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Benutzername: 
hasirasi2
Wohnort: 
Dresden

Bewertungen

Insgesamt 1173 Bewertungen
Bewertung vom 07.08.2020
Die Kreuzfahrt
Dieckmann, Guido

Die Kreuzfahrt


sehr gut

Eine etwas andere Kreuzfahrt

Die aufstrebende Violinistin Carla verbringt mit ihrer Familie den Sommer 1936 in Berlin und besucht die Olympischen Spiele. Carla ist schüchtern, keine auffällige Schönheit, darum versteht sie auch nicht, was Baron Harald von Breden, ein Erbe großer Ländereien in Ostpreußen und Redakteur eines Berliner Wochenblatts, ausgerechnet an ihr findet. Ihre Mutter, eine ehemalige russische Balletttänzerin, drängt auf eine schnelle Hochzeit. Doch als Carla ein gut gehütetes Familiengeheimnis entdeckt und es Harald erzählt, trennt sich dieser sofort von ihr. Um Carla zu trösten organisiert ihr Vater eine spontane Mittelmeerkreuzfahrt nach Ägypten und Palästina.
Auf dem Schiff umwirbt ein aufstrebender Ufa-Regisseur Carla und auch Harald ist plötzlich wieder da, will sie nun plötzlich doch heiraten: „Ich verschaffe dir eine völlig neue Identität, aber dafür muss die Vergangenheit sterben.“ (S. 199) Carla kommt das sehr suspekte vor, denn auch ihr Vater verhält sich irgendwie merkwürdig und hat sich verändert.
Als auf dem Schiff dann auch noch ein Mord passiert und die Weiterreise gefährdet, ist eigentlich jeder verdächtig …

Carla lebte bisher nur für die Musik, selbst auf der Reise wird sie von ihrem Violinen-Lehrer begleitet. Doch das entdeckte Geheimnis lastet schwer auf ihr, sie muss wichtige Entscheidungen für ihr weiteres Leben treffen, genießt aber auch die Reise und aus dem naiven Mädchen wird dabei nach und nach eine emanzipierte Frau.
Ihr Vater ist echter ein Selfmade-Man. Begonnen hat er mit einer Apotheke, inzwischen gehört ihm eine Arzneimittelfirma. Er will nur das Beste für seine Familie und ihm gefallen die Entwicklungen in Deutschland nicht. Außerdem hat er nicht nur ein Geheimnis vor seiner Familie, wie Carla bald feststellen muss.
Auch Baron Harald von Breden ist sehr undurchsichtig und spielt ein ganz eigenes Spiel.

„Die Kreuzfahrt!“ von Guido Dieckmann ist eine orientalisch angehauchte Mischung aus historischem Abenteuer-, Spionage-, Reise- und Liebesroman. Ich mag die die Idee hinter der Geschichte, dass 1936 ein Kreuzfahrtschiff in See sticht und jüdische Emigranten versuchen, damit nach Jerusalem zu kommen – zumal es das Schiff und die Fahrt zu dem Zeitpunkt wirklich gegeben hat. Die beginnenden Judenvertreibung in Deutschland und die verschiedenen politischen Entwicklungen und Machspiele in Europa und im Mittelmeerraum als Rahmenhandlung sind gut gewählt. Zudem bilden die Reiseziele eine abwechslungsreiche, aufregende und farbenprächtige Kulisse.
Leider war mir aber Handlung zum Teil etwas zu berechenbar und es fehlte Spannung bzw. wurde es zu mystisch. Zudem waren mir auch etwas zu viel Liebe und zu viele günstige Zufälle im Spiel.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 05.08.2020
Miss Kelly und der Zauber von Monaco (eBook, ePUB)
Gaynor, Hazel; Webb, Heather

Miss Kelly und der Zauber von Monaco (eBook, ePUB)


sehr gut

„Bitte, nennen Sie mich Grace.“

1955 dreht sich in Cannes alles um das Film-Festival. Die Journalisten jagen Promis wie z.B. Grace Kelly für das perfekte Foto. Auch James Henderson soll im Auftrag seines Redakteurs Bilder von ihr liefern und verfolgt sie dafür bis in die kleine Parfümerie von Sophie Duval. Diese versteckt Grace im Hinterzimmer, woraus sich eine lebenslange Freundschaft der beiden Frauen entwickelt und ein Flirt zwischen James und Sophie. Aber haben sie auch eine gemeinsame Zukunft?

James ist ein Getriebener, der seine Erlebnisse als Soldat im 2. WK nicht vergessen kann. Er ist geschieden und Vater einer kleinen Tochter, darf sie aber nur selten sehen. Obwohl er lieber Landschaftsaufnahmen machen würde, hält er sich mit den Fotos von Berühmtheiten über Wasser.

Auch Sophie hat es nicht leicht. Ihr Vater war Parfümeur und hat sie bis zu seinem frühen Tod selbst ausgebildet. Er ist ihr großes Vorbild, sie eifert ihm in allem nach und träumt davon, einen neuen Duft zu entwickeln. Ausgerechnet Grace Kelly und James inspirieren sie zu einer ganzen Serie.
Sophie ist mit dem millionenschweren Lebemann Lucien liiert, der sie lieber heute als morgen als Ehefrau an seiner Seite sehen würde. Ihr Bestreben, eine neue Duftlinie zu entwickeln und damit die Schulden des Unternehmens zu tilgen, belächelt er nur.
Außerdem muss sie sich um ihre spiel- und alkoholsüchtige Mutter kümmern, die auf den Verkauf des Unternehmens drängt.

„Miss Kelly und der Zauber von Monaco“ erzählt die nicht unkomplizierte Liebesgeschichte von Sophie und James abwechselnd aus ihrer beider Sicht. Zeitungsartikel über Grace Kelly lockern die Handlung auf und zeichnen ein prächtiges Bild der zukünftigen Fürstin. Man erfährt alles über ihre Roben, das Kennenlernen und die Hochzeit mit Fürst Rainier inkl. der aufwendigen Vorbereitungen. Aber ist sie nur der Rahmen bzw. das Bindeglied zwischen Sophie und James und nicht die Hauptperson, wie ich nach dem Lesen des Klappentextes gedacht hatte.

Die Autorinnen schildern ihre Protagonisten sehr lebendig und lassen den Leser auch an deren Innenleben teilhaben. Ich konnte mir auch die feudale Kulisse der Côte d'Azur, die rauschenden Feste und das Leben der Schönen und Reichen zur damaligen Zeit sehr gut vorstellen und wäre gern dabei gewesen. Sie gestatten aber auch einen Blick hinter die Kulissen – wie aufreibend die Berichterstattung der Presse zur Hochzeit war. Die Journalisten mussten um jedes Foto oder Interview kämpfen, es kam zu regelrechten Schlachten unter ihnen und mit der Polizei. Auch Grace konnte sich kaum noch frei bewegen, wurde auf Schritt und Tritt beobachtet.

Mein Fazit: Eine schöne Kombination aus Liebesgeschichte und biografisch angehauchtem Roman mit interessanten Details über die Arbeit eines Parfumeurs, Grace Kelly und die Pressearbeit bzgl. ihrer Hochzeit.

Bewertung vom 21.07.2020
Im Sturm der Zeit / Das Brauhaus an der Isar Bd.2
Freidank, Julia

Im Sturm der Zeit / Das Brauhaus an der Isar Bd.2


sehr gut

Zeitenwende

München 1919: Nachdem ihr Bruder kurz nach dem Krieg an der Grippe gestorben ist, soll Clara das Brauhaus Bruckner von ihren Eltern Melchior und Antonia übernehmen. Aber Clara kann den Schmerz über den Verlust ihres Bruders nicht überwinden, außerdem gehört sie einer Strömung an, die ein Leben mit Freikörperkultur und Sport und ohne Alkohol- und Fleischkonsum führen will. Trotzdem ordnet sie sich dem Willen ihrer Eltern unter und lässt sich in das Brauwesen einarbeiten, studiert sogar Chemie und drückt dem Familienunternehmen ihren eigenen Stempel auf – sie braut alkoholfreies Malzbier und lässt mit Wasser verdünnten Saft ausschenken, um mit den Männern auch deren Familien ins Gasthaus zu locken.

Clara ist eine starke Persönlichkeit mit Herz, Verstand und Schnauze. Sie muss sich den Respekt ihrer Angestellten und das Vertrauen ihrer Eltern erst verdienen. Zum einen, weil sie „nur“ eine Frau ist, und zum anderen, weil die Arbeiter Angst haben, dass sie die Produktion komplett auf alkoholfreies Bier umstellt und deswegen Leute entlassen wird. Doch deswegen einfach einen passenden Mann zu heiraten und ihm die Firma zu übergeben, ist für Clara keine Option. „Die Welt stand ihr offen. Und ihre Aufgabe war es nicht, den richtigen Mann zu finden. Sondern die Frau zu sein, die sie sein wollte.“ (S. 196)
Ihre Freundin Magdalena hingegen wählt diesen Weg. Sie muss nach dem Tod des Vaters die Malzfabrik der Familie leiten und wünscht sich einen starken Partner an ihrer Seite. Dass ihre Wahl dabei auf Alfred fällt, der mit Hitler sympathisiert, passt Clara gar nicht. Kann sie die Freundin vor ihm retten?

Außerdem fühlt sie sich zu zwei Männern hingezogen. Der Journalist René hat im Krieg Furchtbares erlebt. Er sucht ständig die Gefahr und den Nervenkitzel als Beweis dafür, dass er noch lebt. „Bei ihm habe ich das Gefühl zu leben, als wäre nie Krieg gewesen. Er hat so eine Leichtigkeit, ganz gleich, was um ihn herum geschieht.“ (S. 160) Aber ist er auch ein Mann fürs Leben?
Dann ist da noch der undurchsichtige Ferdinand Schwabinger. Ein Mann mit Ambitionen, von dem niemand weiß, wie er zu seinem Geld gekommen ist. Er will mit aller Macht die Monarchie zurück, hat Interesse am Brucknerbräu und könnte Clara die Welt zu Füßen legen ...

Der zweite Teil der Münchner Brauhaus Saga von Julia Freidank dreht sich vor allem um Clara und ihr Leben in einer Zeit, die ständig im Wandel scheint und sehr unruhig und gefährlich ist. „Der Krieg ist vorbei, aber es schwelt in der Stadt. Ein Funke genügt und alles brennt wieder lichterloh.“ (S. 59) Die Räterepublik versucht nach der Absetzung des Königs den Freistaat Bayern als sozialistischen Staat zu etablieren, es kommt zu Straßenkämpfen zwischen der Reichswehr und der „Roten Armee“. Die Reparationszahlungen lösen eine Hyperinflation aus, dazu kommen Arbeiteraufstände, Kreise, die die Monarchie wieder einführen wollen, und Hitler, der immer mehr Anhänger um sich schart. Außerdem wollen die Brauer unbedingt das Oktoberfest wiederbeleben, brauchen aber einen Schirmherrn oder Sponsoren.

Julie Freidank lässt eine interessante Zeit lebendig werden, in der es zumindest kurz so aussah, als wären Frauen genau so viel wert wie Männer. Durch die vielen Gefallenen oder als Invaliden Heimgekommenen sorgen oft die Frauen für den Unterhalt der Familien. Sie können studieren, die Frisuren und Röcke werden kürzer und man heiratet nicht gleich, nur weil man sich liebt, muss dann aber auch mit dem Gerede der Leute leben. Doch schon bald wollen die Kirche und die Nazis Frauen wieder auf ihren angestammten Platz verweisen – ins traute Heim mit einer Schaar Kinder um sich, sich ihrem Mann komplett unterordnend.

„Das Brauhaus an der Isar – Im Sturm der Zeit“ ist wieder sehr spannend, aber zum Teil etwas langatmig. Ich hätte mir an einigen Stellen etwas weniger Politik und dafür mehr Clara gewünscht.

Bewertung vom 17.07.2020
Klammerblues um zwölf
Berling, Carla

Klammerblues um zwölf


ausgezeichnet

Auf die Freundschaft

Wer kennt die Filmszene nicht, in der Bridget Jones heulend und ungepflegt auf ihrem Sofa hockt, Unmengen Eis in sich hineinlöffelt, Wodka trinkt und dabei traurige Lieder mitgrölt? Genau so geht es Fee nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes Teddy. Sie wollten ihren Lebensabend gemeinsam genießen, die Winter in Zukunft im warmen Süden verbringen. Fee hat sogar ihren Job gekündigt, denn wenn sie sich ein bisschen einschränkten, würde seine Rente reichen. Nach Teddys Tod bricht ihre Welt zusammen, sie verbringt die Tage mit Alkohol, ungesundem Essen, Serienmarathons und ihrer Musiksammlung auf der Couch. Ausgerechnet in der Silvesternacht stellt sich ihre neue Nachbarin Claudine vor, ihr gefällt Fees Musikgeschmack, doch die will nur in Ruhe in Selbstmitleid baden. Am nächsten Tag zieht Fee endlich ehrlich Bilanz. Sie ist 57, hat in 3 Monaten 15 kg zugenommen, keinen Job, kaum noch Geld und ihre Töchter wohnen weit weg. „Reicht es nicht, dass ich alt werde, musste ich auch noch fett werden?“ (S. 35)
Zum Glück gibt Claudine nicht auf, sondern wird ihre Freundin und macht ihr einen ungewöhnlichen Vorschlag. Sie will mit ihrer Freundin Mary und Fee eine WG gründen. Drei Singlefrauen in den besten Jahren, die ab sofort füreinander da sind und ihr Leben gemeinsam statt einsam verbringen – neue Liebe(n) natürlich nicht ausgeschlossen, schließlich sind sie noch nicht tot!

Schon bei „Der Alte muss weg“ hat mich Carla Berling durch ihrem Schreibstil und ihre schrägen Figuren begeistert und auch „Klammerblus um zwölf“ hat mich wieder restlos überzeugt. Mit viel Herz und Kölscher Schnauze schreibt sie über drei Frauen, die sich trotz 60+ neu erfinden.

Fee ertrinkt in Selbstmitleid (und angefressenem Kummerspeck), als Claudine, Mary und ihr bester schwuler Freund Gerd-Karsten (ein Highlight!) ihr klarmachen, dass sie endlich die Kurve kriegen muss: „Sorry, Liebelein, du darfst dich nicht so gehen lassen, das Leben geht doch weiter, meine Güte, du musst dich aber wirklich zusammenreißen.“ (S. 60) Statt immer neuer Ausreden, braucht sie wieder eine Aufgabe und Pläne, statt Essen Freude und Erfolgserlebnisse. „Du schaust anderen beim Leben zu und vergisst dabei dein eigenes.“ (S. 99) Und dann gibt es da ja auch noch Winnetou und Taxi, die ihr einfach nicht aus dem Kopf gehen …
Doch auch Claudine und Mary haben ihre Päckchen zu tragen und schwere Schicksale hinter sich haben.

Mir hat sehr gut gefallen, dass das Buch trotz des traurigen Grundthemas locker und unterhaltsam geblieben ist. Carla Berling schreibt lustig, spannend, warmherzig und gefühlvoll. Sie erzählt von Trauer und Verlust, Depressionen und schlimmen Schicksalen, aber auch von hoffnungsvollen Neuanfängen, alter junger Liebe, Freundschaften und der Freiheit, Ballast loszuwerden. „Mir wurde immer klarer, dass ich eine horrende Miete für Räume zahlte, in denen ich lauter Zeug aufbewahrte, das ich nie brauchte.“ (S. 91)
Ein echtes Highlight, ich bin schon sehr gespannt auf ihr nächstes Buch.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.07.2020
Nordfriesenzauber
Jensen, Merle

Nordfriesenzauber


sehr gut

Silverager

Inken, Nele und Wiete sind beste Freundinnen, sogenannte „Silverager“. Sie singen gemeinsam im Husumer Shanty-Chor, wohnen zusammen und arbeiten in Inkens Restaurant „Wattparadies“.
Inkens Mann ist vor kurzem gestorben und hat vorher das ganze Geld durchgebracht - das traut sie sich aber weder ihren Freundinnen, noch ihrer Tochter zu sagen, um sein Andenken nicht zu beschmutzen, denn bis dahin haben sie eine perfekte Ehe geführt. Sie versucht um jeden Preis und gegen den Willen der Bank, ihr Restaurant zu halten.
Neles Mann ist nach einem Konkurs mit einer Jüngeren durchgebrannt und Wietes große Liebe schon vor Jahrzehnten heimlich über Nacht nach Brasilien ausgewandert. Auch Nele und Wiete haben jeweils ein Geheimnis, für das sie sich schämen und dass sie vor den anderen unbedingt verbergen möchten. Dabei wäre es so viel einfacher und vor allem befreiender, die Sorgen zu teilen. Es muss allerhand Dramatisches und Amüsantes passieren, bis endlich alle Fakten auf dem Tisch liegen und sie neu durchstarten können.

„Nordfriesenzauber“ von Merle Jensen ist ein netter Sommer, Sonne, Nordseeroman mit viel Flair und sympathischen Protagonistinnen in den besten Jahren. Die Handlung ist zwar an einigen Stellen vorhersehbar, hat aber auch ein paar Überraschungen auf Lager. Alles in allem ein gelungener Mix aus Liebe, Freundschaft, Geheimnissen und hoffnungsvollem Neubeginn. 3,5 Sterne

Bewertung vom 08.07.2020
Prost, auf die Wirtin
Kalpenstein, Friedrich

Prost, auf die Wirtin


sehr gut

Die T-U-F-Methode

„Immer wenn es am ungünstigsten ist …“ (S. 9) denkt Kommissar Constantin Tischler, als er am Sonntagmorgen zu einem Mord gerufen wird. Dabei ist er gerade erst nach Brunngries gezogen, lebt noch aus Umzugskartons und sein Dienst beginnt eigentlich erst am Montag, aber darauf hat der Mörder leider keine Rücksicht genommen.

Doch zum Fall. Franziska, die Wirtin des Dorfes, liegt erschossen im Wald und da ihr Mann ein Säufer, extrem eifersüchtig, aufbrausend, gewalttätig und ein Waffennarr ist, gilt er als Hauptverdächtiger. Leider kann Tischler ihm die Tat nicht nachweisen. Ist der Wirt besonders geschickt vorgegangen oder war es jemand anderes?!

„Prost auf die Wirtin“ ist der Auftakt einer humorvollen Krimireihe von Friedrich Kalpenstein. Kommissar Constantin Tischler ist Anfang 30 und hat sich aus München in die Chiemgauer Alpen versetzen lassen, weil man auf dem Land schneller Karriere machen kann und er seine Jugend auf einem Internat in der Nähe verbracht hat. Daher kennt er auch die Gegend und Bewohner noch etwas. Er ist Single, sehr auf seinen Oldtimer, einen Jaguar E-Type 1969, und seine Hightech-Kaffeemaschine fixiert.
Zu Tischlers Mitarbeitern gehört der übereifrige Polizeiobermeister Fink. Fink ist ungefähr gleichalt, immer etwas übereifrig, mit einem Faible für Trachtenjanker und bespricht leider alles mit seiner Mutter – auch aktuelle Ermittlungsstände. Er wird von den Kollegen gemobbt, auch Tischler muss ihn sich erst „zurechtstoßen“. (In dem Zusammenhang fand ich es übrigens sehr witzig, dass Tischler für das kollegiale DU ist, beim Anschnauzen aber siezt.) Doch nicht nur Fink, auch Sachbearbeiterin Luise Brandt treibt Tischler durch ihre eigenmächtigen Aktionen an den Rand der Verzweiflung. Überhaupt scheinen in Brunngries immer alles über alles Bescheid zu wissen und jeden zu kennen – wie das auf dem Dorf eben so ist.

Man merkt dem Krimi an, dass Friedrich Kalpenstein ein großer Fan der Eberhofer-Reihe von Rita Falk ist – schon wegen der Kneipe und dem Metzger mit seinen Leberkäs-Semmeln als Ortsmittelpunkt. Aber für mich hätte es noch etwas mehr Spannung und bayrischer Lokalkolorit sein können und dafür etwas weniger Privatleben des Ermittlers.

Ach ja, wenn ihr wissen wollt, was die T-U-F-Methode ist, müsst ihr das Buch schon selbst lesen ;-).

Mein Fazit: Ein schöner Urlaubskrimi und ambitionierter Auftakt einer neuen Reihe mit etwas Luft nach oben.

Bewertung vom 07.07.2020
Ein neuer Himmel
Steinborn, Margit

Ein neuer Himmel


gut

Ein wichtiges Buch #gegendasvergessen, auch wenn der Erzählstil nicht meins war

Berlin 1938: „Die Zeit mit Dir war die schönste in meinem Leben.“ (S. 78) sagt Peter zum Abschied zu seiner großen Liebe Hannah, denn er wird eine andere heiraten.
Peter ist ein aufstrebender Jurist im Reichsinnenministerium, Hannah Musiklehrerin und Jüdin. Die beiden verbindet eine große Liebe, aber seine Karriere und Familie gehen mit einer jüdischen Ehefrau nicht konform. Hannah versteht und schweigt, sagt ihm nicht, dass sie schwanger ist und zieht die gemeinsame Tochter Melina allein auf. Aber vergessen können sich die beiden nie.
Als Hannah Anfang der 40er Jahre ihre Arbeit als Lehrerin und ihre Wohnung verliert, will sie in die Schweiz emigrieren, schafft es allerdings nur bis in die Nähe von Würzburg auf ein einsames Gehöft, den Sandnerhof. Die Familie Sandner nimmt sie bereitwillig auf und versteckt sie viele Jahre, sie gehören quasi zur Familie, aber es wird immer gefährlicher für alle …
In der gleichen Zeit macht Peter Karriere. Er ist für die „Judenfrage“ zuständig, organisiert die „Umsiedlungen“ und denkt lange, dass die Juden nur dazu gebracht werden sollen, das deutsche Gebiet zu verlassen. Er entwickelt das Ghetto Theresienstadt als Vorzeigeobjekt und verschließt seine Augen vor dem, was wirklich geschieht. Erst, als es fast zu spät ist, begreift er was die Nazis planen, und versucht den Wahnsinn zu stoppen ...

Autorin Margit Steinborn erzählt in „Ein neuer Himmel“ die Geschichte des 2. Weltkrieges anhand fiktiver Protagonisten. Sie beschreibt Hannahs Leben im Untergrund, die ständige Angst vor Entdeckung und wie ihre Tochter Melina damit aufwächst. Parallel dazu erlebt man Peters Aufstieg, seine Gewissensbisse und Sorgen wegen Hannah – er denkt, sie sei emigriert – und wie er langsam begreift, was in den Ghettos und Lagern wirklich passiert. Außerdem kommen auch zwei Pfarrer, die über Jahre Juden aus dem Land schmuggeln, und die Sandners selber regelmäßig zu Wort. Diese häufigen Perspektivwechsel sollen die Schrecken der Nazis und den Widerstand der Bevölkerung aus verschiedenen Blickwinkeln zeigen, mir allerdings wechseln sie in zu kurzen Abständen und bremsen dadurch immer wieder meinen Lesefluss. Zudem bindet die Autorin sehr viele geschichtliche Fakten und Daten in die Handlung ein, ich hatte an einigen Stellen das Gefühl, eher ein Geschichtslehrbuch zu lesen. Und obwohl mich die Geschehnisse an sich sehr bewegen, mir Hannah und Melina extrem leidtaten, konnte das Buch durch seinen etwas emotionslosen und hölzernen Erzählstil keine echten Gefühle bei mir wecken. Trotzdem ist es ein sehr wichtiges Buch #gegendasvergessen.

Ein wichtiges Buch #gegendasvergessen, auch wenn der Erzählstil nicht meins war.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 25.06.2020
Dein Lächeln um halb acht
Williams, Laura Jane

Dein Lächeln um halb acht


ausgezeichnet

e-m@il für Dich meets Was ihr wollt

Welche Singlefrau träumt nicht vom letzten ersten Date? Dem Date, bei dem alles passt und man den Partner fürs Leben findet? In „Dein Lächeln auf halb acht“ von Laura Jane Williams ist es allerdings ein Mann, Daniel, der unbedingt Nadia dazu einladen möchte. Das Problem ist nur, dass er sie bisher nur vom Sehen kennt. Jeden Montag stürmt sie in allerletzter Sekunde in die 7.30-Uhr-U-Bahn, in der er bereits sitzt und nie traut er sich, sie anzusprechen. Dann bringt sein Mitbewohner ihn auf die Idee, eine Anzeige in „Missed Connections“ zu schalten – einer Rubrik der Metro-Zeitung für Annoncen, wenn man jemanden in der U-Bahn gesehen hat und kennenlernen will.
Nadia ist süchtig nach diesen Annoncen und liest auch die für sie bestimmte, kann sich aber nicht vorstellen, dass sie wirklich gemeint ist. Ihr letzter Freund hat ihr Selbstvertrauen stark beschädigt und erst als eine Freundin sie bestärkt, antwortet sie ebenfalls mit einer Annonce. Ein amüsanter Schlagabtausch via Anzeigen beginnt, dem bald viele Menschen auf Twitter folgen – aber trauen sich die beiden auch irgendwann zu einem richtigen Treffen?

Das Buch kam als Überraschungspost vom Verlag und hat mir sehr gut gefallen. Ich bin eigentlich kein Fan von Liebesgeschichten, die meisten sind mir zu romantisch oder vorhersehbar oder es werden zu viele Dramen eingebaut, aber bei „Dein Lächeln um halb acht“ passte einfach alles. Die Geschichte ist eine Kombination aus „e-m@il für Dich“ und „Was ihr wollt“ und wird abwechselnd aus Nadias und Daniels Sicht erzählt. Beide haben schon andere Beziehungen und erste Verluste hinter sich und sind jetzt bereit für DEN Partner für den Rest ihres Lebens, aber den gilt es erst mal zu finden. Unbewusst laufen sie sich nach der ersten Anzeige immer mal wieder über den Weg, das Schicksal scheint sie also unbedingt zusammenführen zu wollen, aber irgendwas geht immer schief. Und obwohl man sich natürlich von Anfang denken kann, wie die Sache letztlich ausgeht, ist doch der Weg dahin sehr amüsant, unterhaltsam und abwechslungsreich und wird durch die geschickten Wendungen in der Handlung nie langweilig. Das Ende hat mir besonders gut gefallen und war für mich extrem romantisch.

Bewertung vom 24.06.2020
Tödliche Algarve / Anabela Silva ermittelt Bd.3
Conrad, Carolina

Tödliche Algarve / Anabela Silva ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

Kein Wort von Mord

… ist die Anweisung des Staatsanwaltes an Chef-Inspektor João Almeida, als auf dem Pilgerweg Via Algarviana in kurzer Zeit 3 Wanderer verschwinden und bald darauf eine verweste, von Wildschweinen angefressene, Leiche gefunden wird. War es ein Unfall oder Mord? Da einer der Vermissten ein Deutscher ist, kann João seine Freundin, die Übersetzerin Anabela anfordern. Dass die beiden ein Paar sind, weiß bisher nur sein Kollege – Privates und Berufliches wird streng getrennt. Auch, dass eine der anderen Vermissten Almeidas Halbschwester ist, soll nach Möglichkeit niemand erfahren ...

„Tödliche Algarve“ ist bereits der dritte Teil der Reihe um die deutsche Journalistin Anabela Silva und Chef-Inspektor João Almeida. Als Anabelas Vater an Alzheimer erkrankte, ist sie nach Portugal zurückgekehrt, um ihre Mutter bei der Pflege und Betreuung des Vaters zu unterstützen. Da sie zeitlich unabhängig sein will, arbeitet sie nicht mehr als Journalistin, sondern als freie Übersetzerin. Mir gefällt, wie Carolina Conrad den Familienzusammenhalt der Silvas zeigt und dabei weder die Erkrankung noch die Belastung für die Angehörigen beschönigt oder überdramatisiert. Es ist toll, wie liebevoll sie trotz allem mit ihrem dementen Vater umgehen, das zieht sich als roter Faden durch die Reihe.
Mit João ist sie seit dem ersten Fall zusammen und wenn es nach ihrer Mutter geht, könnten die Hochzeitglocken bald läuten, aber Anabela hält sich ihr gegenüber sehr bedeckt – sie und João scheinen mit der bisherigen Situation sehr zufrieden zu sein.

Ich bin schon nach wenigen Seiten wieder an der Algarve und in Anabelas Leben angekommen. Man merkt dem Buch an, dass die Autorin in der Gegend lebt. Sie beschreibt die örtlichen Gegebenheiten sehr anschaulich und macht Lust auf eine Pilgertour auf der relativ unbekannten Via Algarviana.
Der Fall der entwickelt sich nur langsam, bleibt dafür aber bis zum Ende sehr spannend. Fieberhaft suchen die Ermittler nach Gemeinsamkeiten oder Berührungspunkten der Vermissten, um hinter die Beweggründe des Täters zu kommen, immer mit dem Staatsanwalt und der Presse im Nacken.
Joâo bittet Anabela, sich wegen der verschwundenen Wanderer umzuhören, was ihrer natürlichen Neugier entgegenkommt. Sie ist sehr geschickt, wenn es um die Beschaffung von Informationen geht, da merkt man, dass sie Journalistin war. Und obwohl die bei den Verhören nur übersetzen soll, stellt sie oft die richtigen Fragen. Sie scheint den Polizisten bald einen Schritt voraus zu sein und gerät selbst in Gefahr.

Mich hat „Tödliche Algarve“ wieder sehr gut unterhalten – spannend und mit viel portugiesischem Flair ist er der perfekte (Urlaubs-) Krimi.

Bewertung vom 21.06.2020
Schwarzer August / Leander Lost Bd.4 (2 MP3-CDs)
Ribeiro, Gil

Schwarzer August / Leander Lost Bd.4 (2 MP3-CDs)


ausgezeichnet

Angekommen

„Wir sind nicht nur verantwortlich für das was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun.“ Moliére.

Leander und Soraia genießen den Sonntag in der Villa Elias, als ein Anruf kommt. Eine kleine Bankfiliale im Hinterland der Algarve wurde mittels Autobombe gesprengt, der Attentäter hatte es auf Schließfächer abgesehen. Aber warum hat er die 40.000 Dollar aus einem der Fächer nicht mitgenommen? Wurde er bei der Tat gestört? Leanders Kollege Miguel Duarte vermutet sofort einen islamistischen Hintergrund des Anschlages.
Am nächsten Tag geht ausgerechnet bei dem Journalisten, der die Polizei über die Explosion informiert hatte, ein ungewöhnlich verschlüsseltes Bekennerschreiben ein. Leander (Asperger-Autist) versteht den Inhalt sofort, aber der Attentäter stellt (noch) keine Forderung. Wenige Tage später sprengt er 3 japanische Thunfischtrawler im Hafen von Olhão und macht klar, dass er auf den Tier- und Umweltschutz hinweisen will. Ist der Täter wirklich ein Idealist, wie Leander vermutet? Wieviel Zeit haben er und seine Kollegen, eh der Bombenleger Personenschäden in Kauf nimmt oder sogar forciert?

„Schwarzer August“ ist bereits der vierte Band der Krimireihe um den deutschen Kommissar Leander Lost, der im Rahmen eines Austauschprogramms nach Portugal gekommen und wegen Land und Leuten geblieben ist. Inzwischen ist er mit Soraia, der Schwester seiner Kollegin Graciana, zusammen und scheint damit endlich auch in seinem Leben angekommen zu sein. Der Autor Gil Ribeiro vermittelt die Unterschiede zwischen „normalen“ Menschen und Autisten sehr anschaulich und zeigt, was es für Leander bedeutet, sich auf andere Menschen einzulassen, seine Gewohnheiten zu ändern und die Komfortzone zu verlassen. Dabei sorgt Leander nicht nur einmal für Erheiterung. Allerdings ist er durch sein fotografisches Gedächtnis, seinen analytischen Verstand und die Fähigkeit, die Lügen seines Gegenübers zu erkennen, inzwischen auch ein unverzichtbarer Bestandteil des Teams. Besonders interessant fand ich seine Überlegung, dass er durch seine Krankheit weniger wert wäre als seine Kollegen und seine Begründung dieser These.

Die Ermittlungen gestalten sich schwierig und damit für den Hörer sehr spannend. Carlos hat früh einen Verdacht, aber die Person passt nicht ganz in das Raster, das Leander und seine Kollegen entwickelt haben. Sie geben bei den Ermittlungen alles, liefern sich rasante Verfolgungsjagden und Schusswechsel und agieren immer als Team, auch wenn sich Miguel in einer Situation (wieder mal) als Einzelkämpfer und Held darstellt. Gil Ribeiro erzählt sehr anschaulich, man merkt, dass er sonst Drehbücher schreibt.
Auch dieser Teil der Reihe lebt neben dem interessanten Fall vom Zwischenmenschlichen der Protagonisten (Leander und Graciana sind nicht das Einzige Liebespaar) und dem Lebensgefühl und Flair der Algarve.

Andreas Pietschmann hat das Hörbuch toll eingelesen. Er bringt Leanders sperrige Persönlichkeit durch seine Art ihn zu sprechen sehr gut rüber.

„Schwarzer August“ war wieder ein tolles Hörerlebnis und ich hoffe, dass die Reihe auch nächstes Jahr weitergeht.