Benutzer
Benutzername: 
Raumzeitreisender
Wohnort: 
Ahaus
Über mich: 
Buchwurm, der sich durch den multidimensionalen Wissenschafts- und Literaturkosmos frisst

Bewertungen

Insgesamt 790 Bewertungen
Bewertung vom 11.07.2016
Spitzer, Manfred

Cyberkrank!


ausgezeichnet

Schöne neue (digitale) Welt

Gehirnforscher Manfred Spitzer beschäftigt sich seit Jahren mit dem Einfluss der Medien auf unsere Gesundheit. Er hat zu diesem Thema mehrere Bücher veröffentlicht, die in unserer Gesellschaft kontrovers diskutiert werden. Auf diese Diskussionen bezieht er sich im Vorwort des Buches und lässt keinen Zweifel an seiner Position aufkommen. "Wir dürfen weder die Köpfe noch die Gesundheit unserer Kinder dem Markt überlassen!" (15)

Warum gibt es Zivilisationskrankheiten? Spitzer zeichnet kurz die Entwicklung der Zivilisation nach und erläutert die Schattenseiten des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts. Die Ursachen für moderne Krankheiten liegen u.a. in der Ernährung und im Bewegungsmangel begründet. Das menschliche Belohnungssystem im Gehirn, über Jahrmillionen bei knappen Ressourcen bewährt, führt in einer Überflussgesellschaft zu Suchterscheinungen. Spitzer erläutert prägnant, warum das so ist.

Während die Essgewohnheiten seit Jahren kritisch reflektiert werden, ist das bei der digitalen Informationstechnik anders. PCs befinden sich in jedem Haushalt und fast jeder nutzt Smartphones für private und dienstliche Aufgaben. Oft werden mehrere Dinge gleichzeitig erledigt, dabei ist der Mensch nicht geeignet für Multitasking. Die ständige Nutzung von Smartphones in Gesprächen, bei Vorlesungen und in der Büroarbeit führt zur Unaufmerksamkeit und kann krank machen.

Unter dem Begriff Cyberstress subsumiert der Autor Symptome wie "Smartphone-Stress", "Stress mit Facebook", "Cybermobbing", "Cyberstalking" und "Cyberangst". Bestimmte Begriffe wie "Nomophobie" müssen erfunden werden, um Ängste der Moderne treffend kategorisieren zu können. Spitzer verurteilt nicht die moderne Informationstechnik an sich, es geht um Auswüchse in der Nutzung. Es gilt, ähnlich wie in der Medizin, "Die Dosis macht das Gift". (192)

Bei Kleinkindern gelten hinsichtlich der Dosis andere Maßstäbe als bei Jugendlichen und Erwachsenen. "Setzt man Kinder ... vor den Bildschirm, bleiben sie in ihrer Sprachentwicklung zurück." (210) Dagegen wirkt sich das von vielen Eltern praktizierte dialogische Lesen analoger Bücher positiv auf die Sprachentwicklung aus. Spitzer beschreibt, wie sich das Gehirn in den ersten Lebensjahren entwickelt und welche negativen Auswirkungen der frühe Umgang mit digitalen Medien haben kann.

Digitale Medien können depressiv und einsam machen, aber nicht nur das. "Denn nachweislich leiden Jugendliche unter zunehmendem Empathieverlust, je mehr Zeit sie vor dem Bildschirm verbringen." (307) Spitzer differenziert und unterstreicht, dass eine moderate Nutzung der Technik sehr wohl positive Auswirkungen hat. Aber eine intensive Nutzung des Smartphones ist wie stundenlanges Fernsehen oder Computerspielen und macht krank. (313)

"Was tun?", leitet Spitzer das letzte Kapitel ein mit dem Ziel, Gegenmaßnahmen vorzuschlagen. Hierzu gehören u.a. Aufklärung über Fehlverhalten, Einschränkung der Nutzung, Selbstkontrolle, Verbote, Alternativen aufzeigen und Erlebnisse in der realen Welt schmackhaft machen. An den Ausführungen wird deutlich, wie hilflos die Gesellschaft derzeit dem Problem Cybersucht gegenübersteht. Die Auflistung der Argumente und Gegenargumente (344 – 346) ist hilfreich, erreicht die Menschen aber eher rational als emotional.

Manfred Spitzer greift ein wichtiges Problem auf, belegt seine Thesen mit wissenschaftlichen Studien, beschreibt die Auswirkungen eines unkontrollierten Umgangs mit digitalen Medien und zeigt Lösungswege auf. Er ist Experte in Sachen Gehirnforschung und seine Analysen überzeugen, jedoch mangelt es an wirksamen Rezepten, wie im großen Stil gegengesteuert werden kann. Letztlich sind Umkehrprozesse erforderlich, die über viele Jahre laufen werden, wie Spitzer auch anhand der gesellschaftlichen Einstellung zum Rauchen und dem Umgang mit Asbest deutlich macht.

Bewertung vom 11.07.2016
Olafsson, Bragi

Die Haustiere


gut

Eine nicht alltägliche Geschichte

Wie selbstbestimmt leben wir? Diese Frage hat Bragi Ólafsson auf humorvolle und tiefgründige Weise in seinem Roman „Die Haustiere“ aufgearbeitet. Der Roman, auf der Handlungsebene locker und leicht verständlich geschrieben, steckt voller Symboliken und Andeutungen. Worum geht es?

Der Isländer Emil Halldórsson kommt von einer Einkaufsreise aus London zurück. Sein Nachbar warnt ihn vor einem finsteren Burschen, der ihn zwischenzeitlich aufgesucht hat. Der Fremde ist Hávardur Knútsson, ein Bekannter von Emil, mit dem er in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen gemacht hat. Als der kriminell-psychopathisch veranlagte Hávardur Emils Wohnung erneut aufsucht, ist dieser zwar zu Hause, gibt sich aber nicht zu erkennen. Hávardur steigt durch das offene Küchenfenster ein und macht es sich in Emils Wohnung gemütlich. Dieser könne ja nicht weit weg sein, da der Herd noch an ist. Emil, der Hávardur auf keinen Fall treffen will, versteckt sich im Schlafzimmer unter seinem Bett. Eine Begegnung mit ihm findet nicht statt. Stattdessen benimmt sich Hávardur wie Emils Generalbevollmächtigter, liest seine Mails, beantwortet Telefonanrufe und empfängt seine Besucher. Das Leben geht auch ohne Emil weiter. Dieser wird zum Beobachter seines Umfeldes, ohne selbst einzugreifen.

Auf der Handlungsebene erwartet die Leser und Leserinnen eine urkomische Geschichte. Aber in dem Roman steckt mehr. Ólafsson hat auf kreative Weise das Thema „Identitätsverlust“ aufgearbeitet. Diesem Zweck dienen auch Verschneidungen mit Melvilles „Moby Dick“. Das Buch ist nicht alltäglich und macht neugierig. Einzig das Ende klingt ein wenig seltsam. Damit gibt es einen (zu) großen Spielraum für Interpretationen.

Bewertung vom 10.07.2016
Eagleton, Terry

Der Tod Gottes und die Krise der Kultur


sehr gut

Eine anspruchsvolle Streitschrift

In dem Buch geht es „weniger um Gott als vielmehr um die Krise, die sein scheinbares Verschwinden ausgelöst hat.“ (9) Daher beginnt Eagleton seine Betrachtungen in der Zeit der Aufklärung und zeigt deren Grenzen auf. Der Autor macht deutlich, dass Kultur im weitesten Sinne die Lücke füllt, die Gott hinterlassen hat. Er resümiert, dass diese Lücke nicht überzeugend geschlossen wird.

„Die Aufgabe bestand nicht so sehr darin, das Höchste Wesen vom Thron zu stoßen, als vielmehr darin, eine geistig umnachtete Version des religiösen Glaubens durch eine neue Form zu ersetzen, … .“ (19) Es ging eher um die Machenschaften der Priester und weniger um das Christentum an sich. Die Kirche hat an Macht verloren. Dennoch hat die Aufklärung Grenzen aufgezeigt: „Ein rein technischer Rationalismus ist zu einer Aussage über Werte nicht in der Lage.“ (61)

Eagleton schlägt den Bogen von der Zeit der Aufklärung über den Idealismus, die Romantik, bis hin in die Neuzeit. Die Idealisten und Romantiker finden ihre Antwort in Form eines natürlichen Supernaturalismus: Der Geist ist die Grundlage der Welt, dieser hat die Realität erschaffen. Auf diese Weise gelingt es, „den Geist als einen recht exakten Ersatz für Gott zu sehen“. (66) Einige Romantiker kritisierten den Idealismus als reine Kopfgeburt, der es schwer fiel, „seine Wahrheiten in Alltagssprache zu übersetzen“. (77)

Letztlich scheitert jedes Modell am Selbstbezug. „Keine Form des Wissens kann zu sich selbst zurückkehren und die Bedingungen begreifen, die sie hervorgebracht haben.“ (81) Dennoch entwickelte sich die Kultur zu einer Ersatzform der Religion. Sie „half bei der Legitimation von Herrschaft, wurde aber auch zur Quelle des Protests gegen die Herrschenden“. (104)

„Nicht an Gott zu glauben ist wesentlich mühsamer, als man im Allgemeinen vermutet.“ (150) Eagleton ironisiert und provoziert. „Die Menschheit erträgt nicht besonders viel Realität, und das gilt nicht zuletzt für ihre untergeordneten Mitglieder.“ (152) „Man darf die Illusionen der Menschen über die Religion nicht immer angreifen.“ (167) Die Freiheit hat ihre Grenzen. „Man darf nicht so entsetzlich offen denken, dass man die politische Ordnung in Frage stellt.“ (164)

Ist Gott tot? Eagleton setzt sich mit Marx, Nietzsche, Freud und Schopenhauer auseinander, um nur Beispiele zu benennen. Ist Schopenhauers Wille („Die Welt als Wille und Vorstellung“) eine grausige Parodie des Allmächtigen? Nietzsche erkennt, dass man Gott nur dann eliminiert, wenn man den angeborenen Sinn aufgibt. Die Abschaffung von Bedeutung zerstört auch die Vorstellung von Tiefe. Letztlich sind alle Versuche gescheitert, Gott zu beseitigen.

Der Kapitalismus in seiner heutigen Form ist eine Gesellschaftsordnung ohne Glauben. Dennoch suchen sich manche Menschen im Westen Ersatzreligionen in Esoterik, Okkultismus, Scientology und Transzendentaler Meditation. Ja, ganz ohne Transzendenz geht es nicht. Und so, wie in der Physik eine Kraft eine Gegenkraft erzeugt, entwickelt sich diametral zum atheistischen ausbeuterischen Kapitalismus ein radikales islamisches System. „Der Triumphalismus dieser Lehre spiegelte die immer rücksichtslosere weltweite Politik des Westens nach dem Ende des Kalten Krieges, die letzten Endes auch die radikale islamische Gegenreaktion auslöste.“ (241) Die Ironie in dieser Betrachtung ist unverkennbar.

„Der Tod Gottes und die Krise der Kultur“ ist kein Einsteigerbuch. Eagleton referiert im Stil einer Vorlesung, streut zahlreiche Namen ein, bildet laufend Bezüge zur Literatur und Philosophie und glänzt mit Wissen, welches er nur grob in eine ansprechende Form transformiert. Neben den Hauptabschnitten fehlen gliedernde Unterabschnitte. Seine Ausführungen sind subjektiv, provozierend, ironisch und teilweise schwer nachvollziehbar. Es handelt sich eher um eine anspruchsvolle Streitschrift als um ein Fachbuch.

Bewertung vom 10.07.2016
Machfus, Nagib

Spiegelbilder


ausgezeichnet

Menschen, Menschen, Menschen

In „Spiegelbilder“ porträtiert Nagib Machfus verschiedene Zeitgenossen aus seinem privaten und beruflichen Umfeld. Er entwickelt ihre Charakterzüge aus Momentaufnahmen heraus und präsentiert sich dabei als exzellenter Beobachter. Jedes Kapitel handelt von einer Person, deren Lebenslauf im Vordergrund steht. Im Zeitraffer stellt Machfus die Protagonisten zu unterschiedlichen politischen und sozialen Verhältnissen in Beziehung. Dabei werden nicht selten Brüche in der Entwicklung und im Charakter erkennbar.

Das Buch besteht zwar aus einzelnen abgeschlossenen Episoden, jedoch ist der Protagonist aus der einen Geschichte gleichzeitig Nebendarsteller in einer anderen Geschichte. Was wird deutlich? Vorschnelle Beurteilungen der Charaktere und Lebenswege sind fehl am Platz. Abgerundete Menschenbilder erschließen sich erst bei Betrachtung des umfassenden Beziehungsgeflechts.

Das Buch ist leicht verständlich und lesenswert. Die Übersetzung durch Doris Kilias ist gelungen. Die Begegnungen sind mal heiter unterhaltsam, mal politisch geprägt und mal eher melancholisch. Der Mensch steckt überall auf der Welt voller Ideale, Hoffnungen und auch voller Widersprüche. Mit diesem Werk trägt Nagib Machfus wesentlich zu einem besseren Verständnis der arabischen Kultur bei. Seine eigene Distanz aus der Beobachterrolle kann interpretiert werden als eine Aufforderung zu mehr Toleranz.

Bewertung vom 10.07.2016
Gaarder, Jostein

Die Frau mit dem roten Tuch


sehr gut

Glaube - Wissen – Zufall – Schicksal

Jostein Gaarder versteht es, wie nur wenige Autoren, wissenschaftliche Themen in seine Romane zu integrieren. In „Die Frau mit dem roten Tuch“ ist es das Verhältnis von Naturwissenschaft und Glaube, welches in den Fokus rückt, wobei Glaube, wie er hier beschrieben wird, umfassend zu verstehen ist und Esoterik mit einschließt.

Die Protagonisten sind die Lehrerin Solrun, die das Thema Glaube vertritt und der Naturwissenschaftler Steinn, ihr Gegenpart. Sie waren in jungen Jahren ein Paar, haben sich aber wegen einem rätselhaften Unfall getrennt. Dreißig Jahre später begegnen sie sich wieder und beginnen eine Korrespondenz per E-Mail. Von diesem Gedankenaustausch handelt das Buch.

Schon ihre Begegnung nach dreißig Jahren wirft die Frage nach Zufall oder schicksalhafter Fügung auf. Diese Fragestellung zieht sich durch den gesamten Roman. Die Unterhaltung zwischen Solrun und Steinn dreht sich nicht nur um frühere Ereignisse, die beide bis heute nicht verarbeitet haben, sondern insbesondere um existenzielle Fragen, die den Menschen und die Welt, in der er lebt, betreffen.

Der Frau mit dem roten Tuch kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie bewegt sich im Grenzbereich zwischen Wirklichkeit und Glaube. Gaarder hat auf diese Weise ein Element in seinen Roman eingebaut, welches die Diskussion zwischen Solrun und Steinn spiegelt und deutlich macht, dass letzte Fragen weder durch Wissenschaft noch durch Glaube beantwortet werden können.

Bewertung vom 09.07.2016
Sprenger, Reinhard K.

Das anständige Unternehmen


ausgezeichnet

Bereits im Vorwort fordert Managementberater Reinhard K. Sprenger, dass Anstand wirtschaftlich erfolgreich sein muss, denn die „ethische Forderung nach Anstand ist richtungsgleich mit der ökonomischen nach Innovation und Reduktion der Komplexität“. (19)

Aus dem Gebot des Anstands leitet Sprenger fünf Prinzipien ab, die er im zweiten Teil des Buches ausführlich untersucht. Diese sind negativ formuliert und entspringen einer negativen Ethik. „Die Aufforderung, etwas nicht zu tun, umgeht die Versuchung, etwas „einzig Richtiges“ absolut zu setzen. Sie behauptet keine allein denkbare Wahrheit. Sie bekennt sich zur Mehrdeutigkeit.“ (368, 369)

Sind Mitarbeiter Mittel zum Zweck der Führung in Unternehmen oder dient das Unternehmen der Selbstverwirklichung der Mitarbeiter? Um mit diesem Spagat umgehen zu können, ist Balance gefordert. Unter der Prämisse von Anstand ist ein Ausgleich von Geben und Nehmen erforderlich.

Sprenger betont, dass sich der Mensch durch Freiheit und Selbstbestimmung auszeichnet und das jeder Mensch gute Arbeit leisten will. (116) Letztere These ist nur teilweise durch Erfahrungen des Autors belegt und beruht auf einer bewussten Entscheidung. Dieses Menschenbild impliziert, dass Mitarbeiter als Erwachsene behandelt werden und nicht als Kinder.

Sprenger stellt das Verhältnis von Organisation und Mitarbeiter auf den Kopf. „Die Menschen sind die harten Faktoren, die Strukturen die weichen.“ (161) Menschen verändern zu wollen ist ein Kampf gegen Windmühlen. Veränderung funktioniert nur als Selbstentwicklung. Daher ist Personalauswahl wichtiger als Personalentwicklung.

„Männer sind anders – Frauen auch.“ (210) Diese durch Wissenschaft und Alltagserfahrung belegte These widerstrebt dem Feminismus. Kann es im Sinne einer pluralistischen Gesellschaft sein, dass Männer weiblicher und Frauen männlicher werden sollen?

Führungskräfte müssen zwischen Alternativen wählen, wobei jede Entscheidung Widerstand erzeugt. Dieses Dilemma kann Führung nicht abgenommen werden. Entscheidungen zu Gunsten von Innovation sind Entscheidungen gegen Althergebrachtes. Beide Seiten haben Befürworter und Gegner.

Fazit:

In „Mythos Motivation“ demaskiert Sprenger Beeinflussungstechniken und verändert damit die Sicht auf die Arbeitswelt. In „Das Prinzip Selbstverantwortung“ beschreibt er die Grundlagen dieser Sicht und setzt auf Eigeninitiative und Selbstverantwortung. In „Aufstand des Unternehmens“ erläutert er Voraussetzungen für den Wandel vom egalisierenden Unternehmen konventioneller Art zum individualisierenden Unternehmen zukünftiger Art.

Der Kitt, der alles zusammenhält, ist das Vertrauen. Warum Vertrauen so wichtig ist und wie man es erreichen kann, macht Sprenger in „Vertrauen führt“ deutlich. Vertrauen ist eine wichtige Grundlage von Führung, aber die Zielsetzung ist eine andere. Daher destilliert Sprenger in „Radikal führen“ aus dem Führungsverhalten der Manager zeitlose Kernaufgaben heraus. Der Zweck der Führung besteht darin, das Überleben des Unternehmens zu sichern.

Dieser Positivliste aus „Radikal führen“ stellt Sprenger in „Das anständige Unternehmen“ eine Negativliste gegenüber, in der er aufzeigt, was zu lassen ist. (26) Sprenger macht das auf gewohnt strukturierte Art und Weise. Hilfreich wäre eine Evaluation seiner Thesen. Sprachlich ist er mit seinen Wortschöpfungen sehr kreativ, seine Bücher klären nicht nur auf, sondern unterhalten. In diesem Sinne ist auch „Das anständige Unternehmen“ wie eine Brise frischer Wind.

Bewertung vom 09.07.2016
Dostojewskij, Fjodor M.

Die Brüder Karamasow


ausgezeichnet

Ein Klassiker der Weltliteratur - spannend und faszinierend

Wir leben in einer Welt, in der es den Wissenschaften schwer fällt, Wahrheiten zu finden, die die Zeit überdauern. Althergebrachte Erkenntnisse werden in immer kürzeren Zeitabständen in Frage gestellt. Gibt es Wissen ohne Verfallsdatum? Dostojewski entwickelt in seinem im 19. Jahrhundert entstandenen Roman eine zeitlose Perspektive auf die Psyche des Menschen. Seine Beschreibungen haben auch im 21. Jahrhundert ihre Bedeutung nicht verloren.

Der Roman handelt von den drei unterschiedlichen Söhnen des alten Karamasow, ihren glaubens- und charakterbedingten Auseinandersetzungen und gipfelt in einem perfektes Verbrechen, dem Mord am Vater. Die polizeilichen Untersuchungen führen zur Festnahme eines der drei Söhne. Die anschließende Gerichtsverhandlung ist, wegen ihrer Mehrdeutigkeit, einer der Höhepunkte des Romans. Die Erzählungen sind phasenweise recht spannend, selbst wenn man vorher weiß, wer der Mörder ist. Warum ist das so? Weil es neben der realen äußeren Handlungsbeschreibung um die innere Auseinandersetzung geht, um die Schuldfrage, die nicht so eindeutig ist. Ist der Verurteilte auch der Mörder? Ist der Mörder der eigentlich Schuldige?

Das Thema „Gut und Böse“ wird an unterschiedlichen Stellen des Romans beleuchtet. Mutig und lehrreich ist die kurze Abhandlung „Der Großinquisitor“, in der zentrale menschliche Fragen behandelt werden. Ist die Freiheit des Menschen ein Fluch? Ist der Mensch mit dieser Freiheit überfordert? Hätte „Er“ (gemeint ist der Gottessohn), der in dieser Geschichte auf die Erde zurückkehrt und vom Großinquisitor verhaftet wird, das nicht wissen müssen?

Der Roman ist auf der Handlungsebene leicht verständlich geschrieben. Man erhält einen Einblick in die russische Kultur und Mentalität der Menschen. Auf der sinnbildlichen Ebene handelt es sich um ein äußerst anspruchsvolles Werk. Dies dürfte der Grund dafür sein, dass der Roman seine Faszination bis heute nicht verloren hat.

Bewertung vom 09.07.2016
Gribbin, John

Geschöpfe aus Sternenstaub


sehr gut

Wir sind nicht allein im Kosmos

Im Jahre 2001 haben amerikanische Wissenschaftler Experimente durchgeführt, in denen das Umfeld interstellarer Gas- und Staubwolken simuliert wurde. Ultraviolette Bestrahlung, wie sie typischerweise auch von jungen Sternen ausgehend auf kosmische Gas- und Staubwolken einwirkt, führt zur Bildung komplexer organischer Moleküle. Die Forschungsergebnisse stützen die Hypothese, dass Leben (zumindest in einfacher Form) kein zufälliges Ereignis ist, sondern an vielen Orten im Weltraum vorkommen kann.

John Gribbin, Physiker und Wissenschaftspublizist, schlussfolgert, dass der Ursprung des Lebens viel älter als die Erde und in den Weiten des Weltalls zu suchen ist. Die erdbezogene Evolutionsforschung wäre damit auf einen Teilbereich der Gesamtentwicklung beschränkt. Positiv ausgedrückt: Der Entstehung von Leben haben kosmische Zeiträume zur Verfügung gestanden und nicht nur die relativ kurze Zeit der bisherigen Erdgeschichte. Evolutionskritikern, denen insbesondere die geringe Zeitspanne der Entwicklung auf der Erde für die Entfaltung von Leben zu kurz erscheint, könnte damit der Wind aus den Segeln genommen werden.

Gribbin beschreibt eine plausible Variante der von verschiedenen Autoren in der Vergangenheit ins Gespräch gebrachten Panspermien-Hypothesen. Nach seiner Auffassung reicht die komplexe Chemie interstellarer Wolken aus, um die Entwicklung einfacher Biomoleküle zu erklären. Kritisiert wird an dieser Lehre, dass nicht die Entstehung von Leben erklärt, sondern lediglich der Ort der Entstehung verlagert wird.

Lesenswert sind Gribbins Einführung in die Astrophysik, die Beschreibung der Lebensgeschichte der Sterne und damit eng verknüpft die Herkunft und Entwicklung der chemischen Elemente. Von der (keinesfalls neuen) Erkenntnis, dass der menschliche Körper aus den Überresten ausgebrannter Sterne besteht, geht eine gewisse Faszination aus.

Fazit: John Gribbin präsentiert moderne Erkenntnisse der Wissenschaft auf gewohnt unterhaltsame Weise.

Bewertung vom 08.07.2016
Law, Stephen;Baggini, Julian

Philosophie in 30 Sekunden


sehr gut

"Ich lese, also bin ich"

"Wenn Sie sich bereits fragen, warum dieses Buch existiert, dann sind Sie auf dem besten Weg, ein Philosoph zu werden." (10)

Das Buch ist homogen strukturiert und nicht chronologisch aufgebaut. Es besteht aus sieben Themenbereichen, deren Thesen anhand ihrer wichtigsten Vertreter kurz vorgestellt werden. Vorangestellt ist jeweils ein Glossar mit zentralen Begriffen. Es handelt sich um ein Einstiegswerk.

Zu den Themenbereichen gehören "Sprache & Logik", "Wissenschaft & Erkenntnistheorie", "Geist & Metaphysik", "Ethik & Politische Philosophie", "Religion", "Große philosophische Momente" und "Europäische Philosophie".

Die Leser können nicht erwarten, dass sie auf Basis dieses Buches Gödels Theoreme, die Grundlagen der Wissenschaftstheorie oder Heideggers "Nichts" umfassend verstehen. Dafür gibt es umfangreiche Spezialliteratur. Dennoch ist ein Enblick möglich, der neugierig macht.

Die Aufmachung ist ansprechend und die Texte sind verständlich. Es gibt Querverweise zu anderen Kapiteln, sodass es für das Verständnis nicht erforderlich ist, das Buch vom Anfang bis zum Ende zu lesen. Ein Einstieg ist in jedem Kapitel möglich.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.