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Benutzername: 
Luisabella
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 191 Bewertungen
Bewertung vom 18.08.2023
Kartonwand
Çevikkollu, Fatih

Kartonwand


ausgezeichnet

In seinem erzählenden Sachbuch »Kartonwand: Das Trauma der Arbeitsmigrant/innen am Beispiel meiner Familie« schreibt der Kabarettist, Schauspieler und Autor Fatih Çevikkollu über seine Familie und den (möglichen) Einfluss von Arbeitsmigration auf die Psyche.



Zu Beginn des Buches werden Grundlagen der Arbeitsmigration erläutert und mit weiteren Quellen belegt bzw. Literaturverweise gegeben. So wird bspw. dargestellt, warum es ein Abkommen zwischen der Türkei und Deutschland gab, wie sich die ablehnende, offen diskriminierende Haltung gegenüber den Arbeitsmigrant*innen in Deutschland zeigte und mit welchen Mitteln Deutschland - z. B. § Rückkehrförderungsgesetz (1983) - diese Arbeitsmigrant*innen loswerden wollte.

Geprägt von diesen Lebensumständen schildert der Autor die Geschichte seiner Familie, an deren Beispiel die Zerrissenheit zwischen dem Leben in der Türkei und dem Arbeiten in Deutschland deutlich wird. Die »Kartonwand« beschreibt dies eindrücklich:

»Es gibt die Türkei als Lebensziel, und alles wird dorthin ausgerichtet. Das ist der Klassiker. […] Alle hatten zu Hause eine Wand mit Kartons, […] , in denen die Sachen, die man mit in die Türkei nehmen wollte, aufbewahrt wurden. Alles Schöne und Wertvolle wurde aufgespart. Oder eben Dinge, die in Deutschland gut und günstig sind. Das Hässliche wird in Deutschland benutzt, das Schöne geht mit ins Paradies.« (S.29)

Für viele türkische Arbeitsmigrant*innen war Deutschland ein Provisorium und die Rückkehr in die Türkei das Ziel. Dies zeigt sich bspw. in einer Kartonwand, aber auch darin, dass z. B. Kinder (vorerst) in der Türkei bei Verwandten gelassen worden sind. Oder in Deutschland geborene Kinder, die in die Türkei zur Schule geschickt worden sind, damit sie schon einmal dort seien, wenn die Eltern zurückkommen würden. ‚Kofferkinder‘ nennt Fatih Çevikkollu diese Kinder, die nicht selten zwischen Deutschland und der Türkei hin- und hergeschickt worden sind. Das macht natürlich auch viel mit den Kindern, wie sich am Beispiel des Autor zeigen lässt:

»Ich bin Deutscher, aber ich habe immer das Konzept der Türkei im Kopf. Wie ein Betriebssystem, das nicht genutzt wird, ein Upload, der nicht gestartet wird, aber immer präsent ist wie ein Avatar.« (S.29)

Parallel zu den politischen, gesellschaftlichen und strukturellen Themen um Arbeitsmigration, die Çevikkollu darstellt, schreibt er über seine Familie als Beispiel dessen. Es wird schnell deutlich, wie verheerend diese Kombination aus Rassismus, günstige Arbeitskraft und Deutschland als Provisorium sein kann. Zumindest im Falle seiner Mutter hat dies zu psychischen Problemen geführt. Ganz unabhängig davon, dass auch die Familie und das gemeinsame Zusammensein und Glück darunter leiden.

»Migration löst keine psychischen Krankheiten aus, stellt aber in jedem Fall eine seelische Belastung dar. Sie kann unter Umständen dazu beitragen, dass krankheitsauslösende Faktoren begünstigt werden. Meine Eltern lebten nicht in Deutschland, sie arbeiteten hier. Ihre dreißig Jahre in Deutschland waren ein Provisorium, und keiner machte sich klar: Die baldige Rückkehr sollte sich zur Lebenslüge entwickeln.« (S.31)

Ich finde den Satz »Meine Eltern lebten nicht in Deutschland, sie arbeiteten hier.« (S.31) sehr vielsagend. 💔

Das Buch thematisiert Arbeitsmigration aus verschiedenen Perspektiven, die ich als sehr bereichernd und wichtig empfinde. Dies wird durch das persönliche Beispiel der Familie Çevikkollu verstärkt. Sicherlich gibt es noch einige weitere Aspekte, die hier nicht berücksichtigt worden sind, aber der Subtitel gibt sehr gut vor, was in diesem Buch erwartet werden kann. Einziger Kritikpunkt ist, dass sich Inhalte zum Teil sehr stark wiederholen, was vielleicht daran liegen könnte, das Kapitel einzeln verfasst bzw. überarbeitet worden sind.

Insgesamt ein sehr wichtiges, aktuelles und eindrückliches erzählendes Sachbuch, das ich sehr empfehle. 🧿💙

Bewertung vom 13.08.2023
Sylter Welle
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


gut

Ein letzter Sommerurlaub bei Großeltern auf Sylt — mit Erinnerungen im Gepäck

Max Richard Leßmann — Sänger, Podcaster und Dichter (Gedichtband »Liebe in Zeiten der Follower«, 2022) — ist aus dem Internet nicht wegzudenken. Jetzt hat er seinen ersten Roman veröffentlicht: »Sylter Welle« 🌊

Ein letztes Mal die Großeltern in ihrem Sommerurlaub auf Sylt besuchen, nicht wie früher immer mit dem Camper, sondern dieses Mal in der »Sylter Welle« — einem Hotel direkt an der Strandpromenade in Westerland. Und damit fängt es schon an, seine Oma Lore holt ihn zu Fuß und nicht mit dem Auto ab, wo es sonst aus dem Handschuhfach immer die zuckrigen ‚Sauren Äpfel‘ 🍏 gab. In seinem Roman schreibt Max über die gemeinsamen drei Tage auf Sylt mit seinen Großeltern und schildert dabei nicht nur Urlaubserlebnisse, sondern schwelgt in alten Erinnerungen, die nicht immer so witzig und klebrig-süß sind, wie sie sich mit den ersten Sätzen vielleicht lesen mögen. Oftmals haben die Stories, Anekdoten und Erinnerungen doch auch einen bitteren, traurigen oder harten Beigeschmack. Mitleid kann Max von diesen Großeltern beispielsweise nicht erwarten, denn mensch tut sich ja selber schon leid. 💔 Zurück zum Urlaub — selbstverständlich wird in der Sylter Institution ‚Kupferkanne‘ Kuchen geschlemmt.

»Laut Google essen Menschen in Deutschland durchschnittlich fünf Kilo süßes Gebäck im Jahr.
Und auch wenn ich in meinem Alltag eigentlich nie Kuchen esse und erst recht keine Torte, schaffe ich es allein durch die wenigen Besuche bei meinen Großeltern mit Leichtigkeit über diese lächerlich kleine Grenze.« (S.53) 🍰

Max #nordischbynature schreibt in norddeutscher Manier über seine Familie und damit auch über die ihm gestellte Frage: »»Wen von diesen ganzen Leuten würdest du eigentlich mögen, wenn es nicht deine Familie wäre?«[Frage von Max Ex-Freundin an Max]« (S. 157). Es ist eine Liebeserklärung an seine Großeltern, gerade weil die harten Seiten der im 2. Weltkrieg großgewordenen Menschen nicht verklärt werden.

Ein Roman, der gerade wegen des Witz, Charm und Nostalgie nicht über die Tragik, Trauer und das Unverständnis einiger Erinnerungen hinwegtäuscht. Mich haben viele Anekdoten sehr nachdenklich gestimmt. … Wem wenn nicht unserer Familie sollten wir die Fragen stellen können, die wir stellen wollen? Haben nicht alle Menschen Mitgefühl verdient? 

Was deutlich wird: Lieben tun wir trotz unserer Verletzungen und viele in verschiedenen Lovelanguages. ❤️‍🩹

Ein berührendes Buch, dessen Cover meiner Meinung nach, perfekt zum Inhalt passt. 🌊🔥

Bewertung vom 13.08.2023
Schönwald
Oehmke, Philipp

Schönwald


weniger gut

Karolin Schönwald eröffnet im hippen Berlin 🐻🪩 eine queere Buchhandlung mit ‚einer‘ Freundin (Alina) und bei der Eröffnung kommt es zum Desaster, als ein Pulk von Menschen vor dem neuen Geschäft randaliert und die Fensterscheibe zerstört. Der Grund ist: Das Startkapital für die Ladeneröffnung stammt aus dem Erbe von Karolins Großvater, einem verstorbenen, ehemaligen Nationalsozialisten. Neben dieser 💥Thematik greift der Roman die Familienprobleme der Schönwalds und damit etliche weitere gesellschaftliche Spannungsfelder und aktuelle Themen (u. a. Trump Kritik, umaufgearbeitete Nazi-Vergangenheit in deutschen Familien, Familienstreitereien und -konflikte, Queerness, etc.) auf und auf 543 Seiten wird dies aus den verschiedenen Perspektiven der fünf Familienmitglieder (den Eltern Harry und Ruth sowie den erwachsenen Kindern — Chris, Karolin und Benni) exerziert.

»SCHÖNWALD« von Philipp Oehmke konnte mich leider nicht überzeugen. Ich muss ehrlich sagen, dass das Buch meiner Meinung nach zu viele Seiten umfasst und diese leider nicht inhaltsstark füllt. Der Roman wollte aus meiner Sicht zu viel und die Thematiken werden mir persönlich zu oberflächlich und auch zu sprunghaft verhandelt. Abgesehen davon, konnte ich leider keine Verbindung zu den Protagonist:innen aufbauen … Das war einfach nichts mit diesem Roman und mir — aber vielleicht geht es anderen ganz anders als mir?

Von mir gibt es daher leider keine Leseempfehlung.

Bewertung vom 13.08.2023
Vatermal
Öziri, Necati

Vatermal


ausgezeichnet

»Auf die Frage »Wie geht's dir?« gab es keine Antwort. Wir fragten einander ja nie »Wie geht's«, höchstens »Was geht?«, und die Antwort war immer dieselbe: »Nichts, und bei dir?« Wir fragten uns nicht, gerade weil wir wussten, was zu Hause los war.« (S.255f)

Gleich vorweg: Deutscher Buchpreis 📖🏆 - this one is made for you 🔥

Also worum geht’s und warum sollten wir das ALLE lesen?

In seinem Debüt (ich meine, was für ein krasses Debüt kann man abliefern?! 😮‍💨) »VATERMAL« lässt der Autor Necati Öziri seinen Protagonisten Arda, ein Anfang 20-jähriger Literaturstudent, sein Leben in der Rückschau erzählen. Arda liegt zu diesem Zeitpunkt schwerkrank auf der Intensivstation und wird abwechselnd von seiner Mutter Ümran oder seiner Schwester Aylin besucht. Sein Vater ist sein Leben lang abwesend und für diesen erzählt er sein Leben:

»Du sollst wissen, wer ich gewesen bin. Damit du niemals die Erleichterung fühlst, von der ich so oft heimlich träumte: von einem Toten angeschwiegen zu werden. Ich möchte dir für immer die Möglichkeit nehmen, nicht zu wissen, wer ich war. Du sollst erfahren, wie es deiner Familie in Deutschland ging, wie im letzten Sommer meiner Jugend alle meine Freunde verschwunden sind und wie auch ich versuchte, vor mir selbst zu fliehen. Du sollst wissen, wie stark es regnete an dem Tag, als Aylin von zu Hause wegrannte, wie sie »Tut mir leid« in mein Ohr flüsterte, die Wohnungstür hinter sich offen ließ und nie mehr zurückkam. […].« (S.19f)

Am Krankenbett erzählt sowohl seine alkoholabhängige Anne von ihren Lebensweg, der von der Vergangenheit der eigenen Eltern als Gastarbeiter:innen in Deutschland stark geprägt ist, als auch Aylin von ihrem Erleben der Familie und des Vaters Metin. Aus diesen Erzählperspektiven entsteht ein ungemein vielschichtiger, emotionaler und Emotionen hervorrufender Roman, der so viel mehr als nur eine fiktive Geschichte zu erzählen vermag. Die verschiedenen Blickwinkel sorgen dafür, dass Handlungen nicht gerechtfertigt werden, sondern vielmehr und wichtiger, eine Erklärung bekommen.

Was prägt Menschen? Was machen ständige Amtsbesuche und das Warten auf eine Staatsangehörigkeit mit einem Menschen? Wie kann es sich anfühlen, wenn ein Elternteil eine Leerstelle bleibt? Wie hinterfragen wir (Männlichkeits-)Ideale?

Der Autor Necati Öziri schafft es viele wichtige, gesellschaftliche Themen und Probleme aufzuzeigen und sich damit mitten ins Herz der Lesenden zu schreiben. Ein intensiver Roman voll Humor, Tragik, Komik, Empathie und Charme. ❤️‍🔥 Ein Buch, das für mich lange nachhallt und dem ich ganz viel Aufmerksamkeit 🩷💭💬 wünsche und Preise 🤝🏼

Für mich ein literarisches Highlight ✨

Bewertung vom 01.08.2023
Nachts erzähle ich dir alles
Landsteiner, Anika

Nachts erzähle ich dir alles


sehr gut

LOOKING FOR A FEEL-GOOD BOOK WITH DEPTH?

HERE IT IS 💖 LAY BACK AND READ YOURSELF INTO 🇫🇷🥐☀️

Léa entflieht ihrem stressigen Alltag als stolze Cafébesitzerin und ihrer Trennung von ihrer Ex-Freudin Antonia aus München in die Familien-Villa in Südfrankreich. Dort wird sie an ihrem ersten Abend von der jungen Alice in ihrem Garten überrascht und die beiden Frauen unterhalten sich. Kurze Zeit später stellt sich heraus, dass Léa die letzte Person war, die Alice getroffen hat. Alice’ Bruder Emilé, ein erfolgreicher Podcaster und Social Media Star, sucht Antworten auf die Fragen und den plötzlichen Tod seiner 16-jährigen Schwester. So treffen die Léa und Emilé aufeinander und was als Befragung beginnt, wird zu intensiven Gesprächen, Support und ganz maybe auch dem ersten Kuss — aber mehr wird hier definitiv nicht gespoilert. 💋 Auch Claire — eine langjährige Familienfreundin — nimmt eine besondere Rolle in diesem Südfrankreich Abenteuer ein und gibt dem Buch eine weitere Perspektive und Tiefe. 💘

»»Wir setzen dieses Gefühl [Verliebt sein] sofort in eine Wechselwirkung, und zwar mit dem Verlangen, dass es erwidert werden muss, damit es Liebe ist Deshalb fühlt sich die Liebe so oft nach Verlust an. Nach Angst und Enttäuschung, nach Verrat und Betrug. Wir nehmen dieses opulente Gefühl, das überhaupt keine Grenzen kennt, und packen es in unsere kleine egoistische Erwartungshaltung. Und wenn es dann nicht besteht, wenn wir nicht zurückgeliebt werden, schmeißen wir es aus dem Fenster. Die wenigsten wollen lieben. Aber alle wollen geliebt werden.««(Claire zu Léa, S.296)

In »Nachts erzähle ich Dir alles« schreibt die Autorin Anika Landsteiner über Liebe, Verliebtsein, Trennung, Abschied, Schmerz, Tod, Abtreibung und starke Frauen 🔥 Wie das alles zusammen passt und zu solch einem großartigen BANGER wird? Überzeugt Euch selbst 🧡 Sprachlich, stilistisch und thematisch hat mich das Buch absolut begeistert — RIESEN Leseempfehlung von mir 🧡🩵

Und da ich »So wie Du mich kennst« noch nicht gelesen habe, geht es für mich damit weiter.

[4.5/5 ☆]

Bewertung vom 30.07.2023
Cleopatra and Frankenstein
Mellors, Coco

Cleopatra and Frankenstein


sehr gut

»»So ist doch niemand«, hatte sie danach gesagt. Sie saßen auf dem Wohnzimmerboden, um sie verstreut lag die schwarze Orchideenerde. »Oder?« Sie sah ihn an.
»Ich weiß es nicht, Cley«, sagte er. — »Aber was glaubst du?« — »Ich bin mir sicher, dass es schlimmere Paare gibt.« Er zuckte mit den Schultern. »Und bessere.«« (S.293) ❤️‍🩹

Boy meets Girl. Frankenstein meets Cleopatra und könnten verschiedener kaum sein: Cleo (aka Cleopatra) — Britin, Mitte 20, wunderschön, depressiv, gerade fertig mit dem Studium und noch in der Findungsphase des Lebens mit erheblichen Geldsorgen trifft auf Frank (aka Frankenstein) — einen US-amerikanischen Mittvierziger, CEO einer erfolgreichen Werbeagentur, reich und alkoholsüchtig. Am New Year’s Eve treffen die beiden in New York aufeinander, stürzen sich in ihre Liebe, und heiraten wenige Monate nach ihrem Kennenlernen. Das hier Welten aufeinander prallen — UK vs. USA; Künstlerin meets erfolgreichen Founder; Depression trifft auf Alkoholismus; Zwanziger vs. Vierziger — wird deutlich, und das quasi vorprogrammierte Drama nimmt seinen Lauf. Dabei wird diese toxische Beziehung wird in ihrem DEBÜT »Cleopatra und Frankenstein« 💘von der Autorin Coco Mellors (Ü: Lisa Kögeböhn) nicht nur aus der Sicht der beiden Protagonist:innen gezeigt, sondern immer wieder wechselt die Erzählperspektive zu anderen wichtigen Figuren aus ihrem Leben, deren Lebensgeschichte gekonnt mit der titelgebenden Lovestory erzählt wird. Gekonnt werden die komplexen Strukturen zwischenmenschlicher Beziehungen seziert und das Buch wird genau dadurch zum Pageturner, dass es so realistische Charaktere mit all ihren Schwächen, Fehlern, Traumata, Wünschen und Sorgen, wie sie das Leben selbst schreiben könnte, erschafft. Und genau DAS macht diesen Roman für mich aus: Die Charaktere, die nicht nur mit ihren glänzenden Seiten präsentiert werden, sondern insbesondere auch durch ihre jeweiligen Abgründe. Ähnlich wie bei Sally Rooney, sind es mit den Charakteren auch bei Coco Mellors die ehrlichen, zynischen, witzigen Konversationen, die sarkastischen Zwischentöne und -bemerkungen, die das Buch so einzigartig machen.

Einziger Kritikpunkt 🤏🏼 von meiner Seite ist die sehr überspitzte und stereotypische Darstellung von Frank als reichem, erfolgreichem und attraktivem Mann, während Cleo hauptsächlich auf ihre Schönheit und Depressionen reduziert wird und nicht nur keinen Erfolg als Künstlerin hat, sondern als seine Ehefrau gar nicht wirklich daran arbeitet. Dabei hätte ich mir mehr feministische Perspektive als auch tiefgehendere Auseinandersetzung mit ernsthaften physischen Erkrankungen gewünscht.



Shall I read it — yes or no?

YES — Es ist keine Lovestory, die noch nie so erzählt worden wäre, aber es ist die Art und Weise, wie sie erzählt wird, die sie besonders macht. 💖 Die Charaktere wecken Sympathien und Antipathien gleichermaßen — und das ist es, was ein gutes Buch ausmacht: Das ich es nicht aus der Hand legen will, weil ich wissen will, wie es weitergeht. 🔥



[CN: Alkoholismus, selbstverletztendes Verhalten, Depressionen, Suizidversuch]

Bewertung vom 30.07.2023
Der Trost der Schönheit
Arnim, Gabriele von

Der Trost der Schönheit


ausgezeichnet

»Schönheit als philosophische Herausforderung — das mag ja angehen, aber als Alltagsglück? Manche empfinden Schönheit als überflüssige Dekoration des Lebens, die man ebenso gut abschaffen könnte. Ich glaube, sie irren.« (S.164)

In ihrem Sachbuch »Der Trost der Schönheit« philosophiert, schreibt, denkt nach und sinniert die Autorin Gabriele von Arnim über Schönheit und den Trost, den diese uns spenden kann, wenn wir offen für die Schönheiten des Lebens und der Welt sind. Bereits in ihrem Buch »Das Leben ist ein vorübergehender Zustand« schrieb die Autorin, dass Schönheit Schmerzen/Trauer/schwere Zeiten erträglicher machen könne und in diesem neuen Buch widmet sie sich ganz diesem Thema Schönheit und u. a. »balsamische ZuHauseGefühl«. Sie fragt, was Schönheit ausmache, aussage über die Person, die sie erkennt. Ist es nicht immer auch sehr subjektiv, was wir als ‚schön‘ empfinden und bezeichnen? Sie schreibt über Weltschmerz und warum wir Schönheit in diesen Zeiten brauchen. Zugleich beschreibt sie, was Schönheit von Makellosigkeit unterscheidet und wie sehr Schönheit mit Vergänglichkeit verbunden ist und, warum dies auch hoffnungsvoll, tröstend und schön sei. Sie schreibt mit einer Weisheit über Schönheit, Trauer, Trost, Schmerz, WeltErleben, wie sie vielleicht nur die Lebenserfahrung an Einzelne schenken kann.

»Trost heißt nicht, dass alles gut wird.
Trost heißt am Schmerzfluss Ufer bauen,
Liegeplätze,
an denen man den Kahn anbinden, aussteigen und sich ausruhen kann.« (S.78)

Mit ihrem Sachbuch appelliert sie die Schönheit, die verschiedensten Formen und Facetten daher kommt, wahrzunehmen, sich zu öffnen und sich daran zu erfreuen. [»SehenKönnen« (S.188)] Sie erinnert uns daran, Schönheit zu sehen und zu genießen.

»Ich brauche nicht nur Schönheit als Trost, sondern die innere Sicherheit, Schönheit auch dort zu entdecken, wo ich sie nicht vermute. Es sind die kleinen Dinge. Und es sind die kleinen Momente.« (S.63)

Es ist ein wirklich wunderschönes, tiefsinniges, weises, philosophisches, reflektierendes und persönliches Sachbuch, das Gabriele von Arnim geschrieben hat und mich tief berührt hat. Ich könnte ewig weitere Zitate aus dem Buch einfügen, weil ich mir so viele Stellen markiert habe und überzeugt bin, beim nächsten Lesen weitere finden zu können.

Ganz ganz große Leseempfehlung für alle Menschen, weil ich überzeugt bin, dass wir alle von Zeit zu zeit Schönheit und Trost brauchen können ❤️

Bewertung vom 17.07.2023
22 Bahnen
Wahl, Caroline

22 Bahnen


ausgezeichnet

»22 Bahnen« von Caroline Wahl habe ich innerhalb von wenigen Stunden durchgelesen und eine Woche später einfach noch einmal gelesen, weil es einfach so krass gut, berührend, einfühlsam, wunderschön ist.

Ich liebe die beiden starken Heldinnen Tilda und Ida und finde die realistische Art und Weise, wie über die Alkoholabhängigkeit der Mutter geschrieben wird, ohne diese und ihre Krankheit zu verurteilen, sehr gelungen.

»Ida: Ich war noch nie verliebt, aber so, wie er dich angeschaut hat, als wir auf dem Krankenhausparkplatz zu seinem Auto gelaufen sind oder als du im Bademantel aus dem Bad kamst, schauen, glaube ich, nur Verliebte.
Ich: Ach, Ida. Das ist hier doch keine Liebesgeschichte.« (S.156)

Und die zarte Liebesgeschichte zwischen Tilda und Victor hat mir auch sehr gefallen. Einfach alles an diesem Roman hat mich begeistert und ich bin jetzt schon sehr gespannt auf den nächsten Roman der Autorin.

Ich kann dieses großartige Buch nur jede*r/m empfehlen: Bitte lest diesen Roman ♥

Bewertung vom 23.06.2023
Paradiesische Zustände
Jakobs, Henri Maximilian

Paradiesische Zustände


ausgezeichnet

»Ich werfe meinen geballten Frust auf Louise. Sie ist schlau genug, ihn nicht aufzufangen. Hebt ihre Hände nicht, lässt ihn vor sich auf den Boden fallen, wo er dumpf aufschlägt. »An mir musst du deinen Frust nicht auslassen. Ich bin nicht dafür verantwortlich, o.k.?«« (S.99)

Das Debüt »Paradiesische Zustände« von Henri Maximilian Jakobs ist ein Coming-Of-Age oder vielleicht auch Coming-Of-Gender Roman, in dem der Autor über Transition, dem Finden von sich selbst und Freundschaft erzählt.

Wir lernen den Protagonisten Johann als depressiven und unglücklichen Menschen kennen, der mit dem bei Geburt zugewiesenen weiblichen Geschlecht kämpft. Vom Urlaub nach dem Abi mit seiner besten Freundin Louise (, die im Übrigen eine ganz schön coole beste Freundin ist 🥹), Schauspielschule im tiefsten Bayern, Umzug bis zum Leben in Berlin begleiten Leser*innen Johann knapp 6 Jahre, 8 Monate und 20 Tage literarisch vom Wolpertinger und dem medizinischen sowie bürokratischen Hürdenlauf bis zu seiner zweiten Geburt als Mann.

Ich habe Johanns Schmerzen nachfühlen können, und eine Ahnung davon bekommen, wie es sich anfühlen muss, im falschen Körper zu leben. Es ist ein eindringliches, emphatisches, witziges, ironisches, schmerzhaftes, ehrliches und grandioses Debüt ❤️‍🔥 Ich konnte teilweise nicht zwischen Lachtränen und Mitgefühlstränen 😭 unterscheiden.

»»Hör auf, Witze zu reißen. Das ist alles nicht lustig.« Sie hat recht, es ist nicht lustig. Aber Humor scheint mir der einzige Gegner, der es mit meiner Angst und Verwundbarkeit aufnehmen kann. Er ist ein Reflex. So traurig sein, wie die Dinge scheiße sind, geht gar nicht. Wie mancher tief ausatmen würde, rette ich mich mit dummen Scherzen. Wir trinken Sekt. « (S. 67)

Es ist kein biografisches Buch, sondern ein Roman — auch wenn sicherlich einige der Perspektiven und Schilderungen nicht möglich wären, ohne den Background des transmännlichen Musiker, Schauspieler und Autor Henri M. Jakobs. Die Welt braucht definitiv mehr solcher Geschichten und Perspektiven ❤️‍🔥🤝🏼

Ich habe mir »All die brennenden Fragen« ebenfalls gekauft und kann beide Bücher des Autors Euch nur wärmstens ans Herz legen 🍟❤️‍🔥

[4.5/5 ☆]

Bewertung vom 01.06.2023
Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4
Benedict, Marie

Die einzige Frau im Raum / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.4


weniger gut

Großartige, inspirierende und starke Frau, der das Buch nicht gerecht wird

Außer Frage steht, dass Hedy Lamarr (* 09.11.1914 in Wien; ✝ 19.01.2000 in Casselberry; mit bürgerlichem Namen Hedwig Maria Kiesler) eine beeindruckende Persönlichkeit, Erfindern und Schauspielerin war. 🔥 Sie hat mit ihrer patentierten Erfindung, der Funkfernsteuerung für Torpedos (1941), nicht nur für die damalige Zeit ein enorm relevantes Problem gelöst, sondern auch die Basis für Bluetooth und WIFI erfunden. (Leider wurde ihre bahnbrechende Erfindung offiziell nicht anerkannt, bevor das Patent ausgelaufen ist, sodass sie bis heute viel zu wenig Anerkennung und Erfolg für ihre geniale Erfindung erhalten hat.🥵 Erst 4 Jahre nach ihrem Tod wurde sie in die (US-) National Inventors Hall of Fame aufgenommen.) Auch ihre entschiedene Haltung gegen den Nationalsozialismus und ihre schauspielerischen Leistungen im Theater & Hollywood #selfmadewoman zeichnen diese starke Frau aus 💥

Nicht überraschend ist, dass auch Hedy Lamarr unter dem Patrichariat gelitten hat, wurde ihre bahnbrechende Erfindung von der Marine abgelehnt mit einer oberflächlichen und sexistischen Begründung. Auch als Schauspielerin war sie Sexismus stark ausgesetzt. Das alles sollte auf jeden Fall genug Stoff für eine feministische, interessante und differenzierte Biografie über Hedy Lamarr.

»Ich war den Sexismus gewöhnt, der meine Filmwelt bis in die letzte Faser durchdrang, aber das hier machte mich sprachlos. Diese Männer lehnten ein Waffensvstem ab, das Flugzeuge und Schiffe in die Lage versetzen würde, sämtliche von ihnen abgeschossenen Torpedos mit höchster Treffsicherheit zu steuern, ohne dass der Feind den Funkverkehr stören konnte. Wie konnte das Militär es zulassen, dass unzählige Soldaten und Matrosen auf See starben - nur weil es kein von einer Frau entwickeltes Waffensystem einsetzen wollte?« (S.288)

Ich sage es mal so, ab Seite 250 (von 299) wird ENDLICH auch über ihre Erfindung und Zusammenarbeit mit dem Komponisten G.Antheil geschrieben in dem neusten Roman von Marie Benedict (übersetzt von Marieke Heimburger) »Die einzige Frau im Raum«. Sicherlich ist ihr Werdegang, ihr Familiärer Background als aus Wien stammende Jüdin, ihre erste Ehe mit dem Waffenhändler Friedrich Mandl relevant und prägend für die Frau, die sie geworden ist. ABER die ersten 150 Seiten dieses Romans lesen sich eher wie eine toxische Liebesgeschichte zwischen dem verdammt reichen Mandl, der sich Hedy als Frau aussucht und beherrschen will. Im Buch werden 2 von 6 Ehemänner genannt, die gesamte Zeit nach 1943 wird nicht thematisiert und der Erfindung selbst wenig Raum gegeben.

Ja, wir sollten alle VIEL VIEL VIEL mehr über Hedy Lamarr lesen 🩵 - aber ich persönlich habe mehr aus meiner Internetrecherche über sie gelernt als aus diesem Buch. Ich bedaure dies sehr, aber von mir gibt es keine Leseempfehlung.