Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
sabisteb
Wohnort: 
Freiburg

Bewertungen

Insgesamt 1375 Bewertungen
Bewertung vom 22.01.2011
Ein Akt der Gewalt
Jahn, Ryan David

Ein Akt der Gewalt


gut

Dieser Roman beruht auf einer wahren Geschichte. Er erzählt den Mord an Catherine Susan Genovese (7.7.1935 – 13.3.1964), den die New York Times zwei Wochen später medienwirksam unter dem Titel Thirty-Eight Who Saw Murder Didn't Call the Police („38 sahen den Mord und riefen nicht nach der Polizei“) ausgeschlachtet wurde. Dieser Mord ist derjenige, der das Wort Zuschauereffekt prägte, also ein psychologisches Phänomen, bei welchen Zeugen eines Unfalls zuschauen ohne Hilfe zu leisten.
Auf 270 Seiten beschreibt der Autor ca. 3 Stunden in NY City (von ca. 3:15 Uhr bis 6:15 Uhr) aus neun verschiedenen Blickwinkeln, und das ist das Problem des Buches. Es klingt, als wenn hier der Mord an Kitty Genovese aufgearbeitet würde, aber dem ist nicht so. Diese blutige Tat zieht sich zwar wie ein roter Faden durch die Erzählung und taucht immer wieder in kurzen einzelnen Kapiteln auf, tatsächlich werden hier jedoch mehrere teils sehr unterschiedliche, klischeehafte und eher langweilige bis zähe Geschichten erzählt, die sich überschneiden und miteinander verweben.
Da wären die Geschichten von

1. Catherine Susan Genovese, der als Aufhänger für das Buch herhält, in Wirklichkeit aber den geringsten Platz im Buch einnimmt.
2. Patrick Donaldson und seiner kranken Mutter
3. Diane Myers und Larrys Eheprobleme
4. Thomas Marlowes Einsamkeit und seine Erkenntnis warum er einsam ist
5. Frank Riva, der nachts noch einmal hinaus geht, weil seine Frau glaubt etwas Schreckliches getan zu haben.
6. Die Geschichte des Lehrers Nathan Vacanti und seiner dunklen Vergangenheit, die ihn einholt.
7. Die Geschichte des brutalen Polizisten Alan Kees
8. Peter, Ron, Anne und Bettie, die es mal mit Partnertausch versuchen wollen.
9. Die Geschichte zweier Sanitäter, die nachts mit ihrem Krankenwagen unterwegs sind.

Wenn nicht einige dieser neun Handlungsstränge durchaus gelungen gewesen wären hätte das Buch nur 1-2 Sterne bekommen, denn der Autor ergeht sich zum einen sehr oft in ermüdenden Details wie, der Marke von Kameras (Bell and Howell Zoomatic Kamera (S. 82)) und, was für mich das wirklich anstrengende an diesem Buch war, der Stil ist grauenhaft.
Die erzählweise ist telegrammartig abgehackt. Eine ermüdende Aufzählung von Ereignissen und deren Ablauf. Z. Bsp. S. 19: „Als Kat sich aus dem Auto zwängt, sieht sie einen schwarzweißen Streifenwagen, der leise an ihr vorbeischleicht. Das Rotlicht springt aus seinem Dach hervor wie die Spitze eines Lippenstifts. Sie erkennt im Wageninneren das blasse Gesicht eines Polizisten, der in ihre Richtung sieht. Dann ist er fort. Sie schaut dem roten Glühen der Rücklichter nach, bis der Wagen am Ende des Blocks um eine Ecke biegt. In der Ferne ertönt eine Autohupe. Ein Hund heult den Mond an, dann ein lauter Ruf,…“ und so geht es das ganze Buch in einem Fort weiter.

Die Intention des Autors war wohl die Schilderung des Lebens in einer Stadt. „Das Leben in einer Stadt wie dieser besteht aus einer zufälligen Begegnung nach der anderen, Fremde, die einander zu Tausenden über den Weg laufen, manchmal aufeinander Einfluss nehmen, wenn auch gewöhnlich auf völlig unerhebliche Weise.“ (S. 256) – Ja unerhebliche Weise, das trifft es leider. Diese teils unerhebliche Weise wird aber teils sehr brutal und in Gossensprache beschrieben, was auch erklärt, warum dieses Buch im Heyne- Hardcore Verlag erschienen ist.
Laut Verlag "Seit Herbst 2005 eine neue Buchreihe mit Aufsehen erregenden Titeln aus den Bereichen Spannung, Erotik und Undergroundliteratur. Jedes Buch stellt etwas Besonderes dar, keine Genre-Einheitsware, sondern Bücher, die aufgrund ihrer Thematik, des Buchtyps oder der herausragenden schriftstellerischen Qualität von sich Reden machen."

Fazit: Definitiv kein Thriller und auch kein Krimi. Eher eine teils sehr brutale Sozialstudie aus 9 Blickwinkeln, die sich streckenweise extrem durch Belanglosigkeiten quält.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 20.01.2011
Die Stadt der verschwundenen Kinder / Gaia Stone Trilogie Bd.1
O'Brien, Caragh M.

Die Stadt der verschwundenen Kinder / Gaia Stone Trilogie Bd.1


ausgezeichnet

Gaia ist erst sechzehn Jahre alt, jedoch zusammen mit ihrer Mutter eine der wichtigsten und angesehensten Personen ihrer Gemeinschaft: Sie ist Hebamme oder zumindest die Assistentin einer Hebamme. Als Gaias Eltern unerwartet verhaftet werden, muss sie schlagartig die Rolle ihrer Mutter übernehmen und die ist hart. Jeden Monat muss Gaja die ersten drei neugeborenen Kinder an der Mauer zur Stadt abgeben. Fluch und Segen zugleich, denn in der Stadt, der sogenannten Enklave, geht es den Kindern materiell gesehen deutlich besser als in Wharfton vor den Toren der Stadt, wo die Menschen ohne fließend Wasser und ohne technische Hilfsmittel mehr schlecht als recht um ihr Überleben kämpfen, zumindest dachte das Gaja immer. Als sie sich in die Stadt schleicht, um ihre Eltern zu befreien, muss sie erkennen, dass die Welt hinter der Mauer grausam und verführerisch zugleich ist.

Eine Konstellation, die einem aus der Realität mehr als bekannt vorkommt. Eine reiche Stadt, eine Stadt voller materieller Güter, voller Reichtum und Sinnesfreuden, abgeschottet von den Armen vor ihrer Mauer, die jedoch reich sind an dem was der Stadt fehlt: Kinder. Eine Parabel auf eine aktuelle Situation in den Industriestaaten, in denen die Menschen alles haben, aber keine Kinder mehr bekommen können oder wollen und sich ihre Kinder aus Drittweltstaaten adoptieren ohne einen Gedanken an die Gefühle der Eltern zu verschwenden, die diese Kinder geboren haben. Das gepaart mit Anklängen an Euthanasie und Genetische Auswahl zur Optimierung und Erhaltung der Spezies ist harter Tobak für ein Kinder – und Jugendbuch.
Obwohl die Themen sehr sozialkritisch sind die angesprochen werden, sind diese jedoch so kindgerecht aufgearbeitet, dass sie sich nicht aufdrängen, sondern eher zwischen den Zeilen anklingen. Die Autorin lässt den Leser diese geheimnisvolle Stadt mit Gajas Augen erforschen. Sie ist so ahnungslos wie der Leser und gemeinsam mit ihr macht der Leser erste Schritte in dieser fremden Welt, erforscht mit Gaja wie die Stadt funktioniert und welche Ziele verfolgt werden.
Diese Art des Erzählens und der doch sehr kritischen Themen erinnert stark an die Kinderbücher aus den frühen 80er Jahren von John Christopher, wie „Die Wächter“ oder „Leere Welt“. Man wird in die Handlung hineingezogen, und man kann das Buch nicht zur Seite legen, über das ganze Buch wird ein kontinuierlicher Spannungsbogen gehalten. Die Geschichte ist nicht so seicht wie viele der modernen Kinderbücher, sondern schlägt wie Battle Royale oder Panem einen härteren Ton an, wie er vor 20 Jahren durchaus üblich war.
Dennoch fehlt auch hier die Romantik nicht, aber sie ist nicht Selbstzweck sondern ein dezenter, realistischer und wichtiger Teil der Geschichte.
Schade jedoch ist, dass die Autorin zwar grundlegende Ahnung von Genetik hat und diese auch mit Löffeln halbwegs Kindgerecht zu erklären vermag, die Idee eines Gens, das gegen Hämophilie wirkt jedoch ist absurd, besonders im geschilderten Beispiel. Das lässt sich aber soweit verschmerzen, wenn auch bedauerlich.
Irritieren ist auch, dass das Cover binnen nicht einmal eines Jahres für zwei unterschiedliche Bücher verwendet wurde (Glimmerglass), sind die Grafiker ausgestorben?
Auch was den deutschen Titel angeht bin ich verwundert. Wie konnte aus Birthmarked – Die Stadt der verschwundenen Kinder werden. Hier hat der Titel nichts mit dem Inhalt zu tun.
Ein Lob muss man diesmal dem Übersetzer aussprechen. Oliver Plaschka, selber Autor, hat hier wirklich sehr gute Arbeit geleistet.

Fazit: gelungener Auftakt einer vielversprechenden Reihe. Nicht platt und belanglos wie viele der heutigen Jugendbücher, sonder zwischen den Zeilen sehr sozialkritisch. Die Handlung ist teils vorhersehbar, teils jedoch selbst für den erwachsenen Leser überraschend. Noch ist schwer zu sagen ob es eine Trilogie wird oder mehr Bände, darüber konnte ich nichts finden. Dieses Buch ist jedoch nicht in sich abgeschlossen.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.