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Bibliomarie

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Insgesamt 1032 Bewertungen
Bewertung vom 05.07.2018
Wenn wir wieder leben
Roth, Charlotte

Wenn wir wieder leben


sehr gut

Anfang der 60iger in Berlin. Wanda ist eine junge Frau, die behütet und umsorgt von ihrer Mutter und ihrer Tante aufgewachsen ist. Ihr Geburtsort Zopot ist nur ein Name in ihrem Pass. Sie weiß nichts von der Vergangenheit und Herkunft ihrer Familie, über die Kriegsjahre wird eisern geschwiegen. An der Uni lernt Wanda den charismatischen Andras kennen, den einzigen Überlebenden einer jüdischen Familie. Andras will das Schweigen an der Uni und in der Gesellschaft nicht akzeptieren. Er engagiert sich bei der Zeugensuche für den Auschwitz Prozess. Er will, dass seine Kommilitonen fragen „was haben meine Eltern in der Vergangenheit gemacht?“ Diese Frage stellt Wanda ihrer Mutter und löst damit ein Drama aus.
Rückblick: Die 20iger und 30iger in Zopot an der Ostseeküste. Gundi ist ein „Goldmädchen“, glücklich und sorglos wächst sie unter der Obhut ihres Großvaters auf. Sie liebt die Musik und mit Freunden spielt sie in einer Band, tritt in den Hotels im Seebad auf. Sie ist spontan, flirtet mit ihren Jugendfreunden Erik und Julius und träumt vom Durchbruch. Als sie auf der „Gustloff“ engagiert werden, scheinen sie am Ziel. Aber die Welt hat sich verändert und Gundi verschließt davor ihre Augen.
In den zwei Zeitebenen steht jeweils eine junge Frau und ihre Suche nach dem Lebensweg im Mittelpunkt. Der historische Hintergrund ist sehr farbig und intensiv geschildert. Besonders interessant fand ich die Atmosphäre 1963 in Berlin. Eine Gesellschaft, die nur vergessen will und keine Auseinandersetzung mit der Geschichte und der eigenen Schuld zulassen will. Das zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten und ein Student wie Andras, der Fragen stellt, nachhakt und nicht lockerlässt, wird schnell als Nestbeschmutzer ausgegrenzt. Sein jüdischer Familienhintergrund verstärkt das nur, denn Antisemitismus nicht verschwunden, er wird nur nicht offen ausgesprochen. Wandas Erwachen aus dem schützenden Kokon ist schmerzhaft. Das wird durch den warmherzigen, interessanten Erzählstil deutlich. Deshalb ist mir die Figur der Wanda auch persönlicher und echter erschienen als Gundi, die mir blass und weniger akzentuiert erschien.
Charlotte Roth versteht es gut, die beiden Teile zu verbinden und ein dunkles Geschichtskapitel über die Lebensläufe zweier Frauen persönlich werden zu lassen. Der Roman ist spannend und auch unterhaltsam geschrieben, aber nie oberflächlich. Ihre Sprache, die Orts- und Zeitbeschreibungen sind lebendig und farbig. Nur manchmal fand ich den ostpreußischen Sprachgebrauch mit den vielen Diminutiven zu sehr in Szene gesetzt. Ich habe den Roman gern gelesen, ich fand ihn anspruchsvoll und die Thematik gut umgesetzt. Das schmerzhafte Erwachen und Erwachsenwerden der jungen Wanda hat mich berührt.
Ich habe lange zwischen 3 und 4 Sternen geschwankt, aber der Nachhall des Buches lässt mich 4 Sterne vergeben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 02.07.2018
Die Jahre der Leichtigkeit / Familie Cazalet Bd.1
Howard, Elizabeth Jane

Die Jahre der Leichtigkeit / Familie Cazalet Bd.1


sehr gut

Elizabeth Jane Howard ist eine englische Schriftstellerin, die es bei uns noch zu entdecken gilt. Sie hat ein langes, produktives Leben geführt und starb 2014 mit 90 Jahren. Ihre bekanntesten Werke sind die „Cazalet-Chronicles“, der ersten Band die „Jahre der Leichtigkeit“ nun von DTV vorgelegt wird.
Die Cazalets sind eine großbürgerliche Familie, die mit Holzhandel zu Geld gekommen sind. Trotz eines großen Landsitzes gehören sie aber nicht zur Upper Class. Brig älteste Söhne haben den ersten Weltkrieg überstanden und sind ins Familienunternehmen eingetreten, ein Sohn unterrichtet Malerei, träumt aber immer noch von einer Laufbahn als Künstler. Eine Tochter ist unglücklich verheiratet und die jüngste scheint sich mit ihrem Los abgefunden zu haben, ihr Leben den Eltern zu widmen. Jeden Sommer versammeln Brig und Duchy ihre Kinder und Schwiegerkinder und die Schar der Enkel auf dem Landsitz der Cazalets.
Es ist der Sommer 37: in Europa brodelt es, Mosley findet in England genügend Anhänger, die Hitler nicht ablehnen und Chamberlain taktiert um den Frieden zu erhalten.
Aber es ist nicht die große Weltpolitik allein, die die Cazalets bewegt, es sind die Dramen in der Familie. Große Leidenschaften und Ehebrüche, Eifersucht und Entsagung, Konkurrenz und Wettstreit brodeln mehr oder weniger unter der Oberfläche einer heilen Familie.
Howard wirft immer wieder abwechselnd ein Streiflicht auf die einzelnen Figuren. Sie stellt sie in den Vordergrund, lässt ihre Persönlichkeit deutlich werden. Dabei wertet sie die Charaktere nicht, sie begegnet jedem, selbst den Kindern der Familie mit Interesse und Respekt. Das überträgt sich auch auf mich als Leserin, ich fühlte mich wie eine unsichtbare Beobachterin in dieser Familie, war Zeuge ihrer Streitereien, ihrer Nöte und auch ihrer Vergnügungen.
Ich habe ein wenig gebraucht um in den Rhythmus des Romans zu kommen. Ich möchte es mit einem alten Film vergleichen, den man nach langen Jahren wieder sieht und über dessen Langsamkeit und langen Einstellungen man verwundert ist. Genau so ging es mir hier, ich musste mich erst an das zurückgenommene Tempo der Sprache gewöhnen, mich quasi einlesen, um die Feinheiten zu genießen. Aber dann hat mich die Geschichte völlig in Bann gezogen.
Ich freue mich auf die Entdeckung einer großartigen Schriftstellerin.

Bewertung vom 02.07.2018
Hopfenkiller / Der Sanktus muss ermitteln Bd.4
Schröfl, Andreas

Hopfenkiller / Der Sanktus muss ermitteln Bd.4


ausgezeichnet

Die Brauerszene in München steht Kopf! Da kommt so ein Ami daher und will den g’standenen Braumeistern zeigen, wie heute Braukunst geht und was er vom Reinheitsgebot hält. Craft Bier ist das Zauberwort und da er noch so ausschaut wie ein geigender Frauenschwarm, steht ihm die Münchner Szene offen.
Aber auch den Craft Bier Adepten ist das Engagement nicht so recht, denn die Finanzkraft hinter Garreth Vane scheint grenzenlos und sie fürchten um ihre kleinen handwerklich geprägten Betriebe. Bald scheint es ernst zu werden, der Inhaber der bisher größten Craftbierbrauerei treibt tot in der Isar, sein Konkurrent und Mitstreiter liegt erschlagen im Brauhof. Aber auch die traditionellen Brauereien klagen über Anschläge und Manipulationen.
Was bleibt da Kommissar Bichlmaier anders übrig als sich der Hilfe von Alfred Sanktjohanser, allgemein nur als der „Sanktus“ bekannt, zu versichern. Schließlich war er mal Polizeikollege und Braumeister ist er immer noch. Allerdings hat Sanktus seiner Kathi versprechen müssen, in Zukunft auf gefährliche Ermittlungsarbeit zu verzichten und mit Kathi möchte er es sich nicht verderben. Aber ein bissl umhören, wird er sich schon können.
Bayern, Sommer und Biergärten und dazu ein süffiges Weißbier, egal ob traditionell oder als Craft Bier und dazu passt der neueste „Sanktus“-Krimi. Spritzig ist die Geschichte, voller Sprachwitz und Situationskomik. Der Sanktus redet und denkt wie ihm der Schnabel gewachsen ist und der Autor fängt das wunderbar authentisch ein. So stelle ich mir einen humorigen Bayernkrimi vor. Da darf man gern in die Klischeekiste greifen, wenn man – wie bei Autor Andreas Schröfl – auch immer das Augenzwinkern spürt. Ich liebe die deftigen Dialekteinschübe, genau wie die liebevoll und gekonnt gezeichneten Originale. Sicher, sie werden auch mal überzeichnet, aber genau wie bei Klischees ist das immer gut dosiert und als Stilmittel gewollt. Man kann eben nur überzeichnen, was man auch kennt und mag. Mir gefällt auch, wie Sanktus‘ Gedanken immer ganz ungefiltert und bar jeder grammatikalischen Norm einfließen, das erinnert mich ein wenig an die Brenner Romane von Paul Haas und macht den Krimi lebendig und direkt.
Die Geschichte ist spannend und recht verzwickt aufgebaut, so einfach war es nicht mit meinen Verdachtsmomenten. Immer wieder kam ich ins Zweifeln und so blieb die Spannung bis zum Finale hoch.
Andreas Schröfl versteht nicht nur eine Menge vom Bier, er versteht es auch einen gelungenen Kriminalroman mit Lokalkolorit zu schreiben.

Bewertung vom 25.06.2018
Ein dänisches Verbrechen / Gitte Madsen Bd.1
Gronover, Frida

Ein dänisches Verbrechen / Gitte Madsen Bd.1


sehr gut

Gitte Madsen beschließt nach dem Tod der Mutter einen radikalen Neuanfang. Sie verlässt das Münsterland, wechselt von ihrem Beruf als Opferbetreuerin bei der Polizei ins Bestattungswesen. In Marialyst auf der Insel Falster findet sie sofort eine Stelle. Der Ort ist bedeutsam für Gitte, hier wurde ihr Vater das letzte Mal gesehen. Seit 16 Jahren ist er spurlos verschwunden und sie ist überzeugt, dass er einem Verbrechen zum Opfer fiel.
Schon auf der Überfahrt fällt ihr ein junger Mann auf, der offensichtlich Angst hat. Von ihrer früheren Arbeit her, hat sie einen Blick dafür. Sie kommt mir Joris, so heißt der junge Grieche, ins Gespräch und erfährt von seinen Plänen. Doch kaum hat sich Gitte in ihrem Domizil eingerichtet, stolpert sie buchstäblich über einen Toten: Joris liegt blutüberströmt auf ihrer Schwelle.
So macht sie die Bekanntschaft mit Kommissar Ole Ansgaard, die aber im Lauf der Tage nicht ganz problemlos verlaufen wird, denn wie sollte es bei einem Krimi anders sein, mischt sich Gitte ganz erheblich in die Ermittlungsarbeit ein.
Marialyst ist ein malerisches kleines Städtchen, in dem jeder jeden kennt und so fühlt sich Gitte auch gleich heimisch. Ihre ersten Fragen zu ihrem Vater bringen ihr auch neue Erkenntnisse. Wichtiger ist für Gitte aber auch das Ankommen, sie findet es an der Zeit nun die dänische Seite ihrer Biografie auszuleben.
Die Beschreibung, wie sie dabei auf Entdeckungsreise geht, die süßen Leibspeisen ihrer Ferienkindheit wieder entdeckt und die Familienbande neu knüpft, sind deshalb auch ein wichtiger Bestandteil dieses unterhaltsamen Krimis. Die exzentrische Tante und der urige schwedische Nachbar und Gittes neuer Chef, der immer einen Grund für ein morgendliches Gläschen Aquavit findet, sind farbige Nebenfiguren, die viel zur Atmosphäre beitragen. Natürlich darf auch ein gewisses Kabbeln und Kribbeln mit dem attraktiven Kommissar nicht fehlen.
Der Krimi hält, was der Klappentext verspricht, ein unterhaltsames und recht spannendes Lesevergnügen. Hyggelig eben!

Bewertung vom 25.06.2018
Mord nach Strich und Faden / Kate Shackleton ermittelt Bd.1
Brody, Frances

Mord nach Strich und Faden / Kate Shackleton ermittelt Bd.1


sehr gut

Kate Shackelton mag sich mit ihrem Status als Kriegswitwe nicht abfinden. Sie klammert sich an die Hoffnung, dass die Leiche ihres Mannes nach einem Angriff nicht gefunden wurde und geht jeder Spur nach. Dabei hat sie ein gewisses Geschick entwickelt und konnte mancher Leidensgenossin Gewissheit verschaffen, nur ihr selbst blieb der Trost verwehrt.

Ein Brief der Freundin Tabitha Braithwaite bringt eine neue Herausforderung. Ihr Vater wird ebenfalls vermisst, allerdings nicht als Kriegsfolge, sondern er verschwand nach einem missglückten Suizidversuch aus der Klinik. Tabitha möchte nun heiraten und ihr sehnlichster Wunsch ist es, vom Vater an den Altar geführt zu werden.

So macht sich Kate auf den Weg nach Bridgestead, einem Städtchen das seinen Reichtum den Webereien verdankt. Auch den Braithwaites gehört eine große, erfolgreiche Weberei und die Familie konnte ihren Reichtum auch nach dem Krieg bewahren. Schnell wird Kate aber klar, dass Mrs Braithwaite mit der Suche überhaupt nicht einverstanden ist und auch die Recherche in der Fabrik wird für sie als Frau sehr schwierig werden. Ein Glück, dass ihr Vater, ein pensionierter Kriminalbeamter, ihr Sykes zur Seite stellt. Sykes ist schweigsam, hat seinen Polizeidienst freiwillig quittiert und ist froh wenigstens für einige Wochen ein regelmäßiges Einkommen zu haben.

Kate Shakelton steht am Beginn einer Detektivkarriere, zumindest ist das der erste Band, dem wohl noch weitere folgen werden. Sie ist eine junge Frau, schon mit einem Fuß in der Moderne angekommen und scheint allmählich die Fesseln, die ihr ihre Gesellschaftsschicht und ihr Geschlecht auferlegen, abzustreifen.
Ihr behutsames Vorgehen schafft Vertrauen, so wird ihr im Gespräch vieles anvertraut, was der Polizei nie aufgefallen ist. Auch im Betrieb sieht sie manche Vorgänge aus einem anderen Blickwinkel. Schnell wird ihr klar, dass es noch eine andere Seite des Mr Braithwaite gibt, Kriegsgewinne durch gehortete Chemikalien vom Feind, rücksichtsloses Gewinnstreben, auch auf Kosten von Mitarbeitern und – besonders kränkend für Mrs Braithwaite – immer wieder Affären.

Mir gefällt der unaufgeregte, aber trotzdem sehr flüssige Stil und so viel an Hintergrundwissen über die Nachkriegszeit in England einfließt. Das war schließlich der Beginn einer Zeitenwende. Auch die Arbeitswelt war faszinierend geschildert, so eine Weberei war wie der Vorhof zur Hölle: laut, heiß und stinkend. Die Arbeiter waren den ganzen Tag den giftigen Dämpfen und dem Lärm ausgesetzt, auf dem Boden farbige Pfützen, weil sich die Chemikalien im Boden ablagerten.

Ein wenig verschenkt fand ich die Figur des Sykes, der hätte einen guten Gegenpart zu Kate ergeben können, aber leider darf nur er nur einige sehr kurze, wenn auch entscheidende Szenen beleben. Da würde ich mir für einen Folgeband mehr Augenmerk für diesen Protagonisten wünschen.
Der Krimi spiegelt sehr schön die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in England wieder, man spürt schon, dass die alte Gesellschaftsordnung ins Wanken gerät und Kate Shackelton verkörpert das sehr gut. Es ist ein ruhiger Krimi, der sicher eher Leserinnen anspricht und mir gut gefallen hat.

Bewertung vom 24.06.2018
Grün ist die Liebe
Ferber, Marlies

Grün ist die Liebe


sehr gut

20 Jahre verheiratet, die Kinder aus dem Haus, den Alltag belebt durch die ehrenamtliche Tätigkeit als Grüne Dame im Krankenhaus – da fragt sich Elisabeth schon manchmal wo denn die Liebe und die Romantik geblieben ist. Sie fühlt sich nicht mehr so recht geschätzt von ihrem Ehemann Robert. Er scheint sie so selbstverständlich zu nehmen wie ein Möbelstück. Wo und wann sind denn ihre Träume und Wünsche auf der Strecke geblieben?
Als sie den alten Herrn Grün betreut, der um seine geliebte Ehefrau Lenya trauert, wird ihr das Manko erst recht bewusst. So wie der alte Herr von der Liebe schwärmt, vom lebenslangen Kribbeln, von der immer lebendigen Beziehung, so hätte es Elisabeth auch gern und sie achtet immer mehr auf die Versäumnisse von Robert. Liebt der sie überhaupt noch oder hat er vielleicht sogar schon ein Verhältnis? Auch die Ratschläge der Freundin Tessa sind nicht besonders hilfreich.
Erstaunlich bei diesem Roman fand ich, dass ich automatisch die Figur der Elisabeth mindestens 10 Jahre älter geschätzt hätte, denn grade sie – die das Fehlen der Romantik betrauert – hat sich in der Routine und Behäbigkeit ihrer Ehe ganz gut eingerichtet.
Wie sie durch die Begegnung mit Herr Grün wachgerüttelt wird und anfängt ihr Leben zu überdenken, ist schlüssig und sympathisch dargestellt. Immer wieder wechseln die Erinnerungen des Herrn Grün mit den Erlebnissen Elisabeths ab und das macht auch den Reiz der Geschichte aus. Die Lebensweisheit des alten Mannes spornt Elisabeth immer wieder an, auch in ihrem Leben wieder Harmonie und Liebe zu finden.
Marlies Ferber spart nicht an lebenserfahrenem Humor um ihren Figuren Profil zu geben. Jeder Leser wird wahrscheinlich Elisabeths und Roberts in seiner Umgebung kennen. Überhaupt sind die Figuren, auch die Nebenrollen, wirklich gut gezeichnet. Lebensecht, charaktervoll und manchmal auch ein wenig überdreht, machen sie viel Spaß. Die sehr schön und warmherzig erzählte Geschichte hat mir gut gefallen und es ist nur natürlich, dass es Happy Ends in jedem Lebensabschnitt geben kann.

Bewertung vom 20.06.2018
Mord in Cornwall
Bude, John

Mord in Cornwall


sehr gut

Seit einiger Zeit erscheinen im Klett-Cotta Verlag Neuauflagen klassischer Kriminalromane. Diese Ausgaben sind sorgfältig ediert und schön ausgestattet. Es ist eine Freude, diese klassischen Krimis wieder zu entdecken.

So war es auch bei Mord in Cornwall. Der Plot ist ganz typisch und vereinigt alles, was zu einem klassischen englischen Krimi gehört: Ein einsames Haus auf den Klippen, ein familiärer Konflikt, Zeugen, die viel verschweigen und einen kauzigen Inspektor mit einem braven Landpolizisten im Gefolge.

Das wöchentliche Treffen der beiden Junggesellen Reverend Dodd und Dr. Pendrill beginnt wie immer gemütlich, nach dem Abendessen tauschen sich Beiden über ihr Hobby aus, nämlich die neuesten Krimis. Sie rätseln über Verdächtige, sind im Wettstreit, wer als Erster den Fall lösen kann. Dann wird aus ihrem Hobby Realität. Dr. Pendrill wird nach Greylings gerufen, der Hausherr, Mr. Tregarthan liegt erschossen in seiner Bibliothek. Natürlich begleitet Dodd seinen Freund, schon um der Nichte Ruth Tregarthan geistlichen Beistand anzubieten. Aber nach und nach findet Dodd immer mehr Spuren, die ihm rätselhaft erscheinen und bevor der Constable und später Inspektor Bigswells eintrifft, leitet er schon die ersten Befragungen ein.

Das Buch ist ein echter Rätselkrimi, nach und nach tauchen Spuren und Verdächtige auf, viele Beteiligte haben ein Motiv und die Menschenkenntnis Dodds ist ein wichtiger Teil der Ermittlungen. Durch ihn wird der Leser quasi an den Ermittlungen beteiligt. Es geht aber recht gemütlich zu, es wird weniger Spannung, aber mehr Atmosphäre erzeugt. Vielleicht ist das Buch der Urvater der englischen Landhauskrimis.

Ein netter Abstecher zu den Anfängen des Kriminalromans.

Bewertung vom 18.06.2018
Stille Feinde / Isaiah Quintabe Bd.2
Ide, Joe

Stille Feinde / Isaiah Quintabe Bd.2


sehr gut

Privatdetektiv Isaiah Quintabe, kurz IQ genannt, lebt in Long Beach, L.A. Wobei sein Spitzname nicht nur seine Initialen bedeuten, sie stehen auch für seine Begabung, mit Deduktion und Intelligenz die Sachverhalte zu durchschauen. Long Beach ist nicht grade eine feine Gegend, deshalb sind seine Fälle auch meist Probleme der sogenannten kleinen Leute, für die IQ aber ein großes Herz hat. Da hilft er schon mal unentgeltlich. Aber seit Jahren treibt ihn der ungesühnte Unfalltod seines großen Bruders Marcus um. Als er auf einem Schrottplatz einen Wagen entdeckt, der dem Unfallwagen gleicht, findet er schnell Indizien, die nahelegen, dass Marcus vorsätzlich überfahren und ermordet wurde. Gleichzeitig bittet Marcus frühere Freundin Quintabe um Hilfe. Ihre jüngere Schwester, ein Junkie und spielsüchtig, steckt in großen Schwierigkeiten. Sie hat sich von den falschen Leuten Geld geborgt, das sie nicht zurückzahlen kann und versucht eine Gang mit gestohlenen Dokumenten zu erpressen. Jetzt hat sie nicht nur den Geldhai auf den Fersen, auch eine chinesischen Triade und das mexikanische Syndikat wollen ihr ans Leder.
IQ als Hauptfigur ist ein faszinierender Protagonist. Der Plot ist raffiniert, vielschichtig und – wie ich finde – sehr kompliziert aufgebaut. Wenn man nicht mit großer Konzentration liest, verliert man sich schnell in Nebensträngen und Rückblenden. Trotzdem bleibt die Spannung aber durch die ganze Geschichte erhalten.
Die Sprache ist knallhart, sehr lakonisch und brutal. Überhaupt beherrschen die Brutalität der Gangs und die ständigen Gewaltexplosionen das ganze Buch. Verstärkt wird das durch den rauen Unterweltslang. Ich hatte damit meine Schwierigkeiten, auch wenn bei Quintabe immer mal Ironie, sogar feiner Humor aufblitzt und seine Menschlichkeit ein Gegenpart zu seinen Ermittlungen und seiner Umgebung darstellt. Die abrupten Szenenwechsel bringen genau wie die Sprache sehr viel Tempo ins Buch. Ich könnte mir sehr gut einen Film mit diesem vorstellen, die viele Szenen ließen bei mir sofort ein Kopfkino abspulen.

Bewertung vom 18.06.2018
Commissaire Le Floch und der Brunnen der Toten / Commissaire Le Floch Bd.2
Parot, Jean-François

Commissaire Le Floch und der Brunnen der Toten / Commissaire Le Floch Bd.2


ausgezeichnet

Nicholas le Floch ist Commissaire in Paris. Das Wohlwollen des Königs ruht auf ihm, er verfügte persönlich die Ernennung. Nicholas ist ehrgeizig, jung und vor allem mit einem unbestechlichen Blick ausgezeichnet. Er selbst ist der uneheliche Spross eines Adligen und wuchs bei einem Vormund auf, der ihm eine gute Erziehung ermöglichte. Der Weg zu einer Karriere im Beamtenapparat Ludwig des XV ist mit Intrigen gepflastert.

Als er eines Abends in der Oper auf die königliche Tochter Adelaide achten soll, wird er zu einem Todesfall gerufen. Der Sohn des Comte de Ruissec liegt in seiner von innen verschlossenen Bibliothek, die Pistole scheint ihm aus der Hand gefallen, das Gesicht von der Schussverletzung entstellt. Selbsttötung ist im französischen, katholischen Königreich ein Kapitalverbrechen und würde der Familie Ruissec schaden. Aber das ist es nicht allein, was le Floch stutzig macht, er findet Anzeichen für ein Verbrechen und ist mehr als verwundert, dass der alte Graf davon nichts wissen möchte und jede Untersuchung behindert. Als die Gräfin um ein geheimes Treffen bittet, wird sie ebenfalls getötet.

Le Floch ist auf sich gestellt, zwar halten seine Vorgesetzten eine schützende Hand über ihn, aber er weiß, wenn er sich zu weit vorwagt, steht er für sich allein. Die politischen Ränken und Intrigen in Versailles sind allgewärtig. Sogar die Maitresse Madame de Pompadour scheint mit zu mischen und umschmeichelt le Floch.

Die Figur des jungen le Floch hat mir sehr gut gefallen. Um ihn herum stellt der Autor in seinem zweiten Roman eine Reihe historischen Figuren, die sehr gut in die Handlung eingepasst wurden. Sehr detailreich und immer unglaublich interessant ersteht ein Bild der Zeit vor meinen Augen. Versailles, die Welt der Theater und Oper in Paris, die großen Boulevards der Stadt, das alles wird farbig und lebendig beschrieben. Ich bin richtig in diesen Roman versunken, der dicht und stimmungsvoll erzählt ist. So stelle ich mir einen gelungen historischen Krimi vor und meine Erwartungen sind übererfüllt worden.

Ein ausführliches Personenregister rundet das Buch ab. Ich habe das als richtiges Bonusmaterial empfunden und französische Geschichte aufgefrischt.
Da ich inzwischen weiß, dass es in Frankreich schon mehrere Bände gibt, bin ich sehr gespannt auf weitere Bücher um le Floch und werde in der Zwischenzeit den ersten Band nachholen.

Bewertung vom 17.06.2018
Inspektor Takeda und der lächelnde Mörder / Inspektor Takeda Bd.3
Siebold, Henrik

Inspektor Takeda und der lächelnde Mörder / Inspektor Takeda Bd.3


ausgezeichnet

Es scheint ein klarer Fall zu sein. Der junge Simon Kallweit hat eine Frau vor die einfahrende S-Bahn gestoßen. Die Überwachungsbilder zeigen ihn entrückt lächeln und mit erhobenen Händen. Aber so einfach ist es nicht, die Aufnahmen liefern keinen gerichtsverwertbaren Beweis, die Zeugen widersprechen sich oder sind unsicher. Inspektor Takeda und Kommissarin Harms bleibt nichts übrig, als Simon laufen zu lassen. Grade Takeda hatte einen Draht zu Simon gefunden, der ganz in der Welt der japanischen Mangas zu leben scheint.

Dann passiert ein weiterer unerklärlicher Mord und wieder war Simon in der Nähe des Tatorts, aber wieder gibt es keine Beweise.
Ken Takeda und Claudia sind ein besonderes Ermittlergespann. Der japanische Austauschpolizist hat eine ganz andere Herangehensweise als seine deutsche Kollegin. Nie wird er direkt, er ist ein Mann der Zwischentöne, während Claudia manchmal barsch und ruppig erscheint. Trotz dieser Gegensätze sind sie ein gutes Team, sie haben ihren Rhythmus gefunden und arbeiten gut zusammen. Manchmal blitzt auch ein ganz besonderes Prickeln auf, Gegensätze scheinen sich anzuziehen. Die innere Zerrissenheit Takedas, die nächtlichen Streifzüge, oft mit viel japanischem Whisky oder mit einsamen Saxophonspiels in einem Park, zeigen den Inspektor als einsamen Wolf.

Aber nicht nur die Ermittler haben mir gefallen, der Plot berührt viele Dinge unseres alltäglichen Lebens. Jugendliche aus Wohlstandsfamilien, die sich in eine dunkle Fantasiewelt zurückziehen und sich in der Welt des Internets verlieren, Schüler, die hemmungslos mobben, während die Klasse und die Lehrer wegschauen, das alles kommt zur Sprache.

Genau wie die Faszination für Jazz, die auf mich übersprang. Wenn Takeda seinen Stimmungen in offenen Jazzclubs am Saxophon auslebt, kommt eine ganz besondere Atmosphäre auf. Das ist noch einmal eine ganz andere Ebene. Genauso interessant fand ich Takedas Blick auf Deutschland und im Besonderen auf den Arbeitsalltag in der Dienststelle. Wie er hinterfragt, reflektiert und mit Japan vergleicht, diesen Blick von außen fand ich besonders reizvoll.

Die Geschichte so raffiniert aufgebaut, sehr vielschichtig und immer ganz nah an der Realität, ein toller Krimi, der nur einen Fehler hatte: ich war viel zu schnell durch. Ich freue mich schon, mehr von diesen Ermittlern zu lesen.