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Miro76
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Österreich

Bewertungen

Insgesamt 142 Bewertungen
Bewertung vom 24.04.2023
Straßenmusik
Behr, Markus

Straßenmusik


sehr gut

Jonas und Chiara sind auf dem Weg nach Amsterdam. Bereits im Zug treffen sie kurz aufeinander, gehen aber getrennte Wege. Beide sind irgendwie ein bisschen auf der Flucht. Beide haben Verluste zu betrauern und müssen sich neu orientieren.

Chiara ist in Amsterdam, weil sie da Strassenmusik machen will und auf gutes Publikum hofft. Sie schreibt eigene Songs, ist aber etwas verunsichert, ob die was taugen.

Jonas will einfach nur weg und Amsterdam ist wohl das erste was ihm eingefallen ist, denn seine Band hat ihn gleichzeitig mit dem Durchbruch rausgeschmissen. Das große Konzert steht an und er möchte sich den unangenehmen Fragen nicht stellen. In Amsterdam irrt er durch die Straßen, bis er über Chiaras Gitarre stolpert, die sie in einem Pub vergessen hatte.

Endlich kann er wieder Musik machen und über die Gitarre lernen sich die beiden nun tatsächlich kennen.

Ihre Annäherung gestaltet sich etwas schwierig, denn Jonas ist sehr introvertiert und schüchtern. Er kann sich schlecht mitteilen und kommt dabei kaum auf den Punkt. Chiara ist nicht gerade die geduldigste Person und eigentlich immer kurz vor einem Wutausbruch. Diese Unterschiede könnten auch eine Stärke sein, doch tatsächlich hat man eher das Gefühl, sie schwächen das feine Gefüge, das ihr Duo bildet. Musikalisch harmonieren sie perfekt, aber privat läuft es nicht besonders rund zwischen ihnen.

Schön fand ich, dass von Anfang an klar war, dass diese Geschichte keine Romanze wird, denn Chiara steht ganz eindeutig auf Frauen und hält das vor Jonas auch nicht geheim. Sie gefällt ihm zwar sehr gut, aber es ist ihm bewusst, dass es zwischen ihnen nur Freundschaft geben kann.

Ob die beiden den großen Durchbruch schaffen, wir hier natürlich nicht verraten. Nur noch so viel: Beide finden wieder Halt in ihren Leben. Die Zeit der Orientierungslosigkeit findet nach Amsterdam ein Ende.

Schade fand ich, dass Chiaras Verhalten bis zum Schluss nicht ganz geklärt ist. Ihre unbändige Wut, die sie immer wieder explodieren lässt, bleibt unbegründet und hat auch dazu geführt, dass mir diese Figur immer fremd blieb. So sind die Sympathien recht eindeutig zugunsten des ruhigen Jonas verteilt, denn er ist zwar übermäßig selbstkritisch, aber immerhin zu Selbstreflexion fähig. Bei Chiara zeigt sich das nur ganz rudimentär.

Insgesamt hat mich das Buch gut unterhalten. Es liest sich flott und flüssig, der Stil ist nicht kompliziert und die Geschichte ist spannend und interessant. Am besten liest man das Buch im Zug, mit der passenden Playlist im Ohr!

Bewertung vom 19.04.2023
22 Bahnen
Wahl, Caroline

22 Bahnen


ausgezeichnet

Tilda zieht täglich ihre 22 Bahnen, damit sie ihren Kopf frei bekommt. Sie ist ein Mathegenie und arbeitet neben dem Studium auch noch an der Supermarktkasse, damit sie ihrer kleinen Schwester Ida was zu Essen machen kann. Denn die Mutter ist Alkoholikerin und leidet zudem an Depressionen. Wenn es ganz schlimm kommt, findet Tilda ihre Schwester im Zimmer eingesperrt und die Mutter blutend in den Scherben einer Flasche.

Zeit für ein typisches Student*innenleben bleibt Tilda nicht. Und geht sie doch mal aus, kann es leicht passieren, dass zuhause eine Katastrophe auf sie wartet.

Doch Tilda meistert ihr verqueres Leben hervorragend. Sie trägt eine Verantwortung, die ihr viel zu jung aufgebürdet wurde und stärkt ganz nebenbei ihre kleine Schwester, damit auch sie irgendwann mit der Mutter zurecht kommt.

Und dann taucht auch noch Viktor auf, der ebenfalls seine Bahnen zieht und Tilda an das Unglück vor einem Jahr erinnert, als sie einen ihrer besten Freunde verlor. In ihrem jeweiligen Unglück gefangen, nähern sich die beiden an und stützen sich weitgehend gegenseitig.

Doch keine Angst: Das Buch ist keine Romanze! Die Autorin erzählt hier wirklich feinfühlig vom Aufwachsen unter erschwerten Bedingungen und wie und warum es trotzdem gelingen kann ein zufriedenes und schönes Leben zu führen.

Tilda's Geschichte hat mich wirklich berührt und ich finde, der Autorin ist hier eine wunderbare Protagonistin gelungen, die mitten aus dem Leben gegriffen wirkt. Sie ist nicht perfekt, macht auch ihre Fehler und darf auch mal ein bisschen egoistisch sein. Und mit Ida hat sie eine zauberhafte kleine Schwester geschaffen, die man einfach liebhaben muss.

Caroline Wahl konnte mich mit 22 Bahnen wirklich begeistern. Ich wäre nur gerne etwas länger an Tilda und Idas Seite geblieben!

Bewertung vom 13.04.2023
Seemann vom Siebener (eBook, ePUB)
Frank, Arno

Seemann vom Siebener (eBook, ePUB)


gut

Ein heißer Augusttag im Freibad einer Kleinstadt: Da sitzt Renate an der Kassa, die in der Kreissparkasse von einem Automaten abgelöst wurde und jetzt kreuzworträtsellösend Eintrittskarten verkauft. Und da ist immer auch Kiontke der Bademeister, der hier eigentlich nicht mehr arbeiten sollte, denn er müsste ja schwer traumatisierte von dem schrecklichen Unfall sein, der einige Jahre vorher passiert ist.

Langsam beginnt sich das Bad zu füllen. Frau Trautenheimer kommt immer, auch wenn ihr der Weg schon schwer fällt und sie auch ihre letzte Freundin überlebt hat. Doch sie zieht ihre Bahnen, wenn auch nur mehr am Beckenrand entlang.

Ein Mädchen kommt mit ihrem Bruder. Zum ersten Mal seit langer Zeit hat sie ihr Zimmer verlassen und sie hat ein Projekt. Sie will einen Seemann vom Siebener springen und es os allen zeigen, nicht zuletzt ihr selbst.

Lennard ist auch da. Er hat die Kleinstadt schon vor Jahren verlassen, um als Fotograph die Welt zu bereisen. Der Tod seines ehemals besten Freundes hat ihn zurückgebracht, denn am Abend ist die Beerdigung. Und natürlich ist auch Josefine da, die damals die Dritte im Bunde war.

Dann gibt es noch eine Kindergartengruppe, mit einer wenig emphatischen Betreuerin, Eltern mit Kindern und Kinotkes Pappenheimer - Jugendliche, die immer wieder mal für Ärger sorgen.

Arno Frank hat sich interessante Lebensgeschichten für seine Figuren überlegt. In Rückblenden werden Erinnerungen geteilt und wir lernen die Badegäste langsam immer besser kennen. Anfangs wirkt die Geschichte sehr zerfasert. Es fehlen die Zusammenhänge und das Verständnis für die Figuren. Außerdem ist das ganze überschattet von zwei Unglücken, die ebenfalls nicht richtig fassbar sind.

Am Ende des Romans war ich sehr unzufrieden, weil mir alles zu offen erschien. Zu wenig wurde aufgeklärt und ich hatte das Gefühl, dem Autor sind ein paar Fäden abhanden gekommen.

Glücklicherweise durfte ich das Buch in einer Leserunde lesen und wurde dann aufgeklärt über eine wichtige Tatsache, die ich so nicht verstanden hatte. Ich bin zwar immer wieder über Andeutungen gestolpert, konnte sie aber nicht richtig einordnen. Da ich nicht die Einzige war, der es so ergangen ist, komme ich zu dem Schluss, dass der Autor ein bisschen zu gut im Verschleiern ist. Zumindest am Schluss hätte er etwas deutlicher werden können, denn nicht alle diskutieren das Buch im Anschluss.

Wenn man das dann weiß, fügt sich alles gut ein.

Somit empfehle ich das Buch Leser*innen die einen 7. Sinn haben. Ich kann leider nur 3 Sterne vergeben. Mehr geht nicht bei einem Buch, das mindesten die Hälfte der Leser*innen der Runde nicht verstanden haben.

Bewertung vom 02.04.2023
Gallant
Schwab, V. E.

Gallant


sehr gut

Olivia Prior lebt in einem Waisenhaus und ist ziemlich einsam da. Sie kann nicht sprechen und die anderen Mädchen meiden sie, weil sie irgendwie anders ist. Aber sie sieht Wesen, die sie Guhle nennt. Diese Wesen sehen zwar irgendwie zombieartig aus, wollen ihr anscheinend aber nicht Böses. Sie können sie auch nicht berühren und wenn sie sie direkt anschaut, verschwinden sie. Sie darf sie immer nur aus den Augenwinkeln betrachten.

Außerdem hat sie das Tagebuch ihrer Mutter, das gegen Ende hin leider immer kryptischer wird und sie vor etwas warnt, das Gallant heißt. Olivia hat keine Ahnung, was das bedeuten soll.

Doch alles ändert sich, als ein Brief eines Onkels eintrifft, der sie einlädt, auf sein Anwesen zu kommen. Sie wird Hals über Kopf in ein Auto verfrachtet, um die Reise anzutreten. Die Gouvernanten scheinen froh zu sein, sich des Mädchens entledigen zu können. Es ist bereits Abend, als sie an einem Herrenhaus ankommt, das seine Tore nur widerwillig öffnet. Olivia wird als Prior erkannt, aber erwünscht scheint sie nicht zu sein. Der Onkel ist bereits verstorben und ihr Cousin ist äußerst ablehnend. Nur die beiden Hausangestellten scheinen sich zu freuen, dass Olivia nach Hause kommt.

So ist es an Olivia herauszufinden, was an diesem geheimnisvollen Ort vorgeht, warum ihre Mutter sie von dort Fernhalten wollte und wie sie es schaffen kann, nicht wieder vertrieben zu werden, denn sie fühlt sich eindeutig in Gallant zuhause.

V. E. Schwab hat einen sehr atmosphärischen und düsteren Roman geschaffen. Bereits im Waisenhaus herrscht eine lebensfeindliche Stimmung. Alles ist grau in grau und die wenigen Farben die den Alltag durchdringen, werden von Olivia hervorgehoben und gewürdigt. Mal ist es ein kleines Blümchen, das ihre Aufmerksamkeit erregt, mal das Orange einer gestohlenen Mandarine. Die Autorin beschreibt die Szenerie sehr bildlich und man kann sich das triste Leben da gut vorstellen.

Auch die Ankunft in Gallant ist ziemlich mysteriös. Es wird von Anfang an Spannung aufgebaut um das Geheimnis, das im Dunkeln zu lauern scheint. Der Spannungsbogen ist enorm und die düstere Atmosphäre hat mich beim Lesen komplett in ihren Bann gezogen. Ich konnte das Buch kaum mehr aus der Hand legen. Dementsprechend hoch waren meine Erwartungen, was den großen Showdown am Ende angeht, doch damit hat mich die Autorin leider enttäuscht. Der Schluß wird viel zu schnell abgehandelt und besticht dann nicht gerade mit Kreativität. Dadurch lässt mich das Buch etwas enttäuscht zurück.

Da mir die Lektüre aber großen Spaß bereitet hat und ich den Roman sehr stimmungsvoll und stilistisch ansprechend wahrgenommen habe, vergebe ich dennoch 4 Sterne.

Bewertung vom 20.03.2023
Immer am Meer entlang
Jebens, Franziska

Immer am Meer entlang


gut

Josi träumt seit ihrem zehnten Lebensjahr davon, mit einem Bulli durch Europa zu reisen - immer am Meer entlang. In ihrem Zimmer hängt eine Europakarte in der viele Pins stecken. Im Laufe der Jahre haben sich eine Menge Reiseziele ergeben, alle penibel recherchiert. Als sie mit dreißig startet, hat sie eine perfekt organisierte Route vor sich.

Paul ist nicht gut drauf. Sein Herz wurde übelst gebrochen und im Job fühlt er sich auch nicht wohl. Er ist ein traniger Typ, der er eigentlich nie sein wollte. Zufällig stolpert er in einen Vortrag von zwei Aussteigern, die mit ihrem Landy unterwegs sind und ist sofort Feuer und Flamme für die Idee. Er kauft sich einen gebrauchten Toyota Land Cruiser - ein Buschtaxi, baut innerhalb von drei Wochen den Innenraum um und startet direkt.

Gegensätzlicher könnten die Zwei nicht sein, doch wie wir alle wissen, ziehen sich Gegensätze an.

Josi und Paul legen einen holprigen Start hin. Ihre erste Begegnung läuft nicht ganz so ab, wie es beide gerne gehabt hätten. Aber ein kleiner Funke ist übergesprungen und nach einem weiteren zufälligen Treffen, werden Telefonnummern ausgetauscht. Wie alles weitergeht, können sich die meisten wahrscheinlich eh schon denken.

Die Autorin hat nicht gespart an Klischees, was diese Romanze angeht und phasenweise fand ich das Verwirrspiel zwischen den beiden sehr mühsam. Auch die Sprache besticht nicht gerade mit Originalität. Die Sätze könnten einfacher nicht sein und so liest sich das Buch recht schnell weg. Dennoch hat mich diese Geschichte gut unterhalten, denn sie betört mit traumhafter Kulisse. Die Schauplätze sind interessant gewählt, abseits der üblichen Touristenpfade und wecken Erinnerungen an meine eigenen Reisen in Europa. Kulinarisch hat das Buch auch einiges zu bieten. Paul ist ganz nebenbei ein hervorragender Koch!

Dieses Buch stellt keine literarischen Ansprüche, aber wer nette Unterhaltung für Zwischendurch oder für heiße Urlaubstage sucht, ist mit diesem Roadtrip gut beraten, sollte aber nicht zu hohe Ansprüche daran stellen. Außerdem eignet sich das Buch für stressige Zeiten. Wenn der Kopf schon raucht vom Tagesgeschäft - so geht es mir gerade - kann damit gut abschalten. Daher vergebe ich drei Sterne.

Bewertung vom 14.03.2023
Lichte Tage
Winman, Sarah

Lichte Tage


ausgezeichnet

Ellis flieht die Tage und arbeitet nur mehr in der Nachtschicht, seit seine Frau bei einem Autounfall ums Leben kam. Nur sein junger Kollege versteht es, den Einzelgänger manchmal aus seinem Schneckenhaus zu locken. Vielleicht erinnert er Ellis an seine eigene Jugend.

Erst ein weiterer Autounfall bringt Veränderung und holt Ellis aus der Stagnation der Trauer. Sein eingegipster Arm zwingt ihn zu einer längeren Pause und somit auch dazu, sich mit seinen Erinnerungen zu konfrontieren.

So erfahren wir von Ellis Jugend, seiner schöngeistigen Mutter, die in ihrem Arbeiterhaushalt alles andere als glücklich war und sich dem Vater gerade ausreichend widersetzte. Und wir lesen von Ellis bestem Freund Michael, der seine Eltern früh verloren hat und nun ebenfalls in Oxford bei seiner Oma aufwächst. Die beiden träumen vom Licht der Provence, wo Van Gogh die Sonnenblumen gemalt hat. Ein Bild als Zeichen der Freundschaft und Dankbarkeit, das das Leben der Mutter für immer verändert hatte.

"Lichte Tage" ist eine feinfühlige Geschichte über stürmische Liebe, feste Freundschaftsbande und große Verluste. Tod und Trauer prägen diese Lebensgeschichten und geben dem Roman eine gewisse Schwere, die durch die leichtfüssige Sprache gut ausgeglichen wird. Ich habe dieses Buch ausgesprochen gerne gelesen, mit den beiden Jungs mitgelitten und mich an ihren schönen Zeiten erfreut. Die Autorin konnte mich mit diesem Roman berühren und begeistern und am liebsten würde ich jetzt auch aufbrechen in den Süden Frankreichs!

Bewertung vom 12.03.2023
Young Mungo (eBook, ePUB)
Stuart, Douglas

Young Mungo (eBook, ePUB)


sehr gut

Der 15jährige Mungo wird zu einem Angeltrip verpflichtet, denn es soll ein Mann aus ihm gemacht werden. Seine betrunkene Mutter hat das eingefädelt. Sie schickt ihn mit zwei Typen mit, die nicht besonders vertrauenswürdig wirken. Mungo wirkt, als würde er abgeführt werden, als er seiner Mutter einen traurigen Blick zurück zuwirft. Doch sie wendet sich bereits dem nächsten Glas zu.

Mungo wächst im Glasgower East End auf. Eine Gegend, die geprägt ist von Bandenkriegen zwischen Protestanten und Katholiken. Armut und Gewalt erinnern an Belfast der 70er Jahre. Die Menschen ertränken ihren Kummer in Alkohol und vergessen dabei auf ihre Kinder.

Mungo ist feinfühlig und künstlerisch veranlagt und er liebt seine Mutter immer noch. So oft kann sie ihn gar nicht vernachlässigen und verlassen. Mangos großer Bruder Hamish ist ein gefürchteter Bandenführer und zwingt Mungo immer wieder an seine Seite. Doch seine Schwester Jodie kümmert sich um ihn.

Als Mungo einen katholischen Jungen kennenlernt, ändert sich alles. In brutaler Zärtlichkeit, denn sie kennen es nicht anders, nähern sich die beiden an und Mungo beginnt eine Zukunft für sich zu erahnen. Wäre da nicht Hamish, der für die Kämpfe lebt und Mungo Härte und Gewaltbereitschaft einprügeln will.

Auch der Angeltrip entwickelt sich für Mungo in einen entsetzlichen Albtraum, der ihm alles abverlangt. Er wird nie wieder der sensible Junge werden, der er vor diesem Wochenende war. Die beiden Typen haben tatsächlich einen Mann aus ihm gemacht, aber nicht ganz freiwillig. Mungo kehrt als Erwachsener wieder, aber wie sich seine Zukunft entwickeln wird, können wir uns nur vorstellen. Das Ende bleibt offen. Optimist*innen sehen einen Hoffnungsschimmer, alle anderen sehen nur die Tragik dieser Jugend in einer gewaltgeprägten Welt.

Douglas Stuart schreibt schonungslos brutal. Die Verrohung der Menschen, durch die Gewalt auf den Straßen, Alkohol und Drogen erstickt fast jedes Aufblitzen von Empathie und Mitgefühl. Das Buch ist nicht einfach zu ertragen, doch Mungos Resilienz ist ebenfalls nicht zu verachten. Er sucht sich seine Lichtblicke und das macht ihn so liebenswert und hält mich als Leserin bei der Stange. Dennoch kann ich nicht volle fünf Sterne vergeben, denn Mungos Geschichte war mir fast zu heftig!

Bewertung vom 20.02.2023
Wovon wir leben
Birnbacher, Birgit

Wovon wir leben


sehr gut

Julia war Krankenschwester, weil es ein typischer Beruf für Frauen aus dem Dorf war. Aber sie war es auch ein bisschen aus Leidenschaft und hat sich immer sehr bemüht um ihre Patient*innen. Ein dummer Fehler am Ende einer langen und aufreibenden Schicht hat ihr Beruf und Gesundheit gekostet. Jetzt versucht sie sich von schwerem Asthma zu erholen und zieht wieder in ihr Heimatdorf, denn in der Betriebswohnung kann sie nicht bleiben.

Sie muss sich völlig neu orientieren als plötzlich Arbeitslose.

Doch zuhause erwartet sie nicht die liebevolle Mutter, die sie umsorgen soll. Zuhause erwartet sie ein leicht verwahrloster Vater, der ihr gesteht, dass die Mutter schon eine Weile in Italien logiert. Nach einer jahrelang aufopfernden Ehe hat sie sich entschlossen sich einen Traum zu erfüllen. Jetzt lebt sie im Süden Italiens und führt dort ein Restaurant mit Sergio.

Der Vater erwartet natürlich jetzt von seiner Tochter umsorgt zu werden. Doch die will sich so nicht einspannen lassen.

Birgit Birnbacher wirft mit diesem Buch einen mikroskopischen Blick auf das Dorfleben; auf die typischen Probleme, wenn die Arbeitsplätze verloren gehen, die Nahversorger fehlen und der Dorfwirt selbst sein bester Kunde wird. Spannend ist auch der Umgang mit Fremden, die natürlich erst mal sehr schräg beäugt werden. Anderssein ist im Dorf eben nicht immer einfach.

Julia lässt sich nicht einsperren und geht ihren Weg trotz Widrigkeiten und Zweifel. Damit überzeugt Birnbacher! Einzig einige Seiten mehr hätte der Roman meines Erachtens vertragen. Das Ende kommt dann doch recht abrupt und lässt einige Fragen offen.

Bewertung vom 13.02.2023
Offene Gewässer
Pleschko, Romina

Offene Gewässer


ausgezeichnet

Elfi ist ungefähr dreizehn Jahre alt, als sie bei ihrer Großmutter in Liebstatt amSee landet. Was genau passiert ist, das sie ins Kinderheim in Stuttgart gebracht hat, erfahren wir nicht in dieser Geschichte, aber die Großmutter hat sie dort nicht zurückgelassen.

Die Beziehung zwischen Großmutter und Enkelin ist geprägt von etwas eigenwilligen Weisheiten, die Elfi ihr Leben lang begleiten, wird aber später schwer getrübt, durch die Tatsache, dass sie ihrer Enkelin verheimlicht hatte, in regem Briefkontakt mit der Mutter zu stehen.

Elfi fügt sich leidlich ins Dorfleben, tritt dem Schwimmverein bei und geht in die katholische Mädchenschule, bis sie ihren Rauswurf provoziert, um ihrem zukünftigen Ehemann näher zu kommen. Sie engagiert sich nicht besonders, weder in der Schule, noch bei sportlichen Wettbewerben und kommt immer irgendwie durch damit.

Sie erzählt ihre Geschichte mit einer gehörigen Portion Selbstironie und so bringt mich die Autorin ständig zum schmunzeln beim Lesen. Der Coming-of-Age Teil des Buches ist wirklich lustig! Der zweite Teil ist anfangs etwas sperriger zu lesen, doch wenn man sich neu eingefunden hat, liest sich ihre Geschichte als Erwachsene auch gut. Elfi ist zurück in Liebstatt, mittlerweile geschieden und aus welchen Gründen auch immer relativ gut situiert. Dadurch wird sie natürlich beäugt im Dorf. Um nicht zu viele Feinde oder Neider zu generieren, zahlt sie immer wieder mal die Zeche in der Dorfkonditorei.

Doch die Gemeinde rückt ihr sehr auf den Pelz. Sie sollte ihr Haus am See verkaufen, um dem zu bauenden Hotel mehr Platz zu machen. Regelrecht rausdrängen möchten sie sie. Doch Elfi wehrt sich. Sie war schon immer streitbar. Auch ein Grund, warum sie sich nie so richtig ins Dorfleben eingebracht hat.

Mit "Offene Gewässer" hat Romina Pleschko einen ansprechenden zweiten Roman vorgelegt. Sprachlich streckenweise etwas sperrig trieft der Roman von Wortwitz und Ironie. Ein Buch für alle, die dem schwarzen Humor etwas abgewinnen können. Aber auch ein Buch für Landkinder, die sich in den Dorfstrukturen selbst entdecken können. Vom mir gibt es eine klare Leseempfehlung! Ich fand es anspruchsvoll und amüsant!

Bewertung vom 12.02.2023
Das Sanatorium / Ein Fall für Elin Warner Bd.1
Pearse, Sarah

Das Sanatorium / Ein Fall für Elin Warner Bd.1


sehr gut

Die Autorin schreibt hier nicht lange um den heißen Brei. Wir steigen direkt ein in eine gruselige Szene. Das ehemalige Sanatorium ist ein richtiges Horrorhaus mit seinen Lungenapparaten, Masken und dem Verfall der Jahre. Der Angriff auf den Architekt erfolgt prompt und eröffnet eine Menge fragen.

Jahre später ist das Hotel gebaut und niemand denkt mehr an den verschwunden Mann zu Baubeginn. Elin Warner reist in die Schweizer Berge, um die Verlobung ihres Bruders zu feiern, den sie seit Jahren nicht gesehen hat. Elin hat einige Tragödien im Gepäck, deren Verarbeitung sie hindert, ihrer Arbeit nachzugehen und in ihrer Beziehung den nächsten Schritt zu tun.

Bereits die Anreise gestaltet sich schwierig für sie. Sie kämpft mit Platzangst in der Seilbahn und mit genereller Todesangst bei der Anfahrt auf der Bergstraße, welche die einzige Möglichkeit bietet, dieses spezielle Hotel zu erreichen. Ihr Lebensgefährte Will bemüht sich rührend und doch schafft sie es nicht, sich ihm gänzlich zu öffnen. Zu vieles in ihrer Lebensgeschichte hält sie noch vor ihm geheim, das ihr Handeln durchsetzt.

Als die Morde beginnen, sind sie schnell von der Zivilisation abgeschnitten. Die meisten Gäste konnten noch evakuiert werden, aber der letzte Bus konnte nicht mehr starten, da die Lawine die Straße bereits verschüttet hatte. Das fast leere Hotel wird zu einem Spielplatz für einen Mörder, dessen Motive komplett im Unklaren liegen. Erst scheint es, dass die Morde mit dem Gebäude zusammenhängen, doch gleichzeitig wirkt alles auch sehr persönlich.

Elin wird als Ermittlerin vor Ort eingesetzt, da die Polizei nicht zum Hotel durchdringen kann. Immer wieder trägt sie Teile des Puzzles zusammen, begibt sich dabei aber auch regelmäßig in Gefahr. Manche ihrer Entscheidungen, konnte ich nicht ganz nachvollziehen und die wiederholte Betonung ihrer Unzuverlässlichkeit begann mich immer mehr zu stören. Ständig wurde betont, wie ihre Geschichte sie beeinflusst, oder wie sie einen Gedanken gerade nicht zu fassen bekommt. Ihre Irrtümer waren ganz klar ihrer Vergangenheit geschuldet und das ist der Autorin auch gut gelungen, darauf hätte nicht ständig hingewiesen werden müssen.

Dennoch hat mir die Geschichte gut gefallen. Die düstere Atmosphäre des Hotels hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Ich hatte wirklich absolut keine Ahnung, wer hier Täter ist und bin Elin bei jedem Verdacht gefolgt. Die Aufarbeitung ist schlüssig, die persönliche Geschichte der Ermittlerin ist ebenfalls spannend und bleibt nicht in der Luft hängen. Mich hat Sarah Pearse mit ihrem Thriller überzeugt und hervorragend unterhalten. Einen Stern ziehe ich wegen dieser eigenartigen Hinweise auf Unzuverlässlichkeit ab. Ansonsten war es eine rundherum spannende Reise in die Schweizer Alpen!