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Isa.Literature.Love
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Bewertungen

Insgesamt 199 Bewertungen
Bewertung vom 07.10.2023
Vom Ende der Nacht
Daverley, Claire

Vom Ende der Nacht


ausgezeichnet

»Ich wusste, dass du nicht mit vollem Herzen dabei warst. Ich wusste von Anfang an, dass du eine andere liebst.« Jem zu Will (S.326)

In ihrem Debütroman »VOM ENDE DER NACHT« erzählt die Autorin Claire Daverely in einer wunderschönen Sprache die Liebesgeschichte von Will und Roe, die sich als Teenager kennenlernen und sehr unterschiedlich aufgewachsen und sozialisiert sind. Natürlich treffen damit stückweit Welten aufeinander - nicht im Sinne von Diskrimminierungserfahrungen sondern im 'klassischen Sinne' von Bad Boy meets Well-behaved Daughter. Was als Lovestory starten kann, endet schon mit dem ersten Kuss. Aber trotz unterschiedlicher Lebenswege und Leben, treffen die beiden immer wieder aufeinander.

» Nie wieder, hatte er sich geschworen. Nie wieder würde er sie berühren oder ihr nahekommen, für den Fall, dass sein Herz es nicht überstehen würde.« Will (S.443)

Wenn Deine Dunkelheit auf meine Dunkelheit trifft, entsteht Licht. - Diese Metapher verpackt Claire so wundervoll in dieser Lovestory, die vielleicht auch ein bisschen verklärt, dass unsere Schwächen, Laster und vielleicht sogar Zwänge und Psychosen sich verbessern, wenn wir unser Leben mit dem richtigen Menschen teilen. Versteht mich nicht falsch, in diesem Buch liebe ich diesen vermeintlichen Kitsch.

Ein wunderschöner Roman mit Protagonist*innen, die ich sehr verstehen und mitfühlen konnte. Große Leseempfehlung - ich habe es geliebt und verschlungen.

Bewertung vom 29.09.2023
Im Prinzip ist alles okay
Polat, Yasmin

Im Prinzip ist alles okay


sehr gut

»So schlecht er auch mit mir umging - ein Teil von mir war überzeugt, ihn zu brauche. Es gab eine Art Sicherheit in seiner Gewalt für mich, die ich mir nicht erklären konnte.« (S.39) 💔

Miryam ist dreißig Jahre alt, Mutter einer kleinen Tochter und hat Depressionen. Diese hat sie nicht ernst seit der Geburt ihres Babys, wie im Verlaufe des Buches deutlich wird, aber werden dadurch erneut präsenter. Schnell wird deutlich, dass Miryam und ihr jüngerer Bruder Deniz in einem von Gewalt geprägten Elternhaus aufgewachsen sind und die Gewalt auch ihre eigenen Beziehungen prägte. Lange war sie in Therapie, um die familiär-erlernten destruktiven Muster und ihre Depression zu bearbeiten. Jetzt als Mutter will sie vor allem eins: Es besser machen als ihre Eltern. Doch in ihrer aktuellen Lage - isoliert durch Kontaktabbrüche von ihr wichtigen Menschen sowie beeinflusst durch die perfekte Instagram-Sicht von Momfluencern - redet sie sich ein, dass nicht einmal ihr Kind sie mögen würde und deswegen den Vater immer bevorzugen würde.

Durch den achronistischen Schreibstil setzt sich das Gesamtbild der Protagonistin mit jedem Kapitel wie bei einem Puzzle mehr und mehr zusammen, und es wird deutlich, warum das Leben für Miryam alles andere als OKAY ist. Zum Ende des Buches laufen die zeitlichen Abstände zwischen den Kapiteln immer stärker zusammen, so dass Lesende am Ende im ‚Jetzt‘ mit Miryam angekommen sind.

Der Autorin gelingt es hervorragend, Miryam’s unangenehmen Gefühle zu transportieren. Ich habe mich beim Lesen sehr unwohl gefühlt und jedes Mal, wenn der jungen Frau Undankbarkeit vorgeworfen worden ist, sie aufgefordert wird die Vergangenheit einfach sein zu lassen oder das Patriachariat personifiziert durch ihren Partner, Eltern und Bruder (»Ich glaube nicht, dass ich dramatisch, zu sensibel bin oder sonst eine dieser Eigenschaften habe […]« (S.258) ) ihr einen weiteren Stoß versetzen, hätte ich sie am liebsten umarmt und ihr klargemacht, dass sie das nicht verdient hat. Dass sie sich - für mich als Lesende - zu wenig zur Wehr setzt ist als Ausdruck der Krankheit aber auch der weiblichen Sozialisation sehr gut geschrieben. Es tut nahezu weh, zu lesen, wie sehr Miryam struggelt. 💔 Ihr Scheitern fühlt sich so viel schlimmer an, weil man weiß, wie sehr sie es besser machen wollte

In ihren Debütroman »Im Prinzip ist alles okay« schreibt die Journalistin und Autorin Yasmin Polat über die Emanzipation einer jungen Mutter 💜, Gewalterfahrung innerhalb der Familie, Generationentraumata und Mutterschaft.

Ein emotionaler Roman, der die Gefühlslage und Situation einer jungen, depressiven und traumatisierten Mutter sehr eindrücklich vermittelt. Ich empfehle ihnen allen Personen, die sich mit Mutterschaft, Generationsttraumata und Selbstbestimmung aus einer dieser Perspektive auseinander setzen möchten und können. 💜

[CN: Depression, physische + psychische Gewalt]

4.5 / 5 ☆

Bewertung vom 28.09.2023
Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte
Hacke, Axel

Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte


sehr gut

»Vielleicht ist es so mit der Heiterkeit. Fast hätte ich gesagt, man müsse sie ernst nehmen, woran man, wenn man es nicht schon wüsste, gesehen hätte, dass ich tatsächlich Deutscher bin.
Ich nehme sogar die Heiterkeit ernst.« (S.43) ☻

Axel Hacke — deutscher Schriftsteller und Kolumnist — schreibt in seinem neuen kleinen, feinen Buch über Heiterkeit und den Ernst des Lebens und zeigt dabei mehr als einmal, wie wichtig es ist, über sich selbst lachen zu können und sich und das Leben nicht zu ernst zu nehmen. 💛

»Über die Heiterkeit in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wichtig uns der Ernst des Lebens sein sollte« ☀️ ist ein journalistisches Buch und kein Sachbuch, dass Heiterkeit wissenschaftlich abhandelt. Der Autor schreibt aus einer sehr persönlichen Sicht und vereint immer wieder eigene Lebenserfahrung und Sichtweisen mit ausgewählten Zitaten sowie Denkansätzen und vielen Fragen. Zusammen ergibt dies 27 Kapitel, in denen der Autor immer wieder philosophische Fragen zu Heiterkeit und Ernst an die Lesenden und sich selbst stellt, um diese mit seinen Denkanstößen aber auch Zitaten zu beantworten.

»Vielleicht kann man festhalten: Wenn man die Sache ernsthaft betrachtet, ist unser Leben ohne Heiterkeit nicht möglich. Wir wären eben sonst sehr traurig, und wem würde das nützen? Und was wäre das für ein Leben: immer traurig? Retten würde es uns nicht.« (S.42)

Als Feministin hätte ich mir mehr diverse Zitate gewünscht, aber das Buch beansprucht auch keinen feministischen oder diversen Blick auf das Thema (,wobei es sicherlich nie schaden kann). Dennoch mochte ich den Mix aus Fragen, Zitaten und Antworten sowie die erheiternde Messages des Buches sehr.

Dieses feine Buch mit den vielen kleinen Sonnen auf dem Umschlag ☀️ ermutigt uns alle, mehr Heiterkeit zu fühlen. Ich konnte daraus schöne Gedanken & Denkanstöße mitnehmen 💭 & das macht für mich ein gutes Buch aus. Heitere Leseempfehlung von mir 💛

Bewertung vom 22.09.2023
Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne
Scherzant, Sina

Am Tag des Weltuntergangs verschlang der Wolf die Sonne


sehr gut

WHERE ARE THE 90’S KIDS? ᵕ̈ Hier kommen fantastische Throwback Vibes in unsere Teenie-Zeit 😮‍💨🤌🏼 Details gefällig - I’VE GOT YOU 💘

»AM TAG DES WELTUNTERGANGS VERSCHLANG DER WOLF DIE SONNE« von Sina Scherzant 🐺🌞💜

Throwback into 2003 🪩 Katha (14 J.) zieht nach der Trennung der Eltern mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester Nadine nach Dortmund. Und das beutetet für Katha: Neue Schule, neue Freund*innen finden. Anders als Nadine findet Katha schnell eine Clique 👯‍♀️👯‍♀️ angeführt von Sofie, die sie aufnimmt. Nicht, dass Teenie-Sein das Anstrengendste überhaupt ist (we all remember it so well 😮‍💨🥵), ist Katha auch selbst ernannte Vollzeit-Lebenshandwerkerin und kümmert sich damit schon immer selbstlos um alle anderen.

»Sich zu kümmern, aufzuopfern, allzeit bereit zu sein im Kampf gegen das Unwohlsein der anderen, hieß nur blöderweise auch irgendwie unsichtbar zu werden. […] Aber das war schon in Ordnung so. Das Wichtigste war schließlich, dass es allen gut ging. Allen anderen.« (S.14f)

Ihre Clique hängt regelmäßig vor (Ange-)Licas Fenster ab und damit auch Katha: »Ich traf Gott, und ihr Name war Angelica.« (S.48) Und diese Freundschaft verändert Katha und Ihr Leben. But no Spoilers. 🙅🏼‍♀️

Aber natürlich passiert auch etwas sehr Trauriges, und damit endet der Teil 1 des Romans, den ich wirklich krass feiere 🥹🤌🏼 Teil 2 ist sprachlich, stilistisch und literarisch ganz anders gestaltet und passt in die Storyline, hat meine Euphorie für das Buch aber ein wenig gedämpft. Der letzte Teil 3 hat den Roman für mich aber sehr passend beendet und ich bin einfach krass verliebt in den Schreibstil von Sina Scherzant. 💜

Beim Lesen konnte ich den Stift gar nicht mehr aus der Hand legen, so viele wahnsinnig schöne Sätze und Formulierungen hat Sina hier rausgehauen. Diese Throwback-Vibes, Geschwister-Liebe, Patrichariatkritik, Coming-of-Age Story und wunderschönen Sätze haben mich voll getroffen 💘

Ein wahnsinnig toller Roman - gönnt Euch diese fantastischen 2000er Vibes und großartig erzählte Story. LIEBEN WIR 💜

P.S.: Wie schön ist bitte dieses Cover?

P.P.S.: Wer hat früher bitte nicht Chips-Cola-Verhext gespielt? LOVE IT 🫶🏼

Bewertung vom 20.09.2023
Das Ende ist nah
Gudarzi, Amir

Das Ende ist nah


ausgezeichnet

»Statt im Sterben eine Lösung zu sehen, begann ich das Leben als Kampf, als Überlebenskampf zu verstehen, als Widerstand. Denn: Wenn ich sterbe, hat das Regime gewonnen. Dreiundzwanzig Jahre lang haben sie mein Leben ruiniert, und danach soll ich mein Leben selbst ruinieren? Der erste Schritt im Kampf gegen das Regime muss also sein, zu überleben und das Leben zu genießen. Erst danach muss man das Regime mit allen Mitteln bekämpfen.« (S.373)

Was bedeutet es für einen Menschen aus seinem Heimatland flüchten zu müssen? Was macht dies mit einem Menschen? Eine Antwort könnte dieser Roman »DAS ENDE IST NAH« sein 💔

In seinem Debüt »DAS ENDE IST NAH« schreibt der österreichische Dramatiker und Autor Amir Gudarzi über den iranischen Studenten und Atheisten A., der 2009 als Regimekritiker aus seiner Heimatstadt Teheran flieht und in Österreich Asyl beantragt. Auf verschiedenen Zeitebenen wird die Geschichte von A.’s Flucht erzählt sowie sein bisheriges Aufwachsen und Leben in Teheran, das von Gewalt, Terror und iranischen Regime geprägt ist. Die Beschreibungen des langen Asylverfahren in Österreich zeigen die krassen Herausforderungen in dieser Lebenslage deutlich: Rassismus, Angst, fehlender Zusammenhalt und Illoyalität, Sehnsucht nach der Heimat, Familie und dem Bekannten als auch Gewalt unter den Flüchtenden der verschiedenen Ethnien prägen diese erste Zeit von A. stark.

Der Autor Amir Gudarzi selbst wurde 1986 in Teheran geboren, studierte dort an der Theaterschule und szenisches Schreiben. Wegen der Teilnahme an Protesten gegen das iranische Regime floh er 2009 nach Österreich - ebenso wie sein namenloser Protagonist A. Sicherlich sind es neben seinem Können als Theaterregisseur und Autor auch eben diese eigenen Erfahrungen, die den Roman so authentisch, berührend und emotional machen.

Die vielen Parallelen zwischen Protagonist A. und Autor Amir Gudarzi lassen auf einen autofiktionalen Roman schließen. Nichtsdestotrotz könnte A. jede*r (politisch) Flüchtende sein. Dieses krasse Debüt zeigt auf literarisch höchsten Niveau wie Flucht sich anfühlen könnte. Der Autor erzählt sehr nüchtern diese so schmerzhafte, authentische, emotionale und erschreckende Geschichte von A., dass das Lesen einen definitiv aus der Komfortzone katapultiert. Es ist definitiv keine leichte Lektüre, dafür aber umso wichtiger und bedeutender. 💥

Ich wünsche diesem extrem wichtigen, politisch und gesellschaftlich höchst relevanten Buch ganz ganz viele Lesende. ❤️‍🩹

Bewertung vom 15.09.2023
Gewässer im Ziplock
Vowinckel, Dana

Gewässer im Ziplock


gut

Coming-of-Age Roman, der jüdisches Leben, Heimat und Identität verhandelt

»Es war immer das Gleiche mit ihr [Marsha], dachte er [Avi]. Sie ging, ohne sich zu verabschieden, und kam, ohne sich anzukündigen, und am Ende freute man sich umso mehr über sie, weil sie so unzuverlässig war, dass es immer auch eine Gnade war, wenn sie sich dazu herabließ, sich mitzuteilen. »Yofi.«« S. 286

In ihrem Debütroman »Gewässer im Ziplock« schreibt Dana Vowinckel über eine amerikanisch und deutsch-jüdische Familie. Abwechselnd lesen wir aus Sicht des alleinerziehenden Vaters Avi, der für seinen Job als Chasan aus Israel nach Deutschland gezogen ist, und seiner Tochter Margarita (aka Rita, 15 J.), die als Jüdin in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, die Story rund um diese Familie. Diese beginnt mit dem all-jährlichen Besuch Ritas ihrer Großeltern (mütterlicherseits) in Chicago. Die US-amerikanische Mutter Marsha hat Avi und Rita früh verlassen und ist in die USA zurückgekehrt. Bei ihrem Besuch der Großeltern sieht Rita häufig auch ihre Mutter, dieses Jahr hat diese sie nach Israel für einen Roadtrip eingeladen. So spannt sich eine Story mit nicht wenig Drama vor den Lesenden auf, die sich aus Ritas Sicht wie ein Coming-Out-Of-Age Roman liest. Der Schmerz über die Trennung der Eltern wird immer wieder auf beiden Seiten - Rita & Avi - deutlich und gibt dem Roman eine weitere Nuance.

»»There is no such thing as poetic justice«, sagte Marsha, »and, my darling, that is the cruelest and the kindest thing about our lives.« Dann ging sie.« S. 317

Besonders an dem Buch hat mir der Blick auf jüdisches Leben, Kultur und Traditionen in Berlin, Chicago und Israel gefallen. Auch wie unterschiedlich, Glaube und Religion interpretiert werden können, fand ich sehr stark beschrieben. Kunstvoll wird dies mit der Story verwoben, ebenso wie jüdische Wörter selbst. Was mir nicht gefallen hat, war der ‚Good Parent - Bad Parent‘-Part, bei dem zeitweise die Mutter überhaupt nicht gut davon kommt, dann aber der Vater zu streng ist und Margarita nicht nur zwischen den umabgestimmten Eltern zerrissen ist, sondern sich gefühlt ständig auf eine Seite schlagen muss. Das fand ich sehr anstrengend, ebenso wie der nicht gelöste Konflikt zwischen den Eltern, der mal mehr mal weniger schlummert.

Insgesamt ist »Gewässer im Ziplock« ein spannender und schön geschriebener Roman, der gekonnt Themen wie jüdische Identität, Traditionen und der Suche nach Heimat verhandelt, aber dennoch einige Längen hat und mich damit in Gänze leider nicht ganz so überzeugen konnte. Empfehlung gibt es aber natürlich trotz der Längen ♡

Bewertung vom 05.09.2023
Terafik
Karkhiran Khozani, Nilufar

Terafik


sehr gut

»Er [Khosrow] konnte nur zusehen, wie das Land langsam ausblutete. Er würde ihr [Nilufar] gerne sagen, dass eine Nation mit über achtzig Millionen Menschen, mit einer Fläche fünfmal so groß wie Deutschland nicht einfach in vierzig Jahren zerstört, eine 4000 Jahre alte Kultur nicht einfach ausradiert werden könne, aber seine Tochter musste auflegen, ein andermal.« (S.122) 🇮🇷💔

Nilufar wächst als Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter in Deutschland auf. Als der Vater seinen Job verliert, verlässt die Mutter mit kleinen Nilufar den Vater von heute auf morgen. Dieser kehrt schließlich in den Iran zurück. Mit Anfang 30 arbeitet Nilufar als Psychotherapeutin in Berlin, als sie sich dazu entschließt, ihren Vater zum ersten Mal im Iran zu besuchen und Antworten auf Fragen zu finden.

Warum hat ihr Vater nie Persisch mit ihr gesprochen?👨‍👧
Warum ist er gegangen? 🇮🇷

Diese Fragen und Themen der Identitätssuche von Nilufar verhandelt der Roman und zeigen damit nicht nur die Zerrissenheit zwischen Verständnis, Liebe und Wut auf den Vater, sondern auch auf die eigene Herkunft und Zugehörigkeit auf. Dabei wird das Gedankenspiel ‚Was wäre wenn … ?‘ 💭 häufig gespielt, aber selten im Diskurs mit anderen thematisiert. Insbesondere im immer wieder von Nilufar angestellten Vergleich mit ihrer gleichaltrigen, im Iran aufgewachsenen Cousine Narges wird deutlich, wie unterschiedlich ihre Leben verlaufen sind — natürlich geprägt durch die verschiedenen Länder, Sprachen und Kulturen.

»»Nilufar!« Narges lacht schallend. »Was willst du denn hier? Hier wollen die jungen Leute alle weggehen. Denkst du wirklich, du könntest hier leben?«« (S.232)

Stilistisch gekonnt schreibt die Autorin Nilufar Karkhiran Khozani in ihrem autofiktionalen Roman »TERAFIK« über ihre erste Reise in den Iran zu ihrem Vater, über Identitätssuche, über Familie und Zugehörigkeit, über die Zerrissenheit zwischen Kulturen und über Vater-Tochter-Beziehung. Immer wieder baut sie dafür Rückblenden des Vaters sowie SMS-Kommunikationen ein und gibt damit nicht nur einen Einblick in Nilufars Gedankenwelt, sondern auch die Perspektive des Vaters. Dadurch entsteht ein eindrucksvolles Gesamtbild, bei dem dennoch Interpretationsraum verbleibt.

Heraus kommt ein einprägsamer und emotionaler Roman über Identität, Familie und Zugehörigkeit. Stellenweise hätte ich mir etwas mehr Reflektion mit der eigenen Situation als auch dem Iran als Land der Gegensätze gewünscht. Zudem bleibt die Mutter leider eine - für den Kontext auch sehr relevante - Leerstelle. Nichtsdestotrotz finde ich dieses (mutmaßlich) sehr persönliche Auseinandersetzung sehr wichtig und vielseitig.

Alles in allem: Ein Buch, das mir neue Perspektiven und Denkweisen aufgezeigt hat, und damit eine weitere Sichtweise auf den Iran gibt, und das ich daher sehr gerne empfehle. 🩷

Bewertung vom 21.08.2023
Heartbreak
Bagci, Tarkan

Heartbreak


gut

»»Du bist ohne Plan hergekommen? Einfach so?« [Marie] »Ja und?«, fragt Tom. »Machst Du nie mal was aus 'nem Bauchgefühl heraus?« »Nein«, meint Marie trocken. »Das einzige Gefühl, das aus meinem Bauch kommt, sind Schmerzen.« Tom lacht, aber Marie nimmt es ihm nicht übel. Er kann schließlich nicht wissen, dass das nur zur Hälfte ein Scherz war.« (S.182)

In »HEARTBREAK« erzählt der Podcaster, TV-Moderator und Autor Tarkan Bagci zunächst parallel die Geschichten von Marie, einer jungen Frau mit Depressionen, Angststörungen, einem okayen Job mit neurotischem Chef und schwierigem Verhältnis zu ihren Eltern; und dem erfolgreichen Musiker Tom [Thomas], der sich neben seiner Musikkarriere eine Schauspielkarriere aufbauen sollte. Marie - hat es insgesamt nicht leicht im Leben - wird von ihrem Partner geghostet und ist heartbroken 💔 , während Tom’s Karriere durch einen tragischen Unfall und eine Lüge zerstört wird und der Shitstorm ihn tief trifft. Beide belogen und betrogen, treffen sie sich in einem Hotel in der Toskana. Wen diese Storyline anspricht, liest, was daraus wird 🫢

Ich wollte den Roman sehr mögen, weil ich Tarkan Bagci als Moderator und Podcaster sehr gut finde. Pluspunkte sind aus meiner Sicht auf jeden Fall, dass das Buch psychische Krankheit thematisiert und somit weiter in die Gesellschaft rückt. Leider war mir die Story nicht ausgereift genug, zu oberflächlich und vorhersehbar. Auch bei den Charakteren hätte ich mir mehr Beschreibung und Tiefe gewünscht, zumal ich die Handlungsmotivationen und auch Handlungen nicht realistisch empfand. Zudem bin ich ein großer Fan von ‚FORGIVE AND LET KARMA DO ITS THINGS’ 🧘🏼‍♀️ … Vielleicht lag es an meinen hohen (und vielleicht zu hohen 👉🏼👈🏼) Erwartungen - auch trotz des großartigen Covers 💘 konnte mich der Roman leider nicht überzeugen.

Fazit: Cute Story 💖, die sicherlich Liebhaber:innen finden wird und sich schnell liest. Meins war es leider nicht, das ist aber völlig OK. 😌

Bewertung vom 18.08.2023
Kartonwand
Çevikkollu, Fatih

Kartonwand


ausgezeichnet

In seinem erzählenden Sachbuch »Kartonwand: Das Trauma der Arbeitsmigrant/innen am Beispiel meiner Familie« schreibt der Kabarettist, Schauspieler und Autor Fatih Çevikkollu über seine Familie und den (möglichen) Einfluss von Arbeitsmigration auf die Psyche.



Zu Beginn des Buches werden Grundlagen der Arbeitsmigration erläutert und mit weiteren Quellen belegt bzw. Literaturverweise gegeben. So wird bspw. dargestellt, warum es ein Abkommen zwischen der Türkei und Deutschland gab, wie sich die ablehnende, offen diskriminierende Haltung gegenüber den Arbeitsmigrant*innen in Deutschland zeigte und mit welchen Mitteln Deutschland - z. B. § Rückkehrförderungsgesetz (1983) - diese Arbeitsmigrant*innen loswerden wollte.

Geprägt von diesen Lebensumständen schildert der Autor die Geschichte seiner Familie, an deren Beispiel die Zerrissenheit zwischen dem Leben in der Türkei und dem Arbeiten in Deutschland deutlich wird. Die »Kartonwand« beschreibt dies eindrücklich:

»Es gibt die Türkei als Lebensziel, und alles wird dorthin ausgerichtet. Das ist der Klassiker. […] Alle hatten zu Hause eine Wand mit Kartons, […] , in denen die Sachen, die man mit in die Türkei nehmen wollte, aufbewahrt wurden. Alles Schöne und Wertvolle wurde aufgespart. Oder eben Dinge, die in Deutschland gut und günstig sind. Das Hässliche wird in Deutschland benutzt, das Schöne geht mit ins Paradies.« (S.29)

Für viele türkische Arbeitsmigrant*innen war Deutschland ein Provisorium und die Rückkehr in die Türkei das Ziel. Dies zeigt sich bspw. in einer Kartonwand, aber auch darin, dass z. B. Kinder (vorerst) in der Türkei bei Verwandten gelassen worden sind. Oder in Deutschland geborene Kinder, die in die Türkei zur Schule geschickt worden sind, damit sie schon einmal dort seien, wenn die Eltern zurückkommen würden. ‚Kofferkinder‘ nennt Fatih Çevikkollu diese Kinder, die nicht selten zwischen Deutschland und der Türkei hin- und hergeschickt worden sind. Das macht natürlich auch viel mit den Kindern, wie sich am Beispiel des Autor zeigen lässt:

»Ich bin Deutscher, aber ich habe immer das Konzept der Türkei im Kopf. Wie ein Betriebssystem, das nicht genutzt wird, ein Upload, der nicht gestartet wird, aber immer präsent ist wie ein Avatar.« (S.29)

Parallel zu den politischen, gesellschaftlichen und strukturellen Themen um Arbeitsmigration, die Çevikkollu darstellt, schreibt er über seine Familie als Beispiel dessen. Es wird schnell deutlich, wie verheerend diese Kombination aus Rassismus, günstige Arbeitskraft und Deutschland als Provisorium sein kann. Zumindest im Falle seiner Mutter hat dies zu psychischen Problemen geführt. Ganz unabhängig davon, dass auch die Familie und das gemeinsame Zusammensein und Glück darunter leiden.

»Migration löst keine psychischen Krankheiten aus, stellt aber in jedem Fall eine seelische Belastung dar. Sie kann unter Umständen dazu beitragen, dass krankheitsauslösende Faktoren begünstigt werden. Meine Eltern lebten nicht in Deutschland, sie arbeiteten hier. Ihre dreißig Jahre in Deutschland waren ein Provisorium, und keiner machte sich klar: Die baldige Rückkehr sollte sich zur Lebenslüge entwickeln.« (S.31)

Ich finde den Satz »Meine Eltern lebten nicht in Deutschland, sie arbeiteten hier.« (S.31) sehr vielsagend. 💔

Das Buch thematisiert Arbeitsmigration aus verschiedenen Perspektiven, die ich als sehr bereichernd und wichtig empfinde. Dies wird durch das persönliche Beispiel der Familie Çevikkollu verstärkt. Sicherlich gibt es noch einige weitere Aspekte, die hier nicht berücksichtigt worden sind, aber der Subtitel gibt sehr gut vor, was in diesem Buch erwartet werden kann. Einziger Kritikpunkt ist, dass sich Inhalte zum Teil sehr stark wiederholen, was vielleicht daran liegen könnte, das Kapitel einzeln verfasst bzw. überarbeitet worden sind.

Insgesamt ein sehr wichtiges, aktuelles und eindrückliches erzählendes Sachbuch, das ich sehr empfehle. 🧿💙

Bewertung vom 13.08.2023
Sylter Welle
Leßmann, Max Richard

Sylter Welle


gut

Ein letzter Sommerurlaub bei Großeltern auf Sylt — mit Erinnerungen im Gepäck

Max Richard Leßmann — Sänger, Podcaster und Dichter (Gedichtband »Liebe in Zeiten der Follower«, 2022) — ist aus dem Internet nicht wegzudenken. Jetzt hat er seinen ersten Roman veröffentlicht: »Sylter Welle« 🌊

Ein letztes Mal die Großeltern in ihrem Sommerurlaub auf Sylt besuchen, nicht wie früher immer mit dem Camper, sondern dieses Mal in der »Sylter Welle« — einem Hotel direkt an der Strandpromenade in Westerland. Und damit fängt es schon an, seine Oma Lore holt ihn zu Fuß und nicht mit dem Auto ab, wo es sonst aus dem Handschuhfach immer die zuckrigen ‚Sauren Äpfel‘ 🍏 gab. In seinem Roman schreibt Max über die gemeinsamen drei Tage auf Sylt mit seinen Großeltern und schildert dabei nicht nur Urlaubserlebnisse, sondern schwelgt in alten Erinnerungen, die nicht immer so witzig und klebrig-süß sind, wie sie sich mit den ersten Sätzen vielleicht lesen mögen. Oftmals haben die Stories, Anekdoten und Erinnerungen doch auch einen bitteren, traurigen oder harten Beigeschmack. Mitleid kann Max von diesen Großeltern beispielsweise nicht erwarten, denn mensch tut sich ja selber schon leid. 💔 Zurück zum Urlaub — selbstverständlich wird in der Sylter Institution ‚Kupferkanne‘ Kuchen geschlemmt.

»Laut Google essen Menschen in Deutschland durchschnittlich fünf Kilo süßes Gebäck im Jahr.
Und auch wenn ich in meinem Alltag eigentlich nie Kuchen esse und erst recht keine Torte, schaffe ich es allein durch die wenigen Besuche bei meinen Großeltern mit Leichtigkeit über diese lächerlich kleine Grenze.« (S.53) 🍰

Max #nordischbynature schreibt in norddeutscher Manier über seine Familie und damit auch über die ihm gestellte Frage: »»Wen von diesen ganzen Leuten würdest du eigentlich mögen, wenn es nicht deine Familie wäre?«[Frage von Max Ex-Freundin an Max]« (S. 157). Es ist eine Liebeserklärung an seine Großeltern, gerade weil die harten Seiten der im 2. Weltkrieg großgewordenen Menschen nicht verklärt werden.

Ein Roman, der gerade wegen des Witz, Charm und Nostalgie nicht über die Tragik, Trauer und das Unverständnis einiger Erinnerungen hinwegtäuscht. Mich haben viele Anekdoten sehr nachdenklich gestimmt. … Wem wenn nicht unserer Familie sollten wir die Fragen stellen können, die wir stellen wollen? Haben nicht alle Menschen Mitgefühl verdient? 

Was deutlich wird: Lieben tun wir trotz unserer Verletzungen und viele in verschiedenen Lovelanguages. ❤️‍🩹

Ein berührendes Buch, dessen Cover meiner Meinung nach, perfekt zum Inhalt passt. 🌊🔥