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Havers
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Insgesamt 1378 Bewertungen
Bewertung vom 29.05.2018
Blutschatten / Sunday Night Bd.1
Reichs, Kathy

Blutschatten / Sunday Night Bd.1


weniger gut

Nun ja, Kathy Reichs ist forensische Anthropologin. Als solche konnte sie ihren Lesern in der Tempe Brennan-Reihe Interessantes dieser Wissenschaft vermitteln (wobei ich die "Bones" Verfilmung wesentlich spannender fand). Schon dort waren die forensischen Fakten interessanter als die Stories.

Nun scheint ihr nichts Neues zu Brennan einzufallen, und so dürfen wir in "Blutschatten" mit Sunday Night Bekanntschaft machen, einer Ex-Polizistin und Ex-Militärangehörigen, dann auch noch Waise mit einem dicken Batzen persönlicher Probleme - sorry, das ist einfach viel zu viel an seelischem Ballast, das Frau Reichs ihrer Protagonistin und dem Leser zumutet. Tja, und Ahnung von einem Leben als Superwoman und Kampfmaschine hat die Autorin offenbar auch nicht - wie auch, denn das gehört in den Bereich der Comics.

Vorhersehbar, unglaubwürdig, überzogen und langatmig - hier kann ich leider keine Empfehlung aussprechen!

Bewertung vom 29.05.2018
Blut Salz Wasser
Mina, Denise

Blut Salz Wasser


ausgezeichnet

Eine Frau verschwindet spurlos mit einem riesigen Batzen Geld, generiert durch zwielichtige Geschäfte. Eine andere kommt nach vielen Jahren Abwesenheit zurück in ihre Heimatstadt. Eine dritte wird am Ufer des Loch Lomond erschlagen in diesem versenkt. Und dann ist da noch DI Alex Morrow, die es auf ihrer Suche nach dem verschwundenen Geld nach Helensburgh verschlägt.

Helensburgh, idyllische Kleinstadt der Reichen und Schönen im Glasgower Speckgürtel, gespalten in zweierlei Hinsicht. Zum einen steht das Unabhängigkeitsreferendum ins Haus, was für eine angespannte Atmosphäre unter der Bevölkerung sorgt, zum anderen gibt es hier neben den properen Wohngegenden mit Bio-Restaurants und Charity-Shops auch die schäbigen Sozialwohnungen, in denen die weniger vom Glück Begünstigten leben. Solche wie Ian Fraser, die sich auf krumme Geschäfte einlassen, in Auftrag gegeben von dem Boss mit weißem Kragen und schicker Villa.

Dreh- und Angelpunkt in „Blut Salz Wasser“ (fünfter Band der Reihe mit DI Morrow) sind die verschwundenen sieben Millionen Drogengeld, die Roxanna Fuentecilla durch Immobilienkäufe waschen sollte. Zu dumm, dass dieser Markt bis zum Ergebnis des Referendums brachliegt. Aber um Roxanne geht es nur Alex Morrow. Alle anderen, inklusive der schottischen Polizeispitze und der Londoner Met, sind nur an der Wiederbeschaffung des Geldes interessiert, um damit ihren notorisch klammen Etat zu erhöhen.

Alles ist mit allem verbunden in Denise Minas komplexen Roman, der weit mehr als ein Krimi ist. „Blut Salz Wasser“ ist eine Bestandsaufnahme der schottischen Gesellschaft. Verschiedene Handlungsstränge, virtuos geplottet und gekonnt verknüpft. Mina erzählt nicht reißerisch sondern bildet Realität ab und vermittelt dem Leser so über Individuelles die Zusammenhänge des großen Ganzen. Das alles mit einer Prise humorvoller Ironie und jeder Menge Empathie für die Menschen.

Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen, man fühlt mit den kleinen Ganoven und hofft für sie auf einen guten Ausgang. Gleichzeitig weiß man, dass im richtigen Leben nicht immer alles gut ausgeht und es die Hintermänner sind, die in der Regel ungeschoren davonkommen.

„Queen of Tartan Noir“, diesen Titel hat sich Denise Mina redlich verdient – und „Blut Salz Wasser“ ist ohne Frage eines der diesjährigen Highlights des Genres. Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Punkt.

Bewertung vom 09.05.2018
Libellenschwestern
Wingate, Lisa

Libellenschwestern


sehr gut

Vordergründig geht es um ein Familiengeheimnis, das per Zufall ans Licht kommt. Aber man braucht gar nicht so genau hinzuschauen, um festzustellen, dass dieser Roman dann wesentlich mehr zu bieten hat. Die Autorin hat reale Ereignisse, die sich so oder so ähnlich Mitte des letzten Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten ereignet haben, als Vorlage genommen und um diese herum eine Geschichte ersonnen, deren Ausgangspunkt im „tiefen Süden“ der USA zu finden ist.

Der von Wingate beschriebene historische Hintergrund entspricht den Tatsachen, die Geschichte von Rill Foss und Avery Stafford ist fiktiv. Die Autorin nutzt zwei verschiedene Zeitebenen sowie diese beiden Protagonistinnen, um die schockierenden Ereignisse rund um die Machenschaften der Tennessee Children’s Home Society und ihrer Repräsentantin Georgia Tann zu schildern, die unter dem Deckmantel eines Waisenhauses ein zutiefst menschenverachtendes System des Kinderhandels entwickelte. Durch stattliche Schmiergeldzahlungen an die Vertreter der staatlichen Organe (Polizei und Behörden) konnte sie sich zum einen deren Unterstützung sichern, zum anderen aber auch sicher sein, dass gegen sie nichts unternommen würde, zumal auch zahlreiche Prominente zu ihren „Kunden“ zählten.

Die Gegenwart wird repräsentiert durch Avery Stafford, Tochter eines Senators, die ihren Vater im Wahlkampf unterstützt und mit ihm ein Altenheim besucht. Über ihr Libellenarmband, ein Familienerbstück, kommt sie mit einer alten Dame ins Gespräch, die scheinbar in einem früheren Leben eine Verbindung zu Averys inzwischen an Alzheimer erkrankten Großmutter Judy hatte. Das Wie, Wann und Warum erschließt sich erst allmählich, dafür aber umso schockierender. Die Erlebnisse der zwölfjährigen Rill Foss schließlich liefern mit dem zweiten Handlungsstrang (beginnend 1939) die Erklärungen, die Avery Stafford sucht, damit sie ihre Familiengeschichte verstehen und ihre Wurzeln finden kann.

Wingate hält, was sie verspricht. Sie schreibt engagiert und emotional, was sich bei dieser Thematik auch nicht vermeiden lässt. Dennoch wirkt ihre Erzählweise nicht kitschig plump und auf Effekte aus, im Gegenteil. Oft genügen ihr Andeutungen, um Situationen und Geschehnisse dennoch eindringlich zu schildern. „Libellenschwestern“ erzählt eine Geschichte, die betroffen macht, gerade weil klar ist, dass sie auf Tatsachen beruht. Dazu kommt, dass die Betroffenen, seien es nun die unter zweifelhaften Umständen vermittelten Kinder oder deren leibliche Eltern, bis weit in die neunziger Jahre hingehalten wurden, bevor ihnen Auskunft über Herkunft bzw. Verbleib gewährt wurde. Ein Versagen des Systems auf breiter Linie!

Bewertung vom 07.05.2018
Wer's findet, dem gehört's
Sedaris, David

Wer's findet, dem gehört's


sehr gut

Es ist kein gerader Weg, der den amerikanischen Autor dorthin geführt und zu dem gemacht hat, der er heute ist. Viele Jobs der unterschiedlichsten Art, viele Stationen auf seinem Lebensweg waren nötig, um dorthin zu bringen, wo er heute steht. Und immer wieder hat er über die Jahre diese verschlungenen Wege, seine Erlebnisse und Empfindungen in Aufzeichnungen reflektiert, an denen seine Leser in „Wer’s findet, dem gehört’s“ Anteil nehmen können.

Tagebuch schreibt Sedaris seit über vierzig Jahren, es gibt also ein riesiges Reservoir, aus dem er schöpfen kann. Bereits der Untertitel „Meine Tagebücher und ich“ lässt vermuten, dass uns hier nicht chronologisch die in Tagebüchern üblichen Beschreibungen der täglichen Petitessen eines Autors erwarten, wobei diese aber durchaus auch Erwähnung finden. Sedaris betreibt keine selbstverliebte Nabelschau, wie sie so oft in persönlichen Aufzeichnungen zu finden ist, noch suhlt er sich in seinen unglücklichen Momenten. Nein, er lenkt den Blick des Lesers nach außen und findet, wie man es bereits aus seinen früheren Veröffentlichungen kennt, selbst im banalen Alltäglichen eine absurde Komponente. Er teilt mit uns seine Sicht auf die Welt, und dass er ein exzellenter Beobachter ist, wird schon nach wenigen Seiten klar.

Sedaris erzählt von seinem persönlichen Umfeld, aber auch von den verschiedenen Stationen seines Werdegangs als Autor. Er zeigt uns seinen Blick auf die Welt, schildert Beobachtungen des Alltäglichen. Und bereits mit dem, was ihm erwähnenswert scheint, gewährt er dem Leser Einblicke in das, was ihn als Person ausmacht. Seine Schilderungen sind sachlich, nie wertend, oft minimalistisch und bizarr, aber/und gerade deshalb mit dem ihm eigenen Humor gespickt.

Wer Sedaris und seine ungewöhnliche Sicht auf den Alltag und das Leben schätzt, wird mit „Wer’s findet, dem gehört’s“ bestens bedient und unterhalten. Ein empfehlenswertes Buch, das man immer wieder zur Hand nehmen kann!

Bewertung vom 02.05.2018
Die Geschichte des Wassers / Klima Quartett Bd.2
Lunde, Maja

Die Geschichte des Wassers / Klima Quartett Bd.2


weniger gut

Umweltthemen liegen der norwegischen Autorin Maja Lunde am Herzen, die mit „Die Geschichte der Bienen“ im vergangenen Jahr einen Überraschungserfolg landete. Das Buch ist übrigens noch immer im oberen Drittel der Bestsellerlisten zu finden, hat aber mittlerweile Gesellschaft von Lundes neuestem Roman „Die Geschichte des Wassers“ bekommen. Insgesamt ist nach Aussage der Autorin ein Klima-Quartett geplant, es darf also spekuliert werden, um welche beiden anderen Themen sie in den noch ausstehenden Romanen die Handlung aufbaut.

Wie bereits in dem Vorgänger arbeitet Lunde auch in „Die Geschichte des Wassers“ mit verschiedenen Zeitebenen, der Gegenwart und der Zukunft. Im Hier und Jetzt wird der Grundstock für Probleme gelegt, die in gar nicht so langer Zeit zu Umweltkatastrophen führen werden.

2017 macht sich Signe, eine fast siebzigjährige Umweltaktivistin, mit ihrem Segelboot auf die Reise nach Südfrankreich auf, um ihrem Jugendfreund sein Verbrechen an den norwegischen Gletschern vor Augen zu führen. Das Boot ist das verbindende Element zwischen den Zeiten, denn 2041 finden David und seine kleine Tochter Lou per Zufall dieses Boot in der Nähe des französischen Flüchtlingscamps, in dem sie nach einer beschwerlichen Reise untergekommen sind. Ganz Mittel- und Südeuropa hat sich mittlerweile in eine Wüstenlandschaft verwandelt, Wasser ist das kostbarste und äußerst knappe Gut. Lediglich im Norden gibt es noch Gegenden mit ausreichenden Wasserreserven, weshalb jeder Überlebende die Strapazen einer langen Wanderschaft auf sich nimmt, um dorthin zu gelangen…

So weit, so gut – oder aber, wie in diesem Fall, nicht wirklich gut gelungen. Lunde schreibt zwar sehr locker, gut lesbar, aber dermaßen penetrant mit erhobenem Zeigefinger, dass man bereits nach einem Drittel die Lust an der Geschichte verliert. Bereits zu diesem Zeitpunkt ist die Luft aus der Story raus, zumal auch die Protagonisten dermaßen hölzern und platt charakterisiert sind, dass den Leser deren Schicksal zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Weise berührt.

Zu viele Klischees dominieren diesen oberflächlichen Roman, und als ob das noch nicht genug wäre, verwurstet die Autorin allseits bekannte Sachverhalte in einer kitschigen Dystopie. Die erhofften Denkanstöße sucht und findet man in „Die Geschichte des Wassers“ leider nicht. Maja Lunde mag die Thematik zwar am Herzen liegen, aber die Umsetzung ist unglücklicherweise nicht gelungen. Herausgekommen ist reine Betroffenheitsprosa, die dem Vergleich mit dem Vorgänger zu keinem Zeitpunkt standhält. Chance vertan, Thema verfehlt.

1 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.04.2018
The Woman in the Window - Was hat sie wirklich gesehen? (eBook, ePUB)
Finn, A. J.

The Woman in the Window - Was hat sie wirklich gesehen? (eBook, ePUB)


gut

A.. J. Finn (Pseudonym) war viele Jahre im Verlagswesen tätig, bevor er mit „The woman in the window“ seinen ersten Roman veröffentlichte. Inspiriert dazu hat ihn zum einen der Erfolg von Paula Hawkins „Girl on the Train“, wie er in einem Interview mit der englischen Zeitschrift „The Guardian“ erzählte, zum anderen aber wohl auch seine eigene psychische Erkrankung.

Anna Fox ist diejenige welche, um die sich alles dreht. Oder aber auch doch nicht, denn ihr Leben spielt sich ausschließlich in ihrem Haus in Harlem ab. Das wirkliche Leben, an dem sie seit einem traumatischen Ereignis keinen Anteil mehr nimmt, findet außerhalb ihrer eigenen vier Wände ab. Sie leidet an einer schweren Angststörung, die sie mit vielen Pillen und noch mehr Rotwein bekämpft. Besuch bekommt sie nur selten und nach draußen traut sie sich nicht, ist aber durchaus an allem interessiert, was um sie herum so passiert, denn neben dem Blick durchs Fenster besteht ihr Leben lediglich aus diversen Online-Aktivitäten, Telefonaten mit Mann und Tochter und ihrer stattlichen DVD-Sammlung. Als gegenüber eine Familie einzieht, die den Kontakt zu ihr sucht, scheint es, als ob Annas Leben eine positive Wende nehmen würde. Bis das Schreckliche geschieht und sie sich fragen muss, ob sie sich das, was sie zu sehen geglaubte, nicht doch bloß eingebildet hat…

Sie merken etwas? Ja, „Girl on the Train“ lässt grüßen, aber auch „Woman in Cabin 10“ – beides Psychothriller, deren Zielgruppe Leserinnen sind und die mit der Ungewissheit der Protagonistin spielen. Einer Protagonistin, die sich nicht sicher sein kann, ob sich ihre Eindrücke und Empfindungen aus der Realität speisen, oder doch nur Hirngespinste sind. Finn überspannt meiner Meinung nach den Bogen. Zwar beschreibt er die Einsamkeit und die Verletzungen seiner Hauptfigur in diesem großen leeren Haus wirklich gut, verspielt bei mir aber diesen Kredit durch die Tatsache, dass er sie als Tabletten und Alkohol abhängiges Wrack präsentiert. Mir kam die Wandlung hin zu deren Aktivität zu spät, denn zu diesem Zeitpunkt war ich schon so genervt von Anna, dass es mir relativ einerlei war, ob ihre Beobachtungen real waren oder nicht. Interessante Ansätze, aber konnte mich dennoch nicht überzeugen.

Bewertung vom 11.04.2018
Weißes Leuchten / Dave Robicheaux Bd.5
Burke, James Lee

Weißes Leuchten / Dave Robicheaux Bd.5


ausgezeichnet

„Weißes Leuchten“, Nr. 5 im Robicheaux-Universum, 1992 im Original unter dem Titel „A stained white radiance“ veröffentlicht, 1994 erstmals in deutscher Übersetzung. Nun also die längst fällige Neuauflage, dem Pendragon Verlag sei Dank.

Südstaaten. Louisiana. New Iberia. Das Kaff in den Sümpfen - wie immer. Im Zentrum der Handlung stehen die Sonniers, Vertreter der typischen Südstaatenclans, die ihr Vermögen mit dem schwarzen Gold gemacht haben. Aber auch Öl-Magnaten können in eine finanzielle Schieflage geraten. Nur dumm, wenn man sich das Geld dann aus zweifelhaften Quellen beschafft. New Iberia mag zwar am Ar… der Welt liegen, aber genau das ist für besagte kriminelle Elemente ein immenser Vorteil, denn so können sie ungestört ihren krummen Geschäften nachgehen. Als Weldon Sonnier knapp einem Mordanschlag entgeht, werden Dave Robicheaux die Ermittlungen übertragen. Für ihn ist das jedoch kein Fall wie jeder andere, da er mit den Sonniers in der Vergangenheit auf die eine oder andere Art verbandelt war. Und es scheint, dass neben Mafia und Neonazis auch noch ein längst vergessenes Gespenst aus alter Zeit die Finger mit im Spiel hat.

Auch in diesem fünften Band der Reihe ist wieder alles vorhanden, was die Robicheaux-Romane James Lee Burkes auszeichnet. Ruhige, fast schon poetisch erzählte Passagen wechseln sich mit knallharten, ohne Beschönigung beschriebenen Gewaltexzessen ab. Dazu dann die atmosphärischen Beschreibungen der Sumpflandschaften, die detaillierten Charakterisierungen der Personen, ihrer Lebensumstände, der Beziehungen zueinander sowie die entsprechenden Milieuschilderungen – bei Burke passt das immer, ganz gleich, ob Hauptfiguren, Drogenbosse, Mafia-Killer, rechte Rattenfänger oder „White trash“. Genau die richtige Mischung für Leser, die zwar die härtere Gangart bevorzugen, dabei aber dennoch Wert auf schriftstellerische Qualität legen. Dazu eine sauber geplottete Story, in die einmal mehr Informationen aus der Vergangenheit Robicheauxs eingebettet sind, die nach und nach (wenigsten näherungsweise) zur allmählichen Komplettierung seines „Profils“ beitragen.

In Kürze erscheint übrigens „Im Schatten der Mangroven“ (bei Pendragon), der sechste Band der Reihe. Ich freue mich schon darauf!

Bewertung vom 04.04.2018
Der große Plan / Georg Dengler Bd.9
Schorlau, Wolfgang

Der große Plan / Georg Dengler Bd.9


ausgezeichnet

Ich mag die mittlerweile auf neun Bände angewachsene Dengler-Reihe. Warum? Die Beantwortung dieser Frage fällt leicht: die Inhalte sind spannend, politisch und immer wieder höchst informativ. Wolfgang Schorlau recherchiert akribisch, interpretiert fast bis zur Absurdität, nur um dann festzustellen, dass die Realität tatsächlich jede Fantasie übertrifft.

In „Der große Plan“ scheint sich für Georg Dengler, den ewig klammen Stuttgarter Privatermittler mit BKA-Vergangenheit, ein Geldregen anzukündigen. Zumindest lässt dies sein neuer Auftraggeber vermuten: in Diensten des Auswärtigen Amtes soll er Anna Hartmann, eine ihrer Mitarbeiterinnen ausfindig machen, die vermutlich in Berlin auf offener Straße entführt wurde. Das pikante an dieser Geschichte ist der Umstand, dass Hartmann für die Troika arbeitet, die mit harter Hand das angebliche Rettungspaket in und für Griechenland durchsetzen will. Liegt hier der Grund für ihr Verschwinden?

Zwei Ebenen bestimmen die Handlung dieses Politthrillers. Zum einen geht es um die von deutschen Soldaten verübten Gräueltaten in Griechenland während des Zweiten Weltkriegs und die Art und Weise, wie sich Deutschland bis heute um Reparationszahlungen drückt. Zum anderen geht es um die aktuelle Krise und hier insbesondere um die Frage, wer schlussendlich von den Milliardenzahlungen der Europäer profitiert hat. Das griechische Volk war es nämlich definitiv nicht.

Und hier legt Schorlau in bewährter Manier den Finger auf die Wunde und beschert mit Sicherheit dem einen oder anderen Leser, der seine Informationen zur Tagespolitik aus den üblichen Quellen bezieht, mit dem Ergebnis seiner akribischen Recherche ein Aha-Erlebnis: Steuergelder, die in den gierigen Rachen der diversen Geldinstitute, der EZB, der diversen Währungsfonds und institutionellen Anleger verschwinden, die sich mit griechischen Anleihen verzockt haben. Die Austeritätspolitik , die den „faulen, unzuverlässigen und über ihre Verhältnisse lebenden Griechen“ Lebensumstände beschert, die sich mittlerweile einem Dritte-Welt-Niveau annähern.

„Der große Plan“ ist nicht nur ein spannender Kriminalroman sondern auch ein hochaktuelles politisches, ein wichtiges Buch, das den aufgeschlossenen Leser aufgrund der tiefgehenden Recherchearbeit des Autors mit jeder Menge Fakten abseits der üblichen Berichterstattung versorgt. Diverse Quellen und Literaturhinweise sind wie immer auf der Homepage Schorlaus zu finden. Nachdrückliche Leseempfehlung!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.03.2018
Forderung
Grisham, John

Forderung


ausgezeichnet

Mit „Forderung“, so der Titel des neuen Romans von John Grisham, legt der Autor und ehemalige Rechtsanwalt einmal mehr den Finger in eine Wunde des amerikanischen Rechts- und Bildungssystems. Diesmal widmet er sich den profitorientierten „Private Law Schools“ (auf deutsche Verhältnisse übertragen wären das sich selbst finanzierende Privatunis, an denen man ausschließlich Jura studieren kann).

In den Vereinigten Staaten ist der Anwaltsberuf für viele College-Absolventen erstrebenswert, winkt hier doch das große Geld durch Schadensersatzprozesse und Sammelklagen. Da aber die Aufnahmetests an den renommierten Universitäten hohe Anforderungen an die Kandidaten stellen und die Durchfallquoten hoch sind, weichen viele Studenten auf private Institute aus, deren Gebühren allerdings horrend sind, sodass am Ende des Studiums ein Schuldenberg in sechsstelliger auf die Berufsanfänger wartet. Aber um diesen abzutragen, muss zuerst einmal die Anwaltsprüfung bestanden und eine ordentlich bezahlte Stelle gefunden werden. Und diese sind äußerst rar.

Mark, Todd und Zola sind mit ihrem Studium an der „Foggy Bottom Law School“ genau in diese Falle getappt. Aufgeschreckt durch die akribischen Nachforschungen ihres Freundes Gordy (der wenig später Selbstmord verübt), entwickeln sie eine alternative Lösung für ihr Problem, nämlich das Praktizieren ohne Zulassung. Dass sie damit eine Straftat begehen, ist ihnen zwar bewusst, aber sie vertrauen darauf, dass sie nicht erwischt werden. Das Geschäft läuft, vor allem, als sie sich (im Namen ihrer fiktiven 1000 Mandanten) einer Sammelklage gegen ein betrügerisches Geldinstitut anschließen, an dem der Foggy Bottom Eigner auch beteiligt ist. Doch schlussendlich kommt alles ganz anders als geplant.

Wie so oft in John Grishams Romanen kämpft auch in „Forderung“ David gegen Goliath. Als Leser hofft man natürlich inständig, dass die drei Hochstapler möglichst ungeschoren davonkommen und dem arroganten, geschäftstüchtigen und schmierigen Eigner ein für alle Mal das Handwerk gelegt wird. Und genau diese Empfindungen sind dafür verantwortlich, dass man nach Möglichkeit das Buch in einem Rutsch lesen möchte.

„Forderung“ präsentiert sich spannend und unterhaltsam, aber wie von Grisham gewohnt, gibt es auch noch den einen oder anderen Seitenhieb gegen die realpolitischen Zustände in den Vereinigten Staaten. Das geht von launischen Bemerkungen zum allgegenwärtigen Lobbyismus, bis hin zu der detaillierten Beschreibung des Procedere bei der Abschiebung von Illegalen. Aber auch die Zustände in den Abschiebegefängnissen sind ein Thema und natürlich auch die damit zusammenhängende Aussage, dass auch diese ein lukratives Geschäft sind, weil sie privatisiert wurden. Je mehr Insassen, desto größer der Profit. Beschämend!

Mich hat der Roman nicht enttäuscht – im Gegenteil! Verglichen mit dem einen oder anderen Vorgänger, gehört „Forderung“ meiner Meinung nach definitiv zu den besten Büchern des Autors.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 23.03.2018
Der Zopf
Colombani, Laëtitia

Der Zopf


sehr gut

Laetitia Colombani erzählt in „Der Zopf“ die Geschichte dreier Frauen, die sich nicht abfinden mit dem, was das Leben für sie bereithält. Drei verschiedene Kontinente, drei ganz unterschiedliche Ausgangsbedingungen, zusammengehalten von dem Wunsch, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen und Veränderungen herbeizuführen.

Indien: Smita, die Unberührbare, eine Kotsammlerin, möchte ihre kleine Tochter vor dem Schicksal bewahren, ein Leben auf der untersten Stufe dieser Kastengesellschaft zu fristen. Ihr Mann ist zufrieden mit dem, was er hat und sträubt sich vehement gegen ihren Wunsch nach Veränderung. Wissend, dass ihre Pläne riskant sind, fasst sie sich schließlich ein Herz und verlässt mit ihrer Tochter in einer Nacht und Nebel Aktion ihr Dorf und macht sich auf den Weg in eine ungewisse Zukunft. Doch so ganz kann sie sich von den überkommenen Traditionen nicht lösen, und so bittet sie auf ihrem Weg in die Metropole in einem Bergkloster die Götter um Hilfe. Doch auch hier ist nichts umsonst, man muss dort einen Obolus entrichten. Was tun, wenn man kein Geld hat? Sie opfern ihre wunderschönen Haare, die wiederum von den geschäftstüchtigen Mönchen an Händler verkauft werden.

Sizilien: Giulia hat ihren Vater verloren, einen herzensguten Menschen, aber lausigen Geschäftsmann, der vor seinem Tode versäumt hat, die Weichen des Familienbetriebs in die richtige Richtung zu stellen. Die Familie besitzt eine Perückenmacherei, der aber mittlerweile mangels Angebot der Nachschub auszugehen droht. Ein guter Freund erzählt ihr von der Möglichkeit, Haare aus Asien zu importieren. Gegen alle familiären Widerstände ergreift sie diese Möglichkeit und setzt ihren Kopf durch. So rettet sie das sizilianische Traditionsunternehmen und erfüllt das Vermächtnis ihres Vaters.

Kanada: Sarah ist Anwältin. Gerade dann, als sie vor dem größten Sprung ihrer Karriere steht, erkrankt sie an Krebs. Ihr Körper rebelliert, es scheint, als würde sie die Kontrolle über ihr Leben verlieren. Die Behandlung laugt sie aus, nimmt ihr den Lebensmut und stürzt sie in eine tiefe Krise. Eine Erinnerung konfrontiert sie mit ihrer eigenen Stärke und führt sie schließlich zurück ins Leben. Und der erste Schritt auf dem neuen Weg, ist der Besuch in einem Laden, der Perücken verkauft. Sie entscheidet sich für ein Modell aus wunderbar geknüpftem Echthaar, nicht wissend, welche Schicksale damit verbunden sind.

Smitas Zopf dient als Katalysator, der es drei Frauen ermöglicht, eigenverantwortlich ihr Leben in die Hand zu nehmen. Von daher ist es auch eine Geschichte der Emanzipation, was ganz besonders in der Beschreibung der von Männern dominierten indischen Gesellschaft zum Ausdruck kommt. Hier brilliert die Autorin. Die beiden nachfolgenden Abschnitte, Sizilien und Kanada, hingegen sind lange nicht so eindrucksvoll, sondern plätschern eher vor sich hin. Das mag aber auch daran liegen, dass uns diese Leben vertrauter sind, weniger schockieren. Smita stellt mit ihrer Entscheidung die Gesellschaftsordnung in Frage, Giulia widmet ihre Energie überwiegend wirtschaftlichen Interessen und für Sarah steht lediglich ihr individuelles Wohlergehen im Mittelpunkt.

Colombanis Roman ist ein Buch für Frauen, das auf unaufdringliche Art und Weise Denkanstöße gibt.

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