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Bellis-Perennis
Wohnort: 
Wien

Bewertungen

Insgesamt 924 Bewertungen
Bewertung vom 01.11.2022
Bergische Nacht
Meester, Janine

Bergische Nacht


sehr gut

Als Rias Großvater plötzlich an einem Herzinfarkt stirbt, zieht Enkelin Ria wieder von der Ostsee ins Bergische Land, um ihr Erbe, eine Autowerkstatt und ein Zweifamilienhaus, anzutreten. Doch neben den materiellen Gütern hat Ria noch Bruno, einen Wachhund und Simon, einen Mieter „geerbt“, der wie die Gerüchteküche ihr zuträgt, im Gefängnis gesessen ist.

Kaum angekommen erhält Ria Drohbriefe und es passieren merkwürdige Dinge. Der Verdacht, dass ihr Mieter damit zu tun haben könnte, wird von mehreren Seiten genährt genauso wie das Gerücht, der Immobilienmakler Edoardo Caruso sei Mitglied der Mafia.

Ria wendet sich an die Polizei, die ihr anfangs wenig Unterstützung anbieten kann. Doch dann wendet sich das Blatt und KHK Tomasz Gajewski hat nicht nur ein dienstliches Interesse.

Meine Meinung:

Dieses Krimi-Debüt liest sich flott und ist unterhaltsam. Das liegt vor allem an Bruno, der sich Rias Erziehungsversuchen verweigert.
Auch das Setting, Autowerkstatt, Motoren, Schmieröl und eine begabte Mechanikerin ist neu und macht Spaß. Schmunzeln muss ich über die Typen im Biker-Treff „5 vor 12“.

Der Krimi lebt nicht nur von Bruno, den Oldtimern oder dem Biker-Treff sondern auch von Rias Freundin Nathalie, die telefonisch Ratschläge erteilt sowie von Tomasz Gajewski.

Mein Verdacht, den ich recht schnell hatte, hat sich bestätigt. Die Auflösung ist schlüssig und nachvollziehbar.

Das Cover, das einen Drehzahlmesser zeigt, gefällt mir, der Titel ist wenig aussagekräftig.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem Krimi-Debüt 4 Sterne und hoffe auf eine Fortsetzung.

Bewertung vom 01.11.2022
Der eiserne Herzog
Schiewe, Ulf

Der eiserne Herzog


ausgezeichnet

Fast jeder kennt in groben Zügen die Geschichte von Wilhelm dem Eroberer, der 1066 in der Schlacht von Hastings den König von England, Harald Godwinson geschlagen hat. Doch die Hintergründe, warum ein aus der Normandie stammender Herzog, die Insel angreifen soll, ist heute nicht mehr so geläufig. Ulf Schiewe erzählt in diesem, seinem neuen historischen Roman, wie es dazu kam.

Wir lesen ein Mittelalterepos, das an Dramatik kaum zu überbieten ist. Von Kindern, die als Geiseln an anderen Herrschaftshäusern gehalten werden, von gebrochenen Schwüren, einem Papst, der sich in das Leben der Menschen einmischt, von Herrschern und deren Gemahlinnen, mit wenigen Ausnahmen (hier Matilda und Ealdgyth) ausschließlich nach dynastischen Gesichtspunkten verheiratet werden, Frauen, die oft analytischer denken als ihre Männer, von Norwegern, Angelsachsen und Normannen, deren Anführer alle den Anspruch stellen, König von Engaland zu sein. Aber, es kann nur einen geben. Nachdem die Frage nicht beim Schach geklärt wird, klirren die Schwerter und die englische Erde wird mit dem Blut von tausenden Menschen und Pferden getränkt.

Wer nun glaubt, dass ganze Buch handelt ausschließlich von blutigen Gemetzeln, der liegt falsch. Die Schlacht bei Hastings ist die Entscheidung, das Ende des Streits um den englischen Königsthron. Zuvor lernen wir die Kontrahenten Guilhem und Harold kennen sowie ihre Herkunftsgeschichte kennen. Beide intelligent, charismatisch und geborene Anführer. Unter anderen Umständen hätten sie Verbündetet, ja vielleicht sogar Freunde sein können. Doch der Ehrgeiz der Familie Godwin führt die beiden als Gegner auf das Schlachtfeld.

Ulf Schiewe gelingt es wie keinem zweiten, diese Zeit auferstehen zu lassen. Sein bildhafter Schreibstil kann sich durchaus mit dem Wandteppich von Bayeux, der eine Grundlage dieses Romans bildet, vergleichen lassen. Geschickt verknüpft der Autor, wie wir es von ihm aus anderen historischen Romanen gewöhnt sind, historische Fakten und seine Interpretationen (also Fiktion). Weder William noch Harald sind als abgrundtief böse Menschen dargestellt. Ränkeschmied ist eher Haralds Vater Godwin, der seinen Hals nicht voll kriegen kann und vermutlich selbst König werden wollte. Und wenn nicht er, dann über den Umweg seiner Tochter Edith, die den aktuellen König Edward den Bekenner geheiratet hatte. Um die Krone in seiner Familie zu halten, ist ihm jedes Mittel recht.

Sehr gut gelungen ist die Darstellung der Lebensweise der Menschen im Hochmittelalter: zugige Burgen, vorerst aus Holz, teilweise auf römischen Kastellen errichtet sowie das ständige auf der Hut sein, vor expandierenden Nachbarn. Eine Herrschaft währt oft nicht lange. Kaum zeigt der Herrscher Schwäche, ist sein Land auch schon überrannt. Leidtragende wie immer die einfache Dorfbevölkerung, die die eigenen als auch fremden Truppen mit ihren Feldfrüchten und Tieren versorgen muss. Leidtragende auch wie immer Frauen und Kinder, die als Kriegsbeute betrachtet werden. Die Darstellung der Scharmützel beinhalten natürlich auch grausame Szenen. Doch werden sie nicht aus Sensationsgier, sondern zum Verständnis beschrieben. Es ist nur gut, dass keine Gerüche übertragen werden können.

Fazit:

Ein gelungene Darstellung der Geschichte rund um Guilhem (Wilhelm) und seiner Eroberung Englands. Gerne gebe ich diesem penibel recherchierten und opulent erzählten historischen Roman 5 Sterne und eine unbedingte Leseempfehlung.

Bewertung vom 01.11.2022
Adler, Weibliche Kriminalpolizei, Berlin (eBook, ePUB)
Weichert, Stephan

Adler, Weibliche Kriminalpolizei, Berlin (eBook, ePUB)


sehr gut

Berlin, November 1940 - während die Alliierten Bomben auf Nazi-Deutschland abwerfen, treibt ein Triebtäter im Bereich des Betriebsbahnhofs Rummelsburg sein Unwesen. Mehrere Frauen, die auf dem wegen der Verdunkelung schlecht beleuchteten Heimweg sind, werden überfallen und vergewaltigt. Dann gibt es mit Karin Borchert die erste Tote - misshandelt, missbraucht, getötet und aus der S-Bahn geworfen. Und sie wird nicht die einzige bleiben ...

Kriminalrat Lüdke und Grete Hartmann, Leiterin der weiblichen Kriminalpolizei, wollen gemeinsam der Täter stellen und gründen die Sonderkommission „Quadriga“ . Dazu wird Luise Adler, eine jüngst zur Kommissarin ernannte junge Polizistin, neben einigen als Frauen verkleidete Polizisten zum Lockvogel. Doch der Täter scheint ihnen immer einen Schritt voraus.

Einige Mitglieder der Quadriga kämpfen aber nicht nur mit dem Täter, sondern auch mit ihren eigenen Dämonen, die sie mit Schnaps und Drogen in Schach zu halten versuchen. Auch die Sicherheitspolizei mit ihrem Chef Görnitz macht ihnen das Leben schwer. Görnitz ist nämlich der Meinung, dass hier staatsfeindliche Subjekte am Werk sind, die es gilt, unschädlich zu machen.

Während die Kripo akribisch nach dem Täter sucht, kocht Görnitz sein eigenes Süppchen. Im Netz der Kripo bleiben zwei Hauptverdächtige hängen: Paul Golzow, ein Weichenarbeiter, der Frau und Kinder schlägt, sowie Christian Cornelius, eine Chemiker, der maßgeblich an der Entwicklung von Zyklon B, jenem Blausäuregas beteiligt war, das nun zur Massenvernichtung in Konzentrationslagern verwendet wird. Cornelius will seinen Fehler wieder gut machen und träumt von einem Attentat.

Meine Meinung:

Dieser Krimi ist der Auftakt zu einer neuen Reihe. Mitten im Krieg haben zwei Polizeidienststellen nichts anderes zu tun, als ihre Animositäten zu pflegen. Die Kripo will wie üblich Verbrecher fangen, die anderen Volksschädlinge. Während die Kripo neutral an die Suche nach dem Täter heran geht, schießt sich Görnitz auf Juden, Sozialisten, Kommunisten, Homosexuelle und andere, dem System nicht passende Menschen ein. Die Vermutung Adlers, dass ein Mitglied der SA ein Sexualstraftäter sein soll, schließt er kategorisch aus. Der durch die NS-Politik indoktrinierte Görnitz ist nebenbei noch ein Frauenhasser, der Luise Adler selbst in ihrem Beisein nur als „Ding“ bezeichnet. Ein echter Herzerl also.

Neben der Suche nach dem Täter, der für die Leser recht schnell ausgemacht ist, lenkt der Autor die Leser auf weitere Handlungsstränge des Menschen verachtende Systems. So lernen wir das Ehepaar Schenk kennen, das ein Kinderheim führt, in dem man vorgibt, behinderte Kinder zu pflegen, aber in Wahrheit die Kinder gemäß der NS-Rassenlehre ermordet.

Der Krimi ist nichts für Zartbesaitete. Die Sprache der Protagonisten ist ebenso brutal wie die Schilderung der Morde und Folterungen durch die SiPo.

Jedes Kapitel enthält ein zum Inhalt passendes Zitat von Goebbels oder Hitler, das das krause und abscheuliche Gedankengut der NS-Diktatur kundtut. So ist es kaum verwunderlich, dass Luise Adler sich mit Pervitin und Morphintropfen sowie Kollege Zach mit Schnaps betäuben.

Der Untertitel „Verdunkelung“ kann auf mehrfache Art verstanden werden: Verdunkelung wegen der Luftangriffe, Verdunkelung der Taten, Verdunkelung der Menschenwürde, Verdunkelung der Foltermethoden oder Verdunkelung von Attentatsplänen.

Fazit:

Ein Krimi, der den Lesern die Abgründe der NS-Diktatur facettenreich und brutal näher bringt. Gerne gebe ich diesem Auftakt zu einer neuen Krimi-Reihe 4 Sterne.

Bewertung vom 01.11.2022
Raben
Bugnyar, Thomas

Raben


ausgezeichnet

Was Sie schon immer über Raben wissen wollten!

Dass Raben äußerst intelligente Vögel sind, ist ja hinlänglich bekannt. Doch wie beweisen? Autor Thomas Bugnyar, seines Zeichen Professor und Leiter des Departments für Verhaltens- und Kognitionsbiologie an der Uni Wien, ist es gemeinsam mit anderen, Versuchsreihen extra für Raben(vögel) zu erstellen, um deren kognitive und soziale Fähigkeiten zu überprüfen. In mehreren Forschungsstätten wie am Haidlhof in Bad Vöslau oder in Grünau im Almtal ist es ihm gelungen zahlreiche Fähigkeiten nachzuweisen.

Seine Erkenntnisse hat er in diesem Buch in zehn Kapiteln zusammengefasst:

„Raben sind auch nicht anderes wie fliegende Affen“
Raben verstehen mehr, als wir denken
Allesfresser mit gewissen Vorlieben
Tarnen und Täuschen
Der schwierige Blick in den Rabenkopf
Von Vielfliegern und Dableibern
Komplexe Beziehungen
Danke für die Information
Eine Frage der Persönlichkeit
Was wir von den Raben lernen können

Mit viel Herzblut und noch mehr Liebe zu den Raben hat Thomas Bugnyar dieses Buch verfasst. Akribisch erklärt er dem interessierten Laien, wie Raben ticken und wie sie quasi „ausgehorcht“ werden können. Doch nicht jeder Proband macht gerne bei den Versuchen mit - deswegen ist Fingerspitzengefühl und individuelle Betreuung nötig. Der eine mag gerne Käsestückchen als Belohnung, der andere ist darüber indiginiert.

Rabenvögel sind Wildtiere, doch als Kulturfolger sind sie den Menschen oft näher und ähnlicher als beiden lieb ist.

Das Buch ist im Verlag Brandstätter in gediegener Ausführung mit Lesebändchen erschienen und eignet sich bestens als Geschenk.

Fazit:

Spannend ist zu lesen, wie die Raben auch ihn immer wieder überraschen und damit seine bisherige Erkenntnisse aus den Kopf stellen. Gerne gebe ich diesem humorvoll geschriebenen Buch 5 Sterne.

Bewertung vom 01.11.2022
Der Milchmann
Seligmann, Rafael

Der Milchmann


ausgezeichnet

Dieses Buch ist aus mehreren Gründen für viele schwer zu lesen. Zum einen sind viele Dialoge in jiddisch geschrieben und zum anderen zeigt es eine Seite der KZ-Häftlinge über die nicht so gerne geschrieben wird: Um selbst zu überleben, werden auch Juden zu Verrätern und Tätern.

Worum geht’s also?

Jakob Weinberg arbeitet als Zwangsarbeiter der KZ Auschwitz an den Geleisen der Bahn als eine Kiste von einem Zug fällt, die Dosen mit Trockenmilch enthält. Da er allein zu schwach ist, die Kiste mit in die Baracke zu nehmen, helfen ihm mehrere Mitgefangene in der Hoffnung etwas davon abzubekommen. Noch bevor Jakob selbst von „seiner“ Trockenmilch nehmen kann, haben die anderen verhungernden Juden die Dosen unter sich aufgeteilt. Jakob fühlt sich betrogen. Es kommt zum Tumult, der weitreichende Folgen für Jakob haben wird.

Nach dem Krieg bildet sich die Legende vom Milchmann, der die gefundene Dosenmilch quasi selbstlos mit seinen Mitgefangenen geteilt hat. Jakob widerspricht nicht, obwohl er genau weiß, was wirklich passiert ist.

Weinberg lebt wieder in Deutschland, wird wohlhabend, hat nun erwachsene Kinder und nach dem Tod seiner Frau eine neue, die allerdings eine Schickse (also Nichtjüdin) ist. Doch glücklich ist er nicht. Die Schatten der KZ-Vergangenheit und die Ablehnung der Deutschen lassen sich nicht verdrängen. Als ihm der Arzt zu einer Biopsie rät, kommen seine Todesängste wieder hoch.

Völlig aus der Bahn wirft ihn das tödliche Attentat auf Israels Premierminister Yitzhak Rabin vom 4. November 1995, denn der Täter ist ein rechtsradikaler Jude.

Meine Meinung:

Autor Rafael Seligmann ist selbst Sohn von KZ-Überlebenden, die nach dem Krieg wieder nach Deutschland zurückkehren. Der Vater freiwillig, die Mutter nicht. Das ist in seinem autobiografischen Roman „Rafi, Judenbub“ nachzulesen.
Womit Seligmann aufräumt, ist das bis zur glorifizierten Selbstaufgabe stilisierte Leben der KZ-Häftlinge. Hier kommen Wahrheiten ans Tageslicht, über die nicht gerne gesprochen wird. Um das eigene Überleben zu sichern, werden noch schwächere geopfert. Der Kampf ums tägliche Stück schimmelige Brot macht die Menschen zu Todfeinden. Kapo gegen Barackenbewohner, Stärkere gegen Schwächere - so intensiv ist das noch selten beschrieben worden.

Darf das sein, dass Juden so denken und handeln wie Nazis? Dürfen Juden rechtsextrem sein?

Das Buch, das erstmals 1999 erschienen ist, zeigt deutlich, dass auch Juden keine homogene Gruppe sind. Da gibt es die säkularen, die gemäßigten und die ultra-orthodoxen. Da werden die aus Russland Vertriebenen verächtlich angesehen. Rafael Seligmann wird wegen des schonungslosen Aufzeigen der Interessenkonflikte zwischen den Juden untereinander als Nestbeschmutzer beschimpft.

Fazit:

Ein Buch das auch mehr als zwanzig Jahre nach seiner Entstehung polarisiert und zum Nachdenken anregt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Bewertung vom 01.11.2022
Aurelia und die letzte Fahrt / Ein Fall für Aurelia von Kolowitz Bd.1
Maly, Beate

Aurelia und die letzte Fahrt / Ein Fall für Aurelia von Kolowitz Bd.1


sehr gut

Der neueste Krimi von Beate Maly führt uns in das kaiserliche Wien von 1871. Die Stadtmauern sind gefallen und die rege Bautätigkeit lockt Arbeiter aus allen Teilen der Monarchie in die Hauptstadt. So existieren Reichtum und bittere Armut nebeneinander. Zwei Vertreter dieser Welten treffen unvermutet einander.

Aurelia von Kolowitz ist eine recht unkonventionelle Grafentochter: Sie zeichnet heimlich Karikaturen, die in der Satirezeitschrift Figaro unter einem Pseudonym veröffentlicht werden.

Nicht weniger unkonventionell, wenn auch aus anderen Gründen, ist die Fiakerin Horvath, mit der Aurelia gerne mitfährt. Blöderweise liegt ein toter Offizier mit entblößtem Unterleib in der Horvaths Kutsche. Anscheinend hat sich der Soldat mit einer Prostituierten vergnügt - Porzellanfuhre nennt man das im Volksmund, weil die Kutscher langsam und vorsichtig durch Wien fahren als hätten sie wertvolles Porzellan geladen. Die Kutscherin landet bei der Polizei, verhaspelt sich und schon steht Aurelia in Begleitung des Familienadvokaten Nepomuk dem Inspektor Janek Pokorny gegenüber. Dass Nepomuk und Janek sich kennen, verwundert Aurelia. Janek Pokorny ist der Sohn tschechischer Ziegelarbeiter, der es durch Begabung und Fleiß zu einem zivilen Polizeiagenten gebracht hat. Pokorny und Aurelia beginnen jeweils für sich in diesem eigenartige Fall zu recherchieren. Er von Amtswegen, sie aus Gerechtigkeitssinn und Neugierde. Dabei betreten sie beide mit großem Staunen die Welt des jeweils anderen.

Der Kriminalfall selbst spiegelt die Machtverteilung in der Monarchie recht gut wieder. Die neu geschaffene, zivile Kriminalpolizei muss sich gegen das Militär behaupten und hat, wann immer ein Soldat betroffen ist, schlechte Karten. Auch diesmal versucht die Offiziersgesellschaft den Fall an sich zu ziehen.

Meine Meinung:

Beate Maly entführt uns wie schon in ihren anderen Krimis ins historische Wien. Diesmal ins 19. Jahrhundert. Geschickt verbindet sie historische Fakten mit Fiktion. So hat sich ein ähnlicher Kriminalfall, wie sie im Nachwort erwähnt, auch in Wirklichkeit zugetragen.

Gut gelungen ist die Beschreibung der unterschiedlichen Welten in die sowohl Aurelia als auch Janek eintauchen. Schmunzeln musste ich über den Besuch bei der Hebamme, bei der sich Janek Pokorny äußerst unwohl gefühlt hat oder wie sachlich Aurelia das Wort „Erektion“ in den Mund nimmt, während ihr Begleiter rote Ohren bekommt.
Sehr nett ist die Erwähnung einer alten Apotheke in der Wollzeile, die Rudolf Böck führt, vermutlich der Vater von Anton Böck aus der Reihe um Ernestine Kirsch. Solche Querverweise mag ich.

Der Schreibstil ist wie immer recht gut an die Zeit angepasst. Nur einmal hat mich der Begriff „vernetzt“ ein wenig irritiert. Das hat man damals bestimmt nicht gesagt.

Aufgefallen ist mir, dass diesmal die Recherchen nicht ganz so sorgfältig durchgeführt wurden wie in den anderen historischen Krimis. Dass das auf S. 29 erwähnte Porzellan aus der kaiserlichen Manufaktur im Augarten stammt, stimmt so nicht. Denn die „Wiener Porzellanmanufaktur Augarten“ wird erst 1923 gegründet. Das Geschirr ist aus der „Wiener Porzellanmanufaktur“ im Alsergrund, die man auf Bestreben der Großindustrie 1864 geschlossen hat.

Der Juwelier, der die berühmten Haarstern für Kaiserin Elisabeth angefertigt hat, heißt Köchert (S. 173) - hier fehlt das “t“ zum Schluss. Solche Kleinigkeiten fallen natürlich nur Insidern auf.

Die Dienstgrade der Truppen sind für Nichtmilitaristen schwer durchschaubar. Da ist unbedingt eine Rücksprache mit einem Militärhistoriker empfehlenswert. Die ermordeten Offiziere werden hier im Krimi immer nur als „Offizier“ angesprochen und nicht mit ihrem Dienstgrad wie Leutnant, Oberleutnant etc.. Es muss heißen „Oberleutnant Hofrichter“ und nicht Offizier Hofrichter. Der ermordete Richard Mader war im echten Leben übrigens Hauptmann. Denn, wie Beate Maly in ihrem Nachwort schreibt, ist gab es einen echten Kriminalfall, den sie sich als Vorlage genommen hat - allerdings erst 1909. Der echte Oberleutnant Hofrichter wurde erst 1880 geboren. Einen Rang „Oberstgeneral der Kavallerie“ wie der Hausmeister auf S. 125 behauptet, gibt es in der k. und k. Armee gar nicht. Der Rang des Generaloberst wird erst, nach deutschem Vorbild, im März 1915 eingeführt.

Die Charaktere sind gut gelungen. Auch die Nebenfiguren wie der Advokat Nepomuk oder Diener Sebastian. Hinter dessen Geheimnis werden Aurelia und Janek, der in zu kennen scheint, auch noch kommen. Da werden wir auf den nächsten Band warten müssen.

Fazit:

Ein gelungener Auftakt zu einer neuen historischen Krimi-Reihe. Wegen der Ungenauigkeiten bei der Recherche, die vermutlich den wenigsten Lesern auffallen, mich aber stören, muss ich leider den 5. Stern wieder abziehen, daher bleiben 4 Sterne.

Bewertung vom 31.10.2022
Maß für Maß (eBook, ePUB)
Martin, Piero

Maß für Maß (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

„Seit je her vermisst der Mensch die Welt. Er vermisst sie, um sie kennenzulernen und zu erforschen, um darin zu leben, um mit seinesgleichen zu interagieren, um Gerechtigkeit zu garantieren und zu erhalten, um sich mit Gottheiten zu verbinden. Von der Antike an bestimmt das Maß das Leben der Menschen.“

Das Spannende daran ist, dass es nur sieben Basis-Einheiten braucht, um alles zu vermessen. Diese sieben, von der Natur abgeleiteten Einheiten werden SI-Einheiten (Système International d’unités) genannt. Es sind dies:

Der Meter (= m = Länge)
Die Sekunde (= s = Zeit)
Das Kilogramm (= kg = Masse)
Kelvin (= K = Temperatur)
Das Ampere (= A = Stromstärke)
Das Mol (= mol = Stoffmenge)
Die Candela (= Cd = Lichtstärke)

Wie hängen die nun mit der Natur zusammen?
Diese Messgrößen sind ausschließlich von festgelegten Naturkonstanten und nicht mehr von Messgrößen abhängig. Damit können sie überall reproduziert werden. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, diese Definitionen zu erklären - dafür ist Piero Martins Buch ja da.

Genau diese Zusammenhänge werden vom renommierten Physiker und Professor an der Universität von Padua Piero Martin erklärt. Er führt den neugierigen Leser
mittels zahlreichen Anekdoten beinahe spielerisch an die physikalischen Größen heran. Doch neben seinen unterhaltsamen Erklärungen müssen einige Formeln hergeleitet werden. Die können allerdings von allen jenen, die es gar nicht so ganz genau wissen wollen, gerne überlesen werden.

Wer kann sich noch an die Blamage von 1999 erinnern, als der Mars Climate Orbiter im Weltraum verschwand? Die NASA hat die Entfernung zum Mars in SI-Einheiten (Meter) berechnet, die Herstellerfirma Lockheed im Imperialen System (= angloamerikanischen System) mit Fuß und Meilen.

Fazit:

Ein leicht lesbares und unterhaltsames Buch, das so manche, bisher nicht so bekannten Zusammenhänge der Messkunst, gut erklärt. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

3 von 3 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 31.10.2022
Gansltod
Schöttle, Rupert

Gansltod


ausgezeichnet

Die reiche Witwe Helga Thaimer liegt nach dem sonntäglichen Familienessen tot in ihrem Bett. Der Hausarzt bescheinigt einen Herzinfarkt, ist doch Helga nicht mehr die jüngste und obendrein leicht reizbar. Der in der Familie unbeliebt Stiefsohn fordert von Kajetan Vogel und Alfons Walz vehement eine Obduktion und liefert dazu gleich allerlei Begründungen.

So ein Wochenbeginn stößt den beiden ein wenig sauer auf, dennoch beginnen sie mit Nachforschungen. Verdächtige gibt es einige, denn die Verstorbene ist ein schwieriger Charakter. Die Familienmitglieder werden einzeln vorgeladen und niemand scheint ein wirkliches Motiv zu haben. Erst als die beiden zu einer List greifen, wendet sich das Blatt.

Daneben haben sie es noch mit einer Reihe von Wohnungseinbrüchen zu tun, obwohl dies gar nicht zu ihren eigentlichen Aufgaben zählt.

Meine Meinung:

Als Fan von Vogel & Walz der ersten Stunde habe ich mich auf diesen Krimi sehr gefreut.

Sowohl Vogel als auch Walz sind den kulinarischen Köstlichkeiten der Wiener Küche, von der einiges wie Alfons böhmischen Ursprungs ist, sehr zugetan. Daher dürfen wir sie beim Verzehr von Schweinsbraten und Knödel begleiten.

Die beiden sind auch privat befreundet, doch im Gegensatz zum Single Walz hat Vogel Frau, Tochter und Hund. Doch diesmal hängt der Haussegen beinahe schief, denn er hat, wenn auch aus Recherchezwecken im letzten Fall, ein Gspusi mit Monika begonnen. Blöd nur, dass Monika die beste Freundin seiner Frau ist, und ihn damit zu erpressen versucht. Diese Eigenschaft, jedem Rock (auch wenn es enge Jeans sind) nachzuhecheln, macht mir Vogel diesmal unsympathisch.

Ich wünsche ihm für den nächsten Fall eine weibliche Vorgesetzte, die ihm zeigt, wo der Bartl den Most herholt.

Gut gefällt mir wie das Lokalkolorit eingefangen wird. So dürfen wir mit den beiden zahlreiche Gast- und Kaffeehäuser besuchen und mit Kajetan Vogel und seiner Hündin im Wienerwald herumstreifen.

Der Schreibstil ist kurzweilig wie immer.

Fazit:

Gerne gebe ich diesem unterhaltsamen Krimi 5 Sterne, obwohl ich mich über Kajetan Vogels Verhalten seiner Familie gegenüber geärgert habe. Der Krimi selbst ist sehr gut strukturiert.

Bewertung vom 27.10.2022
Das Tor Europas
Plokhy, Serhii

Das Tor Europas


ausgezeichnet

„Noch ist die Ukraine nicht untergegangen“ Text der ukrainischen Nationalhymne von Pawlo Tschubynskyj

Seit dem 24. Februar 2022 ist die Ukraine durch den Angriffskrieg Russlands in den Fokus der Weltöffentlichkeit gerückt. Viele Menschen glaub(t)en, die Ukraine sei ein Land ohne eigene Geschichte. Doch weit gefehlt. Die Ukraine hat eine abwechslungsreiche Geschichte hinter und hoffentlich auch vor sich.

Autor Serhii Plokhy, Historiker und Professor für ukrainische Geschichte, legt nun mit diesem Buch ein Werk über die mehr als zweitausend Jahre alte, äußerst wechselvolle Geschichte der Ukraine vor.

Die Reise in die Geschichte der Ukraine beginnt mit dem griechischen Geschichtsschreiber Herodot und endet mit den aktuellen Ereignissen. Dazwischen liegen Jahrhunderte der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Skythen, den Rus-Wikingern, den Mongolen und Kosaken, das Intermezzo als Teil Österreich-Ungarns, das Zarenreich, die UdSSR bis zur Eigenstaatlichkeit.

Autor Serhii Plokhy teilt sein Werk in fünf große Kapitel:

An der Pontischen Grenze
Begegnung zwischen Ost und West
Zwischen den Imperien
Die Kriege der Welten
Der Weg in die Eigenstaatlichkeit

Zusätzlich werden in einem, im Juni 2022 erweiterten, Vorwort und einem Epilog aktuelle Ergänzungen angebracht. Um den Lesern eine Vorstellung der geografischen Lage im historischen Kontext zu ermöglichen, sind zehn Landkarten abgedruckt. Die erste bildet die Region um 770 v. Chr. ab. Die umfangreichen Zeittafeln ordnen die Ereignisse rund um die Ukraine in das Weltgeschehen ein. Das Buch wird durch ein langes Register von für die Ukraine bedeutenden Personen (im Gute wie im Schlechten) ergänzt.

Mit diesem umfassende Werk erklärt der Autor und Historiker die seit Jahrhunderten von Eroberung, Gewalt und vom Verschieben der Grenzen geprägte Geschichte der Ukraine. Eine Ukraine, die aus vielen unterschiedlichen Regionen besteht, aber durch eine gemeinsame Sprache, Geschichte und dem Willen zur Unabhängigkeit von Russland geeint wird. Dieses Buch lässt Außenstehende die aktuellen Entwicklungen besser verstehen. Es zeigt, wie die Ukraine zum Spielball zwischen Osten und Westen wurde.

„Die Ukraine, erst vor kurzem ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit gerückt, hat eine lange, dramatische und faszinierende Geschichte, die oft von den großen Narrativen der Imperien, die das Land jahrhundertelang beherrschten, überlagert wird.“

Fazit:

Diesem sachlichen und informativen Buch, das die äußerst komplexe Materie verständlich und nachvollziehbar erklärt, gebe ich gerne 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Bewertung vom 27.10.2022
1848
Bleyer, Alexandra

1848


ausgezeichnet

Frühes Ende, lange Wirkung: Alexandra Bleyer beleuchtet die Revolution(en) von 1848/49


Historikerin und Autorin Alexandra Bleyer nimmt sich in ihrem neuesten Buch eines Jahres an, das Geschichte geschrieben hat: 1848 - Die Erfolgsgeschichte einer gescheiterten Revolution.

Kann oder darf das Scheitern einer Revolution als Erfolg bezeichnet und verkauft werden? Ist Scheitern nicht immer ein Misserfolg?

Diesem scheinbaren Widerspruch geht Alexandra Bleyer in elf Kapiteln akribisch nach.

Revolution! Revolution?
Vor dem Sturm
Europa in der Krise
Vulkanausbrüche
Pariser Funkenflug
Herrschaftszeiten
Die Stunde der Parlamentarier
Mit vereinten Kräften
Triumph und Niederlage
Revolutionsschauplatz Medien
Was vom Aufstand übrig blieb

Ausgehend von revolutionären Agitationen aus Frankreich greifen die Rufe nach Grundrechten, Demokratie und damit einhergehend, die Abschaffung der absolutistischen Monarchien in ganz Europa um sich. Nun, vielleicht nicht ganz Europa, Großbritannien ist ausgenommen, da es hier schon eine konstitutionelle Monarchie gibt, was bedeutet, dass der Monarch nicht wirklich etwas zu sagen hat. Und Deutschland? Klein- und Kleinststaaten sowie ein Preußen, das sich zu Höherem berufen fühlt.

Neben einer chronologischen Abfolge der Ereignisse, in der - wie die Autorin einräumt, durchaus „auch der Mut zur Lücke“ enthalten ist, legt die Historikerin auch Wert auf die Sicht der direkt (Frauenrechtlerin Louise Otto-Peters) oder indirekt (Lola Montez als Revolutionsflüchting) beteiligten Frauen.

Minutiös listet Alexandra auf, welche der ungelösten wie Antisemitismus bzw. neu aufflammenden Konflikte (Nationalismus) zwar mit einigen Umwegen, aber dann doch in den Ersten Weltkrieg führten. Denn, um der eigenen Freiheit willen, die Freiheit anderer brutal zu unterdrücken, ist Konfliktstoff für die nächsten Generationen.

Gelungen ist den Revolutionären in der sogenannten „Paulskirchenverfassung“, dass den Männern über 25 Jahren das aktive und passive Wahlrecht zugestanden wurde. Und, fragt sich die geneigte Leserin, was ist mit uns Frauen? Sollten wir nicht ebenso ihre Stimme abgeben dürfen? Die Antwort muss, so glaube ich, nicht extra erwähnt werden: Frauen und Wahlrecht? Nein, danke - hier waren sich alle Männer einig.

Ein weiteres Ergebnis dieses Grundrechtskataloges ist die Befreiung der Bauern, die Versammlungsfreiheit (sie wird bei Bedarf wieder eingeschränkt oder ganz zurückgenommen) und eine scheinbare Gleichstellung der Juden.

Für echte Demokratie, wie wir sie heute verstehen, war niemand zu haben - weder die Revolutionäre noch (natürlich) die aktuellen Monarchen. Die einzelnen revolutionären Gruppen waren viel zu unterschiedlich und auch in sich zerstritten. So gesehen muss man die Revolution(en) von 1848/19 als gescheitert betrachten. Aber die Saat wurde gelegt, bis der Keim ausgetrieben hat, wird es noch Jahrzehnte dauern.

Fazit:

Eine fesselnd geschriebene Darstellung der Ereignisse von 1848/49, die durch aktuelle Gefährdungen der Demokratien sowohl in Europa als auch in den USA, zunehmend an Aktualität gewinnen. Erfolg und Scheitern liegen manchmal sehr eng beieinander. Gerne gebe ich diesem fundierten Sachbuch 5 Sterne und eine Leseempfehlung.