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Magnolia
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Bayern

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Insgesamt 571 Bewertungen
Bewertung vom 07.04.2024
Das andere Tal (eBook, ePUB)
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Phantastisches Szenario

Odile Ozanne lebt mit ihrer Mutter in einem Tal, das mit Stacheldraht und Wachtürmen gesichert ist. Im Nachbartal im Osten leben dieselben Bewohner, jedoch zwanzig Jahre später und im Westen leben sie zwanzig Jahre zuvor. Die Stadt und das Tal, in dem Odile lebt, gleichen exakt den Städten und Nachbartälern Ost und West.

Die Frage drängt sich auf: Was wäre, wenn ich noch einmal von vorne anfangen, zwanzig Jahre zurückgehen oder ich in die Zukunft schauen könnte, ich wissen möchte, wie ich in zwanzig Jahren lebe? Scott Alexander Howard hat sich diesen Fragen gestellt.

Die sechzehnjährige Odile steckt mitten in den Prüfungen. Nur die Besten schaffen es, für das Conseil zu arbeiten. Die Conseiller sind die Bewahrer des Lebens, sie bearbeiten die Anträge der Menschen mit dem Wunsch, in das Tal der Vergangenheit oder in das andere Tal, in das der Zukunft, reisen zu dürfen. Die Täler sind mit meterhohem Stacheldraht geschützt, schon ein Anfassen löst aggressiven Alarm aus, was den sofortigen Einsatz der Gendarmen zur Folge hat. Noch weiß die Sechzehnjährige nichts von diesem Grenzschutz, sie verbringt ihre freie Zeit mit ihren Freunden, der schüchterne Edme ist ihr besonders nah. Bis eines Tages ein Unglück geschieht.

„Es war seltsam, ausgerechnet heute an Edme erinnert zu werden. Es war das Jahr, in dem ich sechsunddreißig und sechsundfünfzig und sechzehn wurde.“

Könnte man das Leben anhalten, auf die andere Seite gehen, es nochmal von vorne anfangen? Die Vorstellung ist so hoffnungsvoll wie gruselig. Kann man im Nachhinein Dinge beeinflussen? Ein Ereignis ungeschehen machen? Gar dem Schicksal ins Handwerk pfuschen? Dieses Gedankenspiel rund um Zeiten und Zeitreisen ist faszinierend, trotzdem ist es schwer zu fassen. Ein unbedachter Augenblick und nichts ist mehr so, wie es war, wie es sein sollte. Da wäre es doch wunderbar, das Rad der Zeit zurückzudrehen und diesen einen Moment neu zu leben, anders zu agieren.

„Das andere Tal“ ist kein Buch zum Nebenbeilesen. Nein, auf dieses Buch sollte man sich einlassen. Es ist in zwei Teile gegliedert, zunächst ist es die sechzehnjährige Odile mitsamt ihrem Umfeld, später dann ist sie als Erwachsene im Arbeitsleben, das ausführlich durchleuchtet und durchlebt wird. Beide Teile offenbaren eine Welt, in der die Bewohner gut leben können, die aber von Zwängen und Vorschriften durchsetzt ist. Odile war mir nah und unnahbar zugleich, sie strahlt als Mädchen mehr Wärme aus, im Berufsleben wirkt sie eher distanziert, kühl und angepasst. Das Szenario ist dem Thema entsprechend nicht immer rational fassbar und doch faszinierend, das außergewöhnliche Gedankenexperiment dennoch gut nachvollziehbar umgesetzt. Scott Alexander Howards Debütroman wird mich noch lange beschäftigen, er wird im Gedächtnis bleiben.

Bewertung vom 06.04.2024
James
Everett, Percival

James


ausgezeichnet

„Man nennt mich Jim“

Die Abenteuer des Huckleberry Finn, die erstmals 1864 erschienen sind, hat Percival Everett neu interpretiert. Dabei gibt er einen tiefen Einblick in die Sklaverei der Südstaaten Amerikas im 19. Jahrhundert, die an Brutalität nicht zu überbieten war. Das alles wird hier aus James Perspektive erzählt, beginnend mit Huck und Tom, den weißen Jungs, denen es Spaß macht, mit den Sklaven ihren Schabernack zu treiben. Und die Sklaven müssen mitmachen, sie stellen sich dumm, obwohl so mancher klüger ist als die Weißen. James zumindest ist es. Er ist intelligent und sehr belesen, er schreibt – wie ich es später lese - mit einem Bleistiftstummel sein Dasein auf. Diesen Bleistiftstummel hat ihm ein anderer Sklave beschafft, dieser wurde erwischt und aufs Härteste bestraft.

Wer kennt sie nicht, die Abenteuer des Huckleberry Finn. Auch wenn es schon eine ganze Weile her ist, so war es ein Buch meiner Kindheit. Gut, meine Erinnerungen sind weitgehend verblasst und doch sind sie mir dank „James“ wieder allgegenwärtig, denn nach dem Lesen wollte ich mit der Original-Geschichte aus Hucks Sicht meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.

Nun aber zu „James“, dem Sklaven, der Jim genannt wird. Er ist mit Frau und Kind einer von Mrs. Watsons Sklaven. Und natürlich hat ein Sklave dumm zu sein, auch wenn so mancher intelligenter als die Weißen ist, so drückt schon der Slang der Schwarzen ihre Beschränktheit aus. Diese Sklavensprache dient ihnen auch als Schutzwall, denn wer so redet, kann in der Vorstellung der überlegenen Weißen nicht allzu viel Grips haben. Percival Everett hat eine eigene, grammatisch falsche Sprache mit einer verwaschenen Aussprache verwendet. Auch die deutsche Übersetzung von Nikolaus Stingl, die ich hier lese, finde ich sehr gelungen. Das Einfinden in diesen ganz speziellen Dialekt ist mir leicht gefallen, dieser Slang gehört hier zu den Sklaven, zu James, zu Jim.

Als Jim erfährt, dass Mrs. Watson ihn verkaufen will, flüchtet er auf eine nahe gelegene Insel mit dem Vorsatz, sobald er in Sicherheit ist und Geld hat, seine Familie nachzuholen. Er will weiter gen Norden, weg von der Sklaverei des Südens. Auch Huck muss verschwinden, denn sein gewalttätiger Vater ist wieder aufgetaucht, es kommt zwischen den beiden zur Rangelei, Huck nimmt Reißaus, ladet auf der Insel und trifft hier auf Jim. Ihre abenteuerliche Reise auf dem Mississippi beginnt.

Ihre Flucht mit einem Boot und einem selbstgebauten Floß ist ein gar tollkühnes Unterfangen, sie begegnen allerlei seltsamen Typen und nicht nur einmal soll Jim verkauft werden. Der Rassismus jener Zeit ist allgegenwärtig, die Denkweise und vor allem die schweren Misshandlungen, die Brutalität der weißen Herrschaften den Schwarzen gegenüber ist kaum auszuhalten. Ein Schwarzer gilt nicht als Mensch, er ist Besitz, mit dem man machen kann, was immer man will.

Percival Everett lässt Jim träumen, von John Locke etwa, den Philosophen und Vordenker der Aufklärung, mit dem er im Traum Zwiesprache hält. Auch begegnet Jim den Virginia Minstrels, einer Gruppe von Weißen, die in Blackface einen Schwarzen mimen, sich schwarz anmalen. Es sind aber auch ganz furchtbare Szenen von brutalster, blutiger Sklavenhaltung bis hin zu deren gewaltsamen Tod zu verkraften, barbarisch und unerbittlich von den Sklavenhaltern ausgeführt. Die ganze Brutalität und Skrupellosigkeit der Sklaverei der amerikanischen Südstaaten des 19. Jahrhunderts zeigt Everett aus „James“ Perspektive. Diese andere Sicht, die Sicht eines Insiders sozusagen auf die Sklavenhaltung, hätte durchaus schief gehen können. Ist es aber beileibe nicht, es ist ein grandioses Werk geworden, eine unterhaltsame Neuinterpretierung von Mark Twains Klassiker, der einen tiefen Einblick in den Rassismus gewährt. Ein Buch, das nachdenklich macht. Ein Buch, das ich nicht missen möchte.

Bewertung vom 03.04.2024
Die Frauen der Familie Carbonaro / Die Carbonaro-Saga Bd.2
Giordano, Mario

Die Frauen der Familie Carbonaro / Die Carbonaro-Saga Bd.2


sehr gut

Zwischen Sizilien und München – drei Lebenswege

„Nice to meet you.“ Vera und Elvis - die Schauspielerin und Elvis eben – das gibt’s doch nicht! Ziemlich verkatert sitzen sie an Marias Küchentisch, Toni und Peppe haben sie nach einer langen Nacht hierher geschleppt. Nachdem der caffè ihn auch nicht gerade fitter und wacher gemacht hat, bringt ihn der Saft der Blutorangen wieder auf die Beine. Und Maria war auf einmal klar, wie sie das sonnige Sizilien hierher, nach München, bringen kann. Ihre Geschäftsidee war geboren. Wir sind hier der Familiensaga etwas vorausgeeilt, dies war Ende der 1950er Jahre, aber nun von Anfang an.

„Die Frauen der Familie Carbonaro“, das zweite Buch um diese sizilianische Familie, ist ausgelesen. Hier geht es hauptsächlich um drei Frauengenerationen, um Pina, Anna und Maria. „Terra di Sicilia“, das Vorgängerbuch, erzählt die Lebensgeschichte des Barnaba Carbonaro, des Sizilianers, der von ganz unten angefangen hat, alles über die Zitrusfrüchte gelernt und sich mit dem Export nach Deutschland ein gutes Auskommen verschafft hat. Und nun sind es die Frauen, von denen ich abwechselnd lese. 1896 geht es los mit Pina, Barnabas blutjunger Ehefrau. Gefolgt von Anna, die sich in Nino verguckt hat. Er ist Pinas Sohn, er ist Schneider mit Leib und Seele und muss doch mit Barnaba mit nach München in die Großmarkthalle, seine Anna folgt ihm Jahre später. Wäre da noch Maria, geboren mit der Glückshaut und deshalb heißt sie eigentlich Pancrazia - wie alle Mädchen, die damit geboren werden. Sie hasst diesen Namen, alle nennen sie Maria.

Von diesen drei Frauen und von denen um sie herum erzählt Mario Giordano. Es ist so viel mehr als nur eine Familiengeschichte, das Buch bringt mir ein Stück Sizilien näher. Neben den Zitrusfrüchten geht es um Liebe und Hass, um Eifersucht und um den allgegenwärtigen Aberglauben. Die Patruneddi di casa, die Hausgeister, leben mit ihnen. Die Frauen werfen zwei Schatten, auch wenn nicht jeder diese sehen kann – Sizilien ohne dieses Mystische ist nicht denkbar. Pina, die Urgroßmutter des Erzählers, scheint eine vom Leben gezeichnete, harte Frau gewesen zu sein. Da ihr Barnaba meist abwesend war, musste sie die Familie auf Sizilien irgendwie durchbringen. Das Leben hatte für sie alles zu bieten – Unglück und zuweilen auch ein Stückchen Glück, Niederlagen wegstecken, immer wieder aufs Neue hoffen und irgendwie weitermachen und neben den familiären Tragödien spielen auch die Mafia und der Krieg eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Die Episoden um Pina, Anna und Maria wechseln sich ab, jede ist übertitelt mit dem jeweiligen Namen, dem Ort und des Jahres oder der Jahre, von denen die Geschichten gerade handeln. Anfangs war ich irritiert über diesen Aufbau, musste gelegentlich zurückblättern, bald jedoch hatte ich diesen Erzählstil verinnerlicht. Hilfreich waren der vorangestellte Stammbaum der Familie über drei Generationen sowie das Glossar am Ende des Buches. Neben den titelgebenden Carbonaro-Frauen ist viel Historisches mit eingeflossen sowohl in Italien als auch in Deutschland. Das immer noch vorherrschende Patriarchat hier und die Gräueltaten der Nationalsozialisten dort. Später dann die Nachkriegsjahre bis hin zu den 1970ern. Es war eine schlimme, eine finstere Zeit, es herrschte aber auch Helligkeit und Lebensfreude. Ein Kaleidoskop, vollgepackt mit Leben.

Der Roman gewährt einen tiefen Einblick in die Familie über einen Zeitraum von etwas mehr als siebzig Jahren. Der Wandel der Gesellschaft ist unübersehbar, auch die Welt der Carbonaros dreht sich weiter. Gerne bin ich ihnen gefolgt und habe mit ihnen ein anderes Sizilien kennengelernt, ein Sizilien, das nicht nur eitel Sonnenschein war.

Bewertung vom 28.03.2024
Geheimnisse, Lügen und andere Währungen
Ainetter, Wolfgang

Geheimnisse, Lügen und andere Währungen


ausgezeichnet

Realsatire vom Feinsten

„Der studierte Psychologe mit seinem dezenten Wiener Schmäh“ war Kommunikationschef im deutschen Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Wolfgang Ainetter ist hier gemeint, er hat auf gar amüsante Weise einen Ministeriums-Krimi geschrieben, der es in sich hat. Denn all das, was er auf so gut lesbare Art zu Besten gibt, birgt viel Wahrheit in sich. Sein Protagonist Hans-Joachim Lörr ist einer, der er sich auf Kosten der Steuerzahler gut gehen lässt.

Kurz vor seiner Pensionierung wird dieser Lörr entführt. Seine Ehefrau merkt dies erst sehr viel später, schließlich sind sie in einem noblen Restaurant zu Gast, die edlen und für das Ehepaar natürlich kostenlosen Speisen und Getränke müssen allesamt weggefuttert werden. Die Lörrs werden so schön überspitzt dargestellt, das Bild des gierigen Beamten ist bestens gezeichnet. Nun, das Entführungsopfer muss gefunden werden. Zuständig dafür ist der Kommissar André Heidergott, den es der Liebe wegen von Wien nach Berlin, direkt hinein ins Regierungsviertel, verschlagen hat. Leider ist ihm die Frau abhanden gekommen, der leiwande Wiener sitzt nun allein inmitten der Mächtigen.

Die Ermittlungsarbeit schreitet etwas zäh voran, auch weiß man als Leser, dass dieser Fiesling sich nicht einfach aus dem Staub gemacht hat, er wurde tatsächlich entführt. Wer denn dafür verantwortlich ist, bleibt lange im Verborgenen. Feinde hat er sich genug geschaffen, er hat seine Macht regelrecht zelebriert, hat seine Intrigen gesponnen und war sich stets selbst der Nächste. Und nun sitzt er da, eingesperrt im Nirgendwo.

Daneben und hauptsächlich ist es ein politisches Buch, das von A bis Z – von Adenauer bis Zypries und von all denjenigen dazwischen erzählt, von den damaligen und den heutigen Politikern. Da ist etwa der Bundesfiasko-Minister, den ich hier herauspicke, der hier als Felix Rohr unterwegs ist. Die Affäre um die PKW-Maut hat lange für Schlagzeilen gesorgt, wir wissen es alle.

Das Register der Eitelkeiten, das im Buch auf den letzten Seiten zu finden ist, zeigt all die bekannten Persönlichkeiten, die Wichtigen und diejenigen, die sich als wichtig erachten. Allesamt finden sie auf den 300 Seiten dieses Krimis ihren Platz und nicht nur das, der ein oder andere bekommt auch sein Fett weg, wie man so schön sagt. Es sind wohlbekannte Szenen und Anekdoten aus dem politischen Alltag, die verschmitzt und augenzwinkernd mit einer gehörigen Prise bissigem Humor wiedergegeben werden.

Wolfgang Ainetter lässt tief blicken. Er kennt sie alle, diese Machthungrigen. Mit Witz und Charme und seinem unverkennbaren Wiener Schmäh führt er durch das Berliner Regierungsviertel und auch wenn er so mache Gestalt inkognito auftreten lässt, so weiß man doch, wer denn hier gemeint ist. Seine „Geheimnisse, Lügen und andere Währungen“ haben Biss, sprühen nur so vor Wortwitz, sie sind Lesegenuss pur. Der Autor hat mich bestens unterhalten und mir so manches Schmunzeln ins Gesicht gezaubert.

Bewertung vom 28.03.2024
Ostseefinsternis / Pia Korittki Bd.19 (eBook, ePUB)
Almstädt, Eva

Ostseefinsternis / Pia Korittki Bd.19 (eBook, ePUB)


sehr gut

Familienfehde

Pia Korittkis neunzehnter Fall unterbricht ihren langersehnten Urlaub mit ihrem Sohn Felix, den sie mit Marten in seinem neuen Haus an der Ostsee verbringen. Nun gut, Marten verbringt gerne Zeit mit dem Siebenjährigen und da Pia noch ganz am Anfang dieses immer komplexer werdenden Falles ist, begleitet Marten Felix zum Schwimmunterricht, den er für sein Schwimmabzeichen braucht, auch unternehmen die beiden vieles miteinander, sie sind gut drauf und haben ihren Spaß. Diesbezüglich muss sich also Pia keine Sorgen machen, wenn da nicht in ihrem neuesten Fall die Zwillinge eines Verdächtigen auch im Hallenbad wären.

Stella Böttcher ist nach ihrer Schicht in einem Lokal spät nachts auf dem Heimweg, als sie überfallen und brutal zusammengeschlagen wird. Nach ihrem Blackout erinnert sie sich an einen großen Typen, der mit einem harten Gegenstand auf sie eingedroschen hat. Kurz darauf wird die Leiche eines jungen Mannes an den Klippen gefunden – war es ein Unglücksfall? Ein Racheakt? Heimtückischer Mord oder gar Suizid? Und - haben die beiden Verbrechen miteinander zu tun? Pia und ihr Team finden schnell heraus, dass es im Ort zwei weit verzweigte Familien gibt, die sich seit Urzeiten bekriegen. Sie stehen vor einer Mauer des Schweigens und der Lügen, die Ermittlungen gestalten sich dementsprechend schwierig.

Neben der aufwendigen Polizeiarbeit haben Pia und ihr Partner Broders schon auch ein Privatleben, wenngleich dies momentan viel zu kurz kommt - ihre privaten Momente blitzen aber doch immer mal wieder durch. Wer die Pia-Korittki-Reihe verfolgt, weiß um ihre Entwicklung, jedoch kommen auch Neueinsteiger gut zurecht, jedes Buch ist in sich abgeschlossen.

Eva Almstädt lässt ihre Leser lange im Dunkeln, sie legt viele Fährten aus, jede einzelne könnte zur Aufklärung beitragen und doch bleiben Zweifel. Eine alte Familienfehde spaltet den Ort in zwei Lager und selbst innerhalb jeder dieser Familien ist längst nicht alles eitel Sonnenschein. Die fiesen Charaktere sind gefühlt in der Überzahl, aber auch den anderen, denen man nichts Schlechtes nachsagen möchte, ist nicht ganz über den Weg zu trauen. In all den Lügen und Intrigen ist viel Hass zu spüren. Den alten Feindschaften kommen neue hinzu, die Dorfgemeinschaft grenzt aus, es wird vorverurteilt und den Ermittlern gegenüber dann geschwiegen.

Zwischendrin hatte „Ostseefinsternis“ einige Längen, Pia kam gefühlt nicht vorwärts. Diese akribische Kleinarbeit hätte ich mir so ab und an etwas weniger detailliert gewünscht und doch wollte ich unbedingt wissen, wer denn für den Mord und auch den Überfall vorher und für noch so manche Straftat verantwortlich ist. Letztendlich hatte Pia den richtigen Riecher, der Schluss war nochmal so richtig spannungsgeladen und nervenaufreibend. Pia kann nun ihren wohlverdienten Urlaub fortsetzen und Kräfte sammeln für ihren nächsten Fall, den ich unbedingt wieder lesen will.

Bewertung vom 28.03.2024
Wären wir Vögel am Himmel (eBook, ePUB)
Litteken, Erin

Wären wir Vögel am Himmel (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Einfühlsam erzählt

Erin Litteken erzählt hier ihre Familiengeschichte. Eine Geschichte, in der Fiktion und Wirklichkeit ineinander fließen, die zum größten Teil von der ukrainischen Seite ihrer Familie handelt. Diese stammt aus der historischen Region Wolhynien im einstigen Ostpolen, der heutigen West-Ukraine. Inspiriert wurde sie ganz besonders von ihrer Urgroßmutter, die ums Überleben ihrer Familie gekämpft hat, die so viel Schreckliches gesehen hat und von so vielem loslassen musste.

Kaum waren die Sowjets 1941 auf dem Rückzug, kamen die Deutschen und wie sie bald feststellen mussten, waren die Nazis um keinen Deut besser. Sie wollten das Land, die Bevölkerung wurde verschleppt und als Ostarbeiter zwangsverpflichtet. Dabei war es ihnen egal, wie viele diese Knochenarbeit überlebten, denn Nachschub war im Anmarsch. Einmal in deren Fängen, gab es kein Entkommen und sollte es doch einer gewagt haben zu fliehen, wurden sie kaltblütig niedergemetzelt oder aber in eines der Vernichtungslager interniert.

„Wären wir Vögel am Himmel“ erzählt von Lilja, von ihrem Cousin Slavko und der anfangs zwölfjährigen Halya. Von Vika und Maksim und ihren Kindern, von Filip, der aus Polen stammt und von einigen mehr. Sie alle müssen ihre Heimat aufgeben, ganze Dörfer werden dem Erdboden gleichgemacht. So mancher schließt sich dem ukrainischen Wiederstand (der UPA) an, nicht jeder hat seinen Heldenmut überlebt.

Es ist ein erschütterndes Zeugnis einer Zeit, in der ein geschundenes Volk ums Überleben kämpft. Schon Erin Littekens Debütroman „Denk ich an Kiew“ greift die Geschichte der Ukraine auf und nun legt sie mit ihrem neuen Roman nach und wieder spielt die Wirklichkeit mit hinein. „Wären wir Vögel am Himmel“ ist im und nach dem Zweiten Weltkrieg angesiedelt, die Autorin dringt tief ein in die Flucht- und die Hungerjahre sommers wie winters, schildert die Bombardierung der Städte, die dadurch entstandenen Brände mitsamt den dort eingeschlossenen Menschen – viele davon konnten sich aus diesem Inferno nicht retten.

Ich lese von ihrer Flucht, kann mir diesen nagenden Hunger in seiner Gänze gar nicht vorstellen, durchlebe die unmenschliche Behandlung - als Untermenschen werden sie bezeichnet und sollten sie auch nur mit der Wimper zucken, werden sie brutalst misshandelt. Das nicht endend wollende Grauen ist schwer zu ertragen und doch sauge ich alles in mich auf, lese aus verschiedenen Perspektiven ihren Kampf nicht nur ums Überleben. Auch sind sie auf der Suche nach ihren Lieben, nach ihrer Familie, die sie irgendwann aus den Augen verloren haben.

Im sehr lesenswerten Nachwort dann schildert die Autorin die Geschichte der Ukraine in der Zeit, in der dieser Roman angesiedelt ist. Es waren schlimme Jahre und so mancher wählte den Freitod, um nicht den Feinden in die Hände zu fallen. Das hier beschriebene Schicksal ihrer Familie ist fiktional, jedoch spielen viele tatsächlichen Begebenheiten mit hinein.

Und wieder ist es ein russischer Aggressor, der seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine gnadenlos durchzieht. Und wieder ist ein Frieden für dieses leidgeprüfte Volk in weiter Ferne. Die Geschichte wiederholt sich, wir hören und sehen es täglich.

Der Roman schildert eine Zeit voller Hoffnungslosigkeit und doch spürt man die Kraft, trotz all dieser Gräueltaten die Hoffnung nicht ganz zu verlieren. Es ist eine einfühlsam erzählte Geschichte, die lange nachhallt, die ich jedem Geschichtsinteressierten empfehlen kann.

Bewertung vom 27.03.2024
Tödlicher Stoff / Die Hausboot-Detektei Bd.3 (eBook, ePUB)
Achterop, Amy

Tödlicher Stoff / Die Hausboot-Detektei Bd.3 (eBook, ePUB)


sehr gut

Ein gar tödlicher Stoff

„Stopp!“ ruft Arie noch, aber der Schattenmann tänzelt schon auf die Straße, er liegt am Boden, sein Kopf ist seltsam verdreht. Kein Puls – der Mann ist tot. Auch der dritte Auftrag für die fünf Hobby-Detektive hat es in sich, sie haben es mit einem gar tödlichen Stoff zu tun. Welche Art Stoff hier wohl gemeint ist?

Nochmal zurück zum Anfang, als der Schattenmann direkt vor Aries Augen von einem Müllauto erfasst wird. Die Polizei geht von einem tragischen Unfall aus, lediglich die Tochter des Toten glaubt nicht daran. Also beauftragt sie die Hausboot-Detektei, schließlich war Arie, der Inhaber, direkt am Ort des Geschehens.

Mittlerweile kenne ich sie ganz gut, die fünf Hobby-Detektive, die auf eine liebenswürdige Art ein wenig verpeilt aber doch ganz schön auf Zack sind. Es sind Arie, der ehemalige Polizist und auch Maddie, die sich ihrer Schwester Isa annimmt. Isa ist schon zwanzig, im Kopf aber eher noch sechs Jahre alt. Sie kann wunderbar nähen, ihre Kreationen sind einzigartig und wie es der Zufall so will, knabbert Fru Gunilla, das zahme Eichhörnchen, einen sündteuren Stoff an. Eine Spur führt zu dem anfangs erwähnten Unfallopfer und weiter zu einem schwedischen Modedesigner, eine Textilexpertin dient ihnen hier als Ansprechpartnerin. Und schon drängt sich die Frage auf, ob der „Tödliche Stoff“ textilen Charakter hat oder es sich doch eher um einen anderen Stoff, um Drogen, handeln könnte.

Neben Arie und Maddie sind da noch Jack, Jan und Elin, zusammen sind sie an diesem ziemlich undurchsichtigen Fall dran. Und auch die 80jährige Kaatje Hommel mischt mit ihren selbstgestrickten Mützen mit, ob sie es nun will oder nicht. Es kommt ganz schön viel zusammen, der Fall wird immer komplexer, es geht um Einbruch, um Entführung und Lösegeldforderung. Aber nicht genug damit, es gibt weitere Leichen.

Diese liebenswerte Gaunerkomödie liest sich witzig-spitzig und nicht nur die Story an sich hat viel Charme, auch die fünf Detektive sind herzerfrischend und jeder auf seine ganz spezielle Art sympathisch, wenngleich sie auch anders können. Sie sind eine bunte Truppe, zu der auch ein Neufundländer gehört, der ganz einfach Hund heißt und natürlich – wie schon erwähnt – ist Fru Gunilla nicht wegzudenken. Einer ihrer selbstverfassten Hausregeln besagt, dass sie sich an das Gesetz zu halten haben, was nicht immer so einfach ist. So manches Mal schliddern sie ein wenig am Rande der Legalität vorbei, um dann doch noch die Kurve zu kriegen. Wie anders sollte man auch aus den finsteren Gestalten, mit denen sie es hier zu tun haben, etwas herausbekommen?

Ihr dritter Fall hat für reichlich Stoff gesorgt, er ist so gut wie aufgeklärt und nun meint Jack „ich kündige“. Maddie kontert mit ihrer Spinnst-du?-Stimme „super Timing“. Ob er denn wirklich weiterziehen will – wir werden es sehen, auch wenn es noch ein Weilchen dauern mag, bis Band 4 nicht nur auf diese Frage Antwort gibt, auch werden es die Hausboot-Detektive dann mit gar tödlichen Farben zu tun haben. Ich freu mich drauf.

Bewertung vom 27.03.2024
Und Großvater atmete mit den Wellen (eBook, ePUB)
Teige, Trude

Und Großvater atmete mit den Wellen (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Geht unter die Haut

„Wusstest du, dass Wellen, ganz unabhängig vom Wetter, im immer gleichen Rhythmus an Land schlagen? Das ist fast wie unsere Atemzüge, wenn wir schlafen.“

Schon Trude Teiges großartiges Buch „Als Großmutter im Regen tanzte“ hat mich vollauf begeistert, es hat mich tief berührt und noch heute, nach mehr als einem Jahr, ist es so, als ob ich es gerade weggelegt hätte. Und nun, nachdem ich Konrad nach Java in die Zeit des Zweiten Weltkrieges begleitet habe, direkt hinein in die Gefangenschaft, bin ich wiederum sehr bewegt und ob der menschlichen Grausamkeiten erschüttert. Auch dieser Nachfolgeband „Und Großvater atmete mit den Wellen“ geht unter die Haut, er erzählt von dem jungen Konrad, dessen Handelsschiff von einem U-Boot attackiert und versenkt wurde. Nicht viele haben überlebt, Konrad und ein verletzter Kamerad können sich auf ein Beiboot retten. Nach neunzehn Tagen auf hoher See werden sie gerettet und in ein Krankenhaus auf Java gebracht. Dort lernt Konrad die junge Krankenschwester Sigrid kennen und lieben. Bald kommen sie beide getrennt voneinander in japanische Gefangenschaft.

Die Japaner hatten Java besetzt und auch hier kämpfen die Lagerinsassen um das tägliche Überleben. Wir kennen diese Zeit aus unserer Geschichte nur zu gut. Auch die Japaner kannten kein pardon, ihre Gefangenenlager waren geprägt von Gewalt und Hunger, die Grausamkeiten und ihre Gräueltaten haben viele nicht überlebt. Trude Teige beschreibt die Zeit sehr eindringlich aus Sicht von Sigrid und Konrad und den Menschen um sie herum. Ihre Not war mit Händen greifbar, nicht nur einmal wurde mir beim Lesen das Herz schwer, nicht immer konnte ich die Tränen zurückhalten. Die beiden verlieren sich aus den Augen, treffen irgendwann dann doch wieder aufeinander, sie hoffen so sehr auf ein Leben danach, auf ein Leben in Freiheit und Frieden. Kann ihnen die Hoffnung auf dieses so ersehnte Leben die Kraft geben, durchzuhalten?

Die Geschichte von Konrad und Sigrid ist fiktiv, sie basiert jedoch auf wahren, auf dokumentierten Begebenheiten. Die Autorin hat mir ein Stück Kriegsgeschichte über die japanisch besetzte indonesische Insel Java nähergebracht. Sehr anschaulich spricht sie über eine tragische Zeit, die nicht vergessen werden darf. In keinem Land, niemals sollten sich diese unmenschlichen Gräueltaten wiederholen. Die Wirklichkeit spricht jedoch eine andere Sprache.

Nun weiß ich auch um das Schicksal des Großvaters und wie die beiden Großeltern zusammengefunden haben, ihre Enkeltochter Juni ist die Erzählerin. Auch dieses zweite Buch, Großvaters Geschichte, werde ich nicht vergessen. Auch dies ein Buch, das man lesen sollte.

Bewertung vom 25.03.2024
Das Verbot: Thriller
Shepherd, Catherine

Das Verbot: Thriller


ausgezeichnet

Ein verboten guter Thriller

Wer Catherine Shepherds Zons-Thriller kennt, der weiß um die zwei Zeitebenen und die beiden Ermittler. In der Gegenwart ist dies Oliver Bergmann, seines Zeichens Kriminalkommissar und vor fünfhundert Jahren dann ist (war) es der Stadtsoldat Bastian Mühlenberg. Die beiden waren und sind für die Sicherheit in Zons zuständig. Beide Zeitstränge knistern vor Spannung, in beiden Zeiten gilt es, Verbrechen aufzuklären. Was es mit diesem „Verbot“ auf sich hat, bleibt lange im Unklaren. Ein uraltes Geheimnis zieht sich über die Jahrhunderte hinweg, die Erklärung dessen ist letztendlich in sich schlüssig, es braucht jedoch eine ganze Weile, bis sich dieses gut gehütete „Verbot“ offenbart.

Den Ort des Geschehens kann man sich anhand des Planes von Zons auf der Cover-Innenseite gut vorstellen. Dieser ist zur besseren Orientierung gerade anfangs sehr hilfreich.

Was geschieht da? Schon der Prolog lässt mich schaudern, mein Kopfkino springt unweigerlich an, um dann gleich in die Vergangenheit abzugleiten. Bastian wird ins Kloster gerufen, Bruder Gregor liegt in einer seltsamen Pose direkt vor dem Klostertor. An der Spitze des Pfeils, der sein Herz durchbohrt hat, findet Bastian ein Pergament mit einer auf Latein verfassten Botschaft. Diese deutet auf das Vermächtnis schweigender Mönche hin – ein noch ganz und gar kryptisches Schriftstück.

Auch Oliver muss sich in der Gegenwart mit einem rätselhaften Mordfall beschäftigen, wird doch eine allseits beliebte Psychologin tot aufgefunden. Wie sich bald herausstellt, ist der Auffindeort nicht der Tatort, sie wurde nach ihrem Tod auf eine ganz bestimmte Art in ihrer Praxis abgelegt – was will der Täter damit sagen? Es bleibt nicht bei dem einen Mord, sowohl Oliver Bergmann als auch Jahrhunderte zuvor Bastian Mühlenberg haben es – so wie es den Anschein hat - mit einem Serientäter zu tun.

Ich gestehe, ich bin süchtig nach Catherine Shepherds Zons-Thrillern und dieser hier, der mittlerweile 14. dieser Reihe, ist so gut geschrieben, dass ich ihn am Stück verschlungen habe. Oliver und Bastian sind mir wohl vertraut, von beiden blitzt auch ein wenig Privatleben durch, wobei ich (sorry Oliver) Bastian total verfallen bin. Ich hoffe sehr, dass ich noch ganz viel von dem Stadtsoldaten und natürlich auch von Oliver lesen werde.

„Das Verbot“ steckt voller überraschender Wendungen, die Handlung in beiden Zeitebenen ist meisterlich durchdacht, auch sind die Parallelen vom Gestern zum Heute durchaus schlüssig, sie ziehen sich durch die beiden Erzählstränge. Die Ausgangssituation, der Hinweis auf dieses ominöse Vermächtnis der schweigenden Mönche, passt sich perfekt der Story an – besser könnte man es nicht wiedergeben. Und nicht zuletzt hat es das fulminante Finale nochmal in sich. Ein wiederum durchweg fesselnder, erstklassiger Thriller ist ausgelesen, ich hoffe bald auf den nächsten Zons-Thriller.