in dem Frauen unterdrückt werden? Das Frauenbild in Afghanistan wird an vielen Stellen des Romans deutlich.

Die Wege der Protagonisten sind schicksalhaft miteinander verknüpft. Kann es in dieser eisigen Atmosphäre Mitgefühl und Liebe geben? Das selbstlose Verhalten von Mussarat in einer schwierigen Situation lässt Hoffnung aufkommen, Hoffnung für ein unterdrücktes Volk, die schwere Zeit zu überwinden.

„Die Schwalben von Kabul“ ist ein eindringlicher Roman. Die Leser werden von der Atmosphäre gefangen genommen. Die Beschreibungen wirken authentisch, sie überzeugen. Die Unterdrückung der Menschen in dem totalitären Afghanistan ist auf jeder Seite des Romans deutlich spürbar. Synonym für die Einschüchterungen ist die Peitsche, deren Gebrauch in Kabul zum Alltag gehört.

Yasmina Khadra ist das Pseudonym des 1955 geborenen algerischen Autors Mohammed Moulessehoul. Als hoher Offizier der algerischen Armee konnte er dieses Pseudonym erst lüften, als er im Jahr 2001 ins Exil nach Frankreich ging.

Bewertung vom 19.07.2016
Büchner, Christine

Hildegard von Bingen


sehr gut

Porträt einer außergewöhnlichen Frau

Hildegard von Bingen gilt als bedeutende Frau des Mittelalters. Sie wird mit Begriffen wie „Natur und Gesundheit“ oder „Einklang von Körper und Seele“ in Verbindung gebracht. Zu Lebzeiten wurde sie als Ratgeberin respektiert; bis heute gilt sie als Identifikationsfigur. Wie hat sie es geschafft, in der kulturell und religiös recht schwierigen Zeit des Mittelalters, gesellschaftlich aufzusteigen?

Christine Büchner beschreibt ihre Kindheit, ihr gesellschaftliches Umfeld und die Reformzeit des zwölften Jahrhunderts. Hildegards Eltern, adelig und wohlhabend, bestimmen für sie ein Leben in einem Kloster. Sie ist ein besonderer Mensch mit spiritueller Begabung und so ist genau dies ihr Weg. Hildegard wird Nonne und gründet später gegen große Widerstände das Kloster Rupertsberg. Sie schreibt Bücher, komponiert Lieder und beschäftigt sich mit Naturheilverfahren. Sie ist freundlich aber bestimmt und verfolgt beharrlich ihre Ziele. Ihre Visionen geben ihr eine Richtung und prägen ihren Glauben. Der eigene Wille sei in den Dienst des kosmischen Gleichgewichts zu stellen. Alles habe seinen Platz und dies müsse respektiert werden, sonst könne die Natur sich auch gegen den Menschen wenden. Zu ihren Schwächen zählen insbesondere ihre Bemühungen, die weitere Karriere ihrer Freundin Richardis von Stade zu verhindern, weil sie diese nicht an ein anderes Kloster abgeben will.

Die Frage, warum Hildegard von Bingen so berühmt wurde, kann Autorin Büchner nicht wirklich beantworten. Sie war nicht der einzige Mensch mit Visionen und auch der fachkundige Umgang mit Kräutern dürfte im Mittelalter verbreitet gewesen sein. Vielleicht war es ihre Anerkennung durch den Papst und ihre Korrespondenz mit wichtigen Würdenträgern ihrer Zeit, die ihre Karriere beflügelt haben. Das Buch zeigt Facetten ihres Lebensweges auf. Es hätte ergänzt werden können um eine Zeittafel über wichtige Stationen ihres Lebens. Ansonsten halte ich es für informativ und lesenswert.

Bewertung vom 19.07.2016
Mankell, Henning

Der Feind im Schatten / Kurt Wallander Bd.10


sehr gut

Der letzte Wallander – Das Ende einer Ära

Was ist mit Kurt Wallander los? Alt, vergesslich, melancholisch – ein Schatten seiner selbst. Kein Held. Aber ein Held, wie er in Kitschromanen vorkommt, war er nie. Darum lieben ihn die Leser. Er ist immer Mensch geblieben, mit all seinen Schwächen. Seine Stärke ist seine untrügliche Intuition.

Henning Mankell erzählt eine undurchsichtige Agentengeschichte, in die Protagonist Wallander in doppelter Funktion, sowohl privat als auch beruflich, involviert ist. Håkan von Enke, ehemaliger U-Boot-Kommandant und Schwiegervater seiner Tochter Linda, verschwindet spurlos. Es geht um Landesverrat – eine alte Geschichte aus Zeiten des Kalten Krieges. Aber das ist nur eine Facette dieses spannenden Krimis.

„Der Feind im Schatten“ erfüllt eine Doppelfunktion. Es ist einerseits eine Agentengeschichte und andererseits das Lebensresümee von Kurt Wallander. Es ist nicht das beste Buch von Mankell, aber auch nicht das schlechteste. Unzweifelhaft handelt es sich um den persönlichsten Wallander, gespickt mit zahlreichen Erinnerungsfetzen und Begegnungen mit Menschen aus seiner Vergangenheit. Der Titel „Der Feind im Schatten“ ist Metapher sowohl für die vordergründige Agentengeschichte als auch für Protagonist Wallanders weitere Entwicklung.

Für Wallander-Fans ist dieser Roman Pflichtlektüre, anderen Lesern würde ich zunächst frühere Werke von Henning Mankell empfehlen, z.B. „Die weiße Löwin“ oder „Hunde von Riga“. „Der Feind im Schatten“ vermittelt – anders als frühere Werke – eine melancholische Stimmung. Aber das ist kein Problem. Henning Mankell hat sich das Recht herausgenommen in seinem letzten Wallander-Roman (auch) dessen Geschichte zu erzählen, und das ist nach neun hoch spannenden Krimis okay so.

Bewertung vom 19.07.2016
Genazino, Wilhelm

Das Glück in glücksfernen Zeiten


sehr gut

Glück ist relativ oder Das Scheitern eines Glückssuchers

Wilhelm Genazino beschreibt in seinen Werken Lebenskünstler, Tagträumer und gescheiterte Existenzen. Es gelingt ihm auf unnachahmliche Weise, ungewöhnliche Charaktere zu entwickeln. Typisch für seinen Stil sind ausführliche Beschreibungen von Nebensächlichkeiten, meist Beobachtungen von Banalitäten.

Gerhard Warlich ist kein Lebenskünstler, wie der Protagonist in „Ein Regenschirm für diesen Tag“ und auch kein emotional gleichgültiger Mensch wie Dieter Rotmund in „Mittelmäßiges Heimweh“. Er ist ein unangepasster Melancholiker, der sich im Alltag nicht überarbeiten möchte und in schwierigen Zeiten Freiheit und Unabhängigkeit sucht, die er mit Glück gleichsetzt.

Seine Welt gerät aus den Fugen, als seine Freundin ein Kind von ihm haben will. Mit dieser Situation ist er überfordert. Seine latent vorhandene Verrücktheit bahnt sich einen Weg an die Oberfläche. Er verspürt den Drang, nicht mehr das zu tun, was von ihm erwartet wird und wird sozial auffällig. Ist der Protagonist eine gescheiterte Existenz? So einfach liegen die Dinge nicht. Der Preis für ein bisschen Wahlfreiheit kann hoch sein; Warlich bleibt seinen Prinzipien treu. Glück ist relativ, wie schon der Titel des Buches verspricht.

Autor Genazino ist wieder einmal eine facettenreiche Charakterstudie gelungen. Auch wenn Ähnlichkeiten zu seinen früheren Werken erkennbar sind (Beobachtungsgabe des Protagonisten, Ich-Erzähler, zufällige Begegnungen mit früheren Bekannten), handelt es sich um einen unterhaltsamen Roman, den ich empfehlen kann.

Bewertung vom 19.07.2016
Fromm, Erich

Ihr werdet sein wie Gott


ausgezeichnet

Die Befreiung des Menschen

In diesem Buch setzt sich Psychoanalytiker und Sozialphilosoph Erich Fromm mit dem Alten Testament (AT) auseinander und zwar auf eine nicht-theologische Art und Weise. Nach seiner Auffassung geht es im AT um die Befreiung des Menschen. Er selbst ist weder Christ noch praktizierender Jude. Seine Interpretation des AT ist die des radikalen Humanismus.

Er betrachtet das AT nicht als Wort Gottes, sondern geschichtswissenschaftlich als ein Buch, das von unterschiedlichen Menschen, die in unterschiedlichen Zeiten gelebt haben, verfasst wurde. Dennoch hält er das AT für ein außergewöhnliches Werk, in dem viele Normen und Prinzipien zum Ausdruck kommen, die die Zeiten überdauert haben. Die Autoren müssen sehr weise gewesen sein.

Es geht nach Fromm im AT um das Bemühen der Menschheit - durch den Erwerb von Selbst-Bewusstsein bzw. Erkenntnis einst symbolisch aus dem Paradies vertrieben - die Verantwortung für ihr Leben und dessen gesellschaftliche Bedingungen selbst zu übernehmen und aktiv zu verändern. Der Mensch entwickelt sich von einem gehorsamen Diener hin zu einem freien Menschen, der seine Geschichte selbst schreibt. Mit dieser Freiheit kann er nur klarkommen, wenn er mit seinen Mitmenschen und mit der Natur zur Harmonie (zurück)gelangen kann.

Von diesem Ideal sind wir weit entfernt und die Frage sei erlaubt, ob diese Aufgabe den Menschen nicht überfordert. Unabhängig davon gehört “Ihr werdet sein wie Gott“ zu den Klassikern, die man gelesen haben sollte. In meinen wenigen Zeilen kann ich nur einen minimalen Eindruck von dem vermitteln, was Erich Fromm in seinem Werk zum Ausdruck bringt. Es ist kein Schmöker, sondern ein Buch, mit dem man sich auseinandersetzen muss.

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